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Die große Öde (Außenseiter Buch #2): LitRPG-Serie
Die große Öde (Außenseiter Buch #2): LitRPG-Serie
Die große Öde (Außenseiter Buch #2): LitRPG-Serie
Ebook420 pages5 hours

Die große Öde (Außenseiter Buch #2): LitRPG-Serie

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About this ebook

Eric hat überlebt, wo weit Stärkere vor ihm den Tod gefunden haben. Dabei hat er es auch noch geschafft, seinen Magie-Vorrat freizuschalten, eine der gefährlichsten Kreaturen der Höhlenwelt zu zähmen, eine uralte Stadt der Monsterjäger zu entdecken und eine junge Frau namens Jay zu retten, die eine Gruppe Späher mitten im Lager eines Gierschlunds dem sicheren Tod überlassen hatte.

Die Dungeons der Krummberge liegen nun hinter ihm. Jetzt begibt der junge, unerfahrene Magier sich auf den Weg nach Orchus. Die Zeit ist gekommen, sich von seinem Schuldnereid zu befreien.

In den weiten Ebenen entdecken Rick und Jay, dass das örtliche Baronat von einem benachbarten Herrscher angegriffen wurde. Das Gefolge des jungen Corwin zieht raubend und plündernd durchs Land und zeichnet sich durch besondere Grausamkeit aus: Friedliche Dorfbewohner werden getötet und ihre Siedlungen dem Erdboden gleichgemacht.

Das erschwert Ricks Mission gewaltig. Nun muss er seine Heimatstadt erreichen, ohne unterwegs in die schmutzigen Pfoten des Feindes zu fallen. Eigentlich sollte man denken, solange Eric und Jay mit Vorsicht zu Werke gehen, sich an Wildpfade halten und auf Schlingers scharfe Sinne verlassen, sollte ihnen nichts als ein entspannender Spaziergang durch den Wald bevorstehen. Doch die eigenwillige Göttin Schicksal hat ihre eigenen Pläne.

Erneut sieht Eric sich hinabgezogen in einen blutigen Strudel der Gefahr.
LanguageDeutsch
Release dateMay 24, 2022
ISBN9788076192508
Die große Öde (Außenseiter Buch #2): LitRPG-Serie

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    Die große Öde (Außenseiter Buch #2) - Alexey Osadchuk

    Kapitel 1

    „WIR MÜSSEN VON hier verschwinden, sagte ich, nachdem ich den zerbrochenen Schild eine Weile angestarrt hatte. „Hier ist es nicht sicher.

    Jay nickte nur schweigend. Die ganze Zeit über hatte sie sich dicht an meiner Seite gehalten, als hätte sie Angst, ich würde mich auf magische Weise in Luft auflösen und sie allein zurücklassen.

    Mit einem weiteren schweren Seufzen warf ich einen letzten Blick auf die Überreste der Feuersbrunst. Verkohlte, teilweise noch glühende Holzstücke, rauchende, halb zusammengefallene Kochstellen, mit Schlamm vermischte Asche... Nein, so hatte ich mir meine Rückkehr zur Oberfläche nicht vorgestellt!

    Schlinger kehrte von einer Erkundung des umliegenden Gebiets zurück.

    „Alte Spuren. Weibchen. Ihre Jungen", teilte er mir mit.

    „Merkwürdig..."

    „Hat er etwas gefunden?", fragte Jay hoffnungsvoll.

    „Anscheinend, antwortete ich. „Sag mal, was befindet sich in dieser Richtung?

    Jays Blick folgte meinem Zeigefinger. „Dort ist das gelbe Moor."

    „Also ein Sumpf..."

    „Ein von den Göttern verlassener Ort", ergänzte Jay mit einem Schaudern.

    „Schlinger sagt, die Frauen und Kinder haben diesen Weg vor ein paar Tagen genommen."

    „Warte mal... Ihr blasses Gesicht erhellte sich, als ihr etwas einfiel. „Jetzt erinnere ich mich! Natürlich – warum habe ich nicht gleich daran gedacht?

    „Wovon redest du?"

    „Die örtlichen Jäger sind oft im Moor unterwegs, erklärte sie mit einem erleichterten Lächeln. „Sie kennen all die geheimen Pfade.

    „Willst du mir damit etwa sagen...?, murmelte ich und stockte. „Als die Männer herausgefunden haben, dass ihr Dorf in Gefahr ist, haben sie ihre Familien im Sumpf versteckt und sind anschließend zurückgekehrt? Aber warum denn?

    „Woher soll ich das wissen? Sie zuckte mit den Schultern. „Sie haben offensichtlich nicht erwartet, dass man sie alle umbringt. Wahrscheinlich haben sie sich vorsichtig herangeschlichen, um die Entwicklung zu beobachten – und du siehst ja, was dann geschehen ist... So etwas gab es noch nie! Natürlich haben die Barone sich schon oft gestritten, aber solche Grausamkeiten haben sie nicht verübt.

    „Etwas hat sich also geändert", überlegte ich laut.

    „Wir müssen zum Sumpf!, sagte Jay entschlossen, machte schon die ersten Schritte, blieb dann aber abrupt stehen und drehte sich zu mir um, als ich fragte: „Warum?

    „Was meinst du mit warum?, fragte sie erstaunt zurück. „Dort sind Menschen, und bestimmt ist auch meine Tante im Sumpf. Wir müssen die Frauen informieren, was ihren Männern und Söhnen zugestoßen ist. Wir müssen ihnen helfen!

    Oh, nein! Nicht schon wieder! Ebenso wie vor einer Weile mit dem Moos, war es auch jetzt wieder zu spät, alles zu erklären. Ich entschloss mich für den einfachen Weg. „Ich komme nicht mit."

    „Und warum nicht?", rief Jay.

    „Du hast doch selbst gesagt, der Sumpf ist ein von den Göttern verlassener Ort. Oder kennst du etwa die geheimen Pfade?"

    „Nein", antwortete sie beleidigt.

    „Dann würde ich dir raten, dich davon fernzuhalten. Außerdem vermute ich, dass die Männer auf ihrem Weg zurück ins Dorf diverse Fallen aufgestellt haben, um ihre Familien zu schützen. So hätte ich jedenfalls an ihrer Stelle gehandelt."

    „Aber was ist mit den Frauen und Kindern? Die brauchen doch unsere Hilfe! Wir müssen..."

    „Du irrst dich, wenn du von ‚wir‘ sprichst, unterbrach ich sie. „Was habe ich damit zu tun? Soweit ich mich erinnere, schulde ich diesen Leuten nichts – ebenso wenig, wie sie mir etwas schulden. Du hast von Kindern gesprochen... Nun, sieh mich an! Ich breitete die Arme aus. „Wie sehe ich deiner Meinung nach aus? Ich bin selbst noch ein Kind, weißt du... Und ich kann mich nicht daran erinnern, dass deine Freunde und Bekannten sich darum geprügelt hätten, mich aus der Leibeigenschaft freizukaufen. Und in die Höhlen gelaufen sind sie ebenfalls nicht, um mir zur Flucht zu verhelfen."

    Ihre Wangen färbten sich tiefrot.

    „Außerdem, fuhr ich ruhig fort, „selbst wenn es uns wie durch ein Wunder gelingen sollte, die unangenehmen Überraschungen zu vermeiden, die die Jäger hinterlassen haben, und den geheimen Pfad zu finden... Was macht dich so sicher, dass man uns mit offenen Armen empfangen wird? Glaubst du etwa, die wollen drei weitere Mäuler stopfen müssen?

    Jay sah aus wie eine lodernde Flamme. Die Lippen hatte sie fest zusammengepresst, die Augen verengt, und ihr Brustkorb bewegte sich heftig. „Du..., stieß sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. „Du... Aber du bist doch ein Magier! Das Große System hat dir eine Begabung zum Geschenk gemacht! Du könntest sie einsetzen, um diesen Leuten zu helfen! Um für sie gegen die Bösen zu kämpfen!

    Ich versuchte mich an einem Lächeln, doch es fiel schief aus. „Ich sehe – du hast nichts kapiert. Ich werde dir dennoch eine Antwort geben, obwohl ich nicht dazu verpflichtet bin. Du hast es ein Geschenk genannt, aber ich musste im Schweiße meines Angesichts dafür arbeiten und dabei ständig mein Leben aufs Spiel setzen. Ich habe mir diese Gabe also schwer verdient. Und lass mich wiederholen – ich habe mit diesen Leuten nichts zu tun, und ich plane nicht, für sie zu kämpfen und dabei mein und Schlingers Leben zu riskieren. Der übrigens die einzige Kreatur auf der ganzen Welt ist, für die ich bereit wäre, mein Leben zu opfern."

    „Aber du hast doch mich gerettet!", wandte sie mit erhobenem Kinn ein.

    „Um genau zu sein, war das Schlinger", stellte ich klar.

    „Hrrr", meldete die Katze sich zu Wort.

    „Ohne ihn könnte ich es niemals auf den Kampf mit einem Mob wie dem Koldun ankommen lassen. Um ehrlich zu sein, habe ich als Magier nur eine Sache fertiggebracht: einen Fisch zu betäuben."

    „Trotzdem bin ich am Leben!"

    „Was hätte ich denn tun sollen? Dasitzen und zuschauen, wie du von einem Koldun gefressen wirst?", fragte ich bissig.

    „Du hast gesehen, dass dieses Biest auf mich losgegangen ist, und dich eingemischt. Obwohl du das nicht hättest tun müssen. Was ist denn der Unterschied zwischen mir und diesen Leuten im Sumpf?"

    „Da gibt es keinen, erwiderte ich. „Aber darum geht es nicht.

    „Worum denn?", wollte sie wissen.

    „Um den Gegner, mit dem wir es zu tun haben, antwortete ich ruhig. „Bei deinem Gegner waren wir sicher, gewinnen zu können.

    Jays Gesicht spiegelte Empörung, Zorn und Kränkung wider. „Willst du mir damit etwa andeuten, dass du mir nicht geholfen hättest, wenn eine gefährlichere Kreatur hinter mir her gewesen wäre?"

    „Nun ja, wir hatten nicht vor, Selbstmord zu begehen..."

    „Und das sagst du einfach so?"

    „Ich bin nur ehrlich zu dir. Ich zuckte mit den Schultern. „Ich will dich nicht beleidigen, indem ich dich belüge. Hätte ich dir etwas anderes erzählen sollen?

    Sie schüttelte den Kopf. „Ich weiß es nicht, Eric... Aber deine Wahrheit tut weh."

    Vorsichtig sah ich mich um. „Hör mal, Jay, es tut mir leid, dass ich dir wehgetan habe, aber dafür gibt es eine perfekte Rechtfertigung – du bist noch am Leben. Willst du etwa sterben? Meinetwegen – du hast das Recht dazu. Aber verlange nicht von mir, es dir gleichzutun."

    Sie hatte mir aufmerksam zugehört und erkundigte sich dann, bereits erheblich ruhiger: „Und was hast du vor?"

    „Was meinst du?, entgegnete ich. „Meine Pläne haben sich nicht geändert. Mein Ziel ist Orchus. Ich will meine Schulden begleichen und ein freier Mann werden.

    Jay dachte eine Weile nach. Als sie sich entschlossen zu haben schien, verkündete sie: „Also gut, Eric – dann trennen sich hier unsere Wege."

    „Wohin willst du denn gehen?", fragte ich perplex.

    „Zuerst zum Sumpf, antwortete sie. „Und wenn ich den Pfad nicht finden kann, gehe ich nach Hause, so wie ich es von Anfang an vorhatte.

    „Du willst mich also nicht nach Orchus begleiten?"

    „Nein. Sie schüttelte den Kopf. „Ich spüre, dass meine Familie mich braucht.

    „Und ich kann nichts tun, um dich davon abzubringen?", wollte ich wissen.

    „Und was ist mit dir?, erwiderte sie grinsend. „Gibt es nichts, das ich tun kann, damit du deine Meinung änderst?

    „Okay – gut gekontert!"

    Sie trat einen Schritt vor, umarmte mich ungeschickt und küsste mich auf die Wange. Dann lächelte sie und ging zu Schlinger. „Kümmere dich gut um Eric", sagte sie zu ihm.

    Als sie etwa zehn Schritte entfernt war, rief ich ihr nach: „Mach‘ ja keine Dummheiten!"

    Jay drehte sich um, lächelte traurig, winkte mir zu und verschwand zwischen einer Reihe von gelben Büschen.

    Schlinger und ich waren wieder allein. Zu behaupten, ich wäre verwirrt gewesen, hätte meine Stimmung nur unvollständig beschrieben. Während der letzten Tage war Jay mir vor Angst nicht von der Seite gewichen, und jetzt ging sie ihrer eigenen Wege. Obwohl, ein wenig verstand ich sie. Ihre geliebte Tante war hier irgendwo in der Nähe, und sie sollte an ihr vorbeimarschieren? Nein, so etwas würde ich ebenfalls nicht fertigbringen.

    Was mich auch durcheinanderbrachte, war die Geschwindigkeit, mit der die Dinge sich entwickelt hatten. In den Tiefen meiner Seele hatte ich gehofft, Jay würde bei uns bleiben. Zu dritt machte es mehr Spaß, und ich hatte mich an sie gewöhnt. Doch stattdessen war sie nach einem kurzen Abschied zwischen Blättern verschwunden.

    Vielleicht war ich zu direkt gewesen, zu brüsk? Aber ich kannte nun einmal keine anderen Methoden. Außerdem, ich persönlich würde immer lieber die Wahrheit erfahren, so unangenehm sie auch war.

    „Hrrr..." Auffordernd drückte sich eine nasse Nase gegen meine Hand.

    „Schon gut, Kumpel – ja, brechen wir auf."

    * * *

    Gegen Abend erreichten wir eine kleine Anhöhe, die uns einen guten Überblick über die Ebene verschaffte.

    Ich wusste in etwa, in welcher Richtung Orchus sich befand, und das reichte dem Harn. Auf den Spuren alter Tierpfade führte er mich durch den Wald und hielt sich dabei von größeren Menschengruppen fern.

    Ich sollte noch zu Protokoll geben, dass der junge Baron Corwin sein Versprechen voller Leidenschaft erfüllte. Überall wimmelte es von Söldnern, und die Grausamkeit der Schurken war atemberaubend.

    Schlinger warnte mich mehrfach vor den Folgen eines entsetzlichen Massenabschlachtens in unserer Nähe. Einen dieser Orte hatte ich mir vor einer Stunde sogar aus reiner Neugier näher angesehen.

    Das hätte ich besser gelassen. Ich hatte ein Lager von zwei Familien gesehen. Aus den Keilen unter den Rädern der Wagen hatte ich geschlossen, dass sie vorgehabt hatten, die Nacht auf dieser Lichtung zu verbringen, doch dann hatten die Mordbuben sie erwischt. Mithilfe unserer mentalen Verbindung hatte Schlinger mir erklärt, wie ich die verschiedenen Spuren lesen musste, die die Angreifer hinterlassen hatten.

    Wenn ich alles richtig verstanden hatte, hatten auch zwei Reiter das Lager heimgesucht. Insgesamt waren es neun Leute gewesen.

    Die Männer der Familien hatten sie sofort umgebracht. Ihre leblosen Körper lagen unter einem nahen Baum. Die Frauen hatten, so wie es aussah, ein wenig länger überlebt, zu ihrem Unglück. Ihre Leichen hatte ich in einem der Karren gefunden. Ihre Oberkörper hatte ein Schwerthieb oder etwas Ähnliches vom Schritt bis zur Brust in zwei Teile gespalten und man hatte ihnen Ohren und Nasen abgeschnitten. Außerdem waren ihre Augen aus den Höhlen gerissen worden... Weshalb hatten sie die armen Frauen bloß so misshandelt?

    An diese blutige Szene würde ich mich noch lange erinnern. Begleitet von dem Übelkeit erregenden Geruch verwesenden menschlichen Fleisches und dem ekligen Summen der Fliegen, die sich daran gütlich taten...

    Die Leichen der Kinder hatte ich nicht gefunden, obwohl Schlinger mir versichert hatte, da wären drei „Junge" gewesen. Die Räuber mussten sie mitgenommen haben.

    Ich hatte die Wiese mit schwerem Herzen verlassen. Ebenso hatte ich mich gefühlt, nachdem ich hatte zusehen müssen, wie Crum und Happy starben. Und ich hatte bereits etwa eine Million Male überlegt, dass ich Jay doch nicht hätte allein losziehen lassen sollen. Vielleicht hätte ich intensiver versuchen müssen, sie zum Mitkommen zu überreden? Obwohl, wer war ich denn für sie? Weder Vater noch Bruder, sondern lediglich ein Reisegefährte. Ich hoffte nur, dass sie ihre Tante finden würde.

    Ich stand oben auf der Anhöhe und sah hinab ins Tal, das im abendlichen Licht unter mir lag. Links schimmerte ein Fluss in den letzten Strahlen der untergehenden Sonne. Irgendwo in der Mitte des Tals endete der Wald und es begannen breite Felder. Rechts erstreckte sich eine zerklüftete Bergkette – das letzte Bollwerk der Krummberge. Am Himmel stand nicht eine einzige Wolke. Eine warme Brise zerzauste mir die mächtig lang gewordene Haarmähne. Wenn man dieses Idyll betrachtete, das unter mir lag, hätte man es niemals vermutet, aber gerade in diesem Augenblick wurde in eben jener Region Blut vergossen. Eine Menge Blut...

    Ich schätzte, dass ich etwa fünf weitere Tage unterwegs sein würde, bevor ich Orchus erreichte. Sofern nichts dazwischenkam. Ich wollte nicht einmal darüber nachdenken, was ich tun würde, wenn die Hauptstadt unseres Baronats bereits belagert wurde. Ich musste unsere Schlafzeit verkürzen, obwohl Schlinger und ich in dieser Hinsicht ohnehin nicht sonderlich verwöhnt waren. Schon jetzt bekamen wir normalerweise nachts nur fünf oder sechs Stunden Schlaf.

    Ich entschied mich dagegen, die Nacht auf der Anhöhe zu verbringen. Dort waren wir ungeschützt. Wir stiegen in den Wald hinab.

    Ein paar Stunden später brach die Nacht herein. Als ich darüber nachdachte, wo wir am besten unser Lager aufschlugen, informierte der Harn mich über einen merkwürdigen Geruch aus Richtung Osten. Kurz darauf roch ich es auch – nicht weit von uns entfernt brannte ein Feuer.

    Ich erteilte Schlinger die Erlaubnis, die Sache zu untersuchen. Leise wie ein Schatten verschwand er in den Büschen.

    „Schwacher Feind. Beute. Weibchen. Junges", berichtete er wenige Minuten später.

    „Sind es dieselben Mistkerle, die auf der Lichtung die beiden Familien abgeschlachtet haben?", fragte ich flüsternd.

    „Hrrr", verneinte Schlinger.

    „Ein neuer Geruch also... Ich verstehe."

    Dem zufolge, was die Sinne des Harns aufgenommen hatten, waren die Gefangenen noch am Leben. Ich wog alle Vor- und Nachteile ab und fragte mit einem schweren Seufzen: „Du sagst, der Feind ist schwach?"

    „Hrrr."

    „Schwächer als ein Koldun?"

    „Hrrr."

    „Und jede Menge Essen? Du hast mich überzeugt!"

    Essen... Das wäre jetzt nett. Das wäre umwerfend! Unsere Reißzahnblüten gingen zur Neige, und die wertvollen Zaubertränke wollte ich nicht verwenden, solange es nicht unausweichlich war. Aber ich hatte nicht den geringsten Wunsch, wieder Hunger zu leiden.

    Der Harn hatte versucht, zu jagen, war dabei jedoch nicht sehr erfolgreich gewesen. Wie er mir erklärte, hatten alle großen, wilden Tiere sich tief in den Wald verzogen. Und die kleinen Kreaturen wie Eichhörnchen und Vögel hielten sich hoch oben in den Bäumen auf. Die Zeit für Beeren und Pilze war längst vorüber. Obwohl die Herbsttage noch warm waren, bereitete der Wald sich allmählich auf den Winter vor. Zu hören, dass ein „schwacher Feind" über jede Menge Nahrung verfügte, erfüllte mich also mit Begeisterung.

    „Ich bin dabei. Ich nickte Schlinger zu. „Gehen wir.

    Bald hatten wir das Lager des unbekannten Feindes erreicht. Wahrscheinlich hätte ich es selbst dann gefunden, wenn ich allein unterwegs gewesen wäre. Das Licht des Feuers war zwischen den dunklen Bäumen weithin zu sehen.

    Wir krochen so nahe wie möglich heran. Die Dunkelheit und der breite Stamm eines umgestürzten Baums gaben uns gute Deckung.

    Ich fragte mich, welchen der drei Kerle Schlinger wohl als „schwach" betrachtete. Auf der Lichtung saßen drei bärtige Typen um ein großes Lagerfeuer herum. Einer von ihnen war auf Level 9, die anderen beiden auf Level 10.

    Es waren keine Krieger, obwohl sie bewaffnet waren. Sie sahen aus wie Karrenführer, und die drei Wagen auf der anderen Seite der Lichtung bestätigten diese Theorie. Auf allen Karren war das Wappen einer schwarzen Krähe angebracht.

    Aus den rauen, fröhlichen Stimmen schloss ich, dass die drei sich schon etliche Gläser hinter die Binde gegossen hatten. Hm... Das schien keine große Herausforderung zu sein, aber... Oder hatte ich mich inzwischen nur daran gewöhnt, ständig auf der Hut zu sein?

    „Was glaubst du, Tim – wann kommt der Boss zurück?", fragte der rotbärtige Neuner mit einem Hicksen.

    Der Kahlköpfige, den er Tim genannt hatte, grinste verschlagen und erwiderte: „Frühestens morgen, vermute ich. Wieso? Hast du eine Idee?"

    Der breite Mund des Kerls mit dem roten Bart, in dem beschädigte Zähne zu sehen waren, verzog sich zu einem Grinsen, das nicht weniger verschlagen aussah als das seines Kumpels. „Natürlich!"

    „Wir hören dir zu, Vlas", erklärte der Dritte, der größte Kerl und anscheinend auch der betrunkenste. Er lallte beim Sprechen.

    „Hast du die hübsche, kleine Tussi gesehen, die man uns heute gebracht hat?, fragte der Rotschopf. „Mit ihren süßen, kirschroten Lippen...

    „Hey, Vlas, wenn der Boss dich so reden hört, schneidet er dir die Eier ab!, erklärte der Hüne in dem Versuch, seinen heißblütigen Kameraden zu beruhigen. „Und unsere ebenfalls, nur dafür, dass wir dich kennen...

    „Aber wie soll er das denn jemals herausfinden?, fragte Vlas durchtrieben. „Hast du nicht gehört, was Tim gesagt hat? Rath ist frühestens morgen zurück. Komm schon, Piers, gib es zu – dir gefällt sie ebenfalls! Er lachte dreckig.

    Piers nickte. „Ich will nicht lügen, sie sieht klasse aus. Wenn ich an sie denke, kocht mein Blut. Aber wenn wir uns danebenbenehmen, wird Rath das auf jeden Fall mitbekommen."

    „Nein, das wird er nicht, widersprach der Rothaarige und grinste listig. „Und wir werden uns nicht danebenbenehmen – sie wird sich uns hingeben! Aus freien Stücken!

    „Wie willst du das denn anstellen?" Der kahlköpfige Tim beugte sich vor. Ebenso wie der hünenhafte Piers.

    Der Rotschopf bedachte seine Kumpane mit einem triumphierenden Blick. „Sie ist doch nicht allein – ihr Kind hat man uns ebenfalls gebracht. Und sie wird alles tun, um ihren Sohn zu schützen."

    „Wie schlau!", rief Tim aus.

    „Das kommt mir unmenschlich vor." Der Hüne runzelte die Stirn.

    „Aber warum denn?, widersprach Vlas. „Außerdem wird es ihr gefallen. Ich meine, wir sind schließlich nicht hässlich, sondern drei distinguierte Herren!

    „Ja, und denk mal zurück an die Zeit vor zwei Jahren, als das Gefolge des Bären unser Dorf überfallen hat, warf Tim zornig ein. „Sie wird nachgeben. Wir brauchen nicht einmal einen Finger krummzumachen.

    „Aber was, wenn sie sich sträubt?", fragte Piers mit einer Stimme, der man seine Zweifel anhörte.

    „Das wird sie nicht, versprach Vlas und lächelte. „Für ihre Kinder tun Ladys alles, du wirst sehen. Komm schon, Tim – hol sie hierher!

    Der kahlköpfige Typ gab ein wieherndes Lachen von sich, stand auf und torkelte zum nächstgelegenen Wagen.

    Kurz darauf kam er zum Lagerfeuer zurück. Er hielt eine wunderschöne, zu Tode verängstigte Frau von etwa 35 Jahren am Ellbogen. Hin und wieder legte er ihr den Arm um die Schultern und flüsterte der armen Frau etwas ins Ohr. Sie schluchzte leise und nickte wiederholt, erklärte ihre Zustimmung. Aus ihrem grauen Kopftuch hing ein dicker, roter Zopf. In ihre blauen Augen war ein Ausdruck der Hoffnungslosigkeit eingebrannt, während sie gleichzeitig eiserne Entschlossenheit zeigten.

    „Nun, hübsche Frau – jetzt erzähl mal meinen Freunden hier, was du mir gerade gesagt hast, forderte der Kahlköpfige sie mit einem fiesen Grinsen auf. „Sonst glauben die mir am Ende nicht!

    „Ich spiele mit", sagte die Frau und ließ einen schweren Blick über die Schurken schweifen.

    „Piers, du hast das Kommando, entschied Vlas. „Du bist zuerst an der Reihe.

    Der Blick der Frau hatte den Hünen beschämt. Er senkte den Kopf.

    „Hübsche Frau, hilf doch bitte unserem Freund aus, sagte Tim und gab der Frau einen Stoß, der sie einen Schritt nach vorn machen ließ. „Sieh mal, er ist der Schüchternste von uns!

    Vlas lachte gemein.

    Die Frau erschauerte vor Angst, dennoch legte sie dem Hünen ihre zierliche, weiße Hand auf den Arm und bedeutete ihm, ihr zu den Karren zu folgen.

    In den Augen der unglückseligen Frau standen Tränen, aber sie presste fest die Lippen zusammen, bereit, um ihres Sohnes willen alles zu tun, was die Halunken von ihr verlangten.

    Endlich fasste sich Piers. Er warf der Frau einen entschlossenen Blick zu und erhob sich linkisch. „Nun, wenn du unbedingt willst... Geh voran!"

    Was für ein ekelhafter Mistkerl! Ich war mir sicher gewesen, dass wenigstens einer der drei Mitleid mit der Frau haben würde.

    Enttäuscht von dem Hünen warteten wir, bis er und die Frau hinter den Wagen verschwunden waren. Eine bessere Chance als diese Situation, in der er anderweitig beschäftigt war, würde sich uns bestimmt nicht bieten.

    Mir war bewusst, dass ich in wenigen Augenblicken am Mord eines Menschen beteiligt sein würde, doch ich hegte keinerlei Skrupel. Um ehrlich zu sein, betrachtete ich diese drei und diejenigen, die sie bezahlten, nach allem, was ich heute gesehen hatte, nicht länger als menschliche Wesen.

    Der Rammstoß des Gierschlunds traf die beiden widerlich kichernden Perverslinge wie ein Wirbelsturm, der eine Vogelscheuche aus einem Kohlfeld blies. Sie hatten nicht einmal Zeit, einen Piepser von sich zu geben, bevor Schlinger ihnen die dummen Köpfe zertrümmerte. Er hatte recht gehabt – es waren schwache Feinde.

    Da sprang Piers hinter dem Wagen hervor, um nachzuschauen, was vor sich ging. Ungeschickt hielt er den Bund seiner offenen Hose. Noch bevor er die Lage erfassen konnte, flog er wie eine zerbrochene Puppe etliche Schritte zurück. Mit zwei Sprüngen stand der Harn über dem Möchtegern-Vergewaltiger.

    Kurz darauf informierte das Große System mich über einen weiteren Sieg.

    Ich sah mich um. Schweigen hing über dem Lager der Karrenführer. Erst in diesem Augenblick fiel mir auf, dass ich zitterte wie Espenlaub.

    Kapitel 2

    ICH HORCHTE IN MICH HINEIN. Nein, ich spürte nicht das geringste Mitleid. Diese Mistkerle hatten nur bekommen, was sie verdient hatten.

    Anschließend sah ich mir die erworbene Beute an. Es war der übliche Standard: Silbertafeln und die entsprechende Anzahl an Essenzen. Das bedeutete, dass diese drei Mordgesellen sich nicht von den Mobs in den Höhlen unterschieden.

    Der unterdrückte Angstschrei einer Frau unterbrach mein Stöbern in meinem Rucksack. Der Harn spitzte die Ohren und erstarrte neben einem der Wagen.

    „Es ist vorbei! Du kannst herauskommen!, rief ich der Frau leise zu. „Fürchte dich nicht – niemand wird dir etwas tun!

    Kurz darauf lugte der vertraute rote Zopf unter einem Wagenrad hervor. Ihre blauen Augen waren weit aufgerissen, ihre Arme zitterten und ihr Brustkorb bewegte sich heftig.

    Langsam, als ob ihre Beine aus Watte wären, bewegte sich die Frau auf mich zu. Schockiert betrachtete sie die Leichen der Karrenführer.

    „Wie heißt du? Woher stammst du?", fragte ich die Frau, als sie einen Schritt von mir entfernt stehen blieb.

    „V-veseya, stammelte sie, unterbrochen von Schluckauf. „Wir sind aus Kieferntal...

    „In den Wagen sind noch andere Leute. Sind das deine Nachbarn?"

    Die Frau erschauerte vor Angst und senkte den Kopf.

    „Ich weiß, dass dein Kind in einem der Wagen ist. Keine Sorge – wir werden niemandem etwas tun. Wir wollen nur etwas zu essen und, wenn möglich, Informationen. Sobald wir bekommen haben, was wir brauchen, machen wir uns wieder auf den Weg."

    „Hat unser Baron dich geschickt?", wollte sie wissen, bereits etwas mutiger.

    Schweigend schüttelte ich den Kopf. Ich war mir sicher, dass der Baron sich einen feuchten Kehricht um uns alle scherte. Laut fragte ich: „Wie hat man euch gefangengenommen?"

    „Die Söldner des Raben haben unser Dorf angegriffen. Sie haben alle Männer getötet und die Frauen und Kinder in Karren gestopft."

    „In viele Wagen?"

    Veseya nickte. „Ja. Mehr als zehn."

    „Und wo sind die anderen?"

    „Ich weiß es nicht. Die drei Männer haben nichts davon erwähnt." Die Frau warf den toten Karrenführern einen verächtlichen Blick zu.

    „Ich wünschte, ich wüsste, was auf einmal zu all diesen Grausamkeiten geführt hat", sprach ich den Gedanken aus, der mich schon eine Weile beschäftigte.

    „Das kannst du laut sagen! Veseya seufzte schwer. „So war es noch nie. Diese Kerle haben erwähnt, dass der junge Corwin Söldner angeheuert hat, die er nicht mehr kontrollieren kann. Deshalb plündern sie alles. Sie verhalten sich zudem höchst unsittlich... Es heißt auch, dass diese Kampagne in Wirklichkeit von Vestar dem Schwarzen gesteuert wird.

    „Du meinst den Vestar, der einmal das Kommando über die Soldaten unseres Barons hatte?"

    „Eben jenen, antwortete die Frau. „Berence hat ihn vor vielen Jahren entlassen. Und seine Frau und sein Kind zu Tode gefoltert...

    „Das heißt also, unser ehemaliger Kommandeur hat ein paar Truppen zusammengestellt und ist zurückgekommen, um sich zu rächen", überlegte ich laut.

    „So sieht es aus. Veseya seufzte traurig. „Aber was haben wir mit dieser Sache zu tun?

    „Tja, wo gehobelt wird, da fallen Späne."

    „Hrrr", meldete Schlinger sich zu Wort.

    Ich nickte und wandte mich wieder an die Frau. „Du weißt bestimmt, wo die Karrenführer ihr Essen aufbewahrt haben."

    „Natürlich!, rief sie eifrig aus und lächelte. „Ich bin gleich zurück! Rasch lief sie zum Wagen, der am weitesten entfernt war. Der Harn ahnte, dass sie dabei war, Nahrung zu besorgen, und folgte ihr.

    Ich hatte mich derweil entschieden, unsere besiegten Feinde zu durchsuchen. Weitere Tafeln oder Esses hatten sie keine bei sich, aber ich fand Geld, bei jedem ein paar Silberstücke und Kupfermünzen. Das war gut – jetzt musste ich meine Essenzen nicht gleich vorzeigen, um Essen zu kaufen, wenn ich zur Zivilisation zurückkehrte.

    „Hier, ich habe euch ein wenig Wegzehrung eingepackt", sagte die Frau und überreichte mir lächelnd einen Beutel.

    Ich löste die Schnur und blickte hinein. Sofort war mir klar, dass sie versucht hatte, mir das Beste von dem zu geben, das sie für mein Level gefunden hatte.

    „Und deiner Kreatur habe ich alle Fische gegeben, die wir heute Morgen gefangen haben", erklärte sie.

    Ich bedankte mich und fragte: „Wohin werdet ihr jetzt gehen?"

    „Wir werden uns auf den Weg zu einem einsamen Bauernhof machen, der Verwandten von mir gehört. Veseya deutete in die Richtung, aus der ich gekommen war. „Er liegt tief im Wald. Dort wird dieser Abschaum uns nicht finden. Du brauchst dir keine Sorgen um uns zu machen – wir stammen aus Jägerfamilien. Der Wald ist unser Zuhause. Wir kennen jeden Pfad, jeden Baum und jeden Schössling darin. Die Soldaten werden morgen zurück sein, aber unter ihnen ist nicht ein einziger guter Spurenleser.

    „Dennoch werdet ihr Spuren hinterlassen", wandte ich ein.

    „Das stimmt, erwiderte die Frau mit einem Lächeln. „Aber wir werden diese Dummköpfe so sehr verwirren, dass sie bis zum Winter nach uns suchen werden. Die Wagen lassen wir hier, und die Pferde werden wir befreien. Wir nehmen nur mit, was wir wirklich brauchen. Alles andere werden wir mit dem Blut der Halunken beschmieren. Sollen die Soldaten ruhig denken, eine wilde Bestie hätte ihre Freunde im Schlaf angegriffen. Ich meine, deine Katze hat mehr als genug Spuren hinterlassen...

    Diese Frau konnte auf sich selbst aufpassen. In gewisser Weise erinnerte sie mich an Miri. Mit einem solchen Menschen an der Seite war man niemals wirklich verloren.

    „Ich glaube, es wäre am besten, wenn die anderen aus deinem Dorf nicht erfahren, dass ich hier war."

    Die Frau nickte – sie hatte verstanden. „Ich schwöre, dass niemand etwas von dir erfahren wird."

    Das Große System ließ mich nicht lange warten. Befriedigt las ich die Bestätigung und verkündete: „Es wird Zeit für mich, zu gehen."

    „Mögen die Götter mit dir sein, mein guter, ehrenwerter Magier!"

    * * *

    Gestern hatten wir ein Festessen veranstalten können! Nach so vielen Tagen in den Höhlen, wo wir alles vertilgt hatten, das uns in die Finger geraten war, war das einfache Essen aus Veseyas Beutel ein königliches Mahl gewesen.

    Im kalten Licht des nächsten Morgens bereute ich es allerdings, am Abend zuvor so viel gegessen zu haben. Mein Magen fühlte sich unangenehm angespannt an. Doch das ließ nach wenigen Stunden nach und wir kamen wieder schneller voran.

    Gegen Mittag erreichten wir das Ende des Waldes. Vor uns erstreckten sich nun hügelige Felder.

    „So, das war es, murmelte ich, als wir am Waldrand standen. „Von jetzt an reisen wir nachts.

    „Hrrr", stimmte Schlinger zu. Auf einmal vibrierten die Schuppen an seinem Nacken.

    Ich drehte den Kopf in die Richtung, in die er starrte. In der Ferne, am Waldrand rechts von mir, zeigte sich eine Staubsäule. Sie wurde größer

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