Geschäftsmodelle erarbeiten: Modell zur digitalen Transformation etablierter Unternehmen
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Viele Beispiele illustrieren die Konzepte und Methoden. Die Methoden sind dabei so aufbereitet, dass sie direkt für die Geschäftsmodellinnovation verwendet werden können.
Das Buch ist für Zukunftsgestalter und Verantwortungsträger in Unternehmen (Eigentümer, Geschäftsführer/Vorstand, Management, Experten), für High Potentials und Berater von Geschäftsmodellinnovation, Strategieentwicklung sowie der digitalen Transformation der Wertschöpfung aber auch für Studenten geeignet.
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Geschäftsmodelle erarbeiten - Herbert Jodlbauer
© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020
H. JodlbauerGeschäftsmodelle erarbeitenhttps://doi.org/10.1007/978-3-658-30455-3_1
Geschäftsmodell
Herbert Jodlbauer¹
(1)
Campus Steyr, Fachhochschule Oberösterreich, Steyr, Österreich
Ein Geschäftsmodell ist eine abstrakte, strukturierte sowie vereinfachte Darstellung eines Unternehmens. Ein Geschäftsmodell ist eine einfach zu verstehende Geschichte, die erklärt, wie ein Unternehmen Nutzen für Kunden schafft und dabei selber Geld verdient, siehe Magretta (2002). Es besteht aus Elementen mit deren Eigenschaften und Beziehungen. Ein erfolgreiches Geschäftsmodell versetzt das Unternehmen in die Lage, gleichzeitig Wert für den Kunden (z. B. höheren Kundennutzen) und Wert für das Unternehmen (z. B. höherer Return on Capital Employed) zu schaffen. Ein Geschäftsmodell beantwortet nachfolgende vier Hauptfragen, die bereits Peter Drucker, siehe Drucker (2018), lange bevor der Begriff Geschäftsmodell sich etablierte, gestellt hat: Wer sind unsere Kunden? Was tun wir unserem Kunden Gutes (Schaffung Mehrwert für den Kunden)? Wie verdienen wir damit Geld? Wie erbringen wir unsere Leistungen, Produkte und Dienstleistungen? Nach Emmrich et al. (2015) beantworten erfolgsversprechende Geschäftsmodelle vor allem die beiden Fragen
Was verkaufe ich wie an wen?
Wie erbringe ich diese Leistungen, so dass am Ende ein über dem Branchendurchschnitt liegender Gewinn erzielt wird?
In der Literatur werden unterschiedliche Ansätze präsentiert. Schallmo (2013) definiert ein Geschäftsmodell als die Grundlogik eines Unternehmens, die beschreibt, welcher Nutzen auf welche Weise für Kunden und Partner gestiftet wird. Ein Geschäftsmodell beantwortet die Frage, wie der gestiftete Kundennutzen in Form von Umsätzen an das Unternehmen zurückfließt. Der gestiftete Nutzen ermöglicht eine Differenzierung gegenüber Wettbewerbern und die Erzielung eines Wettbewerbsvorteils. Ein Geschäftsmodell beinhaltet folgende Dimensionen und Elemente nach Schallmo (2013). Kundendimension (Kundensegmente, Kundenkanäle und Kundenbeziehungen), Nutzendimension (Leistungen die für den Kunden erbracht werden und Nutzen der dem Kunden gestiftet wird), Wertschöpfungsdimension (Ressourcen, Fähigkeiten und Prozesse), Partnerdimension (Partner, Partnerkanäle und Partnerbeziehungen) und die Finanzdimension (Umsätze und Kosten). Die Zielsetzung ist, die Geschäftsmodell-Elemente so miteinander zu kombinieren, dass sich die Geschäftsmodell-Elemente gegenseitig verstärken. Somit ist es möglich, Wachstum zu erzielen und gegenüber Mitbewerbern schwer imitierbar zu sein.
Besonders bekannt und verbreitet sind Osterwalder und Pigneur (2010) sowie Gassmann et al. (2015). Ein Geschäftsmodell lässt sich folgendermaßen unter Berücksichtigung Osterwalder et al. (2005); Osterwalder und Pigneur (2010); Gassmann et al. (2015); Schallmo (2013), Bocken et al. (2014) sowie Jodlbauer und Strasser (2016), in vier Hauptelemente und neun Elemente strukturieren:
Zielkunde(Wer sind unsere Zielkunden und wie erreichen wir sie?)
Zielkundensegmente
Kundenbeziehungen
Kanäle
Nutzenversprechen(Welchen Nutzen bzw. Wert versprechen wir unseren Zielkunden?)
Ertragsmechanik(Wie wird Wert für Unternehmen erzielt? Warum verdienen wir Geld?)
Einnahmequellen
Kostenstruktur
Wertschöpfungsstruktur(Wie stellen wir die Leistung her?)
Schlüsselaktivitätenund -prozesse
Schlüsselressourcen, -technologien, -fähigkeitenund -steuerungselemente
SchlüsselpartnerundEcosystem
In den meisten Literaturquellen ist die Reihenfolge: Kunden, Nutzenversprechen, Wertschöpfungsstruktur und Ertragsmechanik. Angelehnt an Johnson et al. (2008) haben wir die Reihenfolge geändert: Basierend auf den Zielkunden wird das Nutzenversprechen (Wert für Kunden schaffen) erarbeitet. Danach wird beschrieben, wie Wert für das Unternehmen (Ertragsmechanik) geschaffen wird und abschließend wird geklärt, welche Wertschöpfungsstruktur ist erforderlich, um die angestrebten Werte für die Kunden und für das Unternehmen zu schaffen.
Abb. 1 (verdeutlicht die vier Hauptelemente eines Geschäftsmodells angelehnt an Gassmann et al. (2015) und Frankenberger et al. (2013). Im Mittelpunkt steht der Zielkunde (Wer ist der Zielkunde, siehe Magretta (2002)). An den tragenden Ecken stehen das Wertangebot (Nutzenversprechen) an den Kunden (Was ist das Wertangebot an die Zielkunden, siehe Teece (2010)), die Wertschöpfungsstruktur (Wie wird das Nutzenversprechen an die Zielkunden eingelöst, siehe Chesbrough und Rosenbloom (2002)) und die Ertragsmechanik (Warum stellt das Geschäftsmodell nachhaltig finanziellen Erfolg sicher, siehe Johnson et al. (2008)).
../images/498987_1_De_1_Chapter/498987_1_De_1_Fig1_HTML.pngAbb. 1
Die vier Säulen eines Geschäftsmodells angelehnt an Gassmann et al. (2015) und Frankenberger et al. (2013)
Nach Magretta (2002) ist ein Geschäftsmodell eine Geschichte, die erklärt, wie ein Unternehmen funktioniert. Die Geschäftsmodell-Geschichte eines erfolgreichen Geschäftsmodells beschreibt einen besseren Lösungsweg für Kundenprobleme bzw. eine bessere Erfüllung einer Aufgabe für den Kunden als existierende Alternativen, indem mehr Wert für bestimmte (bestehende oder neue) Kunden geschaffen wird. In den folgenden Abschnitten werden die Elemente eines Geschäftsmodells, die Protagonisten der Geschäftsmodell-Geschichte, detailliert beschrieben und miteinander verwoben.
Wert für den Zielkunden schaffen
Der Zielkunde ist die Basis für jedes Geschäftsmodell und fixiert, für wen das Unternehmen seine Produkte sowie Dienstleistungen konzipiert, für wen Aufgaben erledigt werden, für wen Probleme gelöst werden und für wen die Leistungen erbracht werden sollen und – genau so wichtig – für wen nicht. Für unterschiedliche Zielkundensegmente werden im Allgemeinen die anderen acht Elemente eines Geschäftsmodells unterschiedlich zu gestalten sein. Ein typisches Unternehmen wird einige wenige Zielkundensegmente aufweisen. Wenn sich zwei Kandidaten für Zielkundensegmente in keinem der weiteren acht Elemente unterscheiden, so ist eine Differenzierung der beiden Kandidaten nicht zweckmäßig, und sie sollten zu einem Zielkundensegment zusammengeführt werden. Zielkundensegmente sollen exakt definiert werden – jeder Beteiligte sollte genau verstehen, welcher (potenzieller, neuer, bestehender) Kunde zum Zielkundensegment gehört und welcher nicht dazu gehört. Außerdem ist auf überschneidungsfreie Zielkundensegmente zu achten. Kundensegmente können nach
demografischen,
geografischen,
sozialpsychologischen z. B. Soziale Schicht oder Wertvorstellung,
verhaltensbezogenen z. B. Kaufverhalten, Markentreue, Preisbewusstsein, durchsetzbare Preiskategorien, Zahlungsbereitschaft, Bonität, Social Media Nutzungsgrad,
branchenbezogenen,
erfolgsorientierten z. B. ABC-Analysen nach Umsatz oder Gewinnmargen,
absatzbezogenen (z. B. absetzbaren Jahresmengen, Saisonalität, …),
wachstumbezogenen oder
erwartungsorientierten (erwarteter Kundennutzen, Kundenbedürfnisse, geforderte Leistungen, …)
Kriterien gleichartiger Personengruppen oder Organisationen, die ein Unternehmen bedienen möchte, bestimmt werden. Business to Business (B to B), Business to Consumer (B to C), Position der Kunden in der gesamten Supply Chain bzw. im Supply-Netzwerk oder zugeordnete Kundenkanäle sind weitere mögliche Kriterien zur Bildung von Zielkundensegmenten. Der zentrale Punkt bei der Festlegung der Zielkundensegmente ist die daraus sich ableitende differenzierte Behandlung in Bezug auf die Ausgestaltung der zusätzlichen acht Elemente eines Geschäftsmodells.
Klassisch wird zwischen Massenmarkt (ein im Allgemeinen großer Markt ohne Differenzierung aber mit Preiskampf), Nischenmarkt (sehr spezifisch und spezialisiert, im Allgemeinen kleiner Markt), Segmentierter Markt (Marktsegmente unterscheiden sich aber hängen zusammen, z. B. LKW-Kräne und LKW) und Diversifizierter Markt (Marktsegmente unterscheiden sich und hängen nicht zusammen, z. B. Rasenmäher und Schneefräsen) unterschieden, siehe Schallmo (2013). Ein Zielkundensegment kann in der Regel einer der obigen Marktformen zugeordnet werden. Bei der Erarbeitung der weiteren acht Elemente sollten die strategischen Rahmenbedingungen und Logiken der jeweiligen Marktform berücksichtigt werden, siehe dazu die beiden Abschn. „Zielkundenspezifisches Geschäftsmodell und „Wettbewerbsanalyse
(Seite 40 und 141). Pro Zielkundensegment werden das Nutzenversprechen, die Kundenbeziehungen, die Kanäle, die Wertschöpfungsstruktur sowie die Ertragsmechanik definiert.
Die Klassifizierung der Kunden als besonders wichtige Kunden auf Grund von Umsatzanteil, Wachstumspotenzial oder anderen strategischen Überlegungen kann wichtig sein, um beim Erarbeiten und beim Validieren des Geschäftsmodelles sicherzustellen, dass die besonders wichtigen Kunden auf jeden Fall in geeigneter Weise abgedeckt sind.
To Be Answered – Ziekunde
1.
Für welche Zielkunden wollen wir Leistungen (Produkte oder Dienstleistungen) erbringen? Wer sind unsere wichtigsten Kunden (Umsatzanteil, Wachstumspotenzial, strategische Bedeutung, …)?
2.
Wer ist kein Zielkunde von uns? (Bei Diskussion über das Geschäftsmodell dürfen Argumente, die sich auf Kundenbedürfnisse oder Umsatzpotenziale von nur Nicht-Zielkunden beziehen nicht berücksichtigt werden)
3.
Wie gruppieren wir unsere Zielkunden in möglichst wenig Zielkundensegmente, sodass
3.1.
die Zielkundesegmente überschneidungsfrei sind
3.2.
zielgruppenspezifische Nutzenversprechen, Kundenkanäle und Kundenbeziehungen daraus resultieren?
Goodwin (2015) betont in seiner Arbeit „The Battle is for the Customer Interface" die zentrale Bedeutung der Schnittstelle zwischen Kundenbedürfnissen, Nachfrage, Wertangebot und Wertlieferung. Kundenbeziehungen und Kanäle zum (End)Kunden sind entscheidend für den Erfolg eines Geschäftsmodells. Die Digitalisierung ermöglicht bzw. fördert völlig neue Interaktionspunkte mit den (End)Kunden. Beispiele dafür sind die Einbeziehung des Kunden in den Produkt-Entwicklungsprozess (Open Development Platform), Innovationsprozess (Open Innovation), die Erfassung von Felddaten während der Produktnutzung (Smart Connected Things) oder der Einsatz von „Massenpersonalisierung" (userspezifische Parametrisierung), siehe Gassmann und Sutter (2016).
Die Kundenbeziehungen beschreiben alle Arten von Beziehungen zwischen Kunden eines Kundensegments und dem Unternehmen. Die Kundenbeziehungen sollten derart gestaltet sein, dass die Akquisition neuer Kunden, die Pflege und damit die Haltung bestehender Kunden und die Steigerung der Umsätze bestmöglich unterstützt werden. Kundenbeziehungen können beziehungsorientiert auch relational, sehr persönlich und individuell gestaltet sein (kostenintensiv) oder transaktionsorientiert , hoch automatisiert, digitalisiert bzw. auf Selbstbedienung aufgebaut sein, siehe Morris et al. (2005). Plattformen, Communities, Blogs und Soziale Medien sind in ihrer Bedeutung wachsende Formen von Kundenbeziehungen. Eine enge Kundenbeziehung stellt die Mitbeteiligung dar. Diese kann von (digital unterstützter) Interaktion, Crowd Sourcing bis zu technischen, organisatorischen und rechtlichen Verschränkungen reichen. In vielen Fällen liegt ein großes Optimierungspotenzial in der Verbesserung der Kundenbeziehung im After-Sales vor. Themen wie Inbetriebnahme, Einschulung, Service, optimierter Produkteinsatz, Reparatur, Abwicklung von Reklamationen, Haftungs- oder Gewährleistungsfragen, Bereitstellung von Ersatzteilen oder Verbrauchsmaterialien, Recycling oder Entsorgung von produktspezifischen Abfällen sollten regelmäßig überprüft werden, ob nicht eine Erweiterung des After-Sales Services in einem der obigen Bereiche gewinnbringend sein kann. Gerade die Digitalisierung und die damit einhergehende Datendurchgängigkeit eröffnet im After-Sales neue Möglichkeiten der Gestaltung der Kundenbeziehung. Die Qualität der Zusammenarbeit, die Verlässlichkeit, der Umgang im Problemfall (z. B. Kommunikation oder Nicht-Kommunikation einer drohenden Lieferverspätung), die Abwicklung von Reklamationen und die Qualität aller anderen Kundeninteraktionen beeinflussen maßgeblich die Kundenbeziehung.
Bei der Gestaltung der Kundenbeziehung geht es nicht um die Bedürfnisse des eigenen Unternehmens, des Vertriebes oder des After-Sales. Der Kunde mit seinen Bedürfnissen und Erwartungen soll in der Entwicklung der Kundenbeziehungen zentral herangezogen werden. Wesentliche Themen dabei können sein:
Gewünschte Stabilität und Dauer der Kundenbeziehung
Gewünschte Form der Bindung (technisch-funktional erzwungen, vertraglich detailliert geregelt, bedarfsbezogen on demand, sporadisch oder regelmäßig, …)
Wer oder Was (Meinungsführer, Anwender, Blogs, Fachzeitschriften, …) beeinflusst unsere Zielkunden
Welche Menschen mit welchen Werten, Bedürfnissen und Vorstellungen stecken hinter den Zielkunden (dieser Aspekt sollte gerade bei B2B Beziehungen nicht unterschätzt werden)
Werden die selben Kunden bzw. deren Repräsentanten von unterschiedlichen Unternehmensbereichen (nicht abgestimmt) angesprochen
Welche Kundenbeziehung wird vom Nutzenversprechen „verlangt"
In vielen Fällen ist der direkte Kunde des Unternehmens nicht der Endkunde (kein direkter Kundenkontakt ). Um langfristig erfolgreich zu sein, müssen die Anforderungen, Wünsche sowie Erwartungen der Endkunden verstanden und in der Entwicklung des Geschäftsmodells berücksichtigt werden. Der Aufbau und die Pflege direkter Beziehungen zu den Endkunden kann die langfristige Wettbewerbsfähigkeit stärken, siehe Ballon (2007) und Goodwin (2015). Mit Hilfe der Digitalisierung (Plattformen, Sensoren in Produkten, …) werden derzeitige Intermediäre z. B. Großhandel verschwinden und neue Marktteilnehmer z. B. Plattformbetreiber entstehen. Es geht um das Gestalten des gesamten Ecosystems bestehend aus allen Lieferanten, Partnern, Kunden, Kunden vom Kunden, Mitbewerbern, potenziellen neuen Mitbewerbern, die mit völlig anderen Ansätzen die gleichen Kundenbedürfnisse befriedigen können.
Beispiel „Kein direkter Endkundenkontakt"
Ein Maschinenbauer stellt standardisierte Verpackungsmaschinen her. Der Vertrieb findet über den Großhandel statt. Um direkten Endkundenkontakt zu erhalten und zusätzlich Mehrwert für den Endkunden zu generieren, entwickelt der Maschinenbauer eine Verpackungsmaschine, die über Sensoren den Verbrauch an Verpackungsmaterial erkennt und automatisch die Bereitstellung und Beschaffung des Verpackungsmateriales anstoßen kann. Zusätzlich wird eine neue Dienstleistung für den Endkunden in Kooperation mit Verpackungsmaterialieferanten und Logistikern zur automatischen Bereitstellung des Verpackungsmaterials aufgebaut. Durch die Auswertung der Sensordaten lernt der Maschinenbauer seine Endkunden besser kennen. Die Endkunden werden die Daten bereitstellen, weil sie einen zusätzlichen Nutzen „automatische und kostengünstigere Bereitstellung der C-Artikel Verpackungsmaterial" ziehen können.
Das nächste Beispiel zeigt eine firmenübergreifende Datendurchgängigkeit in einer konservativen Branche auf, die eine sehr kurze Lieferzeit ermöglicht.
Beispiel „Speedmaster"
Speedmaster ist ein Komponentenfertiger für Möbel (Plattenzuschnitt, Korpus, Fronten, …). Zielkunden sind Tischler und Schreiner. Speedmaster stellt seinen Kunden ein einfaches Planungssystem zur Verfügung. (Dieses Planungssystem unterstützt den Kunden perfekt beim individuellen Design der Möbel und berechnet im Hintergrund automatisch Stücklisten, Arbeitspläne, CNC-Programme, Montageanleitungen, Preis, …). Wenn der Kunde bestellt, werden vollautomatisch die Fertigungsprozesse der Möbelteile gestartet und innerhalb von 48 h werden alle Möbelteile inkl. Zukaufteile wie Beschläge und Montageanleitung an den Kunden (Tischler bzw. Schreiner) geliefert, der nur noch die Montage durchzuführen hat.
In Zukunft wird der Aufbau und die Pflege der Kundenbeziehungen nicht ausschließliche Aufgabe der Vertriebsmitarbeiter, Produktmanager, Produktentwickler, Servicemitarbeiter oder Marketingexperten sein. Neue Ansätze fordern, dass jeder Mitarbeiter einen möglichst direkten Kundenkontakt aufweist und endkundenorientiert handelt, siehe Henretta und Chopra-McGowan (2017). In manchen Unternehmen sieht ein Vertriebsmitarbeiter nicht die Kundenkontakte und laufenden Aktivitäten von anderen Vertriebskollegen. Dies kann zu erheblichen Wettbewerbsnachteilen führen. Siehe dazu nachfolgendes Beispiel.
Beispiel „Erhöhung der Kosten und Auftragszeiten durch „Nichtkommunikation
Wir betrachten einen Sonderfahrzeugbauer bei dem kein Infoaustausch zwischen unterschiedlichen Vertriebsmitarbeitern untereinander stattfindet. Dann kann folgendes passieren: Vertriebsmitarbeiter A hat Sonderfahrzeug für Zweck/Rahmenbedingungen/Anforderungen X kürzlich verkauft. Für das Sonderfahrzeug des Vertriebsmitarbeiters A sind bereits alle Entwicklungsarbeiten (mechanische, pneumatische, elektrische, … Planungen, Stücklisten, Lieferanten, Arbeitspläne, Prüfpläne, CNC Programme, Montageanweisungen, Vorrichtungen, …) vorhanden. Vertriebsmitarbeiter B akquiriert einen Kunden, der ebenfalls ein Sonderfahrzeug für Zweck/Rahmenbedingungen/Anforderungen X benötigt. Da er die Aufträge des Kollegen A nicht kennt, erarbeitet er basierend auf seiner Erfahrung eine Lösung für seinen Kunden. Sein Konzept wird in den wenigsten Fällen viel Überschneidung mit dem Konzept des Kollegen A aufweisen und somit sowohl zeitlich als auch kostenmäßig wieder die gesamten Entwicklungsaufwendungen von der Planung bis zum Vorrichtungsbau beanspruchen.
Die Digitalisierung hat einen ganz besonderen Einfluss auf die Zielkunden und Kundenbeziehungen. Sie erhöht die Marktdynamik und hat wesentlichen Einfluss auf die Markttransparenz, siehe Ansari und Mela (2003) und Hagberg et al. (2016).
In den 1980er-Jahren war es gängige Praxis, mit einer Botschaft alle Kunden anzusprechen. Die Idee der Kundensegmentierung stammt aus den 1990er-Jahren und ist in vielen Firmen noch das vorherrschende Gedankenmodell. Die Digitalisierung ermöglicht heute zu geringen Kosten individualisierte, personalisierte sowie situativ angepasste Angebote inkl. Kommunikation und Lieferung. Über Soziale Medien können hoch dynamische Effekte entstehen, die von Unternehmen erkannt werden sollen und genutzt werden können. Internetdienste und -angebote wie Blogs, Bewertungspages, Vergleichs-Plattformen, Soziale Medien, … erhöhen die Transparenz für den Kunden, reduzieren die Wechselbarrieren und gefährden die Kundenloyalität. Durch Maßnahmen wie Entwicklung der Kundenbeziehung vom anonymen Massen-Onlinekunden hin zum hoch angesehenen Mitglied einer „auserwählten" Gruppe mit besonderen exklusiven Angeboten (Membership ) kann die Kundenbindung und -loyalität wieder erhöht werden (siehe Abb. 2). Durch die Digitalisierung werden Produkte immer mehr zu Dienstleistungen und Konsumenten zu Usern sowie Mitgliedern. Diese durch die Digitalisierung bedingten Phänomene sollen bei der Gestaltung der Kundenbeziehungen, Kundekanäle und Nutzenversprechen antizipiert werden. Auch für güterproduzierende Unternehmen werden im Zuge der Digitalisierung Dienstleistungen als Teil des Wertangebotes an den Zielkunden immer wichtiger, siehe Leitão et al. (2013). Wegen der Digitalisierung, der wachsenden Bedeutung von Personalisierung bzw. Individualisierung und dynamischen Effekten getrieben von Sozialen Medien, Internet-Plattformen sowie On-Demand Angeboten ist eine starre Kundensegmentierung (fixe Zuordnung von konkreten Kundennamen zu einem fixen Kundensegment) im klassischen Sinn kritisch zu beleuchten. Kundensegmente im Sinne des Geschäftsmodells werden durch gemeinsame, für das Geschäftsmodell relevante, Eigenschaften definiert. Situativ können unterschiedliche Kunden zu unterschiedlichen Zeitpunkten diese Eigenschaften aufweisen. Damit kann ein Kundensegment dynamisch zu unterschiedlichen Zeitpunkten unterschiedlich zugeordnete Kundennamen aufweisen. Eine Weiterentwicklung des digitalisierten Kunden hin zu Membership kann die Konstanz der Zusammensetzung im Kundensegment wieder erhöhen.
../images/498987_1_De_1_Chapter/498987_1_De_1_Fig2_HTML.pngAbb. 2
Entwicklung der Kundenbeziehungen. (angelehnt an Aussagen von Coca Cola CIO Rob Cain)
Beispiel „Kundenentwicklung"
Kommunen können erfolgreich ihre Bürger (Kunden) zur Nachhaltigkeit und gleichzeitig zum Sparen von Kosten erziehen (ich gehöre zum Club der nachhaltig agierenden Bürger!), indem sie öffentlich beim Müllabtransport überdimensional groß ein Smiley anzeigen. Wird eine Mülltonne entleert, die sauber nach Mülltrennung befüllt ist und entsprechend der Haushaltsgröße wenig Müll beinhaltet, wird ein grünes, lächelndes Smiley präsentiert. Wird hingegen ein Ignorieren der Mülltrennung oder mengenmäßig zu viel Müll festgestellt, wird während des Entleerungsvorgangs der Mülltonne in den Müll-LKW ein rotes enttäuschtes sowie trauriges Emoji angezeigt.
Eng zusammenhängend mit der Markttransparenz und Kundenloyalität ist der Effekt, dass eine gute Kundenberatung nicht mehr zwingend zu einem Kaufabschluss führt, siehe Jodlbauer (2016).
../images/498987_1_De_1_Chapter/498987_1_De_1_Figa_HTML.pngWegen der Transparenz der Märkte und den geringen Barrieren für Online-Bestellungen kann es vorkommen, dass ein klassischer Anbieter (z. B. persönliche Beratung in einem Verkaufsgeschäft oder ein individuell ausgearbeitetes Angebot inkl. Plänen und technischen Details durch einen Planer) eine gute hochkompetente Beratung kostenlos durchführt und der Kunde dann ausgestattet mit der Information, welches Produkt genau passt, dieses über den Onlinehandel bestellt. Das online-beschaffte Produkt wird in der Regel wesentlich billiger sein, weil erstens der klassische Anbieter die Beratungs- bzw. Planungskosten einpreisen muss und zweitens der Onlinehändler höhere Mengen umsetzen wird und damit Economy of Scale Effekte besser nutzen kann. Dieses Phänomen betrifft Einzelhandel, Großhandel und Industrie im gleichen Maße. Eine Gegenstrategie könnte die Bepreisung von Beratung und Planungsleistung sein. Eine weitere sinnvolle Gegenstrategie könnte sein, nicht mehr Produkte zu verkaufen, sondern für den Kunden Probleme zu lösen und Aufgaben zu erledigen unter Ausnutzung der Kundenkontakte und Kundeninformationen (die der Online-Anbieter nicht hat). Eine „Close-Strategie" wie das Verwenden von unterschiedlichen Artikelnummern und Artikelbezeichnungen, wie es einige Großhändler versuchen, kann das Problem kurzfristig lindern aber nicht langfristig lösen. Außerdem kann eine geeignete Gegenstrategie der Zusammenschluss mehrerer klassischer Anbieter zu einer gemeinsamen Internet-Plattform sein.
Digitalisierung kombiniert mit Data Analytics im Zusammenhang mit Kundenbeziehung, Kundenkanal, Kundenbedürfnissen und Wertangebot ermöglicht einen völlig neuen Marketing- und Vertriebsansatz.
../images/498987_1_De_1_Chapter/498987_1_De_1_Figb_HTML.pngDaten aus dem Umfeld des Kunden können bei richtiger Kombination und Verdichtung genutzt werden, um genauer als der Kunde selbst zu wissen, welche Probleme der Kunde demnächst hat, welche Aufgaben sich dem Kunden als nächstes stellen werden, was er/sie dafür braucht und durch welches Wertangebot wir ihn/sie am besten unterstützen können. Die nächsten Beispiele verdeutlichen diesen Ansatz.
Beispiel „Medikamentenlogistik"
Durch Screening von Internetsuchmaschinen, Plattformen und Soziale Medien kann, bevor Patienten zum Arzt gehen und anschließend von der Apotheke die verschriebenen Medikamente holen, automatisch festgestellt werden, dass in einer bestimmten Region gehäuft Suchen nach Wörtern wie Verkühlung oder Grippe oder Posts wie „Ich fühl mich krank" abgesetzt werden. Diese Häufungen können kombiniert mit den Verschreibungspraktiken der regionalen Ärzte genutzt werden, um präzise den regionalen Bedarf an spezifischen (bezüglich der sich ankündigenden regionalen Krankheitswelle und bezüglich den präferierten Medikamenten der regional ansässigen Ärzte) Medikamenten vorherzusagen. Wenn die vorhergesagten Bedarfe die in den regionalen Apotheken vorrätigen Medikamente überschreiten, können entsprechende Bereitstellungsaufträge veranlasst werden noch bevor die Ärzte ihre Diagnosen stellen.
Beispiel „Nivea Invisible for Black & White"
Von der Firma Beiersdorf wird bezüglich der Entwicklung von Nivea Invisible for Black & White folgendes berichtet: Bis zur Entwicklung von Nivea Invisible for Black and White hat die gesamte Deo-Branche versucht, die anhaltende Dauer des Schutzes gegen Schweißbildung und Geruchsbelästigung ständig zu erhöhen. In Werbeslogans war teilweise von mehr als 24 Stunden die Rede (wobei in einer Wohlstandswelt im Regelfall mindestens einmal pro Tag geduscht wird). Um diesem Wettbewerb zu entgehen hat Beiersdorf durch automatische KI-unterstützte Auswertung (Data Analytics ) von Bildern und Videos in Sozialen Netzwerken versucht, die Kundenbedürfnisse besser zu verstehen. Das durchaus überraschende Ergebnis war: Die Kunden brauchen keine längere Schutzzeit, sondern sie wollen, dass ihre Kleider, T-Shirts usw. unter der Achsel keine weiß-grauen Rückstände mehr aufweisen. Das war der Entwicklungsanstoß für das branchenneue Produkt Nivea Invisible for Black & White, das in kürzester Zeit zu einem wesentlichen Umsatz- und Deckungsbeitragsbringer für Beiersdorf wurde.
Beispiel „Condition Monitoring"
Ein Maschinenbauer, der über Sensoren Felddaten vom Maschineneinsatz zur Verfügung hat, kann damit Mehrwert für den Kunden schaffen wie z. B. Beratung zur besseren Nutzung der Maschine (energieeffizienter, kürzere Taktzeit, höhere Stabilität, weniger Ausfälle, optimale Einstellung bzw. Parametrisierung der Maschine, …), automatische bedarfsorientierte Bereitstellung von Verbrauchsmaterial sowie Ersatzteilen, Unterstützung bis Durchführung von Reinigungsarbeiten sowie Instandhaltungsaufgaben. Zusätzlich könnte sich auf Basis der Analyse der Maschinennutzung ergeben, dass eine alternative Maschine für den Einsatzzweck des Kunden besser geeignet wäre als die bereits beim Kunden existierende und damit kann kundenorientiert ein Kauf- oder Austauschangebot für den Kunden erstellt werden.
Beispiel „Online-Shop"
Online-Shops sind prädestiniert dafür, dass mit Unterstützung von Data Analytics und produkt-spezifischem Know-how die Kunden geführt werden. Auf Basis des vergangenen Verhaltens eines bestimmten Kunden im Online-Shop und falls möglich kombiniert mit anderen Daten aus Sozialen Medien, Blogs und Plattformen soll der Kunde aufgabenspezifisch und situationsbezogen bei der Suche nach Information und Wertangeboten, in der Bewertung der Wertangebote, in der Entscheidungsfindung sowie in der Abwicklung der gesamten Transaktion unterstützt werden. Ziel dabei ist, dem Kunden als nächsten Schritt das vorzuschlagen bzw. als nächste Information dem Kunden das zu präsentieren, was ihr/ihm intuitiv (zumindest nach erfolgtem Vorschlag oder erfolgter Informationsbereitstellung) logisch bzw. stimmig erscheint. Besonderes Augenmerk sollte dabei auf Fragen gelegt werden wie „Braucht der Kunde zusätzlich irgendeine Unterstützung oder Erweiterung zum derzeitigen Wertangebot? (Add-on )", „Was könnte bzw. wird der Kunde noch benötigen? (Cross Selling )" und „Was müsste am Wertangebot geändert werden, dass der Kunden noch mehr Nutzen wahrnimmt und bereit ist noch mehr zu bezahlen? (Up-Selling )".
To Be Answered – Kundenbeziehungen jeweils pro Zielkundensegment
1.
Welche Kundenbeziehungen wünschen sich die Zielkunden und welche Kundenbeziehungen wollen wir pflegen? Sehen das auch unsere wichtigsten Kunden so?
2.
Wenn unsere Zielkunden nicht die Endkunden sind: Welche Beziehungen brauchen wir zu den Endkunden?
3.
Wie müssen wir unsere Kundenbeziehungen auf Grund der Digitalisierung gestalten und wie begegnen wir der wachsenden Markttransparenz?
Die Kanäle sind die Wege, die ein Unternehmen nutzt, um sein Wertangebot zu vermitteln, insbesondere sind dabei die Wege der Wertkommunikation und Wertlieferung gemeint. Die Wertkommunikation (Kommunikationskanal) verfolgt das Ziel, Aufmerksamkeit auf die Produkte und Dienstleistungen zu lenken und den Kunden zu unterstützen, das Wertangebot zu finden, zu schätzen sowie positiv zu bewerten. Im Zuge der Digitalisierung werden klassische Kommunikationskanäle wie Printmedien, Radio, TV usw. vermehrt durch Internetkanäle (Social Media, Marktplätze, Blogs, …) ergänzt und teilweise verdrängt. Die Wertlieferung (Vertriebskanal, Lieferkanal bzw. Distributionskanal und Servicekanal) beschreibt die Abwicklung der Transaktion inkl. Verkauf, Bezahlung, Distribution, Inbetriebnahme und After-Sales Service. Klassische Kanäle sind direkte Kanäle (eigene Verkaufsabteilung, eigener Internetverkauf) oder indirekte Kanäle (Filialen, Partnerfilialen, Großhändler, Lieferkanal über Logistiker). Offene digitale Plattformen und Marktplätze aber auch Servicekanäle (z. B. Fernwartung) erweitern die klassischen Kundenkanäle. Bei der Ausgestaltung der Kanäle sollten die Kundenerwartungen und -anforderungen der Zielkunden im Vordergrund stehen. Eigenschaften der Kanäle wie Reichweite (regional bis global), Verfügbarkeit (zu Geschäftszeiten, auch in der Nacht, …), Geschwindigkeit (Reaktionsgeschwindigkeit, Dauer Auftragsabwicklung, …) sind zielkundenorientiert zu gestalten. Die Position des eigenen Unternehmens im Supply Chain Netzwerk bzw. im Ecosystem, B2B oder B2C, die Prüfung bzw. Sicherstellung einen Kanal zum Endkunden zu unterhalten, wenn er nicht direkter Kunde des eigenen Unternehmens ist, sind ebenfalls zu berücksichtigen. Sind die Kundenbeziehungen eher transaktionsorientiert, sind hocheffiziente kostengünstige Kanäle, die eine perfekte Transaktionsabwicklung aus Sicht des Kunden zu geringen Kosten ermöglichen, anzustreben. Sind die Kundenbeziehungen eher relational, sind besonders kundennahe, personalisierbare Kanäle, die den Aufbau von Vertrauen unterstützen, anzustreben. Kundenkanäle sind zielgruppenspezifisch zu gestalten.
Nach Osterwalder (2004) sollen die Kundenkanäle alle vier Phasen des Customer Buying Cycle unterstützen.
Aufmerksamkeit beim Zielkunden wecken (Wertkommunikation): Stellen Sie sicher, dass Ihre Zielkunden das Nutzenversprechen kennen und prüfen
Stellen Sie eine hohe Kompatibilität zwischen Kundenwünschen sowie – erwartungen der Zielkunden und dem Nutzenversprechen her (Weiterentwicklung des Nutzenversprechens und der Wertkommunikation): Unterstütze die Kunden bei der Suche – reduziere die Suchkosten des Kunden – erleichtere dem Kunden den Zugang zu Produkten und Dienstleistungen sowie seine Kaufentscheidung
Optimiere den Kundenauftragsabwicklungsprozess (Wertlieferung): Erleichtere dem Kunden die Abwicklung der gesamten Transaktion
Vergiss den Kunden nach der Transaktionsabwicklung nicht (sonst vergisst er dich auch): Schaffe zusätzlichen Nutzen für den Kunden im After-Sales (Ersatzteile, Verbrauchsteile, Reparatur, Schulung, Optimierung der Kundenprozesse, Online-Support, Entsorgung, …)
Durch den Kundenkanal muss der Zielkunde auf unser Wertangebot aufmerksam gemacht werden (Wertkommunikation ), in seiner Bewertung des Wertangebotes sowie in der Kaufentscheidungsfindung bestens unterstützt (und zu uns geführt) werden, einfach sowie bequem bei uns den Kauf und die Bezahlung abwickeln können (Transaktionsabwicklung ), schnell,