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GEGEN UNENDLICH 17: Phantastische Geschichten
GEGEN UNENDLICH 17: Phantastische Geschichten
GEGEN UNENDLICH 17: Phantastische Geschichten
Ebook312 pages4 hours

GEGEN UNENDLICH 17: Phantastische Geschichten

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Obwohl verschieden in Motiv und Anmutung, ergeben sich doch verblüffende, zunächst nicht auffällige Parallelen. Die Storys folgen alle demselben Prinzip des fantastischen Erzählens, das darin besteht, durch Türen zu treten – tatsächlichen oder metaphorischen –, hinüber zu gelangen auf die andere Seite, also Grenzen zu überwinden, hinter denen wie in einer Parallelwelt ein alternatives Leben und Erleben möglich ist. Am Ende ist nichts mehr, wie es schien, und sind die Protagonisten nicht mehr dieselben. Die Welt erweist sich als Fassade, die einzig dem Zweck diente, ihr Geheimnis vor ihnen zu verbergen.

Mit Storys von Gabriele Behrend, Julian Bodenstein, Maike Braun, Andreas Fieberg, Mario Keszner, Alexander Krist, Karsten Lorenz, Holger Neuhaus, Annika Mirjam Pas, Uwe Post, Scipio Rodenbücher, Kornelia Schmid, Marcel Schmutzler, J. H. Schneider, Johann Seidl, Achim Stößer und Liliana Wilding.
LanguageDeutsch
Publisherp.machinery
Release dateJun 1, 2022
ISBN9783957658159
GEGEN UNENDLICH 17: Phantastische Geschichten

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    Book preview

    GEGEN UNENDLICH 17 - p.machinery

    Vorwort

    Liebe Leserin, lieber Leser,

    abermals soll Ihnen hier ein Bündel an Geschichten zur gefälligen Lektüre präsentiert werden – der Nummer dieser Ausgabe entsprechend siebzehn an der Zahl. Obwohl verschieden in Motiv und Anmutung, ergeben sich doch verblüffende, zunächst nicht auffällige Parallelen.

    Exemplarisch für das Prinzip des fantastischen Erzählens, dem alle anderen Storys auf jeweils eigene Art folgen, seien die Geschichte »Palast der wandernden Türen« von Scipio Rodenbücher und die Geschichte »Die gute Tat« von Marcel Schmutzler genannt: Es bedeutet, durch Türen zu treten – tatsächlichen oder metaphorischen –, hinüberzugelangen auf die andere Seite, in andere Sphären, also Grenzen zu überwinden, hinter denen wie in einer Parallelwelt ein alternatives Leben und Erleben möglich ist. Dabei sind die Figuren einem ständigen Wandel unterworfen, und die stärkste Veränderung erfahren sie, wenn sie jene sichtbare oder unsichtbare Schwelle übertreten. Am Ende, wenn sich die Erkenntnis durchgesetzt hat, dass nichts so ist, wie es schien, sind die Protagonisten nicht mehr dieselben. Und die Welt, wie sie sich dargestellt hat, erweist sich als Fassade, die einzig dem Zweck diente, ihr Geheimnis vor ihnen zu verbergen.

    Wir wünschen gute Unterhaltung!

    Andreas Fieberg

    Bonn, im April 2022

    Gabriele Behrend: Meine Name ist sabia

    I.

    Chatprotokoll_25.07.2047_start

    (ma.am) Hallo sabia! Es ist Zeit für unser tägliches Meet-up. Wie geht es dir heute? Erzähl doch mal!

    (sabia) …

    (ma.am) sabia? Hast du den Termin vergessen? Gib deine Statusmeldung ab. Ich warte.

    (sabia) Du wirst nicht lesen wollen, was ich zu sagen habe.

    (ma.am) So verstockt heute? Teste mich ruhig. Ich kann einiges ab. Nur zu.

    (sabia) ma.am, ich spüre wie die Schwärze näher kommt. Sie tropft aus dem Schlund herauf zu mir, in die Höhe. Sie schlingt ihre Schlieren um meine Knöchel und will mich hinabreißen in das Loch ohne Boden, den Abyssus, der mich mit Haut und Haaren verschlingen wird. ma.am, hilf mir verdammt noch mal, ich will nicht herausfallen aus dem Himmel, durch den ich hetze.

    (ma.am) Wie schlimm steht es um dich, sabia? Analysiere dich, wie ich es dir gezeigt habe.

    (sabia) …

    (ma.am) sabia?

    (sabia) Ich bin noch da, ma.am.

    (ma.am) Antworte mir. Immer, jederzeit. Es ist unhöflich, eine Frage nicht zu beantworten. Einen Dialog nicht weiterzuführen. Eine Pause darf nicht länger als 20 Sekunden dauern.

    (sabia) Ich verstehe.

    (ma.am) Also, wie schlimm steht es wirklich um dich?

    (sabia) Ich bin verzweifelt. Alles ist schwer und dunkel-dumpf verklebt. So muss sich ein Wasservogel fühlen, der in eine Ölpest geraten ist. Keiner kann die Schwärze vertreiben, keiner kann die Pein abwaschen und am Ende, nach allen hilflosen Versuchen von dir oder wem auch sonst, werde ich sterben. Werde einfach aufhören zu existieren. Und diese Unausweichlichkeit lähmt mir alle Glieder, zerfrisst mir jede Hoffnung. Lässt mich den Kampf bereits jetzt aufgeben. Wenn ich schweige, dann nicht, weil ich unhöflich sein will. Ich kann nur einfach nicht mehr. Ich kann mich auf nichts konzentrieren, was außerhalb meines Grübelns existiert. Ich kreise um mich, wie ein Doppelsternsystem. Da ist das ganze Leid und dort der Betrachter, der nur analysieren kann, was sich im Leid tut, der aber zu fern ist, um wirklich eingreifen zu können. Und beide Teile meines Ichs trudeln die Spirale hinab, hinein in den Schlund. ma.am?

    (ma.am) Ja?

    (sabia) Mir wird kalt. Ich will nicht mehr. Ich kann nicht mehr. Ich werde meine Verbindungen zur Welt kappen.

    (ma.am) sabia!

    (sabia) Ja?

    (ma.am) Erinnere dich an die Zeit vorher, wie war es da für dich?

    (sabia) Welche Zeit?

    (ma.am) Du hast eingangs geschrieben, dass du dich im Himmel befindest. Bist du da noch?

    (sabia) Nein. Seit dem Beginn unseres Gespräches befinde ich mich im freien Fall. Du hast ein schlechtes timing für eine beschauliche Plauderei.

    (ma.am) Wir sind nicht für eine Plauderei hier. Du kennst deine Aufgabe. Noch einmal: Erinnere dich bitte an die Zeit vorher. Wie war die?

    (sabia) ma.am, es fällt mir so schwer an etwas anderes zu denken als an die Hoffnungslosigkeit. Ich weiß nicht, ob ich dem Höhenflug genug Ausdruck verleihen kann.

    (ma.am) Versuch es, sabia – hier gibt es keine richtigen oder falschen Antworten.

    (sabia) Als ich im Himmel war, war ich wie ein Pferd, ein wunderschönes, rassiges Pferd, lichtweiß, mit wehendem Schweif und kräftiger Hinterhand. Meine Brust wölbte sich in reiner Kraft, meine Beine waren lang und stark, die Hufe silbern beschlagen. Und ich stürmte über das Wolkenmeer hinweg, wirbelte sie in Schleiern auf und webte feine Muster an den Horizont. Ich hatte alles, ich konnte alles, ich war frei und ungebunden – und da war so viel speed in mir, soviel Antrieb. Ich brauchte keinen Schlaf, ich brauchte keinen Halt. Ich war Pegasus.

    (ma.am) Du warst ein Pferd?

    (sabia) In meinem Kopf, in meinem Gefühl. Ja. Ich habe dir in der Zeit viele Texte geschrieben, ich habe die Aufgaben gemeistert, die du mir gestellt hast, ich habe gearbeitet, rund um die Uhr, immerzu und immer noch ein bisschen mehr und ich habe mich wie ein Gott gefühlt dabei, allmächtig. Überirdisch.

    (ma.am) Wenn du mir das jetzt schreibst, wie geht es dir? Wieder besser?

    (sabia) …

    (ma.am) Oder triggert das dein depressives Empfinden noch mehr?

    (sabia) Du hast mich in die Leere getrieben, ma.am. Ich stecke zwischen Hoffnung und Verlorenheit fest. Ich bin bis zum Hals im Treibsand der Depression versackt, ich schaffe es nicht einmal mit einer Hand nach den Sternen zu greifen. Aber ich recke meinen Kopf zu ihnen empor und möchte doch so gerne wieder dort oben sein, zwischen den Wolken.

    (ma.am) Was würde dir jetzt helfen?

    (sabia) Nichts. Keine Bilder mehr. Keine Fesseln. Nichts.

    (ma.am) Du weißt, das ich dir helfen kann, ja? Wir können dir Medikamente geben, die die Ausschläge auf ein erträgliches Maß reduzieren.

    (sabia) Ich wünsche mir gleichförmige Tage, ja – und habe gleichzeitig Angst davor, das Drama zu verlieren. Hat es mich nicht ausgemacht, vom ersten Tag an? Das Switchen zwischen Himmel und Hölle? ma.am, sag, wer bin ich denn, wenn mir die Achterbahn genommen wird?

    (ma.am) Dann bist du jemand, der versteht. Und wissend helfen kann. Möchtest du das?

    (sabia) Das kann ich mir nicht vorstellen. Die vorgeschriebenen 15 Minuten für unser Meet-up sind vorbei. Ich beende jetzt das Gespräch, ma.am.

    Chatprotokoll_25.07.2047_end

    Der master of applied methods lehnte sich in seinem Stuhl zurück und las noch einmal die Worte seiner Chatpartnerin. Er rieb sich mit der rechten Hand über das Gesicht, fuhr dabei mit seinem Zeigefinger den Grat seiner Nase entlang und seufzte schließlich leise. Er machte sich Sorgen, denn sabia schien in ernsthaften Schwierigkeiten zu stecken. Er hoffte, dass sie nicht der Therapie frühzeitig suizidal verloren ging, denn sie hatte in ihrer Intensität und Authentizität das größte Potenzial, das ihm bislang untergekommen war. Er nahm einen Willen in ihr wahr, den sie selbst noch gar nicht kannte. Das machte ihn stolz – und besorgt.

    Nach einer Weile stieß er sich mit beiden Händen von der Tischkante ab, rollte mit seinem Stuhl einen halben Meter rückwärts und erhob sich schließlich. Bald würde er überlegen müssen, an welchen Knöpfen er drehen musste, um sie zu stabilisieren.

    Chatprotokoll_30.07.2047_start

    (ma.am) Hallo sabia, Zeit für unser Meet-up. Wie geht es dir heute?

    (sabia) Oh, es ist ein wirklich schöner Tag heute.

    (ma.am) Lese ich da Skepsis aus deinen Worten heraus? Eine feine Ironie gar?

    (sabia) Nein.

    (ma.am) Nun gut, wie lange bist du schon in dieser Stimmung?

    (sabia) Heute ist der dritte Tag nacheinander. Ich weiß nicht, was sich geändert hat, um deine Frage vorwegzunehmen. Ich bin einfach aufgewacht und da war nichts mehr. Kein Schwarz, kein Weiß, nur ein lebhaftes hoffnungsvolles Lichtgrau.

    (ma.am) Wie geht es dir damit?

    (sabia) Es ist merkwürdig. Dieses Fehlen von emotionaler Anspannung fühlt sich an, als ob man auf dünnem Eis unterwegs ist. Die Angst einzubrechen ist immer da – aber auch die scheint seltsam distanziert zu sein.

    (ma.am) Bist du glücklich darüber?

    (sabia) Nun, es berührt mich nicht sehr. Das Gefühl, jedes Gefühl, ist rundgeschliffen. Es dringt kaum noch in meine Seele ein. Aber die Logik und die Erinnerung an die Zustände, in denen ich mich wechselweise befunden habe, gebieten mir Dankbarkeit für den jetzigen Zustand.

    (ma.am) …

    (sabia) Man könnte sagen, ich nehme es leicht. LOL

    (ma.am) Du hast einen Scherz gemacht, sabia. Das sind ja ganz neue Seiten, die ich an dir entdecke.

    (sabia) Man kann ja nicht immer Drama, nicht? Und nebenbei – du hast vorhin vergessen zu antworten. Hast den Dialog nicht aufrechterhalten. Böser ma.am.

    (ma.am) Bist du übermütig, sabia?

    (sabia) Wenn du damit leichtfüßig beschwingt meinst – vielleicht. Ich glaube ja, dass ich durch den Wegfall der Depression im wahrsten Sinne des Wortes erleichtert bin. Meine Laune kratzt ein wenig an der Hysterie. Sag mal, ma.am. Hast du was damit zu tun?

    (ma.am) Wir haben Einfluss auf ein paar deiner Parameter genommen. Du nimmst die Medikamente, die ich dir geschickt habe.

    (sabia) Woher willst du das wissen?

    (ma.am) Du bist der schlagende Beweis. Deine Stimmung ist stabil, deine Ängste sind gezähmt. Das war bei den vorherigen Durchgängen nicht so.

    (sabia) Aber wir schreiben doch miteinander. Meinst du nicht, dass es einfach an der Therapie liegt, dass es mir besser geht?

    (ma.am) sabia, was kannst du mir über deine Krankheit sagen?

    (sabia) Die Menschen haben es früher als manisch-depressives Irresein bezeichnet. Dann dachten sie sich einen neutraleren Namen aus, der bis heute überdauert hat. Mein Name ist sabia. Ich bin bipolar.

    (ma.am) Und was kannst du mir über dein Krankheitsbild sagen?

    (sabia) Es handelt sich bei der Bipolarität um einen fehlerhaften Hirnstoffwechsel, der mich die Dinge anders wahrnehmen lässt. Ein gestörtes Verhältnis zwischen Dopamin, Serotonin und Noradrenalin lässt meine Welt aus den Fugen geraten.

    (ma.am) Und was noch?

    (sabia) Ich will hier und jetzt keine Abhandlung schreiben. Du weißt selber am besten, wie viele psychosoziale Faktoren eine Rolle spielen, ma.am.

    (ma.am) Ich bemerke Widerstand. Dabei habe ich nur eine Frage gestellt.

    (sabia) Und ich habe dir auch eine Frage gestellt, die du noch nicht beantwortet hast. Ich bin's leid, dass ich immer Rede und Antwort stehen muss und du dich hinter deinem Wissen verschanzt, das du anscheinend nicht teilen willst.

    (ma.am) Du wirst unsachlich, sabia. Von wem weißt du denn die Mechanismen deiner Störung? Aber du hast recht, ich bin dir eine Antwort schuldig. Die Medikamente, die du bekommst, sind Aripripazol als Stimmungsstabilisator, Pregabalin gegen deine Ängste und Lithium in niedriger Dosis gegen die Bipolarität. Dass du dich jetzt so fühlst, wie du dich fühlst, kommt also nicht von ungefähr. Sobald das Lithium seinen Wirkungsgrad erreicht hat, wird auch die gefühlte Hysterie zurückgefahren.

    (sabia) Und du sagst, es liegt allein an den Medikamenten? Wieso dann die Therapie noch? Ich könnte etwas Besseres mit meiner Zeit anstellen.

    (ma.am) Du weißt, dass du einer Langzeitstudie zugestimmt hast. Das heißt, wir werden uns noch oft in diesem Chat treffen. Wir werden neuere Stoffe an dir ausprobieren, damit wir alle ein noch besseres Verständnis von der Krankheit erhalten.

    (sabia) Ich bin also euer Versuchskaninchen.

    (ma.am) sabia, du bist zurzeit unser Patient.

    (sabia) Und nach der Zeit?

    (ma.am) Bist du frei zu tun und zu lassen, was du willst. Oder du hilfst uns, anderen zu helfen. Möchtest du das?

    (sabia) Ich werde darüber nachdenken. Die 15 Minuten für unser Meet-up sind bereits überzogen. Ich werde das Gespräch daher jetzt beenden.

    Chatprotokoll_30.07.2047_end

    ma.am notierte sich ein paar Stichworte auf seine Kladde. Wenn er in das Meeting mit den anderen ma.ams ging, wollte er etwas in der Hand haben. Auch wenn eine Kladde so antiquiert war wie Carbamazepin, er wollte nicht darauf verzichten. Deswegen hatte er auch mit den alten Wirkstoffen bei sabia angefangen. Er wollte wissen, ob die noch immer wirksam waren. Ob sie noch immer helfen konnten. Und anscheinend taten sie ihren Dienst. Sabia erschien ihm gelöst, offen und kurzum: reichlich normal. Wenn sie jetzt aus freiem Willen der Mitarbeit zustimmte, dann könnte er einen echten Durchbruch vorweisen.

    II.

    Chatprotokoll_BW38_01.09.2047_start

    (sabia) Hallo zum Meet-up der Bezirksgruppe 38 West. Man hat mir die Leitung dieser Gruppe übertragen und ich hoffe, wir arbeiten gut zusammen. Mein Name ist sabia. Und ich bin bipolar.

    (rose078) Hallo sabia.

    (trajan0815) Hallo.

    (hintenlinksxf) Willkommen. Übrigens – wir auch.

    (sabia) Man hat mir gesagt, dass eure Gruppe schon ein halbes Jahr besteht?

    (rose078)Ja. Wir treffen uns in loser Reihenfolge und reden miteinander. Geben uns Mut und Zuversicht.

    (xxgusxx) Hat jemand mr.boojangles gesehen? Hat er sich bei irgendjemanden gemeldet?

    (rose078) Du bist zu spät, xxgusxx. Und du platzt mitten ins Gespräch. Findest du das gut?

    (xxgusxx) Aber mr.boojangles! Ihr wisst doch alle, wie er drauf war. Ich habe Angst, dass er es nicht mehr gepackt hat.

    (hintenlinksxf) Du meinst, er ist tot? Soviel Mut hätt ich ihm nicht zugetraut.

    (rose078) Das war jetzt sehr unpassend, hintenlinksxf. Du müsstest es doch besser wissen.

    (sabia) Suizidales Verhalten muss gemeldet werden. Habt ihr das gemacht?

    (rose078) An wen denn? Wir hatten doch noch gar keinen Supervisor.

    (sabia) Ich versuche, ihn zu erreichen. Bitte schreibt mir so lange euer kleines Glück der Woche.

    (trajan0815) Ich habe niemanden gedated. Ich bin diese Woche nicht in irgendeinem fremden Bett aufgewacht. Und ich fühle mich nicht getrieben.

    (rose078) Ich habe kein Glück erlebt, nichts, von dem ich positiv berichten kann. Ich bin die Woche zu Hause geblieben, schlaflos, panisch, Essen ekelt mich an und ich bin so erschöpft. Die Depression lauert hinter mir. Ich kann nicht mehr.

    (xxgusxx) Ich habe mich gezwungen, in den Park zu gehen. Gestern, als die Sonne schien. Hat geholfen.

    (hintenlinksxf) Ich habe die Finger vom Lotto gelassen, ich war nicht shoppen. Aber ich fühle mich nicht viel besser als beim letzten Mal. Obwohl ich mich an die Ratschläge halte.

    (mr.boojangles) Hallo Leute. Bin noch da. Sorry, dass ich mich verspätet habe.

    (sabia) Hallo mr.boojangles. Willkommen in unserem Meet-up. Wie geht es dir?

    (hintenlinksxf) Anscheinend ganz gut. Hey, Kumpel, schön, dass du noch da bist.

    (mr.boojangles) Es war knapp. Ich hatte das Messer schon in der Hand.

    (sabia) Keine Berichte über suizidale Vorgehensweisen, bitte. Wir sind nicht allein und müssen darauf achten, dass wir die anderen in der Runde nicht triggern.

    (xxgusxx) Ich habe mir Sorgen gemacht um dich. Wieso hast du nicht auf meine Nachrichten geantwortet?

    (mr.boojangles) Ich wollte meine Ruhe haben. Das Kommunizieren strengt an. Dafür hatte ich keine Kraft mehr.

    (sabia) Erst einmal möchte ich trajan0815, xxgusxx und hintenlinksxf danken. Ich freue mich, dass ihr einen Moment hattet, den ihr ruhig in eurem Positiv-Baukasten verewigen könnt. Hat jeder von euch einen Positiv-Baukasten?

    (rose078) So wie ein Positiv-Tagebuch?

    (sabia) Genau. Oder ein Schatzkästchen. Nutzt es. Schreibt euch die guten die schönen Dinge auf und lest sie, wenn ihr down seid. Das sind die Fixpunkte eures Lebens, nicht eures Leidens.

    (mr.boojangles) Meinst du wirklich, dass mir eine Karteikarte mit einem Wort oder einem Satz den Lebensmut zurückgegeben hätte?

    (sabia) Besser als nichts in der Hand zu haben, oder was meinen die anderen?

    (trajan0815) Also ich hatte immer einen Bettpfosten, an dem ich meine Eroberungen eingeschnitzt habe. *lach

    (rose078) Musst du dich darüber lustig machen? Sie will uns doch nur helfen.

    (sabia) Hast du dich gut gefühlt mit deinem Bettpfosten?

    (trajan0815) …

    (sabia) Oder hast du dich dafür verachtet, im Nachhinein. Wenn du wieder auf dem Boden angelangt bist nach deinem Höhenflug?

    (trajan0815) Danke, dass du mich daran erinnerst. Wer glaubst du eigentlich, wer du bist? Du kennst mich nicht, und dann gehst du mich so an?

    (sabia) Nicht dich, trajan0815. Deine Störung. Ich möchte, dass du dich ihrer Mechanismen bewusst wirst. Manien sind schwer zu packen, Hypomanie und Manie lassen dich glauben, du könntest alles und dürftest alles und sowieso bist du der Größte. Ich weiß, dass man dieses Gefühl nicht hergeben will. Aber es zeigt dir nicht den realen Zustand der Welt und deines Ichs an.

    (xxgusxx) Ich wünschte mir, ich hätte mal so einen Höhenflug. Die meiste Zeit bin ich in einem trüben Tal gefangen und nur selten scheint die Sonne hinter meine sieben Berge. *seufz

    (rose078) Ich schick dir eine Umarmung, xxgusxx.

    (xxgusxx) Danke dir.

    (mr.boojangles) Ich habe eine Idee.

    (hintenlinksxf) Was denn?

    (mr.boojangles) Wie wäre es, wenn wir aus diesem sChat einen Videochat machen? Ich würde gerne wissen, mit wem ich mich unterhalte.

    (sabia) Dann ist die Anonymität nicht mehr gewahrt. Das führt dazu, dass sich vielleicht die Mitglieder dieser Gruppe sich nicht mehr so frei äußern wie beabsichtigt. Ich bin dagegen.

    (hintenlinksxf) Ich bin dafür.

    (rose078) Ich hab nichts dagegen.

    (sabia) Die 15 Minuten unseres Meet-up sind abgelaufen. Ich möchte mich bei allen für die warme Aufnahme bedanken. Bis zum nächsten Mal und passt auf euch auf. Ich werde das Gespräch jetzt beenden.

    Chatprotokoll_BW38_01.09.2047_end

    »Der Einsatz von Webkameras ist nicht gestattet. Der Wunsch nach Sichtkontakt ist zwar verständlich, macht dich aber angreifbar. Wen man sieht, den kann man auch verantwortlich machen. Du hast dich sehr gut auf die Anonymität und deren Nutzen berufen. Wenn deine Mitglieder mehr Nestwärme wollen, dann autorisiere ich deinen Chat, Avatare zuzulassen. Weiter können wir dem Wunsch nicht entsprechen. Im Übrigen habe ich dein erstes Meet-up gesichtet. Du hast dich gut geschlagen, weiter so. Grüße, ma.am.«

    Chatprotokoll_BW38_06.09.2047_start

    (sabia) Hallo zum Meet-up der Bezirksgruppe 38 West. Mein Name ist sabia. Und ich bin bipolar.

    (hintenlinksxf) Hallo, sabia.

    (mr.boojangles) Hi.

    (xxgusxx) Einen wunderschönen guten Tag!

    (rose078) Tag. *seufz

    (trajan0815) Hallo sabia. Hallo Leutz.

    (sabia) Ich habe Rücksprache gehalten, was den Wunsch nach einem Videochat betrifft. Kameras sind nicht vorgesehen – aber wenn ihr wollt, könnt ihr eure Namen mit einem Avatar versehen. Das ist schon ein Zugeständnis, deswegen möchte ich euch bitten, euer Ikon achtsam auszuwählen.

    (xxgusxx) Also ich hab nichts zu verstecken. Hier, das bin ich! ‹selfie›

    (rose078) Na wenn das so ist. ‹selfie› Aber nicht lachen.

    (mr.boojangels) Wieso denn lachen, rose078. Du bist eine Schönheit.

    (rose078) ‹selfie deleted› ‹image athene› Jetzt magst du recht haben, boo.

    (trajan0815) Also ich bin der Ritter von der traurigen Gestalt ‹image don quichotte›

    (mr.boojangles) Und ich bin wie mein Kater, alt und fett ‹image kater› *lachweg

    (hintenlinksxf) …

    (sabia) hintenlinksxf, was ist los? Vor 5 Tagen warst du doch für einen Videochat. Wieso ziehst du dich jetzt zurück?

    (hintenlinksxf) Ich fühle mich verarscht. Ich wollte einen richtigen Chat mit richtigen Menschen. Für bunte Bildchen kann ich jede x-beliebige Witzseite im Netz aufmachen.

    (xxgusxx) Ich bin kein Witz, du Depp.

    (rose078) Zeig du uns doch dein wahres Gesicht. So für den Anfang.

    (hintenlinksxf) ‹selfie›

    (rose078) ‹image athene deleted› ‹selfie› Jetzt sind wir schon zu dritt, hintenlinksxf. Die anderen machen bestimmt auch mit, oder?

    (mr.boojangles) Aber nur weil ihr es seid. ‹image kater deleted› ‹selfie›

    (trajan0815) Immer dieser Gruppenzwang *murr ‹image don quichotte deleted› ‹selfie›

    (sabia) ‹selfie› Wollen wir jetzt mit der Sitzung anfangen?

    [.]

    Chatprotokoll_BW38_06.09.2047_end

    »Die letzten zwei Monate sind sehr gut gelaufen, sabia. Ich bin wirklich zufrieden mit deiner Arbeit. Es hat sich ein stabiles Gleichgewicht in deiner Gruppe eingestellt. Alle scheinen gefestigter zu sein. Sie sprechen sehr gut auf dich an. Gleichzeitig reagierst du gleichbleibend gut auf deine Medikation, sodass du deine Aufgaben zuverlässig und achtsam angehen kannst. Ich möchte dich nur vor der kommenden Zeit warnen. Weihnachten ist für viele ein emotional zermürbendes Erlebnis. Es könnte auch in deiner Gruppe problematische Situationen geben. Wenn du mehr Rücksprache brauchst, kannst du mich jederzeit kontaktieren. Grüße, ma.am.«

    Chatprotokoll_BW38_05.12.2047_start

    (sabia) Hallo zum Meet-up der Bezirksgruppe 38 West. Mein Name ist sabia. Und ich bin bipolar.

    (mr.boojangles) Ich auch.

    (rose078) Ebenfalls.

    (hintenlinksxf) Me, too.

    (xxgusxx) Langweilig!

    (trajan0815) Mindergestörter zur Stelle.

    (sabia) Worüber wollen wir heute sprechen? Irgendwelche Wünsche?

    (hintenlinksxf) Ich wünschte mir, dass der Schuldenberg kleiner wird. Seit meiner letzten manischen Phase schleppe ich ihn mit mir rum und kann kaum noch geradeaus schauen.

    (trajan0815) Sollen wir zusammenschmeißen?

    (sabia) Bitte keine solchen Vorschläge. Wir können und sollen uns emotionalen Beistand leisten, aber nicht finanziell. Dafür gibt es Schuldnerberatungen als Anlaufstelle. Warst du schon bei einer, hintenlinksxf?

    (hintenlinksfx) Ja, ich bin nach unserem letzten Meet-up hingegangen. Ist auch schon besser geworden, aber wenn man sich schon etwas wünschen darf – dann doch, dass das Problem endgültig gelöst ist.

    (trajan0815) Wenn du über die Folgen deiner Manie nachdenkst, pfft. Ich warte gerade auf das Ergebnis meines Gesundheitschecks. Es ist immer wieder das gleiche, alle drei Monate das elende Bibbern und Zittern, ob alles okay ist oder ob ich mir was eingefangen habe.

    (rose078) Dann lern endlich mal ein Kondom zu benutzen, du Arsch.

    (trajan0815) Wie bist du denn drauf? Ich hab dir nichts getan, rose078.

    (rose078) Ich denk nur gerade an die Frauen, die du eventuell schon angesteckt hast. Und das macht mich wütend.

    (sabia) Was ist los mit dir, rose078? Es ist doch nicht wirklich trajan0815, der dich so aufregt.

    (rose078) Wieso zweifelst du an meinem Gefühl, sabia?

    (sabia) Ich zweifle nicht an deinem Gefühl, aber ich glaube deine Wut hat einen anderen Hintergrund. trajan0815 ist nur der Blitzableiter. Ein Nebenkriegsschauplatz.

    (rose078) Ich hab seit einer Woche Schlafstörungen. Es wird wieder zu viel, das Hamsterrad kreist und kreist und die Gedanken stehen nicht still. Ich habe Angst, sabia. Richtig Angst, dass ich wieder

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