Unbarer Zahlungsverkehr und die Rolle des Zentralbankgeldes: Eine bilanztechnische Betrachtung
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Unbarer Zahlungsverkehr und die Rolle des Zentralbankgeldes - Hans F. Bauer
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2021
H. F. BauerUnbarer Zahlungsverkehr und die Rolle des Zentralbankgeldeshttps://doi.org/10.1007/978-3-658-34245-6_1
1. Einleitung und Überblick
Hans F. Bauer¹
(1)
Bundesbankdirektor im Ruhestand, Frankfurt am Main, Bundesrepublik Deutschland
1.1 Zentrale Thesen und Ziel der Arbeit
1.2 Struktur der Arbeit
Literatur
1.1 Zentrale Thesen und Ziel der Arbeit
In diesem einführenden Abschnitt können wichtige Zusammenhänge nur verkürzt dargestellt werden. Ein umfassenderes Bild der einzelnen Überlegungen und Argumente sind in der Ausarbeitung dargestellt.
Die nachfolgenden Ausführungen haben das Ziel, mittels bilanztechnischer Darstellungen¹ einige grundlegende Aspekte des unbaren Zahlungsverkehrs anschaulich zu analysieren und zudem die Bedeutung der Zentralbankguthaben als Arbeitsguthaben zu unterstreichen. Dabei sollen insbesondere einige unzutreffende Auffassungen zum unbaren Zahlungsverkehr und zur Rolle des Zentralbankgeldes in den Medien thematisiert werden, die letztlich Motiv und Anlass für diesen Beitrag waren. Bestimmte Begriffe oder Konzepte werden in der Anlage kurz erläutert. Wichtig ist, dass in dieser Ausarbeitung Bargeld als physische Form von Geld – wie auch „Sorten"² als physische Form einer anderen Währung – keine Rolle spielen. Die Betrachtung beschränkt sich auf das Buchgeld.
Dabei mag manches auf den ersten Blick trivial erscheinen, die daraus abgeleiteten Schlüsse – z. B. zum TARGET2-Saldo oder zum Anleihekauf durch das Eurosystem – sind es aus Sicht des Verfassers eher nicht.
Thematisch geht es um folgende Thesen:
1.
Jede Übertragung von Buchgeld von einem Bankinstitut zu einem anderen kann und soll bilanztechnisch begriffen werden. Diese bilanztechnischen Veränderungen können grundsätzlich alle vier Formen annehmen (Bilanzverlängerung und -verkürzung, Aktiv- und Passivtausch). Kap. 9 Anlage 1 enthält weitere Erläuterungen, die das Verständnis von Buchungen bzw. der Saldenmechanik erleichtern.
2.
Eine Übertragung von Buchgeld – also der unbare Zahlungsverkehr – kann nur durch Veränderung der bilateralen Forderungs- bzw. Verbindlichkeitsposition zwischen zwei Banken erfolgen (hier Netto-Interbankposition genannt). Mit anderen Worten: Zahlungsverkehr funktioniert nur durch Interbankforderungen bzw. -verbindlichkeiten. Insoweit ist ein Zahlungsverkehrssystem implizit auch stets ein „indirektes Interbankkreditsystem". Dies gilt im Korrespondenzbankensystem genauso wie bei Nutzung einer gemeinsamen dritten Partei wie z. B. der Konten der Zentralbank oder eines Zentralinstituts im Verbund, die für die Übertragung zwischen zwei Banken genutzt werden. Bei einer grenzüberschreitenden Übertragung zwischen zwei Banken in zwei Ländern ist dies zudem zwangsläufig mit einer Erhöhung auch der Netto-Auslandsforderungen zugunsten des Landes verbunden, in dem die Bank des Empfängers residiert.
3.
Geld – hier verstanden als kurz- oder mittelfristige Verbindlichkeit einer Bank gegenüber einer inländischen Nichtbank oder dem Ausland (also letztlich in der Abgrenzung M 3) – kann als Verbindlichkeit (!) eine einzelne Bank gar nicht verlassen. Verbindlichkeiten einer Nichtbank sowie zwischen zwei Banken untereinander sind kein „Geld und damit auch nicht „Teil der Geldmenge
.³ Bei einer Überweisung an eine andere Bank geht „Geld faktisch unter (Bilanzverkürzung) und entsteht dafür analog beim Empfängerinstitut neu (Bilanzverlängerung).⁴ „Geld
kann immer nur die Forderung gegen eine Bank sein, aber nicht gegen eine Nichtbank. Das Vertrauen in die Geldeigenschaft von „Bankengeld" hängt dabei ab von der Fähigkeit der Banken, nach Bedarf ihrer Kunden deren Sichteinlagen grundsätzlich umzutauschen in Zentralbankgeld in Form von Bargeld oder in Buchgeld anderer Banken. Das Vertrauen in Zentralbankgeld wiederum beruht auf der Fähigkeit der Zentralbank, den Wert der Währung insgesamt – also damit Preisstabilität – zu sichern.⁵
4.
Auch die Geldkreisläufe sind daher strikt getrennt. Bankengeld (Verbindlichkeiten der Kreditinstitute) und Zentralbankgeld (Bargeld und Buchverbindlichkeiten der Zentralbank) können sich nicht vermischen. Die „Trennung der Geldkreisläufe wirft allerdings die Frage nach dem unbaren Zahlungsverkehr auf. Bilanztechnische Beispiele zeigen, wie gleichwohl im Rahmen des unbaren Zahlungsverkehrs Guthaben bei einer Bank (aus deren Sicht eine „Verbindlichkeit
, aus Sicht des Kontoinhabers eine „Forderung" gegen die Bank) übertragen werden zu einer anderen Bank.
5.
Buchgeld als Verbindlichkeit kann das Kontensystem einer Bank nicht „verlassen, Zentralbankgeld kann das Kontensystem einer Zentralbank nicht „verlassen
(außer als Bargeld), und auch eine Währung kann das Land und das Bankensystem, von dem sie emittiert wurde, ebenfalls nicht „verlassen". Dies gilt strikt aber nur für Geld als „Verbindlichkeit der Bank bzw. des Landes", umgekehrt können jedoch „Forderungen gegen die Bank" oder auch gegen ein Land schnell und beliebig häufig an Dritte übertragen werden, volle Konvertibilität vorausgesetzt.
6.
Nur das Bankensystem eines Landes – Banken und Zentralbank – kann eine Währung emittieren, aber nicht Institute in anderen Ländern. Banken in Euro-Ländern können nur Euro emittieren, nur US-Banken können US-Dollar herausgeben⁶ und nur in Japan ansässige Institute die Währung Yen. Ein sog. Dollar-denominiertes Konto in Deutschland setzt unabdingbar voraus, dass das kontoführende Institut gleichzeitig in mindestens gleicher Betragshöhe selbst Dollar-denominierte Forderungen an das Bankensystem in den USA hat.
7.
Die Emission einer Währung ist nur möglich durch jeweilige inländische Institute (Banken und Zentralbank jeweils mit ihrem Buchgeld). Eine Währung kann – als Verbindlichkeit – das Inland nicht verlassen, sie bleibt stets im Inland verankert. Bei Auflösung einer Währungsunion – wie z. B. zwischen Tschechien und Slowakei im Frühjahr 1993 – können die jeweiligen Einlagen (Buchgeld) bei den Banken in den jeweiligen Ländern in die neuen nationalen Währungen umgetauscht werden. Bei einer sich abzeichnenden Auflösung eines Währungsverbundes und Einführung einer neuen Währung drohen in der Regel massive Kapitalströme hin zum Land mit der „aufwertungsverdächtigen neuen Währung. Um diese Ströme bzw. Kapitalverkehrskontrollen zu vermeiden, bietet sich ein Umstieg in eine neue Währung mit den jeweils individuellen Einlagebeständen (als maximale Obergrenze) zu einem bereits zurückliegenden („ex ante
) fixen Zeitpunkt an, z. B. mit den Kontoständen und Bilanzpositionen zum letzten Jahresultimo.
8.
Die aktuelle Geldpolitik des Eurosystems mit seinen Negativzinsen auf überschüssiges – also über dem Mindestreserve-Soll liegendes – Zentralbankgeld und den Anleihekäufen am Sekundärmarkt bewirkt eine Senkung der Bankkonditionen auf Passivgeschäfte der Banken, zielt auf eine Verbilligung der Kreditzinsen, erleichtert die Finanzierung von Staaten und führt zu einer Einengung der Zinsunterschiede („Spreads") zwischen Anleihen verschiedener Länder, damit also auch der Risikoprämien. Dies erhöht die Liquiditätsreserven der Banken und begünstigt tendenziell einen schwächeren Wechselkurs wegen der unattraktiven Verzinsung. Da das Zentralbankgeld als Buchgeld aber nur auf dem Kontensystem der Zentralbank zirkulieren kann, private Nichtbanken (private Haushalte und Unternehmen) aber nicht als Kontoinhaber zugelassen sind, kann das überschüssige, negativ verzinste Zentralbankgeld das Kontensystem der Zentralbank nicht verlassen. Damit kann es auch nicht unmittelbar⁷ an die Wirtschaft und Unternehmen „weitergereicht werden. Die Sonderrolle der Nichtbank „Staat
wird ausführlich dargelegt.
9.
Das Eurosystem „überschwemmt" derzeit die Banken mit billigem Zentralbankgeld, hinsichtlich der übrigen Wirtschaft drückt es aber allenfalls das Zinsniveau für Bankkredite nach unten, kann dieser aber zumindest auf direktem Wege kein Zentralbankgeld zukommen lassen. Es wird nicht der „Markt geflutet, sondern die Banken. Daher werden in dieser Arbeit (zum Teil in der Anlage) einige Beispiele vorgestellt für nicht ganz zutreffende Auffassungen in Öffentlichkeit und Presse (z. B. „Banken sollen überschüssiges Zentralbankgeld weiterreichen an die Wirtschaft anstatt es bei der Zentralbank zu parken
; vgl. Zitate im Abschn. 3.1 sowie in Kap. 9 Anlage 3).
10.
Das Argument, dass die Banken ihr überschüssiges (und negativ verzinstes) Zentralbankgeld einfach als Kredit weiterreichen sollten, ist vermutlich noch vom häufig falsch verstandenen Konzept des Geldschöpfungsmultiplikators⁸ geprägt.⁹ Beispielhaft sei hier eine Aussage in der Presse zitiert: „Je höher die Strafzinsen, desto größer die Anreize für Banken, ihre Liquidität in Form von Krediten zur Verfügung zu stellen anstatt sie bei der EZB zu bunkern – in der Theorie."¹⁰ Gezeigt wird, dass dieses „Weiterreichen als Kredit letztlich für das System als Ganzes weder über die Mindestreserve (Kreditgewährung schafft zusätzliches Buchgeld und erhöht damit das Mindestreserve-Soll) noch als „abfließendes Arbeitsguthaben im Zahlungsverkehr
funktioniert.
11.
Die Auffassung, dass zumindest eine einzelne Bank ihre Überschussreserven durch Kreditgewährungen etwas reduzieren könnte, beruht dabei vermutlich auf folgenden Überlegungen:
a.
Über die Mindestreserve: Kreditgewährung führt zur Erhöhung der Sichteinlagen von Banken (Bilanzverlängerung) und erhöht deren Mindestreservehaltung in Zentralbankgeld. Bei einem vergleichsweise niedrigen Reservesatz von 1 % müsste die Kreditgewährung extrem hoch ausfallen, was aber angesichts der aktuellen Kreditnachfrage, der Kreditwürdigkeit, vor allem aber des dann ebenfalls extrem steigenden Eigenkapitalbedarfs unrealistisch erscheint.
b.
Über den Abfluss via unbarer Zahlungsverkehr: Eine Kreditgewährung bedeutet entsprechend höhere Sichteinlagen (Bilanzverlängerung); überträgt der Kreditnehmer den Betrag zu einer anderen Bank, bedeutet dies einen betragsmäßig gleich hohen Abfluss an Liquidität in Form von Zentralbankgeld auf dem Konto dieser Bank bei der Zentralbank. Innerhalb des Bankensystems steigen dann aber die Zentralbank-Guthaben und damit die Überschussreserven der Empfängerbank analog. Der Zinsaufwand für die Negativzinsen fällt dann eben bei der Bank des Empfängers an.
12.
Geldpolitik und Bankenaufsicht handeln inkonsistent. Die Geldpolitik ist derzeit hinsichtlich Zinsniveau und quantitativer Bereitstellung von Zentralbankgeld sehr expansiv („monetary easing in Form von Ankäufen staatlicher Anleihen; „longer-term refinancing operations
) und steht somit auf dem „Gaspedal. Die Bankenaufsicht belastet dagegen mit dem Regelwerk Basel III bzw. Basel IV faktisch die Kreditvergabe durch entsprechende Eigenkapitalanforderungen und steht damit auf dem „Bremspedal
. Geldpolitik und die Bankenaufsicht über systemisch relevante Banken werden zudem von der gleichen Institution (EZB) verantwortet.
13.
Die Geldpolitik erscheint auch in anderer Hinsicht problematisch. Die Negativzinsen des Eurosystems beziehen sich auf die Überschussreserven der Banken bei der Zentralbank, also Guthaben oberhalb des Mindestreserve-Solls. Vom Eurosystem werden seit 2014 negative Zinsen erhoben,¹¹ im November 2020 lag der Zinssatz in der Einlagefazilität weiterhin bei −0,5 %.¹² Durch Anleihekäufe seitens des Eurosystems steigen die Überschussreserven der Banken laufend weiter an und erhöhen damit deren Zinsaufwand (Negativzinsen auf Überschussreserven). Dies bedeutet: Durch „monetary easing werden die Banken mit zusätzlichem Zentralbankgeld „überschwemmt
, gleichzeitig werden sie für diese Liquiditätsschwemme durch die Negativzinsen „bestraft". Das Eurosystem (Beschluss des Governing Councils vom 12. September 2019) hat allerdings seit 2019 versucht, diese Inkonsistenz etwas zu reduzieren durch das sog. Tier-Two-System.¹³
14.
Auch in anderer Hinsicht hat die aktuelle Geldpolitik ein Erklärungsdefizit: Geldpolitisch relevant ist letztlich stets der Zins, der im Rahmen der geldpolitischen Transmission sowohl Kreditnachfrage als auch –angebot beeinflusst, den Wechselkurs, die Vermögenspreisentwicklung und den Kapitalmarkt. Die Quantität an Zentralbankgeld hat primär instrumentellen Charakter, um die Zinspolitik umzusetzen und wirken zu lassen. Insoweit ist die derzeitige „Schwemme" an Zentralbankgeld im Rahmen der diversen Ankaufsprogramme des Eurosystems vermutlich weniger geldpolitisch als vielmehr fiskalpolitisch motiviert. Dies würde, falls zutreffend, aber eher an einen Missbrauch der Geldpolitik grenzen. Man könnte von einer indirekten Staatsfinanzierung unter Zuhilfenahme der Banken sprechen.
15.
Zur Vermeidung der Negativzinsen besteht für die Banken ein starker Anreiz, diese Überschussreserven durch erneute (Primärmarkt-)Käufe von Anleihen vom Staat abzubauen, die sie mit Zentralbankgeld¹⁴ bezahlen. Diese Kombination aus niedrigen oder Negativzinsen und stetiger Nachfrage nach Anleihen ist insofern für den Staat doppelt „günstig". Er kann sich leichter und billiger verschulden. Das könnte man als ein „finanzielles perpetuum mobile bezeichnen: Der Übertrag von Zentralbankgeld ist für die Banken „ein durchlaufender Posten
. Letztlich stammen die Mittel von der Zentralbank. Formal ist das Verbot der monetären Staatsfinanzierung¹⁵ wegen des Ankaufs am Sekundärmarkt (via die Banken) eingehalten (nur der unmittelbare Erwerb am Primärmarkt ist verboten). Man könnte es auch als eine Art „Verschleierung bezeichnen. Dass diese „faktische Staatsfinanzierung
indirekt über das Zentralbanksystem bisher nicht zu einer stärkeren Inflation bei den Verbraucherpreisen in Deutschland geführt hat, ist vermutlich auf die – zumindest bisherige – weitgehende Einhaltung von fiskalischen Verschuldungsgrenzen in Deutschland zurückzuführen (3 % des BIP beim laufenden Haushalt; 60 % beim Schuldenstand; gesetzliche Schuldenobergrenze; in Deutschland sogar Überschüsse). Falls sich jedoch die Nettoneuverschuldung des Staates bzw. der Staaten in der Eurozone – etwa bei rezessionsbedingten Mindereinnahmen und Mehrausgaben – wieder spürbar erhöhen sollte, kann das in der indirekten Staatsfinanzierung liegende erhebliche Inflationspotenzial rasch manifest werden und inflationäre Prozesse begünstigen. Tatsächlich bedeutet die massive Kreditaufnahme des deutschen Staates, der EU-Staaten sowie der EU selbst im Zuge der Bewältigung der pandemiebedingten Wirtschaftskrise sowie im Zuge des EU-Haushaltsplanes für die nachfolgenden Jahre eine Abkehr ganz offensichtlich von der staatlichen Zurückhaltung in der Fiskalpolitik (vgl. hierzu mit bilanzmechanischen Beispielen