Führen und gesund bleiben: Ein Präventionsprogramm für Führungskräfte in Sandwich-Positionen
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Führungskräfte in Sandwich-Positionen erfahren in diesem Buch in 5 Schritten mit dem PsyGeMa-Präventionsprogramm, wie sie mit Stress und Belastung möglichst gesund umgehen können. Untersuchungen zeigen, dass Menschen in Sandwich-Positionen mit wenig Entscheidungsspielraum hoch gefährdet sind, psychische Probleme zu entwickeln. Wer darum weiß, kann zeitig gegensteuern und einen für sich angemessenen Umgang mit Rolle und Herausforderung finden.
Die fünf Schritte: (1) Belastungen reduzieren, (2) mit Belastungssituationen konstruktiv umgehen, (3) gesundheitsgefährdende Einstellungen erkennen und ändern, (4) sich gesundheitsbewusst verhalten, (5) aus dem Teufelskreis austreten.
Geschrieben für ...
(1) Menschen in Führungspositionen, die Selbsthilfe im Umgang mit arbeitsbedingten psychischen Belastungen suchen, Stressfolgen und Erkrankungen langfristig vorbeugen möchten, (2) Therapeuten und Coaches, die nach geeigneten Beratungs- und Therapiewerkzeugen für psychisch belastete Führungskräfte suchen.Der Autor:
Andreas Zimber ist Diplom-Psychologe, Personalentwickler (M. A.), Dr. phil. und Professor für Wirtschaftspsychologie. Er lebt in Heidelberg und arbeitet als Hochschuldozent, Unternehmensberater, Referent und Autor.
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Book preview
Führen und gesund bleiben - Andreas Zimber
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2018
Andreas ZimberFühren und gesund bleibenhttps://doi.org/10.1007/978-3-662-56457-8_1
1. „Man sitzt zwischen fünf Stühlen und macht es keinem recht": Gesundheitsrisiken in Sandwich-Positionen
Andreas Zimber¹
(1)
Heidelberg, Deutschland
Andreas Zimber
Email: andrzimber@aol.com
1.1 Typische Belastungen mittlerer Führungskräfte
1.2 Haben mittlere Führungskräfte ein erhöhtes Gesundheitsrisiko?
1.3 Wie Beeinträchtigungen bei Führungskräften entstehen
1.4 Sieben Sensoren helfen, einen Crash zu verhindern
1.5 Das PsyGeMa-Präventionsprogramm
Das erste Kapitel dieses Gesundheitsratgebers beschäftigt sich mit der spezifischen Belastungssituation mittlerer Führungskräfte. Ein besonderes Augenmerk liegt auf Frühwarnzeichen für Gesundheitsrisiken. Fallgeschichten aus dem mittleren Management demonstrieren, wie diese Risiken rechtzeitig erkannt werden und wie wirksam gegengesteuert werden kann. Die sieben „Pre-Crash-Sensoren" sollen dabei helfen, einen drohenden gesundheitlichen Crash zu verhindern. Abschließend werden die Ziele, Module und Inhalte des PsyGeMa-Präventionsprogramms, an dem sich die folgenden Kapitel orientieren werden, kurz vorgestellt.
1.1 Typische Belastungen mittlerer Führungskräfte
Eines gleich vorweg: Sie werden in den folgenden Abschnitten auf einige negative Aspekte des mittleren Managements stoßen. Das liegt unter anderem daran, dass sich die PsyGeMa-Studie mit Belastungen und Problemen der Führungskräfte befasst hat. Die positiven Aspekte, die mit Führungstätigkeiten verbunden sind, sollen damit keinesfalls unterschlagen werden. Ein großer Teil der Führungskräfte hat diese Position gezielt gesucht, manche bezeichnen sie sogar als ihren „Traumjob". Falls Sie diese Ansicht teilen, besteht kein Grund, das grundsätzlich zu ändern. Lassen Sie sich bitte trotzdem auf die folgenden Aspekte ein, auch wenn sie Ihnen manchmal stark negativ gefärbt erscheinen sollten. Denn sie stehen in einem engen Zusammenhang mit der Gesundheit mittlerer Führungskräfte (ab Abschn. 1.2).
1.1.1 Bessere Bezahlung, aber mehr Arbeit und mäßige Arbeitsbedingungen
Die Arbeitssituation des mittleren Managements lässt sich am besten an den Beispielen zweier Vertreter dieser Führungsebene deutlich machen.
Peter F.¹ arbeitete bis Anfang 50 als leitender Qualitätsmanager bei einem internationalen Chemiekonzern. Die Aufgaben seiner etwa zehnköpfigen Abteilung bestanden darin, die Qualitätsstandards weiterzuentwickeln und deren Umsetzung am Standort zu überprüfen. Für seine gut bezahlte Stelle nahm er lange Arbeitszeiten, im Durchschnitt 55 bis 60 Stunden pro Woche, und eine Wochenendbeziehung in Kauf. Sein Wohnort lag mehrere hundert Kilometer entfernt. Das bedeutete für ihn, Montag morgens um vier Uhr aufzustehen und Freitag abends spät nach Hause zu kommen. Seine Kinder sah er nur am Wochenende. Überlastungszustände gehörten für Peter F. zur Normalität. Heute sagt er: „Ich muss mich noch oft an den Kopf fassen und frage mich, warum ich das mir und meiner Familie so viele Jahre angetan habe."
Linda P. arbeitet seit einigen Jahren als Leiterin einer vierköpfigen Abteilung für Personalentwicklung im öffentlichen Dienst. Sie ist Ende 40 und erzieht alleine zwei Kinder. Für ihre Teilzeitstelle (75 %) muss sie lange Fahrzeiten – meist mehr als zwei Stunden täglich – zurücklegen. „Meine Wachzeit geht im Wesentlichen für meinen Job, meine Kinder und den Haushalt drauf, sagt sie. Ihre Work-Life-Balance stimmt seit vielen Jahren nicht. Vor allem vermisst sie „Zeit für sich selbst, die in einem Job mit viel Menschenkontakt unersetzbar ist
. In ihrer Freizeit kann sie oft schlecht abschalten und quält sich mit Schlafstörungen.
Schon an diesen zwei Fallbeispielen wird deutlich, dass das öffentliche Bild einer exklusiven Rolle der Führungskräfte oft stark verzerrt ist. Während das Top-Management ein hohes Prestige und großen Einfluss genießt, haben Führungskräfte auf der mittleren Ebene eher begrenzte Einflussmöglichkeiten. Die Ebene, über die wir hier sprechen, macht jedoch die überwiegende Mehrheit der Führungskräfte aus. Im Dienstleistungssektor etwa haben 27 Prozent aller Beschäftigten eine leitende Funktion inne (Roth 2015).
Darüber hinaus sind die Leistungsanforderungen an Führungskräfte in den vergangenen Jahren stark angestiegen: Knappe Personalressourcen, Budgetkürzungen, eine zunehmende Aufgabenanreicherung und höher gesteckte Zielvorgaben üben einen verstärkten Leistungsdruck aus (Kotthoff und Wagner 2008). Wie eine Sonderauswertung des DGB-Index „Gute Arbeit" aus den Jahren 2013/2014 zeigte (Roth 2015), lag die durchschnittliche Arbeitsqualität von Beschäftigten in Leitungspositionen mit einem Indexwert von 63 Punkten insgesamt im unteren Mittelfeld. Nur 11 Prozent der befragten Führungskräfte berichteten gute Arbeitsbedingungen. Der besseren Einkommenssituation stehen eine sehr hohe Arbeitsintensität und oft lange Arbeitszeiten gegenüber. So mussten 68 Prozent der Führungskräfte bei der Arbeit sehr häufig oder oft hetzen und 76 Prozent Unterbrechungen und Störungen erdulden. 43 Prozent fanden, dass ihre Bezahlung nicht oder kaum mit ihrer Arbeitsleistung korrespondierte (Roth 2015).
Wie attraktiv ist es vor diesem Hintergrund, eine Führungsposition zu übernehmen? Nach einer aktuellen Statistik (Statista GmbH 2017) sind nur 42 Prozent der Männer und 25 Prozent der Frauen bereit, eine Führungsposition zu übernehmen. Die Mehrheit der Beschäftigten schließt also eine Führungsfunktion für sich selbst aus. Darüber hinaus scheint bei der jüngeren Generation die Motivation für die Übernahme von Führungsverantwortung abzunehmen. Ihr Ziel ist nicht mehr eine möglichst hohe Position im Unternehmen, sondern Möglichkeiten zur Selbstverwirklichung (Parment 2013). Der Verzicht auf Freizeit zugunsten von beruflicher Leistung und Karriere, wie ihn ältere Arbeitnehmer noch aufzubringen bereit waren, ist bei der Generation Y deutlich geschwunden. Unternehmen könnten daher bald Schwierigkeiten bekommen, ihre Führungspositionen zu besetzen – ein Anlass mehr, die Arbeitsbedingungen für Führungskräfte attraktiv zu gestalten.
1.1.2 Mächtige Mittler oder zahnlose Tiger? Die Position mittlerer Führungskräfte im Unternehmen
Mittlere Führungskräfte nehmen in ihren Unternehmen eine besondere Position ein. Hierarchisch stehen sie zwischen der strategischen und der ausführenden Ebene, also zwischen der Unternehmensleitung und den Mitarbeitern. Zum besseren Verständnis der Schwierigkeiten, die mit solchen Positionen verbunden sein können, müssen wir uns zunächst mit einigen formalen Gesichtspunkten im Unternehmensaufbau befassen.
Die Zugehörigkeit der Unternehmensmitglieder zu den jeweiligen Hierarchiestufen ist in der Aufbauorganisation eines Unternehmens geregelt. Hierbei werden Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortung Stellen zugeordnet. Handelt es sich um eine Leitungsstelle, so sind damit in der Regel Entscheidungs-, Weisungs-, Richtlinien- und Kontrollkompetenzen verbunden. Grundsätzlich verfügen Führungskräfte über mehr Entscheidungsbefugnisse und Verantwortung als ihre Mitarbeiter. Die Zuständigkeit einer Leitung bezieht sich auf Sach- sowie Personalverantwortung. Je höher die Hierarchiestufe, die eine Führungskraft einnimmt, umso höher ist der Anteil der Arbeitszeit, in dem sie sich mit Personal- und Führungsfragen beschäftigt.
Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortung einer Führungskraft sollten damit eigentlich geklärt sein. Bei mittleren Führungskräften ist der Sachverhalt jedoch etwas komplizierter. Das liegt an mehreren Ursachen, von denen zumindest zwei hier näher beleuchtet werden sollen:
Bei sogenannten Linienstellen ist die Zuordnung der Mitarbeiter zu einer Leitungsstelle eindeutig geklärt. Anders ist das bei Stabs-, Assistenz- oder Dienstleistungsstellen. Diesen sind häufig keine festen Mitarbeiter zugeordnet. Stabsstelleninhaber sind in der Regel Fachvorgesetzte ohne disziplinarische Verantwortung. So kann zum Beispiel ein Qualitätsmanager den Mitarbeitern zwar fachliche Vorgaben machen, deren Einhaltung oder Nichteinhaltung kann jedoch nur der jeweilige Linienvorgesetzte sanktionieren. In dieser Hinsicht verfügt der Stabsstelleninhaber also über eine begrenzte Positionsmacht, im schlimmsten Fall ist er ein „zahnloser Tiger".
Die Zuständigkeit höherer Führungskräfte liegt weit überwiegend bei Personal- und Führungsaufgaben. Viele mittlere Führungskräfte müssen dagegen auch Sachaufgaben miterledigen. Zum Beispiel übernimmt der leitende Kundenberater einer Versicherung bei Bedarf auch Aufgaben der Kundenbetreuung, die Stationsleiterin in einem Krankenhaus auch solche der Pflege. Der Übergang zwischen Sach- und Führungsaufgaben ist hier also fließend und hängt von der jeweiligen Arbeitssituation ab. Die in der Unternehmenshierarchie formal festgelegte Trennung erweist sich damit als künstlich. Im schlimmsten Fall sind mittlere Führungskräfte „Mädchen für alles. Sie springen ein, sobald „Not am Mann
bzw. der Frau ist und übernehmen für ihre Abteilung auch noch die volle Verantwortung.
1.1.3 „Zwischen Baum und Borke": Rollenkonflikte in der Sandwich-Position
In den letzten Abschnitten sind bereits einige kritische Aspekte mittlerer Führungspositionen angesprochen worden. Warum entscheiden sich dennoch viele Personen dafür, eine solche Leitungsstelle anzunehmen? Fragt man mittlere Führungskräfte nach ihren Aufstiegsmotiven, so antworten nur wenige, dass sie keine andere Wahl gehabt hätten. Die meisten haben sich bewusst und freiwillig für diese Position entscheiden. Eine sichere und verantwortungsvolle Position, verbunden mit einer besseren Bezahlung und einem gehobenen Status, ist nach wie vor für viele Mitarbeiter attraktiv. Als mittlere Führungskraft ist man zudem nicht ganz abgehoben, die „Nähe zur Basis" bleibt auf dieser Ebene erhalten.
Gerade die soziale Nähe zu ihren Mitarbeitern scheint vielen mittleren Führungskräften ein wichtiges Anliegen zu sein. Dies zeigt sich zum Beispiel in den Ergebnissen zum „Bochumer Inventar zur berufsbezogenen Persönlichkeitsbeschreibung (BIP) (Hossiep und Paschen 2003), mit dem mehrere Tausend Führungskräfte unterschiedlicher Hierarchieebenen befragt wurden. Die Werte für „Soziabilität
, d. h. der Wunsch nach einem harmonischen Miteinander, lagen bei mittleren Führungskräften fast genauso hoch wie bei Fachkräften ohne Personalverantwortung. Gerade dieses Bedürfnis nach sozialer Nähe erweist sich allerdings auf vielen mittleren Führungspositionen als konfliktstiftend. Welche Konfliktpotenziale mit Sandwich-Positionen verbunden sein können, zeigen die Erfahrungen unserer beiden oben vorgestellten mittleren Führungskräfte:
Peter F., der Qualitätsmanager im Chemieunternehmen, wurde von seinem Team als Führungskraft gut akzeptiert, ja, er war bei seinen Mitarbeitern sogar beliebt. Schließlich scheute er sich nicht, selbst mit anzupacken, wenn einmal Not am Mann war. Und dies war in seiner Abteilung ziemlich oft der Fall. „Es wäre natürlich schön gewesen, wenn ich von meinem Chef dafür Anerkennung bekommen hätte, sagt Peter F. „Die gab es aber nicht. Da hieß es dann ‚Warmduscher, der behandelt seine Leute zu brav‘ und was weiß ich was. Und von den Kollegen kam dann auch noch Neid.
Das Beispiel von Peter F. mach die Sandwich-Position vieler mittlerer Führungskräfte deutlich: Sie sind dazu da, die Interessen des Arbeitgebers gegenüber der Basis zu vertreten, d. h. für Produktivität und gute Arbeitsergebnisse zu sorgen. Dies funktioniert für die Sandwich-Führungskraft jedoch kaum ohne den Rückhalt ihrer Mitarbeiter. Versucht sie, es