Discover millions of ebooks, audiobooks, and so much more with a free trial

Only $11.99/month after trial. Cancel anytime.

Ressourcenarbeit in der Flüchtlingshilfe: bei Stress durch Migration und Flucht
Ressourcenarbeit in der Flüchtlingshilfe: bei Stress durch Migration und Flucht
Ressourcenarbeit in der Flüchtlingshilfe: bei Stress durch Migration und Flucht
Ebook283 pages3 hours

Ressourcenarbeit in der Flüchtlingshilfe: bei Stress durch Migration und Flucht

Rating: 0 out of 5 stars

()

Read preview

About this ebook

Erzwungene Migration und Flucht bedeuten oft eine große Verunsicherung oder sogar Traumatisierung der Betroffenen. Nach Ankunft im Gastland gilt es, die disruptiven Erfahrungen zu bewältigen, um eine gute Integration und möglichst selbständiges Leben aufbauen oder nach Rückkehr ins Heimatland an das frühere Leben anknüpfen zu können.

Die hier dargestellten Vorgehensweisen basieren auf der Grundannahme, dass Menschen über ausreichende Ressourcen verfügen, um auch nach potenziell traumatischen Erlebnissen gut weiterzuleben und zu wachsen; es gilt, diese spezifischen Ressourcen wiederzuentdecken, zu nutzen und zu stärken. Das Buch bietet einfach aufbereitetes Grundlagenwissen rund um die Themen exzessiver Stress und seine Konsequenzen, Trauma und Verlusterlebnisse.  Zahlreiche einfache Strategien und Techniken werden aufgezeigt, wie  betroffene Menschen unter Anleitung Ressourcen aktivieren können, um diese Herausforderungen zu meistern.

Das Buch richtet sich an alle Berufsgruppen, die im psychosozialen Dienst in der Flüchtlingshilfe aktiv sind. Es kann sogar dazu benützt werden, um mit Flüchtlingen zusammen eine Ausbildung als Mediatoren und Mediatorinnen für ihre Landsleute in die Wege zu leiten.

LanguageDeutsch
PublisherSpringer
Release dateJun 30, 2020
ISBN9783662604717
Ressourcenarbeit in der Flüchtlingshilfe: bei Stress durch Migration und Flucht

Related to Ressourcenarbeit in der Flüchtlingshilfe

Related ebooks

Psychology For You

View More

Related articles

Reviews for Ressourcenarbeit in der Flüchtlingshilfe

Rating: 0 out of 5 stars
0 ratings

0 ratings0 reviews

What did you think?

Tap to rate

Review must be at least 10 words

    Book preview

    Ressourcenarbeit in der Flüchtlingshilfe - Gisela Perren-Klingler

    © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020

    G. Perren-KlinglerRessourcenarbeit in der Flüchtlingshilfehttps://doi.org/10.1007/978-3-662-60471-7_1

    1. Wissen

    Gisela Perren-Klingler¹  

    (1)

    Visp, Valais, Schweiz

    Gisela Perren-Klingler

    Email: iptsperren@rhone.ch

    1.1 Salutogenese

    1.2 Ressourcen

    1.3 Peerarbeit (Arbeit mit Gleichen, ausgebildeten pädagogischen Laien)

    1.4 Trauma

    1.4.1 Definition

    1.4.2 Neurobiologie des extremen oder potenziell traumatischen Stresses

    1.4.3 Stress sozial betrachtet; das Ressourcenungleichgewicht

    1.4.4 Folgen potenziell traumatischer Ereignisse

    1.4.5 Dissoziation

    1.4.6 Umgang mit Traumata

    1.4.7 Sinnschöpfung

    1.5 Verlusterlebnisse

    1.5.1 Trauer

    1.5.2 Depression

    1.6 Das „Niederlegen" der Geschichte

    1.6.1 Die Kraft des Wortes

    1.6.2 Kognition und Emotion

    1.6.3 Die lähmende Wahrheit salutogenetisch umdeuten

    1.6.4 Kulturelle Zugänge

    1.6.5 Reframing und posttraumatisches Wachstum

    1.7 Kinder und Jugendliche

    1.7.1 Werte in der Erziehung

    1.7.2 Entwicklungsphasen

    1.7.3 Besondere Problematiken

    1.8 Familie

    1.8.1 Die unvollständige Familie

    1.8.2 Wiedereingliederung von Familienmitgliedern

    1.9 Spezielle Fragestellungen

    1.9.1 Gesundheit, Sexualität, Sucht, Hilfsbedürftige

    1.9.2 Schuld, Scham, Täter und Opfer

    1.9.3 Konflikte und Verhandeln

    1.9.4 Hausaufgaben

    1.10 Psychohygiene

    1.10.1 Sekundärtraumatisierung (stellvertretende Traumatisierung )

    1.10.2 Selbstschutz

    1.10.3 Ohnmacht

    Literatur

    1.1 Salutogenese

    Salutogenese (Orientierung an der Gesundheit, und nicht an der Pathologie) ist ein Konzept Aaron Antonovskys, Medizin – Soziologe aus den USA, der in den 1970er und 1980er Jahren, in Israel erforschte, wie Holocaust Überlebende mit dem zurechtkamen, was sie erlebt hatten. Bei der Salutogenese geht es vereinfacht dargestellt darum, in Menschen, die Schlimmes erlebt haben, die Fähigkeiten wahrzunehmen, wachzurufen und zu fördern, die ihnen erlauben, mit schwierigen Erfahrungen fertigzuwerden. Diese Fähigkeit, die Selbstkohärenz, besteht aus den drei (heute auch in Tests messbaren) Parametern: Kontrollierbarkeit, Verständlichkeit und Sinnhaftigkeit. Selbstkohärenz erlaubt Menschen, auch schwierigste Erfahrungen zu überleben und nicht an deren Folgen zu erkranken, sondern ein sinn- und ressourcenvolles Leben bis ins hohe Alter zu führen.

    Es versteht sich von selber, dass auch gesund überlebende Menschen den Holocaust, Krieg, Verfolgung und Folter mit grossem Leid erlebt haben; aber ihre Selbstkohärenz hat ihnen ermöglicht, trotz Leid, Schmerz und Todesängsten alle diese Erfahrungen so zu integrieren, dass sie gesund bleiben konnten. Das Konzept der Resilienz, das in der Forschung mit schwer belasteten Kindern entstanden ist, ist der Salutogenese sehr nah, doch mit 17 Parametern viel schwieriger umzusetzen. Deswegen wird in der Ausbildung der Peers nur auf die Salutogenese zurückgegriffen. Salutogenese mit den drei Anteilen, Kontrollierbarkeit, Verständlichkeit und Sinnhaftigkeit bedeutet Ressourcenarbeit.

    1.2 Ressourcen

    Ressourcen sind Quellen von individuellen und kommunitären Schätzen. Es sind beim Individuum Fähigkeiten, Wissen, Erfahrungen, familiäre und kulturelle Bande, in den Gemeinschaften sind es die Kultur im Allgemeinen, formelle und informelle Organisationen, Institutionen und politische Gegebenheiten. Dass ein Ressourcen-Ungleichgewicht hohen Stress verursacht, hat Hobfoll (1989) in seinen Arbeiten aufgezeigt.

    1.3 Peerarbeit (Arbeit mit Gleichen, ausgebildeten pädagogischen Laien)

    Die Arbeit mit Gleichen ist ein uraltes Konzept, von menschlichen Gemeinschaften schon immer eingesetzt, welches von der WHO (World Health Organisation) am Kongress „Health for all by the year of 2000 erstmals in Alma Ata 1979 erwähnt wurde. Damals wurde das Wort Peer (Gleicher) noch nicht benützt, sondern das Wort „Multiplikator. Das bedeutet, dass Gesundheit nicht nur eine Aufgabe für Ärzte und Spitäler ist, sondern sie alle Bürger eines Landes angeht, als ein gemeinsames Gut und eine gemeinsame Verantwortung. In der in Alma Ata neu als wichtig erkannten „Primary Health Care (Basis- Gesundheitsversorgung) spielen nicht nur Gesundheitsberufe im alten Verständnis, d. h. Ärzte und Pflegepersonal, eine Rolle, sondern auch an der Gemeindebasis haben gewöhnliche Mitmenschen eine wichtige Funktion. Man begann z. B. in den USA und England für sexuelle Aufklärung, Prävention von Schwangerschaften und sexuell übertragbare Krankheiten „Peers, in Schulen auszubilden. Das waren Schüler, die lernten, wie mit Gleichaltrigen über diese Probleme zu sprechen und ihnen Wege zu besserer sexueller Gesundheit zu weisen. Später wurde dieses Konzept angewandt, um Berufsleute, wie Polizisten, Feuerwehrleute und Sanitäter, die bei der Ausübung ihres Berufes wiederholtem hohem Stress ausgesetzt sind, zu sich selbst schützendem Verhalten zu motivieren und es ihnen durch Gesundheitsvertreter beizubringen. Denn diese „harten" Berufsgruppen waren nicht bereit, über ihre Erfahrungen mit Psychologen zu sprechen. Hingegen konnten Kollegen, Peers aus den eigenen Reihen diese Berufsleute für extremen Stress bei Einsätzen und Mittel zu dessen Integration sensibilisieren. Heute ist in vielen dieser Corps die Vorsorge für Stress Management und die Ausbildung von Peers institutionalisiert und ein wichtiger Teil in der permanenten Weiterbildung (Beerlage 2009). Dieser Ansatz hat dazu geführt, Peers in der Balkankrise einzusetzen, wo kulturelle und soziale Unterschiede zwischen helfenden Berufen in den europäischen Aufnahmeländern und den Ankommenden so groß waren, dass es nur noch Missverständnisse gab.

    1.4 Trauma

    1.4.1 Definition

    Ein „Trauma (Mehrzahl „Traumata) ist eine subjektive Erfahrung, bei der die „Unversehrtheit einer oder mehrerer Personen bedroht oder angegriffen wird. Ausgelöst vom Erleben eines gewaltsamen Ereignisses ausserhalb des „Bekannten, „der Norm (1986, Diagnostisch Statistisches Manual III und folgende) bezeichnet „Trauma die Gefährdung der körperlichen und/oder psychischen Integrität der Betroffenen. Ein solches Ereignis, ein kritisches Ereignis löst extrem hohen Stress aus. An sich ermöglicht Stress einem Lebewesen, sich das Überleben zu sichern, unter Aufbietung aller biologischen Ressourcen: Menschen haben nach hoher Stress-Exposition auf der biologischen und psychischen Ebene sehr viel geleistet, sie haben überlebt. Doch nach dem Ereignis beginnen sie sich Gedanken über das Vorgefallene zu machen, sie reagieren mit extremen Gefühlen auf das Geschehen (bedingt durch den hohen Stress), besonders dann, wenn wichtige Werte betroffen oder angegriffen waren. Spezifische Reaktionen belasten nun die Überlebenden.

    Nicht immer aber ist eine „Traumatisierung die Folge; es gibt kein noch so schreckliches Ereignis, welches alle Menschen traumatisiert; sogar Folter, Vergewaltigung und alle andern schrecklichen Erfahrungen „traumatisieren nur einen relativ kleinen Teil der Betroffenen. Das heisst nicht, dass alle diese Betroffenen nicht gelitten hätten oder immer noch leiden würden; ob sie aber einerseits mit dem Leid und andererseits mit dem extremen Stress umgehen können, hängt ebenso von den sozialen und persönlichen Ressourcen ab, wie auch von den biologischen Bedingungen, die beim Überwinden helfen. Es ist also nicht vor allem das Ereignis, sondern die Ressourcen von Gemeinschaft und Individuum, die darüber entscheiden werden, wer später davon krank und wer daran wachsen wird. Aus diesem Grund ist es sinnvoller, von potenziell traumatischen oder traumatogenen Erfahrungen zu sprechen, als von „Traumata".

    Potenziell traumatische Ereignisse können sowohl naturbedingt sein (z. B. Hurrikane, Lawinen, Überschwemmungen, Erdbeben, etc.) als auch von den Menschen selbst „gemacht sein: in der Familie z. B. von körperlicher oder psychischer Misshandlung oder sexuellen Missbrauch, in der Gesellschaft z. B. von Unfällen im Verkehr oder bei der Arbeit, von medizinischen Eingriffen, krimineller Gewalt, Vergewaltigungen, Umweltkatastrophen, in der Politik z. B. von Verfolgung, Folter, Krieg und Flucht. Davon können nicht nur die direkt implizierten Personen, sondern auch andere, die „nur Zeugen waren oder sogar nur davon gehört haben, betroffen sein.

    Ein kritisches Ereignis ruft eine individuelle und kollektive somatische und psychische Belastung im Dienste des Überlebens hervor, doch reagieren verschiedene Menschen auf ein traumatogenes Ereignis unterschiedlich; einige können es wegstecken, andere werden davon krank.

    Durch Naturgewalten bedingte kritische Ereignisse rufen neben den immer gleichbleibenden biologischen Reaktionen andere Interpretationsweisen hervor, als solche, die von Menschen bedingt sind. Von Menschen hervorgerufene traumatogene Ereignisse enthalten stets eine Form von Machtmissbrauch. Dadurch wird das Netz des Zusammenlebens nachhaltig verletzt es führt auch zu „psychosozialer Zerstörung" (Martín-Baró 1994). Auch diese psycho-sozialen Aspekte müssen in der Bewältigungsarbeit einbezogen werden.

    Hilfreich ist es, zwischen kritischen Ereignissen zu unterscheiden, die ein einziges Mal stattfinden und danach abgeschlossen sind (Typ 1), und solchen, die wiederholt auftreten und permanent als Bedrohung in der Luft liegen (Typ 2). Sie haben nicht die gleichen Folgen und verlangen andere Bewältigungsstrategien, wobei Typ 2-Traumen bei Kindern und Jugendlichen besonders gravierend sind. Es gibt Übergänge und Mischformen der beiden Typen, sowie chronische, immer wiederkehrende und sequenzielle traumatogene Ereignisse.

    Eine potenziell traumatische oder traumatogene Erfahrung kann man auch als eine Exposition an extremen Stress betrachten; die Reaktionen während und nach der Exposition lassen sich als biologisch bedingte Stress-Folgen ansehen. Stress ist ein allgemeinmenschliches Phänomen, bedingt von der Neurobiologie. Von Kultur zu Kultur unterschiedlich sind hingegen verhaltensmässiger Ausdruck, Interpretation und Umgang damit.

    1.4.2 Neurobiologie des extremen oder potenziell traumatischen Stresses

    Stress ist ein Konzept, das, unter biologischen, psychologischen und sozialen Aspekten betrachtet werden kann. Wir werden uns hier auf die biologischen und sozialen Faktoren konzentrieren, da diese beiden Anteile besonders wichtig sind, wenn man sich mit den Folgen des potenziell traumatischen Stresses befasst.

    Die Stress-Reaktion ist eine Fähigkeit des Organismus, welche immer im Dienst des Überlebens steht, und in dem Sinn ein „Freund" des Menschen. Stress ist eine spezifische Anpassungsreaktion des Organismus auf erhöhte Anforderungen. Wesentlich ist, dass nach dem Stress eine Ruhepause kommen muss.

    Die Stress-Reaktion hat zwei Anteile: den des zentralen und peripheren Nervensystems (den Nervenleitungen) und den auf dem Drüsensystem (Hypophyse, Nebennieren) beruhenden hormonalen. Beide beeinflussen einander permanent mit Aktivierung und Hemmung über verschiedene Rückmeldeschlaufen, die weiter aktivieren oder bremsen können.

    Das periphere autonome (vom Willen unabhängige) Nervensystem, der Sympathikus (S) und der Parasympathikus (PS) funktionieren im Normalfall in einer Art Gleichgewicht zwischen Aktivierung (Sympathikus) und Beruhigung (Parasympathikus, Porgess 2001). Der PS ist dem S übergeordnet und bremst ihn, wenn keine Gefahr besteht. Das lässt sich z. B. bei der Regulierung der Herzfrequenz, des Pulses, gut beobachten, wenn der Mensch sich in einer sicheren Umgebung befindet. Der myelinisierte PS, dessen Nervenbahnen mit einer Fettschicht isoliert sind, der phylogenetisch (entwicklungsgeschichtlich) jüngere Teil des PS, hemmt den S im Vorhof des Herzens und garantiert dadurch den Ruhepuls. Erst wenn der PS in der Peripherie vorbewusst wahrnimmt (was man als „Neurozeption (Porgess 2004) oder den sechsten Sinn bezeichnen könnte), dass Gefahr droht, deaktiviert er sich innerhalb von Millisekunden und unterlässt dadurch die Hemmung des S am Herzen: Der Puls beginnt zu rasen, die Atmung beschleunigt sich, Schweiss tritt aus usw. Sobald der Mensch das merkt, spricht er von „Angst, kurz die S-bedingte Kampf-Flucht- Reaktion (Selye, 1936) stellt sich ein. Die Kraft wird in die Muskulatur verlegt, die Empfindungen des Körpers werden reduziert. Man spürt weder Müdigkeit noch Hunger, Durst oder Schmerz. Zusätzlich sind die Emotionen abgestellt und ist die Wahrnehmung fokussiert. Das alles ist wichtig, wenn man kämpfen oder fliehen muss. Der Organismus investiert alle seine Energie und Fähigkeiten, damit der Mensch überleben kann.

    Im Hirn werden gleichzeitig verschiedene Anteile (Kerne oder Netze) deaktiviert oder aktiviert. In der Peripherie haben Stress-Hormone zu wirken begonnen, um die Kampf-Flucht-Reaktion zu unterstützen. Adrenalin hilft Muskelkraft zu vergrössern und die Energiereserven aus der Leber zu aktivieren. Diese extreme Stress-Reaktion zeigt sich folgendermassen:

    Körperlich (durch automatischen Rückgriff auf alle Ressourcen, die zur Verfügung stehen): Herzklopfen, Zittern, Schwitzen, erhöhte Atmung und Muskelkraft, Harndrang und körperliche Anästhesie,

    Mental: durch verstärkte, fokussierte Aufmerksamkeit, sei es nach aussen (Monitoring), sei es nach innen (Blunting = Abstumpfung). Zusätzlich werden Emotionen in den Hintergrund gedrängt. Man funktioniert „automatisch, „gefühllos, unter emotionaler Anästhesie und kann sich unter Umständen gerade dadurch retten.

    Das Problem ist, dass diese häufig lebensrettende extreme Stressreaktion am Ende des kritischen Ereignisses nicht einfach zurückgefahren und der Mensch wieder ruhig werden kann. Abhängig von vielen Faktoren, braucht die Stress-Reaktion Stunden bis Tage, bis der Mensch wieder ruhig ist. Sobald er ruhig ist, weil er sich in relativer Sicherheit weiß, beginnen sich die post-expositionalen Reaktionen zu zeigen, die dem Menschen das „verrückte Gefühl geben, „es gehe weiter. An sich sind das gesunde Zeichen dafür, dass das Hirn und „die Seele" das Erlebte zu begreifen und integrieren versucht; dies ist aber nicht einfach, da die Erinnerungsbildung gestört ist wegen der Abschottung und Aktivierung verschiedener Hirnkerne während der Exposition. Je besser das autonome Nervensystem beruhigt wird, umso schneller kann der Betroffene zur Normalität zurückkehren. Dabei müssen vor allem biologische Grundbedürfnisse befriedigt werden.

    Dauert extremer Stress zu lange, springt das nicht-myelinisierte (Nervenbahnen ohne Fettschicht), phylogenetisch ältere, schon bei Reptilien vorhandene PS-Nervensystem ein und schützt den Betroffenen mit dem sogenannten Totstellreflex: Der Mensch „bricht zusammen", scheint bewusstlos, nicht ansprechbar, sein vorher rasender Puls vermindert sich in der Frequenz massiv, ist kaum mehr spürbar, die Atmung flach, kaum mehr wahrnehmbar, die Muskulatur schlapp. Diese Reaktion ist eine Reaktion des Organismus, um die letzten vitalen biologischen Reserven zu schützen und damit den Tod durch Erschöpfung zu vermeiden; sie ist immer wieder zu beobachten, wenn Menschen zu lange exzessivem Stress ausgesetzt sind. In diesem Fall ist die Intervention rein somatisch orientiert: Ruhe (Sicherheit), viel Flüssigkeit mit Salz und Zucker angereichert (z. B. ORS, orales Rehydratationssalz), angenehme Temperatur und mindestens 12 h Schlaf. Diese Totstellreaktion kann auch auftreten, wenn man bewusst oder unbewusst das Gefühl hat, meint, man befinde sich in einer lebensbedrohlichen Situation.

    1.4.3 Stress sozial betrachtet; das Ressourcenungleichgewicht

    Der Mensch fühlt sich normalerweise wohl, wenn er im Ressourcengleichgewicht lebt, wenn es ihm also gelingt, eine Art Gleichgewicht zwischen Problemen und Ressourcen zu etablieren. Wenn sich dieses Gleichgewicht verändert, entsteht Stress – eine biologische Anpassungsleistung. Im besten Fall kommt der Mensch dadurch zu einem neuen Ressourcengleichgewicht, er kann wachsen und über mehr Ressourcen verfügen. Er kann aber auch davon so gestresst werden, dass er krank

    Enjoying the preview?
    Page 1 of 1