Discover millions of ebooks, audiobooks, and so much more with a free trial

Only $11.99/month after trial. Cancel anytime.

Supervision und Coaching in der VUCA-Welt
Supervision und Coaching in der VUCA-Welt
Supervision und Coaching in der VUCA-Welt
Ebook703 pages6 hours

Supervision und Coaching in der VUCA-Welt

Rating: 0 out of 5 stars

()

Read preview

About this ebook

Experten aus Wissenschaft und Praxis reflektieren im vorliegenden Buch aus unterschiedlichster Perspektive Herausforderungen für Supervision und Coaching in der VUCA-Welt. Der Aspekt des forschenden Lernens und Reflektierens theoriegeleiteter und handlungsrelevanter Konzepte und Methoden dient dabei auch der Förderung einer anwendungsorientierten Forschung und Lehre im akademischen und beruflichen lebenslangen Lernen. Wissenschaft und Praxis wirken gemeinsam zur Profilierung und Professionalisierung von Coaching und Supervision. Die zielorientierte Auseinandersetzung mit der VUCA-Welt im Beratungswesen entfaltet gerade vor dem Hintergrund einer forschungsbegleitenden Praxis und eines humanistischen, ethiksensiblen Menschenbildes eine besondere Note, gibt Impulse für Forschung, Lehre und Praxis. Der Band entstand aus einem gemeinsamen mehrjährigen Austausch und gemeinsamen Bildungskooperations- und Forschungsinteressen zwischen der KU und dem Europäischen Coachingverband EASC. Die Beiträge wurden in einem Kongress mit Wissenschaftlern, Ausbildern und praktisch tätigen Coaches/ Supervisoren diskutiert und dienen unter anderem zur Standardisierung einer Supervisions- und Coachingausbildung sowie als Basis für die Entwicklung eines kooperativen Masterstudiengangs und Zertifikatskurses.
LanguageDeutsch
PublisherSpringer
Release dateMay 25, 2021
ISBN9783658326920
Supervision und Coaching in der VUCA-Welt

Related to Supervision und Coaching in der VUCA-Welt

Related ebooks

Psychology For You

View More

Related articles

Reviews for Supervision und Coaching in der VUCA-Welt

Rating: 0 out of 5 stars
0 ratings

0 ratings0 reviews

What did you think?

Tap to rate

Review must be at least 10 words

    Book preview

    Supervision und Coaching in der VUCA-Welt - Janusz Surzykiewicz

    Hrsg.

    Janusz Surzykiewicz, Bernd Birgmeier, Mathias Hofmann und Susanne Rieger

    Supervision und Coaching in der VUCA-Welt

    1. Aufl. 2021

    ../images/502219_1_De_BookFrontmatter_Figa_HTML.png

    Logo of the publisher

    Hrsg.

    Janusz Surzykiewicz

    KU Eichstätt-Ingolstadt, Eichstätt, Deutschland

    Bernd Birgmeier

    KU Eichstätt-Ingolstadt, Eichstätt, Deutschland

    Mathias Hofmann

    SHS CONSULT GmbH, Bielefeld, Deutschland

    Susanne Rieger

    Indiálogo, El Prat de Llobregat, Spanien

    ISBN 978-3-658-32691-3e-ISBN 978-3-658-32692-0

    https://doi.org/10.1007/978-3-658-32692-0

    Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://​dnb.​d-nb.​de abrufbar.

    © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2021

    Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung der Verlage. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

    Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten.

    Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral.

    Planung/Lektorat: Eva Brechtel-Wahl

    Springer ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature.

    Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany

    Vorwort

    Das Akronym „VUCA" – einschließlich seiner einzelnen Bedeutungsgehalte – hat in den letzten Jahren nicht nur in den realen Lebens- und Arbeitswelten für Furore gesorgt, sondern es hat erfreulicherweise auch Einzug gehalten in die Forschungs-, Publikations- und Reflexionsorgane verschiedenster wissenschaftlicher Disziplinen und Handlungsfelder. Dass sich ein solches Phänomen, das sich streng genommen gleich aus vier Gegenstandsbereichen – Volatility, Uncertainty, Complexity, Ambiguity – speist, freilich nicht nur aus der Perspektive einer Wissenschaft hinreichend erforschen und praxeologisch erkunden lässt, hat uns dazu inspiriert, mithilfe interdisziplinärer und multiprofessioneller Zugänge auf die „VUCA-Welt, die besondere Rolle von Supervision und Coaching zu erfragen. Gewissermaßen ließe sich unser erkenntnisleitendes Interesse zur Erstellung vorliegender Publikation auch damit umreißen, die durch „VUCA beschriebenen Charakteristiken selbst zur beratungswissenschaftlichen Arbeits- und Forschungsformel zu erheben, denn die bisherigen Rezeptionen des Akronyms „VUCA in der Theorie und Praxis zeigen bisher ebenso „schwankende (Volatility), „unsichere" (Uncertainty), „komplexe" (Complexity) und „mehrdeutige" (Ambiguity) Bedeutungsvarianten.

    Im Hinblick auf die Tatsache also, dass wir es beim Thema „VUCA" mit einer in der Regel sehr komplexen Vielfalt unterschiedlicher (Be-)Deutungen zu tun haben, greift der Bezug auf einen wissenschaftlichen Erklärungsansatz und eine spezifische Methode aus der beratungswissenschaftlichen Praxis häufig zu kurz; daher ist ein umfassendes Erklärungs-, Handlungs-, Erfahrungs- und Reflexionswissen zu diesem Phänomen auch nur über eine Vielzahl von Zugängen aus unterschiedlichen Wissensgebieten und aus verschiedenen Professionen gewährleistet. Der internationale Kongress „Supervision and Coaching in a VUCA-World", an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt, bot die Möglichkeit, ausgewiesene Expertinnen und Experten aus der nationalen und internationalen Supervisions- und Coachingszene zu befragen, was für sie „VUCA in ihren jeweiligen disziplinären Denk- und professionellen Handlungslogiken konkret bedeutet, welche Herausforderungen sie durch „VUCA-Welten für ihre „Kunst" des Beratens sehen, welche adäquaten und kreativen Lösungen sie vorschlagen, um den stetig wachsenden Komplexitäten, Mehrdeutigkeiten sowie den damit verbundenen Unbeständigkeiten und Unsicherheiten sowohl in Wirtschaft und Gesellschaft, als auch in den Lebens- und Arbeitswelten wirksam zu entgegnen, und wie sich Supervision und Coaching hinsichtlich dieses Phänomens praktisch, theoretisch, methodisch, konzeptionell und forschend anzunähern intendieren.

    Jegliche Formen von Beratung für Institutionen, Familien oder Einzelpersonen knüpfen an Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz nach Orientierung und Zufriedenheit – auch und vor allem in Zeiten von „Corona" – an. Menschen sind lernfähig und gleichzeitig auch lernbedürftig. Gerade dieser Aspekt des Lernens in und durch Beratung ist daher als ein sehr hohes Gut zu bewerten, weil es eine Teilhabe am Leben und eine Neuorientierung in krisenhaften Lebenssituationen befördert. Insofern war für uns aus internationaler Perspektive insbesondere interessant zu erfahren, welche wissenschaftlich begründeten und fachlich präzise ausgerichteten Modelle von Coaching und Supervision den aktuellen Beratungs- und Unterstützungsbedarf von zu Beratenden wirksam und ethisch verantwortbar bestmöglichst zu stillen imstande sind.

    Da ein solch heterogener Forschungsgegenstand wie „VUCA und die vielen Fragen, die an die „VUCA-Welt zu stellen sind, dementsprechend eben nur durch ein ebenso vielfältiges und differenziertes Betrachten aus unterschiedlichen Perspektiven erschlossen werden kann, war es uns wichtig, für den nun vorliegenden Sammelband die einzelnen Betrachtungs-, Argumentations-, Zugangs- und Herangehensweisen aller Autorinnen und Autoren zur Relevanz von „VUCA" einzuholen und zu sammeln, um hierüber Konturen und Strukturen einer oder mehrerer wissenschaftlicher Forschungstendenzen für Supervision und Coaching zu identifizieren.

    Jenseits reiner Theorie oder reiner Praxis bemüht sich dieser Band, insbesondere ein Wissen zu vermitteln, das sich vor allem durch seine Relevanz für die Beratung in der Lebens- und Arbeitswelt von Ratsuchenden auszeichnet. Ein umfassendes Wissen und umfassende Kompetenzen zum Coaching und zur Supervision erfordern dieses organische und wechselseitige Zusammenspiel zwischen wissenschaftlicher Theorie und praktischem Handeln. Die Beiträge versuchen, diesen vermittelnden Ansprüchen und Bedarfen gerecht zu werden, in dem sie nicht nur auf konstruktivistische und falsifizierbare Wissensbestände fokussieren, sondern auch einer praktischen Gelehrtheit einen zentralen Stellenwert einräumen, die von den Beratenden angereichert aus ihrer Kreativität, ihren Erfahrungen und ihrer Faszination, und nicht zuletzt aus ihrem großen Engagement für ihre beraterische Arbeit wuchs und nun – mit diesem Buch – zur kritischen Reflexion bzw. Diskussion und vor allem auch zur Erprobung in der Praxis zur Verfügung gestellt werden soll. Somit wird ein Bildungsgut geschaffen, das auch eine Innovation an sich darstellt, in dem unsere Bildungs- bzw. Weiterbildungsinhalte nicht nur, wie allgemein üblich, aus der wissenschaftlichen Hermeneutik stammen, sondern auch das praktische Wissen unserer Beraterinnen und Berater widerspiegeln.

    Dementsprechend bilden die in diesem Band enthaltenen Beiträge einen äußerst vielfältigen Überblick über Ideen, Analysen, Zugänge, Studien etc., mit denen sich die Supervision und das Coaching durchaus profilieren, wenn nicht sogar auch vertieft „professionalisieren" können.

    Die Fülle, Vielfalt und die Qualität der konkreten Ideen, Konzepte, Ansätze und Konturierungen der einzelnen Expertinnen und Experten zu den vielen Fragwürdigkeiten in der „VUCA-Welt" ist – betrachtet man nun die Ergebnisse der Diskussion – überwältigend und belegt eindrucksvoll, wie wichtig und notwendig eine erweiterte, interdisziplinäre Forschung zur Schaffung eines Grundlagenwissens und eines angewandten Wissens für VUCA-inspirierte Beratungsformate (wie z. B. Supervision und Coaching) sein wird.

    Drei große Hauptsektoren bzw. -kategorien dienen der Systematisierung der einzelnen Beiträge, die – erstens – den Reflexionen und Überlegungen zu den unterschiedlichen „Facetten zur ‚Kunst‘ des Beratens dienen, zweitens Fragen nach der Professionalisierung von Supervision und Coaching nachgehen sowie organisationale und subjektorientierte Zugänge zur „VUCA-Welt, und schließlich – drittens – interdisziplinäre Perspektiven und verschiedene beratungsprofessionelle Anwendungsbereiche näher unter die Lupe nehmen.

    Wir verzichten hier – zum Zwecke eines Überblicks – ganz bewusst auf eine zusammenfassende Darstellung der einzelnen Beiträge, denn jeder Diskussionsbeitrag spricht für sich allein und verdient es nicht, auf ein paar Zeilen „heruntergekürzt" zu werden. Das würde dem Thema (oder: den Themen?) dieser Publikation nicht gerecht. Vielmehr wollen wir allen, in diesem Band versammelten AutorInnen sowie der EASC und den Kolleginnen und Kollegen der Kardinal Stefan Wyszyński Universität Warschau ganz herzlich für die hervorragende Zusammenarbeit und ihre Mitwirkung danken und wir hoffen, dass durch unsere gemeinsame Arbeit eine konstruktive und fruchtbare Diskussion in die Wege geleitet wird, die der interdisziplinären und multiprofessionellen Weiterentwicklung von Supervision und Coaching dienlich ist.

    Janusz Surzykiewicz

    Bernd Birgmeier

    Teresa Loichen

    Vorwort – Resilienz in Zeiten von VUCA

    Wir leben in einer sich schnell ändernden komplexen Welt, die sich durch Unsicherheit und Mehrdeutigkeit auszeichnet. 2020 zeigt uns mit dem Coronavirus sehr deutlich die Anfälligkeit unseres Wirtschaftssystems für unerwartete Ereignisse: Nie zuvor waren Firmen so offen dafür, über Telearbeit von Zuhause nachzudenken, virtuelle Konferenzen werden zur Normalität im Firmenalltag. Noch vor Kurzem haben wir gedacht, dass die weltweite Digitalisierung unser Leben und Arbeiten verändern wird, schleichend. Jetzt hat ein Virus die Entwicklung beschleunigt, der Globalisierung ein „Schach" angekündigt. Noch vor ein paar Monaten waren wir davon überzeugt, dass es der Klimawandel ist, der unseren Lebensstil und unseren Alltag verändern wird. Vielleicht werden wir jetzt durch das Coronavirus sogar in der Lage sein unsere Pariser Klimaziele in Europa einzuhalten.

    Ein anderes Beispiel bestimmte die politische Diskussion seit 2018 mit nachhaltigen Veränderungen unserer politischen Kultur: Gestern noch konnte sich kaum jemand vorstellen, dass Europa, nach der gemeinsamen Geschichte mit Kriegen und Veränderungen, irgendwann einmal nicht mehr existieren könnte. Heute ist es nicht nur die Flüchtlingspolitik, die die europäischen Staaten entzweit. Die Flüchtlinge, die vor unseren Grenzen stehen und unmenschlich behandelt werden, zwingen uns zu handeln. Es gibt viele Bestrebungen die Grenzen dicht zu machen, gleichzeitig sind wir auf der Suche nach Fachkräften, vor allem im Pflegebereich, um unser immer fragiler werdendes soziales Netzwerk aufrechterhalten zu können.

    VUCA – diese Mischung aus Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Mehrdeutigkeit – hat in allen gesellschaftlichen Bereichen Einzug gehalten. Die Unsicherheit und ständige Veränderung prägt die Wirtschaft und unser Miteinander. Die zentrale Frage für unsere Berufsgruppe der Coaches und Supervisor*innen und für die Wissenschaftler*innern, die sich mit diesem Berufsfeld beschäftigen, lautet: Wie schaffen wir es in Zeiten von VUCA, an die Resilienz der Menschen, an das Miteinander und die Gemeinschaft zu appellieren und zu zeigen, dass wir nur so in der Lage sind der ständigen Veränderung zu begegnen?

    Unsere heutigen gesellschaftspolitischen Themen lassen sich nur noch systemisch und interdisziplinär betrachten. Wir brauchen unterschiedliche Sichtweisen, um mögliche Antworten, Ideen und neue Wege zu finden, um der Komplexität und Schnelllebigkeit, der Unsicherheit und dem Hunger nach Strukturen der Menschen und Gesellschaften zu begegnen. Die Basis dafür sind gleichberechtigte Beziehungen, professionelle Begleitung, die uns vielleicht ein Stück der Selbstsicherheit und Resilienz zurückgeben können, die wir in der immer schnelleren VUCA Welt verloren haben.

    Mit diesen Fragestellungen hat sich im September 2018 sehr intensiv der Kongress „Coaching und Supervision in der VUCA World" in Eichstätt beschäftigt, organisiert von der European Association for Supervision and Coaching (EASC) in Kooperation mit der Katholischen Universität in Eichstätt und der Warschauer Cardinal Stefan Wyszyński Universität.

    Dieses vorliegende Buch basiert auf Beiträgen dieses Kongresses. Angereichert durch verschiedene Beiträge aus dem wissenschaftlichen und praxisnahen Coaching und Supervisionsbereich will es zeigen, dass wir die Kombination von Praxis und Theorie und die unterschiedlichen Sichtweisen brauchen, um uns den Themen der Gegenwart zu stellen.

    Wir bedanken uns für die hervorragende Kooperation während des Kongresses und wir freuen uns, dass es darüber hinaus möglich war, eine langfristige Kooperation zwischen EASC, der Universitäten in Eichstätt und Warschau zu etablieren und die weitere Forschung mit der Alltagspraxis der Coaches und Supervisor*innen zu verbinden.

    Das vorliegende Buch nähert sich in drei Kapiteln der VUCA Welt aus Sicht der Coaches und Supervisor*innen, indem es sowohl die Professionalisierung, die Organisation und das Subjekt in den Mittelpunkt rückt und interdisziplinäre Perspektiven und Anwendungsbereiche aufzeigt. Die Autor*innen sind Expert*innen auf ihrem Gebiet und kombinieren interessante Aspekte aus den Blickwinkeln der Wissenschaft und der praxisnahen Methoden. Wir danken allen für ihre wertvollen Beiträge und freuen uns auf die weitere Auseinandersetzung mit den Erkenntnissen und Ergebnissen in unserer Tätigkeit und der Reflexion dazu.

    1. Vorsitzende der EASC

    Susanne Rieger

    Inhaltsverzeichnis

    Facetten zur ‚Kunst‘ des Beratens

    Supervision und Coaching auf relationaler Basis – Intersubjektivit​ät geht der Subjektivität voraus 3

    Matthias Sell

    Die Bedeutung von Mentoring in der VUCA-Welt 23

    Joachim Klein

    FEEDBACK-FORSCHUNG.​ Eine Studie über Einstellungsverä​nderungen bei Mitarbeitern einer Bank durch Testkäufe mit Coaching-Charakter 37

    Siegfried Lang

    Ambulantes Assessment und Coaching mit dem Workcoach 59

    Elisabeth Riedl, Regina Schmid und Joachim Thomas

    WanderCoaching als Integrale Persönlichkeitse​ntwicklung 71

    Julia Bayer und Günter Westphal

    Professionalisierung – Organisation – Subjekt

    Das Scharlataneriepr​oblem – Zwischen Professionsbildu​ng und Professionalisie​rung 95

    Stefan Kühl

    Professionelle Beratung und individuelle Autonomie:​ zum Problem der Unabhängigkeit im Coaching 127

    Tilman Thaler

    Die individuelle Persönlichkeit als sicherer Ausgangspunkt in der VUKA-Welt 135

    Renate Wunstorf

    Identität als Prozess.​ Veränderungen in VUCA World 155

    Mathias Hofmann

    Coaching bei minimaler Führung und maximaler Beteiligung 173

    Heidrun Strikker und Frank Strikker

    Interdisziplinäre Perspektiven und Anwendungsbereiche

    „VUCA"?​ – ein sozialpädagogisc​h inspirierter Kommentar 191

    Bernd Birgmeier

    Psychospirituell​e Ressourcen in einer VUCA-Welt:​ Implikationen für Beratung und Coaching 205

    Janusz Surzykiewicz

    Supervision im Arbeitsfeld Fluchtmigration – Entwicklung und Überprüfung eines eigenen Modells 265

    Simon W. Kolbe und Christel Baatz-Kolbe

    Supervision in a School Environment – A work Method Increasing the Efficiency and Knowledge of Teachers Dealing with Pupils Suffering from Chronic Diseases.​ Recommendations with Regards to Education-Related Practices.​ 281

    Martyna Czarnecka

    Sozial- und arbeitsepidemiol​ogische Analyse von VUCA-affinen Symptomen im Kontext von betrieblichem Gesundheitsmanag​ement 293

    Manfred Cassens und Janusz Surzykiewicz

    Niederschwellige​ Suizidprävention​ im Kontext einer VUCA-bedingten Arbeitswelt 315

    Teresa Loichen

    Facetten zur ‚Kunst‘ des Beratens

    © Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2021

    J. Surzykiewicz et al. (Hrsg.)Supervision und Coaching in der VUCA-Welthttps://doi.org/10.1007/978-3-658-32692-0_1

    Supervision und Coaching auf relationaler Basis – Intersubjektivität geht der Subjektivität voraus

    Matthias Sell¹  

    (1)

    MMT, Hannover, Deutschland

    Matthias Sell

    Email: sell@mmt-sell.de

    1 Begriff Relation /Relationales Geschehen

    2 Kontext des supervisorischen Geschehens – VUCA – Welt

    3 Kooperation

    4 Relationales Feld

    5 Begriff der Mikro-Welt

    6 Die frühen Introjekte

    7 Der Bezug zur Makro-Welt

    8 Die Makro-Welt und die Beziehungsformen

    9 Abschluss

    Literatur

    Zusammenfassung

    In this text it will be described how we can understand the talk between an supervisor and a supervisee as from the standpoint of a relational field. The difference between psychic field and relational field will be explained. The influences of the outer world (VUCA) will be explained also. We will understand at least that the earlier influences during the childhood can appear in the here and know as special patterns in the supervision processes and the supervisor has to deal with it. We will understand the earlier influences as micro-world and then this after that is called macro-world. The inner dynamics are based on the communication of the process inbetween micro world and macro world. To understand the behaviour of a supervisee it is necessary to understand inner personal dynamics.

    Matthias Sell M.A,

    ../images/502219_1_De_1_Chapter/502219_1_De_1_Figa_HTML.jpg

    Psychologischer Psychotherapeut, Ausbilder für tiefenpsychologische und psychodynamische Psychotherapie, Psychoanalytiker, Transaktionsanalytiker mit Lehrbefugnis in vier Anwendungsbereichen (P,C,E,O), Cathexis-Lehrtherapeut, Kunsttherapeut, Gruppenpsychotherapeut und Gruppenanalytiker, Ausbilder für Organisationsentwicklung, Master-Coach, Lehrsupervisor, Lehranalytiker für Relationsanalyse, Leiter des staatlich anerkannten Ausbildungsinstitut INITA gGmbH Hannover, ehemaliger Vorsitzender der DGTA, Ehrenvorsitzender der EASC, ausgezeichnet mit der Gold Medaille der EATA, Mitglied der DGSv, EASC, DGTA, ITAA, DFT, BDP, VPP, IGRP, Geschäftsführer von MMT, Hannover

    1 Begriff Relation /Relationales Geschehen

    Da der Begriff Beziehung so vielfältig benutzt wird, ist es sinnvoll von einem relationalen Geschehen zu sprechen, auch um die umfassende Komplexität zu würdigen und um die Klarheit und Prägnanz eines Beziehungs-Geschehens in den Vordergrund zu stellen. Damit wird der Beziehungsbegriff als Relation dingfest gemacht und ist nicht mehr als eine allgemeine [oberflächliche] phänomenologische Beschreibung einer Wahrnehmung von Menschen in ihren Beziehungen zu sehen, sondern er ist ein wesentlicher, konstitutiver Begriff für ein Verständnis des Menschen selbst geworden, eben als relationales Geschehen, als Intersubjektivität. Diese Intersubjektivität ist die Basis für alles Geschehen zwischen Menschen. Aus dieser Intersubjektivität heraus entwickelt der Mensch eine vielfältige Ressource sich in Beziehungen zu verhalten, zu empfinden, zu verstehen, sich zu steuern und sich zu reflektieren. Diese Vielfältigkeit finden wir auch in der supervisorischen Begegnung und im Coaching.

    Um dieses „relationale Geschehen" in der Supervision und im Coaching soll es hier gehen. Um diese Vielfalt des relationalen Geschehens zu erfassen und zu verstehen, werden die neueren Forschungen aus der Kommunikationswissenschaft, der Gehirnforschung, der Psychoanalyse und der Neuroästhetik zusammengeführt und in einen produktiven Zusammenhang zu Transaktionen und Interaktionen gebracht. Dieses synthetische Denken wird hilfreich werden für das zwischenmenschliche Geschehen in der Supervision und im Coaching. Im Zentrum unserer Vorgehensweise werden verschiedene Ebenen der Betrachtung und des Forschens sein, um in einer sinnvollen Art und Weise das supervisorische Geschehen und das Coaching differenziert zu betrachten. Wir unterscheiden dabei drei Ebenen, erstens, die phänomenologische Ebene der Betrachtung, zweitens die Verstehens-Ebene und drittens die psychodynamische Ebene. In diesem Prozessgeschehen zwischen Supervisand und Supervisor*in, zwischen Klient und Coach, werden die Arbeits- oder Problemsituationen durch den Supervisand oder den Coachee geschildert und entlang der erfahrenen relationalen Welt unmittelbar in der Supervision und im Coaching und entlang der relationalen Erfahrung seitens des Supervisanden oder Coachees im berichteten Material und den Bildern, die stimuliert werden im Supervisor*in oder Coach. Entsprechend der drei Perspektiven: phänomenologische Ebene, Verstehens- Ebene, psychodynamische Ebene wird das relationale Geschehen gewürdigt und angemessen weiter erarbeitet, um es verstehen zu können. Dies ist dann die Basis, um angemessen und produktiv in der Supervisions-(Coaching)-Beziehung (Relation) intervenieren zu können. Dadurch kann die Supervision und das Coaching effektiver gestaltet werden und erhält eine bessere Qualität.

    2 Kontext des supervisorischen Geschehens – VUCA – Welt

    Zunächst soll der Kontext der intersubjektiven Erfahrung in der Supervision (Coaching) dargestellt werden. Da Supervision als ein Beratungskonzept, in dem verschiedene Beratungs- und Reflexionsmethoden eine Verbesserung des beruflichen Handelns ermöglichen sollen, definiert ist, soll der berufliche Kontext erläutert werden. Supervision (Coaching) ist ein professionelles Beratungsangebot für Berufe, in denen Menschen mit Menschen oder in Bezug auf Menschen arbeiten. Dies bedeutet für Supervision und Coaching, dass das relationale Geschehen stets in seinem beruflichen Kontext verstanden und gedeutet werden muss und soll. Als Supervisoren*innen bzw. als Coaches sind wir gehalten mit einer Erfassungskompetenz die gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, ökonomischen und politischen Verhältnisse zu verstehen und sie als Kontext des supervisorischen Geschehens zu berücksichtigen.

    Die aktuelle Welt können wir mit einigen Begriffen beschreiben, die die Veränderungsprozesse innerhalb der gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, ökonomischen und politischen Verhältnissen charakterisieren: VUCA: Volatility [or Mobility] = Beweglichkeit (herstellen); Uncertainty = Unsicherheit (einschätzen); Complexity = Komplexität (ordnen), Ambiguity = Widersprüchlichkeit (verstehen). Die so beschriebene Arbeitswelt erfordert neue Eigenschaften, statt Disziplin und Ordnung, Beweglichkeit sich auf unerwartetes Neues einlassen zu können und damit kompetent umgehen zu lernen, statt auf Anordnung und Anweisung zu arbeiten, selbstgesteuert und selbstbewusst Unsicherheiten zu meistern und dabei eine größere Komplexität als früher bewältigen zu können. Dies schließt auch ein Grenzen setzen zu können und sich selbst vor Überlastung schützen zu lernen, denn selbst die Führungskräfte sind diesen Entwicklungsdynamiken ausgesetzt und überschauen oft nicht mehr das Ganze (die Komplexität) und sind so angewiesen auf Mitarbeiter*innen, die sich selbst und bewusst steuern und somit auch Rückmeldung geben, wenn Vorgänge länger dauern oder mit größerem Aufwand verbunden sind. Es gilt eine Gesundheitsvorsorge selbst zu betreiben und die Angebote, die Firmen oft anbieten, selbst abzurufen. Dabei ist ein Bewusstsein notwendig, das eher signalisiert „Ich sorge gut für mich als „Es soll keiner merken, dass ich etwas nicht schaffe. Diese Vorgänge verändern Arbeitsabläufe und Prozesse in den Firmen und Organisationen, denn sie sind auf digitaler Basis neu organisiert; so werden z. B. Arbeitsaufträge in den meisten Versicherungen nicht mehr über die Führungskräfte verteilt, sondern ein computergestütztes System verteilt Arbeitsaufträge von einer zentralen Stelle aus in das ganze Bundesgebiet an jeden Arbeitsplatz hinein und über eine Datenbasis wird der Arbeitsfluss und das Arbeitsvolumen registriert und kann so gesteuert werden.

    3 Kooperation

    Zukünftig werden neue Formen der Kooperation zwischen den Menschen das relationale Geschehen beeinflussen. Kooperation ist im betrieblichen Zusammenhang eines der wichtigsten Elemente der Zusammenarbeit. Zu den Basis-Elementen der Kooperation zählen:

    1.

    Bewegungen erkennen

    2.

    Intentionalität der Akteure erfassen

    3.

    Orientierung im Raum bestimmen

    4.

    Serien von Abläufen oder Ereignissen erkennen

    5.

    soziale Partner ausmachen (vgl. Tomasello 2010)

    Wie oben beschrieben verändert sich die betriebliche Welt im Sinn der VUCA Welt. Dies hat dann Folgen für die Kooperation zwischen den Menschen, denn alle fünf Elemente werden in den Sog der Veränderung gezogen. Die Bewegungsgeschwindigkeit wird sich erhöhen; es wird mehr noch als bisher notwendig, schneller die Intentionalität der Akteure zu erfassen. Die realen Räume sowie die virtuellen Räume werden größer, weil die Organisationen wachsen und durch Merger noch unüberschaubarer werden. Es wird wegen der Vielfalt der Prozesse eine Zunahme von neuen Abläufen geben und diese werden oft sehr schnell geändert, damit sind auch die Ergebnisse oft neu und müssen verarbeitet werden von den Mitarbeiter*innen. Es zeichnet sich auch die Zunahme sozialer Partner ab, mit denen man zusammenarbeiten muss, bedenkt man, was alles schnell mit einem Smartphone organisiert werden kann.

    4 Relationales Feld

    An dieser Stelle ist es sinnvoll sich darüber zu verständigen, wie wir uns diese Veränderung von Beziehungsstrukturen vorstellen und welche Voraussetzung die Menschen an Beziehungserfahrung mitbringen in den oben skizzierten Veränderungsprozessen. Die Beziehungserfahrung wird in einer Beziehungswelt einer relationalen Welt aufgenommen und entwickelt. Es wird entwicklungspsychologisch in einem relationalen Feld zwischen Mutter und Kind (und später kommen andere Beziehungsfelder hinzu) eine Beziehungserfahrung als relationale Erfahrung aufgebaut und integriert (Abb. 1). Diese Erfahrungswelten werden dann später im beruflichen Zusammenhang genutzt, um sich zu orientieren, teil unbewusst, teils bewusst. Es entsteht in dem relationalen Feld die Basis für das je persönliche psychische Feld, da beide Felder nur zusammen zu denken sind, weil sie iterativ sich entwickeln und gleichzeitig durch die erfahrenen Prozesse strukturieren. Zwischen den Personen gilt es im relationalen Feld eine Balance herzustellen; diese Balance ist dann parallelprozesshaft die Balance im psychischen Feld. Wir nennen die erste frühe Erfahrung des Menschen eine Mikro-Welt. Der Begriff Welt ist deshalb gewählt, weil er etwas umfassendes Ganzheitliches des Geschehens bezeichnet, im Unterschied etwa zum Begriff Landschaft. Das Entscheidende einer Mikro-Welt für den supervisorischen Prozess wie für den Coaching Prozess liegt darin, dass die früheste Erfahrung des Menschen wesentlich seine Fähigkeiten und Ressourcen ausmacht, seine Stimmungen und Befindlichkeiten zu regulieren und seine intuitiven Fähigkeiten schult und trainiert. Deshalb sind diese Erfahrungen so wesentlich, weil sie als ständige Begleiter in jedem Gespräch dabei sind, auch wenn sie nicht bewusst verhandelt werden und dennoch hohen Einfluss auf das Gesamtgeschehen haben und den Menschen leiten, seine Kontakte zu anderen Menschen zu strukturieren. Es ist ein implizites relationales Wissen aus vergangenen Beziehungszusammenhängen, das eingefaltet wurde und das in jedem Moment dem Betroffenen zur Verfügung steht und ausgefaltet werden kann.

    ../images/502219_1_De_1_Chapter/502219_1_De_1_Fig1_HTML.png

    Abb. 1

    Relationales Feld.

    © M. Sell

    Diese Mikro-Welt als frühste Erfahrung soll noch näher erläutert werden. Im Rahmen der Betrachtung von Psychotherapie- u. Kunsttherapie steht die Wirksamkeit von Psychotherapie/ Kunsttherapie als Thema im Vordergrund. Für Supervisor*innen und Coaches steht das supervisorische Geschehen und das Coachinggeschehen im Vordergrund, dennoch lernen wir von der Psychotherapie wie von der Kunsttherapie. Wenn wir heute von Wirksamkeit sprechen, bedeutet dies zunächst, dass der Supervisand von seinen Schwierigkeiten, also der Abwesenheit von Wohlbefinden, sich befreit. Supervision¹ in welcher Form auch immer, soll hierfür eine geeignete Form der Auseinandersetzung mit den Schwierigkeiten zur Verfügung stellen. Wir wissen auch, dass Schwierigkeiten und Problemstellungen kaum monokausale Zustände sind, sondern sich als eine komplexe Situation im Leben des Supervisanden herausstellen.

    Wir unterscheiden dabei verschiedene Zugangsweisen an das dargestellte Problem bzw. die dargestellte Situation. Wir hören zunächst eine Beschreibung des Problems seitens des Klienten, in der er Symptomatiken beschreibt, wie zum Beispiel „Antriebslosigkeit verbunden mit der Schwierigkeit „sich mit seinen Kollegen*innen auseinanderzusetzen. Diese Merkmale ordnen wir relationalen Erfahrungen zu, die wir mit bestimmten erlebten Zuständen verbinden. Darüber hinaus erleben wir den Supervisanden in dem Gespräch mit uns und merken seine klare Sprache und seine gute Orientierung in der aktuellen Situation. Dieses Erlebnis mit dem Supervisanden ordnen wir der Fähigkeit zu, sich mit seiner aktuellen Situation auseinanderzusetzen. Es gibt häufig die Erwartung des Supervisanden, dass der Supervisor*in ihm helfen kann, so wie es auch von Medizinern oder anderen Ratgebern oft erwartet wird. Diese Erwartungen sind wichtige Informationen für uns, denn der Supervisand teilt uns hiermit mit, welche „Übertragungserwartungen" er auf uns projiziert und welche einzelne Einstellung er zu seinen Problemen einnimmt.

    Dieser kurze Abriss zeigt schon, wie umfangreich und komplex die Begegnung mit dem Supervisanden wird und wie deutsam viele Wahrnehmungen und Erlebnisse in der Beziehung Supervisand – Supervisor*in sind. Emotionale Schwingungen, Verständigungsweisen, die Bereitschaft sich zu öffnen in der Supervisionsbeziehung, die Art und Weise der Einstellung zum Leben allgemein, zu den Mitmenschen und zu sich selbst, entscheiden schließlich über die Wirksamkeit und den Erfolg der Supervision. Die Lösung zu finden verstehen wir als das Wiedererlangen von Wohlbefinden. Dieses Wohlbefinden sollte frei sein von den Spannungen, die zu Problemen führten oder die Merkmale mit ihren Spannungen sollten beherrschbar werden und keine innere Verunsicherung und Instabilität mehr hervorrufen können. Der Einzelne gewinnt dabei Autonomie zurück, erweitert Bewusstheit und reichert seine Fähigkeit an, spontan und mit anderen Menschen sich in Beziehung setzen zu können. Wir arbeiten mit einem Supervisanden, der „sich nicht mit seinen Kollegen*innen auseinandersetzt, begleitet von Antriebslosigkeit. Diese Merkmale ordnen wir – stets vorläufig, denn erst später erhärten sich erste diagnostische Annahmen – einer leichten Neigung zu, Konflikten aus dem Weg zu gehen. Wir kennen noch keine Intensität, wir kennen noch keine inneren Konflikte des Klienten, wir kennen noch keine familiären Hintergründe aus der Entwicklung im Kindesalter. Was wir erkannt haben, ist etwas aus der Unmittelbarkeit der Beziehung, dass nämlich der Supervisand sehr klar seine Situation beschreiben kann und sein Einlassen auf eine Gesprächssituation über seine Probleme eine Offenheit zeigte, sich mit den Problemen zu beschäftigen; dies ist eine prozessuale Information. Auch zeigte die stimulierte „Gegenübertragung am Beginn seitens des Supervisors*in eine Neugierde und ein Wohlwollen, sich mit dem Supervisanden zu beschäftigen. Das sind günstige Voraussetzungen, sich gemeinsam auf einen supervisorischen Prozess einzulassen. Gewiss benötigt nun der Supervisor*in, neben seiner einfachen menschlichen Bereitschaft mit diesem anderem Menschen zu sprechen, in seiner Nähe zu sein, sich seinen Problemstellungen zu widmen und sich auf eine Verheißung einzulassen, die Hoffnung, dass die supervisorischen Gespräche dazu beitragen, dass der Patient aus seiner problembehafteten Situation sich befreien kann. Diese Hoffnung ist wahrscheinlich seitens des Supervisanden dadurch geleitet, dass er in dem Supervisor*in einen Experten sieht, der in der Lage ist ihm zu helfen. Der Supervisand sieht zunächst nicht, dass zum Lösungsprozess auch beiträgt, dass der Supervisor*in sich auch als Mensch in die Begegnung² einlässt, ihn zu begleiten, einfach existenziell anwesend zu sein, verbindlich zu sein in seiner annehmenden Haltung. Dieses Zweierlei von „da sein und „Experte sein stellt für beide eine große Herausforderung dar und ist die Basis, auf der die Wirkung der Supervision beruht. Der Supervisor*in unterliegt dem Paradox, dass er einerseits ein wirklich mitfühlender beeinflusster Mensch ist und andererseits ein die Versachlichung suchender, in Richtung des Normalen arbeitender Experte.³

    Der Supervisor*in braucht um dieses Zweierlei meistern zu können, ein gutes Wissen über Entstehung und Erscheinung von Störungen und Problemstellungen, eine durchgearbeitete Erfahrung aus praktischen supervisorischen Prozessen sowie eine hinreichende Bereitschaft, sich einem selbstanalytischen Prozess zu stellen.

    Der Einzelne, der Supervisand, sollte verstanden werden und erklärbar sein aus einer individuellen Entwicklung und Reifung, wie ein Haus, das Stein auf Stein gebaut wird und das seine Schönheit aus der architektonischen Gestaltung erhält. Andere Menschen, andere Häuser, waren als Modelle vorhanden und man konnte sich etwas anlehnen an das Eine oder das Andere, sodass dann viele verschiedene Häuser nebeneinander ein gemeinsames Wir ausmachen könnten, so könnte dann die Siedlung, das Dorf, die Stadt usw. entstehen.

    Dieser Prozess der Entwicklung sieht den einzelnen Menschen im Zentrum der Erkenntnis, das Individuum wird beschrieben aus einer Ein-Personen-Psychologie. Gerade diese Positionierung als Zentrum der Sichtweise, diese Ein-Personen-Psychologie verlässt Martin Buber und proklamiert eine neue Sichtweise, wenn man so will, eine „Duale Personen Psychologie".

    Es wäre zu kurz gegriffen, würde man diese Sichtweise einfach eine Zwei-Personen-Psychologie⁴ nennen, denn der iterative Aspekt der Entwicklung, die Wechselbezüglichkeit der Menschen zueinander oder aufeinander, ist ein komplexer Vorgang als solcher. Die Entwicklung des Menschen kann nicht mehr ausschließlich als eine individuelle Entwicklung verstanden werden, sondern man muss diese unmittelbare Wechselbezüglichkeit als Grundvoraussetzung einbeziehen.

    Neben Martin Buber folgen verschiedene Wissenschaftler dieser neuen Perspektive, den Menschen in seinem Gewordensein, aus seinen Beziehungsgefügen heraus zu verstehen. Frédéric Worms⁵, Professor für Philosophie an der Universität Lille, zeigt auch in einer philosophischen Sichtweise, dass für ein Verständnis des Menschen, „Beziehung die letzte ontologische Kategorie darstellt. Thomas Fuchs⁶ beschreibt das Gehirn als ein Beziehungsorgan. Hans Jürgen Scheurle⁷ beschreibt das Gehirn als eine Resonanz von Leib und Umwelt, einer Beziehungsumwelt. Das Gehirn ist nicht einsam. Ich selbst habe über Beziehungsformen⁸ und den Beziehungsraum⁹ gearbeitet, wobei Beziehung¹⁰ schon 1996 als Grundkategorie vorgestellt wurde in Amsterdam auf dem damaligen TA-Kongress. Damit wurde der Beziehungsbegriff wissenschaftlich eingeführt und repräsentiert nicht mehr eine allgemeine [oberflächlich] phänomenologische Beschreibung einer Wahrnehmung von Menschen und ihren Relationen; vielmehr ist er ein wesentlicher, konstitutiver Begriff für ein Verständnis des Menschen selbst geworden. Die letzte Entität ist nicht mehr der Einzelne, das Individuum, sondern „Beziehung. Dieses Denken schließt mit ein, die Fähigkeit zur ästhetischen Wahrnehmung und zur ästhetischen Umformung oder Transformation fähig zu sein.

    Das Individuum ist bereits als Wesen aus einem Individuationsprozess entstanden, das Individuum selbst ist aus einem historischem Beziehungsgeschehen heraus separatisierte Individuation und schon bereits durch Transformationsprozesse neu geformt Individuum, es basiert also auf einer Beziehungserfahrung und ist selbst nur deshalb in der Lage sich zu Anderen in Beziehung zu setzen.

    Was bedeutet dies bei genauer Betrachtung für die Wirksamkeit eines supervisorischen Prozesses und für eine ästhetische Wahrnehmungswelt? Durch das Verständnis eines solchen Entwicklungsprozesses können wir uns vorstellen, dass Supervision stets Interkulturalität und Intersubjektivität enthält. Im Verlaufe eines supervisorischen Prozesses werden die aufeinandertreffenden unterschiedlichen Kulturen in einen intersubjektiven Prozess überführt. Wesentlich für das Gelingen eines solchen Prozesses ist die jeweilige Dialogfähigkeit von Supervisand und Supervisor*in. Um eine Wirksamkeit bestimmen zu können, brauchen wir ein Verständnis dieses Vorganges des Dialogs in der Supervision. Wesentlich wirken in der dialogischen Gesprächsführung die entwickelten inneren Welten und ästhetischen Welten des Supervisanden sowie des Supervisors*in. Um ein Verständnis von Stabilität und innerer Sicherheit zu gewinnen, brauchen wir eine Vorstellung davon, welche psychischen Welten sich in der supervisorischen Situation entfalten. Wir können unterscheiden zwischen einer inneren psychischen Mikro-Welt, die auf den frühesten Entwicklungsprozessen beruht und sich in Repräsentationen, körperlich und symbolisch im Beziehungsgeschehen zeigen und einer Makro-Welt, die sich eher in der sprachlichen Entwicklung und im sozialen Austausch entfaltet. Beide Welten „kommunizieren miteinander, sie sind – systemisch gesprochen – vernetzt, und sie bestimmen wesentlich das Befinden des Menschen in verschiedenen Lebenslagen. So mag eine Schwierigkeit oder eine Problemsituation durchaus körperlich empfunden werden als „Spannung im Bauch und damit auf frühe Beziehungserfahrungen verweisen, weil in der Bauchspannung eine psychische Repräsentanz einer Beziehungserfahrung zum Ausdruck kommen kann und mit einem stimmungsmäßigen Gleichgewicht verbunden sein kann, da in einer Art und Weise eine ästhetische Schwingung und Formgestaltung der körperlichen Erfahrung als „schön" empfunden wurde. Beschäftigen wir uns zunächst mit der Mikro-Welt.

    5 Begriff der Mikro-Welt

    Ich möchte hier den Begriff der Mikro-Welt einführen und ihn zunächst von dem Begriff der Makro-Welt abgrenzen. Die Mikro-Welt bezieht sich auf die frühe Erfahrung des Kindes und die Makro-Welt bezieht sich auf die spätere Welt des Kleinkindes und des Heranwachsenden. Mit der Mikro-Welt bezeichnen wir in Anlehnung an Ulrich Moser¹¹ eine Art der affektiven Regulierung, einen Zustand beim Kleinkind, der auf der Basis der Beziehung, wohlgemerkt, der gemeinsamen Beziehung von Mutter und Kleinkind entsteht (Abb. 2). Es ist ähnlich eines elliptischen Eintauchens in das gemeinsame Schema¹², ¹³ von Mutter und Kleinkind, so wie Daniel Stern es bezeichnet.

    ../images/502219_1_De_1_Chapter/502219_1_De_1_Fig2_HTML.png

    Abb. 2

    Mikro-Welt–Ebene

    Es ist eine Teilhabe an der Selbstorganisationsregulation der Beziehung Mutter – Kleinkind. Die primär sensomotorische Erfahrung mit affektiven Rückmeldungen aus dem gemeinsamen Schema Mutter – Kleinkind kann, wird sie wiederholt, auch nur in Ähnlichkeit, zu einer energetischen Verdichtung führen, man spricht dann von einem affektiven Selbst.¹⁴ Die Beziehung als Grundlage eröffnet so dem Kleinkind aus einem gemeinsamen Schema heraus, begleitet durch die mütterlichen Mikro-Welten, die ebenfalls konstitutiv sind für das gemeinsame Schema, Steuerungsmechanismen für das Selbstempfinden zu entwickeln. Der Startpunkt ist das gemeinsame Schema Mutter – Kleinkind und von Beginn des Lebens an wird eine Ablösung oder auch Separation, ein Herauslösen oder Individuation vorangetrieben und zugleich eine Folie des Verbundenseins oder der Bindung gewoben, eben als Sicherheit oder Rückfallnetz. Die Mikro-Welten von Mutter und Kleinkind können so in ihrer Verschachtelung¹⁵ und in ihrem Verwobensein verstanden werden. Das Beziehungsgeschehen von Mutter und Kleinkind lässt sich mittels einer kybernetischen Denkweise verstehen, als ein elliptisches Schwingen um zwei Pole eines gemeinsamen Zusammenhangs, wobei die Mikro-Welten der Mutter phasenweise dominant sein werden und die Mikro-Welten des Kleinkindes in Abhängigkeit von den übergeordneten fester strukturierten der Mutter sich befinden werden. Diese Abhängigkeiten werden von Ashby¹⁶ (1952) als „distinkte Welten im Unterschied zu „disjointen Welten beschrieben. Diese distinkten Mikro-Welten, eben abhängige Mikro-Welten, ermöglichen dem Kleinkind phasenweise neue und auch nichtanimierte Objekte zu entdecken. Diese distinkten übernommenen Mikro-Welten sind modellhaft übernommene Steuerungsprinzipien, mentale und affektive Transformationen und nicht die Mikro-Welt selbst. Es werden Steuerungswelten nachgeahmt und so ein „Prozessor zur Steuerung entwickelt. Das Kleinkind entwickelt so zunehmend verdichtet eine Eigensteuerung der affektiven Welt; dies zeigt sich am vermehrten Auftreten von affektiv gesteuerten Verhaltensweisen der Relation Mutter – Kleinkind, als „versus object, wie Daniel Stern¹⁷ dies ausdrückt. Diese Entwicklung unterscheidet eine Innenwelt – die subjektive – und eine Außenwelt – das Objekt – Mutter (der Andere) innerhalb des gemeinsamen Schemas. Die Innenwelt ist innerhalb des gemeinsamen Schemas (relationales Feld) zu sehen als Subjektpol, die Außenwelt ist der Objektpol (der Andere) innerhalb der eigenen Innenwelt (psychisches Feld). Diese innere Unterscheidung dient schließlich dazu, sich auch, paradoxerweise in einem gemeinsamen Feld oder Schema, außerhalb des mütterlichen Bezugsfeldes zu sehen. Dynamisch ist alle Stimulation außerhalb des mütterlichen Bezugsfeldes noch nicht in Verbindung mit dem sich entwickelnden eigenen Selbst. Diese Verbindung oder Besetzung entwickelt sich allmählich und stets ergänzend (Abb. 3).

    ../images/502219_1_De_1_Chapter/502219_1_De_1_Fig3_HTML.png

    Abb. 3

    Kulturelles Feld.

    © M. Sell

    Diese inneren Welten mit ihrer Transformationsfähigkeit können wir uns in einem ästhetischen Sinne vorstellen, denn das Kind wird sich nicht einfach nur anpassen an die Stimmung, sondern mit all seinem eigenen Reaktionsvermögen kreativ darauf reagieren. Dies bedeutet, das Kind bildet eine eigene in der gemeinsamen interaktiven Welt entstandene Steuerungsfähigkeit. Dies gilt dann nicht nur für psychologische Wahrnehmungsgestaltung, sondern auch für die ästhetische Transformationsgestaltung. Dieser Vorgang kann auch als gemeinsame Kulturerfahrung beschrieben werden. Diese Kulturerfahrung nimmt das Kleinkind noch vorsymbolisch auf und ist eher als „mood state"¹⁸ (Stimmung) und als fusionierte Repräsentation (verschmolzene Verinnerlichung) zu begreifen. Wir wissen heute, dass diese Vorgänge wesentlich dazu beitragen, dass Nervenbahnungen sich entsprechend herausbilden und das Gehirn in einem Lernprozess von körperlicher, sozialer Erfahrung als interaktiver Prozess zur Umwelt (Mutter-Kleinkind) so seine Steuerungsfunktionen¹⁹ erhält.

    Thomas Fuchs spricht sogar davon, dass das Gehirn ein Beziehungsorgan²⁰ darstellt. Im Laufe der Entwicklung werden mit der zunehmenden Eigensteuerung innerhalb des gemeinsamen Schemas Bewegungen des mütterlichen Objektes mehr und mehr vom eigenen Selbst unterschieden und auch symbolisiert. Es werden u. a. über Nachahmung Fähigkeiten entwickelt, sich auch mit („with) dem mütterlichen Objekt zu erfahren, ebenso wie sich über Eigenregulierung gegenüber („versus) dem mütterlichen Objekt zu spüren. Dieser Vorgang führt zu einer Positionierung innerhalb des gemeinsamen Schemas und bildet einen Raum an Erfahrung. Wir können dies den Beziehungsraum²¹ nennen und dieser Raum ermöglicht innerhalb des Beziehungsgeschehens²² (oder Beziehungsgestalt) die Entwicklung der Fähigkeit, sich selbst sowie den anderen zu entdecken. Diese Neugierde ist deshalb so wichtig, weil sie dazu führt, sich selbst Rückmeldung für Aktivitäten zu geben sowie sich des Einwirkens auf andere zu vergewissern. Begleitet wird diese Entwicklung von einem Prozess der bildhaften Vorstellungswelt (Imaginationen). Sodann werden mittels der bildhaften Repräsentationen des mütterlichen Objekts die ersten symbolischen Repräsentationen gebildet, die nicht mehr fusioniert (verschmolzen) sind. An dieser Stelle verlässt das Kleinkind den distinkten Bereich der (vorwiegend abhängigen) Mikro-Welten und entwickelt mithilfe des genannten subjektiven Prozessors eine eigenständige selbstgesteuerte dyadische symbolische Welt. In diesem Übergangsstadium werden disjointe Mikro-Welten (zusammenschwingende Welten) ergänzend im Unterschied zu fusionierten aufgebaut. Dies ist deshalb so wichtig, weil mit dem Herauslösen aus dem gemeinsamen Schema, aus dem elliptischen gemeinsamen Ganzen der Beziehung neue Mikro-Welten mit Vor- und Nachteilen für den späteren Aufbau von erwachsenen Beziehungen reifen. Die wichtigste Neuentwicklung ist der Zustand des „Alleinseins", der wohl nur mit der Fähigkeit des Aufrechterhaltens von Phantasien zu bewältigen ist. Disjointe, also mitschwingende Beziehungswelten helfen bei der Phantasiebildung (Imaginierter Beziehungsprozess). Gleichzeitig entsteht ein Prozess über eine assimilierende Regulierung, die Beziehung zu dem mütterlichen Objekt aufrecht zu erhalten, auch wenn die Mutter abwesend ist. Anschließend folgt ein Rückkopplungsprozess, der in Zukunft die Aktionen, die Kommunikation sowie die Perspektivenübernahme hilft zu koordinieren. Das Phantasieren (innere Vorstellungswelten, die noch wortlos sind) führt ebenfalls dazu, sich auch in die Position des Anderen zu versetzen und sich in einer Selbstrückkopplung zu fragen, wie der Andere zu mir steht. Es ist die Suche nach der Intention, die der Andere verfolgt und auch, wie ich den Anderen in mir selbst präsent werden lassen kann. Die kindliche Zeigefunktion dient eben stets einer Intention, nämlich der, eine Wirkung bei dem Gegenüber zu spüren. Wir wissen aus der Neurosenbetrachtung, dass gerade gestörte frühe Beziehungserfahrungen zu gestörten verinnerlichten Beziehungsmustern führen, wie Fairbairn²³ uns schon 1952 zeigte. Dass das frühe Traumata als

    Enjoying the preview?
    Page 1 of 1