FBL Klein-Vogelbach Functional Kinetics praktisch angewandt: Brustkorb, Arme und Kopf untersuchen und behandeln
By Barbara Suppé and Matthias Bongartz
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Die bekannten Übungen und Behandlungstechniken der FBL/Functional Kinetics in der „klinischen" Anwendung am Patienten, jeweils unter den Gesichtspunkten der Untersuchung und der problemorientierte Behandlung. Eine solche detaillierte „Gebrauchsanleitung" für die praktische Arbeit mit dem FBL-Instrumentarium (u.a. Übungen, Behandlungstechniken) fehlt interessierten Therapeuten bisher!
Die Themenaufteilung der Bände berücksichtigt die Körperabschnitte, die als funktionelle Einheiten betrachtet und therapiert werden, und die therapierelevanten Bewegungsabläufe:
- Becken und Beine (Band 1)
- Brustkorb, Arme, Kopf (Band 2)
- Gehen, Sitzen, Bücken (Band 3)
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FBL Klein-Vogelbach Functional Kinetics praktisch angewandt - Barbara Suppé
Barbara Suppé und Matthias BongartzFBL Klein-Vogelbach Functional Kinetics praktisch angewandt2013Brustkorb, Arme und Kopf untersuchen und behandeln10.1007/978-3-642-20726-6_1© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2013
1. Der klinische Denkprozess in der FBL
Barbara Suppé¹ und Matthias Bongartz²
(1)
Untergasse 28, 67125 67125 Dannstadt-Schauernheim, Deutschland
(2)
Angelweg 45, 69121 Heidelberg, Deutschland
Barbara Suppé (Korrespondenzautor)
Email: Barbara.Suppe@med.uni-heidelberg.de
Matthias Bongartz
Email: bongartzm@aol.com
1.1 Ausgangspunkt: Aktivität
1.2 Bewegungsdiagnose – Bilden der Arbeitshypothese
1.3 Planung der Behandlung
1.4 Fallbeispiel: Patientin mit Schulterbeschwerden beim Arbeiten
1.4.1 Idealvorstellung dieser Aktivität
1.4.2 Aufgaben der beteiligten Körperabschnitte
1.4.3 Normales Bewegungsverhalten
1.4.4 Analyse des Bewegungsverhaltens der Patientin
1.4.5 Interpretation des Bewegungsverhaltens
1.4.6 Bewegungsdiagnose
1.4.7 Planung der Behandlung
Zusammenfassung
Susanne Klein-Vogelbach hat sich, als sie das Konzept „Funktionelle Bewegungslehre" entwickelt hat, nie an Krankheitsbildern orientiert. Bereits in den 60er Jahren hat Susanne Klein-Vogelbach den Menschen als Ganzes betrachtet und ihn in seiner Komplexität auch immer im Kontext mit seiner Umwelt gesehen. Die von ihr beschriebenen Anpassungen an Kondition und Konstitution orientierten sich immer an den Ressourcen des Patienten. Ihr Leitbild war das normale Bewegungsverhalten eines gesunden Menschen. Umso mehr stellt sich jetzt die Frage, warum eine klinische Reihe?
Susanne Klein-Vogelbach hat sich, als sie das Konzept „Funktionelle Bewegungslehre" entwickelt hat, nie an Krankheitsbildern orientiert. Bereits in den 60er Jahren hat Susanne Klein-Vogelbach den Menschen als Ganzes betrachtet und ihn in seiner Komplexität auch immer im Kontext mit seiner Umwelt gesehen. Die von ihr beschriebenen Anpassungen an Kondition und Konstitution orientierten sich immer an den Ressourcen des Patienten. Ihr Leitbild war das normale Bewegungsverhalten eines gesunden Menschen. Umso mehr stellt sich jetzt die Frage, warum eine klinische Reihe?
Der Grund liegt darin, Therapeuten ein besseres Verständnis für die Anwendung des FBL-Konzepts im klinischen Alltag zu ermöglichen. Dieses geht weit über den Einsatz von Behandlungstechniken oder therapeutischen Übungen mit und ohne Ball hinaus. Der klinische Denkprozess in der FBL wird anhand konkreter Problemstellungen erläutert. Dabei ist ein grundsätzliches Wissen über die Analyse von Haltung und Bewegung, wie im Grundlagenbuch beschrieben, hilfreich – aber nicht zwingende Voraussetzung, um dieses Buch zu verstehen.
Das bio-psycho-soziale Modell ist das gegenwärtig bedeutendste Modell, um den Menschen in Gesundheit und Krankheit erklärbar und verstehbar zu machen. Krankheit und Gesundheit sind im biopsychosozialen Modell nicht als ein Zustand definiert, sondern als ein dynamisches Geschehen. Gesundheit muss also täglich „geschaffen" werden. Dabei ist es weniger bedeutsam, auf welcher Ebene oder an welcher Struktur eine Störung entsteht, sondern welchen Schaden diese auf der jeweiligen Systemebene, aber auch in den unter- oder übergeordneten Systemen bewirken kann. Die von der Weltgesundheitsorganisation verabschiedete International Classification of Functioning, Disability and Health (ICF) stellt die Grundlage für die physiotherapeutische Untersuchung dar (◘ Abb. 1.1). Zwischen den Ebenen ,
A150627_1_De_1_Fig1_HTML.gifAbb. 1.1
ICF-Modell (International Classification of Functioning, Disability and Health)
den Schädigungen (Funktion und Struktur),
den damit verknüpften Fähigkeitsstörungen (Aktivität) und
den daraus resultierenden Beeinträchtigungen in der Lebensgestaltung (Partizipation),
besteht eine Wechselwirkung, die wiederum konkrete Auswirkungen auf das Selbstbild, Selbstvertrauen und Selbstkonzept des Patienten haben.
Während die strukturellen Probleme und Funktionsstörungen der Organe die nötigen Hintergrundinformationen zu den Störungen liefern, ist der Ausgangspunkt der Diagnostik in der FBL die Alltagskompetenz des Patienten. Die Aktivität ist demnach nicht nur Ziel der physiotherapeutischen Behandlung, sondern gleichzeitig auch Ursprung der physiotherapeutischen Diagnostik.
1.1 Ausgangspunkt: Aktivität
Bei der Untersuchung der Aktivitäten des täglichen Lebens (ATL, engl. ADL, „activities of daily living") muss der Therapeut beachten, dass die Voraussetzung für sicheres Bewegen eine dynamische Haltungskontrolle ist. Diese wichtige Funktion ermöglicht das freie Bewegen von Kopf und Armen. So ist z. B. bei fehlender dynamischer Stabilisation die Geschicklichkeit oder das zielgerichtete Bewegen der Hände beeinträchtigt. Die selektive Beweglichkeit des Kopfs auf dem Brustkorb ist ebenfalls nur bei gleichzeitiger dynamischer Stabilisation möglich.
Eine Aktivität wie z. B. Gehen, Wäsche aufhängen oder Klavier spielen setzt sich aus dem Zusammenspiel vieler einzelner Funktionen mehrerer (oder auch aller) Körperabschnitte zusammen.
Die eingeschränkte Aktivität leitet den Physiotherapeuten sowohl in der Untersuchung wie auch in der Behandlung. Aufgabe ist es, Veränderungen im Bewegungsverhalten des Patienten zu bewirken, um ihn zunehmend eigenständig und unabhängig von Therapie zu machen (Suppé 2007). Das setzt voraus, dass das Bewegungsverhalten bei jeder beliebigen Aktivität analysiert werden kann. Dazu benötigt der Therapeut ein Referenzbild der jeweiligen Aktivität und Kenntnisse über die Funktion der einzelnen Körperabschnitte (◘ Tab. 1.1).
Tab. 1.1
Die 5 Körperabschnitte und deren Aufgaben im Bewegungsverhalten
Der klinische Denkprozess (◘ Abb. 1.2) der FBL Functional Kinetics hat also als Ausgangspunkt die Idealvorstellung einer Aktivität . Der Therapeut muss in der Lage sein, von jeder beliebigen Aktivität, die der Mensch machen kann, eine Vorstellung zu entwickeln. Gleich, ob es um das Schieben eines Einkaufswagens, das Sportklettern, ein Instrument spielen, Tennisspielen, Wäsche aufhängen oder etwas vollkommen anderes geht – der Therapeut nutzt theoretisches Wissen über die Aufgaben der Körperabschnitte im Bewegungsverhalten.
A150627_1_De_1_Fig2_HTML.gifAbb. 1.2
Der klinische Denkprozess der FBL Functional Kinetics
Zur Analyse nutzt der Therapeut wiederkehrende Elemente im Bewegungsverhalten. Dazu gehören folgende Beobachtungskriterien :
die weiterlaufenden Bewegungen (WB) und deren Widerlagerungen,
die Gesetzmäßigkeiten der Gleichgewichtsreaktionen (GGR), die sich aus dem Umgang des Körpers mit der Schwerkraft ergeben.
Um nun das individuelle Bewegungsverhalten bei einer bestimmten Aktivität in Bezug auf motorische Kontrolle, Belastung von Strukturen und Muskelarbeit zu interpretieren, benutzt der Therapeut als Referenz die hypothetische Norm von Statik, Konstitution, Beweglichkeit und Muskelaktivitäten. Die individuelle Aktivität des Patienten ist abhängig von personen- und umweltbezogenen Kontextfaktoren.
1.2 Bewegungsdiagnose – Bilden der Arbeitshypothese
Mittels der Untersuchung gewinnt der Therapeut Erkenntnisse über die Fähigkeiten des Patienten. Aus den Zusammenhängen zwischen diesen Fähigkeiten, der Idealvorstellung einer Aktivität, den Untersuchungsergebnissen und den Beschwerden des Patienten erstellt er seine Arbeitshypothese . Diese beschreibt Störungen und Fähigkeiten in Bezug auf die individuellen Aktivitäten des Patienten und kann als Bewegungsdiagnose beschrieben werden. Bei jedem Krankheitsprozess müssen jedoch auch psychosoziale Faktoren als potenzielle Einflussgrößen betrachtet werden. Der Therapeut muss an bestimmten Punkten der Ätiopathogenese oder des Heilungsprozesses nach dem Einfluss der psychosozialen Faktoren fragen (sind sie evtl. vernachlässigbar oder aber prozesssteuernd?). Aus diesem Gesamtbild ergibt sich schließlich das Therapieziel.
1.3 Planung der Behandlung
Aufgrund der gefundenen Defizite und Ressourcen planen Therapeut und Patient gemeinsam, welche Anforderungen in Bezug auf sein Bewegungsverhalten möglich sind, und welche Relevanz diese für den Alltag des Patienten haben. Dieses kollaborative Vorgehen zeugt von einer Haltung gegenseitigen Respekts und von Akzeptanz. Der Patient ist in den Therapieprozess integriert und seine Selbstkompetenz wird gefördert.
Anhand des folgenden Fallbeispiels wird das klinische Denken in der FBL veranschaulicht. Die Autoren sind sich bewusst, dass viele Einflussfaktoren unberücksichtigt bleiben (keine ausführliche Schmerzanamnese etc.). In den weiteren Kapiteln und Fallbeispielen wird jedoch versucht, diesem Anspruch gerecht zu werden.
1.4 Fallbeispiel: Patientin mit Schulterbeschwerden beim Arbeiten
Die Patientin ist 43 Jahre alt und kommt mit der Diagnose „Schultersteife links nach Supraspinatussehnennaht" vor 6 Monaten. Sie ist Fleischereifachverkäuferin, arbeitet seit vielen Jahren im gleichen Geschäft und wird von Kunden und Kolleginnen sehr geschätzt. Die Arbeit ist anstrengend, die Patientin muss gleichermaßen Gewichte weit vor dem Körper als auch über Kopf heben und sich auf dem Arm abstützen. Die Patientin ist Rechtshänderin.
1.4.1 Idealvorstellung dieser Aktivität
Die bei dieser Arbeit geforderte und bei der Patientin gestörte Aktivität betrifft vor allem den Körperabschnitt Arme. Hauptaufgabe dieses Körperabschnitts ist der feinmotorische Gebrauch der Hände – die Kontrolle der zahlreichen Bewegungsmöglichkeiten beim zielgerichteten Bewegen und Stützen.
1.4.2 Aufgaben der beteiligten Körperabschnitte
KA Arme
Zu den Aufgaben des Körperabschnitts Arme gehört die Spielfunktion. Für eine optimale Funktion müssen die Bewegungstoleranzen aller Gelenke des Körperabschnitts Arme rechtzeitig weiterlaufend genutzt werden. Beim Arbeiten vor dem Körper muss der Schultergürtel kontrolliert bewegt werden können. Voraussetzung dafür ist die dynamische Stabilisation des Körperabschnitts Brustkorb.
Das Schultergelenk benötigt zum einen eine große Beweglichkeit in alle Richtungen, um den Anforderungen beim Arbeiten zu genügen; zum anderen ist eine gute fallverhindernde Stabilität bedeutsam, da der Arm ständig in unterschiedlichen Einstellungen gehalten werden muss. Ebenso wichtig ist es, den Arm in Stützfunktion zu stabilisieren.
KA Brustkorb
Die Aufgabe des Körperabschnitts Brustkorb bei Armbewegungen ist die dynamische Stabilisation. Das heißt, der Brustkorb muss trotz einwirkender beschleunigender Kräfte, trotz unterschiedlicher Neigung im Raum oder trotz Bewegungen angrenzender Körperabschnitte seine optimale Statik beibehalten können.
1.4.3 Normales Bewegungsverhalten
Weiterlaufende Bewegungen
Beim Arbeiten über Kopf und vor dem Körper ist das Humeroskapulargelenk überwiegend flexorisch, abduktorisch und außenrotatorisch eingestellt. Daher kommt es zu folgenden weiterlaufenden Bewegungen:
Die Bewegungen des Arms führen zu einer ständigen Anpassung der radialen und ulnaren Bewegungen im Handgelenk.
Das Ellenbogengelenk wird flexorisch und extensorisch sowie pro- und supinatorisch bewegt.
Im Schultergelenk werden alle Bewegungen in unterschiedlichen Kombinationen genutzt.
Der Schultergürtel bewegt sich in Dorsalrotation, Elevation und Protraktion.
In der Wirbelsäule kommt es zu Extension, Lateralflexion und Rotation.
Die Stützfunktion ist typisch, wenn der andere Arm weit vor