Papa, Mama und die Pferde: Sophienlust - Die nächste Generation 62 – Familienroman
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Denise hat inzwischen aus Sophienlust einen fast paradiesischen Ort der Idylle geformt, aber immer wieder wird diese Heimat schenkende Einrichtung auf eine Zerreißprobe gestellt.
Diese beliebte Romanserie der großartigen Schriftstellerin Patricia Vandenberg überzeugt durch ihr klares Konzept und seine beiden Identifikationsfiguren.
»Also gut, ich lese dir noch etwas vor, damit du besser einschlafen kannst.« Sonja rückte ihren Stuhl zurecht, griff nach dem Kinderbuch auf dem Nachttischchen und schlug es auf. »… und dann brachen Paolo und sein bester Freund Angelo auf, um ein großes Abenteuer zu erleben«, begann sie. »Die beiden Jungen hatten nur ein Zelt bei sich, einen Schlafsack und ein bisschen Proviant. Und natürlich ihre Hunde Carlo und Timo, die sie überallhin begleiteten. Sogar nach Laorna, in das geheimnisvolle Land in den Bergen, das Paolo und Angelo entdecken wollten. Die Jungen hatten gehört, dass es das einzige Land der Welt war, in dem es noch Drachen gab. Und Elfen und Trolle. Und weiße Wölfe, die sprechen konnten wie Menschen …« Sonja verstummte, als sie sah, dass ihr kleiner Sohn Nils tief und fest eingeschlafen war. Sie legte das Kinderbuch beiseite und hauchte Nils einen liebevollen Kuss auf die Stirn. Ehe sie das Licht löschte, tätschelte sie noch Murphy, den zotteligen braunen Mischlingshund, der es sich am Fußende von Nils' Bett bequem gemacht hatte, und verließ dann auf Zehenspitzen das Kinderzimmer. Fast gleichzeitig verschwand das Lächeln aus ihrem Gesicht, und ihre Miene wurde ernst und traurig. Die quälenden Gedanken und Bilder, die jedes Mal nur darauf warteten, bis sie allein war und ein paar Mußestunden hatte, drangen auch jetzt wieder mit Macht auf sie ein und ließen sie nicht mehr los. Einmal mehr sah sie ihren Lebensgefährten Birger vor sich, wie er morgens die Wohnung verlassen hatte, um zur Arbeit zu fahren. Er hatte sich mit einem ›High five‹ von Nils verabschiedet und mit einem zärtlichen Kuss und einer Umarmung von ihr. Am Treppenabsatz hatte er noch einmal »tschüss« gerufen und zurückgewinkt. Und war am Abend nicht mehr nach Hause gekommen.
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Papa, Mama und die Pferde - Carolin Weißbacher
Sophienlust - Die nächste Generation
– 62 –
Papa, Mama und die Pferde
Als sich für Sonja und Nils doch noch alles zum Guten wendete …
Carolin Weißbacher
»Also gut, ich lese dir noch etwas vor, damit du besser einschlafen kannst.« Sonja rückte ihren Stuhl zurecht, griff nach dem Kinderbuch auf dem Nachttischchen und schlug es auf. »… und dann brachen Paolo und sein bester Freund Angelo auf, um ein großes Abenteuer zu erleben«, begann sie. »Die beiden Jungen hatten nur ein Zelt bei sich, einen Schlafsack und ein bisschen Proviant. Und natürlich ihre Hunde Carlo und Timo, die sie überallhin begleiteten. Sogar nach Laorna, in das geheimnisvolle Land in den Bergen, das Paolo und Angelo entdecken wollten. Die Jungen hatten gehört, dass es das einzige Land der Welt war, in dem es noch Drachen gab. Und Elfen und Trolle. Und weiße Wölfe, die sprechen konnten wie Menschen …«
Sonja verstummte, als sie sah, dass ihr kleiner Sohn Nils tief und fest eingeschlafen war.
Sie legte das Kinderbuch beiseite und hauchte Nils einen liebevollen Kuss auf die Stirn. Ehe sie das Licht löschte, tätschelte sie noch Murphy, den zotteligen braunen Mischlingshund, der es sich am Fußende von Nils’ Bett bequem gemacht hatte, und verließ dann auf Zehenspitzen das Kinderzimmer.
Fast gleichzeitig verschwand das Lächeln aus ihrem Gesicht, und ihre Miene wurde ernst und traurig.
Die quälenden Gedanken und Bilder, die jedes Mal nur darauf warteten, bis sie allein war und ein paar Mußestunden hatte, drangen auch jetzt wieder mit Macht auf sie ein und ließen sie nicht mehr los.
Einmal mehr sah sie ihren Lebensgefährten Birger vor sich, wie er morgens die Wohnung verlassen hatte, um zur Arbeit zu fahren. Er hatte sich mit einem ›High five‹ von Nils verabschiedet und mit einem zärtlichen Kuss und einer Umarmung von ihr. Am Treppenabsatz hatte er noch einmal »tschüss« gerufen und zurückgewinkt.
Und war am Abend nicht mehr nach Hause gekommen.
Sie hatte gewartet und gewartet. Sie hatte in seinem Büro angerufen und bei seinen Freunden.
Vergebens.
Endlich, nach langem Hin und Her, hatte sie sich dazu durchgerungen, die Polizei zu verständigen, doch dann hatte sie, den Telefonhörer bereits in ihrer Hand, durch einen Zufall unter dem Telefon den Briefumschlag entdeckt. Den Briefumschlag mit der Aufschrift ›Sonja‹ in Birgers großen, raumgreifenden Schriftzügen.
Mit zitternden Fingern hatte sie den Umschlag geöffnet – und war gleichsam aus allen Wolken gefallen.
Birger hatte ihr auf einem Zettel, der allem Anschein nach aus einem von Nils’ Schulheften stammte, in wenigen, knappen Zeilen mitgeteilt, dass er am Ende sei und dass es für sie und Nils das Beste wäre, wenn sie allein, ohne ihn, weitermachen würden.
Sie hatte die Welt nicht mehr verstanden.
Wie betäubt war sie auf den Sessel neben dem Telefon gesunken und hatte eine Zeit lang einfach nur dagesessen. Wieder und wieder hatte sie den Kopf geschüttelt, unfähig, auch nur einen einzigen klaren Gedanken zu fassen.
Sonja seufzte.
Mittlerweile waren seit diesem schrecklichen Tag mehr als acht Wochen ins Land gezogen.
Acht Wochen, in denen alles nur noch schlimmer geworden war.
Mehr und mehr war ihr Leben zu einem einzigen Albtraum geworden.
So konnte es nicht weitergehen!
Mit allen Fasern ihres Herzens hoffte Sonja, dass der entsetzliche Albtraum, in dem sie sich befand, bald zu Ende gehen und ein neuer Morgen heraufziehen würde, denn wenn noch weitere Katastrophen passierten …
Geistesabwesend räumte Sonja Nils’ Schuhe, die mitten auf dem Flur standen, ins Schuhbänkchen und warf Murphys Ball in die dafür vorgesehene Spielzeugkiste.
Schließlich holte sie sich eine Coladose und eine Tüte Chips, setzte sich ins Wohnzimmer und stellte den Fernseher an. Ein bisschen Ablenkung von ihren Sorgen würde ihr mit Sicherheit guttun.
Leider stellte Sonja schon nach wenigen Minuten fest, dass sie sich getäuscht hatte.
Der Krimi im Ersten gefiel ihr nicht. Er erinnerte sie unangenehm an die ersten Stunden nach Birgers Verschwinden, in denen sie befürchtet hatte, Birger wäre einem Verbrechen zum Opfer gefallen.
Auch dem Liebesfilm im Zweiten konnte Sonja nichts abgewinnen. Sie hatte einfach keine Lust auf verlogenen Kitsch. Wohin es führte, sich romantischen Vorstellungen und Träumen hinzugeben, hatte sie am eigenen Leib deutlich genug erfahren.
Während ihre Freundinnen schon mit fünfzehn oder sechzehn Jahren Spaß mit wechselnden Männern gehabt hatten, hatte sie selbst unverbrüchlich an die einzig wahre, große Liebe geglaubt. Keinem Geringeren als Mr. Right hatte sie sich schenken wollen, um für immer und ewig bei ihm zu bleiben. In guten und in schlechten Tagen.
Sonja lachte bitter auf und zappte weiter.
Was sie in den letzten Wochen durchgemacht hatte, war das Ergebnis ihrer romantischen, schwärmerischen Blauäugigkeit.
Ihre Freundinnen waren mittlerweile samt und sonders glücklich verheiratet, lebten wohlsituiert und sorgenfrei in schönen Wohnungen oder Häusern und machten Ferien an der Nordsee oder auf Gran Canaria.
Sie selbst dagegen …
Sonja nahm erneut die Fernbedienung zur Hand und versuchte es diesmal mit einer Talkshow. Eine Weile hörte sie interessiert zu, hatte aber schon bald nicht mehr die geringste Lust, sich mit den heiß und heftig diskutierten Themen und Vorschlägen zu befassen. So bedauerlich gesellschaftliche Missstände und Umweltprobleme auch waren, sie selbst hatte im Moment schon mehr als genug mit den Missständen und Problemen in ihrem eigenen Leben zu kämpfen.
Aber sie würde es schaffen.
Sie würde sich ihr Leben zurückerobern. Sie musste es einfach schaffen.
Morgen würde sie ihre beste Freundin Lilli aufsuchen und um Hilfe bitten.
Und wenn Lilli ihr nicht helfen konnte oder wollte, würde sie sich an ihre Mutter wenden, so schwer es ihr auch fiel.
Sollte allerdings auch diese letzte Anlaufstelle versagen …
Schwerfällig erhob sich Sonja, ging zu dem kleinen Schreibsekretär in der Wohnzimmerecke und holte den Brief mit der Räumungsklage ihres Vermieters hervor.
Sonja las ihn zum gefühlt hundertsten Mal durch, als hoffte sie insgeheim, den Inhalt nur falsch verstanden zu haben.
War es nicht möglich, dass es ihr beim neuerlichen Lesen wie Schuppen von den Augen fiel und sie plötzlich erkannte, dass sie die Wohnung gar nicht in spätestens anderthalb Wochen zu verlassen hatte?
Leider erfüllte sich Sonjas Hoffnung nicht.
Der Termin für die Räumungsklage stand unverrückbar fest, und an der Begründung war ebenfalls nicht zu rütteln. Genau wie es ihr die Anwältin, die sie vor etlichen Wochen im Zuge einer kostenlosen Beratung aufgesucht hatte, erklärt hatte. Das Recht sei hundertprozentig auf der Seite des Vermieters, hatte die Anwältin gesagt. Schließlich sei sie, Sonja, mit der Miete ein halbes Jahr im Rückstand und hätte auf die Abmahnungen des Vermieters nicht reagiert.
Umständlich faltete Sonja das Schriftstück wieder zusammen.
Genau genommen war nicht sie, sondern Birger im Rückstand und hatte nicht reagiert. Aber da der Mietvertrag auf sie beide lief, machte das keinen Unterschied.
Gedankenverloren trank Sonja ihre Coladose leer.
Sie hätte eigentlich eher ein Glas Wein gebrauchen können, aber Birgers ehemals gut bestückter Weinkeller hatte bei seinem Verschwinden leider nur noch eine einzige Weinflasche enthalten.
Hatte Birger den Wein mitgenommen?
Oder hatte er ihn in der Zeit vor seinem Abtauchen klammheimlich getrunken, um seine Probleme zu vergessen?
Sonja schüttelte müde den Kopf. Nie hätte sie ihm so etwas zugetraut!
Und doch war der leere Weinkeller nur ein Klacks gegen die Tatsache, dass Birger auch das gemeinsame Konto und ihr gemeinsames Sparguthaben geplündert hatte!
Er hatte sie und Nils vollkommen mittellos und obendrein noch mit Mietschulden zurückgelassen!
Sonja griff nach der Chipstüte, schob sie aber im selben Augenblick wieder von sich. Nicht einmal mehr auf ihre geliebten Chips verspürte sie wirklichen Appetit.
Es hätte nicht viel gefehlt, und ihr wären vor Selbstmitleid die Tränen gekommen.
Aber war sie nicht mitschuldig an ihrer finanziellen Schieflage?
War es richtig gewesen, Birger sämtliche Vollmachten zu geben, obwohl sie nicht verheiratet waren und sie somit im Gegenzug keinerlei Rechte besaß?
Bequem war es allemal gewesen.
Sie war voll und ganz in ihrer stundenweisen Arbeit im Tierfachmarkt ›Pfotenwelt‹, in ihren hausfraulichen Aktivitäten und in Nils’ Erziehung aufgegangen, froh sich um die restlichen alltäglichen Aufgaben nicht kümmern zu müssen.