Wir beide schaffen es, Mami: Im Sonnenwinkel – Neue Edition 12 – Familienroman
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Die junge Lehrerin Friederike Fanchon, von allen, die sie gernhatten, Fritzi genannt, schloss die Tür des modernen Schulhauses von Erlenried auf. Einstweilen war sie noch alles in einem: Portier, Verwalterin und einzige Lehrkraft für die sechs- bis zehnjährigen Kinder der Siedlung. Ihr machte es nichts aus, dass eine beträchtliche Verantwortung auf ihren jungen Schultern ruhte, und niemand konnte ihr nachsagen, dass die Kinder bei ihr weniger lernten, als in der Volksschule in Hohenborn, obgleich sie alle in einer Klasse vereint waren. Fritzi bereitete sich immer gründlich vor, und mit ihrem frischen, natürlichen Wesen verstand sie es meisterhaft, ihre Schützlinge zu besten Leistungen anzuspornen. Obgleich sie großes Geschick bewies, die kleine Schar im Zaum zu halten, war sie keine Respektsperson im üblichen Sinne. Die Kinder mochten sie so gern, dass niemand ihr Schwierigkeiten bereitete. Außerhalb des Unterrichts war sie nur die Fritzi, und jedermann in Erlenried wusste, dass sie bald die Frau des jungen Pfarrers Frerichs sein würde. Eben dieser kam jetzt vom Pfarrhaus herübergelaufen, das in unmittelbarer Nähe der Schule lag. Fritzi hielt schnell Ausschau, ob schon Kinder zu sehen wären. Doch diese Sorge war unbegründet. Es war noch recht früh, und sie war zeitiger als sonst gekommen, weil sie wusste, dass Holger Frerichs nach Hohenborn musste, um dort seinen Kollegen zu vertreten, der sich endlich einen lang verdienten Urlaub gönnte. »Gut geschlafen, Liebes?«, fragte er zärtlich. »Bestens, Holger«, erwiderte sie fröhlich. »Schön, dass ich dich noch sehe.« »Ich habe extra gewartet. Wer weiß, wie lange es heute dauert.« »Hoffentlich nicht zu lange. Heute haben wir doch unseren Gemeindeabend.
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Wir beide schaffen es, Mami - Patricia Vandenberg
Im Sonnenwinkel – Neue Edition
– 12 –
Wir beide schaffen es, Mami
Patricia Vandenberg
Die junge Lehrerin Friederike Fanchon, von allen, die sie gernhatten, Fritzi genannt, schloss die Tür des modernen Schulhauses von Erlenried auf.
Einstweilen war sie noch alles in einem: Portier, Verwalterin und einzige Lehrkraft für die sechs- bis zehnjährigen Kinder der Siedlung.
Ihr machte es nichts aus, dass eine beträchtliche Verantwortung auf ihren jungen Schultern ruhte, und niemand konnte ihr nachsagen, dass die Kinder bei ihr weniger lernten, als in der Volksschule in Hohenborn, obgleich sie alle in einer Klasse vereint waren.
Fritzi bereitete sich immer gründlich vor, und mit ihrem frischen, natürlichen Wesen verstand sie es meisterhaft, ihre Schützlinge zu besten Leistungen anzuspornen.
Obgleich sie großes Geschick bewies, die kleine Schar im Zaum zu halten, war sie keine Respektsperson im üblichen Sinne. Die Kinder mochten sie so gern, dass niemand ihr Schwierigkeiten bereitete.
Außerhalb des Unterrichts war sie nur die Fritzi, und jedermann in Erlenried wusste, dass sie bald die Frau des jungen Pfarrers Frerichs sein würde.
Eben dieser kam jetzt vom Pfarrhaus herübergelaufen, das in unmittelbarer Nähe der Schule lag.
Fritzi hielt schnell Ausschau, ob schon Kinder zu sehen wären. Doch diese Sorge war unbegründet.
Es war noch recht früh, und sie war zeitiger als sonst gekommen, weil sie wusste, dass Holger Frerichs nach Hohenborn musste, um dort seinen Kollegen zu vertreten, der sich endlich einen lang verdienten Urlaub gönnte.
»Gut geschlafen, Liebes?«, fragte er zärtlich.
»Bestens, Holger«, erwiderte sie fröhlich. »Schön, dass ich dich noch sehe.«
»Ich habe extra gewartet. Wer weiß, wie lange es heute dauert.«
»Hoffentlich nicht zu lange. Heute haben wir doch unseren Gemeindeabend. Die Einweihung unseres Rathauses kann doch nicht ohne den Herrn Pfarrer stattfinden.«
»Was liegt denn in Hohenborn vor?«
»Eine Beerdigung und eine Trauung.«
»Trauung lasse ich mir gefallen«, lächelte sie. »Verdirb dir nicht den Magen beim Festmahl.«
»Dafür habe ich keine Zeit. Die Leute kommen mit allen möglichen Anliegen in die Sprechstunde. Das weißt du doch.«
»Aber das gefällt dir ja. In Erlenried gibt es so wenig Probleme. Hier sind alle rundherum glücklich.«
Auch sie war rundherum glücklich. Ihre Augen leuchteten, als sie ihm nachblickte. Sie war glücklich, dass Holger sie liebte, wie sie ihn liebte.
Nun kamen die Kinder daher. Keines war mürrisch oder unausgeschlafen. Sie durften schwatzen und lachen, und Fritzi lachte mit ihnen, bis die Schulbücher auf den Pulten lagen.
Dann waren sechzehn Augenpaare erwartungsvoll auf sie gerichtet. Der Unterricht begann.
*
Holger Frerichs fuhr Hohenborn entgegen. Noch waren seine Gedanken bei Fritzi.
Auf der Straße war wenig Verkehr. Holger Frerichs konnte es sich leisten zu träumen.
Als er dann nach Hohenborn einbog, musste er wachsam sein. Hier fuhren viele Autos den Münster-Werken entgegen, und hier strömten auch viele Kinder zur Volksschule und zum Gymnasium.
Wild und unüberlegt rannten sie manchmal über die Straße. Deswegen war er besonders vorsichtig, denn er hatte nicht vergessen, dass er auch einmal ein ungestümer Junge gewesen war.
Vielleicht war es das, dass er im Herzen so jung geblieben war, was ihn so beliebt machte.
Er predigte nicht nur von der Kanzel das Wort Gottes. Er liebte die Menschen und nahm teil an ihren Sorgen und Freuden. Er wurde allen, die ihn suchten, ein Freund.
Nun war er dicht bei der Schule angelangt, und die Kinder stürzten auf die Straße, als sie das erste Läuten vernahmen.
Er bremste. Sein »Schnauferl«, so mitgenommen es aussah, stand.
Da sah er einen Mann, der sich am Laternenpfahl festhielt, schwankte und dann zusammenbrach.
Eine Frau, die ihr Kind an der Hand führte, schrie auf.
Holger Frerichs war sofort aus dem Wagen und war mit ein paar langen Schritten bei dem Bewusstlosen.
Eine Verkäuferin, die ihn kannte, kam aus dem Geschäft gestürzt.
»Was ist, Herr Pfarrer?«, fragte sie entsetzt.
»Bitte, rufen Sie einen Krankenwagen«, brachte er mühsam über die Lippen.
Der Mann, der vor ihm lag, war nicht alt und gut gekleidet. Sein Gesicht war totenbleich. Schweißtropfen standen ihm auf der Stirn, aber er reagierte nicht auf seine beschwörenden Worte.
Einige Passanten traten heran, während mahnende Stimmen die neugierigen Kinder zur Schule trieben.
Die Erwachsenen verstummten, als er eine abwehrende Handbewegung machte.
»Das ist doch Herr Deuring!«, sagte eine Frau erregt. »Ich kenne ihn. Guter Gott, wird seine Frau sich erschrecken. Es sind so nette Leute.«
Der Krankenwagen kam. Leise sprach Holger mit den Sanitätern und stieg dann selbst in den Wagen, nachdem sie Herrn Deuring auf der Trage hineingeschoben hatten.
Er hielt die kalte Hand des Mannes, der noch einmal zu Bewusstsein kam.
»Franzi …, meine liebe Franzi«, flüsterte er. »Die Kinder …, mein Gott …« Und mit diesem Seufzer erlosch ein Menschenleben.
Holger Frerichs war wie erstarrt. Es war das erste Mal, dass er einen Menschen so schnell hatte sterben sehen.
Wie oft schon hatte er an einem Grab gestanden, manches Mal noch mit einem Sterbenden sprechen können, doch nun war er Zeuge geworden, wie abrupt ein Leben beendet sein konnte.
Ein Mann, der vielleicht noch vor kurzer Zeit heiter von seiner Familie gegangen war!
»Es sind so nette Leute«, klang die Stimme der fremden Frau in seinen Ohren.
Und diesen netten Leuten musste nun jemand die Nachricht, diese schreckliche Nachricht bringen. Er musste es tun!
Eine halbe Stunde später stand er vor einem neuen Einfamilienhaus. Es konnte noch nicht lange fertiggestellt sein.
Im Garten spross eben erst junges Grün, der weiße Verputz war makellos wie die Gardinen an den Fenstern.
Holger Frerichs’ Herz schlug dumpf, als er seinen Finger zögernd auf den Klingelknopf legte.
*
»Vati ist heute sehr früh gegangen«, stellte Carola Deuring fest.
»Du musst dich auch beeilen«, wurde sie von ihrer Mutter ermahnt. »Vati musste noch zur Bank wegen der Hypothek.«
»Gibt es Schwierigkeiten?«, fragte die zwanzigjährige Carola erschrocken. »Warum sagt ihr uns nichts, Mutti?«
»Ihr seid jung. Ihr sollt unbeschwert sein«, erwiderte Franziska Deuring. Da läutete es.
Sie konnte nicht ahnen, dass nun ihren vier Kindern alle Unbeschwertheit genommen werden würde.
Carola eilte zur Tür.
»Ich sage gleich ade, Mutti«, rief sie. Doch da erkannte sie Pfarrer Frerichs, den sie kürzlich während einer Sonntagspredigt in der Kirche gesehen hatte. »Herr Pfarrer?«, fragte sie atemlos. »Was führt Sie zu uns?«
Holger Frerichs blickte in das frische, natürliche Mädchengesicht. Sein Herz schlug dumpf.
Unwillkürlich musste er an Fritzi denken, die beide Eltern früh verloren hatte.
»Kann ich bitte Freu Deuring sprechen?«, fragte er leise.
»Mutti, der Herr Pfarrer«, rief Carola. »Ich muss ins Geschäft.«
»Bitte, bleiben Sie noch«, sagte er gepresst.
Ihre blauen Augen verdunkelten sich.
»Was ist denn?«, fragte sie erregt. »Mein Gott, es ist doch nichts mit Peter, Helga oder Volker? So reden Sie doch!«
Franziska Deuring stand in der kleinen Diele. Alles Blut war aus ihrem Gesicht gewichen.
Sie griff sich mit der rechten Hand an die Kehle, und ihre Augen weiteten sich schreckensvoll.
»Mein Mann!«, ächzte sie. »Was ist mit meinem Mann?«
Carola lehnte an der Tür. Sie zitterte am ganzen Körper. Holger Frerichs griff nach Franziska Deurings Hand.
»Bitte, setzen Sie sich, Frau Deuring«, sagte er stockend. »Ich habe eine …« Er kam nicht weiter.
»Er ist tot!«, schrie Frau Deuring auf. »O nein, das kann nicht sein! Sagen Sie, dass es nicht wahr ist! Der Traum, dieser schreckliche Traum kann nicht wahr sein!«
»Mutti, bitte, reg dich nicht auf! Vati war doch gesund und munter, als er ging. Herr Pfarrer, warum sagen Sie nichts?«
Holger senkte den Kopf.
»Es tut mir so unendlich leid«, flüsterte er hilflos. »Ich war dabei. Herr Deuring starb auf dem Transport ins Krankenhaus. Seine letzten Gedanken galten Ihnen, den Kindern. Verzeihen Sie, aber es musste Ihnen jemand die Nachricht bringen.«
Es peinigte ihn, dass er keine anderen Worte fand, keine finden konnte.
Das Leid, das er in diesen Sekunden miterlebte, war so grenzenlos, dass seine Lippen stumm blieben.
»Unser Vati …, es kann nicht wahr sein«, schluchzte Carola auf.
»Warum er? Mutti, es darf nicht wahr sein! Ich kann es nicht glauben!«
Mit leeren Augen blickte Frau Deuring ihre Tochter an.
»Ich habe es so sehr gefürchtet, Roli«, flüsterte sie. »Es war zu viel für ihn. Er wollte uns ein Heim schaffen, er hat zu viel für uns getan.«
Sie richtete sich auf, tränenlos, wie versteinert.
»Bitte, Herr Pfarrer, ich