Epileptische Anfälle und Epilepsien im Erwachsenenalter: Diagnostik und Therapie
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Book preview
Epileptische Anfälle und Epilepsien im Erwachsenenalter - F.C. Schmitt
Book cover of Epileptische Anfälle und Epilepsien im Erwachsenenalter
Hrsg.
Friedhelm C. Schmitt, Hermann Stefan und Martin Holtkamp
Epileptische Anfälle und Epilepsien im Erwachsenenalter
Diagnostik und Therapie
1. Aufl. 2020
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Hrsg.
Friedhelm C. Schmitt
Universitätsklinik für Neurologie, Universitätsklinikum Magdeburg, Magdeburg, Deutschland
Hermann Stefan
Neurologische Klinik – Biomagnetismus, Universitätsklinik Erlangen, Erlangen, Deutschland
Martin Holtkamp
Epilepsie-Zentrum Berlin-Brandenburg Klinik für Neurologie, Charité – Universitätsmedizin Berlin, Berlin, Deutschland
ISBN 978-3-662-59197-0e-ISBN 978-3-662-59198-7
https://doi.org/10.1007/978-3-662-59198-7
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020
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Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral.
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Planung/Lektorat: Christine Lerche
Springer ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer-Verlag GmbH, DE und ist ein Teil von Springer Nature.
Die Anschrift der Gesellschaft ist: Heidelberger Platz 3, 14197 Berlin, Germany
Vorwort
Einführung
Das Wissen um epileptische Anfälle und Epilepsien im Erwachsenalter hat sich in den letzten Jahren und Jahrzehnten erheblich erweitert, dem möchten wir mit dem vorliegenden Buch Rechnung tragen.
Inhalt
Ein Schwerpunkt ist die Darstellung der vielfältigen diagnostischen Methoden und des großen Spektrums an therapeutischen Möglichkeiten. Zudem werden die neurobiologischen, klinischen und psychosozialen Facetten der Erkrankung diskutiert. Diese umfassen die Grundlagen, die Klassifikation und Terminologie von Anfällen und Epilepsien, die Komorbiditäten sowie rechtliche und prognostische Fragen.
Kasuistiken
In einzelnen Kapiteln haben die Autoren die vermittelten Inhalte durch anschauliche Fallbeispiele ergänzt. Darüber hinaus haben wir als Herausgeber vier kapitelübergreifende typische Kasuistiken zu den Themen juvenile myoklonische Epilepsie, mesiale Temporallappenepilepsie, Anfälle und Epilepsie nach Schlaganfall und psychogene nichtepileptische Anfälle erstellt. Teile dieser Kasuistiken sind jeweils einzelnen, thematisch passenden Kapiteln zugeordnet. Sie sind jeweils am Ende des Kapiteltexts zu finden.
Autoren
Bei der Mannigfaltigkeit der Inhalte dieses Buchs wurden die Kapitel von unterschiedlichen Autoren mit jeweils ausgewiesener Expertise für die spezifischen Themen erstellt. Uns war es zum einen wichtig, das Fachwissen aus verschiedenen Ländern des deutschsprachigen Raums zu bündeln, zum anderen tragen eine Reihe von jüngeren Autoren zu dem Buch bei.
Terminologie
Aus der Vielzahl der Autoren folgt naturgemäß eine gewisse Diversität im Aufbau und im sprachlichen Duktus der einzelnen Kapitel. Wir haben aber als Herausgeber dafür Sorge getragen, dass bei den Fachbegriffen eine einheitliche Terminologie genutzt wird, dies gilt insbesondere für die 2017 von der Internationalen Liga gegen Epilepsie eingeführten neuen Begrifflichkeiten für Anfälle und Epilepsien. Aus Gründen der besseren Lesbarkeit haben wir uns für die Verwendung des generischen Maskulinums entschieden.
Praktische Hinweise
In dem Buch finden sich zudem benutzerfreundliche Hinweise für den klinischen Alltag. Diese umfassen die Anwendung elektronischer Medien und eine Aufstellung von Sicherheits- und Hilfsmitteln. Zum Verständnis historischer Hintergründe und spezieller Begrifflichkeiten wird in den Kapiteln an entsprechender Stelle auf ein Glossar verwiesen.
Danksagung
Wir möchten uns bei Frau Rebekka Geelhaar vom Epilepsie-Zentrum Berlin-Brandenburg für die effiziente Bearbeitung des Stichwortregisters bedanken.
Zudem gilt unser Dank Frau Christine Lerche und Frau Anja-Raphaela Herzer vom Springer-Verlag für die organisatorische Betreuung dieses Multi-Autoren-Buchprojekts.
Friedhelm C. Schmitt
Hermann Stefan
Martin Holtkamp
MagdeburgErlangenBerlin
Frühjahr 2021
Inhaltsverzeichnis
IGrundlagen
1 Definitionen 3
Martin Holtkamp und Friedhelm C. Schmitt
2 Pathophysiologie und translationale Tiermodelle 11
Pawel Fidzinski und Matthias Dipper-Wawra
3 Epilepsie als Netzwerkerkrankung 21
Hermann Stefan und Friedhelm C. Schmitt
4 Epidemiologie 29
Lara Kay und Adam Strzelczyk
5 Gesundheitsökonomie 37
Adam Strzelczyk und Laurent M. Willems
IIAnfallstypen
6 Klassifikation und Terminologie von epileptischen Anfällen 47
Andreas Schulze-Bonhage
IIIEpilepsie-Syndrome
7 Klassifikation und Terminologie von Epilepsiearten und -syndromen 57
Martin Holtkamp
8 Temporallappenepilepsien 61
Christoph Baumgartner
9 Frontallappenepilepsien 75
Barbara C. Jobst
10 Insuläre Epilepsien 85
Barbara C. Jobst
11 Parietal- und Okzipitallappenepilepsien 91
Hermann Stefan und Rainer Surges
12 Genetische generalisierte Epilepsien 99
Bernd Vorderwülbecke und Martin Holtkamp
13 Epilepsie bei Tuberöser-Sklerose-Komplex 115
Georgia Ramantani und Sandra P. Toelle
14 Epileptische Enzephalopathien im Erwachsenenalter 121
Frank Kerling und Christophe Rauch
15 Epilepsie bei hypothalamischen Hamartomen 133
Andreas Schulze-Bonhage
16 Reflexepilepsien 139
Thomas Mayer und Martin Lutz
IVÄtiologien
17 Genetische Epilepsien 147
Karl Martin Klein und Philipp S. Reif
18 Strukturelle Epilepsien 159
Burkhard S. Kasper und Johannes D. Lang
19 Infektiöse Epilepsien 177
Martin Holtkamp und Felix Benninger
20 Autoimmune Anfälle und Epilepsien 185
Christian G. Bien
21 Metabolische Epilepsien 197
Kerstin A. Klotz und Friedhelm C. Schmitt
22 Epilepsien unbekannter Ätiologie 203
Friedhelm C. Schmitt
VDiagnostik
23 Anamnese und körperlicher Befund 211
Hermann Stefan und Friedhelm C. Schmitt
24 Klinische Lateralisations- und Lokalisationszeichen 219
Susanne Knake und Katja Menzler
25 Laboruntersuchungen 225
Christian Tilz und Bernhard J. Steinhoff
26 Elektroenzephalografie 233
Jan Rémi und Soheyl Noachtar
27 Strukturelle Magnetresonanztomografie 253
Susanne Knake und Jörg Wellmer
28 Neuropsychologie 275
Juri-Alexander Witt und Christoph Helmstaedter
29 Video-EEG-Monitoring 285
Friedhelm C. Schmitt, Margitta Seeck, Felix Rosenow und Adam Strzelczyk
30 Nuklearmedizinische Untersuchungen 307
Tim J. von Oertzen und Robert Pichler
31 Quellenlokalisation 313
Stefan Rampp und Markus Gschwind
32 High-Density-Elektroenzephalografie 321
Margitta Seeck und Markus Gschwind
33 Magnetenzephalografie 327
Stefan Rampp
34 Funktionelle Magnetresonanztomografie 335
Niels Focke und Silke Klamer
35 Weitere funktionelle Untersuchung eloquenter Areale 341
Susanne Knake und Katja Menzler
36 Apparativ unterstützte Anfallsdetektion 349
Christoph Baumgartner und Johannes P. Koren
37 Histopathologische Untersuchungen 355
Ingmar Blümcke
38 Genetische Diagnostik 375
Karl Martin Klein und Philipp S. Reif
VIDifferenzialdiagnosen
39 Übersicht zu Differenzialdiagnosen 383
Hermann Stefan
40 Synkopen 391
Mehdi Namdar und Margitta Seeck
41 Psychogene nicht-epileptische Anfälle 397
Kirsten Labudda
42 Migräne 407
Margitta Seeck
43 Schlafbezogene Verhaltens- und Bewegungsstörungen 413
Pascal Grosse
VIIPharmakotherapie
44 Indikationen zur pharmakologischen Therapie 423
Martin Holtkamp
45 Antiepileptika 431
Bernhard J. Steinhoff
46 Monotherapie 457
Martin Holtkamp
47 Polytherapie 465
Martin Holtkamp
48 Konzept Pharmakoresistenz 471
Friedhelm C. Schmitt
49 Beendigung der pharmakologischen Therapie 479
Martin Holtkamp
VIIIEpilepsiechirurgie
50 Indikationsstellung für epilepsiechirurgische Eingriffe 487
Friedhelm C. Schmitt
51 Resektionen 497
Christoph Baumgartner
52 Diskonnektive Verfahren 505
Georgia Ramantani und Niklaus Krayenbühl
53 Ablative Verfahren 511
Friedhelm C. Schmitt und Daniel J. Curry
54 Neuromodulative Verfahren 523
Gabriel Möddel und Friedhelm C. Schmitt
55 Radiochirurgische Verfahren 533
Burkhard S. Kasper
IXKomplementäre Therapieverfahren
56 Ketogene Diäten 539
Martha Feucht
57 Komplextherapie 547
Martin Lutz und Thomas Mayer
58 Psychoedukation und Psychotherapie 557
Rosa Michaelis und Markus Reuber
XEpileptologische Notfälle
59 Anfallsserien 567
Tobias Knieß und Friedhelm C. Schmitt
60 Status epilepticus 573
Markus Leitinger und Eugen Trinka
61 Weitere epileptologische Notfälle 587
Friedhelm C. Schmitt
XIKomorbide Störungen
62 Psychiatrische Störungen 599
Christian Hoppe
63 Somatische Störungen 611
Felix von Podewils und Bernadette Gaida
64 Somnologische Störungen 619
Berthold Voges und Friedhelm C. Schmitt
XIISpezielle Patientengruppen
65 Jugendliche und junge Erwachsene 633
Gerd Kurlemann
66 Frauen im gebärfähigen Alter 639
Verena Gaus und Alexander B. Kowski
67 Ältere Patienten 653
Hermann Stefan und Hajo Hamer
68 Patienten mit geistiger Behinderung 663
Frank Kerling und Christophe Rauch
XIIIPsychosoziale Aspekte
69 Genussmittel 673
Michael Hamerle und Martin Holtkamp
70 Kraftfahreignung 679
Günter Krämer
71 Rechtliche Aspekte 687
Tobias Knieß
72 Rehabilitation 695
Tobias Knieß
73 Berufstätigkeit 701
Peter Brodisch
74 Selbsthilfe 709
Norbert van Kampen
XIVLangzeit-Prognose
75 Langzeitprognose von Anfällen und Epilepsien 717
Martin Holtkamp und Felix Benninger
76 Mortalität 723
Claudia Granbichler
77 Langezeitprognose pharmakologischer Therapien 731
Kerstin A. Klotz und Friedhelm C. Schmitt
78 Langzeitprognose epilepsiechirurgischer Verfahren 737
Katharina Ernst und Friedhelm C. Schmitt
Serviceteil
Anhang 746
Nützliche Apps und Weblinks Johann Phillip Zöllner, Adam Strzelczyk 746
Sicherheits- und Hilfsmittel für Patienten Thomas Porschen 762
Verzeichnis der Fälle Friedhelm C. Schmitt, Hermann Stefan, Martin Holtkamp 767
Glossar Günter Krämer 769
Stichwortverzeichnis 779
Autorenverzeichnis
Christoph Baumgartner
Karl Landsteiner Institut für Klinische Epilepsieforschung und Kognitive Neurologie, Wien, Österreich
Felix Benninger
Klinik für Neurologie, Rabin Medical Center, Beilinson Hospital, Petach Tikva, Sackler Medizinische Fakultät, Tel Aviv University, Tel Aviv, Israel
Christian G. Bien
Universitätsklinik für Epileptologie, Krankenhaus Mara, Epilepsie-Zentrum Bethel, Bielefeld, Deutschland
Ingmar Blümcke
Neuropathologisches Institut, Universitätsklinikum Erlangen, Erlangen, Deutschland
Peter Brodisch
Epilepsieberatung, München, Deutschland
Daniel J. Curry
Baylor College of Medicine, Texas Children Hospital, Houston, United States
Matthias Dipper-Wawra
Epilepsie-Zentrum Berlin-Brandenburg, Klinik für Neurologie, Charité – Universitätsmedizin Berlin, Berlin, Deutschland
Katharina Ernst
Neurologische Klinik der Ludwig-Maximilian-Universität, Epilepsiezentrum München, München, Deutschland
Martha Feucht
Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde, Wien, Deutschland
Pawel Fidzinski
Epilepsie-Zentrum Berlin-Brandenburg, Klinik für Neurologie, Charité – Universitätsmedizin Berlin, Berlin, Deutschland
Niels Focke
Klinik für klinische Neurophysiologie, Universitätsmedizin Göttingen, Göttingen, Deutschland
Bernadette Gaida
Universitätsmedizin Greifswald – Klinik für Neurologie, Greifswald, Deutschland
Verena Gaus
Epilepsie-Zentrum Berlin-Brandenburg, Klinik für Neurologie, Charité – Universitätsmedizin Berlin, Berlin, Deutschland
Claudia Granbichler
Department of Neurology, Meir Medical Center, Kfar Saba, Israel
Pascal Grosse
Klinik für Neurologie, Charité – Universitätsmedizin Berlin, Berlin, Deutschland
Markus Gschwind
Kantonsspital Aarau, Neurozentrum im Haus 4, Aarau, Schweiz
Hajo Hamer
Neurologische Klinik, Universitätsklinikum Erlangen, Epilepsiezentrum, Erlangen, Deutschland
Michael Hamerle
Universitätsklinikum Regensburg, Innere Medizin II, Regensburg, Deutschland
Christoph Helmstaedter
Klinik und Poliklinik für Epileptologie, Universitätsklinikum Bonn, Bonn, Deutschland
Martin Holtkamp
Epilepsie-Zentrum Berlin-Brandenburg, Klinik für Neurologie, Charité – Universitätsmedizin Berlin, Berlin, Deutschland
Christian Hoppe
Klinik und Poliklinik für Epileptologie, Universitätsklinikum Bonn, Bonn, Deutschland
Barbara C. Jobst
Dartmouth-Hitchcock Medical Center and Geisel School of Medicine at Dartmouth, Lebanon, USA
Norbert van Kampen
Epilepsie-Zentrum Berlin-Brandenburg, Institut für Diagnostik der Epilepsien gGmbH, Berlin, Deutschland
Burkhard S. Kasper
Neurologische Universitätsklinik Erlangen, Epilepsiezentrum, Erlangen, Deutschland
Lara Kay
Epilepsiezentrum Frankfurt Rhein-Main, Zentrum der Neurologie und Neurochirurgie, Goethe-Universität Frankfurt, Frankfurt am Main, Deutschland
Frank Kerling
Epilepsiezentrum Rummelsberg, Sana-Krankenhaus Rummelsberg, Nürnberg, Deutschland
Silke Klamer
Abteilung Neurologie mit Schwerpunkt Epileptologie, Universitätsklinik und Hertie Institut für klinische Hirnforschung, Tübingen, Deutschland
Karl Martin Klein
Department of Clinical Neurosciences, Medical Genetics and Community Health Sciences, Cumming School of Medicine, Hotchkiss Brain Institute & Alberta Children’s Hospital Research Institute, Calgary, Kanada
Epilepsiezentrum Frankfurt Rhein-Main, Zentrum der Neurologie und Neurochirurgie, Goethe-Universität Frankfurt, Frankfurt am Main, Deutschland
Kerstin A. Klotz
Epilepsiezentrum Freiburg, Sektion Epilepsiediagnostik im Kindes- und Jugendalter der Universitätsklinik Freiburg, Freiburg, Deutschland
Susanne Knake
Epilepsiezentrum Hessen, Klinik für Neurologie, Universitätsklinikum Marburg, Marburg, Deutschland
Tobias Knieß
Klinik für Neurologische Rehabilitation Rhön-Klinikum AG Campus Bad Neustadt, Bad Neustadt a.d. Saale, Deutschland
Johannes P. Koren
Neurologische Abteilung, Klinik Hietzing, Wien, Österreich
Karl Landsteiner Institut für Klinische Epilepsieforschung und Kognitive Neurologie, Wien, Österreich
Alexander B. Kowski
Epilepsie-Zentrum Berlin-Brandenburg Klinik für Neurologie, Charité – Universitätsmedizin Berlin, Berlin, Deutschland
Niklaus Krayenbühl
Klinik für Neurochirurgie, Universitäts Spital Zürich, Zürich, Schweiz
Günter Krämer
Neurozentrum Bellevue, Zürich, Schweiz
Gerd Kurlemann
Bonifatius Hospital Lingen, Kinderklinik, Lingen, Deutschland
Kirsten Labudda
Klinische Neuropsychologie mit Schwerpunkt Epilepsieforschung, Universität Bielefeld, Bielefeld, Deutschland
Johannes D. Lang
Neurologische Universitätsklinik Erlangen, Epilepsiezentrum, Erlangen, Deutschland
Markus Leitinger
Universitätsklinik für Neurologie Christian-Doppler-Klinik – Paracelsus Medizinische Universität, Salzburg, Österreich
Martin Lutz
Epilepsiezentrum Kleinwachau gGmbH, Radeberg, Deutschland
Thomas Mayer
Epilepsiezentrum Kleinwachau gGmbH, Radeberg, Deutschland
Katja Menzler
Universitätsklinik Gießen und Marburg, Epilepsiezentrum Hessen (EZH), Marburg, Deutschland
Rosa Michaelis
Abteilung für Neurologie, Gemeinschaftskrankenhaus Herdecke, Universität Witten-Herdecke, Herdecke, Deutschland
Gabriel Möddel
Universitätsklinik Münster – Klinik für Neurologie, Münster, Deutschland
Mehdi Namdar
Service de Cardiologie, Hôpitaux Universitaires de Genève, Genf, Schweiz
Soheyl Noachtar
Epilepsiezentrum, Neurologische Klinik und Poliklinik, Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität München, München, Deutschland
Robert Pichler
Kepler Universitätsklinikum, Linz, Österreich
Thomas Porschen
Landesverband für Epilepsie-Selbsthilfe, Nordrhein-Westfalen e.V., Köln, Deutschland
Thomas Porschen
Landesverband für Epilepsie-Selbsthilfe, Nordrhein-Westfalen e.V., Köln, Deutschland
Georgia Ramantani
Universitäts-Kinderspital Zürich, Zürich, Schweiz
Stefan Rampp
Neurochirurgische Klinik, Universitätsklinikum Erlangen, Erlangen, Deutschland
Christophe Rauch
Epilepsiezentrum Rummelsberg, Sana-Krankenhaus Rummelsberg, Nürnberg, Deutschland
Philipp S. Reif
Epilepsiezentrum Frankfurt Rhein-Main, Zentrum der Neurologie und Neurochirurgie, Goethe-Universität Frankfurt, Frankfurt am Main, Deutschland
Jan Rémi
Epilepsiezentrum, Neurologische Klinik und Poliklinik, Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität München, München, Deutschland
Markus Reuber
Academic Neurology Unit, University of Sheffield, Royal Hallamshire Hospital, Sheffield, Großbritannien
Felix Rosenow
Epilepsiezentrum Frankfurt Rhein-Main, Zentrum der Neurologie und Neurochirurgie, Goethe-Universität Frankfurt, Frankfurt am Main, Deutschland
Friedhelm C. Schmitt
Universitätsklinik für Neurologie, Universitätsklinikum Magdeburg, Magdeburg, Deutschland
Andreas Schulze-Bonhage
Epilepsiezentrum, Universitätsklinikum Freiburg – Neurozentrum, Freiburg i. Breisgau, Deutschland
Margitta Seeck
Service de Neurologie, Hôpitaux Universitaires de Genève, Genève, Schweiz
Hermann Stefan
Neurologische Klinik-Biomagnetismus, Universitätsklinik Erlangen, Erlangen, Deutschland
Bernhard J. Steinhoff
Epilepsiezentrum Kork, Kork, Deutschland
Adam Strzelczyk
Epilepsiezentrum Frankfurt Rhein-Main, Zentrum der Neurologie und Neurochirurgie, Goethe-Universität Frankfurt, Frankfurt am Main, Deutschland
Rainer Surges
Klinik und Poliklinik für Epileptologie, Universitätsklinikum Bonn, Bonn, Deutschland
Christian Tilz
Krankenhaus Barmherzige Brüder Regensburg, Regensburg, Deutschland
Sandra P. Toelle
Universitäts-Kinderspital Zürich, Zürich, Schweiz
Eugen Trinka
Universitätsklinik für Neurologie Christian-Doppler-Klinik – Paracelsus Medizinische Universität, Salzburg, Österreich
Berthold Voges
Epilepsiezentrum Hamburg, Evangelisches Krankenhaus Alsterdorf, Hamburg, Deutschland
Tim J. von Oertzen
Kepler Universitätsklinikum, Linz, Österreich
Felix von Podewils
Universitätsmedizin Greifswald – Klinik für Neurologie, Greifswald, Deutschland
Bernd Vorderwülbecke
Epilepsie-Zentrum Berlin-Brandenburg, Klinik für Neurologie, Charité – Universitätsmedizin Berlin, Berlin, Deutschland
Jörg Wellmer
Ruhr-Epileptologie, Klinik für Neurologie, Universitätsklinikum Knappschaftskrankenhaus, Bochum, Deutschland
Laurent M. Willems
Epilepsiezentrum Frankfurt Rhein-Main, Zentrum der Neurologie und Neurochirurgie, Goethe-Universität Frankfurt, Frankfurt am Main, Deutschland
Juri-Alexander Witt
Klinik und Poliklinik für Epileptologie, Universitätsklinikum Bonn, Bonn, Deutschland
Johann P. Zöllner
Epilepsiezentrum Frankfurt Rhein-Main, Zentrum der Neurologie und Neurochirurgie, Goethe-Universität Frankfurt, Frankfurt am Main, Deutschland
Johann P. Zöllner
Epilepsiezentrum Frankfurt Rhein-Main, Zentrum der Neurologie und Neurochirurgie, Goethe-Universität Frankfurt, Frankfurt am Main, Deutschland
Teil IGrundlagen
Inhaltsverzeichnis
1 Definitionen 3
Martin Holtkamp und Friedhelm C. Schmitt
2 Pathophysiologie und translationale Tiermodelle 11
Pawel Fidzinski und Matthias Dipper-Wawra
3 Epilepsie als Netzwerkerkrankung 21
Hermann Stefan und Friedhelm C. Schmitt
4 Epidemiologie 29
Lara Kay und Adam Strzelczyk
5 Gesundheitsökonomie 37
Adam Strzelczyk und Laurent M. Willems
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020
F. Schmitt et al. (Hrsg.)Epileptische Anfälle und Epilepsien im Erwachsenenalterhttps://doi.org/10.1007/978-3-662-59198-7_1
1. Definitionen
Martin Holtkamp¹ und Friedhelm C. Schmitt²
(1)
Epilepsie-Zentrum Berlin-Brandenburg, Klinik für Neurologie, Charité – Universitätsmedizin, Berlin, Deutschland
(2)
Klinik für Neurologie, Universitätsklinikum Magdeburg, Magdeburg, Deutschland
Martin Holtkamp
Email: martin.holtkamp@charite.de
1.1 Einführung
1.2 Epileptischer Anfall
1.2.1 Akut symptomatischer vs. unprovozierter Anfall
1.2.2 Dauer eines epileptischen Anfalls
1.3 Epilepsien
1.4 Zusammenfassung
Literatur
1.1 Einführung
In der Neurologie unterscheiden wir üblicherweise drei diagnostische Ebenen: Symptom, Syndrom und Erkrankung. Eine unilaterale Parese an der oberen und unteren Extremität, eine unilaterale spastische Tonuserhöhung und unilaterale unerschöpfliche Fußkloni sind jeweils einzelne Symptome, die zusammengefasst das Syndrom einer unilateralen spastischen Hemiparese anzeigen. Weiterführende Untersuchungen (Bildgebung, Liquoruntersuchung, elektrophysiologische Untersuchungen etc.) sollen die Ursache des Syndroms klären. Letztlich kann die spastische Hemiparese auf einen ischämischen Schlaganfall, eine Multiple Sklerose, einen Hirntumor und anderes zurückzuführen sein.
Ähnlich, aber nicht identisch verhält es sich in der Epileptologie. Der epileptische Anfall ist ein Symptom, schon auf dieser Ebene wird ätiologisch dichotom in einen akut symptomatischen und einen unprovozierten Anfall unterschieden. Nur ein unprovozierter Anfall kann zur Diagnose einer Epilepsie führen, dies setzt ein signifikant erhöhtes Rezidivrisiko (mehr als 60 % in den folgenden zehn Jahren) voraus. Die Epilepsien werden zunächst in verschiedene Arten eingeteilt (z. B. fokale oder generalisierte Epilepsie; Abb. 1.1; Scheffer et al. 2018).
../images/462464_1_De_1_Chapter/462464_1_De_1_Fig1_HTML.pngAbb. 1.1
Stratifizierung nach einem ersten Anfall. Differenzialdiagnostisch müssen von einem epileptischen Anfall zunächst insbesondere Synkopen und psychogene nicht-epileptische Anfälle (PNEA) abgegrenzt werden. Ein epileptischer Anfall ist entweder akut symptomatischer Genese oder unprovoziert. In Abhängigkeit von der Wahrscheinlichkeit weiterer unprovozierter Anfälle ist der Anfall als isoliert unprovoziert (geringes Risiko, angezeigt durch ein nicht richtungsweisendes EEG und cMRT) oder bereits als Epilepsie (Risiko über 60 % in den nächsten zehn Jahren, angezeigt durch interiktale epileptiforme Muster im EEG oder eine epileptogene Läsion im cMRT). Im Fall des Vorliegens einer Epilepsie bereits nach dem ersten unprovozierten Anfall kann die Epilepsieart in Abhängigkeit von der Anfallssemiologie und gegebenfalls des interiktalen oder iktalen EEG fokal, generalisiert, kombiniert generalisiert-fokal (nicht dargestellt, sehr selten) oder unklassifiziert sein.
Fokale und generalisierte Epilepsien
1.
Fokale Epilepsien sind durch fokal, d. h. in einer Hirnhemisphäre, beginnende Anfälle gekennzeichnet.
2.
Generalisierte Epilepsien sind durch generalisiert, d. h. zeitgleich in beiden Hirnhemisphären, beginnende Anfälle gekennzeichnet.
Häufig kann die Epilepsieart unter Berücksichtigung von Anfallssemiologie, Alter bei Beginn der Epilepsie sowie dem interiktalen und gegebenenfalls iktalen EEG-Befund (in der Zusammenschau auch elektroklinische Daten genannt) einem spezifischen Epilepsiesyndrom zugeordnet werden. Bei fokalen Epilepsien kann dies z. B. eine mesiale Temporallappenepilepsie und bei generalisierten Epilepsien eine juvenile myoklonische Epilepsie sein (s. Kap. 7: Klassifikation und Terminologie von Epilepsiearten und -syndromen). Zur Ebene der Epilepsieart oder des Epilepsiesyndroms kommt dann – analog der allgemeinen Neurologie – die ätiologische Ebene hinzu. Bildgebende Untersuchungen des Gehirns, Serum- und Liquoruntersuchungen und gegebenenfalls Genetik sollen klären, ob es sich um eine strukturelle, infektiöse, autoimmunvermittelte, metabolische, genetische oder ätiologisch unbekannte Epilepsie handelt.
Im Folgenden sollen alle hier genannten Ebenen auf der Basis der Definitionen der Internationalen Liga gegen Epilepsie (ILAE) vorgestellt werden.
1.2 Epileptischer Anfall
Ein epileptischer Anfall ist definiert als das transiente Auftreten von objektivierbaren klinischen Zeichen und/oder rein subjektiv wahrgenommenen Symptomen jeweils auf der Basis einer abnormen exzessiven oder synchronisierten neuronalen Aktivität im Gehirn (Fisher et al. 2014). Die klinischen Zeichen betreffen das Verhalten, dies umfasst die Sphären Motorik, Sprache und Bewusstheit („awareness"). Die subjektiven Symptome beinhalten auditorische, gustatorische, olfaktorische, somatosensorische, visuelle etc. Wahrnehmungen, aber auch kurze psychische oder kognitive Alterationen wie ein Angstgefühl oder ein Déjà-vu. All diese Symptome werden von dem Patienten bewusst erlebt, somit kann er diese im Nachhinein auch – mehr oder weniger detailliert – berichten. Diese subjektiven Symptome waren früher mit dem Begriff Aura belegt. Seit Einführung der neuen Klassifikation und Terminologie von epileptischen Anfällen und Epilepsien durch die Internationale Liga gegen Epilepsie im Jahr 2017 werden Auren unter fokalen, bewusst erlebten Anfällen subsummiert (Fisher et al. 2018; Scheffer et al. 2018) (s. Kap. 6: Klassifikation und Terminologie von epileptischen Anfällen).
Die wichtigste Frage bei einem – vermeintlichen – epileptischen Anfall ist, ob es sich tatsächlich um einen epileptischen Anfall gehandelt hat (Abb. 1.1). Die beiden häufigsten differenzialdiagnostischen Entitäten sind psychogen nicht-epileptische Anfälle und Synkopen. Weitere Details zu Differenzialdiagnosen eines epileptischen Anfalls werden im s. Kap. 23 (Anamnese und körperliche Untersuchung) und den s. Kap. 39–43 (unterschiedliche Differenzialdiagnosen) besprochen.
1.2.1 Akut symptomatischer vs. unprovozierter Anfall
Wenn es sicher ist, dass ein erster Anfall epileptischer Genese war, stellt sich im zweiten Schritt die Frage, ob es sich um einen akut symptomatischen oder um einen unprovozierten Anfall gehandelt hat. Von allen ersten epileptischen Anfällen sind 25–40 % akut symptomatischer Genese. Es ist in Notfallsituationen und Rettungsstellen wichtig, rasch zu erkennen, ob ein epileptischer Anfall auf eine akut zugrunde liegende Störung oder Erkrankung zurückzuführen ist, da diese selbst oft einer weiterführenden Diagnostik oder Therapie bedarf. Zudem hat bei erworbenen Hirnläsionen die Differenzierung in akut symptomatische und unprovozierte Anfälle prognostische Relevanz (Abb. 1.2), was wiederum Einfluss auf die Indikation zu einer längerfristigen antiepileptischen Therapie hat (s. Kap. 75: Langzeitprognose von Anfällen und Epilepsien).
../images/462464_1_De_1_Chapter/462464_1_De_1_Fig2_HTML.pngAbb. 1.2
Langfristiges Risiko für weitere unprovozierte Anfälle nach einem ersten akut symptomatischen oder nach einem ersten unprovozierten epileptischen Anfall. Sowohl nach Schlaganfall, nach Schädel-Hirn-Trauma als auch nach ZNS-Infektion ist das langfristige Rezidivrisiko (zehn Jahre) für Anfälle nach einem ersten akut symptomatischen Anfall signifikant niedriger als nach einem ersten unprovozierten Anfall. Die gestrichelte Linie zeigt ein Rezidivrisiko von über 60 % und somit definitionsgemäß eine Epilepsie an. Unter Berücksichtigung der unteren Grenzen der Konfidenzintervalle liegt in dieser retrospektiven Studie das Wiederholungsrisiko nur nach einem unprovozierten Anfall nach Schlaganfall bei etwa 60 %
(Nach: Hesdorffer et al. 2009).
Bei etwa jedem dritten Patienten mit einem ersten epileptischen Anfall ist dieser Symptom und somit Marker einer akuten zugrunde liegenden systemischen Störung oder Hirnerkrankung.
Ein epileptischer Anfall ist als akut symptomatisch definiert, wenn er – in der Regel bei Patienten ohne vorbestehende Epilepsie – in engem zeitlichen oder somit oft kausalen Zusammenhang mit einer prokonvulsiven systemischen Störung oder einer akuten Hirnerkrankung aufgetreten ist (Beghi et al. 2010). Systemische Veränderungen umfassen metabolische Derangierungen (z. B. Hypoglykämie oder Hyponatriämie), erhöhte Körperkerntemperatur, Entzug von neuronal inhibierenden Substanzen (wie Alkohol oder Benzodiazepine) und Einnahme von potenziell prokonvulsiv wirkenden Medikamenten gegebenenfalls in Überdosierung (z. B. Penicillin-Derivate oder Theophyllin) bzw. Drogen (z. B. Amphetamine). Akute Hirnerkrankungen umfassen das Spektrum der Schlaganfälle, Meningitiden und Enzephalitiden, Schädel-Hirn-Traumata und neurochirurgische Eingriffe. Details zu den von der ILAE definierten Latenzen für die Zuordnung zu einer akut symptomatischen Genese zwischen Beginn der systemischen Störung bzw. der akuten Hirnerkrankung und Manifestation des epileptischen Anfalls sind in Tab. 1.1 dargestellt. Im deutschsprachigen Raum wird mitunter der Begriff Immediatanfall benutzt. Dieser beschreibt einen epileptischen Anfall, der zeitgleich mit einer akuten Hirnerkrankung, wie einem embolischen, kortikalen Infarkt, auftritt. International ist dieses Phänomen nicht gesondert definiert, sondern wird unter akut symptomatischer Anfall subsummiert.
Tab. 1.1
Akut symptomatische Anfälle: Latenz nach systemischer Störung oder erworbener Hirnschädigung
*Natrium im Serum <115 mmol/l, Glucose im Serum <36 mg/dl bzw. 2 mmol/l; ZNS zentrales Nervensystem
(Nach: Beghi et al. 2010)
Früher wurden synonym für den Terminus akut symptomatischer Anfall Begriffe wie Gelegenheitsanfall oder – in Analogie zu dem unten dargestellten unprovozierten Anfall – provozierter Anfall benutzt. Dies hat jedoch zu Missverständnissen geführt, diese Begriffe sollten nicht mehr verwendet werden. Unter Gelegenheitsanfall kann man Anfälle verstehen, die bei bestimmten Gelegenheiten auftreten, man kann darunter aber auch Anfälle verstehen, die gelegentlich (also selten) auftreten. Den Begriff provozierter Anfall – wenn akut symptomatischer Anfall gemeint ist – sollte man vermeiden, da es durchaus Provokationsfaktoren gibt, die bei einer bestehenden Epilepsie das Auftreten eines epileptischen Anfalls begünstigen. Um auch hier Missverständnisse zu vermeiden, sollte man statt Provokationsfaktor Begriffe wie Triggerfaktor oder Auslösefaktor verwenden, zumal letztlich unprovozierte Anfälle begünstigt werden. Ein klassisches Beispiel ist hier der Schlafentzug, der bei bestimmten Syndromen der genetischen generalisierten Epilepsien das Auftreten von unprovozierten Anfällen wahrscheinlicher machen kann. Bei Menschen, die keine erhöhte Neigung für die Generierung epileptischer Anfälle (im folgenden Prädisposition genannt) haben, sollte ein Schlafentzug aber nicht zu einem epileptischen Anfall führen, somit kann Schlafentzug nicht Ursache eines akut symptomatischen Anfalls sein. Epileptische Anfälle nach Schlafentzug deuten fast immer auf einen unprovozierten Anfall und damit möglicherweise auf eine Epilepsie. Weitere Auslösefaktoren unprovozierter Anfälle sind in der Übersicht dargestellt.
Beispiele für Auslöse- oder Triggerfaktoren unprovozierter Anfälle
Stroboskope etc. bei fotosensiblen Epilepsien (ein äußerer sensorischer Reiz führt zu einem epileptischen Anfall; s. Kap. 16: Reflexepilepsien)
Mensis (sog. katameniale Bindung von Anfällen; s. Kap. 66: Frauen im gebärfähigen Alter)
Fieber (sehr selten bei einem gesunden, d. h. nicht für epileptische Anfälle prädisponierten Gehirn Erwachsener)
Prokonvulsiv wirkendes Medikament (z. B. bestimmte Antibiotika oder Neuroleptika in hohen Dosierungen)
Nichtadhärenz bezüglich der Einnahme von Antiepileptika
Schlafentzug (überwiegend bei genetischen generalisierten Epilepsien)
Starke psychische Belastung (eine klinische Beobachtung, die aber schwer nachzuweisen ist; in der Regel wahrscheinlich als Auslösefaktor überschätzt)
Hervorzuheben ist, dass einige der Triggerfaktoren für unprovozierte Anfälle auch Ursache für akut symptomatische Anfälle sein können (z. B. prokonvulsiv wirkende Substanzen).
Alle epileptischen Anfälle, die nicht akut symptomatischer Genese sind, gelten definitionsgemäß als unprovozierte Anfälle (Abb. 1.1). Dies schließt Reflexanfälle ein, d. h. Anfälle, die als Reaktion auf einen definierten äußeren Reiz, wie visuelle Stimuli durch ein Stroboskop, ausgelöst werden (s. Kap. 16: Reflexepilepsien). Die Diagnose einer Epilepsie kann nur bei Auftreten mindestens eines unprovozierten Anfalls gestellt werden. Auch wenn Patienten mehrfach akut symptomatische Anfälle hatten, besteht bei ihnen definitionsgemäß keine Epilepsie. Ist ein erster unprovozierter Anfall nicht mit einem deutlich erhöhten Risiko für weitere Anfälle assoziiert (EEG und cMRT ohne richtungsweisenden Befund), sprechen wir von einem isolierten unprovozierten Anfall. Diese Unterscheidungen sind auch von hoher sozialmedizinischer Relevanz, da ihr Ergebnis Einfluss auf die Dauer des Fahrverbots (s. Kap. 70: Kraftfahreignung) und gegebenenfalls auf berufliche Einschränkungen (s. Kap. 73: Berufstätigkeit) hat.
Die Diagnose einer Epilepsie setzt mindestens einen unprovozierten Anfall voraus, auch mehrere akut symptomatische Anfälle definieren keine Epilepsie.
1.2.2 Dauer eines epileptischen Anfalls
Mithilfe des Video-EEG-Monitorings lässt sich die Dauer eines epileptischen Anfalls sehr exakt bestimmen. So dauern einer Studie mit 150 Patienten zufolge fokale nicht-bewusst erlebte Anfälle im Median gut eine Minute, während fokal zu bilateral tonisch-klonische Anfälle im Median gut zwei Minuten dauern; beide Anfallstypen halten nie mehr als fünf Minuten an (Jenssen et al. 2006). Von selbstlimitierenden epileptischen Anfällen ist ein Status epilepticus abzugrenzen. Nach der aktuellen Definition der ILAE liegt dieser bei einem bilateral tonisch-klonischen Anfall nach fünf Minuten und bei einem fokalen nicht-bewusst erlebten Anfall nach zehn Minuten vor (Trinka et al. 2015; s. Kap. 60: Status epilepticus).
1.3 Epilepsien
Die konzeptuelle Definition der ILAE beschreibt die Epilepsie als Hirnerkrankung, die durch eine anhaltende Prädisposition, epileptische Anfälle zu generieren, und durch deren neurobiologische, kognitive, psychologische und soziale Folgen charakterisiert ist (Fisher et al. 2014). Auf der operationalen Ebene liegt eine Epilepsie definitionsgemäß vor, wenn eine der in der folgenden Übersicht beschriebenen Konstellationen vorliegt.
Operationale Definition einer Epilepsie (Fisher et al. 2014)
1.
Mindestens zwei unprovozierte (oder Reflex-)Anfälle mit einem Abstand von mehr als 24 h
2.
Ein unprovozierter (oder Reflex-)Anfall und die damit verbundene Wahrscheinlichkeit für weitere Anfälle, die gleich hoch ist wie das Rezidivrisiko nach zwei unprovozierten Anfällen, die mindestens 60 % in den nächsten zehn Jahren beträgt
3.
Vorliegen eines klar definierten Epilepsiesyndroms
Dass zwei unprovozierte Anfälle eine Epilepsie definieren, gilt schon seit Jahrzehnten. Dass bei Vorliegen eines Epilepsiesyndroms die Diagnose einer Epilepsie gestellt wird, ist selbsterklärend. Neu an dieser Definition ist, dass die Diagnose einer Epilepsie schon nach einem unprovozierten Anfall gestellt wird, wenn ein entsprechend hohes Rezidivrisiko nachgewiesen werden kann. Aber wie kann diese hohe Wahrscheinlichkeit für erneute unprovozierte Anfälle nachgewiesen werden?
Epilepsie ist definiert als das signifikant erhöhte Risiko für weitere unprovozierte Anfälle.
Die einzige Ätiologie, für die ein Anfallsrezidivrisiko in den nächsten zehn Jahren von mehr als 60 % aufgezeigt werden konnte, ist der Schlaganfall. Retrospektiv konnte demonstriert werden, dass nach einem unprovozierten Anfall nach Schlaganfall das Rezidivrisiko über 70 % beträgt, nach ZNS-Infektion lag dies bei etwa 65 % (untere Grenze des Konfidenzintervalls unter 60 %) und nach Schädel-Hirn-Trauma bei knapp unter 50 % (Abb. 1.2; Hesdorffer et al. 2009). Weitere Daten für das Risiko eines weiteren unprovozierten Anfalls in Abhängigkeit der Ätiologie liegen nicht vor. Streng genommen, darf also nach einem Schädel-Hirn-Trauma und bei einer Reihe anderer angeborener oder erworbener Läsionen als Ursache des ersten unprovozierten Anfalls die Diagnose Epilepsie nicht gestellt werden. Dies ist aber weder sachgerecht noch im Alltag praktikabel. Es ist allgemein üblich, dass der Nachweis interiktaler epileptiformer Muster im EEG oder der Nachweis einer epileptogenen Läsion im cMRT anzeigt, dass bereits nach einem unprovozierten Anfall ein signifikant erhöhtes Rezidivrisiko und somit eine Epilepsie bestehen.
Epileptogene Läsion
1.
Neuroradiologisch festgestellte Läsionen sind potenziell epileptogen, wenn sie archi- oder neokortikale Strukturen direkt oder indirekt (juxtakortikal) involvieren.
2.
Als nicht-epileptogen werden infratentorielle oder tief im Marklager lokalisierte Läsionen angesehen; zudem gelten Arachnoidalzysten ohne relevante Druckwirkung auf kortikale Strukturen nicht als epileptogen.
In der aktuellen Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie zu epileptischen Anfällen und Epilepsien wird auf diese Problematik der – mangels belastbarer Daten – häufigen Nichtnachweisbarkeit einer signifikant erhöhten Epileptogenität nach erstem Anfall hingewiesen. Pragmatisch wird aber empfohlen, dass bereits nach einem unprovozierten Anfall und Nachweis von interiktalen epileptiformen Mustern im EEG oder epileptogenen cMRT-Veränderungen ein Antiepileptikum, das für den jeweiligen Anfallstyp und somit die Epilepsieart (fokal vs. generalisiert) geeignet ist, gegeben werden soll (Elger und Berkenfeld 2017).
Kann eine Epilepsie ausheilen? In der Definition der ILAE heißt es vorsichtiger formuliert aufgelöst oder überwunden („resolved").
Eine Epilepsie gilt als überwunden (Fisher et al. 2014) bei
altersabhängigem Epilepsiesyndrom (z. B. fokale Epilepsie mit zentrotemporalen Spikes) und einem aktuellen Alter jenseits dessen
Anfallsfreiheit in den letzten zehn Jahren und keiner Einnahme von Antiepileptika in den letzten fünf Jahren
1.4 Zusammenfassung
Ein epileptischer Anfall ist klinisch durch eine vorübergehende Änderung der Wahrnehmung und/oder des Verhaltens charakterisiert; die pathophysiologische Grundlage ist eine paroxysmal auftretende, synchronisierte neuronale Entladungsaktivität. Ein epileptischer Anfall ist akut symptomatischer Genese, wenn er in engem zeitlichen und kausalen Zusammenhang mit einer prokonvulsiven systemischen Störung oder einer akuten Hirnläsion auftritt. Alles andere sind unprovozierte Anfälle. Bei unauffälligem EEG und cMRT besteht kein relevant erhöhtes Rezidivrisiko, dies ist ein isolierter unprovozierter Anfall. Bei Nachweis interiktaler epileptiformer Muster im EEG oder einer epileptogenen Läsion im cMRT ist das Wiederholungsrisiko signifikant erhöht, hier wird die Diagnose einer Epilepsie gestellt. Die korrekte Zuordnung des ersten Anfalls zu einem akut symptomatischen oder einem isolierten unprovozierten Anfall bzw. bereits zu einer Epilepsie ist wichtig für die Frage nach Beginn einer antiepileptischen Therapie und nach der Dauer des Fahrverbots.
Kapitelübergreifender Fall III
75-jähriger Rentner mit Anfällen und Epilepsie nach Schlaganfall
Der Patient erleidet im Alter von 74 Jahren eine zerebrale Ischämie im anterioren Stromgebiet der Arteria cerebri media rechts. Ätiologisch kann der Schlaganfall auf ein Vorhofflimmern zurückgeführt werden. Initial besteht eine mittelschwere brachiofazial betonte Hemiparese links, die sich bei Verlegung in die Rehabilitationsklinik sieben Tage nach Beginn der Symptomatik schon deutlich zurückbildet.
Zwei Tage nach dem Schlaganfall kommt es bei dem Patienten auf der Stroke Unit zu einem ersten epileptischen Anfall, der vom Pflegepersonal beobachtet werden kann. Zu Beginn tritt eine tonische Versteifung des linken Arms auf, diese geht nach wenigen Sekunden in Kloni über, die sich dann rasch innerhalb der nächsten zehn Sekunden auf die gesamte linke Körperseite und nach weiteren zehn Sekunden auch auf die rechte Körperseite ausdehnen. Der Anfall dauert insgesamt etwa 90 s, postiktal ist der Patient desorientiert, er ist erst nach weiteren 30 min wieder voll reagibel. Semiologisch ist dies ein fokaler zu bilateral tonisch-klonischer Anfall. Der klinische Beginn mit einer tonischen Haltung des linken Arms spricht für einen Anfallsursprung im rechten Gyrus praecentralis, der Teil des infarzierten Hirnareals ist. Der Anfall ist innerhalb von sieben Tagen nach dem Schlaganfall aufgetreten; man spricht dann definitionsgemäß von einem akut symptomatischen Anfall. Aus Sorge vor einem weiteren Anfall in der akuten Phase nach dem Schlaganfall wird bei dem Patienten auf der Stroke Unit eine antiepileptische Therapie mit Levetiracetam in einer Dosis von 1000 mg täglich begonnen. Auch wenn das kurzfristige Risiko für einen weiteren akut symptomatischen Anfall nach Schlaganfall nur bei 10–20 % liegt, so ist dieses Vorgehen im klinischen Alltag gängige Praxis. Bei Verlegung in die Rehabilitationsklinik wird empfohlen, im Lauf der nächsten Wochen Levetiracetam wieder abzusetzen, da das langfristige Risiko für einen weiteren – dann unprovozierten – Anfall nur bei gut 30 % liegt. Ein akut symptomatischer Anfall und sogar mehrere akut symptomatische Anfälle erfüllen nie die Kriterien zur Diagnose einer Epilepsie; diese setzt mindestens einen unprovozierten Anfall voraus.
In der Rehabilitationsklinik wird Levetiracetam dann schrittweise abgesetzt, der Patient wird nach vier Wochen mit nur noch einer leichten Ungeschicklichkeit der linken Hand nach Hause entlassen.
Etwa ein Jahr später wird der Patient von seiner Ehefrau bewusstlos auf dem Boden des Wohnzimmers liegend aufgefunden, die Augen sind geschlossen, der Patient hyperventiliert. Wenige Minuten später kommt der Notarzt, erst in der Rettungsstelle des Krankenhauses setzt die Erinnerung des Patienten wieder ein. Gegenüber dem Arzt kann er keinerlei Angaben machen, wie es zu der Bewusstlosigkeit gekommen war, er habe auf dem Sofa sitzend ferngesehen, dann brach die Erinnerung ab. Bei der körperlichen Untersuchung findet sich ein lateraler Zungenbiss rechts, zudem besteht eine ausgeprägte Schwäche der linken Körperseite, die sich bis zum nächsten Morgen zurückgebildet. Am Tag nach dem Anfall verspürt der Patient einen starken Muskelkater aller Extremitäten. Ein akut durchgeführtes Schädel-CT zeigt eine ältere Infarktnarbe im anterioren Stromgebiet der A. cerebri media rechts. Auf Basis dieser Stigmata und der prolongierten Reorientierungszeit wird die Bewusstlosigkeit einem bilateral tonisch-klonischen Anfall zugeordnet. Bei der transienten Hemiparese links handelt es sich um eine Todd’sche Parese, diese zeigt einen rechts-hemisphäriellen Anfallsursprung an. Die Ehefrau hat den Patienten erst nach Ende des Anfalls aufgefunden, daher hat sie keine motorischen Zeichen mehr gesehen, die Augen waren schon geschlossen und durch die iktale Apnoe kam es kompensatorisch zu der postiktalen Hyperventilation. Nach einem unprovozierten epileptischen Anfall und bei Nachweis einer potenziell epileptogenen Läsion im CT beträgt das Risiko eines weiteren unprovozierten Anfalls in den folgenden zehn Jahren mehr als 70 %. Dies definiert eine Epilepsie. Es wird die Diagnose einer fokalen strukturellen Epilepsie mit einem bilateral tonisch-klonischen Anfall gestellt. Etwa 10 % aller Patienten mit ischämischem Schlaganfall entwickeln in den folgenden Jahren eine Epilepsie.
Literatur
Beghi E et al. (2010) Recommendation for a definition of acute symptomatic seizure. Epilepsia 51:671–675
Elger CE, Berkenfeld R (geteilte Erstautorenschaft) et al. (2017) S1-Leitlinie Erster epileptischer Anfall und Epilepsien im Erwachsenenalter. In: Deutsche Gesellschaft für Neurologie (Hrsg) Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie. www.dgn.org/leitlinien. Zugegriffen: 2. Mai 2020
Fisher RS et al. (2014) ILAE official report: a practical clinical definition of epilepsy. Epilepsia 55:475–482
Fisher RS et al. (2018a) Operationale Klassifikation der Anfallsformen durch die Internationale Liga gegen Epilepsie: Positionspapier der ILAE-Klassifikations- und Terminologiekommission. Z Epileptol 31:272–281
Hesdorffer DC et al. (2009) Is a first acute symptomatic seizure epilepsy? Mortality and risk for recurrent seizure. Epilepsia 50:1102–1108
Jenssen S et al. (2006) How long do most seizures last? A systematic comparison of seizures recorded in the epilepsy monitoring unit. Epilepsia 47:1499–1503
Scheffer IE et al. (2018) ILAE-Klassifikation der Epilepsien: Positionspapier der ILAE-Kommission für Klassifikation und Terminologie. Z Epileptol 31:296–306
Trinka E et al. (2015) A definition and classification of status epilepticus. Report of the ILAE Task Force on Classification of Status Epilepticus. Epilepsia 56:1515–1523
Weiterführende Literatur
Fisher RS et al. (2018) Anleitung („instruction manual") zur Anwendung der operationalen Klassifikation von Anfallsformen der ILAE 2017. Z Epileptol 31:282–295
Krämer G (2012) Lexikon der Epileptologie. Hippocampus, Bad Honnef
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020
F. Schmitt et al. (Hrsg.)Epileptische Anfälle und Epilepsien im Erwachsenenalterhttps://doi.org/10.1007/978-3-662-59198-7_2
2. Pathophysiologie und translationale Tiermodelle
Pawel Fidzinski¹ und Matthias Dipper-Wawra¹
(1)
Epilepsie-Zentrum Berlin-Brandenburg, Klinik für Neurologie, Charité – Universitätsmedizin Berlin, Berlin, Deutschland
Pawel Fidzinski
Email: pawel.fidzinski@charite.de
2.1 Einführung
2.2 Pathophysiologie
2.2.1 Grundlagen der Iktogenese
2.2.2 Iktogenese akut symptomatischer Anfälle
2.2.3 Iktogenese bei Epilepsien
2.3 Tiermodelle
2.3.1 Übersicht
2.3.2 Screening neuer Antiepileptika
2.4 Ausblick
2.5 Zusammenfassung
Literatur
2.1 Einführung
Das Verständnis der Entstehung von epileptischen Anfällen und von Epilepsien ist die Grundvoraussetzung, um Therapiekonzepte zur Verhinderung weiterer epileptischer Anfälle und – idealerweise – zur Verhinderung einer Epilepsie bei prädisponierten Patienten zu entwickeln.
Die Erforschung pathophysiologischer Mechanismen von Anfällen und Epilepsien am Menschen ist in begrenztem Maß durch elektro- und magnetenzephalografische Untersuchungen, Methoden der funktionellen und strukturellen Bildgebung und Untersuchungen von humanem Gewebe nach Epilepsiechirurgie möglich. Es bestehen allerdings für viele Fragestellungen natürliche ethische Limitationen. Daher muss oft auf Tiermodelle zurückgegriffen werden, die der humanen Erkrankung Epilepsie möglichst nahe sein sollen. Dies gilt sowohl für die Erforschung der Pathophysiologie als auch für die Entwicklung von neuen Therapien – hier in der Regel von potenziell antiepileptisch (eigentlich antiiktogen) wirkenden Pharmaka, aber auch von chirurgischen Ansätzen wie der tiefen Hirnstimulation. Die so gewonnenen Erkenntnisse sollen dann einem translationalen Ansatz folgend auf den Menschen übertragen werden.
2.2 Pathophysiologie
2.2.1 Grundlagen der Iktogenese
Bei der Pathophysiologie von epileptischen Anfällen und Epilepsien gilt es – wie oben erwähnt – zunächst zwischen Iktogenese und Epileptogenese zu unterscheiden. Die Iktogenese beschreibt den Vorgang der Entstehung, Ausbreitung und Beendigung eines epileptischen Anfalls, während die Epileptogenese die zerebralen Veränderungen betrifft, die zur Entstehung einer manifesten Epilepsie führen. Für beide Vorgänge gilt, dass ihre Mechanismen bis heute nicht vollständig aufgeklärt und Ziel der Forschung in der Epileptologie sind.
Epileptische Anfälle können sowohl bei an Epilepsie erkrankten Personen als auch im gesunden Hirn entstehen. Das neurobiologische Korrelat ist eine massive, rhythmische Aktivierung von supratentoriellen neuronalen Netzwerken aufgrund einer herabgesetzten Anfallsschwelle, die durch das Verhältnis aus inhibitorischen und exzitatorischen Signalen bestimmt wird. Sinkt die Anfallsschwelle bei einer ausreichend großen Zahl an Neuronen unter eine bestimmte individuelle Grenze, entsteht ein epileptischer Anfall. Das zelluläre Korrelat hierfür ist das Auftreten von paroxysmalen, langanhaltenden Membrandepolarisationen („paroxysmal depolarization shift, PDS). Diese führen zu einer Häufung von Aktionspotenzialen. Kann die Depolarisation durch Aktivierung der Inhibition und nachfolgende Hyperpolarisation beendet werden, manifestiert sie sich im EEG als Spike. Hält die PDS dagegen länger an, entwickelt sich hieraus ein epileptischer Anfall, da sich die Depolarisation in benachbarte Regionen ausbreitet. Die Ursache hierfür kann sowohl dauerhaft vorliegen – dies ist definitionsgemäß die Voraussetzung für eine Epilepsie – als auch nur für eine kurze Zeit präsent sein. Letzteres kann in dieser Zeit zu akut symptomatischen Anfällen führen. Eine Übersicht der häufigen Ursachen einer akuten Reduktion der Anfallsschwelle, die auch in „gesunden
Gehirnen zu einem epileptischen Anfall führen kann, ist Tab. 2.1 zu entnehmen.
Tab. 2.1
Ursachen einer akuten Reduktion der Anfallsschwelle
2.2.2 Iktogenese akut symptomatischer Anfälle
Die Modulation der Anfallsschwelle wird über unterschiedliche Mechanismen vermittelt. Nicht für alle Ursachen sind die genauen Mechanismen bekannt. Im Fall von Hyponatriämie, einer der häufigsten metabolischen Ursachen für akut symptomatische Anfälle, wird beispielsweise die Reduktion der Osmolarität als wesentlicher Faktor bei der Anfallsentstehung betrachtet. Die Hypoosmolarität führt zu einer erhöhten Glutamat- und GABA-Ausschüttung, was aufgrund einer stärkeren Wirkung der Glutamatausschüttung zu neuronaler Erregbarkeitssteigerung führt. Auch bei der – z. B. insulininduzierten – Hypoglykämie ist die Hypoosmolarität ein wahrscheinlicher Mechanismus der Iktogenese. Bei Hypokalziämie und Hypomagnesiämie ist hingegen die unter physiologischen Bedingungen bestehende Blockade von exzitatorischen NMDA-Rezeptoren durch Magnesium- und Kalziumionen aufgehoben. Hierdurch kommt es zur Aktivierung dieser Rezeptoren und einer neuronalen Erregbarkeitssteigerung. Auch bei einer Hyperkaliämie würde man, vor allem aufgrund einer Verschiebung des Membranpotenzials, eine erhöhte Erregbarkeit erwarten.
Ausgeprägte Elektrolytstörungen können über unterschiedliche Mechanismen zu einer reversiblen, gesteigerten neuronalen Erregbarkeit und somit zu epileptischen Anfälle führen.
Aus klinischer Sicht sind hyperkaliämie-induzierte epileptische Anfälle von nachrangiger Relevanz, da sich zuallererst kardiale oder muskuläre Symptome manifestieren. Anhand epidemiologischer Daten kann für viele metabolische Störungen ein Schwellenwert für ein erhöhtes Anfallsrisiko angegeben werden (Tab. 2.2).
Tab. 2.2
Schwellenwerte für akut symptomatische Anfälle im Rahmen von metabolischen Störungen
(Nach: Beghi et al. 2010)
Ein anderes, häufig auftretendes Beispiel für akut symptomatische Anfälle ist der Alkoholentzugsanfall. Hier führt zunächst ein anhaltender Alkoholkonsum über eine Hemmung von NMDA-Rezeptoren (exzitatorisch) und Aktivierung von GABA-Rezeptoren (inhibitorisch) zu einer kompensatorischen Erhöhung und Sensitivierung von NMDA-Rezeptoren und Reduzierung und Desensitivierung von GABA-Rezeptoren mit dem Ziel einer Erhaltung des Gleichgewichts zwischen Erregbarkeit und Hemmung (Glue und Nutt 1990; Tsai et al. 1995). Alkoholentzug führt zu einer Störung dieses Gleichgewichts, da es zur Reduktion der GABA-Aktivierung führt, ohne gleichzeitig die noch erhöhte NMDA-Rezeptor-Aktivität herabzusetzen. Auch im Fall von Benzodiazepinen bewirkt ein Absetzen des Medikaments in der Entzugsphase eine Reduktion der GABA-Aktivierung und ein Überwiegen der Exzitabilität. Die Folgen sind unter anderem motorische Unruhe, Schlaflosigkeit, Halluzinationen und – bei Alkoholentzug bei jedem zehnten Patienten – ein akut symptomatischer epileptischer Anfall.
Bei akut symptomatischen Anfällen im Rahmen frischer zerebraler Läsionen, wie Schlaganfälle, Schädel-Hirn-Traumata, ZNS-Infektionen etc., sind hingegen die genauen Mechanismen der Iktogenese nicht geklärt. Klinische Daten zeigen, dass akut symptomatische Anfälle nach einer primären zerebralen Blutung (~16 %) und nach einem ischämischen Infarkt mit sekundärer Einblutung (~13 %) häufiger sind als nach einem ischämischen Infarkt ohne Blutung (~4 %; Beghi et al. 2011). Dies spricht dafür, dass eine Blutung an sich einen entscheidenden und eigenständigen Risikofaktor bei der Iktogenese darstellt. Da Albumin die Erregbarkeit von Neuronen erhöhen kann, ist im Fall einer Blutung das erhöhte Anfallsrisiko möglicherweise mit der massiven Störung der Blut-Hirn-Schranke bei Blutungsereignissen im Vergleich zu ischämischen Ereignissen in Verbindung zu bringen (Marchi et al. 2007).
2.2.3 Iktogenese bei Epilepsien
Im Rahmen einer Epilepsie, also einer chronisch erniedrigten Anfallsschwelle, lassen sich in einigen Fällen spezifische, zur Iktogenese führende Faktoren eruieren. Hier ist insbesondere die seltene Reflexepilepsie, zu der auch die photosensitive Epilepsie gehört, zu nennen (s. Kap. 16: Reflexepilepsien). Spezifische Reize (z. B. visuell oder auditorisch) können bei prädisponierten Patienten einen Anfall auslösen. Interessanterweise ist bei diesen Epilepsien der Reiz notwendig, aber nicht hinreichend für die Anfallsentstehung, da nicht jeder Reiz zu einem Anfall führt. Für die Iktogenese spielen eine Reihe weiterer Faktoren (Voraktivierung, Tageszeit etc.) eine Rolle. Wie genau diese Faktoren die Anfallsschwelle verändern, ist nicht bekannt.
Die Mechanismen der Iktogenese im Rahmen manifester Epilepsien unterscheiden sich von den Mechanismen bei akut symptomatischen Anfällen. Hier spielt die Epileptogenese eine maßgebliche Rolle, worunter der zu einer langfristigen Herabsetzung der Anfallsschwelle führende Prozess verstanden wird. Diese Herabsetzung erhöht deutlich die Wahrscheinlichkeit für unprovozierte Anfälle und definiert damit neurobiologisch die Epilepsie. Abhängig von der Epilepsieart kann die Epileptogenese entweder fokal begrenzt auftreten oder den gesamten Archi- und/oder Neokortex betreffen. Gemäß der aktuellen Klassifikation der Epilepsien werden im Folgenden die Mechanismen der Epileptogenese für einzelne Ätiologien überblickartig dargestellt.
Ätiologische Grundlage genetischer Epilepsien sind unter anderem Kanalopathien (Imbrici et al. 2016). Hierbei führen genetische Veränderungen an einzelnen Ionenkanaltypen zu einer veränderten Homöostase und einer gesteigerten neuronalen Erregbarkeit. Häufig betroffen sind Kalium- und Natriumkanäle sowie der GABA-A-Rezeptor, der die Öffnung des Chloridkanals regelt. Bislang konnte jedoch nur bei einem kleinen Teil der betroffenen Patienten eine entsprechende genetische Disposition nachgewiesen werden (EpiPM Consortium 2015). Bei der juvenilen myoklonischen Epilepsie als Prototyp der generalisierten genetischen Epilepsien mit einem relativ eng umschriebenen Phänotyp wurden genetische Veränderungen in verschiedensten Kanälen, Rezeptoren und synaptischen Proteinen beschrieben. Hierzu gehören unter anderem GABA- und Acetylcholinrezeptoren sowie PRRT2, ein Protein, das an der Freisetzung von Neurotransmittern beteiligt ist (s. Kap. 17: Genetische Epilepsien).
Den genetischen generalisierten Epilepsien liegen pathophysiologische Änderungen an Ionenkanälen sowie an GABA- und Acetylcholinrezeptoren zugrunde.
Als Ursache von strukturellen Epilepsien stehen insbesondere die bereits bei der Iktogenese genannten Schlaganfälle (Ischämien oder Hämorrhagien) und Schädel-Hirn-Traumata im Vordergrund. Die Größe der Läsion, eine kortikale Beteiligung sowie Blutungen sind dabei mit einem erhöhten Risiko für die Entwicklung einer Epilepsie korreliert. Weitere Ursachen für eine strukturelle Epilepsie können primäre hirneigene Tumoren und Metastasen sein. Die genauen Mechanismen, die letztlich zur Epileptogenese führen, sind nicht bekannt. Diskutiert werden Veränderungen im periläsionellen Netzwerk mit einem Verlust von inhibitorischen GABAergen Neuronen. Persistierende Eisenablagerungen scheinen für die höhere Rate an strukturellen Epilepsien nach Blutungen verantwortlich zu sein.
Wie in der aktuellen Klassifikation der Epilepsien vorgesehen, können einigen Epilepsien mehrere Ätiologien zugeordnet werden. Hierzu zählt z. B. die Epilepsie bei Tuberöse-Sklerose-Komplex (TSC; s. Kap. 13: Epilepsie bei Tuberöse-Sklerose-Komplex). Auf der einen Seite sind in den meisten Erkrankungsfällen Mutationen im TSC1- oder TSC2-Gen nachweisbar. Diese führen zu einer gesteigerten Aktivität des mTOR-Signalwegs, der die Zellproliferation steigert, den kontrollierten Zelltod verhindert und an der Reifung und Migration von Neuronen beteiligt ist. Dies führt zu strukturellen Veränderungen, die sich makroskopisch als Tuber darstellen (Mühlebner et al. 2019). Gleichzeitig wird durch eine gesteigerte Vernetzung der Neuronen durch erhöhtes axonales Aussprossen die glutamaterge Erregbarkeit gesteigert, was mit einer reduzierten Anfallsschwelle gleichzusetzen ist.
Die weltweit häufigste Ursache von infektiösen Ursachen einer Epilepsie ist die Neurozystizerkose. Hierbei bilden die Larven des Schweinebandwurms (Taenia solium) sog. Finnenbläschen, die im ZNS in der Regel an der Grenze zum Neokortex gelegen sind. Durch mechanischen Druck auf den Kortex und durch Entzündungsprozesse kommt es letztlich zur Epileptogenese. Auch bei anderen infektiösen Ursachen wie beispielsweise Malaria oder der zerebralen Toxoplasmose spielen entzündliche Prozesse in kortikalen Strukturen eine entscheidende Rolle (s. Kap. 19: Infektiöse Epilepsien).
Unter dem Begriff der immunologischen Epilepsien wird die wachsende Gruppe von limbischen Enzephalitiden zusammengefasst (s. Kap. 20: Autoimmune Anfälle und Epilepsien). Die bekannteste Form ist die NMDA-Rezeptor-Enzephalitis. Interessanterweise zeigen tierexperimentelle Daten, dass NMDA-Rezeptor-Antikörper zu einer verringerten Erregbarkeit von Neuronen führen. Wie dieser Befund mit der klinischen Beobachtung von epileptischen Anfällen zu vereinbaren ist, ist derzeit unklar. Allerdings sind NMDA-Rezeptoren auch auf hemmenden Neuronen lokalisiert, sodass eine Hemmung der Hemmung in Summe zu einer gesteigerten Erregbarkeit führen könnte. Denkbar wäre auch eine kompensatorische Steigerung der Anzahl anderer glutamaterger Rezeptoren – insbesondere AMPA-Rezeptoren. Auch Antikörper gegen Kaliumkanalkomplexe führen häufig zu einer Enzephalitis mit epileptischen Anfällen. Dabei binden die Antikörper nicht direkt an Kaliumkanäle, sondern an interagierende Proteine. Die bekanntesten sind LGI1 und CASPR2. Unter physiologischen Bedingungen reguliert LGI1 die Übertragung von Signalen an hemmenden Synapsen. LGI1-Antikörper führen zu einer Desorganisation der synaptischen Struktur, woraus eine Reduktion der Erregbarkeit dieser hemmenden Synapsen resultiert. Hingegen ist CASPR2 an der Organisation von Kaliumkanälen in Axonen beteiligt. Bei der CASPR2-Enzephalitis kommt es in den betroffenen Axonen zu einer Verschlechterung der Kaliumleitfähigkeit und folglich erhöhter Erregbarkeit in diesen Zellen (van Sonderen et al. 2016).
Der gemeinsame Nenner aller beschriebenen Pathophysiologien ist das Missverhältnis aus erregender und hemmender Aktivität. Die Vielfalt der diesem Missverhältnis zugrunde liegenden pathologischen Mechanismen begründet auch das breite Spektrum an experimentellen Ansätzen zum Verständnis der Pathophysiologie der Epilepsie.
2.3 Tiermodelle
2.3.1 Übersicht
Die eben erörterte pathophysiologische Bandbreite lässt vermuten, dass es kein Standardtiermodell geben kann, das alle Aspekte des Krankheitsbilds Epilepsie reproduziert. Ein hypothetisches, perfektes Tiermodell würde Epilepsien beim Menschen auf mehreren Ebenen inklusive kausaler Mechanismen, phänotypischer Merkmale und, am wichtigsten, der Reaktion auf therapeutische Maßnahmen valide repräsentieren. Tiermodelle können jedoch unabhängig von der zugrunde liegenden Erkrankung nur bestimmte Aspekte, z. B. einen akut symptomatischen Anfall, wiedergeben und können daher nur einzelnen Fragestellungen dienen. Tatsächlich sind für epileptische Anfälle und Epilepsien unzählige Tiermodelle bekannt. Ihre Verschiedenheit spiegelt die Komplexität des Krankheitsspektrums wider.
In der Epileptologie werden Tiermodelle hauptsächlich in zwei Bereichen eingesetzt: in den Grundlagenwissenschaften und in der präklinischen Forschung. Im Bereich der Grundlagen konnten mit Tiermodellen unter anderem Erkenntnisse zu pathophysiologischen Mechanismen der Iktogenese, Epileptogenese oder Netzwerkreorganisation bei Epilepsie gewonnen werden. Die Verwendung von Tiermodellen in der präklinischen Forschung dient im Wesentlichen dem Screening bei der Entwicklung neuer – in der Regel pharmakologischer – Therapieansätze. Daneben werden aber auch Tiermodelle für diagnostische Fragestellungen, wie z. B. der Entwicklung von bildgebenden oder elektrophysiologischen Biomarkern oder Anfallsprädiktoren, eingesetzt. Neben verschiedenen Anwendungsgebieten können Tiermodelle nach dem zu modellierenden Parameter unterschieden werden. So gibt es beispielsweise transgene Tiermodelle für monogenetische Epilepsien. Auch verschiedene Anfallstypen wie Absencen oder fokale Anfälle aus dem Temporallappen werden durch entsprechende Modelle repräsentiert. Bezogen auf die Anfallsätiologie unterscheidet man weiterhin zwischen akuten und chronischen Modellen. Akute Anfälle werden in gesunden, naiven Tieren oder Geweben beispielsweise durch elektrische Stimulation induziert. Wiederholt spontan (unprovoziert) auftretende Anfälle können unter anderem mittels chemisch oder elektrisch induziertem Status epilepticus oder durch physikalisches Trauma auf den Neokortex induziert werden.
Zum Oberbegriff Tiermodelle gehören auch Zellkulturen oder akute Hirnschnitte; auf diese Subtypen soll hier nicht genauer eingegangen werden. Aufgrund der Breite des Themas liegt eine detaillierte Beschreibung aller Tiermodelle für epileptische Anfälle und Epilepsien außerhalb der Zielsetzung dieses Kapitels (s. dazu Löscher 2011). Im Folgenden soll aufgrund der klinischen Relevanz der Fokus auf Nager-Screening-Modelle für neue antiepileptische Pharmakotherapien liegen, eine exemplarische Einteilung ist Abb. 2.1 zu entnehmen.
../images/462464_1_De_2_Chapter/462464_1_De_2_Fig1_HTML.pngAbb. 2.1
Übersicht der Tiermodelle in der Epilepsieforschung. Die aufgeführten Anfalls-/Epilepsiemodelle sind nach der zugrunde liegenden Ätiologie (genetisch vs. nicht genetisch) und dem Induktionsmechanismus (elektrisch vs. chemisch vs. physikalisch) aufgeteilt. Die farbliche Markierung kennzeichnet die Semiologie der induzierten Anfälle
(Modifiziert nach Löscher 2011).
2.3.2 Screening neuer Antiepileptika
Die systematische Verwendung von Screening-Modellen begann vor über 80 Jahren mit der Entdeckung der antiepileptischen Eigenschaften von Phenytoin durch Putnam und Merritt (1937) im Maximal-electroshock(MES)-Modell. Einige Jahre später wiesen Everett und Richards (1944) mithilfe des Pentylentetrazol(PTZ)-Modells antiepileptische Eigenschaften von Trimethadion nach. Die Kombination beider Modelle wurde in den 1950er-Jahren als Screening-Standard bei der Suche nach antiepileptischen Substanzen vorgeschlagen. Unter ihrer Verwendung kam es seitdem tatsächlich, unter anderem im Rahmen von international angelegten, industriellen Screening-Programmen, zur Identifikation zahlreicher neuer Antiepileptika. In beiden Modellen werden epileptische Anfälle akut in gesunden Tieren induziert und die antiepileptische Potenz einer vor Induktion applizierten Substanz getestet. Im MES-Modell erfolgt die Induktion von Anfällen elektrisch mit aurikulären oder kornealen Stimulationselektroden, beim PTZ-Modell chemisch über die antagonistische Wirkung von PTZ an GABA-Rezeptoren. Die Modelle können als komplementär betrachtet werden: Das MES-Modell ist prädiktiv für Substanzen, die gegen generalisierte tonisch-klonische Anfälle wirksam sind, während das PTZ-Modell eher eine gute Prädiktion bei nicht motorischen Anfällen zeigt. Ein weiterer Unterschied liegt in der Präferenz für Wirkungsmechanismen von Antiepileptika: Das MES-Modell zeigt eine hohe Sensitivität für natriumkanalblockierende Substanzen wie das zuvor genannte Phenytoin, das PTZ-Modell hingegen für an GABA-Rezeptoren wirkende Substanzen, wie z. B. Benzodiazepine und Valproinsäure.
Das erste Antiepileptikum, das durch systematisches Screening in einem Tiermodell für akut ausgelöste Anfälle entdeckt wurde, war 1938 Phenytoin. Das gleiche Modell wird in leichter Abänderung bis heute eingesetzt.
Die gemeinsame Verwendung beider Modelle zur Detektion von Antiepileptika war jahrzehntelang sehr erfolgreich, bleibt jedoch nicht ohne Limitationen. Denn nicht alle als antiepileptisch detektierten Substanzen zeigten eine klinische Wirksamkeit beim Patienten. Umgekehrt gibt es Antiepileptika, deren Wirksamkeit weder durch das MES- noch das PTZ-Modell vorhergesagt werden konnten. Hier sei insbesondere Levetiracetam erwähnt. Dessen antiepileptische Wirkung konnte erst unter Verwendung eines Modells für fokale Anfälle, der 6-Hz-Kornealstimulation, entdeckt werden. Darüber hinaus gelang es bislang nicht, mit der MES/PTZ-Kombination wirksame Substanzen gegen pharmakoresistente Epilepsien zu detektieren. Daher werden in neueren Screening-Programmen zusätzlich zu MES/PTZ-Modellen das 6-Hz-Modell psychomotorischer Anfälle (entspricht in der Klinik am ehesten fokalen, nicht-bewusst erlebten Anfällen) und ein weiteres, chronisches Modell verwendet, das als Temporallappenepilepsie(TLE)-Kindling-Modell bekannt ist. Hier erfolgt die Anfallsinduktion durch wiederholte elektrische Stimulation mit Tiefenelektroden in temporomesialen Strukturen. Mit jedem der täglich applizierten Stimuli (meist nur für eine Sekunde) wird die Anfallsschwelle gesenkt, bis es zu induzierten oder sogar unprovozierten klinischen Anfällen kommt. Somit stellt das Kindling-Modell im Vergleich zu Akutmodellen ein sehr zeit- und personalaufwendiges Verfahren dar. Das TLE-Kindling-Modell ist prädiktiv für die Wirksamkeit zahlreicher, gegen fokale Anfälle wirksamer Antiepileptika inklusive Levetiracetam.
Mithilfe der akuten Anfallsmodelle werden neben potenziell antiepileptisch wirkenden Pharmaka auch minimalinvasive chirurgische Verfahren, wie die Tiefe Hirnstimulation, getestet. Etablierte Tiermodelle zur Untersuchung der Wirksamkeit für die resektive und die ablative Epilepsiechirurgie (z. B. stereotaktische Laser-Thermoablation) existieren nicht.
Trotz Entdeckung vieler neuer Antiepileptika haben die bisherigen Screening-Ansätze keine Besserung im Hinblick auf die unveränderte Pharmakoresistenzrate von etwa 30 %, auf fehlende Therapieoptionen gegen Epileptogenese und auf die Behandlung von Komorbiditäten erbracht. Daher ist eine Entwicklung translationaler Modelle mit ausreichend hoher Prädiktion für die Wirksamkeit beim Patienten dringend notwendig. Aktuell werden neben den oben genannten, validierten Modellen in der präklinischen Entwicklung weitere Modelle für spezielle Fragestellungen bzw. Anfallstypen verwendet. Dazu gehören neben genetischen Epilepsiemodellen, wie DBA/2-Mäusen oder Absenzenepilepsie-Ratten (auch unter der Abkürzung GAERS oder WAG/Ri bekannt), auch Pharmakoresistenzmodelle, wobei die letztgenannten zunehmenden Eingang in Screening-Programme finden. So werden im US-amerikanischen nationalen Epilepsy Therapy Screening Program (Kehne et al. 2017) drei Modelle verwendet, bei denen Anfälle zumindest gegen einige etablierte Antiepileptika pharmakoresistent sind: in Mäusen das oben erwähnte 6-Hz-Modell psychomotorischer Anfälle und das intrahippocampale Kainat-Modell der TLE, bei dem durch Injektion von Kainat ein Status epilepticus und nach Epileptogenese eine chronische Epilepsie induziert werden. In Ratten wird zudem das lamotrigin-resistente Kindling-Modell verwendet (s. unten). Leider sind diese und auch alle anderen bisherigen Pharmakoresistenzmodelle dahingehend limitiert, dass sie nicht gegen alle Antiepileptika resistent sind, was ihre Validität bezogen auf die klinische Realität infrage stellt. Darüber hinaus ist es bisher nicht gelungen, mithilfe der Modelle eine bei Pharmakoresistenz wirksame Substanz zu identifizieren. Somit ist ihre prädiktive Aussagekraft als fraglich zu erachten.
Tiermodelle der chronischen Epilepsie mit spontan auftretenden Anfällen reflektieren Epilepsien bei Menschen deutlich besser als Screening-Modelle akuter Anfälle, erstere sind aber erheblich zeitaufwendiger.
Ein neuer Ansatz basiert auf der Beobachtung, dass nicht alle Tiere in einem Modell die gleiche Reaktion zeigen. Daraufhin wurde eine Verfeinerung vorgeschlagen, indem in einem Modell zunächst pharmakoresistente Tiere gegen ein etabliertes Antiepileptikum identifiziert und anschließend mit diesen Tieren weitere Substanzen getestet werden. Als Beispiele sind phenytoin- und lamotrigin-resistente Kindling-Ratten zu nennen. Solche Modelle spiegeln die klinische Situation gut wider, da ähnlich wie bei Patienten nur ein Teil der Population pharmakoresistent ist. Solche Modelle sind jedoch mit einem enorm hohen Aufwand und mit einem nicht unerheblichen Leiden der Versuchstiere verbunden. Diese Aspekte machen einen breiten Einsatz in der Arzneimittelentwicklung schwierig.
2.4 Ausblick
Zusammengefasst besteht aufgrund der genannten Limitationen weiterhin ein hoher Bedarf zur Weiterentwicklung von Screening-Modellen, vor allem bezüglich Pharmakoresistenz und Antiepileptogenese. Die Identifikation von individualisierten Therapien, wie z. B. Stiripentol beim Dravet-Syndrom oder Everolimus bei Tuberöse Sklerose-assoziierter Epilepsie, unterstützt die Notwendigkeit individualisierter Tiermodelle. Wünschenswert wäre eine Weiterentwicklung insbesondere bei Syndromen ohne aktuell verfügbare Modelle, wie für die juvenile myoklonische Epilepsie oder das Lennox-Gastaut-Syndrom. Neben der Fokussierung auf Nagermodelle wäre zudem bei der Entwicklung individualisierter Therapien die Verwendung von Hochdurchsatzmodellen in anderen Spezies, wie z. B. den in letzter Zeit zunehmend für Screening-Zwecke verwendeten Zebrafischen, zu erwägen. Die Anforderungen an die Weiterentwicklung von Screening-Modellen sind in Abb. 2.2 zusammengefasst. Insgesamt ist ein langsamer Paradigmenwechsel mit dem Fokus auf die Entwicklung individualisierter Therapien und der Maßgabe höherer Reproduzierbarkeit und Standardisierung in präklinischen Studien zu beobachten. Es bleibt abzuwarten, ob diese Maßnahmen bei den noch offenen Aspekten von Epilepsien Erfolge zeigen und in der Zulassung neuer Therapien münden.
../images/462464_1_De_2_Chapter/462464_1_De_2_Fig2_HTML.pngAbb. 2.2
Anforderungen an translationale Tiermodelle in der Epilepsieforschung. Translationale Tiermodelle sollten idealerweise eine Reihe von Eigenschaften erfüllen, um eine rasche und zuverlässige Translation der Ergebnisse in die Klinik zu ermöglichen und um einen relevanten Beitrag zu den bestehenden Herausforderungen in der Epileptologie (Pharmakoresistenz, Antiepileptogenese) leisten zu können
(Modifiziert nach Löscher 2016).
2.5 Zusammenfassung
Das Verständnis pathophysiologischer Grundlagen der Entstehung von epileptischen Anfällen und Epilepsien ist Voraussetzung für die Entwicklung neuer Therapiekonzepte. Aus ethischen Gründen sind der Forschung an Menschen enge Grenzen gesetzt, daher muss häufig auf Tiermodelle zurückgegriffen werden. Die Entstehung eines akut symptomatischen Anfalls ist – in Abhängigkeit von der Ursache – in der Regel auf eine reversible Verschiebung im Verhältnis von Inhibition zu Exzitation zurückzuführen. Bei Epilepsien stehen eher die Mechanismen, die zur Epileptogenese beigetragen haben, im Vordergrund. Diese führen über ätiologieabhängige Wege zu einer reduzierten Anfallsschwelle, die das Auftreten von unprovozierten Anfällen erleichtert. Tiermodelle sollen zur Erforschung pathophysiologischer Mechanismen beitragen, sie dienen zudem zum Screening von neuen potenziell antiepileptisch wirksamen Substanzen. Kein Modell ist ideal, es werden je nach Fragestellung unterschiedliche Modelle eingesetzt.
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3. Epilepsie als Netzwerkerkrankung
Hermann Stefan¹ und Friedhelm C. Schmitt²
(1)
Neurologische Klinik-Biomagnetismus, Universitätsklinik Erlangen, Erlangen, Deutschland
(2)
Klinik für Neurologie, Universitätsklinikum Magdeburg, Magdeburg, Deutschland
Hermann Stefan
Email: hermann.stefan@t-online.de
3.1 Einführung
3.2 Methoden der Netzwerkanalysen
3.3 Epilepsien als Störung kortikaler Netzwerkorganisation
3.4 Netzwerkanalysen zur Dichotomie fokaler und generalisierter Epilepsien
3.5 Netzwerkanalysen als Basis therapeutischer Entscheidungen
3.6 Netzwerkanalysen im Rahmen der präoperativen Diagnostik
3.7 Zusammenfassung
Literatur
3.1 Einführung
Beschreibungen eines Netzwerks, in dem Neurone elementare Einheiten darstellen, die Signale über synaptische Kontakte weiterleiten, gehen auf Ramón y Cajal (1894) zurück. Ein umschriebener Ursprungsort epileptischer Aktivität wird historisch als Fokus bezeichnet. Fokale Epilepsien können jedoch auf mehr oder weniger ausgebreiteten exzessiven Erregungsbildungsstörungen beruhen. Daher werden für funktionelle Charakterisierungen ergänzend zu dem Fokuskonzept Veränderungen im umfassenden neuronalen Netzwerk des Gehirns betrachtet. Netzwerkanalysen haben in den letzten Jahren sowohl tierexperimentell als auch bei Menschen deutlich zugenommen. Die klinische Validierung verschiedener Konzepte und Methoden von Netzwerkanalysen ist Gegenstand weiter aktueller Forschung bezüglich ihrer Evaluation.
3.2 Methoden der Netzwerkanalysen
Netzwerkanalysen basieren auf verschiedenen Registrierungs- und Analysemethoden. Hierzu gehören EEG und MEG, MRT, PET, Optical imaging, Optogenetics und andere (Smith und Schevon 2016). Im Netzwerkkonzept betrachtet man z. B. Neurone als Knoten und besonders wichtige Knoten als Hubs. Bestimmte neuronale Cluster repräsentieren besonders wichtige Konnektivitätspunkte für die Integration und Koordination von Hirnsignalen. Bei einer Netzwerkanalyse werden Einheiten aus Knoten und Verbindungen als Module bezeichnet. Die Pfadenlänge zwischen Knoten und die Menge an Verbindungen können gesondert definiert werden.
Weitere Begriffe werden in Tab. 3.1 erörtert.
Tab. 3.1
Ausgewählte Begriffe der Netzwerkanalyse
Für Netzwerkanalysen können unterschiedliche Verfahren mit spezifischen Vor- und Nachteilen eingesetzt werden. Die Netzwerke unterscheiden sich durch lokale und globale Konnektivität, Konnektivitätsdichte und Knoteneigenschaften sowie Pfadlänge. Die nachstehende Übersicht fasst verschiedene Konnektivitätsmessverfahren zusammen.
Verschiedene gebräuchliche Messverfahren zur Konnektivitätsanalyse
Klassische Methoden (z. B. Coherence, Correlation, Phase slope index), Phasensynchronisation (z. B. Phase lag index, phase locking value)
Generalisierte Synchronisation (z. B. synchronisation likelyhood), Granger causality (z. B. direct transfer function)
Informationstheoretische Messungen (z. B. mutual information, direct transfer function, multiple spanning tree etc).
Verschiedene Modelle einer Netzwerkarchitektur (Konnektome) sind in Abb. 3.1 dargestellt. Eine eingehendere Darstellung von Grundsätzen funktionaler Konnektivität und Netzwerkdynamik im Hinblick auf Epilepsienetzwerke ist in Übersichtsarbeiten zu finden (Diessen et al. 2013; Stefan und Lopes da Silva 2013).
../images/462464_1_De_3_Chapter/462464_1_De_3_Fig1_HTML.pngAbb. 3.1
Verschiedene Netzwerktypen und ihre Charakteristika. Beispiele für verschiedene funktionelle Netzwerktypen und ihre Charakteristika (modifiziert nach Kaiser 2011). Die Netzwerke unterscheiden sich durch lokale und globale Konnektivität, Konnektivitätsdichte und Knoteneigenschaften sowie Pfadlänge. Für Netzwerkanalysen können unterschiedliche Verfahren mit spezifischen Vor- und Nachteilen eingesetzt werden. Local scale free: Verbindungen eines Knotens nach Potenzgesetz verteilt, einheitslos, keine Gauß-Verteilung, assoziiert mit einer niedrigen Schwelle für Epileptogenizitäts-Ausbreitung. Clustering: Lokale Nachbarsynchronisation. Rich-club-Netzwerk: Ein „rich club" ist definiert durch eine Tendenz zu High-degree-Knoten, d. h. Knoten, die besonders dicht konnektiert sind.
Dynamische Systeme können als Netzwerke beschrieben werden. Subsysteme stellen Knoten und Verbindungen in Form von Kanten („edges") dar. Die Konnektivität von Netzen kann mit verschiedenen Analyseverfahren definiert werden.
3.3 Epilepsien als Störung kortikaler Netzwerkorganisation
Simultane Registrierungen der klinischen Manifestation des epileptischen Anfalls und des iktalen EEG liefern wichtige Hinweise auf die involvierten Hirnregionen (s. Abschn. 29.1 und 29.2). Topographische Video-EEG-Analysen von Anfallsphänomenen und simultanen, invasiv abgeleiteten High Frequency Oscilllations (HFO) zeigen z. B. den Beginn iktaler HFO im sensorischen Kortex während der Aura mit Parästhesien. Zum Zeitpunkt, als motorische Symptome im Arm hinzutraten, propagierten die HFO zum motorischen Kortex. Schließlich kam es zu einem Nachklingen in der rolandischen Region. In der Zusammenschau handelte es sich auf der Ebene der klinischen Beobachtung um einen Jackson-Anfall. Auf der Netzwerkebene wurde ein Anfallsbeginn und in dessen weiterem Verlauf eine Ausbreitung über den Kortex (kortiko-kortikal) nachgewiesen (Akiyama et al. 2011).
Eine Quantifizierung epileptischer Aktivität mithilfe des Epileptogenicity Index basierend auf der spektralen (schnelle Oszillationen) und zeitlichen Eigenschaft (verzögertes Auftreten) des intrakraniellen EEG wies auf einen Zusammenhang zwischen der Dauer der Epilepsie und der Zunahme der Netzwerkregionen mit hoher Epileptogenität hin (Bartolomei et al. 2008).
Weitere Untersuchungen betrafen Veränderungen der Konnektomcharakteristik während eines Anfalls. So wurden zu Beginn eines Anfalls Veränderungen der Netzwerkstruktur z. B. anfangs mehr „regular" und später mehr „random" gefunden (Kramer und Cash 2012; Schindler et al. 2008). Auch können fokale Anfälle eine funktionelle Netzwerkveränderung, die durch ipsilateral erhöhte funktionelle Konnektivität bei gleichzeitig abnehmender interhemisphärischer Konnektivität gekennzeichnet ist, aufweisen (Otte et al. 2012).
Verschiedene Epilepsien werden auf die Dysfunktion bestimmter neuraler Systeme zurückgeführt. Die Beschreibung des bei der jeweiligen Epilepsie involvierten Netzwerksystems trägt zum besseren Verständnis der einzelnen Epilepsiemanifestationen bei. Dieses Verständnis führt zur Definition der Systemepilepsien. Als Systemepilepsien wurden unter anderem die Absence-Epilepsie und die juvenile myoklonische Epilepsie sowie die benigne fokale Epilepsie im Kindesalter mit zentrotemporalen Spikes und das West-Syndrom diskutiert (Avanzini et al. 2012). Darüber hinaus können auch andere Epilepsiesyndrome, wie z. B. das Landau-Kleffner-Syndrom, oder Epilepsien, die den temporalen Neokortex und das limbische System einbeziehen, unter diesen Gesichtspunkten interpretiert werden. Die Manifestation unterschiedlicher Anfallstypen kann durch kortikokortikale, thalamische, limbische oder limbisch-thalamische Netzwerkbeteiligungen entstehen (Abb. 3.2).
../images/462464_1_De_3_Chapter/462464_1_De_3_Fig2_HTML.pngAbb. 3.2
Schematische Darstellung eines fokalen epileptischen Netzwerk-Konzeptes. Die Ausbreitung vom Nukleus und die Aktivierungsstadien vom interiktalen zum präiktalen und iktalen Zustand im Netz sind vereinfacht zusammengefasst dargestellt (nach Stam 2016*; Smith und Schevon 2016; Bragin et al. 2007). Der Fokus kann durch inhibitorische und exzitatorische Ferneinwirkung beeinflusst werden. Therapeutische Netzwerkeingriffe postulieren die Erfassung von „choke points" (Nadelöhr-Subsystem mit Drosselfunktion).
Bei Anfallsentstehung und -ausbreitung können auch physiologisch funktionelle Netzwerke in das Anfallsgeschehen einbezogen werden, wie z. B. das Ruhezustandnetzwerk („default mode network").
Interiktal besteht lokal eine erhöhte Konnektivität (Otte et al. 2012). In diesem Zusammenhang wurde diskutiert, dass Mikroschaltkreise bei allen Anfällen bestehen, auch bei solchen im Rahmen genetischer generalisierter Epilepsien. Diese propagieren von dem Mikroschaltkreis in epileptogene Netzwerke, sodass dann auch entfernte Knoten aktiviert werden (Paz und Huguenard 2015). Die Inkorporation einer geringen Anzahl stark verbundener Knoten („hubs") bewirkt einen starken Anstieg der Netzwerkaktivität, die schließlich zu einem übererregbaren, potenziell anfallsbereiten Netz führt (Morgan und Soltesz 2008). Dieser Prozess kann abgeschwächt oder auch unterbrochen werden, falls die Aktivität dieser Knoten unterdrückt werden kann. Ist in der Situation der Nah- und Ferninhibition auf den Netzkern die Exzitation nicht ausreichend kontrolliert, kommt es zu einer Transition vom interiktalen zum präiktalen Zustand und in der Folge zu einer iktalen Netzwerkausbreitung. Hierbei werden Gate-keeper-Funktionen pathologischer Hubs diskutiert, die epileptische Netzwerke unterhalten (Varotto et al. 2012; Abb. 3.2). Die unterschiedlichen Netzwerkaktivierungen entsprechen verschiedenen Anfallstypen. Über entfernt liegende Feedback-Schleifen kann der potenzielle epileptische Ausgangspunkt beeinflusst werden. Die Vulnerabilität für die Anfallsgenerierung in einem Teil des Netzwerks wird durch Aktivität an einem anderen Ort im Netz mitbestimmt (Spencer 2002). Aus Sicht der Netzwerkanalyse wird als erfolgversprechender Therapieansatz neben der direkten