Ein Elternhaus für Tom und Toni: Im Sonnenwinkel – Neue Edition 13 – Familienroman
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»Ein Brief für dich, Carlo. Von einer Dame«, sagte Marianne Heimberg mit einem anzüglichen Lächeln zu ihrem Mann. Er zwinkerte ihr vergnügt zu. »Eifersüchtig, Anne?« »Gott bewahre! Du kehrst schon an den Futtertrog zurück.« »Nicht nur an den Futtertrog«, erwiderte er und fing ihre Hand ein, um sie an die Lippen zu drücken. Sie hatten sich erst im reifen Alter gefunden. Er als bis dahin eingefleischter Junggeselle, sie als verwitwete Frau von Rieding ohne jede Ambition, noch einmal zu heiraten. Aber sie waren glücklich geworden und fühlten sich mit ihrem innig geliebten Adoptivsohn Tino als junge Familie. »Nun lies den Brief doch endlich!« drängte sie. »Wie kann man nur so neugierig sein«, neckte er sie. »Die Handschrift kenne ich. Gibt es das auch, daß Marisa mal wieder etwas von sich hören läßt?« »Marisa?« Marianne war der Name bekannt.
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Ein Elternhaus für Tom und Toni - Patricia Vandenberg
Im Sonnenwinkel – Neue Edition
– 13 –
Ein Elternhaus für Tom und Toni
Patricia Vandenberg
»Ein Brief für dich, Carlo. Von einer Dame«, sagte Marianne Heimberg mit einem anzüglichen Lächeln zu ihrem Mann.
Er zwinkerte ihr vergnügt zu. »Eifersüchtig, Anne?«
»Gott bewahre! Du kehrst schon an den Futtertrog zurück.«
»Nicht nur an den Futtertrog«, erwiderte er und fing ihre Hand ein, um sie an die Lippen zu drücken.
Sie hatten sich erst im reifen Alter gefunden. Er als bis dahin eingefleischter Junggeselle, sie als verwitwete Frau von Rieding ohne jede Ambition, noch einmal zu heiraten. Aber sie waren glücklich geworden und fühlten sich mit ihrem innig geliebten Adoptivsohn Tino als junge Familie.
»Nun lies den Brief doch endlich!« drängte sie.
»Wie kann man nur so neugierig sein«, neckte er sie. »Die Handschrift kenne ich. Gibt es das auch, daß Marisa mal wieder etwas von sich hören läßt?«
»Marisa?« Marianne war der Name bekannt. Sie war die Nichte ihres Mannes, aber persönlich waren sie sich noch nie begegnet. Marisa war verheiratet und lebte irgendwo in Norddeutschland.
»Mich sollte es nicht wundern, wenn ich doch recht behalten hätte und ihre Ehe schiefgegangen wäre«, überlegte er laut, während er den Umschlag aufschlitzte. »Sie war mir damals mächtig böse, als ich meine Bedenken äußerte.«
»So etwas tut man auch nicht, Carlo. Eine Ehe ist immer ein Lotteriespiel. Man weiß nie, ob man ein Glückslos gezogen hat.«
»Ich bin doch hoffentlich keine Niete?« fragte er schmunzelnd.
»Ich habe eben Glück gehabt«, erwiderte sie zärtlich.
»Und ich erst! Komm, setz dich zu mir, Anne! – Nun, was habe ich gesagt! Dein alter Carlo hat sich nicht getäuscht. Zwei Jahre ist sie schon geschieden.« Er versank in Nachdenken. »Sie war ein so bezauberndes Mädchen, Anne«, stellte er seufzend fest.
»Lies vor!« rüttelte sie ihn auf.
»Lieber Carlo… – Als Onkel war ich ihr nie seriös genug«, kommentierte er. »Na, sie würde staunen, was für ein treusorgender Familienvater ich geworden bin.«
»Vorlesen sollst du!« ermahnte ihn seine Frau.
Es war ein langer Brief, dennoch knapp gefaßt und ohne Klagen, Umschreibungen und Entschuldigungen.
Marisa, mit vollem Namen Marie-Luise Ruland, hatte erst auf Umwegen in Erfahrung gebracht, wo ihr Onkel, den sie schlicht Carlo nannte, jetzt lebte. Ihren Mann und den Grund ihrer Scheidung – unüberbrückbare Gegensätze – erwähnte sie nur am Rande.
»Du hast es besser gewußt als ich«, schrieb sie weiter, »und gerade darum fällt es mir schwer, Dich um Hilfe zu bitten. Doch ich tue es nicht für mich, sondern für meine kleine Toni, die lange Zeit schwer krank war. Die kostspielige Behandlung hat meine Ersparnisse aufgezehrt. Das Kind brauchte Pflege, so konnte ich keine Stellung annehmen. Nun soll und muß sie aus der Stadt heraus und Luftveränderung haben. Ich weiß nicht, woher ich das Geld nehmen soll. Ich bitte Dich herzlich, es mir zu leihen. Wenn ich Toni in einem Heim unterbringen kann, könnte ich arbeiten und würde Dir Dein Darlehen – nur als solches würde ich Deine Hilfe betrachten – bald zurückzahlen können.«
Carlo Heimberg hielt inne.
»Ersparnisse?« sagte er grimmig. »Sie hatte eine Mitgift von ein paar Hunderttausend. Ahnte ich es doch, daß der Kerl alles verpulvern würde. Dieser Schlawiner, es ist doch immer dasselbe!«
»Daran wirst du jetzt nichts mehr ändern können, aber ihr muß geholfen werden«, stellte Marianne fest. »Wozu ein Heim für das Kind, in dem es die Mutter entbehren muß? Sie sollen beide herkommen. Sofort wirst du es ihr schreiben, Carlo!«
»Meine liebste, beste Anne, du bist wundervoll, aber wie ich Marisa kenne, wird sie das nicht annehmen wollen. Sie muß in einer schrecklichen Situation sein, wenn sie eine solche Bitte ausspricht.«
»Dann werden wir ihr eben schreiben, daß sie mit dem Kind herkommen soll, und wir es hier in einem Heim unterbringen. Alles Weitere wird an Ort und Stelle geklärt. Wie mir scheint, hat auch sie eine Erholung verflixt nötig.«
Er nahm sie in den Arm und küßte sie zärtlich.
»Weißt du, wie einem Mann zumute ist, der mit einem Engel verheiratet ist?« fragte er leise.
»Nun übertreib nicht«, wehrte sie verlegen ab. »Das ist doch selbstverständlich! Wo könnte sich das Kind besser erholen als hier.«
*
Voller Dankbarkeit hatte Marisa Ruland den Brief gelesen, den Marianne und Carlo Heimberg ihr geschrieben hatten.
Nach dem Fiasko ihrer eigenen Ehe war sie skeptisch gewesen, als sie erfahren hatte, daß Carlo noch in späten Jahren geheiratet hatte.
Ein Mann wie er, erfolgreich, vermögend, von Frauen umschwärmt, taugte ihrer Ansicht nach eigentlich nicht zum Ehemann. Doch jetzt war dieses Vorurteil ins Wanken geraten.
»Warum freust du dich?« fragte die kleine Antonia, die an ihrem Schreibpult saß und sich die Zeit mit einem
Puzzlespiel vertrieb.
»Wir werden eine Reise machen, Toni, eine weite Reise«, erwiderte sie.
»Nach Afrika?« fragte die Kleine.
Marisa gab es einen Stich. Sie hatte ihrer Tochter damals, als sie sich scheiden ließ, gesagt, daß ihr Vater nach Afrika gegangen sei, was auch stimmte. Nur hatte sie Toni verschwiegen, daß er nie mehr zu ihnen zurückkommen würde. Sie hatte gehofft, daß die Zeit ihr und auch dem Kind helfen würde, diese Trennung zu überwinden.
So bitter ihr Mann sie auch enttäuscht hatte, er war ihre erste Liebe gewesen, und damals, als sie heirateten, hatte sie geglaubt, daß eine solche Liebe ewig währen müsse.
»Warum sagst du nichts, Mami?« fragte Toni mit ihrem zarten Stimmchen.
»Ganz so weit fahren wir nicht«, erwiderte sie gepreßt.
Das ernste Gesichtchen des Kindes hellte sich auf.
»Da bin ich eigentlich froh. Ich mag gar nicht nach Afrika. Ich dachte schon, Papa würde uns doch noch holen.«
Marisas Herz schlug dumpf. Ein Staunen war in ihr.
»Hast du es dir nicht gewünscht?« fragte sie leise, ihr Kind zärtlich in den Arm nehmend.
Toni schüttelte den Kopf.
»Er hat immer mit dir gestritten, das konnte ich nicht leiden. Ich bin gern mit dir allein, Mami.«
Ein riesengroßer Stein fiel Marisa vom Herzen. Sie konnte es gar nicht so schnell fassen, daß diese Beklemmung ein Ende haben sollte.
»Wir fahren zu Onkel Carlo und Tante Marianne«, erklärte sie rasch.
»Zu dem Carlo, der Häuser baut?« fragte Toni. »Ich wußte gar nicht, daß er eine Tante Marianne hat.«
»Sie haben uns einen lieben Brief geschrieben.«
Sie hatten auch geschrieben, Toni nichts von einem Heim zu erzählen, damit sie keinen Schock bekäme. Es würde sich alles finden, wenn sie erst bei ihnen waren, hieß es in dem Brief weiter.
Vielleicht gelang es ihr, dort drunten eine Arbeit zu finden, damit sie Toni wenigstens öfter besuchen konnte.
»Kommt Papa gar nicht wieder, Mami?« fragte Toni in ihre Gedanken hinein.
»Nein, mein Kleines«, antwortete sie stockend, »er kommt nicht mehr wieder.«
»Ihm gefällt es wohl in Afrika?« wollte Toni wissen. »Uns würde es da gar nicht so sehr gefallen, nicht wahr, Mami?«
Er hatte in Kapstadt eine andere Frau gefunden, die Geld genug hatte, sein aufwendiges Leben zu bestreiten. Wie lange?
Auch sie hatte einmal ein beträchtliches Vermögen besessen, und nichts war geblieben.
»Nein, uns würde es da nicht gefallen, Toni«, sagte sie.
»Aber bei Onkel Carlo und Tante Marianne ist es sicher schön, wenn du dich freust, Mami.«
»Ja, mein Liebling«, erwiderte sie, und sie hoffte mit heißem Herzen, daß ihr geliebtes Kind einmal so fröhlich und ausgelassen wie andere Kinder herumspringen konnte.
Die kleine Toni hatte ein Hüftgelenkleiden gehabt. Sie war öfters operiert worden, und während der letzten Operation hatte sie auch noch eine Lungenentzündung bekommen.
Marisa durfte gar nicht daran denken, wieviel Angst sie ausgestanden hatte, auch dieses Kind zu verlieren, das alles war, was sie noch besaß. Er war ihr Kind! Rainer hatte nichts für die Kleine übriggehabt, die so zart und anfällig gewesen war.
Toni war ein zärtliches, anschmiegsames Kind. Sie liebte ihre Mami abgöttisch. Sie war überglücklich, immer bei ihr sein zu können, und ahnte nichts von den Sorgen, die Marisa bewegten.
Aber nun tauchte mit diesem Brief ein Silberstreif am Horizont auf.
»Wann machen wir denn die Reise, Mami?« fragte Toni.
»Bald, mein Liebling. Gleich heute erkundigen wir uns nach der Zugverbindung.«
»Und dann packen wir den Koffer!« strahlte Toni, und dieses Lächeln zauberte Glanz in Marisas Augen.
*
»Elf Uhr dreißig kommen sie in Hohenborn an«, sagte Carlo Heimberg. »Gerade recht zum Mittagessen. Ich werde einen Tisch in den ›Tessiner Stuben‹ bestellen.«
»Das wäre ja noch schöner!« widersprach seine Frau. »Hier wird gegessen! Du fährst zum Bahnhof und holst sie ab. Dann bringt ihr gleich Tino von der Schule mit,