Innovation personenbezogener Dienstleistungen als Prozess: Exemplarische Fallstudie eines Innovationsprozesses zur Bereicherung der sozialen Assistenz durch Teilhabebegleitung
By Gitta Bernshausen and Frank Löbler
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About this ebook
In diesem Buch wird beschrieben, wie Dienstleistungsprozesse in Sozialunternehmen verändert werden können, um auch weiterhin als Leistungserbringer im Wettbewerb bestehen zu können. Prozesse der Entwicklung und Umsetzung von Innovationen sind erfolgreich, wenn personelle und finanzielle Ressourcen eingesetzt, fachliche Expertise und die Kompetenz zum Projektdesign, zur Projektsteuerung und -evaluation sowie zur Personal- und Organisationsentwicklung eingebracht werden. Welche Voraussetzungen für das Erkennen der Notwendigkeit von Innovationen sowie für das Gestalten eines erfolgreichen Innovationsprozesses gegeben sein müssen – und welche Instrumente dabei eingesetzt werden -, wird exemplarisch anhand einer Fallstudie gezeigt.
Wandel der Sozialwirtschaft: Auswirkungen auf die Unternehmen und die Dienstleistungen • Die Verwirklichung sozialer Inklusion erfordert Innovation • Qualität des Lebens: Ein passendes Konzept für die Gestaltung sozialer Dienstleistungen • Den Innovationsprozess erfolgreich gestalten • Der Innovationsprozess aus der Perspektive von Beteiligten • Individuelle Qualität des Lebens messen mit der Personal Outcomes Scale • Der Innovationsprozess von sozialen personenbezogenen Dienstleistungen. Zwischenbilanz eines Projektes
Die Autoren
Gitta Bernshausen ist Diplom-Sozialarbeiterin und ist im Vorstand des Sozialwerks St. Georg e.V. in Gelsenkirchen für den Bereich Human Resources, Qualität, Sozialpolitik sowie Forschung und Entwicklung zuständig.Frank Löbler ist Diplom-Sozialwissenschaftler und leitet das Ressort Qualität beim Sozialwerk St. Georg e.V. in Gelsenkirchen. Er ist in dieser Funktion für das Qualitätsmanagement und die Personal Outcomes Scale zuständig.
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Book preview
Innovation personenbezogener Dienstleistungen als Prozess - Gitta Bernshausen
Sozialwirtschaft innovativ
Reihe herausgegeben von
Berthold Becher
Bonn, Nordrhein-Westfalen, Deutschland
Die Reihe „Sozialwirtschaft innovativ" widmet sich den gesellschaftlich und volkswirtschaftlich gewichtigen Bereichen der Sozial- und der Gesundheitswirtschaft. Diese befinden sich in einem tiefgreifenden Veränderungsprozess. Angesichts dieser Entwicklung kommt eine größere Dynamik in diese Wirtschaftssektoren, neue Lösungen müssen gefunden werden: Innovation wird zum Dauerthema.
Die Akteure in der Sozial- und der Gesundheitswirtschaft sind in höherem Maße gezwungen, innovationsfähig zu sein und vorausschauend und eigeninitiativ Innovationen zu generieren. Dem entsprechend bietet die Reihe „Sozialwirtschaft innovativ Orientierungs- und Handlungswissen in Form von Grundlageninformationen und exemplarischer „guter Praxis
.
Die Reihe „Sozialwirtschaft innovativ" widmet sich insbesondere folgenden Themenfeldern:
Innovationen in den einzelnen Dimensionen der Unternehmen.
Neue Leistungsarrangements und Steuerungsmechanismen sowie Veränderungen der Branchenstruktur.
Innovationsfördernde und -hemmende institutionelle Arrangements in der Sozial- und der Gesundheitswirtschaft.
Innovative Lösungen angesichts neuer gesellschaftlicher Herausforderungen.
Zielgruppe der Reihe „Sozialwirtschaft innovativ" sind vor allem die Kernentscheider und das Management von Unternehmen, Vereinigungen und Fachverbänden; die Publikationen sind aber ebenso nützlich für diejenigen, die bei Staat, Gebietskörperschaften und Sozialversicherungsträgern mit den rechtlichen Rahmenbedingen, der Finanzierung und der Steuerung befasst sind, sowie für jene, die beratend, finanzierend, fachjournalistisch oder wissenschaftlich begleitend mit der Sozial- und der Gesundheitswirtschaft verbunden sind.
Mit der Reihe „Sozialwirtschaft innovativ" wird eine Plattform geboten,
die auf aktuellem fachlichen Niveau den Akteuren in der Sozial- und Gesundheitswirtschaft Gestaltungswissen liefert – hierbei wird die Expertise aus anderen Wirtschaftssektoren berücksichtigt,
die innovative Praxis einer breiteren Fachöffentlichkeit zugänglich macht,
die Akteure aus der Sozial- und der Gesundheitswirtschaft einlädt, ihr Knowhow einzubringen und die von ihnen entwickelten Lösungen zur Diskussion zu stellen.
Der Zielsetzung der Reihe „Sozialwirtschaft innovativ" und dem Adressatenkreis entsprechend werden als Autoren bzw. Titelherausgeber insbesondere Akteure der Sozial- und Gesundheitswirtschaft selbst sowie Experten mit unmittelbarem Bezug zu diesen Wirtschaftssektoren engagiert.
Reihe herausgegeben von
Dr. Berthold Becher
Bonn, Deutschland
Weitere Bände in der Reihe http://www.springer.com/series/13459
Gitta Bernshausen und Frank Löbler
Innovation personenbezogener Dienstleistungen als Prozess
Exemplarische Fallstudie eines Innovationsprozesses zur Bereicherung der sozialen Assistenz durch Teilhabebegleitung
../images/371540_1_De_BookFrontmatter_Figa_HTML.pngGitta Bernshausen
Sozialwerk St. Georg e.V., Gelsenkirchen, Deutschland
Frank Löbler
Sozialwerk St. Georg e.V., Gelsenkirchen, Deutschland
ISSN 2569-1236e-ISSN 2569-1252
Sozialwirtschaft innovativ
ISBN 978-3-658-20513-3e-ISBN 978-3-658-20514-0
https://doi.org/10.1007/978-3-658-20514-0
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
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Herausgebervorwort
Die Reihe: „Sozialwirtschaft innovativ" ist darauf angelegt, Leitungskräften in der Sozial- und Gesundheitswirtschaft Orientierungs- und Handlungswissen zu bieten, die ihnen bei der Bewältigung ihrer aktuellen Herausforderungen nützlich sein können. In der heutigen Entwicklungsphase werden von den Unternehmen vielfältige Veränderungen gefordert, um passgenauer, kostengünstiger und wirksamer zu sein. Um ihnen begegnen zu können sind sie aufgefordert, unternehmensintern neue fachliche, personelle, organisatorische, kulturelle und technische Voraussetzungen zu schaffen.
Daher müssen die Unternehmen innovationswillig, innovationsfähig und innovationskräftig sein, um die neuen Herausforderungen erfolgreich bewältigen zu können. Dabei sind – möglicherweise – besonders diejenigen im Vorteil, die Erfahrung und Tradition in der Durchführung von Innovationsprozessen haben.
In diesem Zusammenhang gewinnt in der Sozial- und Gesundheitswirtschaft auch das Neugestalten der personenbezogenen Dienstleistungen an Bedeutung. Neben den neuen Anforderungen aufgrund der veränderten Rolle der Leistungsnehmer bzw. Kunden, der Regelungen von Gesetzgebern und Leistungsträgern sowie dem wettbewerblichen Umfeld müssen die Unternehmen vermehrt eigeninitiativ und proaktiv die Dienstleistungen gestalten, um nachhaltig erfolgreich ihre Ziele erreichen zu können.
Erfreulicherweise ist es gelungen, erfahrene Autoren für die Thematik „Innovation personenbezogener Dienstleistungen" zu gewinnen, die als Vorstandsmitglied bzw. Ressortleiter Qualität in einem Dienstleistungsunternehmen der Eingliederungshilfe einen entsprechenden Innovationsprozess verantwortet und gestaltet haben. Sie legen exemplarisch dar, mit welchen Voraussetzungen, Überlegungen, Analysen, Konzepten und Methoden in ihrem Unternehmen die Innovation einer Dienstleistung vorgenommen wurde. Zwar ist die vorliegende Fallstudie aus dem Leistungsbereich der Eingliederungshilfe hervorgegangen, aber nichtsdestoweniger haben die Autoren ihre Darstellung doch so angelegt, dass die gebotenen Informationen über Analysen, Konzepte, Methoden, Verfahren sowie über ihre Erfahrungen auch jenen sehr nützliches Orientierungs- und Handlungswissen bieten, die in anderen Leistungsbereichen der Sozial- und Gesundheitswirtschaft verantwortlich sind für das Gestalten personenbezogener Dienstleistungen.
Nicht nur das Konzipieren und Gestalten des Innovationsprozesses und sein Verlauf werden entfaltet. Die Autoren legen auch den Bezugsrahmen dar, der sie geleitet hat, in dem sie agiert haben: Ihre Sicht auf die Entwicklung der Sozial- und Gesundheitswirtschaft sowie ihr Verständnis von Innovation und von den Voraussetzungen für gelingende Innovationsprozesse in einem Unternehmen.
Die reflektierte Verdichtung des Projektgeschehens und der Erfahrungen in dieser Publikation führt bei den Autoren, den Verantwortlichen und Gestaltern des in dieser Fallstudie aufgearbeiteten Innovationsprozesses selbst noch zu weitergehenden Klärungen ihres Tuns und zusätzlichem Erkenntnisgewinn.
Die Autoren nutzen die Reihe „Sozialwirtschaft innovativ" als Plattform, um der Fachöffentlichkeit ihre Erfahrungen und ihre Expertise verfügbar zu machen und auch, um hierüber mit einschlägig Interessierten ins Gespräch zu kommen.
Hoch zu bewerten ist, dass die Autoren ungeachtet der von ihnen zu bewältigenden fordernden Alltagsaufgaben sich der Mühe unterzogen haben, diese Publikation zu erstellen. Hierfür danke ich Ihnen als Herausgeber der Reihe „Sozialwirtschaft innovativ" sehr.
Im Ergebnis liegt nun ein weiterer instruktiver Titel zum Themenfeld „Innovation in Unternehmen dieser Reihe vor. Die übrigen Themenfelder sind: „Innovation der Versorgungsstruktur und deren Steuerung
und „Neue Lösungen angesichts neuer gesellschaftlicher Herausforderungen".
Berthold Becher
Herausgeber der Reihe „Sozialwirtschaft innovativ"
Vorwort der Autoren
„Ich kann freilich nicht sagen, ob es besser wird, wenn es anders wird. Aber so viel kann ich sagen, es muss anders werden, wenn es besser werden soll" (Lichtenberg 1968, K 293).
„Die Lösung ist immer einfach, man muss sie nur finden" (Alexander Solschenizyn, zitiert nach FAZ 04.08.2008)
Die Sozialwirtschaft ist heute mit deutlich mehr Dynamik konfrontiert. Viel häufiger als früher müssen neue Lösungen gefunden werden – und dies möglichst vorausschauend. Für die Anbieter in der Sozialwirtschaft beginnt der schnellere Wandel inzwischen ein Normalzustand zu werden. Die Branche muss vermehrt auf soziale, wirtschaftliche politische und gesetzgeberische Veränderungen reagieren. Die Akteure in den Unternehmen sind aber nicht nur Getriebene: Sie haben die Chance und die Gelegenheit, auch pro-aktiv zu agieren, Impuls- und Taktgeber zu sein.
In diesem Zusammenhang erhält auch die Innovation der Dienstleistungserbringung in Sozialunternehmen zunehmend eine größere Bedeutung. Unternehmen, die strategisch geführt werden, nachhaltig ausgerichtet und innovationsfähig sind, sind auch in der Lage zu erkennen, welchen Anforderungen sie sich gegenüber sehen und können daher frühzeitig Veränderungen angehen. Damit die Prozesse der Entwicklung und Umsetzung von Innovationen erfolgreich gestaltet werden können, sind neben fachlicher Expertise Kompetenzen zum Projektdesign, zur Projektsteuerung, Projektevaluation und zur Personal- und Organisationsentwicklung erforderlich sowie auch die notwendigen personellen und finanziellen Ressourcen.
Welche Voraussetzungen für das Erkennen der Notwendigkeit von Innovationen sowie für das Gestalten eines erfolgreiche Innovationsprozess gegeben sein müssen, wird von uns exemplarisch anhand einer Fallstudie zur Neuausrichtung der Assistenz durch Teilhabebegleitung auf der Grundlage des Konzepts Qualität des Lebens und in Verbindung mit der Entwicklung und Einführung eines Messverfahrens für die Ergebnisqualität dargestellt. Wir hatten diesen Prozess in unserem Unternehmen zu verantworten und zu gestalten.
Unserer Fallstudie liegt die Neuausrichtung der Assistenz in der sozialen Dienstleistung durch Teilhabebegleitung zugrunde. Nichtsdestoweniger haben wir die Darstellung so angelegt, dass die gebotenen Informationen und unsere Erfahrungen übergreifend auch für jene nützlich sein können, die in andere Leistungsbereichen der Sozialwirtschaft und Gesundheitswirtschaft verantwortlich sind für die wirtschaftliche Sicherung und die Gestaltung von personenbezogenen Dienstleistungsprozessen.
Wir beginnen mit den veränderten Anforderungen an die Erbringung sozialer Dienstleistungen sowie mit dem Ausgangspunkt unseres Innovationsprozesses, schildern diesen in der Folge nachvollziehbar von der Konzeptentwicklung bis zur Implementation. Integraler Bestandteil unserer neu gestalteten Dienstleistung ist die Wirkungsmessung. Abschließend fassen wir unserer grundlegenden Erfahrungen zusammen und ziehen daraus verallgemeinerbare Konsequenzen für die zukünftige Gestaltung von personenbezogenen Dienstleistungen und Innovationsprozessen.
Wir beschäftigen uns mit der Erbringung der sozialen Dienstleistung und dem Qualitätsversprechen, das unser Unternehmen wiederkehrend jeden Tag aufs Neue einlösen will. Wie stellt sich ein neuer Erbringungsprozess dar, der nicht nur „gut genug" sein soll gemäß den bisherigen Qualitätsanforderungen? Was können wir noch viel besser machen? Wie gut ist unser Beitrag zu einer fachlich-wissenschaftlich fundierten und tragfähigen Darstellung der individuellen Qualität des Lebens von Menschen mit Assistenzbedarf? Was müssen wir im Bereich der wiederkehrenden Messung tun? Wie können wir die individuelle Bewertung durch die Klienten fördern, steigern, erhöhen? Wie gelingt es sicherzustellen, dass unsere Intention bei der praktischen Umsetzung im konkreten Sozialraum sich auch letztlich einlöst?
In den Blick genommen werden die Personen im Unternehmen, die eine Innovation für geboten halten und sich nicht scheuen, entsprechende Schritte zur Umsetzung einzuleiten – der Change wird entschieden (!), die Personen, die diese Umsetzung planen unter Bedingungen der Unsicherheit – aber möglichst immer im Zeitplan (!), die Personen, die von der Innovation mitgenommen werden sollen aber fragen: „Was soll das?, „Was bringt das?
Unser Vorhaben war getragen von dem Willen, das was als neu und richtig erkannt worden war, zügig und konsequent in die Praxis umzusetzen.
Wir nutzen die gebotene Chance, unsere Fallstudie in der Reihe „Sozialwirtschaft innovativ" präsentieren zu können, um unsere konzeptionelle Grundlage, unser Vorgehen und unsere Erfahrungen der Fachöffentlichkeit zur Diskussion zu stellen und um mit Kolleginnen und Kollegen in Austausch zu kommen.
Zur Fachöffentlichkeit gehören für uns die Leistungskräfte, die personenbezogene soziale Dienstleistungen in Unternehmen erbringen, aber auch jene Fachleute, die bei Staat, Gebietskörperschaften und Sozialversicherungsträgern mit den rechtlichen Rahmenbedingungen, der Steuerung und den Vertragsverhandlungen befasst sind sowie Wissenschaftler, die sich systematisch mit Innovation und der Gestaltung von Dienstleistungsprozessen auseinandersetzen.
Wir bedanken uns zunächst bei Wolfgang Meyer, Vorstandssprecher des Sozialwerks St. Georg, für die fachliche und persönliche Unterstützung bei der Realisierung dieses Buchprojekts.
Die Autoren danken ferner Sandra Schneider, Manja Buchenau, Anne Sabine Meise und Hannelore Achenbach, die alle in vielfältiger Art und Weise sehr hilfreich an der technischen Herstellung dieses Manuskripts beteiligt waren. Ebenso bedanken wir uns bei der freien Journalistin Miriam Chávez-Lambers für die wertvolle Vorarbeit im Rahmen der Interviews mit den Klienten, Mitarbeitenden und Leitungskräften des Sozialwerks St. Georg.
Ebenso geht unser Dank an den Springer-Verlag und natürlich an Dr. Berthold Becher für die immer aufmunternde fachliche Begleitung dieses Buchprojekts.
Schließlich gilt unser besonderer Dank der Stiftung Arduin in Middelburg, Niederlande, die uns in der wichtigen Vorbereitungs- und Entscheidungsphase kooperativ den Einblick in die praktische Anwendung des Konzepts „Quality of Life gewährt hat. Eingeschlossen darin sind die Vertreter des Qualität-des-Lebens-Kraftzentrums aus Gent, Belgien, insbesondere Prof. Claudia Claes, Remco Mostert und Prof. Geert van Hove (Danke ihnen allen; auf niederländisch „dank U wel
).
Weiteren Personen, denen das Sozialwerk St. Georg besonders verpflichtet ist, gebührt am Schluss des Vorworts eine wertschätzende Erwähnung: Zum einen ist dies Dr. Robert L. Schalock, der Nestor der weltweiten Quality-of-Life-Bewegung und immer willkommener Gast des Sozialwerks St. Georg und dessen Förderer – thank you Bob! (our very bests to Sue Schalock included).
Zum anderen ist dies der langjährige Manager („Manager Inhoudlijke Ondersteuning") der Stichting Arduin, der engagierte Wissenschaftler der Universität Gent – und unser Freund Herr Prof. Jos van Loon.
Gitta Bernshausen
Frank Löbler
Inhaltsverzeichnis
1 Wandel der Sozialwirtschaft: Auswirkungen auf die Unternehmen und die Dienstleistungen 1
1.1 Von der paternalistischen Hilfe zur Dienstleistung für den Kunden 1
1.2 Unternehmen in der Sozialwirtschaft. Besonderheiten und neue Herausforderungen 8
1.3 Soziale personenbezogene Dienstleistungen erbringen 14
1.3.1 „Was man nicht messen kann, kann man auch nicht lenken" 16
1.3.2 „Qualität ist, wenn der Kunde zurückkommt, nicht das Produkt" 19
1.4 Innovationen von Unternehmen in der Sozialwirtschaft 22
1.4.1 Die Ausprägung von Innovation in unterschiedlichen Disziplinen und im Verlauf der gesellschaftlichen Entwicklung 22
1.4.2 Innovationen von Unternehmen: Voraussetzungen und Gestaltung 27
Literatur 38
2 Die Verwirklichung sozialer Inklusion erfordert Innovation 43
2.1 Inklusion neu gefasst. Mission und Auftrag der Leistungsanbieter 43
2.2 Herausforderungen zur Innovation durch die Gesetzgebung: Das Bundesteilhabegesetz als Beispiel 46
Literatur 53
3 Qualität des Lebens: Ein passendes Konzept für die Gestaltung sozialer Dienstleistungen 55
3.1 Was macht Qualität des Lebens aus? 55
3.2 Kernelemente des Konzeptes Qualität des Lebens 56
3.3 Personal Outcomes Measures und Qualität des Lebens 61
3.4 Handlungskomponenten des Konzepts „Qualität des Lebens" 63
Literatur 67
4 Den Innovationsprozess erfolgreich gestalten 71
4.1 Das neue Dienstleistungskonzept. Auswahl, Vergewisserung, Probelauf 71
4.2 Information und Kommunikation im Projekt Einführung Teilhabebegleitung 73
4.3 Projektmanagement und die Entwicklung von neuen Lösungen 79
4.4 Der neue Dienstleistungsprozess im Sozialwerks St. Georg 83
4.4.1 Aufgaben der Teilhabebegleiter im Dienstleistungsprozess 84
4.4.2 Aufgaben der Persönlichen Assistenten im Dienstleistungsprozess 87
4.4.3 Die Implementierung erfolgreich weiterführen 89
Literatur 95
5 Der Innovationsprozess aus der Perspektive von Beteiligten 97
5.1 Teilhabebegleitung 99
5.2 Persönliche Assistenz 110
5.3 Klientinnen und Klienten 119
5.4 Management 134
Literatur 149
6 Individuelle Qualität des Lebens messen mit der Personal Outcomes Scale 151
6.1 Auf Wirkungsmessung nicht verzichten 151
6.2 Personal Outcomes Scale: Domänen und Indikatoren 152
6.3 Das Messinstrument POS: Entwicklung, Reliabilität, Validität 158
6.4 Anwendungsvoraussetzungen der POS 161
6.5 Internationaler POS-Anwenderkreis – ein kurzer Streifzug 163
6.6 Managementinformation und wirkungsorientiertes Controlling 168
Literatur 170
7 Der Innovationsprozess von sozialen personenbezogenen Dienstleistungen. Zwischenbilanz eines Projektes 175
Literatur 185
Über die Autoren
Gitta Bernshausen
studierte Sozialarbeit. Seit 1986 ist sie für den Sozialwerk St. Georg e.V. – zunächst in operativer Leitungsfunktion – tätig. Im Jahr 2002 erfolgte der Wechsel in die Organebene, zunächst als Geschäftsführerin verschiedener Tochtergesellschaften. Seit 2012 ist sie Vorständin des Vereins und zuständig für den Bereich Human Resources, Qualität, Sozialpolitik sowie Forschung und Entwicklung.
Frank Löbler,
Jahrgang 1961, ist Ressortleiter Qualität beim Sozialwerk St. Georg e.V. in Gelsenkirchen. In dieser Funktion ist er zuständig für das Qualitätsmanagementsystem, welches auf wirksame personenorientierte Assistenz ausgerichtet ist. Besonderes Augenmerk legt Herr Löbler auf das Thema Lebensqualität und deren Messung, zu dem er als Mastertrainer der deutschsprachigen Personal Outcomes Scale (Messinstrument) Vorträge hält und organisiert.
Herr Löbler ist Diplom-Sozialwissenschaftler und ist (Mit-) Autor einer Reihe von Publikationen zu verschiedenen Themen.
© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020
G. Bernshausen, F. LöblerInnovation personenbezogener Dienstleistungen als ProzessSozialwirtschaft innovativhttps://doi.org/10.1007/978-3-658-20514-0_1
1. Wandel der Sozialwirtschaft: Auswirkungen auf die Unternehmen und die Dienstleistungen
Gitta Bernshausen¹ und Frank Löbler¹
(1)
Sozialwerk St. Georg e.V., Gelsenkirchen, Deutschland
Gitta Bernshausen (Korrespondenzautor)
Email: g.bernshausen@sozialwerk-st-georg.de
Frank Löbler
Email: f.loebler@sozialwerk-st-georg.de
1.1 Von der paternalistischen Hilfe zur Dienstleistung für den Kunden
Unsere Gesellschaft hat in den vergangenen Jahrzehnten enorme Veränderungen erfahren. Diese betreffen auch die Arrangements sozialer Unterstützung.
In der arbeitsteiligen und hoch spezialisierten Gesellschaft wären traditionelle Hilfeformen kaum vorstellbar, die in Ableitung von der katholischen Soziallehre und dem dort vorherrschenden Bild von Subsidiarität prinzipiell als nachrangige Fürsorge betrachtet wurden. In früheren Zeiten war die Inanspruchnahme kirchlicher oder öffentlicher Hilfen die Ultima Ratio. Diese traten erst ein, wenn die kleinste gesellschaftliche Einheit, die Familie, ihre Angelegenheit nicht mehr selbst regeln konnte. Sie waren Für-Sorge im wahrsten Sinne, d. h. stellvertretendes Kümmern um Menschen, deren familiäres System überfordert war oder in das sie nicht (mehr) eingebunden waren. Hier liegen die Wurzeln der Sozialwirtschaft in Deutschland. Einige Phänomene aus jener Zeit haben sich bis heute erhalten.
Als alle verfügbaren Arbeitskräfte, inklusive Frauen und Kinder, für industrielle Tätigkeiten benötigt wurden, verlor die zuvor tragfähige Institution Familie ihre Fähigkeit, kranke oder ansonsten beeinträchtigte Familienmitglieder zu versorgen. Es erfolgte die Institutionalisierung der Verantwortung für Menschen, die in der neuen Produktionsweise nicht dienlich sein konnten, weil sie behindert, krank oder alt waren:
„Die Ausgrenzung der Unvernunft, die Institutionalisierung der marktwirtschaftlich-industriell nicht verwertbaren Bevölkerungsgruppen als Antwort auf die „Soziale Frage war im Aufbruch zur Moderne offenbar eine gesamtgesellschaftliche Notwendigkeit, eine Problemlösung, an der alle geistigen, kulturellen, ökonomischen, sozialen und politischen Bereiche der Gesellschaft beteiligt waren und durch die alle diese Bereiche verändert, modernisiert wurden. Diese Problemlösung hat für 150 Jahre, von 1800 bis 1950, die Modernität der Gesellschaft garantiert.
(Dörner 1995, S. IV).
Während dieses Zeitraums entstanden überall in Europa große Anstalten, in denen viele Menschen mit unterschiedlichen Erkrankungen bzw. Behinderungen auf engem Raum verwahrt wurden – zumeist weitab von den Lebensräumen der arbeitenden Bevölkerung. Dies war auch die Ära, in der zahlreiche Heime und Trägerorganisationen für Menschen mit Behinderungen zumeist durch Orden, katholische und evangelische Geistliche oder fromme Laien gegründet wurden.
Insbesondere ab den 60ger Jahren des 20. Jahrhunderts begannen weltweit alle marktwirtschaftlich-industriell entwickelten Gesellschaften
„ihre bisherige Institutionalisierungspolitik zunehmend durch eine De-Institutionalisierungspolitik zu ersetzen, durch eine Bewegung der zunehmenden Integration aller bisher ausgegrenzten Bevölkerungsgruppen. Dies erfolgte in allen Ländern in derselben Reihenfolge: es begann mit den Körperbehinderten und der Jugendhilfe, setzte sich fort mit den geistig Behinderten und erfasste erst später die psychisch Kranken." (Dörner 1995, S. III).
Aber auch De-Institutionalisierung braucht Begleitung, muss politisch und gesellschaftlich gewollt werden, eine entsprechende Infrastruktur muss vorhanden sein bzw. aufgebaut werden und engagierte Menschen (Betroffene, Bürger, Fachkräfte) werden benötigt.¹
Diese Entwicklung ging einher mit der allmählich zunehmenden Selbstorganisation der betroffenen Menschen bzw. ihrer Angehörigen. Beispielhaft anzuführen sind die Gründung der Lebenshilfe, einer Selbsthilfevereinigung für Menschen mit geistiger Behinderung und ihre Familien sowie des Bundesverbandes der Psychiatrie-Erfahrenen, einer Selbsthilfeorganisation von jetzigen und ehemaligen Psychiatriepatienten.
Die Entwicklung hin zu einer inklusiven Gesellschaft ging weiter. Beispielhaft zu nennen ist das In-Kraft-Treten der Konvention der Vereinten Nationen über die Rechte der Menschen mit Behinderung in Deutschland 2009. Mit ihr wurden deren Grundsätze für die Gestaltung inklusiver Lebenswelten verbindlich. Sie hat spürbare Auswirkungen beispielsweise auf die Gestaltung der Städte, der Mobilität, des Wohnens, der öffentlichen Infrastruktur, der Bildung und veränderte das gesellschaftliche Klima positiv. Hierbei geht es nun um mehr als die Kompensation von individuellen Einschränkungen. Ein breiter Personenkreis profitiert von einer inklusiven Gestaltung der Lebenswelt.