Körper in Trance: Dynamische Relaxation, Aktive Tonusregulation und Psychomotorisches Autogenes Training
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Der Psychotherapeut und erfahrene Kursleiter Gilles Michaux stellt hier drei dieser Entspannungsverfahren vor: die dynamische Relaxation nach Caycedo, die Aktive Tonusregulation nach Stokvis und die modifizierte Form des Autogenen Trainings nach Abrezol. Alle drei sind darauf ausgerichtet, vom Körper ausgehend den Geist in tranceartige Bewusstseinszustände zu bringen und so psychophysische Beruhigung herbeizuführen. Auf die heutige westliche Lebenswirklichkeit zugeschnitten, eignen sie sich sehr gut zur Integration von Entspannung in den hektischen Alltag. Weil sie die Wahrnehmung des eigenen Körpers fördern, lassen sich die beschriebenen Methoden gut mit embodiment- und achtsamkeitsbasierten Behandlungsansätzen kombinieren.
Das Buch enthält genaue Übungsbeschreibungen zum eigenständigen Üben sowie wörtliche Instruktionen zum Anleiten der Übungen für Klient:innen bzw. Patient:innen. Konkrete Fallbeispiele illustrieren den Einsatz der Übungen in der klinischen Praxis und in der Prävention. In zahlreichen Fotos werden alle wichtigen Übungsabläufe und -haltungen anschaulich demonstriert. Die meisten Übungen sind mit einprägsamen Sinnbildern verbunden, die das Verinnerlichen und Behalten der Bewegungsabläufe erleichtern.
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Book preview
Körper in Trance - Gilles Michaux
Vorwort
»Wenn man seine Ruhe nicht in sich findet, ist es zwecklos, sie andernorts zu suchen.«
François de La Rochefoucauld
Die Idee und Inspiration zu diesem Buch entstand im Laufe der 2018 von der Deutschen Gesellschaft für Entspannungsverfahren (DG-E) an der Akademie am Meer auf Sylt organisierten »Entspannungstherapiewoche«, zu der ich als Vortragsreferent und Workshopleiter zum Thema der Sophrologie bzw. Dynamischen Relaxation eingeladen war. Anlass hierfür war das internationale Interesse der DG-E für diese beispielsweise in Frankreich und Spanien sehr weit verbreiteten, in Deutschland aber im Vergleich zum Autogenen Training (AT), der Progressiven Relaxation (PR) und der Achtsamkeit weitgehend unbekannten hypnosenahen Entspannungs- und Stressbewältigungsmethode.
Während die Sophrologie in den Gesundheitssystemen Lateinamerikas und der Mittelmeerländer praktisch mit Entspannungstherapie und Stressmanagement gleichgesetzt wird, gibt es nahezu keine deutschen oder englischen Übersetzungen der entsprechenden spanischen und französischen Original- und Ratgeberliteratur. Interessanterweise scheint auch in der Schweiz die Rezeption der Sophrologie größtenteils an der deutsch-romanischen Sprachgrenze haltzumachen. Gleicherweise sind mir im mehrsprachigen – zwischen Frankreich, Belgien und Deutschland gelegenen – Luxemburg die unterschiedlichen auto- und heterosuggestiven Entspannungstraditionen deutsch- und französischsprachiger Fachkolleg·innen bewusst.
Die auf der »Entspannungstherapiewoche« erlebte positive Resonanz und der mehrfach von den Workshopteilnehmenden geäußerte Wunsch nach schriftlicher Instruktion und vertiefter Information hat mich dazu angeregt, dieses Buch für eine interessierte deutschsprachige Leserschaft zu verfassen und das entsprechende Fachpublikum im Bereich psychologischer, psychosomatischer und psychomotorischer Entspannungstrainings mit der Dynamischen Relaxation vertraut zu machen. Im Laufe der Buchgestaltung und auf Anregung des Verlags wurde der inhaltliche Rahmen dann auf weitere in Deutschland nahezu unbekannte und sich perfekt komplementarisierende Varianten anerkannter Verfahren wie der Entspannungshypnose, des AT und der PR ausgedehnt.
In dem vorliegenden Buch werden somit körperorientierte Entspannungsverfahren präsentiert, deren Gemeinsamkeit mitunter darin liegt, dass sie bezogen auf ihre praktische Anwendung im deutschen Sprachraum kaum verbreitet oder in Vergessenheit geraten sind. Es sind dies die Dynamische Relaxation der Sophrologie nach Caycedo (siehe Kap. 3),¹ die Aktive Tonusregulation nach Stokvis (siehe Kap. 5) sowie die abgewandelte Form des AT nach Abrezol und Dumont (siehe Kap. 4). Eine weitere verbindende Gemeinsamkeit liegt darin, dass es sich um hypnoseverwandte bzw. -basierte Methoden handelt und somit in diesem Buch eine Brücke zwischen Trance- und Körperarbeit geschlagen wird. Sie unterscheiden sich jedoch hinsichtlich ihres Körperbezugs, woraus sich eine anwendungsbezogene Komplementarität ergibt, mit einer spezifischen Eignung für unterschiedliche Anwendungsbereiche (siehe hierzu Überblick in Tab. 4). Abrundend und passend dazu werden auch Kurzformen der obigen Verfahren sowie suggestiv-imaginative Varianten der PR präsentiert (siehe Kap. 7). Das Buch erhebt in diesem Sinne keinen Anspruch auf Vollständigkeit, was hypnosomatische Relaxationstechniken angeht. Für einen detaillierten Überblick zu den eingängigen körperbezogenen Entspannungstechniken sei auf Derra (2021) verwiesen. Es eignet sich vielmehr sowohl als Anleitungsmanual für Entspannungstherapeut·innen und -trainer·innen als auch als Begleitfibel oder zum Selbststudium für Trainierende. Bevor wir zu der genauen Darstellung der entsprechenden Verfahren kommen, ein paar allgemeine einstimmende Gedanken zu ihren theoretischen Fundamenten.
1 Die Dynamische Relaxation nach Caycedo ist nicht mit der fast gleichlautenden Dynamischen Entspannung von Bergholz (2012) zu verwechseln. Wenn in Ansätzen auch vergleichbar, so handelt es sich bei letzterer um eine bewegungsorientierte Form der PR.
1Embodiment, Ideomotorik und Körpertrance
Bereits in den traditionsreichen Ansätzen der Entspannungskultur der asiatischen Versenkungstechniken bilden Körper und Geist eine eng miteinander verwobene Entität, wonach der Körper eine essenzielle Rolle auf dem Weg zur mentalen Beruhigung und Besänftigung spielt, und zwar sowohl auf passiv-statische als auch auf aktiv-dynamische Manier. In diesem Sinne finden sich körperliche Innenschau und Spannungsabfuhr als zentrale Elemente in den Übungen tradierter Entspannungsverfahren wie denen des Yoga, des Tai-Chi und des Qigong wieder (siehe vertiefend Mitzinger 2003 bzw. Scholz 2003). So erkennt auch der Begründer des AT eine deutliche Parallele zwischen der passiven Hinwendung auf neutrale »affektfreie Körpererlebnisse« durch die nach innen gerichtete »Körperschau« des Yoga und seiner sich eben auf diese konzentrierenden und autogenerierenden Entspannungstechnik (Schultz 1932, S. 350 ff.; siehe genauer in Kap. 4). Das Kernprinzip der dynamischen Entspannung des Yoga in Form eines bewussten Einnehmens von und Innehaltens in körperlichen Posituren, den sogenannten Asanas, spiegelt sich tendenziell auch in der Methodik der PR wider, dem kontrollieren Anhalten von muskulärer Spannung. Anders als Schultz distanzierte Jacobson (1963, S. 80; siehe Kap. 7) seine Methode jedoch deutlich vom Yoga, den er aufgrund seiner orientalischen spirituellen Hintergründe als zu mysteriös, sprich »okkult« und somit für Westler nur schwer zugänglich empfand.
Konträr dazu der integrierende Ansatz von Caycedo, dem es mit seiner in den 1960er-Jahren begründeten Dynamischen Relaxation gelang, achtsame Bewegungsübungen aus Tibet, Indien und Japan derart aufzubereiten, dass sie auf leichte, lockere Art und Weise zur psychohygienischen Entspannungsregulation in den westlichen Lebensalltag integrierbar und mit der okzidentalen Weltanschauung vereinbar wurden. Getreu seiner geistigen Wurzeln wählte auch er die Bildersprache für die Bezeichnung seiner Übungspositionen (siehe Kap. 3). Genau wie sich etwa im Yoga die Baumhaltung, die Fisch- und die Kobrapose (siehe Abb. 1) oder im Tai-Chi und Qigong die Bogen- und Kranich-Übungen finden, tragen auch die Übungen der Dynamischen Relaxation bildhafte Namen wie »Marionette« oder »Zielscheibe«. Diese Idee findet sich auch im Psychosomatischen Entspannungstraining (PSE) von Scholz (2001) wieder, dessen Übungen wie etwa die des »Grübelwischers« sich ebenfalls an Tai-Chi und Qigong orientieren. Wollte man eine bewegungsbezogene Metapher verwenden, könnte man auch sagen, dass Caycedo mit seiner Methode »auf den Schultern von Riesen sitzt«. Zu Yoga, Tai-Chi und Qigong liegen mittlerweile vielzählige Wirksamkeitsnachweise in Form von Metaanalysen vor (Pascoe, Thompson a. Ski 2017; Wang et al. 2010; Wang et al. 2013).
Abb. 1: Fischpose im Yoga
Die bildhaften Bezeichnungen dienen dabei nicht nur als schmückendes Beiwerk oder dazu, dass sich die Übungen besser gemerkt werden können; sie verkörpern auch die beim Üben einzunehmende innere Haltung. So kann sich der Yogi oder die Yogini beim Einnehmen der Fischpose der körperlichen Wendigkeit von Fischen im Wasser bewusst werden und somit auf seine Beweglichkeit achten (siehe Abb. 1). Ebenso kann etwa bei der Marionettenübung der Dynamischen Relaxation die Vorstellung, wie sich eine Marionette mit durchgetrennten Fäden hin- und herbewegt, den Fokus auf körperliches Freisein und Loslassen lenken (siehe Kap. 3.1.4.5 und Abb. 22). Wir finden dieses Prinzip auch im spontanen Kinderspiel wieder, wenn diese etwa ein Flugzeug nachahmen und sich dabei mit seitlich ausgestreckten Armen und hin- und herschwingendem Rumpf fortbewegen. Hierin ist bereits das zeitgenössische kognitionswissenschaftliche Konzept des Embodiment, zu Deutsch Verkörperung, vorweggenommen, wonach der körperliche Ausdruck u. a. mentale Einstellungen und Gemütsbewegungen zu modulieren vermag (siehe bspw. Tschacher u. Storch 2012). Auf diese Weise kann bereits eine neutrale, aber selbstbewusst eingenommene Körperhaltung – ähnlich der Berghaltung beim Yoga – Angstzustände mindern (Weineck et al. 2020). Eine Entsprechung zwischen yogischer Körperhaltung und der Aktiven Tonusregulation erkennen Stokvis und Wiesenhütter (1979, S. 178 ff.), indem