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Epileptische Anfälle und Epilepsien im Erwachsenenalter: Diagnostik und Therapie
Epileptische Anfälle und Epilepsien im Erwachsenenalter: Diagnostik und Therapie
Epileptische Anfälle und Epilepsien im Erwachsenenalter: Diagnostik und Therapie
Ebook1,827 pages14 hours

Epileptische Anfälle und Epilepsien im Erwachsenenalter: Diagnostik und Therapie

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About this ebook

Das Buch bietet dem Behandler einen Überblick über die gängigen klinisch relevanten Konzepte sowie diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen in der Epileptologie. Mit seinem praxisorientierten Aufbau befähigt das Werk dazu, dieses Wissen im klinischen Kontext direkt anzuwenden. Zahlreiche Kasuistiken beantworten über die Kapitel hinweg typische Fragen zu Differenzialdiagnostik, Therapie und sozialmedizinischen Aspekten. Bei den Therapien kommen sowohl medikamentöse als auch operative Ansätze zur Sprache. Ein ballastfreies Buch, geschrieben von Epilepsie-Experten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz, das sich den konkreten klinischen Aspekten widmet und dabei die entsprechenden nationalen und internationalen Leitlinien berücksichtigt.

LanguageDeutsch
PublisherSpringer
Release dateApr 20, 2021
ISBN9783662591987
Epileptische Anfälle und Epilepsien im Erwachsenenalter: Diagnostik und Therapie

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    Book preview

    Epileptische Anfälle und Epilepsien im Erwachsenenalter - F.C. Schmitt

    Book cover of Epileptische Anfälle und Epilepsien im Erwachsenenalter

    Hrsg.

    Friedhelm C. Schmitt, Hermann Stefan und Martin Holtkamp

    Epileptische Anfälle und Epilepsien im Erwachsenenalter

    Diagnostik und Therapie

    1. Aufl. 2020

    ../images/462464_1_De_BookFrontmatter_Figa_HTML.png

    Logo of the publisher

    Hrsg.

    Friedhelm C. Schmitt

    Universitätsklinik für Neurologie, Universitätsklinikum Magdeburg, Magdeburg, Deutschland

    Hermann Stefan

    Neurologische Klinik – Biomagnetismus, Universitätsklinik Erlangen, Erlangen, Deutschland

    Martin Holtkamp

    Epilepsie-Zentrum Berlin-Brandenburg Klinik für Neurologie, Charité – Universitätsmedizin Berlin, Berlin, Deutschland

    ISBN 978-3-662-59197-0e-ISBN 978-3-662-59198-7

    https://doi.org/10.1007/978-3-662-59198-7

    Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://​dnb.​d-nb.​de abrufbar.

    © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020

    Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

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    Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral.

    undefined/iStock.com

    Planung/Lektorat: Christine Lerche

    Springer ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer-Verlag GmbH, DE und ist ein Teil von Springer Nature.

    Die Anschrift der Gesellschaft ist: Heidelberger Platz 3, 14197 Berlin, Germany

    Vorwort

    Einführung

    Das Wissen um epileptische Anfälle und Epilepsien im Erwachsenalter hat sich in den letzten Jahren und Jahrzehnten erheblich erweitert, dem möchten wir mit dem vorliegenden Buch Rechnung tragen.

    Inhalt

    Ein Schwerpunkt ist die Darstellung der vielfältigen diagnostischen Methoden und des großen Spektrums an therapeutischen Möglichkeiten. Zudem werden die neurobiologischen, klinischen und psychosozialen Facetten der Erkrankung diskutiert. Diese umfassen die Grundlagen, die Klassifikation und Terminologie von Anfällen und Epilepsien, die Komorbiditäten sowie rechtliche und prognostische Fragen.

    Kasuistiken

    In einzelnen Kapiteln haben die Autoren die vermittelten Inhalte durch anschauliche Fallbeispiele ergänzt. Darüber hinaus haben wir als Herausgeber vier kapitelübergreifende typische Kasuistiken zu den Themen juvenile myoklonische Epilepsie, mesiale Temporallappenepilepsie, Anfälle und Epilepsie nach Schlaganfall und psychogene nichtepileptische Anfälle erstellt. Teile dieser Kasuistiken sind jeweils einzelnen, thematisch passenden Kapiteln zugeordnet. Sie sind jeweils am Ende des Kapiteltexts zu finden.

    Autoren

    Bei der Mannigfaltigkeit der Inhalte dieses Buchs wurden die Kapitel von unterschiedlichen Autoren mit jeweils ausgewiesener Expertise für die spezifischen Themen erstellt. Uns war es zum einen wichtig, das Fachwissen aus verschiedenen Ländern des deutschsprachigen Raums zu bündeln, zum anderen tragen eine Reihe von jüngeren Autoren zu dem Buch bei.

    Terminologie

    Aus der Vielzahl der Autoren folgt naturgemäß eine gewisse Diversität im Aufbau und im sprachlichen Duktus der einzelnen Kapitel. Wir haben aber als Herausgeber dafür Sorge getragen, dass bei den Fachbegriffen eine einheitliche Terminologie genutzt wird, dies gilt insbesondere für die 2017 von der Internationalen Liga gegen Epilepsie eingeführten neuen Begrifflichkeiten für Anfälle und Epilepsien. Aus Gründen der besseren Lesbarkeit haben wir uns für die Verwendung des generischen Maskulinums entschieden.

    Praktische Hinweise

    In dem Buch finden sich zudem benutzerfreundliche Hinweise für den klinischen Alltag. Diese umfassen die Anwendung elektronischer Medien und eine Aufstellung von Sicherheits- und Hilfsmitteln. Zum Verständnis historischer Hintergründe und spezieller Begrifflichkeiten wird in den Kapiteln an entsprechender Stelle auf ein Glossar verwiesen.

    Danksagung

    Wir möchten uns bei Frau Rebekka Geelhaar vom Epilepsie-Zentrum Berlin-Brandenburg für die effiziente Bearbeitung des Stichwortregisters bedanken.

    Zudem gilt unser Dank Frau Christine Lerche und Frau Anja-Raphaela Herzer vom Springer-Verlag für die organisatorische Betreuung dieses Multi-Autoren-Buchprojekts.

    Friedhelm C. Schmitt

    Hermann Stefan

    Martin Holtkamp

    MagdeburgErlangenBerlin

    Frühjahr 2021

    Inhaltsverzeichnis

    IGrundlagen

    1 Definitionen 3

    Martin Holtkamp und Friedhelm C. Schmitt

    2 Pathophysiologie​ und translationale Tiermodelle 11

    Pawel Fidzinski und Matthias Dipper-Wawra

    3 Epilepsie als Netzwerkerkranku​ng 21

    Hermann Stefan und Friedhelm C. Schmitt

    4 Epidemiologie 29

    Lara Kay und Adam Strzelczyk

    5 Gesundheitsökono​mie 37

    Adam Strzelczyk und Laurent M. Willems

    IIAnfallstypen

    6 Klassifikation und Terminologie von epileptischen Anfällen 47

    Andreas Schulze-Bonhage

    IIIEpilepsie-Syndrome

    7 Klassifikation und Terminologie von Epilepsiearten und -syndromen 57

    Martin Holtkamp

    8 Temporallappenep​ilepsien 61

    Christoph Baumgartner

    9 Frontallappenepi​lepsien 75

    Barbara C. Jobst

    10 Insuläre Epilepsien 85

    Barbara C. Jobst

    11 Parietal- und Okzipitallappene​pilepsien 91

    Hermann Stefan und Rainer Surges

    12 Genetische generalisierte Epilepsien 99

    Bernd Vorderwülbecke und Martin Holtkamp

    13 Epilepsie bei Tuberöser-Sklerose-Komplex 115

    Georgia Ramantani und Sandra P. Toelle

    14 Epileptische Enzephalopathien​ im Erwachsenenalter​ 121

    Frank Kerling und Christophe Rauch

    15 Epilepsie bei hypothalamischen​ Hamartomen 133

    Andreas Schulze-Bonhage

    16 Reflexepilepsien​ 139

    Thomas Mayer und Martin Lutz

    IVÄtiologien

    17 Genetische Epilepsien 147

    Karl Martin Klein und Philipp S. Reif

    18 Strukturelle Epilepsien 159

    Burkhard S. Kasper und Johannes D. Lang

    19 Infektiöse Epilepsien 177

    Martin Holtkamp und Felix Benninger

    20 Autoimmune Anfälle und Epilepsien 185

    Christian G. Bien

    21 Metabolische Epilepsien 197

    Kerstin A. Klotz und Friedhelm C. Schmitt

    22 Epilepsien unbekannter Ätiologie 203

    Friedhelm C. Schmitt

    VDiagnostik

    23 Anamnese und körperlicher Befund 211

    Hermann Stefan und Friedhelm C. Schmitt

    24 Klinische Lateralisations- und Lokalisationszei​chen 219

    Susanne Knake und Katja Menzler

    25 Laboruntersuchun​gen 225

    Christian Tilz und Bernhard J. Steinhoff

    26 Elektroenzephalo​grafie 233

    Jan Rémi und Soheyl Noachtar

    27 Strukturelle Magnetresonanzto​mografie 253

    Susanne Knake und Jörg Wellmer

    28 Neuropsychologie​ 275

    Juri-Alexander Witt und Christoph Helmstaedter

    29 Video-EEG-Monitoring 285

    Friedhelm C. Schmitt, Margitta Seeck, Felix Rosenow und Adam Strzelczyk

    30 Nuklearmedizinis​che Untersuchungen 307

    Tim J. von Oertzen und Robert Pichler

    31 Quellenlokalisat​ion 313

    Stefan Rampp und Markus Gschwind

    32 High-Density-Elektroenzephalo​grafie 321

    Margitta Seeck und Markus Gschwind

    33 Magnetenzephalog​rafie 327

    Stefan Rampp

    34 Funktionelle Magnetresonanzto​mografie 335

    Niels Focke und Silke Klamer

    35 Weitere funktionelle Untersuchung eloquenter Areale 341

    Susanne Knake und Katja Menzler

    36 Apparativ unterstützte Anfallsdetektion​ 349

    Christoph Baumgartner und Johannes P. Koren

    37 Histopathologisc​he Untersuchungen 355

    Ingmar Blümcke

    38 Genetische Diagnostik 375

    Karl Martin Klein und Philipp S. Reif

    VIDifferenzialdiagnosen

    39 Übersicht zu Differenzialdiag​nosen 383

    Hermann Stefan

    40 Synkopen 391

    Mehdi Namdar und Margitta Seeck

    41 Psychogene nicht-epileptische Anfälle 397

    Kirsten Labudda

    42 Migräne 407

    Margitta Seeck

    43 Schlafbezogene Verhaltens- und Bewegungsstörung​en 413

    Pascal Grosse

    VIIPharmakotherapie

    44 Indikationen zur pharmakologische​n Therapie 423

    Martin Holtkamp

    45 Antiepileptika 431

    Bernhard J. Steinhoff

    46 Monotherapie 457

    Martin Holtkamp

    47 Polytherapie 465

    Martin Holtkamp

    48 Konzept Pharmakoresisten​z 471

    Friedhelm C. Schmitt

    49 Beendigung der pharmakologische​n Therapie 479

    Martin Holtkamp

    VIIIEpilepsiechirurgie

    50 Indikationsstell​ung für epilepsiechirurg​ische Eingriffe 487

    Friedhelm C. Schmitt

    51 Resektionen 497

    Christoph Baumgartner

    52 Diskonnektive Verfahren 505

    Georgia Ramantani und Niklaus Krayenbühl

    53 Ablative Verfahren 511

    Friedhelm C. Schmitt und Daniel J. Curry

    54 Neuromodulative Verfahren 523

    Gabriel Möddel und Friedhelm C. Schmitt

    55 Radiochirurgisch​e Verfahren 533

    Burkhard S. Kasper

    IXKomplementäre Therapieverfahren

    56 Ketogene Diäten 539

    Martha Feucht

    57 Komplextherapie 547

    Martin Lutz und Thomas Mayer

    58 Psychoedukation und Psychotherapie 557

    Rosa Michaelis und Markus Reuber

    XEpileptologische Notfälle

    59 Anfallsserien 567

    Tobias Knieß und Friedhelm C. Schmitt

    60 Status epilepticus 573

    Markus Leitinger und Eugen Trinka

    61 Weitere epileptologische​ Notfälle 587

    Friedhelm C. Schmitt

    XIKomorbide Störungen

    62 Psychiatrische Störungen 599

    Christian Hoppe

    63 Somatische Störungen 611

    Felix von Podewils und Bernadette Gaida

    64 Somnologische Störungen 619

    Berthold Voges und Friedhelm C. Schmitt

    XIISpezielle Patientengruppen

    65 Jugendliche und junge Erwachsene 633

    Gerd Kurlemann

    66 Frauen im gebärfähigen Alter 639

    Verena Gaus und Alexander B. Kowski

    67 Ältere Patienten 653

    Hermann Stefan und Hajo Hamer

    68 Patienten mit geistiger Behinderung 663

    Frank Kerling und Christophe Rauch

    XIIIPsychosoziale Aspekte

    69 Genussmittel 673

    Michael Hamerle und Martin Holtkamp

    70 Kraftfahreignung​ 679

    Günter Krämer

    71 Rechtliche Aspekte 687

    Tobias Knieß

    72 Rehabilitation 695

    Tobias Knieß

    73 Berufstätigkeit 701

    Peter Brodisch

    74 Selbsthilfe 709

    Norbert van Kampen

    XIVLangzeit-Prognose

    75 Langzeitprognose​ von Anfällen und Epilepsien 717

    Martin Holtkamp und Felix Benninger

    76 Mortalität 723

    Claudia Granbichler

    77 Langezeitprognos​e pharmakologische​r Therapien 731

    Kerstin A. Klotz und Friedhelm C. Schmitt

    78 Langzeitprognose​ epilepsiechirurg​ischer Verfahren 737

    Katharina Ernst und Friedhelm C. Schmitt

    Serviceteil

    Anhang 746

    Nützliche Apps und Weblinks Johann Phillip Zöllner, Adam Strzelczyk 746

    Sicherheits- und Hilfsmittel für Patienten Thomas Porschen 762

    Verzeichnis der Fälle Friedhelm C.​ Schmitt, Hermann Stefan, Martin Holtkamp 767

    Glossar Günter Krämer 769

    Stichwortverzeic​hnis 779

    Autorenverzeichnis

    Christoph Baumgartner

    Karl Landsteiner Institut für Klinische Epilepsieforschung und Kognitive Neurologie, Wien, Österreich

    Felix Benninger

    Klinik für Neurologie, Rabin Medical Center, Beilinson Hospital, Petach Tikva, Sackler Medizinische Fakultät, Tel Aviv University, Tel Aviv, Israel

    Christian G. Bien

    Universitätsklinik für Epileptologie, Krankenhaus Mara, Epilepsie-Zentrum Bethel, Bielefeld, Deutschland

    Ingmar Blümcke

    Neuropathologisches Institut, Universitätsklinikum Erlangen, Erlangen, Deutschland

    Peter Brodisch

    Epilepsieberatung, München, Deutschland

    Daniel J. Curry

    Baylor College of Medicine, Texas Children Hospital, Houston, United States

    Matthias Dipper-Wawra

    Epilepsie-Zentrum Berlin-Brandenburg, Klinik für Neurologie, Charité – Universitätsmedizin Berlin, Berlin, Deutschland

    Katharina Ernst

    Neurologische Klinik der Ludwig-Maximilian-Universität, Epilepsiezentrum München, München, Deutschland

    Martha Feucht

    Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde, Wien, Deutschland

    Pawel Fidzinski

    Epilepsie-Zentrum Berlin-Brandenburg, Klinik für Neurologie, Charité – Universitätsmedizin Berlin, Berlin, Deutschland

    Niels Focke

    Klinik für klinische Neurophysiologie, Universitätsmedizin Göttingen, Göttingen, Deutschland

    Bernadette Gaida

    Universitätsmedizin Greifswald – Klinik für Neurologie, Greifswald, Deutschland

    Verena Gaus

    Epilepsie-Zentrum Berlin-Brandenburg, Klinik für Neurologie, Charité – Universitätsmedizin Berlin, Berlin, Deutschland

    Claudia Granbichler

    Department of Neurology, Meir Medical Center, Kfar Saba, Israel

    Pascal Grosse

    Klinik für Neurologie, Charité – Universitätsmedizin Berlin, Berlin, Deutschland

    Markus Gschwind

    Kantonsspital Aarau, Neurozentrum im Haus 4, Aarau, Schweiz

    Hajo Hamer

    Neurologische Klinik, Universitätsklinikum Erlangen, Epilepsiezentrum, Erlangen, Deutschland

    Michael Hamerle

    Universitätsklinikum Regensburg, Innere Medizin II, Regensburg, Deutschland

    Christoph Helmstaedter

    Klinik und Poliklinik für Epileptologie, Universitätsklinikum Bonn, Bonn, Deutschland

    Martin Holtkamp

    Epilepsie-Zentrum Berlin-Brandenburg, Klinik für Neurologie, Charité – Universitätsmedizin Berlin, Berlin, Deutschland

    Christian Hoppe

    Klinik und Poliklinik für Epileptologie, Universitätsklinikum Bonn, Bonn, Deutschland

    Barbara C. Jobst

    Dartmouth-Hitchcock Medical Center and Geisel School of Medicine at Dartmouth, Lebanon, USA

    Norbert van Kampen

    Epilepsie-Zentrum Berlin-Brandenburg, Institut für Diagnostik der Epilepsien gGmbH, Berlin, Deutschland

    Burkhard S. Kasper

    Neurologische Universitätsklinik Erlangen, Epilepsiezentrum, Erlangen, Deutschland

    Lara Kay

    Epilepsiezentrum Frankfurt Rhein-Main, Zentrum der Neurologie und Neurochirurgie, Goethe-Universität Frankfurt, Frankfurt am Main, Deutschland

    Frank Kerling

    Epilepsiezentrum Rummelsberg, Sana-Krankenhaus Rummelsberg, Nürnberg, Deutschland

    Silke Klamer

    Abteilung Neurologie mit Schwerpunkt Epileptologie, Universitätsklinik und Hertie Institut für klinische Hirnforschung, Tübingen, Deutschland

    Karl Martin Klein

    Department of Clinical Neurosciences, Medical Genetics and Community Health Sciences, Cumming School of Medicine, Hotchkiss Brain Institute & Alberta Children’s Hospital Research Institute, Calgary, Kanada

    Epilepsiezentrum Frankfurt Rhein-Main, Zentrum der Neurologie und Neurochirurgie, Goethe-Universität Frankfurt, Frankfurt am Main, Deutschland

    Kerstin A. Klotz

    Epilepsiezentrum Freiburg, Sektion Epilepsiediagnostik im Kindes- und Jugendalter der Universitätsklinik Freiburg, Freiburg, Deutschland

    Susanne Knake

    Epilepsiezentrum Hessen, Klinik für Neurologie, Universitätsklinikum Marburg, Marburg, Deutschland

    Tobias Knieß

    Klinik für Neurologische Rehabilitation Rhön-Klinikum AG Campus Bad Neustadt, Bad Neustadt a.d. Saale, Deutschland

    Johannes P. Koren

    Neurologische Abteilung, Klinik Hietzing, Wien, Österreich

    Karl Landsteiner Institut für Klinische Epilepsieforschung und Kognitive Neurologie, Wien, Österreich

    Alexander B. Kowski

    Epilepsie-Zentrum Berlin-Brandenburg Klinik für Neurologie, Charité – Universitätsmedizin Berlin, Berlin, Deutschland

    Niklaus Krayenbühl

    Klinik für Neurochirurgie, Universitäts Spital Zürich, Zürich, Schweiz

    Günter Krämer

    Neurozentrum Bellevue, Zürich, Schweiz

    Gerd Kurlemann

    Bonifatius Hospital Lingen, Kinderklinik, Lingen, Deutschland

    Kirsten Labudda

    Klinische Neuropsychologie mit Schwerpunkt Epilepsieforschung, Universität Bielefeld, Bielefeld, Deutschland

    Johannes D. Lang

    Neurologische Universitätsklinik Erlangen, Epilepsiezentrum, Erlangen, Deutschland

    Markus Leitinger

    Universitätsklinik für Neurologie Christian-Doppler-Klinik – Paracelsus Medizinische Universität, Salzburg, Österreich

    Martin Lutz

    Epilepsiezentrum Kleinwachau gGmbH, Radeberg, Deutschland

    Thomas Mayer

    Epilepsiezentrum Kleinwachau gGmbH, Radeberg, Deutschland

    Katja Menzler

    Universitätsklinik Gießen und Marburg, Epilepsiezentrum Hessen (EZH), Marburg, Deutschland

    Rosa Michaelis

    Abteilung für Neurologie, Gemeinschaftskrankenhaus Herdecke, Universität Witten-Herdecke, Herdecke, Deutschland

    Gabriel Möddel

    Universitätsklinik Münster – Klinik für Neurologie, Münster, Deutschland

    Mehdi Namdar

    Service de Cardiologie, Hôpitaux Universitaires de Genève, Genf, Schweiz

    Soheyl Noachtar

    Epilepsiezentrum, Neurologische Klinik und Poliklinik, Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität München, München, Deutschland

    Robert Pichler

    Kepler Universitätsklinikum, Linz, Österreich

    Thomas Porschen

    Landesverband für Epilepsie-Selbsthilfe, Nordrhein-Westfalen e.V., Köln, Deutschland

    Thomas Porschen

    Landesverband für Epilepsie-Selbsthilfe, Nordrhein-Westfalen e.V., Köln, Deutschland

    Georgia Ramantani

    Universitäts-Kinderspital Zürich, Zürich, Schweiz

    Stefan Rampp

    Neurochirurgische Klinik, Universitätsklinikum Erlangen, Erlangen, Deutschland

    Christophe Rauch

    Epilepsiezentrum Rummelsberg, Sana-Krankenhaus Rummelsberg, Nürnberg, Deutschland

    Philipp S. Reif

    Epilepsiezentrum Frankfurt Rhein-Main, Zentrum der Neurologie und Neurochirurgie, Goethe-Universität Frankfurt, Frankfurt am Main, Deutschland

    Jan Rémi

    Epilepsiezentrum, Neurologische Klinik und Poliklinik, Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität München, München, Deutschland

    Markus Reuber

    Academic Neurology Unit, University of Sheffield, Royal Hallamshire Hospital, Sheffield, Großbritannien

    Felix Rosenow

    Epilepsiezentrum Frankfurt Rhein-Main, Zentrum der Neurologie und Neurochirurgie, Goethe-Universität Frankfurt, Frankfurt am Main, Deutschland

    Friedhelm C. Schmitt

    Universitätsklinik für Neurologie, Universitätsklinikum Magdeburg, Magdeburg, Deutschland

    Andreas Schulze-Bonhage

    Epilepsiezentrum, Universitätsklinikum Freiburg – Neurozentrum, Freiburg i. Breisgau, Deutschland

    Margitta Seeck

    Service de Neurologie, Hôpitaux Universitaires de Genève, Genève, Schweiz

    Hermann Stefan

    Neurologische Klinik-Biomagnetismus, Universitätsklinik Erlangen, Erlangen, Deutschland

    Bernhard J. Steinhoff

    Epilepsiezentrum Kork, Kork, Deutschland

    Adam Strzelczyk

    Epilepsiezentrum Frankfurt Rhein-Main, Zentrum der Neurologie und Neurochirurgie, Goethe-Universität Frankfurt, Frankfurt am Main, Deutschland

    Rainer Surges

    Klinik und Poliklinik für Epileptologie, Universitätsklinikum Bonn, Bonn, Deutschland

    Christian Tilz

    Krankenhaus Barmherzige Brüder Regensburg, Regensburg, Deutschland

    Sandra P. Toelle

    Universitäts-Kinderspital Zürich, Zürich, Schweiz

    Eugen Trinka

    Universitätsklinik für Neurologie Christian-Doppler-Klinik – Paracelsus Medizinische Universität, Salzburg, Österreich

    Berthold Voges

    Epilepsiezentrum Hamburg, Evangelisches Krankenhaus Alsterdorf, Hamburg, Deutschland

    Tim J. von Oertzen

    Kepler Universitätsklinikum, Linz, Österreich

    Felix von Podewils

    Universitätsmedizin Greifswald – Klinik für Neurologie, Greifswald, Deutschland

    Bernd Vorderwülbecke

    Epilepsie-Zentrum Berlin-Brandenburg, Klinik für Neurologie, Charité – Universitätsmedizin Berlin, Berlin, Deutschland

    Jörg Wellmer

    Ruhr-Epileptologie, Klinik für Neurologie, Universitätsklinikum Knappschaftskrankenhaus, Bochum, Deutschland

    Laurent M. Willems

    Epilepsiezentrum Frankfurt Rhein-Main, Zentrum der Neurologie und Neurochirurgie, Goethe-Universität Frankfurt, Frankfurt am Main, Deutschland

    Juri-Alexander Witt

    Klinik und Poliklinik für Epileptologie, Universitätsklinikum Bonn, Bonn, Deutschland

    Johann P. Zöllner

    Epilepsiezentrum Frankfurt Rhein-Main, Zentrum der Neurologie und Neurochirurgie, Goethe-Universität Frankfurt, Frankfurt am Main, Deutschland

    Johann P. Zöllner

    Epilepsiezentrum Frankfurt Rhein-Main, Zentrum der Neurologie und Neurochirurgie, Goethe-Universität Frankfurt, Frankfurt am Main, Deutschland

    Teil IGrundlagen

    Inhaltsverzeichnis

    1 Definitionen 3

    Martin Holtkamp und Friedhelm C. Schmitt

    2 Pathophysiologie​ und translationale Tiermodelle 11

    Pawel Fidzinski und Matthias Dipper-Wawra

    3 Epilepsie als Netzwerkerkranku​ng 21

    Hermann Stefan und Friedhelm C. Schmitt

    4 Epidemiologie 29

    Lara Kay und Adam Strzelczyk

    5 Gesundheitsökono​mie 37

    Adam Strzelczyk und Laurent M. Willems

    © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020

    F. Schmitt et al. (Hrsg.)Epileptische Anfälle und Epilepsien im Erwachsenenalterhttps://doi.org/10.1007/978-3-662-59198-7_1

    1. Definitionen

    Martin Holtkamp¹   und Friedhelm C. Schmitt²

    (1)

    Epilepsie-Zentrum Berlin-Brandenburg, Klinik für Neurologie, Charité – Universitätsmedizin, Berlin, Deutschland

    (2)

    Klinik für Neurologie, Universitätsklinikum Magdeburg, Magdeburg, Deutschland

    Martin Holtkamp

    Email: martin.holtkamp@charite.de

    1.1 Einführung

    1.2 Epileptischer Anfall

    1.2.1 Akut symptomatischer vs. unprovozierter Anfall

    1.2.2 Dauer eines epileptischen Anfalls

    1.3 Epilepsien

    1.4 Zusammenfassung

    Literatur

    1.1 Einführung

    In der Neurologie unterscheiden wir üblicherweise drei diagnostische Ebenen: Symptom, Syndrom und Erkrankung. Eine unilaterale Parese an der oberen und unteren Extremität, eine unilaterale spastische Tonuserhöhung und unilaterale unerschöpfliche Fußkloni sind jeweils einzelne Symptome, die zusammengefasst das Syndrom einer unilateralen spastischen Hemiparese anzeigen. Weiterführende Untersuchungen (Bildgebung, Liquoruntersuchung, elektrophysiologische Untersuchungen etc.) sollen die Ursache des Syndroms klären. Letztlich kann die spastische Hemiparese auf einen ischämischen Schlaganfall, eine Multiple Sklerose, einen Hirntumor und anderes zurückzuführen sein.

    Ähnlich, aber nicht identisch verhält es sich in der Epileptologie. Der epileptische Anfall ist ein Symptom, schon auf dieser Ebene wird ätiologisch dichotom in einen akut symptomatischen und einen unprovozierten Anfall unterschieden. Nur ein unprovozierter Anfall kann zur Diagnose einer Epilepsie führen, dies setzt ein signifikant erhöhtes Rezidivrisiko (mehr als 60 % in den folgenden zehn Jahren) voraus. Die Epilepsien werden zunächst in verschiedene Arten eingeteilt (z. B. fokale oder generalisierte Epilepsie; Abb. 1.1; Scheffer et al. 2018).

    ../images/462464_1_De_1_Chapter/462464_1_De_1_Fig1_HTML.png

    Abb. 1.1

    Stratifizierung nach einem ersten Anfall. Differenzialdiagnostisch müssen von einem epileptischen Anfall zunächst insbesondere Synkopen und psychogene nicht-epileptische Anfälle (PNEA) abgegrenzt werden. Ein epileptischer Anfall ist entweder akut symptomatischer Genese oder unprovoziert. In Abhängigkeit von der Wahrscheinlichkeit weiterer unprovozierter Anfälle ist der Anfall als isoliert unprovoziert (geringes Risiko, angezeigt durch ein nicht richtungsweisendes EEG und cMRT) oder bereits als Epilepsie (Risiko über 60 % in den nächsten zehn Jahren, angezeigt durch interiktale epileptiforme Muster im EEG oder eine epileptogene Läsion im cMRT). Im Fall des Vorliegens einer Epilepsie bereits nach dem ersten unprovozierten Anfall kann die Epilepsieart in Abhängigkeit von der Anfallssemiologie und gegebenfalls des interiktalen oder iktalen EEG fokal, generalisiert, kombiniert generalisiert-fokal (nicht dargestellt, sehr selten) oder unklassifiziert sein.

    Fokale und generalisierte Epilepsien

    1.

    Fokale Epilepsien sind durch fokal, d. h. in einer Hirnhemisphäre, beginnende Anfälle gekennzeichnet.

    2.

    Generalisierte Epilepsien sind durch generalisiert, d. h. zeitgleich in beiden Hirnhemisphären, beginnende Anfälle gekennzeichnet.

    Häufig kann die Epilepsieart unter Berücksichtigung von Anfallssemiologie, Alter bei Beginn der Epilepsie sowie dem interiktalen und gegebenenfalls iktalen EEG-Befund (in der Zusammenschau auch elektroklinische Daten genannt) einem spezifischen Epilepsiesyndrom zugeordnet werden. Bei fokalen Epilepsien kann dies z. B. eine mesiale Temporallappenepilepsie und bei generalisierten Epilepsien eine juvenile myoklonische Epilepsie sein (s. Kap. 7: Klassifikation und Terminologie von Epilepsiearten und -syndromen). Zur Ebene der Epilepsieart oder des Epilepsiesyndroms kommt dann – analog der allgemeinen Neurologie – die ätiologische Ebene hinzu. Bildgebende Untersuchungen des Gehirns, Serum- und Liquoruntersuchungen und gegebenenfalls Genetik sollen klären, ob es sich um eine strukturelle, infektiöse, autoimmunvermittelte, metabolische, genetische oder ätiologisch unbekannte Epilepsie handelt.

    Im Folgenden sollen alle hier genannten Ebenen auf der Basis der Definitionen der Internationalen Liga gegen Epilepsie (ILAE) vorgestellt werden.

    1.2 Epileptischer Anfall

    Ein epileptischer Anfall ist definiert als das transiente Auftreten von objektivierbaren klinischen Zeichen und/oder rein subjektiv wahrgenommenen Symptomen jeweils auf der Basis einer abnormen exzessiven oder synchronisierten neuronalen Aktivität im Gehirn (Fisher et al. 2014). Die klinischen Zeichen betreffen das Verhalten, dies umfasst die Sphären Motorik, Sprache und Bewusstheit („awareness"). Die subjektiven Symptome beinhalten auditorische, gustatorische, olfaktorische, somatosensorische, visuelle etc. Wahrnehmungen, aber auch kurze psychische oder kognitive Alterationen wie ein Angstgefühl oder ein Déjà-vu. All diese Symptome werden von dem Patienten bewusst erlebt, somit kann er diese im Nachhinein auch – mehr oder weniger detailliert – berichten. Diese subjektiven Symptome waren früher mit dem Begriff Aura belegt. Seit Einführung der neuen Klassifikation und Terminologie von epileptischen Anfällen und Epilepsien durch die Internationale Liga gegen Epilepsie im Jahr 2017 werden Auren unter fokalen, bewusst erlebten Anfällen subsummiert (Fisher et al. 2018; Scheffer et al. 2018) (s. Kap. 6: Klassifikation und Terminologie von epileptischen Anfällen).

    Die wichtigste Frage bei einem – vermeintlichen – epileptischen Anfall ist, ob es sich tatsächlich um einen epileptischen Anfall gehandelt hat (Abb. 1.1). Die beiden häufigsten differenzialdiagnostischen Entitäten sind psychogen nicht-epileptische Anfälle und Synkopen. Weitere Details zu Differenzialdiagnosen eines epileptischen Anfalls werden im s. Kap. 23 (Anamnese und körperliche Untersuchung) und den s. Kap. 39–43 (unterschiedliche Differenzialdiagnosen) besprochen.

    1.2.1 Akut symptomatischer vs. unprovozierter Anfall

    Wenn es sicher ist, dass ein erster Anfall epileptischer Genese war, stellt sich im zweiten Schritt die Frage, ob es sich um einen akut symptomatischen oder um einen unprovozierten Anfall gehandelt hat. Von allen ersten epileptischen Anfällen sind 25–40 % akut symptomatischer Genese. Es ist in Notfallsituationen und Rettungsstellen wichtig, rasch zu erkennen, ob ein epileptischer Anfall auf eine akut zugrunde liegende Störung oder Erkrankung zurückzuführen ist, da diese selbst oft einer weiterführenden Diagnostik oder Therapie bedarf. Zudem hat bei erworbenen Hirnläsionen die Differenzierung in akut symptomatische und unprovozierte Anfälle prognostische Relevanz (Abb. 1.2), was wiederum Einfluss auf die Indikation zu einer längerfristigen antiepileptischen Therapie hat (s. Kap. 75: Langzeitprognose von Anfällen und Epilepsien).

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    Abb. 1.2

    Langfristiges Risiko für weitere unprovozierte Anfälle nach einem ersten akut symptomatischen oder nach einem ersten unprovozierten epileptischen Anfall. Sowohl nach Schlaganfall, nach Schädel-Hirn-Trauma als auch nach ZNS-Infektion ist das langfristige Rezidivrisiko (zehn Jahre) für Anfälle nach einem ersten akut symptomatischen Anfall signifikant niedriger als nach einem ersten unprovozierten Anfall. Die gestrichelte Linie zeigt ein Rezidivrisiko von über 60 % und somit definitionsgemäß eine Epilepsie an. Unter Berücksichtigung der unteren Grenzen der Konfidenzintervalle liegt in dieser retrospektiven Studie das Wiederholungsrisiko nur nach einem unprovozierten Anfall nach Schlaganfall bei etwa 60 %

    (Nach: Hesdorffer et al. 2009).

    Bei etwa jedem dritten Patienten mit einem ersten epileptischen Anfall ist dieser Symptom und somit Marker einer akuten zugrunde liegenden systemischen Störung oder Hirnerkrankung.

    Ein epileptischer Anfall ist als akut symptomatisch definiert, wenn er – in der Regel bei Patienten ohne vorbestehende Epilepsie – in engem zeitlichen oder somit oft kausalen Zusammenhang mit einer prokonvulsiven systemischen Störung oder einer akuten Hirnerkrankung aufgetreten ist (Beghi et al. 2010). Systemische Veränderungen umfassen metabolische Derangierungen (z. B. Hypoglykämie oder Hyponatriämie), erhöhte Körperkerntemperatur, Entzug von neuronal inhibierenden Substanzen (wie Alkohol oder Benzodiazepine) und Einnahme von potenziell prokonvulsiv wirkenden Medikamenten gegebenenfalls in Überdosierung (z. B. Penicillin-Derivate oder Theophyllin) bzw. Drogen (z. B. Amphetamine). Akute Hirnerkrankungen umfassen das Spektrum der Schlaganfälle, Meningitiden und Enzephalitiden, Schädel-Hirn-Traumata und neurochirurgische Eingriffe. Details zu den von der ILAE definierten Latenzen für die Zuordnung zu einer akut symptomatischen Genese zwischen Beginn der systemischen Störung bzw. der akuten Hirnerkrankung und Manifestation des epileptischen Anfalls sind in Tab. 1.1 dargestellt. Im deutschsprachigen Raum wird mitunter der Begriff Immediatanfall benutzt. Dieser beschreibt einen epileptischen Anfall, der zeitgleich mit einer akuten Hirnerkrankung, wie einem embolischen, kortikalen Infarkt, auftritt. International ist dieses Phänomen nicht gesondert definiert, sondern wird unter akut symptomatischer Anfall subsummiert.

    Tab. 1.1

    Akut symptomatische Anfälle: Latenz nach systemischer Störung oder erworbener Hirnschädigung

    *Natrium im Serum <115 mmol/l, Glucose im Serum <36 mg/dl bzw. 2 mmol/l; ZNS zentrales Nervensystem

    (Nach: Beghi et al. 2010)

    Früher wurden synonym für den Terminus akut symptomatischer Anfall Begriffe wie Gelegenheitsanfall oder – in Analogie zu dem unten dargestellten unprovozierten Anfall – provozierter Anfall benutzt. Dies hat jedoch zu Missverständnissen geführt, diese Begriffe sollten nicht mehr verwendet werden. Unter Gelegenheitsanfall kann man Anfälle verstehen, die bei bestimmten Gelegenheiten auftreten, man kann darunter aber auch Anfälle verstehen, die gelegentlich (also selten) auftreten. Den Begriff provozierter Anfall – wenn akut symptomatischer Anfall gemeint ist – sollte man vermeiden, da es durchaus Provokationsfaktoren gibt, die bei einer bestehenden Epilepsie das Auftreten eines epileptischen Anfalls begünstigen. Um auch hier Missverständnisse zu vermeiden, sollte man statt Provokationsfaktor Begriffe wie Triggerfaktor oder Auslösefaktor verwenden, zumal letztlich unprovozierte Anfälle begünstigt werden. Ein klassisches Beispiel ist hier der Schlafentzug, der bei bestimmten Syndromen der genetischen generalisierten Epilepsien das Auftreten von unprovozierten Anfällen wahrscheinlicher machen kann. Bei Menschen, die keine erhöhte Neigung für die Generierung epileptischer Anfälle (im folgenden Prädisposition genannt) haben, sollte ein Schlafentzug aber nicht zu einem epileptischen Anfall führen, somit kann Schlafentzug nicht Ursache eines akut symptomatischen Anfalls sein. Epileptische Anfälle nach Schlafentzug deuten fast immer auf einen unprovozierten Anfall und damit möglicherweise auf eine Epilepsie. Weitere Auslösefaktoren unprovozierter Anfälle sind in der Übersicht dargestellt.

    Beispiele für Auslöse- oder Triggerfaktoren unprovozierter Anfälle

    Stroboskope etc. bei fotosensiblen Epilepsien (ein äußerer sensorischer Reiz führt zu einem epileptischen Anfall; s. Kap. 16: Reflexepilepsien)

    Mensis (sog. katameniale Bindung von Anfällen; s. Kap. 66: Frauen im gebärfähigen Alter)

    Fieber (sehr selten bei einem gesunden, d. h. nicht für epileptische Anfälle prädisponierten Gehirn Erwachsener)

    Prokonvulsiv wirkendes Medikament (z. B. bestimmte Antibiotika oder Neuroleptika in hohen Dosierungen)

    Nichtadhärenz bezüglich der Einnahme von Antiepileptika

    Schlafentzug (überwiegend bei genetischen generalisierten Epilepsien)

    Starke psychische Belastung (eine klinische Beobachtung, die aber schwer nachzuweisen ist; in der Regel wahrscheinlich als Auslösefaktor überschätzt)

    Hervorzuheben ist, dass einige der Triggerfaktoren für unprovozierte Anfälle auch Ursache für akut symptomatische Anfälle sein können (z. B. prokonvulsiv wirkende Substanzen).

    Alle epileptischen Anfälle, die nicht akut symptomatischer Genese sind, gelten definitionsgemäß als unprovozierte Anfälle (Abb. 1.1). Dies schließt Reflexanfälle ein, d. h. Anfälle, die als Reaktion auf einen definierten äußeren Reiz, wie visuelle Stimuli durch ein Stroboskop, ausgelöst werden (s. Kap. 16: Reflexepilepsien). Die Diagnose einer Epilepsie kann nur bei Auftreten mindestens eines unprovozierten Anfalls gestellt werden. Auch wenn Patienten mehrfach akut symptomatische Anfälle hatten, besteht bei ihnen definitionsgemäß keine Epilepsie. Ist ein erster unprovozierter Anfall nicht mit einem deutlich erhöhten Risiko für weitere Anfälle assoziiert (EEG und cMRT ohne richtungsweisenden Befund), sprechen wir von einem isolierten unprovozierten Anfall. Diese Unterscheidungen sind auch von hoher sozialmedizinischer Relevanz, da ihr Ergebnis Einfluss auf die Dauer des Fahrverbots (s. Kap. 70: Kraftfahreignung) und gegebenenfalls auf berufliche Einschränkungen (s. Kap. 73: Berufstätigkeit) hat.

    Die Diagnose einer Epilepsie setzt mindestens einen unprovozierten Anfall voraus, auch mehrere akut symptomatische Anfälle definieren keine Epilepsie.

    1.2.2 Dauer eines epileptischen Anfalls

    Mithilfe des Video-EEG-Monitorings lässt sich die Dauer eines epileptischen Anfalls sehr exakt bestimmen. So dauern einer Studie mit 150 Patienten zufolge fokale nicht-bewusst erlebte Anfälle im Median gut eine Minute, während fokal zu bilateral tonisch-klonische Anfälle im Median gut zwei Minuten dauern; beide Anfallstypen halten nie mehr als fünf Minuten an (Jenssen et al. 2006). Von selbstlimitierenden epileptischen Anfällen ist ein Status epilepticus abzugrenzen. Nach der aktuellen Definition der ILAE liegt dieser bei einem bilateral tonisch-klonischen Anfall nach fünf Minuten und bei einem fokalen nicht-bewusst erlebten Anfall nach zehn Minuten vor (Trinka et al. 2015; s. Kap. 60: Status epilepticus).

    1.3 Epilepsien

    Die konzeptuelle Definition der ILAE beschreibt die Epilepsie als Hirnerkrankung, die durch eine anhaltende Prädisposition, epileptische Anfälle zu generieren, und durch deren neurobiologische, kognitive, psychologische und soziale Folgen charakterisiert ist (Fisher et al. 2014). Auf der operationalen Ebene liegt eine Epilepsie definitionsgemäß vor, wenn eine der in der folgenden Übersicht beschriebenen Konstellationen vorliegt.

    Operationale Definition einer Epilepsie (Fisher et al. 2014)

    1.

    Mindestens zwei unprovozierte (oder Reflex-)Anfälle mit einem Abstand von mehr als 24 h

    2.

    Ein unprovozierter (oder Reflex-)Anfall und die damit verbundene Wahrscheinlichkeit für weitere Anfälle, die gleich hoch ist wie das Rezidivrisiko nach zwei unprovozierten Anfällen, die mindestens 60 % in den nächsten zehn Jahren beträgt

    3.

    Vorliegen eines klar definierten Epilepsiesyndroms

    Dass zwei unprovozierte Anfälle eine Epilepsie definieren, gilt schon seit Jahrzehnten. Dass bei Vorliegen eines Epilepsiesyndroms die Diagnose einer Epilepsie gestellt wird, ist selbsterklärend. Neu an dieser Definition ist, dass die Diagnose einer Epilepsie schon nach einem unprovozierten Anfall gestellt wird, wenn ein entsprechend hohes Rezidivrisiko nachgewiesen werden kann. Aber wie kann diese hohe Wahrscheinlichkeit für erneute unprovozierte Anfälle nachgewiesen werden?

    Epilepsie ist definiert als das signifikant erhöhte Risiko für weitere unprovozierte Anfälle.

    Die einzige Ätiologie, für die ein Anfallsrezidivrisiko in den nächsten zehn Jahren von mehr als 60 % aufgezeigt werden konnte, ist der Schlaganfall. Retrospektiv konnte demonstriert werden, dass nach einem unprovozierten Anfall nach Schlaganfall das Rezidivrisiko über 70 % beträgt, nach ZNS-Infektion lag dies bei etwa 65 % (untere Grenze des Konfidenzintervalls unter 60 %) und nach Schädel-Hirn-Trauma bei knapp unter 50 % (Abb. 1.2; Hesdorffer et al. 2009). Weitere Daten für das Risiko eines weiteren unprovozierten Anfalls in Abhängigkeit der Ätiologie liegen nicht vor. Streng genommen, darf also nach einem Schädel-Hirn-Trauma und bei einer Reihe anderer angeborener oder erworbener Läsionen als Ursache des ersten unprovozierten Anfalls die Diagnose Epilepsie nicht gestellt werden. Dies ist aber weder sachgerecht noch im Alltag praktikabel. Es ist allgemein üblich, dass der Nachweis interiktaler epileptiformer Muster im EEG oder der Nachweis einer epileptogenen Läsion im cMRT anzeigt, dass bereits nach einem unprovozierten Anfall ein signifikant erhöhtes Rezidivrisiko und somit eine Epilepsie bestehen.

    Epileptogene Läsion

    1.

    Neuroradiologisch festgestellte Läsionen sind potenziell epileptogen, wenn sie archi- oder neokortikale Strukturen direkt oder indirekt (juxtakortikal) involvieren.

    2.

    Als nicht-epileptogen werden infratentorielle oder tief im Marklager lokalisierte Läsionen angesehen; zudem gelten Arachnoidalzysten ohne relevante Druckwirkung auf kortikale Strukturen nicht als epileptogen.

    In der aktuellen Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie zu epileptischen Anfällen und Epilepsien wird auf diese Problematik der – mangels belastbarer Daten – häufigen Nichtnachweisbarkeit einer signifikant erhöhten Epileptogenität nach erstem Anfall hingewiesen. Pragmatisch wird aber empfohlen, dass bereits nach einem unprovozierten Anfall und Nachweis von interiktalen epileptiformen Mustern im EEG oder epileptogenen cMRT-Veränderungen ein Antiepileptikum, das für den jeweiligen Anfallstyp und somit die Epilepsieart (fokal vs. generalisiert) geeignet ist, gegeben werden soll (Elger und Berkenfeld 2017).

    Kann eine Epilepsie ausheilen? In der Definition der ILAE heißt es vorsichtiger formuliert aufgelöst oder überwunden („resolved").

    Eine Epilepsie gilt als überwunden (Fisher et al. 2014) bei

    altersabhängigem Epilepsiesyndrom (z. B. fokale Epilepsie mit zentrotemporalen Spikes) und einem aktuellen Alter jenseits dessen

    Anfallsfreiheit in den letzten zehn Jahren und keiner Einnahme von Antiepileptika in den letzten fünf Jahren

    1.4 Zusammenfassung

    Ein epileptischer Anfall ist klinisch durch eine vorübergehende Änderung der Wahrnehmung und/oder des Verhaltens charakterisiert; die pathophysiologische Grundlage ist eine paroxysmal auftretende, synchronisierte neuronale Entladungsaktivität. Ein epileptischer Anfall ist akut symptomatischer Genese, wenn er in engem zeitlichen und kausalen Zusammenhang mit einer prokonvulsiven systemischen Störung oder einer akuten Hirnläsion auftritt. Alles andere sind unprovozierte Anfälle. Bei unauffälligem EEG und cMRT besteht kein relevant erhöhtes Rezidivrisiko, dies ist ein isolierter unprovozierter Anfall. Bei Nachweis interiktaler epileptiformer Muster im EEG oder einer epileptogenen Läsion im cMRT ist das Wiederholungsrisiko signifikant erhöht, hier wird die Diagnose einer Epilepsie gestellt. Die korrekte Zuordnung des ersten Anfalls zu einem akut symptomatischen oder einem isolierten unprovozierten Anfall bzw. bereits zu einer Epilepsie ist wichtig für die Frage nach Beginn einer antiepileptischen Therapie und nach der Dauer des Fahrverbots.

    Kapitelübergreifender Fall III

    75-jähriger Rentner mit Anfällen und Epilepsie nach Schlaganfall

    Der Patient erleidet im Alter von 74 Jahren eine zerebrale Ischämie im anterioren Stromgebiet der Arteria cerebri media rechts. Ätiologisch kann der Schlaganfall auf ein Vorhofflimmern zurückgeführt werden. Initial besteht eine mittelschwere brachiofazial betonte Hemiparese links, die sich bei Verlegung in die Rehabilitationsklinik sieben Tage nach Beginn der Symptomatik schon deutlich zurückbildet.

    Zwei Tage nach dem Schlaganfall kommt es bei dem Patienten auf der Stroke Unit zu einem ersten epileptischen Anfall, der vom Pflegepersonal beobachtet werden kann. Zu Beginn tritt eine tonische Versteifung des linken Arms auf, diese geht nach wenigen Sekunden in Kloni über, die sich dann rasch innerhalb der nächsten zehn Sekunden auf die gesamte linke Körperseite und nach weiteren zehn Sekunden auch auf die rechte Körperseite ausdehnen. Der Anfall dauert insgesamt etwa 90 s, postiktal ist der Patient desorientiert, er ist erst nach weiteren 30 min wieder voll reagibel. Semiologisch ist dies ein fokaler zu bilateral tonisch-klonischer Anfall. Der klinische Beginn mit einer tonischen Haltung des linken Arms spricht für einen Anfallsursprung im rechten Gyrus praecentralis, der Teil des infarzierten Hirnareals ist. Der Anfall ist innerhalb von sieben Tagen nach dem Schlaganfall aufgetreten; man spricht dann definitionsgemäß von einem akut symptomatischen Anfall. Aus Sorge vor einem weiteren Anfall in der akuten Phase nach dem Schlaganfall wird bei dem Patienten auf der Stroke Unit eine antiepileptische Therapie mit Levetiracetam in einer Dosis von 1000 mg täglich begonnen. Auch wenn das kurzfristige Risiko für einen weiteren akut symptomatischen Anfall nach Schlaganfall nur bei 10–20 % liegt, so ist dieses Vorgehen im klinischen Alltag gängige Praxis. Bei Verlegung in die Rehabilitationsklinik wird empfohlen, im Lauf der nächsten Wochen Levetiracetam wieder abzusetzen, da das langfristige Risiko für einen weiteren – dann unprovozierten – Anfall nur bei gut 30 % liegt. Ein akut symptomatischer Anfall und sogar mehrere akut symptomatische Anfälle erfüllen nie die Kriterien zur Diagnose einer Epilepsie; diese setzt mindestens einen unprovozierten Anfall voraus.

    In der Rehabilitationsklinik wird Levetiracetam dann schrittweise abgesetzt, der Patient wird nach vier Wochen mit nur noch einer leichten Ungeschicklichkeit der linken Hand nach Hause entlassen.

    Etwa ein Jahr später wird der Patient von seiner Ehefrau bewusstlos auf dem Boden des Wohnzimmers liegend aufgefunden, die Augen sind geschlossen, der Patient hyperventiliert. Wenige Minuten später kommt der Notarzt, erst in der Rettungsstelle des Krankenhauses setzt die Erinnerung des Patienten wieder ein. Gegenüber dem Arzt kann er keinerlei Angaben machen, wie es zu der Bewusstlosigkeit gekommen war, er habe auf dem Sofa sitzend ferngesehen, dann brach die Erinnerung ab. Bei der körperlichen Untersuchung findet sich ein lateraler Zungenbiss rechts, zudem besteht eine ausgeprägte Schwäche der linken Körperseite, die sich bis zum nächsten Morgen zurückgebildet. Am Tag nach dem Anfall verspürt der Patient einen starken Muskelkater aller Extremitäten. Ein akut durchgeführtes Schädel-CT zeigt eine ältere Infarktnarbe im anterioren Stromgebiet der A. cerebri media rechts. Auf Basis dieser Stigmata und der prolongierten Reorientierungszeit wird die Bewusstlosigkeit einem bilateral tonisch-klonischen Anfall zugeordnet. Bei der transienten Hemiparese links handelt es sich um eine Todd’sche Parese, diese zeigt einen rechts-hemisphäriellen Anfallsursprung an. Die Ehefrau hat den Patienten erst nach Ende des Anfalls aufgefunden, daher hat sie keine motorischen Zeichen mehr gesehen, die Augen waren schon geschlossen und durch die iktale Apnoe kam es kompensatorisch zu der postiktalen Hyperventilation. Nach einem unprovozierten epileptischen Anfall und bei Nachweis einer potenziell epileptogenen Läsion im CT beträgt das Risiko eines weiteren unprovozierten Anfalls in den folgenden zehn Jahren mehr als 70 %. Dies definiert eine Epilepsie. Es wird die Diagnose einer fokalen strukturellen Epilepsie mit einem bilateral tonisch-klonischen Anfall gestellt. Etwa 10 % aller Patienten mit ischämischem Schlaganfall entwickeln in den folgenden Jahren eine Epilepsie.

    Literatur

    Beghi E et al. (2010) Recommendation for a definition of acute symptomatic seizure. Epilepsia 51:671–675

    Elger CE, Berkenfeld R (geteilte Erstautorenschaft) et al. (2017) S1-Leitlinie Erster epileptischer Anfall und Epilepsien im Erwachsenenalter. In: Deutsche Gesellschaft für Neurologie (Hrsg) Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie. www.​dgn.​org/​leitlinien. Zugegriffen: 2. Mai 2020

    Fisher RS et al. (2014) ILAE official report: a practical clinical definition of epilepsy. Epilepsia 55:475–482

    Fisher RS et al. (2018a) Operationale Klassifikation der Anfallsformen durch die Internationale Liga gegen Epilepsie: Positionspapier der ILAE-Klassifikations- und Terminologiekommission. Z Epileptol 31:272–281

    Hesdorffer DC et al. (2009) Is a first acute symptomatic seizure epilepsy? Mortality and risk for recurrent seizure. Epilepsia 50:1102–1108

    Jenssen S et al. (2006) How long do most seizures last? A systematic comparison of seizures recorded in the epilepsy monitoring unit. Epilepsia 47:1499–1503

    Scheffer IE et al. (2018) ILAE-Klassifikation der Epilepsien: Positionspapier der ILAE-Kommission für Klassifikation und Terminologie. Z Epileptol 31:296–306

    Trinka E et al. (2015) A definition and classification of status epilepticus. Report of the ILAE Task Force on Classification of Status Epilepticus. Epilepsia 56:1515–1523

    Weiterführende Literatur

    Fisher RS et al. (2018) Anleitung („instruction manual") zur Anwendung der operationalen Klassifikation von Anfallsformen der ILAE 2017. Z Epileptol 31:282–295

    Krämer G (2012) Lexikon der Epileptologie. Hippocampus, Bad Honnef

    © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020

    F. Schmitt et al. (Hrsg.)Epileptische Anfälle und Epilepsien im Erwachsenenalterhttps://doi.org/10.1007/978-3-662-59198-7_2

    2. Pathophysiologie und translationale Tiermodelle

    Pawel Fidzinski¹   und Matthias Dipper-Wawra¹

    (1)

    Epilepsie-Zentrum Berlin-Brandenburg, Klinik für Neurologie, Charité – Universitätsmedizin Berlin, Berlin, Deutschland

    Pawel Fidzinski

    Email: pawel.fidzinski@charite.de

    2.1 Einführung

    2.2 Pathophysiologie

    2.2.1 Grundlagen der Iktogenese

    2.2.2 Iktogenese akut symptomatischer Anfälle

    2.2.3 Iktogenese bei Epilepsien

    2.3 Tiermodelle

    2.3.1 Übersicht

    2.3.2 Screening neuer Antiepileptika

    2.4 Ausblick

    2.5 Zusammenfassung

    Literatur

    2.1 Einführung

    Das Verständnis der Entstehung von epileptischen Anfällen und von Epilepsien ist die Grundvoraussetzung, um Therapiekonzepte zur Verhinderung weiterer epileptischer Anfälle und – idealerweise – zur Verhinderung einer Epilepsie bei prädisponierten Patienten zu entwickeln.

    Die Erforschung pathophysiologischer Mechanismen von Anfällen und Epilepsien am Menschen ist in begrenztem Maß durch elektro- und magnetenzephalografische Untersuchungen, Methoden der funktionellen und strukturellen Bildgebung und Untersuchungen von humanem Gewebe nach Epilepsiechirurgie möglich. Es bestehen allerdings für viele Fragestellungen natürliche ethische Limitationen. Daher muss oft auf Tiermodelle zurückgegriffen werden, die der humanen Erkrankung Epilepsie möglichst nahe sein sollen. Dies gilt sowohl für die Erforschung der Pathophysiologie als auch für die Entwicklung von neuen Therapien – hier in der Regel von potenziell antiepileptisch (eigentlich antiiktogen) wirkenden Pharmaka, aber auch von chirurgischen Ansätzen wie der tiefen Hirnstimulation. Die so gewonnenen Erkenntnisse sollen dann einem translationalen Ansatz folgend auf den Menschen übertragen werden.

    2.2 Pathophysiologie

    2.2.1 Grundlagen der Iktogenese

    Bei der Pathophysiologie von epileptischen Anfällen und Epilepsien gilt es – wie oben erwähnt – zunächst zwischen Iktogenese und Epileptogenese zu unterscheiden. Die Iktogenese beschreibt den Vorgang der Entstehung, Ausbreitung und Beendigung eines epileptischen Anfalls, während die Epileptogenese die zerebralen Veränderungen betrifft, die zur Entstehung einer manifesten Epilepsie führen. Für beide Vorgänge gilt, dass ihre Mechanismen bis heute nicht vollständig aufgeklärt und Ziel der Forschung in der Epileptologie sind.

    Epileptische Anfälle können sowohl bei an Epilepsie erkrankten Personen als auch im gesunden Hirn entstehen. Das neurobiologische Korrelat ist eine massive, rhythmische Aktivierung von supratentoriellen neuronalen Netzwerken aufgrund einer herabgesetzten Anfallsschwelle, die durch das Verhältnis aus inhibitorischen und exzitatorischen Signalen bestimmt wird. Sinkt die Anfallsschwelle bei einer ausreichend großen Zahl an Neuronen unter eine bestimmte individuelle Grenze, entsteht ein epileptischer Anfall. Das zelluläre Korrelat hierfür ist das Auftreten von paroxysmalen, langanhaltenden Membrandepolarisationen („paroxysmal depolarization shift, PDS). Diese führen zu einer Häufung von Aktionspotenzialen. Kann die Depolarisation durch Aktivierung der Inhibition und nachfolgende Hyperpolarisation beendet werden, manifestiert sie sich im EEG als Spike. Hält die PDS dagegen länger an, entwickelt sich hieraus ein epileptischer Anfall, da sich die Depolarisation in benachbarte Regionen ausbreitet. Die Ursache hierfür kann sowohl dauerhaft vorliegen – dies ist definitionsgemäß die Voraussetzung für eine Epilepsie – als auch nur für eine kurze Zeit präsent sein. Letzteres kann in dieser Zeit zu akut symptomatischen Anfällen führen. Eine Übersicht der häufigen Ursachen einer akuten Reduktion der Anfallsschwelle, die auch in „gesunden Gehirnen zu einem epileptischen Anfall führen kann, ist Tab. 2.1 zu entnehmen.

    Tab. 2.1

    Ursachen einer akuten Reduktion der Anfallsschwelle

    2.2.2 Iktogenese akut symptomatischer Anfälle

    Die Modulation der Anfallsschwelle wird über unterschiedliche Mechanismen vermittelt. Nicht für alle Ursachen sind die genauen Mechanismen bekannt. Im Fall von Hyponatriämie, einer der häufigsten metabolischen Ursachen für akut symptomatische Anfälle, wird beispielsweise die Reduktion der Osmolarität als wesentlicher Faktor bei der Anfallsentstehung betrachtet. Die Hypoosmolarität führt zu einer erhöhten Glutamat- und GABA-Ausschüttung, was aufgrund einer stärkeren Wirkung der Glutamatausschüttung zu neuronaler Erregbarkeitssteigerung führt. Auch bei der – z. B. insulininduzierten – Hypoglykämie ist die Hypoosmolarität ein wahrscheinlicher Mechanismus der Iktogenese. Bei Hypokalziämie und Hypomagnesiämie ist hingegen die unter physiologischen Bedingungen bestehende Blockade von exzitatorischen NMDA-Rezeptoren durch Magnesium- und Kalziumionen aufgehoben. Hierdurch kommt es zur Aktivierung dieser Rezeptoren und einer neuronalen Erregbarkeitssteigerung. Auch bei einer Hyperkaliämie würde man, vor allem aufgrund einer Verschiebung des Membranpotenzials, eine erhöhte Erregbarkeit erwarten.

    Ausgeprägte Elektrolytstörungen können über unterschiedliche Mechanismen zu einer reversiblen, gesteigerten neuronalen Erregbarkeit und somit zu epileptischen Anfälle führen.

    Aus klinischer Sicht sind hyperkaliämie-induzierte epileptische Anfälle von nachrangiger Relevanz, da sich zuallererst kardiale oder muskuläre Symptome manifestieren. Anhand epidemiologischer Daten kann für viele metabolische Störungen ein Schwellenwert für ein erhöhtes Anfallsrisiko angegeben werden (Tab. 2.2).

    Tab. 2.2

    Schwellenwerte für akut symptomatische Anfälle im Rahmen von metabolischen Störungen

    (Nach: Beghi et al. 2010)

    Ein anderes, häufig auftretendes Beispiel für akut symptomatische Anfälle ist der Alkoholentzugsanfall. Hier führt zunächst ein anhaltender Alkoholkonsum über eine Hemmung von NMDA-Rezeptoren (exzitatorisch) und Aktivierung von GABA-Rezeptoren (inhibitorisch) zu einer kompensatorischen Erhöhung und Sensitivierung von NMDA-Rezeptoren und Reduzierung und Desensitivierung von GABA-Rezeptoren mit dem Ziel einer Erhaltung des Gleichgewichts zwischen Erregbarkeit und Hemmung (Glue und Nutt 1990; Tsai et al. 1995). Alkoholentzug führt zu einer Störung dieses Gleichgewichts, da es zur Reduktion der GABA-Aktivierung führt, ohne gleichzeitig die noch erhöhte NMDA-Rezeptor-Aktivität herabzusetzen. Auch im Fall von Benzodiazepinen bewirkt ein Absetzen des Medikaments in der Entzugsphase eine Reduktion der GABA-Aktivierung und ein Überwiegen der Exzitabilität. Die Folgen sind unter anderem motorische Unruhe, Schlaflosigkeit, Halluzinationen und – bei Alkoholentzug bei jedem zehnten Patienten – ein akut symptomatischer epileptischer Anfall.

    Bei akut symptomatischen Anfällen im Rahmen frischer zerebraler Läsionen, wie Schlaganfälle, Schädel-Hirn-Traumata, ZNS-Infektionen etc., sind hingegen die genauen Mechanismen der Iktogenese nicht geklärt. Klinische Daten zeigen, dass akut symptomatische Anfälle nach einer primären zerebralen Blutung (~16 %) und nach einem ischämischen Infarkt mit sekundärer Einblutung (~13 %) häufiger sind als nach einem ischämischen Infarkt ohne Blutung (~4 %; Beghi et al. 2011). Dies spricht dafür, dass eine Blutung an sich einen entscheidenden und eigenständigen Risikofaktor bei der Iktogenese darstellt. Da Albumin die Erregbarkeit von Neuronen erhöhen kann, ist im Fall einer Blutung das erhöhte Anfallsrisiko möglicherweise mit der massiven Störung der Blut-Hirn-Schranke bei Blutungsereignissen im Vergleich zu ischämischen Ereignissen in Verbindung zu bringen (Marchi et al. 2007).

    2.2.3 Iktogenese bei Epilepsien

    Im Rahmen einer Epilepsie, also einer chronisch erniedrigten Anfallsschwelle, lassen sich in einigen Fällen spezifische, zur Iktogenese führende Faktoren eruieren. Hier ist insbesondere die seltene Reflexepilepsie, zu der auch die photosensitive Epilepsie gehört, zu nennen (s. Kap. 16: Reflexepilepsien). Spezifische Reize (z. B. visuell oder auditorisch) können bei prädisponierten Patienten einen Anfall auslösen. Interessanterweise ist bei diesen Epilepsien der Reiz notwendig, aber nicht hinreichend für die Anfallsentstehung, da nicht jeder Reiz zu einem Anfall führt. Für die Iktogenese spielen eine Reihe weiterer Faktoren (Voraktivierung, Tageszeit etc.) eine Rolle. Wie genau diese Faktoren die Anfallsschwelle verändern, ist nicht bekannt.

    Die Mechanismen der Iktogenese im Rahmen manifester Epilepsien unterscheiden sich von den Mechanismen bei akut symptomatischen Anfällen. Hier spielt die Epileptogenese eine maßgebliche Rolle, worunter der zu einer langfristigen Herabsetzung der Anfallsschwelle führende Prozess verstanden wird. Diese Herabsetzung erhöht deutlich die Wahrscheinlichkeit für unprovozierte Anfälle und definiert damit neurobiologisch die Epilepsie. Abhängig von der Epilepsieart kann die Epileptogenese entweder fokal begrenzt auftreten oder den gesamten Archi- und/oder Neokortex betreffen. Gemäß der aktuellen Klassifikation der Epilepsien werden im Folgenden die Mechanismen der Epileptogenese für einzelne Ätiologien überblickartig dargestellt.

    Ätiologische Grundlage genetischer Epilepsien sind unter anderem Kanalopathien (Imbrici et al. 2016). Hierbei führen genetische Veränderungen an einzelnen Ionenkanaltypen zu einer veränderten Homöostase und einer gesteigerten neuronalen Erregbarkeit. Häufig betroffen sind Kalium- und Natriumkanäle sowie der GABA-A-Rezeptor, der die Öffnung des Chloridkanals regelt. Bislang konnte jedoch nur bei einem kleinen Teil der betroffenen Patienten eine entsprechende genetische Disposition nachgewiesen werden (EpiPM Consortium 2015). Bei der juvenilen myoklonischen Epilepsie als Prototyp der generalisierten genetischen Epilepsien mit einem relativ eng umschriebenen Phänotyp wurden genetische Veränderungen in verschiedensten Kanälen, Rezeptoren und synaptischen Proteinen beschrieben. Hierzu gehören unter anderem GABA- und Acetylcholinrezeptoren sowie PRRT2, ein Protein, das an der Freisetzung von Neurotransmittern beteiligt ist (s. Kap. 17: Genetische Epilepsien).

    Den genetischen generalisierten Epilepsien liegen pathophysiologische Änderungen an Ionenkanälen sowie an GABA- und Acetylcholinrezeptoren zugrunde.

    Als Ursache von strukturellen Epilepsien stehen insbesondere die bereits bei der Iktogenese genannten Schlaganfälle (Ischämien oder Hämorrhagien) und Schädel-Hirn-Traumata im Vordergrund. Die Größe der Läsion, eine kortikale Beteiligung sowie Blutungen sind dabei mit einem erhöhten Risiko für die Entwicklung einer Epilepsie korreliert. Weitere Ursachen für eine strukturelle Epilepsie können primäre hirneigene Tumoren und Metastasen sein. Die genauen Mechanismen, die letztlich zur Epileptogenese führen, sind nicht bekannt. Diskutiert werden Veränderungen im periläsionellen Netzwerk mit einem Verlust von inhibitorischen GABAergen Neuronen. Persistierende Eisenablagerungen scheinen für die höhere Rate an strukturellen Epilepsien nach Blutungen verantwortlich zu sein.

    Wie in der aktuellen Klassifikation der Epilepsien vorgesehen, können einigen Epilepsien mehrere Ätiologien zugeordnet werden. Hierzu zählt z. B. die Epilepsie bei Tuberöse-Sklerose-Komplex (TSC; s. Kap. 13: Epilepsie bei Tuberöse-Sklerose-Komplex). Auf der einen Seite sind in den meisten Erkrankungsfällen Mutationen im TSC1- oder TSC2-Gen nachweisbar. Diese führen zu einer gesteigerten Aktivität des mTOR-Signalwegs, der die Zellproliferation steigert, den kontrollierten Zelltod verhindert und an der Reifung und Migration von Neuronen beteiligt ist. Dies führt zu strukturellen Veränderungen, die sich makroskopisch als Tuber darstellen (Mühlebner et al. 2019). Gleichzeitig wird durch eine gesteigerte Vernetzung der Neuronen durch erhöhtes axonales Aussprossen die glutamaterge Erregbarkeit gesteigert, was mit einer reduzierten Anfallsschwelle gleichzusetzen ist.

    Die weltweit häufigste Ursache von infektiösen Ursachen einer Epilepsie ist die Neurozystizerkose. Hierbei bilden die Larven des Schweinebandwurms (Taenia solium) sog. Finnenbläschen, die im ZNS in der Regel an der Grenze zum Neokortex gelegen sind. Durch mechanischen Druck auf den Kortex und durch Entzündungsprozesse kommt es letztlich zur Epileptogenese. Auch bei anderen infektiösen Ursachen wie beispielsweise Malaria oder der zerebralen Toxoplasmose spielen entzündliche Prozesse in kortikalen Strukturen eine entscheidende Rolle (s. Kap. 19: Infektiöse Epilepsien).

    Unter dem Begriff der immunologischen Epilepsien wird die wachsende Gruppe von limbischen Enzephalitiden zusammengefasst (s. Kap. 20: Autoimmune Anfälle und Epilepsien). Die bekannteste Form ist die NMDA-Rezeptor-Enzephalitis. Interessanterweise zeigen tierexperimentelle Daten, dass NMDA-Rezeptor-Antikörper zu einer verringerten Erregbarkeit von Neuronen führen. Wie dieser Befund mit der klinischen Beobachtung von epileptischen Anfällen zu vereinbaren ist, ist derzeit unklar. Allerdings sind NMDA-Rezeptoren auch auf hemmenden Neuronen lokalisiert, sodass eine Hemmung der Hemmung in Summe zu einer gesteigerten Erregbarkeit führen könnte. Denkbar wäre auch eine kompensatorische Steigerung der Anzahl anderer glutamaterger Rezeptoren – insbesondere AMPA-Rezeptoren. Auch Antikörper gegen Kaliumkanalkomplexe führen häufig zu einer Enzephalitis mit epileptischen Anfällen. Dabei binden die Antikörper nicht direkt an Kaliumkanäle, sondern an interagierende Proteine. Die bekanntesten sind LGI1 und CASPR2. Unter physiologischen Bedingungen reguliert LGI1 die Übertragung von Signalen an hemmenden Synapsen. LGI1-Antikörper führen zu einer Desorganisation der synaptischen Struktur, woraus eine Reduktion der Erregbarkeit dieser hemmenden Synapsen resultiert. Hingegen ist CASPR2 an der Organisation von Kaliumkanälen in Axonen beteiligt. Bei der CASPR2-Enzephalitis kommt es in den betroffenen Axonen zu einer Verschlechterung der Kaliumleitfähigkeit und folglich erhöhter Erregbarkeit in diesen Zellen (van Sonderen et al. 2016).

    Der gemeinsame Nenner aller beschriebenen Pathophysiologien ist das Missverhältnis aus erregender und hemmender Aktivität. Die Vielfalt der diesem Missverhältnis zugrunde liegenden pathologischen Mechanismen begründet auch das breite Spektrum an experimentellen Ansätzen zum Verständnis der Pathophysiologie der Epilepsie.

    2.3 Tiermodelle

    2.3.1 Übersicht

    Die eben erörterte pathophysiologische Bandbreite lässt vermuten, dass es kein Standardtiermodell geben kann, das alle Aspekte des Krankheitsbilds Epilepsie reproduziert. Ein hypothetisches, perfektes Tiermodell würde Epilepsien beim Menschen auf mehreren Ebenen inklusive kausaler Mechanismen, phänotypischer Merkmale und, am wichtigsten, der Reaktion auf therapeutische Maßnahmen valide repräsentieren. Tiermodelle können jedoch unabhängig von der zugrunde liegenden Erkrankung nur bestimmte Aspekte, z. B. einen akut symptomatischen Anfall, wiedergeben und können daher nur einzelnen Fragestellungen dienen. Tatsächlich sind für epileptische Anfälle und Epilepsien unzählige Tiermodelle bekannt. Ihre Verschiedenheit spiegelt die Komplexität des Krankheitsspektrums wider.

    In der Epileptologie werden Tiermodelle hauptsächlich in zwei Bereichen eingesetzt: in den Grundlagenwissenschaften und in der präklinischen Forschung. Im Bereich der Grundlagen konnten mit Tiermodellen unter anderem Erkenntnisse zu pathophysiologischen Mechanismen der Iktogenese, Epileptogenese oder Netzwerkreorganisation bei Epilepsie gewonnen werden. Die Verwendung von Tiermodellen in der präklinischen Forschung dient im Wesentlichen dem Screening bei der Entwicklung neuer – in der Regel pharmakologischer – Therapieansätze. Daneben werden aber auch Tiermodelle für diagnostische Fragestellungen, wie z. B. der Entwicklung von bildgebenden oder elektrophysiologischen Biomarkern oder Anfallsprädiktoren, eingesetzt. Neben verschiedenen Anwendungsgebieten können Tiermodelle nach dem zu modellierenden Parameter unterschieden werden. So gibt es beispielsweise transgene Tiermodelle für monogenetische Epilepsien. Auch verschiedene Anfallstypen wie Absencen oder fokale Anfälle aus dem Temporallappen werden durch entsprechende Modelle repräsentiert. Bezogen auf die Anfallsätiologie unterscheidet man weiterhin zwischen akuten und chronischen Modellen. Akute Anfälle werden in gesunden, naiven Tieren oder Geweben beispielsweise durch elektrische Stimulation induziert. Wiederholt spontan (unprovoziert) auftretende Anfälle können unter anderem mittels chemisch oder elektrisch induziertem Status epilepticus oder durch physikalisches Trauma auf den Neokortex induziert werden.

    Zum Oberbegriff Tiermodelle gehören auch Zellkulturen oder akute Hirnschnitte; auf diese Subtypen soll hier nicht genauer eingegangen werden. Aufgrund der Breite des Themas liegt eine detaillierte Beschreibung aller Tiermodelle für epileptische Anfälle und Epilepsien außerhalb der Zielsetzung dieses Kapitels (s. dazu Löscher 2011). Im Folgenden soll aufgrund der klinischen Relevanz der Fokus auf Nager-Screening-Modelle für neue antiepileptische Pharmakotherapien liegen, eine exemplarische Einteilung ist Abb. 2.1 zu entnehmen.

    ../images/462464_1_De_2_Chapter/462464_1_De_2_Fig1_HTML.png

    Abb. 2.1

    Übersicht der Tiermodelle in der Epilepsieforschung. Die aufgeführten Anfalls-/Epilepsiemodelle sind nach der zugrunde liegenden Ätiologie (genetisch vs. nicht genetisch) und dem Induktionsmechanismus (elektrisch vs. chemisch vs. physikalisch) aufgeteilt. Die farbliche Markierung kennzeichnet die Semiologie der induzierten Anfälle

    (Modifiziert nach Löscher 2011).

    2.3.2 Screening neuer Antiepileptika

    Die systematische Verwendung von Screening-Modellen begann vor über 80 Jahren mit der Entdeckung der antiepileptischen Eigenschaften von Phenytoin durch Putnam und Merritt (1937) im Maximal-electroshock(MES)-Modell. Einige Jahre später wiesen Everett und Richards (1944) mithilfe des Pentylentetrazol(PTZ)-Modells antiepileptische Eigenschaften von Trimethadion nach. Die Kombination beider Modelle wurde in den 1950er-Jahren als Screening-Standard bei der Suche nach antiepileptischen Substanzen vorgeschlagen. Unter ihrer Verwendung kam es seitdem tatsächlich, unter anderem im Rahmen von international angelegten, industriellen Screening-Programmen, zur Identifikation zahlreicher neuer Antiepileptika. In beiden Modellen werden epileptische Anfälle akut in gesunden Tieren induziert und die antiepileptische Potenz einer vor Induktion applizierten Substanz getestet. Im MES-Modell erfolgt die Induktion von Anfällen elektrisch mit aurikulären oder kornealen Stimulationselektroden, beim PTZ-Modell chemisch über die antagonistische Wirkung von PTZ an GABA-Rezeptoren. Die Modelle können als komplementär betrachtet werden: Das MES-Modell ist prädiktiv für Substanzen, die gegen generalisierte tonisch-klonische Anfälle wirksam sind, während das PTZ-Modell eher eine gute Prädiktion bei nicht motorischen Anfällen zeigt. Ein weiterer Unterschied liegt in der Präferenz für Wirkungsmechanismen von Antiepileptika: Das MES-Modell zeigt eine hohe Sensitivität für natriumkanalblockierende Substanzen wie das zuvor genannte Phenytoin, das PTZ-Modell hingegen für an GABA-Rezeptoren wirkende Substanzen, wie z. B. Benzodiazepine und Valproinsäure.

    Das erste Antiepileptikum, das durch systematisches Screening in einem Tiermodell für akut ausgelöste Anfälle entdeckt wurde, war 1938 Phenytoin. Das gleiche Modell wird in leichter Abänderung bis heute eingesetzt.

    Die gemeinsame Verwendung beider Modelle zur Detektion von Antiepileptika war jahrzehntelang sehr erfolgreich, bleibt jedoch nicht ohne Limitationen. Denn nicht alle als antiepileptisch detektierten Substanzen zeigten eine klinische Wirksamkeit beim Patienten. Umgekehrt gibt es Antiepileptika, deren Wirksamkeit weder durch das MES- noch das PTZ-Modell vorhergesagt werden konnten. Hier sei insbesondere Levetiracetam erwähnt. Dessen antiepileptische Wirkung konnte erst unter Verwendung eines Modells für fokale Anfälle, der 6-Hz-Kornealstimulation, entdeckt werden. Darüber hinaus gelang es bislang nicht, mit der MES/PTZ-Kombination wirksame Substanzen gegen pharmakoresistente Epilepsien zu detektieren. Daher werden in neueren Screening-Programmen zusätzlich zu MES/PTZ-Modellen das 6-Hz-Modell psychomotorischer Anfälle (entspricht in der Klinik am ehesten fokalen, nicht-bewusst erlebten Anfällen) und ein weiteres, chronisches Modell verwendet, das als Temporallappenepilepsie(TLE)-Kindling-Modell bekannt ist. Hier erfolgt die Anfallsinduktion durch wiederholte elektrische Stimulation mit Tiefenelektroden in temporomesialen Strukturen. Mit jedem der täglich applizierten Stimuli (meist nur für eine Sekunde) wird die Anfallsschwelle gesenkt, bis es zu induzierten oder sogar unprovozierten klinischen Anfällen kommt. Somit stellt das Kindling-Modell im Vergleich zu Akutmodellen ein sehr zeit- und personalaufwendiges Verfahren dar. Das TLE-Kindling-Modell ist prädiktiv für die Wirksamkeit zahlreicher, gegen fokale Anfälle wirksamer Antiepileptika inklusive Levetiracetam.

    Mithilfe der akuten Anfallsmodelle werden neben potenziell antiepileptisch wirkenden Pharmaka auch minimalinvasive chirurgische Verfahren, wie die Tiefe Hirnstimulation, getestet. Etablierte Tiermodelle zur Untersuchung der Wirksamkeit für die resektive und die ablative Epilepsiechirurgie (z. B. stereotaktische Laser-Thermoablation) existieren nicht.

    Trotz Entdeckung vieler neuer Antiepileptika haben die bisherigen Screening-Ansätze keine Besserung im Hinblick auf die unveränderte Pharmakoresistenzrate von etwa 30 %, auf fehlende Therapieoptionen gegen Epileptogenese und auf die Behandlung von Komorbiditäten erbracht. Daher ist eine Entwicklung translationaler Modelle mit ausreichend hoher Prädiktion für die Wirksamkeit beim Patienten dringend notwendig. Aktuell werden neben den oben genannten, validierten Modellen in der präklinischen Entwicklung weitere Modelle für spezielle Fragestellungen bzw. Anfallstypen verwendet. Dazu gehören neben genetischen Epilepsiemodellen, wie DBA/2-Mäusen oder Absenzenepilepsie-Ratten (auch unter der Abkürzung GAERS oder WAG/Ri bekannt), auch Pharmakoresistenzmodelle, wobei die letztgenannten zunehmenden Eingang in Screening-Programme finden. So werden im US-amerikanischen nationalen Epilepsy Therapy Screening Program (Kehne et al. 2017) drei Modelle verwendet, bei denen Anfälle zumindest gegen einige etablierte Antiepileptika pharmakoresistent sind: in Mäusen das oben erwähnte 6-Hz-Modell psychomotorischer Anfälle und das intrahippocampale Kainat-Modell der TLE, bei dem durch Injektion von Kainat ein Status epilepticus und nach Epileptogenese eine chronische Epilepsie induziert werden. In Ratten wird zudem das lamotrigin-resistente Kindling-Modell verwendet (s. unten). Leider sind diese und auch alle anderen bisherigen Pharmakoresistenzmodelle dahingehend limitiert, dass sie nicht gegen alle Antiepileptika resistent sind, was ihre Validität bezogen auf die klinische Realität infrage stellt. Darüber hinaus ist es bisher nicht gelungen, mithilfe der Modelle eine bei Pharmakoresistenz wirksame Substanz zu identifizieren. Somit ist ihre prädiktive Aussagekraft als fraglich zu erachten.

    Tiermodelle der chronischen Epilepsie mit spontan auftretenden Anfällen reflektieren Epilepsien bei Menschen deutlich besser als Screening-Modelle akuter Anfälle, erstere sind aber erheblich zeitaufwendiger.

    Ein neuer Ansatz basiert auf der Beobachtung, dass nicht alle Tiere in einem Modell die gleiche Reaktion zeigen. Daraufhin wurde eine Verfeinerung vorgeschlagen, indem in einem Modell zunächst pharmakoresistente Tiere gegen ein etabliertes Antiepileptikum identifiziert und anschließend mit diesen Tieren weitere Substanzen getestet werden. Als Beispiele sind phenytoin- und lamotrigin-resistente Kindling-Ratten zu nennen. Solche Modelle spiegeln die klinische Situation gut wider, da ähnlich wie bei Patienten nur ein Teil der Population pharmakoresistent ist. Solche Modelle sind jedoch mit einem enorm hohen Aufwand und mit einem nicht unerheblichen Leiden der Versuchstiere verbunden. Diese Aspekte machen einen breiten Einsatz in der Arzneimittelentwicklung schwierig.

    2.4 Ausblick

    Zusammengefasst besteht aufgrund der genannten Limitationen weiterhin ein hoher Bedarf zur Weiterentwicklung von Screening-Modellen, vor allem bezüglich Pharmakoresistenz und Antiepileptogenese. Die Identifikation von individualisierten Therapien, wie z. B. Stiripentol beim Dravet-Syndrom oder Everolimus bei Tuberöse Sklerose-assoziierter Epilepsie, unterstützt die Notwendigkeit individualisierter Tiermodelle. Wünschenswert wäre eine Weiterentwicklung insbesondere bei Syndromen ohne aktuell verfügbare Modelle, wie für die juvenile myoklonische Epilepsie oder das Lennox-Gastaut-Syndrom. Neben der Fokussierung auf Nagermodelle wäre zudem bei der Entwicklung individualisierter Therapien die Verwendung von Hochdurchsatzmodellen in anderen Spezies, wie z. B. den in letzter Zeit zunehmend für Screening-Zwecke verwendeten Zebrafischen, zu erwägen. Die Anforderungen an die Weiterentwicklung von Screening-Modellen sind in Abb. 2.2 zusammengefasst. Insgesamt ist ein langsamer Paradigmenwechsel mit dem Fokus auf die Entwicklung individualisierter Therapien und der Maßgabe höherer Reproduzierbarkeit und Standardisierung in präklinischen Studien zu beobachten. Es bleibt abzuwarten, ob diese Maßnahmen bei den noch offenen Aspekten von Epilepsien Erfolge zeigen und in der Zulassung neuer Therapien münden.

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    Abb. 2.2

    Anforderungen an translationale Tiermodelle in der Epilepsieforschung. Translationale Tiermodelle sollten idealerweise eine Reihe von Eigenschaften erfüllen, um eine rasche und zuverlässige Translation der Ergebnisse in die Klinik zu ermöglichen und um einen relevanten Beitrag zu den bestehenden Herausforderungen in der Epileptologie (Pharmakoresistenz, Antiepileptogenese) leisten zu können

    (Modifiziert nach Löscher 2016).

    2.5 Zusammenfassung

    Das Verständnis pathophysiologischer Grundlagen der Entstehung von epileptischen Anfällen und Epilepsien ist Voraussetzung für die Entwicklung neuer Therapiekonzepte. Aus ethischen Gründen sind der Forschung an Menschen enge Grenzen gesetzt, daher muss häufig auf Tiermodelle zurückgegriffen werden. Die Entstehung eines akut symptomatischen Anfalls ist – in Abhängigkeit von der Ursache – in der Regel auf eine reversible Verschiebung im Verhältnis von Inhibition zu Exzitation zurückzuführen. Bei Epilepsien stehen eher die Mechanismen, die zur Epileptogenese beigetragen haben, im Vordergrund. Diese führen über ätiologieabhängige Wege zu einer reduzierten Anfallsschwelle, die das Auftreten von unprovozierten Anfällen erleichtert. Tiermodelle sollen zur Erforschung pathophysiologischer Mechanismen beitragen, sie dienen zudem zum Screening von neuen potenziell antiepileptisch wirksamen Substanzen. Kein Modell ist ideal, es werden je nach Fragestellung unterschiedliche Modelle eingesetzt.

    Literatur

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    © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020

    F. Schmitt et al. (Hrsg.)Epileptische Anfälle und Epilepsien im Erwachsenenalterhttps://doi.org/10.1007/978-3-662-59198-7_3

    3. Epilepsie als Netzwerkerkrankung

    Hermann Stefan¹   und Friedhelm C. Schmitt²

    (1)

    Neurologische Klinik-Biomagnetismus, Universitätsklinik Erlangen, Erlangen, Deutschland

    (2)

    Klinik für Neurologie, Universitätsklinikum Magdeburg, Magdeburg, Deutschland

    Hermann Stefan

    Email: hermann.stefan@t-online.de

    3.1 Einführung

    3.2 Methoden der Netzwerkanalysen

    3.3 Epilepsien als Störung kortikaler Netzwerkorganisation

    3.4 Netzwerkanalysen zur Dichotomie fokaler und generalisierter Epilepsien

    3.5 Netzwerkanalysen als Basis therapeutischer Entscheidungen

    3.6 Netzwerkanalysen im Rahmen der präoperativen Diagnostik

    3.7 Zusammenfassung

    Literatur

    3.1 Einführung

    Beschreibungen eines Netzwerks, in dem Neurone elementare Einheiten darstellen, die Signale über synaptische Kontakte weiterleiten, gehen auf Ramón y Cajal (1894) zurück. Ein umschriebener Ursprungsort epileptischer Aktivität wird historisch als Fokus bezeichnet. Fokale Epilepsien können jedoch auf mehr oder weniger ausgebreiteten exzessiven Erregungsbildungsstörungen beruhen. Daher werden für funktionelle Charakterisierungen ergänzend zu dem Fokuskonzept Veränderungen im umfassenden neuronalen Netzwerk des Gehirns betrachtet. Netzwerkanalysen haben in den letzten Jahren sowohl tierexperimentell als auch bei Menschen deutlich zugenommen. Die klinische Validierung verschiedener Konzepte und Methoden von Netzwerkanalysen ist Gegenstand weiter aktueller Forschung bezüglich ihrer Evaluation.

    3.2 Methoden der Netzwerkanalysen

    Netzwerkanalysen basieren auf verschiedenen Registrierungs- und Analysemethoden. Hierzu gehören EEG und MEG, MRT, PET, Optical imaging, Optogenetics und andere (Smith und Schevon 2016). Im Netzwerkkonzept betrachtet man z. B. Neurone als Knoten und besonders wichtige Knoten als Hubs. Bestimmte neuronale Cluster repräsentieren besonders wichtige Konnektivitätspunkte für die Integration und Koordination von Hirnsignalen. Bei einer Netzwerkanalyse werden Einheiten aus Knoten und Verbindungen als Module bezeichnet. Die Pfadenlänge zwischen Knoten und die Menge an Verbindungen können gesondert definiert werden.

    Weitere Begriffe werden in Tab. 3.1 erörtert.

    Tab. 3.1

    Ausgewählte Begriffe der Netzwerkanalyse

    Für Netzwerkanalysen können unterschiedliche Verfahren mit spezifischen Vor- und Nachteilen eingesetzt werden. Die Netzwerke unterscheiden sich durch lokale und globale Konnektivität, Konnektivitätsdichte und Knoteneigenschaften sowie Pfadlänge. Die nachstehende Übersicht fasst verschiedene Konnektivitätsmessverfahren zusammen.

    Verschiedene gebräuchliche Messverfahren zur Konnektivitätsanalyse

    Klassische Methoden (z. B. Coherence, Correlation, Phase slope index), Phasensynchronisation (z. B. Phase lag index, phase locking value)

    Generalisierte Synchronisation (z. B. synchronisation likelyhood), Granger causality (z. B. direct transfer function)

    Informationstheoretische Messungen (z. B. mutual information, direct transfer function, multiple spanning tree etc).

    Verschiedene Modelle einer Netzwerkarchitektur (Konnektome) sind in Abb. 3.1 dargestellt. Eine eingehendere Darstellung von Grundsätzen funktionaler Konnektivität und Netzwerkdynamik im Hinblick auf Epilepsienetzwerke ist in Übersichtsarbeiten zu finden (Diessen et al. 2013; Stefan und Lopes da Silva 2013).

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    Abb. 3.1

    Verschiedene Netzwerktypen und ihre Charakteristika. Beispiele für verschiedene funktionelle Netzwerktypen und ihre Charakteristika (modifiziert nach Kaiser 2011). Die Netzwerke unterscheiden sich durch lokale und globale Konnektivität, Konnektivitätsdichte und Knoteneigenschaften sowie Pfadlänge. Für Netzwerkanalysen können unterschiedliche Verfahren mit spezifischen Vor- und Nachteilen eingesetzt werden. Local scale free: Verbindungen eines Knotens nach Potenzgesetz verteilt, einheitslos, keine Gauß-Verteilung, assoziiert mit einer niedrigen Schwelle für Epileptogenizitäts-Ausbreitung. Clustering: Lokale Nachbarsynchronisation. Rich-club-Netzwerk: Ein „rich club" ist definiert durch eine Tendenz zu High-degree-Knoten, d. h. Knoten, die besonders dicht konnektiert sind.

    Dynamische Systeme können als Netzwerke beschrieben werden. Subsysteme stellen Knoten und Verbindungen in Form von Kanten („edges") dar. Die Konnektivität von Netzen kann mit verschiedenen Analyseverfahren definiert werden.

    3.3 Epilepsien als Störung kortikaler Netzwerkorganisation

    Simultane Registrierungen der klinischen Manifestation des epileptischen Anfalls und des iktalen EEG liefern wichtige Hinweise auf die involvierten Hirnregionen (s. Abschn. 29.​1 und 29.​2). Topographische Video-EEG-Analysen von Anfallsphänomenen und simultanen, invasiv abgeleiteten High Frequency Oscilllations (HFO) zeigen z. B. den Beginn iktaler HFO im sensorischen Kortex während der Aura mit Parästhesien. Zum Zeitpunkt, als motorische Symptome im Arm hinzutraten, propagierten die HFO zum motorischen Kortex. Schließlich kam es zu einem Nachklingen in der rolandischen Region. In der Zusammenschau handelte es sich auf der Ebene der klinischen Beobachtung um einen Jackson-Anfall. Auf der Netzwerkebene wurde ein Anfallsbeginn und in dessen weiterem Verlauf eine Ausbreitung über den Kortex (kortiko-kortikal) nachgewiesen (Akiyama et al. 2011).

    Eine Quantifizierung epileptischer Aktivität mithilfe des Epileptogenicity Index basierend auf der spektralen (schnelle Oszillationen) und zeitlichen Eigenschaft (verzögertes Auftreten) des intrakraniellen EEG wies auf einen Zusammenhang zwischen der Dauer der Epilepsie und der Zunahme der Netzwerkregionen mit hoher Epileptogenität hin (Bartolomei et al. 2008).

    Weitere Untersuchungen betrafen Veränderungen der Konnektomcharakteristik während eines Anfalls. So wurden zu Beginn eines Anfalls Veränderungen der Netzwerkstruktur z. B. anfangs mehr „regular" und später mehr „random" gefunden (Kramer und Cash 2012; Schindler et al. 2008). Auch können fokale Anfälle eine funktionelle Netzwerkveränderung, die durch ipsilateral erhöhte funktionelle Konnektivität bei gleichzeitig abnehmender interhemisphärischer Konnektivität gekennzeichnet ist, aufweisen (Otte et al. 2012).

    Verschiedene Epilepsien werden auf die Dysfunktion bestimmter neuraler Systeme zurückgeführt. Die Beschreibung des bei der jeweiligen Epilepsie involvierten Netzwerksystems trägt zum besseren Verständnis der einzelnen Epilepsiemanifestationen bei. Dieses Verständnis führt zur Definition der Systemepilepsien. Als Systemepilepsien wurden unter anderem die Absence-Epilepsie und die juvenile myoklonische Epilepsie sowie die benigne fokale Epilepsie im Kindesalter mit zentrotemporalen Spikes und das West-Syndrom diskutiert (Avanzini et al. 2012). Darüber hinaus können auch andere Epilepsiesyndrome, wie z. B. das Landau-Kleffner-Syndrom, oder Epilepsien, die den temporalen Neokortex und das limbische System einbeziehen, unter diesen Gesichtspunkten interpretiert werden. Die Manifestation unterschiedlicher Anfallstypen kann durch kortikokortikale, thalamische, limbische oder limbisch-thalamische Netzwerkbeteiligungen entstehen (Abb. 3.2).

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    Abb. 3.2

    Schematische Darstellung eines fokalen epileptischen Netzwerk-Konzeptes. Die Ausbreitung vom Nukleus und die Aktivierungsstadien vom interiktalen zum präiktalen und iktalen Zustand im Netz sind vereinfacht zusammengefasst dargestellt (nach Stam 2016*; Smith und Schevon 2016; Bragin et al. 2007). Der Fokus kann durch inhibitorische und exzitatorische Ferneinwirkung beeinflusst werden. Therapeutische Netzwerkeingriffe postulieren die Erfassung von „choke points" (Nadelöhr-Subsystem mit Drosselfunktion).

    Bei Anfallsentstehung und -ausbreitung können auch physiologisch funktionelle Netzwerke in das Anfallsgeschehen einbezogen werden, wie z. B. das Ruhezustandnetzwerk („default mode network").

    Interiktal besteht lokal eine erhöhte Konnektivität (Otte et al. 2012). In diesem Zusammenhang wurde diskutiert, dass Mikroschaltkreise bei allen Anfällen bestehen, auch bei solchen im Rahmen genetischer generalisierter Epilepsien. Diese propagieren von dem Mikroschaltkreis in epileptogene Netzwerke, sodass dann auch entfernte Knoten aktiviert werden (Paz und Huguenard 2015). Die Inkorporation einer geringen Anzahl stark verbundener Knoten („hubs") bewirkt einen starken Anstieg der Netzwerkaktivität, die schließlich zu einem übererregbaren, potenziell anfallsbereiten Netz führt (Morgan und Soltesz 2008). Dieser Prozess kann abgeschwächt oder auch unterbrochen werden, falls die Aktivität dieser Knoten unterdrückt werden kann. Ist in der Situation der Nah- und Ferninhibition auf den Netzkern die Exzitation nicht ausreichend kontrolliert, kommt es zu einer Transition vom interiktalen zum präiktalen Zustand und in der Folge zu einer iktalen Netzwerkausbreitung. Hierbei werden Gate-keeper-Funktionen pathologischer Hubs diskutiert, die epileptische Netzwerke unterhalten (Varotto et al. 2012; Abb. 3.2). Die unterschiedlichen Netzwerkaktivierungen entsprechen verschiedenen Anfallstypen. Über entfernt liegende Feedback-Schleifen kann der potenzielle epileptische Ausgangspunkt beeinflusst werden. Die Vulnerabilität für die Anfallsgenerierung in einem Teil des Netzwerks wird durch Aktivität an einem anderen Ort im Netz mitbestimmt (Spencer 2002). Aus Sicht der Netzwerkanalyse wird als erfolgversprechender Therapieansatz neben der direkten

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