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Kulturjournalismus: Medien, Themen, Praktiken
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Ebook263 pages3 hours

Kulturjournalismus: Medien, Themen, Praktiken

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Der Kulturjournalismus befindet sich im Umbruch. Das klassische Feuilleton steht unter Begründungsdruck, gleichzeitig wachsen Formate und Zuständigkeiten des Kulturjournalismus. Das vorliegende Buch gibt einen aktuellen Überblick über ein zentrales Feld der medialen Arbeit. Die Darstellung reflektiert Kultur- und Rollenverständnis von Kulturjournalisten, verortet Kulturjournalismus im Beziehungsgefüge zwischen Kulturinstitutionen und Rezipienten. Im Blickpunkt stehen Beispiele gelungener Praxis und die Frage: Wie plant und schreibt man eigentlich guten Kulturjournalismus?
LanguageDeutsch
PublisherSpringer VS
Release dateSep 26, 2014
ISBN9783531196503
Kulturjournalismus: Medien, Themen, Praktiken

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    Kulturjournalismus - Stefan Lüddemann

    © Springer Fachmedien Wiesbaden 2015

    Stefan LüddemannKulturjournalismusKunst- und Kulturmanagement10.1007/978-3-531-19650-3_1

    1. Einleitung

    Stefan Lüddemann¹  

    (1)

    NOZ Medien Osnabrück, Osnabrück, Deutschland

    Stefan Lüddemann

    Email: stefan.lueddemann@t-online.de

    1.1 Krise und Option: Zur Situation des Kulturjournalismus

    1.2 Jenseits des Feuilletons: Definition des Kulturjournalismus

    1.3 Wozu dieses Buch? Aufbau und Ziele

    1.1 Krise und Option: Zur Situation des Kulturjournalismus

    Kulturjournalismus hat Konjunktur. Selten zuvor in der Geschichte war sein Zuständigkeitsbereich derart weit gespannt, seine Faszinationskraft so voll entfaltet wie gerade jetzt. Und selten zuvor war der Kulturjournalismus derart deckungsgleich mit der Faszinationskraft der Medienwelt überhaupt. In dieser Sparte verdichtet sich die Brisanz medialer Komplexität selbst – in ihrer Reflexivität und Beobachterkompetenz, aber auch in ihrer glamourösen Leuchtkraft. Mediale Formate wie das „Literarische Quartett, die Online-Plattform „Perlentaucher, die Feuilletons großer Tageszeitungen wie der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung und der „Süddeutschen Zeitung, Debattenbücher wie Florian Illies’ „Generation Golf oder Frank Schirrmachers „Ego, um nur einige Ausprägungen von Kulturjournalismus zu benennen, belegen mediale Vitalität und gesellschaftliche Virulenz eines ganzen Genres. Gleichzeitig gilt diese Sparte des medialen Betriebes als Synonym für eine Krise, die mediale Praxis, gesellschaftliche Akzeptanz und ökonomische Basis gleichermaßen betrifft. Gerade als Feuilleton – um die historisch ältere und enger an redaktionellem Spartendenken orientierte Bezeichnung zu benutzen – schien der Kulturjournalismus in den letzten Jahren einem Verdikt verfallen zu sein, das unisono von Medienanalysten, Chefredakteuren und Zeitgeistbeobachtern formuliert worden ist. Kulturjournalisten erweiterten unterdessen ihren Aktionsradius kontinuierlich. Im gleichen Zeitraum schien die Relevanz ihres medialen Stellenwerts unaufhaltsam zu schwinden. Eine Diagnose des Widerspruchs? Allerdings.

    Dabei werden Argumente für und wider den Kulturjournalismus mit der gleichen Lust an der Ausschließlichkeit formuliert. Diese mediale Sparte steht unter dem Verdacht, Interessenvertreterin des „rein Schöngeistigen einer elitären Hochkultur zu sein (Todorow 2012, S. 69). Zugleich konstatiert der Medienwissenschaftler Gunter Reus fast schon beschwörend: „Von einem Niedergang kann keine Rede sein (Reus 2012, S. 614). Während der Kulturjournalismus unter dem Druck der Ökonomisierung aller Print- und überhaupt Medienprodukte (vgl. Schütte 2004, S. 36) besonders zu leiden scheint, kann offenbar ebenso klar behauptet werden, dass der Beruf des Kulturjournalisten ungebrochene Anziehungskraft ausstrahlt (vgl. Tschapke 2000, S. 8). Phänomene, die derart gegenläufige Wertungen auf sich ziehen, werden in den Medien selbst gern als umstritten bezeichnet. Diese, inzwischen zur Floskel der Kommentarsprache abgesunkene Formulierung muss unbedingt auf den Kulturjournalismus selbst angewendet werden.

    Darin ist nicht einmal eine Bedrohung zu erkennen – eher im Gegenteil. Was umstritten ist, steht im Mittelpunkt kontroverser Debatte und damit im vitalen Diskurs der Gesellschaft. Anders formuliert: Was keinen Meinungsstreit auf sich zieht, kann kulturell nicht sonderlich produktiv sein. Fraglose Gültigkeit bedeutet Stillstand der Debatte. Das kann Kultur ebenso wenig wollen wie der Kulturjournalismus. Der muss sogar zwangsläufig mitten im Meinungsstreit stehen. Es ist das Gewerbe der Kulturjournalisten, ihre Adressaten und mit ihnen die Gesellschaft mit lebendigem Diskurs zu versorgen, der dazu anregt, die Selbstbeschreibungen und Deutungen der Gesellschaft kritisch zu befragen und gegebenenfalls zu revidieren. Da Kultur niemals nur einfach Gegenstand des Diskurses sein kann, sondern im Vollzug der Debatte immer mit hervorgebracht wird, gibt es auch für den Kulturjournalismus keinen Standpunkt außerhalb der Kultur und ihres unabschließbaren Deutungsgeschehens. Als Teil und vor allem wesentliches Medium der Kultur ist der Kulturjournalismus selbst in ihre Vollzüge eingebunden. Das heißt vor allem: Er ist Gegenstand des Meinungsstreits um Deutungen und ihre Geltungsansprüche. Kultur verhandelt die Sinnfragen einer Gesellschaft. Diese Frage nach dem Sinn gehört entsprechend zur Geschichte des Kulturjournalismus (vgl. Stücheli-Herlach 2012, S. 329). Wer auf die Geschichte der Kulturberichterstattung schaut, wird schnell erkennen, dass ihre Akteure, Textformen und Publikationsmedien immer unter erheblichem Begründungsdruck gestanden haben. Die „Lust am wechselhaften Kulturstoff" (Tschapke 2000, S. 8), die Experimentierfreude an so genannten freien Textformen wie Kulturkritik oder Essay und der Mut zur exponierten Meinung hatten – und haben – immer ihren Preis. Der war und ist mit der Bereitschaft zu entrichten, den Streit der Meinungen nicht nur voranzutreiben, sondern auch selbst auszuhalten.

    Die widersprüchlichen Diagnosen zur Situation des Kulturjournalismus werden hingegen transparenter und für die weitere Argumentation produktiver, wenn sie auf leitende Aspekte bezogen werden. Kulturjournalismus – Krise oder Option? Für jede dieser Positionen sollen drei Argumente kurz diskutiert werden.

    Der Kulturjournalismus durchlebt eine ungebrochene Konjunktur, weil es ihm in den letzten Jahren gelungen ist, seinen Gegenstandsbereich kontinuierlich auszuweiten und im Zeichen des „Debattenfeuilletons (vgl. Steinfeld 2004a, S. 12 f.) eine Zuständigkeit zu erlangen, die den traditionellen Bereich der Künste weit übersteigt. Das als „Feuilleton definierte klassische Zeitungsressort hatte sich noch vorrangig auf die Künste als zentralem Gegenstand bezogen und seine Aufgabe darin gesehen, künstlerische Leistungen zu bewerten. Kulturjournalisten waren fast ausschließlich Rezensenten und Kritiker, die „Besprechung" von Theateraufführungen, Büchern, Ausstellungen und anderem mehr ihre oftmals einzige Aufgabe. Das hat sich dramatisch verändert. Kulturjournalismus bezieht heute seine Faszinationskraft aus der Fähigkeit, vielfältige gesellschaftliche Phänomene zu analysieren. Das Feuilleton rezensiert nicht mehr allein künstlerische Leistungen, sondern evaluiert Sinnangebote aus vielen gesellschaftlichen Bereichen. Es ist damit zu einer Agentur des Zeitgeistes avanciert, hat dafür Themen übernommen, die früher in die Zuständigkeit anderer Ressorts oder medialer Bereiche fielen. Kulturjournalisten sind immer auch noch Rezensenten. Aber sie agieren heute besonders als Analytiker, Essayisten, Trendbeobachter, die von der politischen Kultur bis zur Mode buchstäblich alles zu ihrem Thema machen können – und auch tatsächlich machen. Zugleich gewinnt die Kultur selbst ständig an Faszinationskraft. Kultur beschäftigt nicht nur Kenner und Spezialisten, sondern strahlt in weite Bereiche der Gesellschaft. Das betrifft den klassischen Kulturbetrieb ebenso wie die Popkultur. Die Künste ziehen ein Millionenpublikum an. Zugleich steigen Kulturmacher zu Stars auf – vom Rockmusiker bis zum Filmregisseur oder Maler.

    Diese Tendenz antwortet auf den Trend zu einer umfassenden Medialisierung und Inszenierung der Öffentlichkeit. Dass Medien nicht einfach nur Übertragungskanäle sind, die Inhalte wertneutral transportieren, versteht sich von selbst. Medien definieren Inhalte wesentlich mit, ja Medien rücken immer mehr selbst in den Fokus kultureller Analyse. Medien werden mehr und mehr zu Schauplätzen des sozialen und politischen Lebens. Sie bieten nicht einfach nur Bühnen, sie verschmelzen inzwischen vielfach mit Prozessen der Meinungsbildung, des kommunikativen Austausches und der politischen Willensbildung. Soziale Netzwerke, Internetportale oder Twitter-Dienste liefern nur die derzeit prominentesten Schlagwörter für ein Medienszenario, das vor allem mit der Verflechtung vieler Medienkanäle zu einer komplexen, in Echtzeit prozessierenden Struktur gewonnen hat. Ein öffentliches Leben, das weitgehend mit dem medialen Sektor verschmilzt, ist ohne ausgefeilte Inszenierung kaum noch vorstellbar. Kommunikation und Kontakt definieren sich heute weitgehend als medial vermittelte Phänomene. Das beschleunigt Kommunikation, macht sie zugleich aber auch zu einer Operation, die immer mehr Rückkopplung, Bewertung und Analyse verlangt. Damit wachsen dem Kulturjournalismus neue Aufgabenfelder zu. Sein Zuständigkeitsbereich, vormals gerade im Vergleich zum politischen Journalismus eher am Rand des medialen Spektrums angesiedelt, hat sich nun um zentrale Aspekte gesellschaftlicher Analyse erweitert. Kulturjournalismus reflektiert Medien, Lebensformen, politische Prozesse als Themen eines großen kulturellen Komplexes.

    Dafür zeigt sich der Kulturjournalismus gerade wegen seiner Textsorten bestens gerüstet. Natürlich gehören klassische Textsorten des Journalismus wie Nachricht, Bericht oder Kommentar zum Spektrum dessen, was auf Kulturseiten abgedruckt, in Radio und Fernsehen in Kulturmagazinen gesendet oder in Internetportalen publiziert wird. Der Kulturjournalismus gewinnt sein Profil hingegen mit Rezension, Feature und Essay, so genannten „freien Formen" des Journalismus. Die Stärke dieser Formen liegt in einer Qualität, die sie in den Augen klassischer Nachrichtenjournalisten suspekt macht – sie kombinieren mehrere Perspektiven journalistischen Schreibens und integrieren damit mehrere Optionen, Themen in den Blick zu nehmen. Diese Textsorten informieren mit Nachrichten, sie analysieren kulturelle Phänomene, bewerten künstlerische Leistungen, beschreiben und reportieren Darbietungen aller Art, bewerten Qualitäten – und integrieren diese Bestandteile schließlich in Texten, die mit ihrer individuell an den Gegenstand angepassten Dramaturgie immer wieder neu kreiert werden müssen. Wie solche Texte gebaut und geschrieben werden, wird in diesem Buch an späterer Stelle beschrieben. Zunächst ist festzuhalten, dass Kulturjournalisten mit Textsorten operieren, die einen ständigen Perspektivenwechsel erlauben und auf diese Weise scheinbar disparate Phänomene in den Blick nehmen können. Genau damit sind Kulturjournalisten zur Analyse einer medial verfassten, digital beschleunigten Informations- und Kommunikationsgesellschaft besonders befähigt.

    Erweiterter Gegenstandsbereich, allgemeine Medialisierung, flexible Textsorten: Diese drei Argumente sprechen für eine Konjunktur des Kulturjournalismus. Welche drei Argumente untermauern nun die Diagnose seiner Krise?

    Medien expandieren. Zugleich erodiert die ökonomische Basis der Medienunternehmen. Vor allem seit der Jahrtausendwende verlieren die Zeitungshäuser – sie stellen den klassischen Typ des Medienunternehmens in Deutschland dar – an Umsatz, weil die Zahl der Abonnenten zurückgeht und Anzeigen- und Werbeerlöse einbrechen. Der digitale Medienwandel stellt nicht nur Lesegewohnheiten und Rezeptionsformen in Frage, er verändert auch das Geschäft mit Anzeigen, die in größeren Teilbereichen bereits in das Internet abgewandert sind. Die inzwischen selbst zum medial transportierten Wort aufgestiegene „Zeitungskrise hat fassbare Kontur gewonnen: Am 13. November 2012 stellt die Frankfurter Rundschau den Insolvenzantrag, im gleichen Jahr wird die „Financial Times Deutschland eingestellt und schließlich am 15. Januar 2013 angekündigt, die Redaktion der „Westfälischen Rundschau in Dortmund zu schließen. Die ökonomische Krise der Zeitungshäuser setzt insbesondere Kulturredaktionen unter Druck. Kulturseiten gelten als nicht lesernah genug, ihre Inhalte als nicht quotentauglich. Der Trend zu geringerem Platzangebot für Kulturthemen und zur viel zitierten „Boulevardisierung des Feuilletons (vgl. Todorow 2012, S. 63) verändert den Kulturjournalismus. Den Feuilletons droht das Aus (vgl. Lüddemann 2004b).

    Gleichzeitig verändert sich das Publikum des Kulturjournalismus. Das klassische Bildungsbürgertum schwindet. Zudem wächst der Anteil eines Publikums mit wechselnden Interessen für unterschiedliche Kulturangebote und Anspruchsniveaus. Das hat Auswirkungen auf den Kulturjournalismus. Die klassische Rezension erreicht weniger Leser, die Rolle des Kulturjournalisten als richtender Kritiker wird zunehmend prekär. Statt des Rezensenten als klassischer Gatekeeper, der künstlerische Leistungen benotet, Künstlerkarrieren befördert oder blockiert, ist jetzt viel mehr der Kulturjournalist gefragt, der kundig informiert, Diskussionen anstößt und Trends aufspürt. Das Publikum ist beweglicher geworden, in Bildungsstand und Kenntnissen heterogener als vielleicht jemals zuvor. Unter diesem Einfluss verändert sich der Kulturjournalismus im Hinblick auf Themen und Textformen. Das herkömmliche Feuilleton hat es inzwischen jedenfalls immer schwerer, Rezipienten zu finden.

    Die angesprochenen Veränderungsprozesse, die den Kulturjournalismus unter Spannung setzen, kulminieren in der digitalen Revolution, der das gesamte Medienszenario erfasst und zutiefst umprägt. Dabei kommt es nicht einmal darauf an, diesen Wandel als Revolution, Epocheneinschnitt oder dergleichen zu qualifizieren. Unabhängig von solchen Benennungen steht fest, dass die digitale Medienwelt auch für den Kulturjournalismus grundlegende Veränderungen bereithält. Hier kann nur angedeutet werden, mit welcher Dramatik Nutzerverhalten, Themensetzungen, Textformen und Wissensbestände neu geprägt werden. Die digitale Welt bildet gerade ein neues Publikum heran, dessen Medienverhalten sich deutlich von den Rezeptionsgewohnheiten jener Ära unterscheiden wird, in der die Printmedien dominiert haben. Die digitale Welt wird nicht nur mediale Prozeduren und Routinen neu justieren, sie wird auch den Begriff von Kultur verändern. Das hat Auswirkungen auf Bezugsgrößen wie Bildung, Text und Leseverhalten. Auf all dies wird der Kulturjournalismus nicht nur reagieren müssen, er wird diesen Wandlungsprozess beobachten und initiativ mit zu gestalten haben. Die Feststellung, dass der Gegenstand der Untersuchung im Begriff ist, tief greifende Veränderungen durchzumachen, gehört in Einleitungen von Lehrbüchern und wissenschaftlichen Darstellungen zum Standardvokabular. Weit über solch routiniert ausgesprochene Diagnosen hinaus, trifft der Begriff Wandlungsprozess den Kulturjournalismus der hier vorliegenden Darstellung.

    Die in Schlaglichtern aufgerissene Diagnose zur Situation des Kulturjournalismus hat unterschiedliche Dimensionen des Themas angedeutet. Kulturjournalismus erscheint als ein Phänomen, das im Hinblick auf die Rollenverständnisse seiner Akteure, auf seine ökonomischen Grundlagen, sein Verhältnis zu Rezipienten, seine Einbettung in Medienumwelten und deren Wandlungsprozesse sowie im Hinblick auf seine professionellen Routinen und Produkte beschrieben werden kann. Das vorliegende Buch wird auf einige dieser Dimensionen ausführlicher eingehen und Kulturjournalismus damit nicht nur als Feld einer Berufspraxis in der Kultur, sondern vor allem als Medium einer Produktion von Kultur analysieren. Die Darstellung wird sich folglich nicht in rezeptologischen Handlungsanleitungen erschöpfen, sondern ihren Gegenstand auch kulturwissenschaftlich reflektieren.

    Die Diagnose einer Krise des Feuilletons belegt nur dessen Produktivität. Diese Diagnose erweist sich auch als eigentliche Konstante in der Geschichte von Feuilleton und Kulturjournalismus und dessen Praxis. In der vermeintlichen Fragwürdigkeit dieser medialen Sparte und ihrer Produkte liegt nicht nur der Keim der Dauerkrise, sondern auch der Antrieb zu besonderer Produktivität verborgen.

    1.2 Jenseits des Feuilletons: Definition des Kulturjournalismus

    Feuilleton oder Kulturjournalismus? In der Entscheidung für den einen oder anderen Begriff bildet sich eine Weggabelung der Medienanalyse ab. Wer sich auf den Begriff des „Feuilletons bezieht, betreibt im Wesentlichen eine historisch orientierte Forschung. Wer sich hingegen für „Kulturjournalismus entscheidet, gewinnt Offenheit dafür, die aktuelle Praxis dieser Mediensparte beschreiben und analysieren zu können (vgl. Porombka und Schütz 2008, S. 11). Die Praxis der Medienhäuser macht diese Unterscheidung zusätzlich plausibel: In Tageszeitungen tragen nur noch wenige Kulturseiten den Begriff „Feuilleton im Seitenkopf. In den meisten Fällen ist dieser Begriff durch den weiter gefassten Begriff „Kultur ersetzt, der in der gegenwärtigen Situation anschlussfähiger erscheint, weil er Konnotationen des Begriffs „Feuilleton ausblendet, die heute fragwürdig erscheinen. Das Feuilleton als Sparte einer als Reservat der schönen Dinge begriffenen Kultur, als vermeintlich „buntes und deshalb von vielen Journalisten wie Lesern als leichtgewichtig eingeschätzten Ressorts – dieser Ruf haftet dem Begriff an. Die Rede vom Feuilleton als „menschlich bewegender, erbaulicher Seite" (Reumann 2009, S. 163) spiegelt das Problem eines in die Jahre gekommenen medialen Konzeptes. Die Definition des Begriffs soll hier dennoch eingeführt werden – als Kontrastfolie für einen modernen Kulturjournalismus.

    Mit dem Begriff „Feuilleton" können drei Dimensionen der so bezeichneten medialen Sparte bezeichnet werden (vgl. Dovifat 1976, S. 73 f.):

    das Ressort einer Zeitung

    die Seite einer Zeitung

    die journalistische Form

    Als Ressort umfasst das Feuilleton die Redaktionsmitglieder einer Zeitung, die über Themen der Kultur berichten, die entsprechenden Inhalte aufbereiten, Termine besetzen und in der Regel neben der Kulturseite weitere Seiten produzieren. Zu diesen weiteren Seiten können Literatur- ebenso wie Film- oder Zeitgeist-Seiten gehören. In der Regel betreut das Ressort Feuilleton auch zumindest Teile des Wochenend-Journals der Zeitung. In vielen Fällen kommen Medienseiten und die Seite mit den Leserbriefen hinzu. Das Ressort ordnet die Mitglieder meist den klassischen Sparten der Kulturberichterstattung zu. Das Ressort Feuilleton verfügt in der Regel über einen Theater-, Musik-, Kunst- und Literaturkritiker – oder Kritikerin. Diese herkömmliche Aufgabenverteilung richtet sich nach praktischen Erfordernissen. Zeitungen mit eigenem Feuilleton haben in der Regel ihren Sitz in Städten mit eigenem Theater, Orchester, Museen und weiteren Kultureinrichtungen. Entsprechend fallen Aufgaben der Berichterstattung an, die zu erfüllen zu den Routinen der Medienarbeit gehört.

    Als Seite einer Zeitung bezeichnet das „Feuilleton einen Teil des „Mantels der Zeitung. Zum „Mantel gehören alle überregionalen Ressorts wie Politik, Vermischtes, Sport, Wirtschaft, Korrespondentenseite, Landespolitik in Absetzung von den Lokalseiten. Das „Feuilleton versammelt Texte zu Themen der Kultur und die dazu gehörenden journalistischen Formen. In der inzwischen in dieser Ausschließlichkeit als allzu traditionell geltenden Form bietet die Seite „Feuilleton Themen aus den klassischen Sparten der Kultur wie Theater, Musik, Kunst und Literatur und bereitet dieses thematische Spektrum vor allem mit den journalistischen Formen der Rezension und der Nachricht auf. Diese beiden genannten Merkmale bezeichnen ein journalistisches Konzept, das inzwischen als überholt gilt (vgl. Reus 1999). Die Kritik richtet sich auf die Konzentration der Themen auf die oft unter dem Begriff der „Hochkultur subsumierten Kultursparten. Fragwürdig erscheint auch die geringe Variationsbreite der journalistischen Formen.

    Als journalistische Form bezeichnet „Feuilleton einen kurzen Text, der Beobachtungen und Reflexionen zu Zeiterscheinungen in unterhaltsamer Form darbietet. Diese „kleine Form (Reumann 2009, S. 163, vgl. Bender 1965) im Spektrum der journalistischen Textsorten verbindet Aspekte sensibler Wahrnehmung, der Belehrung und Unterhaltung des Publikums (vgl. Haacke 1952, S. 305 f.). „Ein Feuilleton schreiben heißt, auf einer Glatze Locken drehen: Diese Kurzbeschreibung des legendären Kritikers Karl Kraus (zitiert nach: Stücheli-Herlach 2008; S. 658) weist auf den virtuosen Charakter des „Feuilletons und seiner Stilhaltung, deutet aber auch auf die Schwachstelle dieser Textsorte: Sie wird längst als beiläufig und unverbindlich kritisch betrachtet. Die Harmlosigkeit des „Feuilletons" als kleiner Zeitbetrachtung am Rande lässt diese Form heute als nicht mehr zeitgemäß erscheinen.

    Dieser Einwand trifft das ganze Konzept des Feuilletons. Ob dieses Ressort das Prestige einer Zeitung hebt (vgl. Reus 2012, S. 616) oder in bezeichnender Unklarheit zwischen „onkelhafter Harmlosigkeit und kultureller Großmacht (Greiner 1999, S. 259) oszilliert, darf inzwischen ruhig unentschieden bleiben. So wie der Begriff des „Feuilletons zunehmend einen historisch veralteten Stand der medialen Entwicklung bezeichnet, so erscheint er als ungeeignet, wenn es darum geht, den aktuellen Stand einer medialen Aufarbeitung kultureller Themen zu beschreiben oder gar deren Zukunft zu entwerfen. Die vorliegende Darstellung verabschiedet den Begriff „Feuilleton zugunsten des Begriffs „Kulturjournalismus. Damit verschieben sich im Hinblick auf die drei Dimensionen der Definition von „Feuilleton" die leitenden Parameter grundsätzlich.

    mit dem Kulturjournalismus wird die Grenze des herkömmlichen Ressorts „Feuilleton" aufgesprengt. Kulturjournalismus ist weiter Sache einer zuständigen Redaktion. Er kann jedoch auch in wechselnden Personengruppen betrieben werden. Entscheidend ist nicht die administrative Zuordnung, sondern die journalistische Haltung.

    Der Kulturjournalismus lässt sich auch nicht länger auf eine bestimmte Ressortseite eingrenzen. Die Seite „Kultur" bleibt als zentraler Schauplatz. Gleichzeitig breitet sich Kulturjournalismus in all jene redaktionellen Bereiche aus, in denen er seine Gegenstände findet. Dazu gehören Medienseiten ebenso wie Journal-, Zeitgeist- oder Serviceseiten. Kulturjournalismus kann aber auch an politischer oder thematisch anders zentrierter Berichterstattung partizipieren.

    Der Kulturjournalismus fordert zudem den Einsatz einer Fülle journalistischer Textsorten. Über die klassische Textsorte der Rezension hinaus kommen weitere Textformen ins Spiel. Dazu gehören Klassiker wie Interview und Porträt, das Feature oder der Bericht. Eine zunehmende Rolle spielen subjektive Formen wie Kommentar, Glosse und insbesondere der Essay. Diese Formen spielen aktuell eine

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