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Business Ethik 3.0: Die neue integrale Ethik aus der Sicht eines CEOs
Business Ethik 3.0: Die neue integrale Ethik aus der Sicht eines CEOs
Business Ethik 3.0: Die neue integrale Ethik aus der Sicht eines CEOs
Ebook663 pages7 hours

Business Ethik 3.0: Die neue integrale Ethik aus der Sicht eines CEOs

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About this ebook

Prof. Dr. Erhard Meyer-Galow will mit seiner integralen Business Ethik 3.0 zu einem dringend nötigen Umdenken und Handeln anregen. Dabei geht es ihm nicht um Schadensbegrenzung und Kompromisslösungen. Er packt das Problem an der Wurzel, wo es jeden von uns betrifft, nämlich einer zunehmenden Ichbesessenheit, die weder nötig noch tolerierbar ist. Ursache dieser Fehlverhaltensweisen ist hauptsächlich die Angst vor dem Versagen. Daraus resultiert  ein Mangel an Achtsamkeit, Mitgefühl, Empathie, Kongruenz und Zuverlässigkeit.
Ein  erfahrener CEO spricht Klartext über den Mangel an Moral in unserer Wirtschaft und legt ein Konzept für eine neue tragfähige Ethik vor, das über alle bisherigen Versuche hinausgeht. 

Die International Humanistic Management Association hat Prof. Dr. Erhard Meyer-Galow für sein Buch Business Ethics 3.0-The New Integral Ethics from the Perspective of a CEO als Finalist des Book Awards 2018 (Practice) ausgezeichnet.
LanguageDeutsch
Release dateSep 17, 2020
ISBN9783658307868
Business Ethik 3.0: Die neue integrale Ethik aus der Sicht eines CEOs

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    Business Ethik 3.0 - Erhard Meyer-Galow

    © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020

    E. Meyer-GalowBusiness Ethik 3.0https://doi.org/10.1007/978-3-658-30786-8_1

    1. Einleitung

    Erhard Meyer-Galow¹ 

    (1)

    Essen, Deutschland

    1.1 Man muss in die Ethik hineinwachsen

    Keiner von uns ist unfehlbar in seinen Gedanken und Taten, ethisch und moralisch nicht perfekt, weder in seinem persönlichen noch in seinem beruflichen Leben. Wir alle sind schuldig an moralischen Versäumnissen, ob vorsätzlich oder unabsichtlich. Manchmal haben unsere Gedanken, Worte oder Handlungen dazu beigetragen, dass andere Menschen die Erfahrungen von Enttäuschung und Wut bei sich selbst annehmen konnten. Im Nachhinein bedauern wir diese Anlässe oft zutiefst und sind uns bewusst, dass mehr Mitgefühl uns allen in Bezug auf gemeinsame Ziele besser geholfen hätte. Wir haben das Glück, dass ein innerer Reifungsprozess, eine Individuation, im Allgemeinen mit einer Zunahme an Achtsamkeit einhergeht. Eine Eigenschaft, die uns Einblick in unser Selbst gewährt und uns dabei hilft, unangemessene Gedanken, Worte oder Handlungen rechtzeitig zu vereiteln, jene Verhaltensweisen, die unsere verführerische dunkle Seite als Verbündeter unseres Egos gerade unser Ego ankurbelt und unsere Agenda voranbringen wird. Achtsamkeit ermutigt uns, Handlungen zu wählen, die mit unserem eigentlichen Selbst in Einklang stehen, jene Intuition in uns allen ist und die zu einem emphatischeren Verhalten anregt. Gedanken, Worte und Handlungen, die sich aus unserem eigentlichen Selbst ergeben, stellen eine Art Antithese zu denjenigen Aktivitäten dar, die von unserem Ego antrainiert werden. Dies geschieht durch eine Anhäufung unserer oberflächlich angenehmen Erfahrungen, die wir gesammelt haben.

    Dieses Buch erhebt keinen Anspruch darauf, eine umfassende Studie über die Vorteile von moralischen Entscheidungen oder ethischen Praktiken zu sein. Mein Wunsch ist lediglich, die persönliche, die psychologische und die spirituelle Entwicklung zu fördern. Auch besteht die Zuversicht, dass ein neuer Ansatz auch zu einer neuen Wahrnehmung von ethischen Geschäftspraktiken führen wird, was sowohl Arbeitgebern als auch Arbeitnehmern zugutekommen würde. Eine neue Ethik, wie sie von Erich Neumann (Neumann 1973, 1990) vertreten wird, ist in der Literatur gut etabliert und verankert, aber bei Weitem noch nicht so gut verstanden, verbreitet und in unser persönliches Bewusstsein eingedrungen. Trotz der Fülle an Büchern, Artikeln, Seminaren und Foren über Ethik, mit neuen Schlüsselwörtern und allgegenwärtigen ethischen Richtlinien, die als Corporate Social Responsibility, Shared-Value-Praktiken und Governance-Ethik in Mode kommen, hören wir weiterhin fast täglich Berichte über unethische Praktiken, von denen viele die Grenzen der Unempfindlichkeit zu sprengen scheinen. Handlungen, die fast gänzlich frei von Mitgefühl und gesundem Menschenverstand sind. Die Rücksichtslosigkeit im Geschäftsleben hat in den letzten zwanzig Jahren dramatisch zugenommen. Globalisierung und Digitalisierung lassen zudem Schäden von weitaus größerer Dimension entstehen und das noch schneller als je zuvor. Wir müssen zu dem Schluss kommen, dass die derzeitige Politik, die darauf abzielt, diesen Ansturm auf destruktive, egozentrierte Praktiken umzukehren, unzureichend ist. Etliche Versuche, Abhilfemaßnahmen zu ergreifen, scheitern allesamt, weil die Anerkennung der Eigenverantwortung fehlt, deren Begründung in mangelnder Aufmerksamkeit für die spirituelle Reife liegt. Es ist viel einfacher, sich überall vorhandenes, egozentriertes Wissen anzueignen, als sich dem intuitiven Wissen und Handeln anzunehmen, welches nur schwer zugänglich ist. Infolgedessen nimmt die gesellschaftliche Glaubwürdigkeit im Bereich der ethischen Geschäftspraktiken ab, trotz gut gemeinter Bemühungen.

    Ein akademisches Verständnis ethischer Geschäftspraktiken wird sich nicht auszahlen, wenn man es nicht tatsächlich anwendet. Man muss egozentriertes Wissen mit intuitivem, tiefenpsychologischem und spirituell zentriertem Wissen transzendieren. Unsere Erfahrung zeigt, dass das Lehren und Lernen von Ethik und Moral in der Wirtschaft nur sehr begrenzt eine Veränderung des Individuums ergibt.

    Man muss in die Ethik hineinwachsen

    Dann, und nur dann, werden sich ethische Praktiken in unserem persönlichen und beruflichen Leben manifestieren und ihre katapultartige Wirkung entfalten. Jeder Schritt baut auf dem vorhergehenden auf. Jeder Erfolg multipliziert den darauffolgenden, was zu einem Grad an Zufriedenheit führt. Genau dies macht es schwierig für uns zu erkennen, dass wir etwas so offensichtlich Nützliches seit so langer Zeit schon vor uns herschieben.

    Nach welchen Kriterien können wir unsere Entscheidungen über verantwortungsbewusste wirtschaftliche Bemühungen treffen? Viele Kriterien aus der Vergangenheit sind in der Gegenwart moralisch nicht mehr akzeptabel, wirtschaftlich oder überhaupt vertretbar. Dieser Paradigmenwechsel, der durch die Globalisierung und das Internet in Bezug auf verfügbare Informationen begonnen und stetig vorangetrieben wird, verspricht sogar weitere Quantensprünge in der Evolution des verantwortungsvollen und ökonomischen Wirtschaftens. Diese Verschiebung erfordert nicht nur das Tüfteln an der bestehenden Maschine, sondern auch ein völliges Umdenken. Eine Neubewertung und Neudefinition dessen, was für uns von grundlegender Bedeutung ist. Die Berücksichtigung des menschlichen Faktors führt uns zu moralisch vertretbaren Praktiken, die das individuelle Wachstum und die Beiträge des Einzelnen wertschätzen und fördern. Dies wiederum ermutigt uns dazu, auf Ideen und Anregungen derer zurückzugreifen, die früher oft nur als realitätsferne Wirtschaftsphilosophen angesehen wurden und viel zu lange ignoriert wurden.

    Wie werden wir uns entscheiden, weiterzumachen? Profit um jeden Preis oder ethische, effiziente und wirtschaftliche Geschäftspraktiken, die zu einem noch höheren Profit führen? Wir müssen einen Weg finden, um unsere Glaubwürdigkeit und unser Vertrauen als Manager und Unternehmer zurückzugewinnen. Vielleicht kann uns der neue ethische Ansatz von C. G. Jung und Erich Neumann (Neumann 1973, 1990) helfen, die Ursachen unmoralischer Entscheidungen und unethischen Verhaltens auf individueller Basis besser zu verstehen und dementsprechend praktische Ansätze vorzuschlagen, die uns zu vorteilhaften Veränderungen führen.

    Dieses Buch soll den Wunsch nach Veränderung sowohl in unserer Konzeption als auch in unserer Anwendung von ethischen Geschäftspraktiken wecken.

    1.2 Die Corona-Krise – eine Initiationswehe – Dilemma oder Chance für Ethik und Moral

    Wir befinden uns jetzt, im März 2020, in der Corona-Krise, die alle Bereiche unseres Lebens stark beeinflusst. Zur Vermeidung der schnellen Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 haben die Regierungen wie selten zuvor einschneidende Maßnahmen beschlossen, die unser berufliches und privates Leben sehr einschränken. Unsere individuelle Freiheit ist bedroht. Wir sind auf dem Weg zu einer Weltwirtschaftskrise. Produktionen werden stillgelegt, Lieferketten unterbrochen und die finanzielle Lage der Unternehmen verschlechtert sich in rasantem Tempo. Der Absturz der Kurse an den Börsen ist nur ein erstes Symptom. Zentralbanken weltweit, FED und EZB allen voran, haben im Schulterschluss mit den Regierungen massive Interventionen beschlossen, um Liquiditätsengpässe und den fortlaufenden Kollaps der Asset-Preise zu vermeiden. Der Markt wird mit Geld in bisher nicht gekannter Größenordnung geflutet. Statt des Bail-outs einzelner Banken und Versicherungen, wie zuletzt 2008/09, werden nun ganze Industrien und Staaten gerettet. Es ist mit einer massiven Verstaatlichung der Privatwirtschaft zu rechnen. Keine guten Nachrichten. Wird das die Rettung bringen? Die Erfahrungen aus vergangenen Aktionen dieser Art sind nicht positiv. Ganz im Gegenteil hat die inflationäre Geldpolitik der letzten 10 Jahre in Verbindung mit der Verweigerung, eine Bereinigung von Kapitalfehlallokationen zuzulassen, erst zu dieser immensen Fragilität der Märkte geführt. Das zuletzt durch Zentralbanken mikrogemanagte Kartenhaus stürzt nun ein. Eines ist klar. Nach der Corona-Krise wird die Welt anders aussehen, besonders auch die Wirtschaft. Es wird schon von einer De-Globalisierung gesprochen. Die Zunahme protektionistischer Maßnahmen haben wir schon vor der Krise erlebt. Dieser Trend wird sich jetzt noch beschleunigen. Die Rechnung werden die Verbraucher und die Steuerzahler zahlen.

    Die Unternehmen geraten unter einen enormen Ergebnis-, wenn nicht sogar Existenzdruck. Sie kämpfen um das Überleben. In diesem Kampf ist noch weniger Platz für eine Verbesserung der Ethik und Moral. Egoismus wird sich breitmachen. Rücksichtslosigkeit wird zunehmen. Es gab einen Aufschrei in Deutschland, als berichtet wurde, dass Trump versucht hatte, das Unternehmen CureVac in Tübingen, das gute Fortschritte bei der Entwicklung eines Impfstoffes auf der Basis von mRNA gegen Covid-19 macht, zu kaufen. Die Eigner haben sich aber gegen einen Verkauf ausgesprochen. Ob es überhaupt eine Offerte gab, bleibt offen. Auf der anderen Seite treten die zuvor dominanten Scheinprobleme angesichts unmittelbarer Gefahr in den Hintergrund. Die Krise lässt es nicht mehr zu, wertvolle Ressourcen auf Nichtigkeiten zu allokieren.

    Der Appell zu einer ganzheitlichen, nachhaltigen Business Ethik 3.0 mag sich gerade jetzt befremdlich anhören. Umso wichtiger ist der Impuls, der von diesem Buch ausgehen soll. Einerseits werden der Egoismus und die Unmoral zunehmen, andererseits kommen Veränderungen nur dann in Gang, wenn der psychische Druck steigt (C. G. Jung). Das ist bei dem Individuum so und auch beim Kollektiv.

    Die wichtigste Frage ist, wie das Individuum auf die Corona-Krise reagiert. Die Erfahrung lehrt, dass es um den Erhalt des Wohlstandes oder der Existenz kämpfen wird, auch wenn das zulasten anderer geht. Es wird von Panikkäufen berichtet. Warum gerade das Toilettenpapier ausverkauft war, bleibt mir ein Rätsel. Dass es kaum noch Desinfektionsmittel gibt, ist schon eher einleuchtend. Es wird immer wieder berichtet, dass Diebe in Krankenhäuser einbrechen und Desinfektionsmittel und Atemschutzmasken stehlen. Das Individuum trägt in erster Linie Atemschutzmasken, weil es sich selbst schützen will, nicht weil es andere schützen will. Das mag vielleicht der zweite Grund sein. Aber wenn die Lieferketten unterbrochen werden, können sich die Panikkäufe auch auf andere Waren ausdehnen. In USA steigt die Nachfrage nach Waffen und Munition. Das erinnert mich an The Winner Takes it All. Es ist dem Kunden egal, dass der nächste Kunde nichts mehr einkaufen kann.

    Der Dortmunder Soziologe Johannes Weyer (Weyer 2020) warnt davor, den bei vielen Bürgern ausgeprägten Hang zu Egoismus und Uneinsichtigkeit in der Krise zu unterschätzen. Studien würden zeigen, dass rund 40 % der Menschen unbeirrt ihren Vorteil suchten, egal wie groß eine Krise sei. Weyer spricht vom soziologischen Typ der rationalen Egoisten, gegen den nur Verbote etwas ausrichten würden.

    Auf der anderen Seite erlebt man aber auch, dass die Menschen zusammenrücken und sich gegenseitig helfen. Jüngere kaufen für Ältere ein. Freunde passen auf die Kinder auf, weil die Kindergärten geschlossen sind und die Eltern arbeiten müssen. Spendenaktionen laufen an. Das sind leichte Hoffnungsschimmer. Mitmenschlichkeit zeichnet sich gerade dadurch aus, dass man Kontakt zu seinen Mitmenschen sucht. Der soll aber nun gerade unterbrochen werden. Das ist eine völlig neue Erfahrung. Wir werden beobachten können, ob dadurch die Menschlichkeit reduziert wird oder gerade wegen dieser Ausnahmesituation wächst.

    So wünsche ich mir, dass dieses Buch nicht befremdlich wirkt, sondern vielleicht sogar zum richtigen Zeitpunkt in den Markt kommt, also ein Wake-up-Call für unsere Gesellschaft und für die Wirtschaft wird. Das wird es dann, wenn das Individuum versteht und lernt, dass inneres Wachstum, aus welchem sich Ethik und Moral entwickeln, ihm persönlich nützt. Seine Gesundheit, Widerstandskraft, Kreativität, Gelassenheit und Liebe zu sich selbst und zu anderen werden gestärkt.

    Ist nicht diese Stärkung gerade in der Corona-Krise so notwendig?

    Auch wenn dieser Eigennutz der Einstieg in ein inneres Wachstum der Bewusstseinserweiterung sein kann, geht es doch immer um den Beitrag des Individuums zum Gedeihen unserer Gesellschaft. In Abwandlung der Forderung von Hans Küng in seinem Manifest Globales Weltethos (Küng et al. 2010) formuliere ich meinen Appell:

    Mit einem neuen Weltethos aus der Corona-Krise

    Diese neue integrale Ethik und Moral entwickelt sich aus dem inneren Wachstum, das auch Voraussetzung ist für Intuition und Innovation, damit unsere Wirtschaft, von der wir alle leben, nach der Corona-Krise wieder Fuß fassen und sich erholen kann.

    Bei dieser unerwarteten und dramatischen Krise der Welt lohnt es sich, passend zu einer der Leitlinien dieses Buchs, die Ursachen und den Ausweg aus der Sicht von C. G. Jungs Tiefenpsychologie zu betrachten. Für Jung ist die jetzige Plage ein Archetyp, also eine Urform des kollektiven Unbewussten, die nach Veränderung drängt. Die Corona-Krise ist eine Attacke auf unsere bisherige Lebensweise, eine Attacke auf unser individuelles Ego und auf das Ego des Kollektivs. Wir müssen endlich begreifen, dass es noch etwas anderes gibt als unser Ego. Es ist unser Selbst, das göttliche Prinzip in uns, unser Wesen, das in uns und durch uns manifest werden will in der Welt, aber ständig blockiert wird. Deshalb wird das materielle Wertesystem gerade korrigiert. Die Natur reagiert auf unseren endlosen Egoismus, auf den Mangel an Ethik, Moral und Nachhaltigkeit. Die maßlose Profitorientierung wird in Frage gestellt. Wir reagieren mit Angst und Furcht, müssen Not und Leid ertragen lernen. Wenn wir uns von dieser einseitig materiellen Orientierung befreien, verschwinden Angst und Furcht. Der Ausweg für unsere Gesellschaft ist eine Reorganisation zu höheren Werten und auch vom Ich zum Wir. Die Krise zwingt uns zur Konfrontation mit unserem Unbewussten zur Toleranz von Ungewissheit, zu mehr Mitgefühl für alle Wesen und zur Akzeptanz der Naturkräfte. Kultur und Natur sind zu Gegensätzen geworden, die es wieder zu vereinen gilt. Es geht darum, in der Corona-Krise wieder Boden unter den Füßen zu bekommen und Halt zu finden.

    Ich gebe meinem Lehrer Tom Campbell Recht, dass diese Corona-Krise auch eine große Chance für unser inneres Wachstum sein wird und uns Wege aufzeigt, wie wir aus unserer Angst herauswachsen können. Die Mehrheit wird jetzt und auch danach angstgetrieben an ihrer Angst festhalten, weil ihr Ego die Kontrolle behalten will. Aber selbst, wenn nur 2 % der Menschheit sich zu mehr Mitgefühl und Fürsorge entwickeln, dann sind das 160 Millionen, die Einfluss nehmen werden. Aber vielleicht sind es auch 10 %? Das wäre großartig. Leider senden die Medien 80 bis 90 % Angst und nicht Information. Damit ist mehr Geschäft zu machen, weil die Angst unsere Emotionen anspricht. (Campbell und Lawrence 2020). Leider fördert der Trend der Medien die Angst, anstatt sie abzubauen. Es ist auch jetzt eine Chance, uns vom Einfluss der Medien und Politik unabhängig zu machen.

    Facing the Fear of Coronavirus: Finding a Grounding Attitude ist der Titel eines Blogs zu mehr aktueller Information. Drei Jung’sche Tiefenpsychologen tauschen ihre Erfahrungen aus, diskutieren Ursachen der Corona-Krise und zeigen Auswege auf. (Marciano et al. 2020)

    Was sagt nun C. G. Jung dazu? Er sieht unsere Zivilisation im Übergang, wie er Band 10 seiner Gesammelten Werke nennt. In dem Kapitel Die Bedeutung der Psychologie für die Gegenwart weist er uns den Weg:

    „Unsere Zeit – das sind wir!" (Jung 2011, S. 173)

    „Wenn wir die Menschheitsgeschichte betrachten, so sehen wir nur die alleräußerste Oberfläche der Ereignisse, und diese verzerrt im trüben Spiegel der Tradition. Was aber eigentlich geschehen ist, das entzieht sich dem forschenden Blick des Historikers, denn das eigentliche geschichtliche Geschehen ist tief verborgen, von allen gelebt und von niemand beachtet. Es ist privatestes, subjektivstes seelisches Leben und Erleben. Kriege, Dynastien, soziale Umwälzungen, Eroberungen, Religionen (Anmerkung: auch Seuchen und Plagen) sind die alleroberflächlichsten Symptome einer geheimen seelischen Grundhaltung des Einzelnen, ihm selber unbewusst und darum von keinem Geschichtsschreiber überliefert; Religionsstifter sind vielleicht noch am aufschlussreichsten. Die großen Ereignisse der Weltgeschichte sind, im Grunde genommen, von tiefster Belanglosigkeit. Wesentlich ist in letzter Linie nur das subjektive Leben des Einzelnen. Dieses allein macht Geschichte, in ihm allein finden alle großen Wandlungen statt, und alle Zukunft und alle Weltgeschichte stammen als ungeheure Summation doch zuletzt aus diesen verborgenen Quellen der Einzelnen. Wir sind in unserem privatesten und subjektivsten Leben nicht nur die Erleider, sondern auch die Macher einer Zeit. Unsere Zeit – das sind wir!" (Jung 2011, S. 172–173)

    Als Ergänzung möge Murray Stein, ein bekannter und geachteter Kenner der Jung’schen Tiefenpsychologie und früherer Präsident der ISAP (International School of Analytical Psychology, Zürich), zu Wort kommen, der mit Robert S. Henderson im März 2020 über die Corona-Krise spricht. Die Überschrift ist:

    „A World Shadow: COVID-19" (Stein und Henderson 2020)

    Folgend sind einige Kernaussagen aus dem Interview extrahiert:

    „This is our Time." (Stein und Henderson 2020)

    „The question is: will we be able to use this experience of individuation? Or will it just pass like a bad dream of the night that when we awake, we are happy to be free from? (…). There is anxiety here in this dark place, sometimes bordering on panic, and there is often a sense of impending catastrophe if the way back is not found, and quickly. This is our time. (…) The crisis will pass sooner or later 18 months is the outside guess right now until a vaccine can be developed and distributed. Then the pace of activity will quickly accelerate and return to high speed. Put this period of time into perspective and use it creatively. (…) What can we extract from this slowdown and enforced period of isolation that will help us to find a wiser pace and balance in life for when the doors are opened, and we can walk and run freely again? I suggest we consider this time a precious moment in our lives for looking inward, for introversion, and for practicing centroversion, the mindful circumambulation of the greater self. (…).

    Its most essential features are invisibility, universality, and numinosity. Because Coronavirus moves along us invisibly, is found on all continents and strikes us as awesome and powerful, it represents the Umbra Mundi. We don’t know who has it or if we have it ourselves. It is everywhere, in all parts of the world, and it instills fear in the collective psyche, which we all feel. (…).

    What are we learning from it? This remains to be seen. I have no doubt that we have been handed an opportunity for a vast transformation of consciousness on a general collective level. Many people are talking about this possibility. On a deeper level, there may be a transformation afoot in the collective unconscious. (…) Maybe the first lesson to learn is patience." (Stein und Henderson 2020)

    „A new Humanity is Born!" (Stein und Henderson 2020)

    „It’s brain cells have not yet been fully formed and interconnected. It’s just barely creeping into sight. (…) What we try to create is an equivalence, or balance, between our relation to the inner world on the one hand and to the outer world on the other. This achievement is highly unusual in our basically extroverted cultures today. People are much more trained and habituated to attending to the surrounding world – using all the media available to us especially in our presently isolated condition – and tend to fear and avoid taking a look inward at who and what they are. In fact, this is one of the causes of the panic that is running through the world today, especially in the Western societies, The inner world is the unknown and unexplored." (Stein und Henderson 2020)

    Man sollte in dieser von manchen erwarteten und von vielen unerwarteten Krisenzeit das Buch An der Zeitmauer von Ernst Jünger in die Hand nehmen, da es uns aus wichtigen Perspektiven Orientierung geben kann.

    „Man kann Ernst Jüngers umfangreiches Essay An der Zeitmauer trotz der vergangenen Jahrzehnte seit Erscheinen im Jahr 1959 als Buch der Stunde bezeichnen. (…) Danach hat der Mensch die Erde durch Eingriffe in die Natur in ein neues Zeitalter mit hohem Risiko für sein Überleben geführt." (Jünger 2013, S. 255, Adnoten zum Buch)

    Wir befinden uns ohne Zweifel – durch die Corona-Krise noch deutlicher gemacht – jetzt in einer Zeitenwende. Jünger beschreibt in seinem beachtenswerten Essay die Ursachen, Aspekte und Symptome:

    „Es herrscht aber gewiss nicht, oder nicht nur, die Furcht einer Endzeit, sondern zugleich die Unruhe großer Aufbrüche, und beides zusammen gibt Licht und Schatten einer Zeitenwende. Durch diesen Aspekt wird der Untergang nicht seiner Schrecken, wohl aber seiner Aussichtslosigkeit beraubt. Er behält seinen Ort. Wo Sinn geschaut wird, können Opfer gebracht werden.

    Die herrschende Furcht ist uns besser aus längst vergangenen Zeiten und von sehr entfernten Völkern vertraut: als Weltangst gnostischer Einbrüche. Doch wenn wir die Augen ein wenig schärfen, bemerken wir sie mitten unter uns. Sie ist Erwartungszwang,

    Initiationswehe.

    Zu ihr gehört das Nebeneinander von überschwänglicher Hoffnung und der Gewissheit, dass alles verloren ist, wie auch der jähe Wechsel von Licht und Schatten, in dem vexierende, beängstigende Objekte auftreten, zuweilen in ungeheurer Zahl. Man weiß nicht, ob sie gut oder böse, erfunden oder wirklich sind." (Jünger 2013, S. 146)

    Wir erleben jetzt in der Corona-Krise, dass aus den Wehen Gutes, Böses oder gar nichts geboren wird. Noch nie zuvor ist nun die ganze Welt in bisher nicht bekanntem Ausmaß auf Heilung fokussiert. Damit wachsen auch Ethik und Moral. Das gibt Hoffnung für die Zeit nach der Krise. Aber das Individuum ist nur in dem Ausmaß in der Lage Gutes zu gebären, wie die innere Verfassung gewachsen ist. Initiation ist der Weg nach innen und nicht nach außen. Ethik und Moral wachsen von innen. Dürckheim hat diesen Weg nach innen mit seiner Initiatischen Therapie in Rütte/Todtmoos gelehrt und praktiziert. Das Zentrum für Initiatische Therapie in Rütte setzt seine Arbeit fort. Er hat mir – wegen meiner Außenorientierung als Manager – bei meinen Besuchen immer wieder ins Gewissen geredet:

    „Die Türe geht nach innen auf."

    Literatur

    Campbell, T., & Lawrence, G. (2020). Big Picture Viewpoint Covid 19. https://​www.​guylawrence.​com.​au/​big-picture-viewpoint-cov19-tom-campbell-physicist/​n. Zugegriffen am 01.05.2020.

    Jung, C. G. (2011). Gesammelte Werke Band 10, Zivilisation im Übergang. Ostfildern: Patmos.

    Jünger, E. (2013). An der Zeitmauer. Stuttgart: Klett-Cotta.

    Küng, H., Leisinger, K., & Wieland, J. (2010). Manifest Globales Wirtschaftsethos. München: Deutscher Taschenbuchverlag DTV.

    Marciano, L., Lee, J., & Stewart, D. (2020). Facing the fear of coronavirus: Finding a grounding attitude. http://​www.​thisjungianlife.​com/​episode-103-facing-the-fear-of-coronavirus-plague-pestilence-pandemic/​. Zugegriffen am 10.04.2020.

    Neumann, E. (1973). Tiefenpsychologie und neue Ethik. München: Kindler.

    Neumann, E. (1990). Depth psychology and a new ethic. Boston: Shambala Publications Inc.

    Stein, M., & Henderson, Robert S. A world shadow: COVID 19. https://​chironpublicatio​ns.​com/​a-world-shadow-covid-19/​. Zugegriffen am 10.04.2020.

    Weyer, J. (2020). WAZ, 21.03.2020.

    © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020

    E. Meyer-GalowBusiness Ethik 3.0https://doi.org/10.1007/978-3-658-30786-8_2

    2. Das Problem

    Erhard Meyer-Galow¹ 

    (1)

    Essen, Deutschland

    2.1 Die Belastung durch ein anachronistisches Wirtschaftssystem

    In meinem frühen Berufsleben waren Praktiken üblich, die heute undenkbar sind. Wenn unser Arbeitsumfeld fragwürdige Praktiken erlaubt oder gar fördert, ist es als junger Berufstätiger schwierig, sich gegen die akzeptierte Norm zu stellen. Auch wenn mein persönliches und berufliches Verhalten nicht immer einwandfrei gewesen sein mag, habe ich andere niemals absichtlich für persönliche Zwecke unmoralisch behandelt. Es ist ein Glück, dass sich das moralische und ethische Bewusstsein im Laufe der Zeit entwickelt, sowohl in uns als Individuen als auch in der Gesellschaft insgesamt. Leider sind trotz des gestiegenen persönlichen und gesellschaftlichen Bewusstseins unmoralische Entscheidungen und unethische Praktiken an vielen Arbeitsplätzen nach wie vor fest verankert. Besonders gefährlich wird es dadurch, dass wie bei einem Eisberg nur etwa ein Sechstel davon überhaupt erkennbar ist.

    Hinter jeder Unmoral in der Wirtschaft verbirgt sich die irrationale Angst, dass unsere Geschäftsmöglichkeiten, die Leistung unserer Mitarbeiter oder ein anderer unkontrollierter Faktor unsere Gewinne schrumpfen lassen. Diese Angst erzeugt Gier. Die Manager, die unter einem niedrigen Selbstwertgefühl leiden, streben nach größerer Anerkennung, indem sie umso größere Kontrolle forcieren. Jene Manager wiederum, die einen übertriebenen Selbstwert besitzen, haben Angst davor zu scheitern, da ihr Ego zeigen will, dass es unfehlbar ist. In beiden Fällen, unterstützt durch ihren irreführenden Glauben, dass sie im besten Interesse des Unternehmens handeln, gibt es oft kein Gefühl von Ungerechtigkeit, wenn unmoralische Politik und unethische Praktiken als trivial angesehen werden. Jedoch: Versagen ist immanent, ebenso wie das daraus resultierende Ausbrennen, die Depressionen und die lähmenden Angstzustände, die damit einhergehen.

    Gleichzeitig besteht die Möglichkeit, dass unethisches Verhalten eines Managers öffentlich bekannt wird und die Medien eine Geschichte finden, die sie verkaufen können. Was folgt, ist eine kurze Periode der Turbulenzen, welche sich jedoch meist kurzlebig gestaltet. Die Zeit heilt alle Wunden und die Verbraucher stehen bald wieder Schlange, um die Produkte oder Dienstleistungen der einst in Ungnade gefallenen Unternehmen zu kaufen.

    2.1.1 Fälschung von Bilanzen

    Bilanzbetrug ist eine Form der Wirtschaftskriminalität. Was ist eine Bilanz? Idealerweise werden in einer Bilanz die gesamten Aktiva und Passiva eines Unternehmens ausgewiesen. Da die gesetzlichen Anforderungen von Land zu Land unterschiedlich sind, ist es schwierig, Bilanzen international genau zu vergleichen oder festzustellen, wie gut ein Unternehmen die entsprechenden gesetzlichen Anforderungen erfüllt. Dies macht es verlockend, Bewertungsansätze zu „frisieren", was dazu führt, dass einzelne Bilanzpositionen erhöht oder gesenkt werden, um den Wert des jeweiligen Unternehmens zu überschätzen.

    Die Internationalisierung deutscher Unternehmen nimmt zu, was dazu führt, dass deutsche Unternehmen zunehmend nach den angelsächsischen Buchhaltungsrichtlinien bewertet werden, die in den letzten Jahren in Deutschland übernommen wurden. Dadurch wird es immer schwieriger, internationale Bilanzen mit deutschen Bilanzen nach dem deutschen Aktiengesetz zu vergleichen, deren Diktat heute oft nicht mehr berücksichtigt wird. Allerdings ist nicht jeder Aspekt der angelsächsischen Buchhaltungsrichtlinien in Deutschland akzeptabel. Stattdessen sind die Unternehmen gesetzlich dazu verpflichtet, nach dem deutschen Aktiengesetz bewertet und bilanziert zu werden. In Deutschland steht der Gläubigerschutz an erster Stelle, dicht gefolgt von der steuerlichen Beurteilung des Unternehmenswertes. In den angelsächsischen Ländern hat das Aktionärsinteresse oberste Priorität. Die internationale Buchhaltung kann in Deutschland nur dann anerkannt werden, sofern sie nicht gegen die Vorgaben und Absichten des Aktiengesetzes verstößt. Zwei Beispiele, bei denen die Unterschiede sorgfältig geprüft werden, sind die Bilanzierungspraktiken, die sich auf die Pensionsrückstellungen auswirken, und die Ermittlung des tatsächlichen Wertes der Vermögenswerte. In den USA wird der Marktwert der Vermögenswerte erfasst, während in Deutschland die Anschaffungskosten der Vermögenswerte mit anschließender Abschreibungskorrektur ermittelt werden.

    Generell gilt: Je größer das Vermögen eines Unternehmens, desto höher der Gewinn und umso höher die veranschlagten Steuern. Wenn ein Unternehmen Vermögenswerte besitzt, die es nicht auf der Aktivseite seiner Jahresbilanz aufführt, führt dies zu einer Steuerersparnis.

    Da die Gläubigerguthaben regelmäßig von Wirtschaftsprüfern bestätigt werden, ist die Möglichkeit zur Fälschung von Aufzeichnungen auf der Schuldenseite der Bilanz geringer. Aber unterschätzen Sie nie die bunte Palette an kreativen Möglichkeiten, wie Bilanzen manipuliert werden können! Manchmal übertragen Unternehmen Vermögenswerte auf Tochtergesellschaften, wobei die Muttergesellschaft nur bis zu 49 % der Anteile hält. Die Muttergesellschaft ist lediglich verpflichtet, jene Gesellschaften, an denen sie mehr als 50 % der Anteile hält, in ihren Bilanzen zu konsolidieren, sodass sie zahlreiche wertvolle Vermögenswerte effektiv vor der Besteuerung schützen kann. Betriebsverluste können auch durch den Verkauf von Vermögenswerten an eine nicht konsolidierte Gesellschaft zu einem höheren als dem Marktpreis manipuliert werden. Letztendlich wird das wirtschaftliche Fundament einer Gesellschaft durch Bilanzbetrug untergraben.

    2.1.2 Manipulation von Bankkonten

    Traditionell prüfen Wirtschaftsprüfer die Bankauszüge eines Unternehmens. Dann wurden die Geschäftsbanken des Unternehmens gebeten, die Bilanz des Unternehmens zum Jahresende zu bestätigen. Auf diese Weise konnte die Gültigkeit der Buchhaltungspraktiken eines Unternehmens festgestellt werden. Ein Unternehmen konnte aber auch Bankkonten „offshore" besitzen, die nur dem Vorstand bekannt sind. In diesen Fällen waren selbst Prüfer nicht in der Lage, solche betrügerischen Praktiken aufzudecken. Glücklicherweise wurde dieses Schlupfloch vor Kurzem weitgehend geschlossen.

    2.1.3 Inventur

    Alle Unternehmen müssen eine Jahresinventur erstellen. Dies ermöglicht eine jährliche Ermittlung von Vermögenswerten. Das Anlagevermögen muss zusätzlich alle fünf Jahre neu bewertet werden. Aber auf welche Art und Weise wird dieses bewertet? Darin liegt die Möglichkeit zur Manipulation und Täuschung. Wenn ein Akquisitionswert zugrunde gelegt wird, wie wird dann der tatsächliche Anschaffungswert von Tausenden oder gar Zehntausenden Produkten ermittelt, die jedes Jahr gekauft werden? Manchmal wird das LIFO-Verfahren (Last in, First out) und manchmal das FIFO-Verfahren (First in, First out) angewendet.

    Es gibt zahlreiche Möglichkeiten, das Vermögen eines Unternehmens zu manipulieren. Rechnungsprüfer können nur das bestätigen, was sie auch sehen können. Es ist relativ einfach, ihnen wesentliche Informationen vorzuenthalten. Es kann ein nicht offensichtlicher Bestand oder ein Mangel an Bestand in einem Unternehmen mit Einzelhandels- und Konsignationsstellen vorliegen.

    Je größer das deklarierte Inventar, desto gesünder scheint das Unternehmen derzeit zu sein. Jedoch, was geschieht, wenn die Preise fallen? Denn im folgenden Jahr scheint das Unternehmen größere Verluste erlitten zu haben, als es tatsächlich der Fall war. Es ist höchst unwahrscheinlich, dass die meisten Lagerbestände trotz Branchenrichtlinien ein genaues Abbild der Vermögenswerte darstellen. Es ist durchaus möglich, dass Unternehmensleiter angesichts der heutigen allgemeinen Akzeptanz von Profit um jeden Preis für die Gesellschaft nicht einmal annähernd den Glauben in sich tragen, dass ihr Handeln unethisch sei. Aber jede Täuschungsabsicht, egal wie universell „akzeptabel" sie auch geworden sein mag, ist unmoralisch.

    Selbst bei sorgfältigster und akribischster Berichterstattung kann ein Unternehmen in Konkurs gehen, wenn die Einnahmen die Ausgaben nicht decken. Wenn jedoch die Vermögenswerte überbewertet sind, besteht die Möglichkeit, dass sich das Insolvenzverfahren verzögert. Dies ist häufig so. Die Verzögerung kann vorsätzlich sein, z. B., wenn der Vorstand auf Preiserhöhungen oder eine Verbesserung der Verkaufszahlen hofft, damit sich das Unternehmen zwischenzeitlich erholen kann. Es ist auch häufig der Fall, dass die Konsortialbanken erst dann Schulden einfordern, wenn sich das Unternehmen in einer ernsten Notlage befindet und die Inventur nicht ausreicht, damit genügend Verkäufe getätigt werden können, sodass das Unternehmen zahlungsfähig bleibt.

    2.1.4 Illegale Preisabsprachen

    Als ich in den 70er-Jahren meine Karriere als Manager begann, informierte uns der Vertriebsleiter routinemäßig über seine Preisvereinbarungen mit Wettbewerbern und teilte uns mit, welchen Kunden wir Sonderpreise anbieten sollten und welchen nicht. Wir hielten dieses Verhalten keineswegs für unmoralisch. Jetzt, fast 50 Jahre später, kann niemand die Unkenntnis der Preisabsprachen bestreiten. Trotzdem ist die illegale Preisfestsetzung nach wie vor allgegenwärtig.

    Im Folgenden sind einige der größten Kartellstrafen in der EU aufgelistet: Lkw-Kartell, Google-Kartellpräferenz, Libor-Kartell, TV-Röhrenkartell, Gasmarktkartell, Intel-Rabatte, Aufzugs- und Fahrtreppenkartell, Wälzlagerkartell, Vitaminkartell, Luftfrachtkartell, Kartell für gasisolierte Schaltanlagen, Wachskartell, Butadien-Kautschukkartell, Flachglaskartell, Stahlkartell, Gipskartell, Sanitärproduktekartell, Bleichmittelkartell, Wurstkartell, Bierkartell, Zementkartell, Waschmittelkartell, Reißverschlusskartell, Hochspannungskabelkartell, Zuckerkartell, Kohlefaserkartell, Chloropren-Kautschukkartell, Flüssiggaskartell, Lebensmitteleinzelhandel- und Markenherstellerkartell, Acrylglaskartell, Eisenbahnkartell, Grafitkartell, Grafitelektrodenkartell, Kohlebürstenkartell.

    Viele der bekanntesten und angesehensten Unternehmen, die mit den oben genannten Produkten und Dienstleistungen handeln, waren an der Preisfestsetzung beteiligt.

    2.1.5 Bestechung

    In vielen Ländern und zahlreichen Unternehmen ist die Zahlung von Bestechungsgeldern häufig immanent, um einen Kauf oder Verkauf überhaupt erst zu ermöglichen. Es kann schwierig sein, zwischen einer Provisionszahlung und einer Bestechung zu unterscheiden. Provisionen als Ausgleich für zuverlässige und akzeptable Leistungen im Zusammenhang mit einem Deal liegen in der Regel im Bereich von 1 bis 5 %. Bestechungsgelder sind in der Regel viel höher und spiegeln eine persönliche Beziehung zwischen einem Lieferanten und einem Verbraucher wider, mit der Absicht, sonstige Wettbewerber auszuschließen. Das ist unmoralisch. Wenn der Lieferant das Produkt überteuert und danach aus dem Überschuss ein Bestechungsgeld zahlt, wird letztendlich immer der Kunde benachteiligt. Da Wettbewerber ausgeschlossen sind, werden diese somit gleichzeitig benachteiligt.

    In Deutschland konnten bis Mitte der 90er-Jahre Bestechungsgelder in der Gewinn- und Verlustrechnung eines Unternehmens als Aufwand erfasst werden. Ab der zweiten Hälfte der 90er-Jahre waren die Unternehmen gezwungen, die Empfänger von Bestechungsgeldern offenzulegen, die noch bis Januar 2002 legal waren, bis sie schließlich illegal wurden. Unabhängig davon kann es keinen Zweifel daran geben, dass Bestechungsgelder weiterhin eine aktive Rolle in der Geschäftswelt spielen, wenn es darum geht, Geschäfte mit gezielten, bevorzugten Käufern abzuschließen.

    Nicht alle Bestechungsgelder werden bar bezahlt. Daneben gibt es zahlreiche geldwerte Vorteile, die zur gezielten Absicherung von Geschäftsabschlüssen angeboten werden.

    2.2 Vorhandene Ethikkonzepte sind unzureichend

    Business Ethik 1.0 (Gill 2010) wurde weitgehend als Schadensbegrenzung praktiziert. Man prüfte die Kriterien, die eine Ethikagenda darstellen muss, und ermutigte uns, unsere Aufmerksamkeit und Energie auf die Bewältigung spezifischer Krisen zu richten. Es stand also Krisenbewältigung und nicht Krisenvermeidung im Vordergrund.

    Business Ethik 2.0 (Gill 2010) war proaktiver, was uns unter Berücksichtigung der Vision und der Mission eines Unternehmens zu Ethikrichtlinien und Ethiktraining führte.

    Fehlende ethische Praktiken auf dem Markt, auch wenn Corporate Social Responsibility (CSR 2.0) als Teil von Business Ethik 2.0 eingebettet ist, führt uns zu der Beobachtung, dass wir bestenfalls marginale Fortschritte auf dem Weg zu einer Neuen Ethik gemacht haben, die nachhaltige moralische Entscheidungen und nachfolgende ethische Geschäftspraktiken umfasst. Offensichtlich fehlt noch etwas Lebensnotwendiges.

    Es gibt derzeit viele Initiativen, die Spiritualität als das fehlende Glied in der Kette betrachten, die es uns erlauben würden, ein ganzheitlicheres Modell für die Steuerung der Ethik in der Wirtschaft zu entwerfen. Diese Bewegung wird als Spiritual Based Ethics bezeichnet und ist ein willkommener Schritt in eine positive Richtung. Aber wenn ich über mein fast vierzigjähriges Geschäftsleben nachdenke, bezweifle ich, dass die Verantwortlichen in unseren Unternehmen bereit oder in der Lage sind, auf Abruf die notwendige persönliche Transformation einzuleiten, die die Übernahme ethischer Geschäftspraktiken fördern würde, indem sie einfach gebeten werden, Spiritualität als eine leitende Kraft in ihrem Leben zu erforschen und zu akzeptieren. Solange wir die Spiritualität nicht in unserem Wesen, also in unserem wesentlichen Selbst aufgenommen haben, können wir ihren Nutzen nicht erfahren und somit die Notwendigkeit, die Zweckmäßigkeit, sie anzunehmen, oder die Vorteile, die sich zwangsläufig daraus ergeben, nicht verstehen. Es gibt Leute, die geistige Praktiken intellektuell erforscht haben, aber allzu oft führt dies zu einem andauernden spirituellen Flug. Die Praxis der spirituellen Übungen, die einfach unseren rationalen Ich-Geist miteinbeziehen, schützt uns nicht vor den Versuchungen, die sich aus unserer dunklen Seite ergeben, wenn wir von den konkurrierenden Anforderungen des Managements unserer Nische im Markt herausgefordert werden. Spiritualität ist nicht per se das fehlende Glied, sondern ein fehlendes Glied.

    Was fehlt denn dann noch?

    Erstens ist es notwendig, dass diejenigen von uns, die im wirtschaftlichen Sektor der Gesellschaft arbeiten, verstehen, dass Praktiken, die auf unmoralischen Grundlagen oder unethischen Praktiken beruhen, niemals zu dauerhaftem persönlichen oder beruflichen Erfolg oder Zufriedenheit führen können.

    Zweitens müssen wir uns darüber im Klaren sein, dass es nicht möglich ist, auf moralisch und ethisch vertretbare Weise zu leben und zu verwalten, indem man einfach einem extern auferlegten Regelwerk folgt.

    Drittens ist es wichtig, dass wir anerkennen, dass eine nachhaltige Moral, die zu ethischen Praktiken führt, niemals verwirklicht werden kann, während wir besessen bleiben von unserer Energie, die den Fokus auf das Streben nach Erfolg und Reichtum um jeden Preis richtet. Nur die innere Ruhe, Stabilität und Ausgeglichenheit in unserem Leben, die sich aus dem Erwachen unseres Bewusstseins für unsere innere Dimension ergibt, kann uns zu effizienteren ethischen Praktiken führen. Sobald wir beginnen, diese innere Ressource zu erschließen, sind wir in der Lage, eine befriedigende, friedliche Work-Life-Balance herzustellen, die zu dauerhaftem inneren Frieden und Freiheit führt. Diese persönliche innere Befriedigung wiederum erlaubt es uns, die Widerstandsfähigkeit zu finden, um den Versuchungen der äußeren Welt zu widerstehen, indem sie uns gegen ein selbstsüchtiges Handeln schützt, das letztendlich zu Angst, Stress und Leid führt kann.

    Zu berücksichtigen sind auch die faszinierenden Entdeckungen, die sich aus der Quantenphysik ergeben. Fast 100 Jahre nach Werner Heisenbergs Theorie und ihrer experimentellen Validierung wird uns zunehmend bewusst, dass die ganzheitliche Natur der Realität, die bisher nur von wenigen Mystikern vertreten wurde, nun zum Mainstream geworden ist mit bedeutenden Implikationen für unser persönliches Leben, und zwar insbesondere damit, wie wir unsere spirituelle Verbundenheit mit der gesamten Schöpfung betrachten. Der Schwerpunkt der Quantenphysik liegt auf Vernetzung, Kreativität, Nicht-Dualität und Nicht-Linearität. Diese Anerkennung einer funktionierenden, praktischen Realität, die bisher weitgehend unerkannt blieb, hat einen großen Einfluss auf ethische Überlegungen.

    Und schließlich ist als Katalysator die Tiefenpsychologie von C. G. Jung und Erich Neumann von großer Bedeutung, die die vorangegangenen Überlegungen energetisch vereint und es uns ermöglicht, das Individuum zu verstehen, das gut sein will, aber plötzlich auf unerwartete Art unmoralisch handelt (Neumann 1973, 1990). Unsere individuelle, unterdrückte und verdrängte dunkle Seite blockiert unsere gute und helle Seite, sich zu manifestieren. So sehr wir auch wünschen mögen, nur im Licht zu leben, wir umfassen sowohl Licht als auch Dunkelheit. Die Integration unserer dunklen Seite ist grundlegend für die Entwicklung des Selbst, wie Jung es nennt. Unsere helle Seite und unser inneres Wachstum müssen ermutigt und gestärkt werden, um unsere dunkle Seite umfassen, aufnehmen und integrieren zu können. In Ermangelung von innerem Wachstum werden wir Opfer intrinsischer Angriffe durch unseren eigenen Dunklen Bruder/Schwester-Aspekt, zusätzlich zu extrinsischen Angriffen durch andere Individuen.

    Unser Ich-Geist ist so dominant geworden, dass wir uns von unseren inneren Quellen, unseren wichtigsten Wurzeln, vor allem unserer Intuition, getrennt haben. Wir müssen uns selbst heilen, um ethische Praktiken nachhaltig umsetzen zu können.

    Ein wesentlicher Schritt auf dem Weg zu dieser Heilung ist die Wiederherstellung der Verbindung zu unserer Seele und zu unserem Geist (Spirit).

    Dieses Buch wird uns helfen zu verstehen, warum ein ethischer Ansatz, der auf moralischer Vernunft basiert, anstatt auf dem Ego basierenden rationalen Verstand oder auf einem der vielen verschiedenen philosophischen Ansätze, die seit Aristoteles’ Zeit vorangetrieben wurden oder auf einer bestimmten Theologie, die eine bestimmte Religion umfasst oder auf Spiritualität an sich, nicht in der Lage war, das ethische Verhalten des Individuums oder des Kollektivs wesentlich zu ver-ändern.

    Die verallgemeinerten unmoralischen Entscheidungen, die zu dem derzeit in der Gesellschaft grassierenden unethischen Verhalten führen, sind ein Beweis dafür, dass alle Bücher, zahlreiche Appelle, Richtlinien und ernsthafte Proteste für einen nachhaltigen ethischen Ansatz, der von moralischen Entscheidungen geleitet wird, keine erkennbaren Auswirkungen auf den Einzelnen oder die Wirtschaft gehabt haben. Wenn mein Lehrer Karlfried Graf Dürckheim noch am Leben wäre, würde er folgende Bemerkung machen:

    Es hilft wenig, ständig über kollektive Ethik und Moral zu predigen, wenn die Individuen, die dieses Kollektiv bilden, in ihrer rationalen, einseitigen Egozentrik stecken bleiben, die ständig unseren eigentlichen Lebenszweck, unsere Individuation und unser Gleichgewicht von Körper, Ego-Geist, Seele und Geist-Spirit blockiert, welche notwendig sind, um eine vollkommen ganzheitliche Person zu werden. Der Mensch im Anthropozän hat kein Bewusstsein für diese Spaltung der Ganzheit. Er hat die Trennung vom Numinosen vollzogen. Da wir also nicht wissen, warum wir leiden, können wir nicht die Brücken zu unserer Seele bauen, die uns zum Unbewussten führen könnten, in dem die riesige Energie und das kreative Potenzial liegen, die unser stark eingeschränktes Bewusstsein erweitern könnten. Wir haben uns selbst destabilisiert und geschwächt und jetzt werden wir aufgefordert, die Aufrechterhaltung der Moral und der Ethik zu unterstützen. Umso schwieriger ist es, wenn wir auch unsere dunkle Seite unterdrücken, sie in den Schatten verdrängen, aus dem sie dann immer wieder unkontrolliert hervorbricht und sich in der Gesellschaft unmoralisch ausdrückt.

    Nur wenn wir dieses Scheitern in einer schweren Lebenskrise schmerzlich erleben, können wir den Weg zurückgehen und die Verbindung zu unserer psychischen und spirituellen Dimension wiederherstellen. Aber dieser Wendepunkt in unserem Leben setzt eine Initiation in Form einer persönlichen Erkenntnis voraus. Nur dann kann sich unser inneres Wachstum entwickeln, indem wir von der einseitigen Außenorientierung abweichen und unsere dunkle Seite in unser SELBST integrieren und es so unter unsere Kontrolle bringen. Um dies zu erreichen, kann es durchaus notwendig sein, über viele Jahre hinweg täglich meditative Übungen durchzuführen. Aber erst wenn diese Integration stattgefunden hat, werden wir uns zunehmend für eine nachhaltige Ethik einsetzen, die auf moralisch vertretbaren Entscheidungen beruht. Nicht nur, weil wir es wollen, sondern weil wir nicht anders können!

    Es besteht der aufrichtige Wunsch, dass dieses Buch als Katalysator für diejenigen wirkt, die leiden, indem es sie ermutigt, den Initiationsprozess durch Treffen mit anderen Gleichgesinnten zu beginnen, oder durch die Suche nach denjenigen, die in ihrer inneren Dimension bereits weiterentwickelt sind, um Anleitung zu erhalten. Erst dann beginnt sich das

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