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Praxisleitfaden Customer Centricity: Mit Kundendaten und Customer Experience die digitale Transformation erfolgreich meistern – mit Strategie-Framework und Umsetzungsplan
Praxisleitfaden Customer Centricity: Mit Kundendaten und Customer Experience die digitale Transformation erfolgreich meistern – mit Strategie-Framework und Umsetzungsplan
Praxisleitfaden Customer Centricity: Mit Kundendaten und Customer Experience die digitale Transformation erfolgreich meistern – mit Strategie-Framework und Umsetzungsplan
Ebook357 pages2 hours

Praxisleitfaden Customer Centricity: Mit Kundendaten und Customer Experience die digitale Transformation erfolgreich meistern – mit Strategie-Framework und Umsetzungsplan

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About this ebook

Dieses Buch zeigt, warum nur mit den richtigen Kundendaten – dem Öl des 21.Jh., eine Differenzierung am Markt gelingt. Der Kampf um die Daten ist auch ein Kampf um die digitale Kundenschnittstelle, bei dem das Angebot mit der besten Customer Experience gewinnt.

Die Autoren erläutern, wie sich Unternehmen durch eine Data Driven Customer Centricity von der Produktverliebtheit lösen und ihre Angebote konsequent am Kundenbedarf ausrichten können.

Der Weg zu einer radikalen Kundenzentrierung ist kein Selbstläufer. Schlüsselfaktoren sind ein neues Verständnis des Kundenverhaltens sowie der Mehrwerte von Daten und KI und die darauf ausgerichtete konsequente Transformation der Unternehmenskultur, Strukturen und Prozesse.

Hierzu liefern die Autoren mit ihrem in der Praxis erprobten Customer Centricity Transformation Framework (CCTF)  einen Handlungsrahmen für Entscheider, der es erlaubt die Veränderungen agil voranzutreiben und dabei die gesamte Organisation mitzunehmen.

Aus dem Inhalt

  • Customer Experience und Kundendaten als Motor für die erfolgreiche Customer Centricity
  • Welche Mehrwerte motivieren Kunden heute (noch), Daten abzugeben?
  • Wie die richtigen Daten und KI die Kaufwahrscheinlichkeiten erhöhen
  • Die völlig neue Produkt- und Angebotsgestaltung in Zeiten der Customer Centricity
  • Die Customer-Centricity-Unternehmensorganisation 
  • Methodenbaukasten inkl. Vorgehensmodell, Readiness Check und Prototyping-Vorlage


LanguageDeutsch
Release dateJun 3, 2021
ISBN9783658334956
Praxisleitfaden Customer Centricity: Mit Kundendaten und Customer Experience die digitale Transformation erfolgreich meistern – mit Strategie-Framework und Umsetzungsplan

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    Book preview

    Praxisleitfaden Customer Centricity - Michael Nenninger

    Teil ICustomer Centricity – JETZT!

    © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2021

    M. Nenninger, M. SeidelPraxisleitfaden Customer Centricity https://doi.org/10.1007/978-3-658-33495-6_1

    1. Warum JETZT? Der Kunde stand doch schon immer im Mittelpunkt

    Michael Nenninger¹   und Melanie Seidel¹  

    (1)

    Voycer Digital GmbH, München, Deutschland

    Michael Nenninger (Korrespondenzautor)

    Email: m.nenninger@voycer.com

    Melanie Seidel

    Email: m.seidel@voycer.com

    1.1 Das veränderte Informations- und Kaufverhalten der Kunden

    1.1.1 Mit Erlebnissen als Differenzierungsfaktor beim Kunden punkten

    1.1.2 Die neue Reichweite des aktiven Kunden

    1.2 Die Daten und ihr wahres Potenzial

    1.2.1 Mit Daten die Kaufwahrscheinlichkeit erhöhen

    1.2.2 Mit KI zu besseren Angeboten

    1.3 Daten und Erlebnisse: Erfolgsfaktoren der Customer Centricity

    1.3.1 Über das Erlebnis zu mehr Kundendaten

    1.3.2 Customer Experience: Den Customer-Centricity-Kreislauf antreiben

    1.3.3 Limitierte Wirkung: Daten aus Drittquellen

    1.3.4 Personalisierte Kundendaten über eigene Online-Angebote gewinnen

    Warum ist eine echte und datengetriebene Customer Centricity unabdingbar? Und warum gerade jetzt? Zwei grundlegende Entwicklungen, die die Strategie eines jeden Unternehmens beeinflussen, begründen die Notwendigkeit.

    Erstens hat sich durch die Digitalisierung das Verhalten der Kunden verändert, es ist interaktiver und proaktiver geworden. Zweitens erhalten Unternehmen dadurch die Möglichkeit, entlang der gesamten Customer Journey in Echtzeit Daten in neuer Qualität und Menge zu generieren und so mehr über die Bedürfnisse, Wünsche und Vorlieben der Kunden zu erfahren. Beides zwingt Unternehmen, sich neu und konsequent kundenzentriert auszurichten und in innovativen Differenzierungsstrategien zu denken. Oder sie verlieren im Umkehrschluss ihre Marktanteile an zunehmend digital ausgerichtete Unternehmen.

    Wenn Sie die sieben wertvollsten Unternehmen der Welt von Anfang 2020 betrachten, wird schnell klar: Die digitalen Modelle der Tech-Giganten dominieren. Die gesamte, in einem Staatsunternehmen gebündelte Ölindustrie des ölreichsten Landes der Welt kann getrost als Ausreißer bewertet werden (vgl. Tab. 1.1):

    Tab. 1.1

    Top 10 der wertvollsten börsennotierten Unternehmen der Jahre 1990, 2010 und 2020

    ../images/497562_1_De_1_Chapter/497562_1_De_1_Tab1_HTML.png

    Alle Top-7-Digital-Unternehmen haben zwei Dinge gemeinsam: Der Kunde und sein Verhalten stehen in der Unternehmenskultur im Mittelpunkt und die Geschäftsmodelle beruhen primär auf Daten. Es gibt einen Grund, warum die berühmt-berüchtigten GAFA-Unternehmen so erfolgreich sind (GAFA ist ein Akronym aus den Anfangsbuchstaben der vier großen Player im Markt: Google/Alphabet, Amazon, Facebook und Apple).

    Herrschte vor gut 15 Jahren noch die Meinung vor, dass datenbasierte Geschäftsmodelle nur Informations- und Unterhaltungsprodukte (Bücher, Musik, News etc.) beeinflussen würden, hat sich diese Ansicht massiv gewandelt. Heute wird selbst des Deutschen liebstes Gut, das Auto, bei ersten Herstellern nicht mehr primär nur als Hardware verstanden. Längst haben VW und Co. realisiert, dass Blech, Motor und Design zukünftig nicht länger die Krone der Schöpfung sein werden. (Volkswagen 2019) Den Käufer interessiert immer mehr die Software sowie deren Anwendungen und Einsatzmöglichkeiten, das Gehäuse hingegen immer weniger.

    Alle Autos fahren von A nach B. Spätestens, wenn das autonome Fahren kommt und die Umweltherausforderungen ein nachhaltiges Verhalten verstärkt einfordern, werden „PS und „Fahrvergnügen bei den meisten Autofahrern anderen Bedürfnissen weichen. Dann wird es darum gehen, den Arbeitsplatz effizient und schnell zu erreichen sowie die besten Points of Interests präsentiert zu bekommen – ausgerichtet auf individuelle Vorlieben und Wünsche, verbunden mit Einkaufslisten und mit einer Anbindung an selbstbeladende Systeme für Einkäufe. Entscheidend werden künftig die besten personalisierten News- und Unterhaltungsangebote während der (autonomen) Fahrt und weitere neue innovative Services sein – Angebote, die Kunden sich heute und zukünftig wünschen, die die Hersteller aber noch gar nicht kennen.

    Aber wie lernen Unternehmen, aus ihrer Produktverliebtheit auszubrechen, ihre Erzeugnisse für die sich verändernden Bedürfnisse und Wünsche weiterzuentwickeln und ihre Angebote in Form von erweiterten Leistungen rund um das Kernprodukt auszurichten?

    Kritischer Erfolgsfaktor für diesen Prozess ist zunächst die Kundenschnittstelle, um Daten zum sich verändernden Mobilitätsverhalten von Autokäufern zu erhalten. Wer sammelt diese Daten: das Handy von Apple, das mobile Betriebssystem oder der Service „Maps von Google? Oder doch die Blechkiste selbst, indem sie mit ausreichend Schnittstellen zum Kundenverhalten ausgestattet ist? Wie bekommt der Kunde Lust darauf, Daten an einer digitalen Schnittstelle, wie etwa der Sprachsteuerung, der Navigation etc., direkt an das Auto abzugeben, anstatt dies über die bisherigen Devices „Smartphone oder „Smartwatch" zu tun? Dieser Herausforderung stellt sich zum Beispiel VW mit der Anfang 2020 von CEO Herbert Diess verkündeten Vision: „Das Automobil wird in Zukunft das komplexeste, wertvollste, massentauglichste Internet-Device werden." (Handelsblatt 2020).

    Aber erzählen Sie das einmal einem Unternehmen, das seit 80 Jahren ingenieur- und produktgetrieben ist. Einer solchen Vision zu folgen, erfordert eine komplette Neuausrichtung des Unternehmens weg vom Produkt und hin zum Kunden. Daher ist der Wandel auch keine sanfte Transformation, wie wir später noch sehen werden. Sondern er ist ein Paradigmenwechsel, der in alle Unternehmensbereiche massiv eingreifen muss. Dies gilt nicht nur für die produzierende Industrie, sondern in ähnlicher Weise auch für Dienstleistungs- und Handelsunternehmen. In diesem Buch sprechen wir daher im Weiteren immer von Angeboten, wenn es um alle Unternehmenstypen geht. Dem Begriff „Angebot" ordnen wir sowohl physische Produkte (zum Beispiel Kühlschränke) als auch Dienstleistungen (zum Beispiel Versicherungen), die in diesem Sinne ein direktes Angebot darstellen, als auch Handelsdienstleistungen in Form von angebotenen Handelsfunktionen (Zahlung, Kredit, Logistik, Qualität, Preis, Sortiment etc.) zu.

    Um zu verdeutlichen, welche massiven Unterschiede etwa bei einem Hersteller mit einer angebotszentrierten Ausrichtung gegenüber einer kundenzentrierten Organisation bestehen, haben wir die folgende Übersicht entwickelt. Sie zeigt die Veränderungen in den Aufgaben, Prozessen und Unternehmensbereichen auf (vgl. Abb. 1.1):

    ../images/497562_1_De_1_Chapter/497562_1_De_1_Fig1_HTML.png

    Abb. 1.1

    Übersicht angebotszentrierte versus kundenzentrierte Organisation.

    (Quelle: Eigene Darstellung)

    Unternehmen, die gerne behaupten, sie seien schon immer kundenorientiert gewesen und Customer Centricity sei doch nur alter Wein in neuen Schläuchen, sind besonders häufig Verfechter bestehender angebots- und produktorientierter Unternehmensstrategien. Eine echte kundenzentrierte Denkweise im Unternehmen geht weiter als eine reine Kundenorientierung. Kundenorientierung hat als Kernziel die Kundenzufriedenheit, die Kundenzentrierung stellt das Kundenbedürfnis in den Vordergrund. Es geht darum, nicht den bestehenden und bekannten Kundenwunsch zu erfüllen, sondern den Bedarf des Kunden im Vorhinein zu antizipieren und darauf basierend Angebote zu gestalten.

    1.1 Das veränderte Informations- und Kaufverhalten der Kunden

    Die Welt ist dank der Digitalisierung hochtransparent geworden – und der Kunde ist so gut informiert wie nie zuvor. „Always on, anytime and anywhere" bestimmen das Nutzerverhalten im digitalen Zeitalter. Der daraus entstehende Anspruch ist für Unternehmen mit festen Arbeitszeiten und der Hauptkundenschnittelle am stationären Point of Sale nicht immer einfach zu bedienen. Als der Vorstand eines der Top-30-Handelsunternehmen Deutschlands uns 2016 beim Aufbau einer Kunden-Online-Community aufforderte, die Community aus Sorge vor negativen Kommentaren ab 18:00 Uhr und am Wochenende zu schließen, war dies ein Resultat aus dem traditionellen Denken des stationären Handels.

    In den letzten Jahren hat sich hier viel geändert. Kundenzentrierung bedeutet aber nicht, die offensichtlichen Veränderungen durch die Digitalisierung wahrzunehmen. Es bedeutet, komplett aus Sicht des Users zu denken und hinsichtlich

    seines Informations- und Kaufverhaltens,

    seines Bedarfs an Inspiration und veränderten Austauschmöglichkeiten mit Gleichgesinnten sowie

    seines Interesses an Mehrwerten und Erlebnissen

    zu handeln. Hierfür ist es aber notwendig, den Kunden und sein Verhalten in die Unternehmensprozesse zu integrieren. Für einen Omnichannel-Ansatz ist es daher falsch, wenn Verkäufer den Kunden im Verkaufsgespräch auf Online-Informationsangebote verweisen, wie es zum Beispiel bei der Produktsuche in einem Baumarkt oder Elektrohändlers häufig zu erleben ist: „Schauen Sie mal auf der Seite des Herstellers nach, was für Sie passen könnte." Diese Empfehlung ist wenig hilfreich. Was hindert den Käufer daran, dann gleich im Shop des Herstellers zu bestellen, anstatt aufwendig zum stationären Verkäufer zurückzukehren und dort das dann auch noch meist teurere Produkt zu erwerben?

    Ein solches Verhalten verdeutlicht die fehlende durchgängige Digitalisierungsstrategie: Sie stoppt beim Onlineshop und lässt den Omnichannel-Ansatz außen vor. Der Mangel an Fachpersonal beziehungsweise dessen häufig ungenügende Qualifikation im stationären Verkauf hat in den letzten Jahren erheblich zugenommen und wird voraussichtlich weiter massiv steigen. So sind allein 2019 rund 4000 Ausbildungsstellen im Einzelhandel unbesetzt geblieben. (Dierig 2019; Rumscheidt 2018) Die abnehmende Qualifizierung des Verkaufspersonals ist jedoch nur eine Seite des Problems, die vor allem online nicht direkt zum Tragen kommt. Die andere, dramatischere Seite ist, dass die Käufer durch ein aktiveres Informationsverhalten und verbesserte Informationsangebote viel höher qualifiziert sind. Wie der Vorstand eines großen Discount-Händlers erzählte, sind die meisten seiner Kunden heute deutlich informierter und kennen sich besser aus als sein Verkaufspersonal, wenn sie in die Filiale kommen. Hintergrund ist, dass allein die Informationsbeschaffung vor dem Kauf heute – auch im stationären Bereich – primär online stattfindet. (HDE 2019).

    1.1.1 Mit Erlebnissen als Differenzierungsfaktor beim Kunden punkten

    Der proaktive Kunde geht aber noch weiter. Er sucht nicht nur die Informationen, sondern er bereitet sie ebenso wie seine Erfahrungen und Erlebnisse auch selbst auf. Er hat LUST auf mehr, sucht das Erlebnis, die Bestätigung, den Erfolg bei der richtigen Auswahl. Das Thema „Erlebnis, das im allgegenwärtigen Begriff „Customer Experience (CX) den Markt diffundiert, spielt daher im Rahmen von Differenzierungsstrategien eine entscheidende Rolle.

    Am Beispiel des Handels lässt sich gut verdeutlichen, warum dies so wichtig ist. Die meisten (Online-) Anbieter versuchen immer noch, sich über den Preis zu positionieren. Andere setzen auf ein umfangreiches Sortiment. Allerdings dominiert Amazon in Verbindung mit seinem Marketplace-Ansatz in beiden Punkten den Markt. Zudem hat der Internetgigant durch „Amazon Prime die Lieferung innerhalb von 24 h etabliert und damit Benchmarks gesetzt, die mit der Ein-Stunden-Lieferung „Prime Now noch weiter hochgeschraubt werden.

    Bei Preis, Sortiment und Logistik ist der Handel also fast an sein Limit gekommen, weitere Verbesserungen sind daher nur realisierbar, wenn gleichzeitig auf eine angemessene Marge verzichtet wird. Auch die Bereiche „Service und „Information bieten aufgrund des bereits erreichten Niveaus vergleichsweise begrenzte Spielräume für ein klares Alleinstellungsmerkmal im Handel.

    Das größte freie Potenzial zur Differenzierung liegt im Erlebnis (vgl. Abb. 1.2). Damit ist nicht primär das Erlebnis rund um einen reibungslosen Einkaufsprozess gemeint – der ist aufgrund der bestehenden Benchmarks bereits eine Grunderwartung des Kunden. Dieses Erlebnis kann damit nur ins Negative ausschlagen, wenn kein ausreichendes Niveau erreicht wird. Im Mittelpunkt stehen stattdessen Themen, Informationen und Inspirationen rund um die Angebote: bei einer Krankenversicherung alles rund um die Gesundheit, bei einem Modeshop die aktuellen Trends, Looks und Styles, bei einem Technikanbieter technische Innovationen, Anwendungsideen und Hilfestellungen etc.

    ../images/497562_1_De_1_Chapter/497562_1_De_1_Fig2_HTML.png

    Abb. 1.2

    Differenzierungsspielräume am Beispiel von Handelsunternehmen.

    (Quelle: Eigene Darstellung)

    Kunden halten online immer öfter Ausschau nach Einkaufserlebnissen und wollen diese im „Social-Kontext" erfahren. Sie wollen auch in ihrem veränderten Informations- und Kaufverhalten eine Marke emotional wahrnehmen und von ihr inspiriert werden. Allerdings sind sie nicht daran interessiert, sich einfach nur von Werbung und werblich verpackten Content-Marketing-Stories berieseln zu lassen. Vielmehr stehen für den mündigen Konsumenten die individuelle Beratung, Inspiration und emotionale Begegnungen mit anderen Usern im Vordergrund des Online-Einkaufserlebnisses.

    Ein wichtiger Baustein des Erlebnisses ist heute die aktive Nutzung, nicht das bloße Konsumieren von Inhalten auf Social-Media-Kanälen im weitesten Sinne. 72 % der Konsumenten haben laut dem Hootsuite Report 2019 (Moghaddam 2019) innerhalb eines Monats aktiv mit Social-Media-Angeboten interagiert oder daran partizipiert. So entsteht eine nie da gewesene Fülle an Antworten auf Fragen, an Blogposts und Produkttests, an Empfehlungen und Anleitungen von Usern für User.

    Schon vor Jahren wurde erkannt, dass die User-zu-User-Kommunikation effektiver, authentischer und glaubwürdiger ist als jede werbliche Aussage. So wies das Marktforschungsinstitut Nielsen (Nielsen 2015) bereits 2015 erstmals darauf hin, dass die Empfehlung mit 78 % der mächtigste Faktor bei einer Kaufentscheidung ist. Seitdem versuchen Hersteller, Sternchen-Bewertungen im eigenen Shop zu generieren, Blogger und Experten als Testimonials sowie für Testberichte zu gewinnen und Marken-Influencer an das Unternehmen zu binden – idealerweise als echte Markenbotschafter, also nicht gemietete Bibis (Bibis Beauty Palace 2021) und Dagis (Dagi Bee 2021), die für Geld heute das eigene Unternehmen und vielleicht morgen den direkten Wettbewerb promoten.

    Doch die meisten Unternehmen tun sich noch schwer, eine ausreichende Relevanz und eine kritische Masse aktiver Konsumenten zu erzeugen – vielfach, weil sie über zu geringe Erfahrung sowie zu wenige Netzwerke verfügen und sich selbst noch nicht genug mit ihrer bestehenden Marken-Community beschäftigen. Fast jede Marke hat eine Anhängerschaft, nur ist diese nicht ausreichend individuell bekannt, organisiert oder gar über eine digitale Erlebnisplattform durchgängig ansprechbar und gebunden. Unternehmen versuchen überwiegend, Projekte, mit denen Beziehungen zu ihren wertvollen Kunden und Fans oder gar zu Markenbotschaftern gestärkt werden sollen, an Agenturen und Dienstleister auszulagern, anstatt das Beziehungsmanagement als Kernkompetenz innerhalb der eigenen Organisation aufzubauen und professionell zu digitalisieren.

    1.1.2 Die neue Reichweite des aktiven Kunden

    Dabei können Kunden mit ihrer neuen Reichweite und der Bereitschaft, eigene Beiträge zu schreiben, in den sozialen Medien zu posten und zu verbreiten, den Unternehmen in allen Bereichen helfen. Deren Reichweite war früher meist bis zum stationären Point of Sale (POS) begrenzt und selbst dort blieb der Kunde in der Regel anonym und gab kaum Daten ab. Heute können nicht nur Händler vom interaktiven Kunden profitieren. Im sogenannten Direct-to-Consumer-Modell (D2C) versuchen Hersteller beziehungsweise deren Lieferanten immer häufiger, direkt an den Endkunden zu gelangen mit dem Ziel, in möglichst vielen Unternehmensbereichen Vorteile aus dieser neuen Reichweite zu generieren (vgl. Abb. 1.3).

    ../images/497562_1_De_1_Chapter/497562_1_De_1_Fig3_HTML.png

    Abb. 1.3

    Die neue Reichweite des Kunden.

    (Quelle: Eigene Darstellung)

    Die Forschung- und Entwicklungsabteilung beispielsweise kann gemeinsam mit Usern neue Ideen und Verbesserungen entwickeln (Stichwort „Open Innovation"). Im Marketing helfen Kunden anderen Kunden mit Informationen, Anleitungen und Inspirationen. Beim Kauf unterstützen sie mit Empfehlungen und Erfahrungen und im After Sales mit gegenseitigen Hilfestellungen.

    Dass dies alles nebenbei auch noch wertvolle Daten erzeugt und Unternehmen auf diesem Weg mehr über ihre Kunden und deren Bedürfnisse, Wünsche und Ideen lernen, ist das Charmante am Customer Centricity-Ansatz. Der Weg, den Kunden direkt in die Entwicklung des Angebots und aktiv in die Kommunikation einzubeziehen, ist für viele zunächst völlig neu. Denn häufig ist der Kunde, gerade von den Herstellern, viel zu weit entfernt.

    Ein Beispiel aus den frühen Jahren des Social-Internets zeigt, welch massiven Umbruch die neue digitale Welt für viele Unternehmen bedeutete und noch immer bedeutet. Gemeinsam mit der Marketingleitung eines Dax-Unternehmens wollten wir ein Social-Media-Projekt starten, um Kunden stärker an die Marke zu binden. Der Facebook-Auftritt des Unternehmens war gerade gelauncht und die Idee war, einen Wettbewerb zu veranstalten und über eine interaktive Kampagne Kunden ihre Stories und Anwendungsbeispiele zu den Produkten erzählen zu lassen. Das ging dem Management allerdings viel zu schnell. Mit der Aussage: „Wir verstehen ja die Idee, aber sehen Sie, wir haben 160 Jahre nicht mit unserem Kunden gesprochen. Das hat nur der Einzelhandel gemacht und dazwischen war ja auch noch der Großhandel …" wurde das Projekt verkleinert, verzögert und dann halbherzig als Versuchsballon gestartet. Aber die Kunden waren zu diesem Zeitpunkt längst mündig und bereits seit Jahren auf allen möglichen Social-Media-Plattformen unterwegs – sie warteten nicht auf erste zaghafte Versuche der Kontaktaufnahme. Dieser Vorfall ist gerade einmal sieben Jahre her, doch diese ersten Ausflüge in die Welt der direkten digitalen Kundenkommunikation prägen das Unternehmen bis heute. Im Marketing gibt es mittlerweile das übliche Social-Media-Team, aber die meisten der übrigen Kundenschnittstellen entlang der gesamten Customer Journey sind noch immer weit davon entfernt, auf digitalen Plattformen einen interaktiven Austausch zwischen Marke und Kunde zu ermöglichen.

    Die Verhaltensweise der Unternehmen ist zunächst völlig verständlich: Lernen bedeutet manchmal, mit kleinen Schritten voranzugehen. Häufig führen dann die enttäuschenden Ergebnisse dazu, noch kleinere Schritte zu machen oder das Laufen ganz einzustellen. Oft hören wir von Managern dann: „Das schaffen wir nicht. Wir haben ja nicht die Reichweite, die Zugänge beziehungsweise die Möglichkeiten, wie zum Beispiel Amazon sie hat." Hätte Jeff Bezos vor 25 Jahren so gedacht – und er hatte zu diesem Zeitpunkt mehr Anlass als jedes Dax-Unternehmen heute, sich Sorgen über fehlende Daten und Zugänge zu machen –, dann wäre Amazon heute nicht in der Position, von der viele Händler sich wünschten, Amazon hätte sie nie

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