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Facharztwissen Orthopädie Unfallchirurgie
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Ebook2,717 pages10 hours

Facharztwissen Orthopädie Unfallchirurgie

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About this ebook

Dieses Buch dient der effizienten Vorbereitung auf die Facharztprüfung oder als Nachschlagewerk in der täglichen Routine. Es ist so gestaltet, dass eine zeitsparende Informationsaufnahme möglich ist, ohne dabei auf die notwendige Tiefe zu verzichten. Im Mittelpunkt stehen detaillierte und differenzierte Empfehlungen zur Diagnostik und Therapie. Algorithmen, schematische Übersichten und brillante Abbildungen veranschaulichen darüber hinaus die Inhalte. Für die 2. Auflage wurden alle Inhalte überarbeitet und aktualisiert. Darüber hinaus wurde die 2. Auflage um über 1.000 digitale Dateikarten mit Fragen und Antworten („FlashCards“) erweitert, mit deren Hilfe man die wesentlichen fachlichen Inhalte "pauken" kann. Im neuen Kapitel "Die Facharztprüfung in der Praxis" wird exemplarisch eine Facharztprüfung in Frage und Antwort durchgespielt. So bekommt man eine gute Vorstellung davon, wie eine Facharztprüfung tatsächlich abläuft und welche Antworten und welches Wissen in der Prüfung erwartet wird.    



LanguageDeutsch
PublisherSpringer
Release dateNov 2, 2021
ISBN9783662625361
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    Facharztwissen Orthopädie Unfallchirurgie - Norbert Harrasser

    © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2021

    N. Harrasser et al. (Hrsg.)Facharztwissen Orthopädie Unfallchirurgiehttps://doi.org/10.1007/978-3-662-62536-1_1

    1. Skelettsystemerkrankungen

    Norbert Harrasser¹  , Kay Eichelberg¹  , Florian Laux²  , Maya Salzmann³   und Nina Berger⁴  

    (1)

    Klinik und Poliklinik für Orthopädie und Sportorthopädie, Klinikum rechts der Isar der TU München, München, Deutschland

    (2)

    BG Klinik Tübingen, Berufsgenossenschaftliche Rehabilitationund Heilverfahrenssteuerung, Schnarrenbergstraße, Deutschland

    (3)

    Klinikum Schwabing, Klinik für Kinderorthopädie, München, Deutschland

    (4)

    Klinikum Schwabing, Klinik für Kinderorthopädie, München, Deutschland

    Norbert Harrasser (Korrespondenzautor)

    Email: norbert.harrasser@mri.tum.de

    Kay Eichelberg

    Email: kay.eichelberg@mri.tum.de

    Florian Laux

    Email: florian.laux@mri.tum.de

    Maya Salzmann

    Email: maya.salzmann@mri.tum.de

    Nina Berger

    Email: nina.berger@mri.tum.de

    1.1 Angeborene Skelettsystemerkrankungen

    1.1.1 Osteochondrodysplasien

    1.1.2 Anomalien der Knochendichte/kortikalen Struktur

    1.1.3 Marfan-, Ehlers-Danlos- und Larsen-Syndrom

    1.1.4 Neurofibromatose (NF) von Recklinghausen

    1.1.5 Down-Syndrom

    1.1.6 Lipidosen

    1.1.7 Mukopolysaccharidosen (MPS)

    1.1.8 Hämophile Arthropathie

    1.2 Erworbene Skelettsystemerkrankungen

    1.2.1 Osteoporose

    1.2.2 Osteomalazie/Rachitis

    1.2.3 Hyperparathyroidismus (HPT)

    1.2.4 M. Paget

    Literatur

    1.1 Angeborene Skelettsystemerkrankungen

    1.1.1 Osteochondrodysplasien

    Achondroplasie

    Grundlagen

    Synonyme: Chondrodysplasia fetalis, Chondrodystrophia fetalis

    Definition: Angeborene, genetisch bedingte Skelettdysplasie mit Störung der Knorpel- und Knochenbildung

    Ätiologie und Pathogenese

    Punktmutation des FGF-(Fibroblast-Growth-Factor-)Rezeptor-3-Gens: Spontanmutationen (ca. 80 %) bzw. autosomal-dominanter Erbgang (20 %) mit vollständiger Penetranz

    Störung der Knorpelproliferation und enchondralen Ossifikation mit vorzeitigem Verschluss der Wachstumsfugen

    Deutlich eingeschränktes Längenwachstum der Extremitäten bei ungestörtem Breitenwachstum (periostale Ossifikation) des Knochens

    Epidemiologie

    Häufigste Osteochondrodysplasie mit einer Inzidenz von 1/15.000–40.000 Lebendgeburten. Fortgeschrittenes paternales Alter gilt als Risikofaktor. Das weibliche Geschlecht überwiegt

    Klinik

    Bereits bei Geburt zeigt sich der typische Morphotyp

    Rhizomeler (kurze Extremitäten), dysproportionierter (Wachstumsstörung betrifft nur gewisse Skelettregionen, z. B. Extremitäten) Kleinwuchs mit einer durchschnittlichen Erwachsenenkörpergröße zwischen 120–130 cm

    Fazies: Relativ großer Schädel, Mittelgesichtshypoplasie mit eingesunkener Nasenwurzel und prominenter Stirn. Relative Prognathie (Hervorstehen von Ober-/Unterkiefer)

    Abdomen ist vorgewölbt

    Wirbelsäule mit ausgeprägter lumbaler Lordose und thorakalem Gibbus

    Sitzhöhe aufgrund des kaum eingeschränkten Wirbelsäulenwachstums wenig vermindert bis normal (dysproportionierter Kleinwuchs)

    Hand: Kurze Finger mit vergrößertem Abstand zwischen 3. und 4. Finger (Dreizackhand, Triton-Hand)

    Beinachsen mit Varusfehlstellung bei (relativ zur Tibia) zu langer Fibula

    Komplikationen

    Nervensystem: Enger Spinalkanal (Gefahr der frühzeitigen Stenose), Syringomyelie, Hydrozephalus

    Chronische Mittelohrinfektionen bei enger Eustachi-Röhre

    Dentale Okklusionsstörungen

    Diagnostik

    Klinisches Erscheinungsbild

    Bildgebung (◘ Abb. 1.1)

    Verkürzung der Röhrenknochen (v. a. Femur und Humerus) mit verbreiterten Metaphysen bei normalen Epiphysen („ball-in-socket"-Epiphyse)

    Fibulaverlängerung (hochstehendes Fibulaköpfchen)

    Ulnaverkürzung mit Brachydaktylie

    Becken: Acetabulum breit und flach, reduzierter sagittaler Durchmesser des Beckens, verminderte Höhe der Beckenschaufeln, Sakrum schmal, Incisura ischiadica eng

    Wirbelsäule: Enger Spinalkanal (kurze Pedikel und kraniokaudal abnehmende frontale interpedikuläre Distanz) mit weiten Foramina intervertebralia, akzentuiertes sagittales Profil mit bis in die obere LWS reichender Kyphose, die dann spitzwinklig in die Lordose übergeht

    ../images/318025_2_De_1_Chapter/318025_2_De_1_Fig1_HTML.jpg

    Abb. 1.1

    Röntgenbild bei Achondroplasie mit verbreiterten Metaphysen bei normalen Epiphysen („ball-in-socket"-Epiphyse). (Aus Hefti 2006)

    Differenzialdiagnostik

    Hypochondroplasie

    Pseudoachondroplasie

    Therapie

    Die Behandlung ist symptomatisch und orientiert sich an den funktionellen und kosmetischen Behinderungen (Achsendeformitäten der Beine, Spinalkanalstenose, Körpergröße)

    Achsendeformitäten: Wachstumsbremsung der Fibula zur Verhinderung eines Genu varum. Wachstumslenkende Eingriffe sowie ggf. hohe tibiale Umstellungsosteotomie im Verlauf

    Bei Spinalkanalstenose: Dekomprimierende und stabilisierende Eingriffe erforderlich

    Bzgl. der Körpergröße ist eine sorgfältige Indikationsstellung wichtig. Operative Verlängerungen der Extremitäten mittels Kallusdistraktion sind sehr langwierig und komplikationsträchtig ab einer Verlängerung über 8–10 cm. Zur Verhinderung einer Disproportionalität müssen die oberen Extremitäten auch verlängert werden

    Prognose

    Lebenserwartung und Intelligenz sind nicht beeinträchtigt

    Arthroserisiko ist primär nicht erhöht und hängt von der Achsabweichung ab

    Hypochondroplasie

    Grundlagen

    Definition: Mildere Form der Achondroplasie mit normaler Fazies

    Ätiologie und Pathogenese

    Punktmutation des FGF-(Fibroblast-Growth-Factor-)Rezeptor-3-Gens: Spontanmutationen (80 %) bzw. autosomal-dominanter Erbgang (20 %)

    Pathogenese wie bei Achondroplasie

    Epidemiologie

    Inzidenz: 1/30.000 Lebendgeburten

    Klinik

    Zunächst normale Entwicklung

    Ab dem 2.–6. Lebensjahr entwickelt sich ein dysproportionierter Kleinwuchs, der ausschließlich auf das Minderwachstum der Extremitäten zurückzuführen ist

    Rhizomelie (v. a. Femur und Humerus), lumbale Hyperlordose

    Gelenkhypermobilität mit Ausbildung eines Genu varum ohne Tibia vara, jedoch Beugekontrakturen von Knie und Ellenbogen

    Endgröße: 132–147 cm

    Fazies und Hände: Normal

    Komplikationen: wie bei Achondroplasie, nur seltener

    Diagnostik

    Das klinische Erscheinungsbild ist sehr variabel und manchmal vom konstitutionellen Kleinwuchs schwer zu unterscheiden, weshalb Fälle z. T. unerkannt bleiben. Als klinische Trias, welche die Verdachtsdiagnose Hypochondroplasie erwecken sollte, gilt

    1.

    Minderwuchs mit teils muskulösem Habitus

    2.

    Normale Fazies

    3.

    Abnahme des lumbalen interpedikulären Abstandes von kranial nach kaudal (normalerweise erfolgt eine Zunahme)

    Bildgebung (◘ Abb. 1.2)

    Verkürzung der Röhrenknochen mit verbreiterten Metaphysen

    Fibulaverlängerung

    Wirbelsäule: Gering verminderter interpedikulärer Abstand bzw. leicht verkürzte Pedikel

    Schädel, Becken, Hände: Unauffällig. Die Acetabula können leicht horizontalisiert sein

    ../images/318025_2_De_1_Chapter/318025_2_De_1_Fig2_HTML.jpg

    Abb. 1.2

    Röntgenbild bei Hypochondroplasie. Die Veränderungen sind im Vergleich zur Achondroplasie geringer ausgeprägt. (Aus Hefti 2006)

    Differenzialdiagnostik

    Achondroplasie

    Pseudoachondroplasie

    Therapie

    Therapieprinzipien entsprechen der Achondroplasie (► Abschn. 1.1.1), wenngleich die Befunde wesentlich milder sind. Spinalkanalstenosen kommen kaum vor

    Prognose

    Lebenserwartung nicht eingeschränkt. Selten Assoziation mit intellektuellem Defizit

    Pseudoachondroplasie

    Grundlagen

    Synonym: Pseudoachondroplastische Dysplasie

    Definition: Genetisch bedingte Skelettdysplasie mit Störung der meta- und epiphysären Knorpel- und Knochenbildung

    Ätiologie und Pathogenese

    Punktmutation des COMP-(„cartilage oligomeric matrix protein"-)Gens: Spontanmutationen (häufiger) bzw. autosomal-dominanter oder autosomal-rezessiver Erbgang sind beschrieben

    Pathogenese wie bei Achondroplasie

    In die Wachstumsstörung sind im Unterschied zur Hypo-/Achondroplasie die Wachstumsfuge und die Epiphyse einbezogen

    Epidemiologie

    Inzidenz (geschätzt): 1/100.000 Lebendgeburten

    Klinik

    Zunächst normale Entwicklung

    Laufbeginn verzögert; watschelndes Gangbild

    Ab dem 2.–4. Lebensjahr entwickelt sich ein im Vergleich zur Achondroplasie milderer dysproportionierter Kleinwuchs

    Rhizomelie (v. a. Femur und Humerus), akzentuiertes Wirbelsäulenprofil mit teils Skoliosen, Genu varum/valgum mit recurvatum (teils „Windschlagdeformität"), Brachydaktylie (Verkürzung von Zehen/Fingern)

    Gelenkhypermobilität v. a. der Handgelenke (mit Ulnardeviation) und auch des Fußes (ausgeprägter Pes planovalgus)

    Typische Gelenkhypomobilität des Ellenbogens

    Endgröße: 90–137 cm

    Fazies: Normal

    Komplikationen

    Früharthrosen

    Diagnostik

    Klinisches Erscheinungsbild

    Bildgebung (◘ Abb. 1.3)

    Verkürzung der Röhrenknochen mit verbreiterten Metaphysen und verkleinerten, fragmentierten Ossifikationskernen

    Fibulaverlängerung (hochstehendes Fibulaköpfchen)

    Wirbelsäule: Im Kleinkindalter sind die Wirbelkörper hypoplastisch, erreichen im Verlauf allerdings eine normale Größe. Endplattenveränderungen kommen vor. Normal weiter Spinalkanal. Ausgeprägte Lendenlordose und thorakale Kyphoskoliose (50 %). Denshypoplasie

    Becken: Insgesamt verbreitert. Pfannendysplasie, Coxa vara

    ../images/318025_2_De_1_Chapter/318025_2_De_1_Fig3_HTML.jpg

    Abb. 1.3

    Röntgenbild bei Pseudoachondroplasie mit kolbigen Auftreibungen der Metaphysen, unregelmäßigen Epiphysen und Fibulaüberlänge

    Differenzialdiagnostik

    Achondroplasie

    Hypochondroplasie

    Spondyloepiphysäre Dysplasie (s. u.)

    Therapie

    Wachstumslenkende Eingriffe sowie Korrekturosteotomien (Hüfte, Knie) können früh zur Verbesserung der Gelenkstellung und Verminderung der Arthroseprogredienz indiziert sein

    Frühzeitige Gelenkersatzoperationen aufgrund der frühzeitigen Arthrose besonders an Hüft- und Kniegelenk

    Spondylodesen an der Wirbelsäule bei ausgeprägten Skoliosen

    Prognose

    Lebenserwartung und Intelligenz sind nicht beeinträchtigt

    Früharthrosen häufig. Unbehandelt meist erhebliche Einschränkung des Gehens und Stehens nach Wachstumsabschluss

    Metaphysäre Dysplasie

    Grundlagen

    Definition: Seltene angeborene Chondrodysplasie mit Störung am metaphysären Ende der Wachstumsfuge in der Zone der Kalzifikation. Bei Mitbeteiligung der Wirbelsäule handelt es sich um eine spondylometaphysäre Dysplasie

    Epidemiologie

    Inzidenz unbekannt

    Klinik

    Trotz verschiedener Subtypen (◘ Tab. 1.1) ist die Klinik am Bewegungsapparat ähnlich

    Tab. 1.1

    Einteilung der metaphysären Dysplasien

    Es besteht ein dysproportionierter, extremitätenbetonter Minderwuchs mit Coxa und Genua vara. Die Deformitäten bestehen ab der Geburt außer beim Typ Schmid, bei dem sie erst im Kleinkindalter auftreten

    Die Glutealinsuffizienz bei Coxa vara führt zu einem watschelnden Gangbild

    Auffallend ist bei einer multilokulären Gelenkhypermobilität eine Hüft- und Kniebeugekontraktur mit konsekutiver Hyperlordose der LWS

    Spondylometaphysäre Dysplasie: Zusätzlich Entwicklung einer Kyphoskoliose. Femur und Tibia neigen zu deutlichen Varusfehlstellungen

    Diagnostik

    Klinik

    Bildgebung: Die Epiphysen sind weitestgehend normal konfiguriert. Radiologisch sind die typischen Befunde v. a. am Kniegelenk zu sehen

    Typ Schmid/Typ Jansen (◘ Abb. 1.4): Verbreiterte Epiphysenfugen. Die Metaphyse erscheint aufgetrieben, unregelmäßig und medial ausgezogen

    Hüfte: Coxa vara mit Trochanterhochstand

    Spondylometaphysäre Dysplasie: Platyspondylie (Abflachung der Wirbelkörper). Beim Typ Sutcliff zeigen sich Frakturen kleiner metaphysärer Wirbelkörperanteile

    ../images/318025_2_De_1_Chapter/318025_2_De_1_Fig4_HTML.jpg

    Abb. 1.4

    Röntgenbild eines Patienten mit metaphysärer Dysplasie Typ Schmid mit verbreiterten Epiphysenfugen, aufgetriebenen Metaphysen sowie Coxa vara mit Trochanterhochstand. (Aus Wirth 2008)

    Differenzialdiagnostik

    Mukopolysaccharidose

    Chondrodysplasien

    Therapie

    Die symptomatische Therapie richtet sich nach den Hauptpathologien

    Coxa vara: Valgisationsosteotomie. Zeitpunkt ist sorgfältig zu wählen, da während des Wachstums hohe Rezidivneigung besteht

    Genu varum: Aufgrund des begrenzten Korrekturpotenzials der Wachstumsfugen ist die temporäre Epiphysiodese nur teileffektiv. Kniegelenknahe und evtl. sprunggelenknahe Umstellungsosteotomien (bei fixiertem Rückfußvarus) haben sich bewährt

    Prognose

    Früharthrosen der Gelenke der unteren Extremität (aufgrund Fehlstellung)

    Assoziierte Anomalien bestimmen die Lebenserwartung

    Spondyloepiphysäre Dysplasie (SED)

    Grundlagen

    Definition: Seltene angeborene Chondrodysplasie mit dysproportioniertem Minderwuchs und dysplastischen Veränderungen an den Wirbelkörpern und (vorwiegend) proximalen Extremitätenepiphysen

    Ätiologie und Pathogenese

    Das Vererbungsmuster ist autosomal-dominant oder -rezessiv bzw. X-chromosomal. Die meisten Fälle entstehen aus einer Neumutation

    In der Regel wird die SED durch Mutationen im COL2A1-Gen verursacht. Dies führt zu einem Mangel an Typ-II-Kollagen

    Epidemiologie

    Inzidenz: 1/100.000 Lebendgeburten

    Klinik

    Kongenitale Form (Typ Spranger-Wiedemann)

    Es besteht ein dysproportionierter, rumpfbetonter Minderwuchs mit relativ langen Extremitäten mit unterschiedlichen Achsabweichungen (Genu valgum, selten varum). Auffallend ist zudem noch eine Hüft- und Kniebeugekontraktur. Hände und Füße sind normal groß

    Wirbelsäule/Thorax: Lumbale Hyperlordose, thorakale Kyphoskoliose. Es bestehen oft starke Rückenschmerzen

    Gesicht: Flache Fazies, Hypertelorismus. Der Kopf ruht aufgrund des kurzen Halses scheinbar direkt auf dem Rumpf

    Der Thorax zeigt oft fassförmige Deformierungen mit Pectus carinatum (Kielbrust)

    Die Größe im Erwachsenenalter variiert zwischen 85–135 cm

    Tarda-Form

    Die Symptome sind teils geringer ausgeprägt und entstehen erst im Verlauf des Wachstums

    Prädilektionsstellen der Erkrankung sind oft Hüft- und Schultergelenke

    Assoziierte Erkrankungen: Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalte, Myopie mit Retinaablösung, Katarakt, Taubheit, Klumpfüße

    Typ Schimke: Tarda-Form mit nephrotischem Syndrom, Lymphopenie und Immundefekt

    Diagnostik

    Kongenitale Form: Bereits bei Geburt sichtbare Deformitäten

    Tarda-Form: Erst im Schulalter oder zu Beginn der Pubertät auftretende Deformitäten

    Bildgebung (◘ Abb. 1.5)

    Die Epiphysen stellen sich, meist symmetrisch, sehr uneinheitlich dar (fast normale Höhe bis komplette Abflachung). Die Ossifikation ist aber immer deutlich verzögert

    Wirbelsäule: Postpartal sind die Wirbelkörper klein und ovoid (Platyspondylie). Die Größenzunahme ist deutlich verzögert. Wirbelkörperdeformierung mit ventral fehlenden Randleisten („angenagter Wirbelkörper") und Tendenz zu Kyphosen und Skoliosen sind die Folge. Dysplastischer Dens (ggf. atlantoaxiale Subluxation)

    Becken: Hochgradige Coxa vara oder seltener valga; Schambeinäste weisen eine deutlich verzögerte Ossifikation auf

    ../images/318025_2_De_1_Chapter/318025_2_De_1_Fig5_HTML.jpg

    Abb. 1.5

    Röntgenaufnahme der Wirbelsäule bei SED mit Platyspondylie und ventral fehlenden Randleisten („angenagter Wirbelkörper"). (Aus Wirth 2008)

    Differenzialdiagnostik

    Mukopolysaccharidose

    Pseudoachondroplasie

    Therapie

    Die symptomatische Therapie richtet sich nach den Hauptpathologien

    Coxa vara: Frühzeitige Valgisationsosteotomie, da sonst eine Pseudarthrose droht

    Genua valga/vara: Temporäre Epiphysiodese

    Skoliosen: Konservative Therapie, was auch häufig die Rückenschmerzen verbessert; bei Progredienz: operative Skoliosetherapie

    Atlantoaxiale Instabilität: Okzipitozervikale Spondylodesen oft und früh nötig

    Bei Früharthrose von Hüfte/Knie: Gelenkersatz

    Prognose

    Früharthrosen der Gelenke der unteren Extremität

    Multiple epiphysäre Dysplasie (MED)

    Grundlagen

    Synonym: Polytope enchondrale Dysostose

    Definition: Seltene, angeborene (autosomal-dominant) und sehr heterogenen Gruppe der Chondrodysplasien mit Störung der enchondralen Ossifikation im Bereich der Wachstumsfugen. Betroffen ist am häufigsten das proximale Femur

    Ätiologie und Pathogenese (◘ Tab. 1.2)

    Die Einteilung der MED ist historisch bedingt. Klinisch zeigen sich die unterschiedlichen Formen mit fließendem Übergang. Genetische Differenzierungen scheinen eine verbesserte Differenzierung zu erlauben

    Mutationen des Prokollagens IX in den Genen COL9A2 und COL9A3 zeigen schwere Verläufe im Bereich des Knies und leichte im Bereich der Hüfte

    Mutationen im COMP-(„cartilage oligomeric matrix protein"-)Gen zeigen schwere Verläufe vorwiegend im Bereich der Hüfte

    Epidemiologie

    Inzidenz: 1–2/20.000 Lebendgeburten

    Tab. 1.2

    Ätiologie und Pathogenese der multiplen epiphysären Dysplasie (MED)

    Klinik

    Ausprägung der Symptomatik abhängig vom Subtyp. In der Regel entstehen erst ab dem Kleinkindalter belastungsabhängige Hüftschmerzen sowie Hinken, da das proximale Femur immer betroffen ist. Fakultativ bestehen eine diffuse Gelenkhypomobilität und thorakale Hyperkyphose

    Typ Fairbank: Es besteht ein proportionierter Minderwuchs (Endlänge 150–160 cm) mit plumpen Fingern und Zehen. Häufig multipler epiphysärer Befall. Genu varum/valgum

    Typ Ribbing: Normales Längenwachstum. Minimale Finger- und Zehenbeteiligung

    Typ Meyer: Normales Längenwachstum. Keine Finger- und Zehenbeteiligung

    Diagnostik

    Bildgebung

    Die Epiphysen zeigen eine deutliche Verzögerung der Ossifikation. Die Ossifikationskerne sind teils verplumpt

    Die proximale Femurepiphyse ist immer, das Acetabulum kann betroffen sein. Bei der SED besteht eine Mitbeteiligung der Wirbelsäule

    Als wichtige Differenzierungsmerkmale zum M. Perthes gilt ein symmetrischer Befall, eine fehlende Subluxation, eine fehlende metaphysäre Mitbeteiligung und fehlende laterale Verkalkungen am Femurkopf bei der MED

    Differenzialdiagnostik

    Spondyloepiphysäre Dysplasien

    M. Perthes

    Therapie

    Die symptomatische Therapie richtet sich nach der Hauptpathologie

    Es besteht die Tendenz zur Coxa vara, weshalb eine Varisationsosteotomie nicht durchgeführt werden sollte

    Tendenz zur Coxa vara, keine Varisationsosteotomie → zu bedenken bei Fehldiagnose M. Perthes!

    Bei bestehender Coxa vara kann zur Verbesserung des Containment eine Valgisationsosteotomie versucht werden (Erfolg jedoch ungewiss)

    Bei Früharthrose ist meist ein Gelenkersatz indiziert

    Prognose

    Meist verläuft die MED gutartig und im Speziellen meist gutartiger als der M. Perthes

    Früharthrosen entstehen meist bei den Typen Fairbank und Ribbing, praktisch nie beim Typ Meyer und sind abhängig von der Ausbildung kongruenter Gelenkkonfigurationen

    1.1.2 Anomalien der Knochendichte/kortikalen Struktur

    Osteogenesis imperfecta (OI)

    Grundlagen

    Synonyme: Fragilitas ossium, Glasknochenkrankheit, M. Lobstein, M. Vrolik

    Definition: Genetisch bedingte heterogene Gruppe von Erkrankungen mit Beeinträchtigung der Kollagen-I-Bildung oder posttranslationalen Modifikation und Faltung

    Ätiologie und Pathogenese

    Verschiedene Genloci wurden mittlerweile identifiziert (COL1A1, COL1A2, CRTAP u. a.). Der Erbgang ist autosomal-dominat oder -rezessiv. Häufig entsteht die Erkrankung aufgrund von Neumutationen

    Einteilung: Ursprünglich wurden von Sillence (1978) 4 Typen unterschieden. Mittlerweile sind weitere 6 hinzugekommen (◘ Tab. 1.3). Die Einteilung nach Hanscom (1992) ist radiologisch orientiert und stellt die orthopädische Problematik in den Vordergrund

    Klinisch hat sich die Einteilung nach der Verlaufsform bewährt, wobei milde, moderate, schwere und letale Formen unterschieden werden. Allen ist eine erhöhte Frakturgefahr gemeinsam

    Die Knochenbruchheilung ist nicht verzögert

    Epidemiologie

    Inzidenz: 4–7/100.000 Lebendgeburten. Paternales Alter stellt einen Risikofaktor dar

    Tab. 1.3

    Übersicht über die 10 OI-Typen, ihre Genetik und klinische Schwere

    OI = Osteogenesis imperfecta

    Klinik

    Abhängig von der Verlaufsform zeigen sich sehr heterogene klinische Muster. Selbst innerhalb einer Gruppe kann der Verlauf erheblich variieren

    Krankheitstypische Symptome sind hierbei

    Erhöhte Frakturanfälligkeit

    Groteske Knochendeformierungen der Extremitäten, allgemeine Gelenkhypermobilität (an der HWS assoziiert mit atlantoaxialer Instabilität)

    Skoliosen und Wirbelkörpersinterungen

    Assoziierte Fehlbildungen: Dreieckige Kopfform, blaue Skleren, Schwerhörigkeit (meist im frühen Erwachsenenalter auftretend), Myopie mit Retinaablösung, gastrointestinale Probleme, Herzfehler

    Milde Verlaufsform: Typ I (häufigste Form), teils IV. Hanscom Typ A (ggf. B)

    Frakturen treten erst im Verlauf auf und sind abhängig vom Aktivitätsniveau

    Die Zahnbildung kann ungestört (Subtyp A) oder gestört sein (Subtyp B)

    Extremitäten- und Wirbelsäulendeformierungen sind selten, die Körpergröße normal

    Lebensführung wird wenig beeinträchtigt. Normale Lebenserwartung

    Moderate Verlaufsform: Typen IV, V, VII, IX. Hanscom Typ B

    Frakturen treten bereits im 1. Lebensjahr bei banalen Traumen auf. Deformierungen sind häufig

    Es besteht ein leichter Minderwuchs, Gehen ist selbstständig möglich

    Schwere Verlaufsform: Typen III, VI, VIII, X. Hanscom Typ C–D

    Frakturen treten bereits intrauterin auf

    Die plastische Verformbarkeit der Knochen des Schädels und auch des Bewegungsapparates führt zu ausgeprägten Deformierungen

    Selbstständiges Gehen ist nicht möglich. Oftmals sind manuell betriebene Rollstühle nicht nutzbar

    Letale Verlaufsform: Typ 2/Hanscom Typ E–F. Durch schwere intrauterine/peripartale Frakturen und assoziierte Anomalien (u. a. Lungenunterentwicklung) kommt es meist unmittelbar postpartal, oft durch Hirnblutungen, zum Tode

    Diagnostik

    Klinisches Erscheinungsbild

    Bildgebung (◘ Abb. 1.6)

    Osteoporose mit Trabekelrarefizierung und dünner Kortikalis

    Kallusformationen als Hinweis für unterschiedliche Stadien abgelaufener Frakturen, Knochenverbiegungen

    Wirbelsäule (◘ Abb. 1.7): Kyphoskoliose, bikonkave Wirbelkörperform, Sinterungsfrakturen, Okzipitalisierung des Atlas mit basilärer Impression, atlantoaxiale Subluxation

    Kleeblattform des Beckens (◘ Abb. 1.8)

    Anhand dieser typischen Zeichen kann die Einteilung nach Hanscom vorgenommen werden (◘ Tab. 1.4)

    ../images/318025_2_De_1_Chapter/318025_2_De_1_Fig6_HTML.jpg

    Abb. 1.6

    Röntgenaufnahme eines 3-jährigen Jungen mit Osteogenesis imperfecta und multiplen Frakturen in unterschiedlichen Abheilungsstadien. (Aus Hefti 2006)

    ../images/318025_2_De_1_Chapter/318025_2_De_1_Fig7_HTML.jpg

    Abb. 1.7

    Röntgenaufnahme der Wirbelsäule a.p. mit hochgradiger Thorakolumbalskoliose bei Osteogenesis imperfecta. (Aus Meurer 2008)

    ../images/318025_2_De_1_Chapter/318025_2_De_1_Fig8_HTML.jpg

    Abb. 1.8

    Kleeblattform des Beckens bei OI

    Tab. 1.4

    Einteilung der OI nach Hanscom

    Differenzialdiagnostik

    Battered-Child-Syndrom

    Juvenile Osteoporose-Syndrome

    Therapie

    Die Behandlung ist symptomatisch und orientiert sich an der Schwere des Verlaufs sowie den funktionellen Behinderungen

    3 Therapiesäulen der OI: Physiotherapie, Bisphosphonattherapie und Marknagelung

    Konservative Therapie

    Physiotherapie: Verbessert die Gelenkfunktion und Muskelkraft

    Bisphosphonate: Senken die Frakturhäufigkeit und verbessern die Mobilität. Die Metaphysen verbreitern sich. Radiologisch zeigen sich temporär transversale Sklerosierungslinien nach jeder Medikamentengabe. Da die Knochenheilung verzögert wird, sollte nach Umstellungsosteotomien erst nach sicherer Heilung die Therapie fortgesetzt werden. Die Dauer der Therapie wird kontrovers diskutiert, sollte aber die Wachstumsphase überdauern

    Frakturbehandlung: Bei Säuglingen und Kindern werden abhängig von der Frakturlokalisation und -schwere Lagerungsschienen oder Gipse angewandt

    Operative Therapie

    Frakturbehandlung: Mittel der Wahl sind elastische intramedulläre Kraftträger (K-Drähte, ESIN, Teleskopnägel), rigide Osteosyntheseverfahren sind kontraindiziert. Bestehende Deformierungen können in einer Sitzung gemeinsam mit der Fraktur korrigiert werden. Bei schwerer Verlaufsform sollten in einer operativen Sitzung präventiv gefährdete Knochen mitversorgt werden. Auf eine Metallentfernung wird regelmäßig verzichtet

    Deformitätenkorrektur: Oft indiziert. Grundsätzlich gilt:

    1. Bei moderaten Verläufen kann hierbei die Gehfähigkeit verbessert, bei schweren Verläufen eingeschränkt erreicht werden. Zum Einsatz kommen an den Röhrenknochen moderne Teleskopnägel (z. B. n. Fassier-Duval, Bailey-Dubow), die abhängig von der Knochenqualität bereits im Kleinkindalter eingesetzt werden. Zunehmend werden auch die Knochen der oberen Extremität begradigt, was zu einer verbesserten Mobilisation führt. Eine prophylaktische Nagelung bei zu erwartender Deformierung kann angezeigt sein

    2. Hochgradige Skoliosen erfordern meist ein operatives Vorgehen. Rein dorsale Spondylodesen sind oft ausreichend

    Prognose

    Lebenserwartung bei milden Verlaufsformen kaum eingeschränkt

    Als Faustregel gilt: Erreichen die Kinder bis zum 10. Lebensmonat das freie Sitzen, so ist Gehen häufig möglich und bleibt auch im Erwachsenenalter die Hauptfortbewegungsart

    Osteopetrose (OP)

    Grundlagen

    Synonyme: M. Albers-Schönberg, Marmorknochenkrankheit

    Definition: Heterogene Gruppe angeborener Skelettsystemerkrankungen mit resultierender ungerichteter Anhäufung von qualitativ minderwertigem Knochen und sekundärer Knochenmarkinsuffizienz. Es resultiert eine erhöhte Frakturgefahr und schlechte Frakturheilung

    Ätiologie und Pathogenese

    Klinische Hauptformen sind die infantile „maligne" autosomal-rezessive Osteopetrose (ARO), intermediäre autosomal-rezessive Formen (IARO) und milder verlaufende autosomal-dominante Subtypen (ADO); Typ 1 (ADOI), Typ 2 (ADOII, Albers-Schönberg-Krankheit). Unterschiedliche Genmutationen sind beschrieben (CLCN7, OSTM1 u. a.), wobei 10 Genmutationen für 70 % d. F. verantwortlich sind

    Pathogenetisch werden unterschieden

    Osteoklastenautonome Formen (häufigste Form): Störung in Differenzierung und Funktion der Osteoklasten oder ihrer Vorläuferzellen. Meist ist die Zellzahl im Knochenmark normal

    Nicht osteoklastenautonome Formen: Defekte in Osteoblasten oder Osteozyten. Bislang nur bei dem Sybtyp ADOI beschrieben

    Osteoklasten stammen von hämatopoetischen Vorläuferzellen ab, wodurch extraossäre Krankheitssymptome der OP erklärbar sind

    Epidemiologie

    Inzidenz: 1/200.000

    Klinik

    Abhängig vom Typ zeigen sich, selbst innerhalb einer Erkrankung, unterschiedliche Verlaufsformen

    Frakturgefährdung und schlechte Frakturheilung sind bei (fast) allen betroffenen Knochen vorhanden

    Infantile „maligne" OP: Lebenserwartung ohne Therapie eingeschränkt (1–10 Jahre)

    Osteosklerose aller Knochen mit proportioniertem Kleinwuchs, hyperostotischen Veränderungen der Schädelkalotte mit Makro-, gelegentlich Hydrozephalus, primärer Neurodegeneration, Choanalstenose und frühzeitigem Auftreten von Sehstörungen

    Hepatosplenomegalie (extramedulläre Hämatopoese bei Knochenmarkinsuffizienz mit Anämie und Thrombozytopenie), Infektneigung

    Hypokalzämie mit nicht selten schon im Neugeborenenalter auftretenden hypokalzämischen Krampfanfällen

    Intermediäre Formen (IARO): Sie zeigen komplettes Fehlen oder Vorhandensein von Symptomen der „malignen" OP. Eine renal-tubuläre Azidose kann bei einem Subtyp vorhanden sein. Die Lebenserwartung ist dementsprechend stark von der Symptomatik abhängig

    „Benigne" OP

    Die Erkrankung manifestiert sich meist ab der Pubertät. Die Lebenserwartung ist nicht eingeschränkt

    Es besteht eine generalisierte Osteosklerose mit Knochenschmerzen, jedoch kein Kleinwuchs, keine Sehstörungen, keine Hypokalzämiesymptomatik. Am Bewegungsapparat finden sich jedoch oft Skoliosen, Osteomyelitiden und Früharthrosen von Hüften und Knien bei Tendenz zu Coxa vara und Genua vara/valga. Der Unterkiefer ist oft vergrößert (kosmetisch oft störend)

    Der Subtyp ADOI zeichnet sich im Unterschied zu allen anderen Formen durch eine erhöhte Knochenstabilität aus

    Allenfalls moderate Hepatosplenomegalie bei diskreter Knochenmarkinsuffizienz

    Diagnostik

    Klinisches Erscheinungsbild

    Bildgebung (◘ Abb. 1.9)

    Starke Verdichtung und Sklerosierung des Knochens (Dreischichtung der Wirbelkörper als „Sandwich-Wirbel")

    Dia- und metaphysäre Streifung („Marmorknochen") mit metaphysärer Auftreibung (Keulenform)

    Labor: Anämie, Thrombopenie, ggf. Hypokalzämie; molekulargenetische Subtypisierung durch Mutationsnachweis

    Knochenbiopsie: Knochenmarksklerose nachweisbar

    ../images/318025_2_De_1_Chapter/318025_2_De_1_Fig9_HTML.jpg

    Abb. 1.9

    Röntgenaufnahme des Knies a.p. bei ausgedehnter Osteopetrose und Keulenform der Metaphysen

    Differenzialdiagnostik

    Intoxikationen (Fluorose, Beryllium-, Blei- und Wismutvergiftung)

    Myelofibrose

    Sklerosierende Form des M. Paget

    Malignome (Lymphom, osteoblastische Metastasen)

    Therapie

    Kausale Therapie: Allogene Knochen- bzw. Blutstammzelltransplantation (HSCT) kann bei autosomal-rezessiven Formen eingesetzt werden. Sie sollte aufgrund der Progredienz der Erkrankung so rasch wie möglich durchgeführt werden. Hierbei sind alle krankheitsspezifischen Symptome weitestgehend reversibel bis auf bereits eingetretene

    Störungen des Sehvermögens

    Minderwachstum

    Neurologische Störungen

    Symptomatische Therapie bei Tarda-Formen

    Schmerztherapie

    Konservative und operative Frakturversorgung

    Infektvermeidung, frühzeitige Antibiotikatherapie bei Osteomyelitis

    Prognose

    Die HSCT führt bei der infantilen Form teils zu Heilungsraten von 40–70 %

    Melorheostose

    Grundlagen

    Synonyme: Léri-Joanni-Syndrom, Kerzenwachskrankheit

    Definition: Angeborene, gutartige, aber progressive Hyperostose vorwiegend im Bereich der Extremitätenknochen

    Ätiologie und Pathogenese

    Alle Erkrankungsfälle beruhen auf einer Spontanmutation („loss-of-function") des LEMD3-Gens (kodiert Protein der inneren Kernmembran) mit Störung der enchondralen Ossifikation

    Pathogenetisch scheint ein früh embryonaler Defekt eines Somiten vorzuliegen, da die Melorheostose häufig sklerotombezogen auftritt (z. B. Befall von Humerus, Ulna, 4./5. Strahl) und auch Malformationen von Weichteilen vorkommen können. Meist ist nur ein Knochen (monostotisch) bzw. einzelne Knochen einer Extremität (monomelisch) betroffen. Selten ist der Befall der Wirbelsäule

    CAVE: Die Knochenstabilität ist nicht beeinträchtigt

    Histologisch besteht die Hyperostose aus lamellärem Knochen mit mehr oder weniger unreifen Anteilen im Sinne eines Knochenumbaus

    Gleichzeitiges Vorkommen verschiedener hyperostotischer Knochendystrophien (Osteopoikilie, Osteopathia striata) ist beschrieben („mixed sclerosing bone dystrophy")

    Epidemiologie

    Inzidenz: 1/1.000.000

    Klinik

    Der Krankheitsverlauf ist langsam fortschreitend. Meist besteht keine Symptomatik, und die Diagnose ist ein radiologischer Zufallsbefund. Die untere Extremität ist häufiger befallen als die obere

    Lokal mechanische Irritationen an Sehnen und Knochen führen teils zu Beschwerden

    Gelenkhypomobilität kann vorhanden sein und ist selten primär auf die lokal mechanische Störung der Hyperostose zurückzuführen, sondern basiert auf Weichteilbefall der Erkrankung mit Muskelkontraktur, -verknöcherung und Fibrose (u. a. sklerodermieartige Hautveränderungen, Hyperpigmentationen). Blut- und Lymphgefäße können ebenfalls fehlgebildet sein (Schwellung, Ödem, Schmerzen)

    Ist die Wachstumsfuge betroffen, kann es zu Knochenfehlwachstum (Beinlängendifferenz, Deviation) kommen

    Diagnostik

    Bildgebung (◘ Abb. 1.10)

    Projektionsradiografisch zeigen sich kortikale Hyperostosen mit periostaler und teils auch endostaler Ausdehnung ähnlich dem Wachs einer fließenden Kerze. Selten sind Weichteilverkalkungen und sogar -verknöcherungen zu sehen

    Die Ausdehnung kann epidiaphysär und sogar gelenküberbrückend sein

    MRT: Normales Knochensignal mit T1- und T2-Hypointensität

    Szintigrafie: Mehrspeicherung möglich

    Labor: Unauffällig

    ../images/318025_2_De_1_Chapter/318025_2_De_1_Fig10_HTML.jpg

    Abb. 1.10

    Röntgenaufnahme einer rechten Hand mit Melorheostose des 2. und 3. Mittelhandstrahls und teils der Handwurzel

    Differenzialdiagnostik

    Arthrogryposis multiplex congenita

    M. Paget

    Osteopoikilie

    Osteosarkom (bei lokalisierten Formen)

    Therapie

    Bei milden Verläufen ist keine Therapie notwendig

    Bei lokaler Beschwerdesymptomatik besteht die Möglichkeit der intraläsionalen Resektion der Herde. Knochendeformitäten und Kontrakturen werden nach den üblichen Standards therapiert. Amputationen bei therapieresistenten Schmerzen sind beschrieben

    Prognose

    Maligne Entartung in ein Osteosarkom ist beschrieben, aber umstritten (fraglich primäre Fehldiagnose)

    Osteopoikilie

    Grundlagen

    Synonyme: Osteopoikilose, Osteopathia condensans disseminata

    Definition: Angeborene, gutartige, sklerosierende Osteodysplasie des spongiösen Knochens mit resultierender Ossifikationsstörung

    Ätiologie und Pathogenese

    Autosomal-dominante Vererbung mit variabler Penetranz bzw. Spontanmutationen

    Der Erkrankung liegt eine Störung der enchondralen Ossifikation zugrunde

    Die Herde stellen sich als clusterartige Verdichtungszonen der Spongiosa dar. Die Kompakta ist nicht betroffen

    Histologisch entsprechen sie Kompaktainseln, d. h. lamellärem Knochen. Die Herde entstehen bereits intrauterin und weisen eine Zunahme oder Abnahme bis zum Abschluss des Wachstums auf. Im Erwachsenenalter zeigen sie sich i. d. R. stabil

    Die Herde sind klinisch meist ohne jegliche Relevanz. Sie weisen keine negativen Folgen auf Knochenstabilität oder Frakturheilung auf

    Beschriebene maligne Entartungen sind als Koinzidenz maligner Tumoren zu betrachten und stehen nicht im Zusammenhang mit einer Osteopoikilie. Selten sind progrediente Formen beschrieben

    Epidemiologie

    Inzidenz: 10/100.000

    Klinik

    In der Regel sind betroffene Patienten beschwerdefrei, und die Erkrankung wird als radiologischer Zufallsbefund entdeckt

    Assoziierte Störungen: Multiple Störungen bzw. Syndrome sind in Kombination mit einer Osteopoikilie beschrieben, u. a.:

    Haut: Dermatofibrose (Buschke-Ollendorf-Syndrom), Keloide, Sklerodermie, diskoider Lupus u. a.

    Skelett: Melorheostose, Tumoren (Osteochondrome, Chondromatose, Osteosarkom u. a.)

    Auge: Dacryocystitis (Gunal-Seber-Basaran-Syndrom)

    Diagnostik

    Bildgebung (◘ Abb. 1.11)

    Projektionsradiografisch zeigen sich multiple punktförmige (Durchmesser bis ca. 30 mm, durchschnittlich 10 mm) Osteosklerosen im spongiösen Knochen

    Befallen sind i. d. R. die Metaepiphysen der Röhrenknochen, Hand- und Fußwurzelknochen sowie Becken- und Schulterregion. Das Verteilungsmuster ist oft symmetrisch. Wirbelsäule und Schädel sind meist nicht befallen

    Szintigrafie: Keine Mehrspeicherung

    Labor: Unauffällig

    ../images/318025_2_De_1_Chapter/318025_2_De_1_Fig11_HTML.png

    Abb. 1.11

    Röntgenaufnahme der Hand mit Osteopoikilieherden

    Differenzialdiagnostik

    Osteome

    Knocheninfarkt

    Osteomyelitis

    Osteopathia striata

    Therapie

    Bei asymptomatischer Erkrankung keine Therapie nötig

    Bei progredienten Formen kann eine Bisphosphonattherapie versucht werden

    Prognose

    Die Osteopoikilie gilt i. d. R. als radiologischer Zufallsbefund ohne Krankheitswert

    Osteopathia striata (OS)

    Grundlagen

    Synonyme: Streifenförmige Osteopoikilose, Osteorhabdotose, Voorhoeve-Syndrom

    Definition: Angeborene, gutartige sklerosierende Osteodysplasie mit meist longitudinalen, streifenförmigen Skleroselinien

    Ätiologie und Pathogenese

    Einteilung

    OS der Röhrenknochen

    OS mit kranialer Sklerose (OSCS)

    Meist sind Spontanmutationen für die Erkrankung verantwortlich. Autosomal-rezessive und auch X-chromosomal-dominante (bei OSCS) Vererbungsmuster sind möglich. Eine Verwandtschaft zur Osteopoikilie wird angenommen

    Pathogenetisch könnte der OS neben einem prädisponierenden unklaren Gendefekt eine juvenil-metaphysäre Knochennekrose zugrunde liegen, wobei Verkalkungen der Nekrosen gepaart mit Längenwachstum die streifigen Skleroselinien erzeugen

    Die Herde sind im Bereich der Röhrenknochen klinisch meist ohne jegliche Relevanz. Im Bereich des Schädels und Gesichts können relevante Folgen entstehen

    Epidemiologie

    Inzidenz: 1/1.000.000

    Klinik

    OS der Röhrenknochen: In der Regel sind die Betroffenen beschwerdefrei und die Erkrankung wird als radiologischer Zufallsbefund entdeckt

    OSCS: Osteosklerose der Schädel- und Gesichtsknochen, Verdickung der Schädelbasis. Sehr variable Expressivität der Erkrankung mit unterschiedlichen Symptomen beruhend auf der Einengung betroffener Strukturen im Kopfbereich

    Erhöhte Knochenbrüchigkeit, chronische Gliederschmerzen

    Kopfschmerzen bei kraniofazialem Dysmorphismus (Makrozephalie mit ggf. Hydrozephalus, Hypertelorismus, Fazialisparese, Taubheit, Reduktion des Gesichtsfelds, Gaumenanomalien, Zahnprobleme, selten Ankylose des temporomandibulären Gelenks)

    Zusätzliche Anomalien kommen vor: Herzfehler (Ventrikelseptumdefekt, Aortenstenose), Wirbelsäulenanomalien (Skoliose, Spondylolisthesis), Analstenose, Klumpfuß, Klinodaktylie der Endphalangen, M. Hirschsprung, Pierre-Robin-Sequenz, Kranznahtsynostose, Hydrozephalus, Laryngotracheomalazie

    Diagnostik

    Bildgebung (◘ Abb. 1.12)

    Projektionsradiografisch zeigen sich meist longitudinale, parallel zur Kortikalis (diese nie betreffende) ziehende Skleroselinien, am Röhrenknochen metaphysär beginnend bis in die Diaphyse reichend

    Die Epiphysen der Röhrenknochen sind ausgespart, die Metaphysen sind teils aufgetrieben

    Szintigrafie: Keine Mehrspeicherung

    Labor: Unauffällig

    ../images/318025_2_De_1_Chapter/318025_2_De_1_Fig12_HTML.jpg

    Abb. 1.12

    Röntgenbefund bei Osteopathia striata

    Differenzialdiagnostik

    Knocheninfarkt

    Melorheostose

    Therapie

    Bei asymptomatischer OS der Röhrenknochen ist keine Therapie nötig

    OSCS: Symptomatische Therapie, wobei meist multiple Operationen an verschiedenen betroffenen Organen nötig sind

    Prognose

    OSCS: Abhängig von den Hauptpathologien kann eine reduzierte Lebenserwartung die Folge sein

    1.1.3 Marfan-, Ehlers-Danlos- und Larsen-Syndrom

    Marfan-Syndrom

    Grundlagen

    Definition: Systemische Erkrankung des Bindegewebes mit unterschiedlich kombinierten Symptomen an Herz, Kreislauf, Muskeln, Skelett, Augen und Lunge

    Ätiologie und Pathogenese

    Autosomal-dominanter Erbgang in ca. 60–70 % d. F. Der Rest beruht auf Neumutationen. Betroffen sind meist das Fibrillin-1-(FBN-1-)Gen oder selten das „Transforming growth factor (TGF) β-2"-Rezeptor-Gen. Fibrillin spielt eine entscheidende Rolle bei der Zugfestigkeit von Bindegewebe

    Epidemiologie

    Inzidenz: 1–2/10.000 Lebendgeburten. Paternales Alter gilt als Risikofaktor

    Klinik

    Erkrankungsbeginn kann jedes Alter sein. Die Beteiligung des Skeletts tritt meist zuerst in den Vordergrund. Orthopädisch am relevantesten ist die Beteiligung der Wirbelsäule

    Skelettsystem: Dolichostenomelie (lange Extremitäten), große Körpergröße, Arachnodaktylie, überstreckbare Gelenke, Pes planus, Skoliose (> 50 % der Patienten), Spondylolyse/-listhese, Deformationen des Thorax (Pectus carinatum/excavatum), Dolichozephalie (asymmetrisch lange, schmale Schädelform), Mikrognathie (hypoplastischer Ober-/Unterkiefer)

    Herz-Kreislauf-System: Dilatation der Aorta, Aortendissektion, Aortenklappeninsuffizienz, Mitralinsuffizienz mit Arrhythmien, Endokarditis und Herzinsuffizienz

    Auge: Myopie mit Retinaablösung, Linsenbeteiligung (Ektopie oder Luxation mit Gefahr der Erblindung)

    Haut: Striae

    Diagnostik

    Klinischer Habitus

    Bildgebung: Projektionsradiografisch zeigen sich typische Befunde

    Hand/Fuß: Lange Röhrenknochen, Hallux valgus, Pes planus, Daumengrundgelenkssubluxation

    Becken: Protrusio acetabuli (◘ Abb. 1.13), Epiphysiolysis capitis femoris

    Wirbelsäule: Skoliose (meist rechts-konvex; oft ausgeprägte Kyphose), Spondylolisthese, atlantoaxiale Instabilität, sakrale Meningozele

    Labor: Unauffällig

    ../images/318025_2_De_1_Chapter/318025_2_De_1_Fig13_HTML.jpg

    Abb. 1.13

    Röntgenaufnahme mit Protrusionscoxarthrose bei Marfan-Syndrom

    Differenzialdiagnostik

    Ehlers-Danlos-Syndrom

    Homocystinurie

    MASS-Syndrom u. a.

    Therapie

    Multidisziplinäre Therapie erforderlich

    Orthopädische Therapie

    Die Skoliose ist oft rasch progredient und wird deshalb im Verhältnis zu idiopathischen Skoliosen vorzeitiger operativ therapiert

    Cobb 20–40°: Korsettbehandlung

    Cobb > 40°: Operatives Vorgehen indiziert

    Die Gelenkhypermobilität sollte möglichst konservativ stabilisiert werden, da operative Stabilisierungen mit Ausnahme der Arthrodese oft unbefriedigende Ergebnisse erzielen

    Prognose

    Die Aortenbeteiligung bestimmt die Lebenserwartung

    Aufgrund Gelenkhypermobilität oft Früharthrose

    Ehlers-Danlos-Syndrom (EDS)

    Grundlagen

    Synonyme: Fibrodysplasia elastica generalisata, Cutis hyperelastica

    Definition: Heterogene, angeborenen Bindegewebserkrankung mit hauptsächlicher Manifestation im Bereich der Haut, Gefäße und Gelenke

    Ätiologie und Pathogenese

    Meist autosomal-dominanter Erbgang, teils auch Neumutationen

    Betroffen sind meist Gene, die direkt oder indirekt in die Kollagensynthese involviert sind (COL5A1, COL5A2, COL1A1 u. a.)

    Epidemiologie

    Inzidenz: 1–2/10.000 Lebendgeburten

    Klinik

    Erkrankungsbeginn kann jedes Alter sein. Unabhängig vom klinischen Typ scheinen diffuse muskuloskelettale Schmerzen klinisch häufig im Vordergrund zu stehen. Überlappungen der einzelnen Typen kommen häufig vor

    Hauptsymptome

    Klassischer Typ: Hyperelastische Haut, atrophe Narbenbildung, überbewegliche Gelenke

    Hypermobiler Typ: Hautbeteiligung, überbewegliche Gelenke

    Vaskulärer Typ: Dünne Haut im Bereich des Rumpfes, Rupturen von Arterien, inneren Organen und Uterus, Hämatome, charakteristische Fazies mit schmalen Lippen, gespannter Haut, schmaler Nase und prominenten Bulbi

    Kyphoskoliotischer Typ: Überbeweglichkeit der Gelenke, schwere Muskelhypotonie bei Geburt, progrediente angeborene Skoliose, Verletzlichkeit der Lederhaut

    Arthrochalasie-Typ: Überbeweglichkeit der Gelenke mit Subluxationen, angeborene beidseitige Hüftluxation

    Dermatosparaxis-Typ: Verletzliche Haut, überschüssige Haut

    Diagnostik

    Anamnese

    Hautbiopsie mit elektronenmikroskopischer Untersuchung (Beurteilung der Mikroarchitektur des Bindegewebes)

    Molekulargenetischer Mutationsnachweis

    Differenzialdiagnostik

    Marfan-Syndrom

    Cutis-laxa-Syndrom

    Therapie

    Multidisziplinäre Therapie erforderlich

    Allgemein gilt, dass durch konservative Maßnahmen die muskuloskelettalen Schmerzen teils gut beherrschbar sind

    Orthopädische Therapie: Siehe Marfan-Syndrom. Skoliosen sind im Verhältnis weniger häufig, neigen jedoch auch zu starker Progredienz

    Prognose

    Es besteht keine verminderte Lebenserwartung, außer bei Beteiligung der inneren Gefäße

    Larsen-Syndrom

    Grundlagen

    Definition: Heterogene, angeborene Bindegewebserkrankung charakterisiert durch multiple Gelenkluxationen, flache Fazies und Klumpfußstellungen

    Ätiologie und Pathogenese

    Autosomal-dominanter oder -rezessiver Erbgang, teils auch Neumutationen. Für die dominant vererbte Erkrankung konnte das betreffende Gen lokalisiert werden (FLNB-[Filamin-B-]Gen)

    Filamin spielt eine wesentliche Rolle in der Stabilität des Zytoskeletts u. a. von Chondrozyten. Zudem scheint eine enge Beziehung zwischen dem Filamin-Gen und dem Gen für Kollagen Typ VII zu bestehen

    Epidemiologie

    Inzidenz: 1/100.000 Lebendgeburten. Inzidenz von 1/1500 auf der Insel La Réunion (Indischer Ozean)

    Klinik

    Die Erkrankung tritt trotz heterogener Ausprägung bereits nach der Geburt durch die klinischen Symptome in Erscheinung

    Gelenkhypermobilität mit multiplen kongenitalen Gelenkluxationen, v. a. der großen Gelenke (◘ Abb. 1.14). Es entwickeln sich im Verlauf epiphysäre Deformitäten

    Kleinwuchs mit zervikaler Kyphose, Tortikollis

    Typische Fazies mit flachem Nasenrücken, Hypertelorismus, gelegentlich Gaumenspalte und Hörminderung, Intelligenzminderung in 15 %

    Brachy-, Syndaktylie, zylindrische Finger

    Assoziierte Symptome: Laryngotracheomalazie mit Larynxstenose, kardiovaskuläre Fehlbildungen (Aortenelongation, Herzklappenvitien u. a.)

    ../images/318025_2_De_1_Chapter/318025_2_De_1_Fig14_HTML.png

    Abb. 1.14

    Neugeborenes mit Larsen-Syndrom und Knieluxation links

    Diagnostik

    Klinisches Erscheinungsbild

    Bildgebung: Radiologisch zeigen sich typische Befunde

    Generalisierte Skelettretardierung

    Extremitäten: Bilaterale Radiusköpfchenluxation nach ventral (70 % d. F.), Kniegelenkluxation mit Tibialuxation nach ventral (80 % d. F.) und Patellaluxation nach lateral, Hüftluxation (80 % d. F.), Humerushypoplasie, breite und kurze Metakarpalia

    Wirbelsäule: Multiple Segmentationsstörungen, zervikale Kyphose mit Densmalformation, Skoliosen, Wirbelkörperdeformitäten

    Molekulargenetischer Mutationsnachweis

    Differenzialdiagnostik

    Spondyloepimetaphysäre Dysplasie

    Larsen-like-Syndrom (letal)

    Ehlers-Danlos-Syndrom

    Arthrogryposis multiplex congenita

    Therapie

    Wirbelsäule: Bei atlantoaxialer Subluxation bzw. zunehmender zervikaler Kyphosierung ist eine frühzeitige dorsale Stabilisierung mit Fusion indiziert. Progrediente Skoliosen werden ebenfalls operativ stabilisiert

    Periphere Gelenke: Eine frühzeitige Reposition sollte erfolgen. An den Hüften und Füßen gelingt dies praktisch nur operativ mit schwer vorhersagbarem Erfolg der Prozeduren. Knieluxationen können oft geschlossen reponiert werden

    Prognose

    Frühkindliche Letalität wird durch die Tracheomalazie bestimmt. Ist diese nicht wesentlich ausgeprägt, besteht eine nahezu normale Lebenserwartung

    1.1.4 Neurofibromatose (NF)von Recklinghausen

    Grundlagen

    Synonyme: NF-Typ 1, periphere NF

    Definition: Genetisch bedingte Systemerkrankung mit der Entstehung von multiplen Tumoren (u. a. Neurofibromen) im Bereich des Nervensystems sowie Befall von Haut, Augen und Knochen

    Ätiologie und Pathogenese

    Die orthopädisch relevante NF-Typ 1 wird zu den Phakomatosen (neurokutane Erkrankungen) gezählt und kann von der zentralen NF-Typ 2 unterschieden werden. Letztere zeichnet sich vor allem durch das Vorkommen von Tumoren des zentralen Nervensystems aus

    NF-Typ 1: Es besteht eine monogene Mutation auf Chromosom 17. Gut die Hälfte d. F. entstehen durch Spontanmutationen, der Rest zeigt einen autosomal-dominanten Erbgang

    Häufig auftretende Tumoren sind benigne Neurofibrome: Sie bestehen aus in Kollagenfasern eingebetteten neoplastischen Schwann-Zellen, Fibroblasten und perineuralen Zellen

    Neurofibrome unterscheiden sich von Schwannomen durch einen höheren Gehalt an bindegewebiger Substanz und die operativ schlecht mögliche Trennung vom Nerven (Funktionsausfall des Nerven bei Resektion des Neurofibroms)

    Epidemiologie

    Inzidenz NF-Typ 1: 1/3000 Lebendgeburten. NF-Typ 1 ist 10-mal häufiger als NF Typ-2. Männer sind häufiger betroffen

    Klinik

    Tumoren: Neurofibrome (erhöhtes Entartungsrisiko von 10 %), maligne Nervenscheidentumoren, Gliome u. a.

    Hautveränderungen: Café-au-lait-Flecken (99 %), Freckling („Sommersprossen") im Bereich beider Achselhöhlen bzw. der Leisten, Lisch-Knötchen (Hamartome der Iris), Elephantiasis

    Skelettveränderungen (ca. 33 %): Ausgeprägte Skoliosen und dystrophische Kyphoskoliosen, Knochenzysten mit pathologischen Frakturen, Tibiapseudarthrose (ca. 15 %), habituelle Luxationen bei Gelenkhypermobilität, Gigantismus einzelner Körperteile, Dysmorphie des Kopfes mit defekter Orbitahinterwand (pulsierender Exophthalmus)

    Diagnostik

    2 oder mehrere der folgenden Kriterien werden gefordert, um eine NF-Typ 1 sicher diagnostizieren zu können

    Mindestens 6 Café-au-lait-Flecken

    2 oder mehrere kutane oder subkutane Neurofibrome oder ein plexiformes Neurofibrom auf der Haut oder im Körperinneren

    Axilläres oder inguinales Freckling (Sommersprossenzeichnung)

    1 Optikusgliom

    Mindestens 2 Irisknötchen (Lisch-Knötchen)

    Knochenfehlbildungen (z. B. Fehlen oder Fehlanlage eines Knochens des Gesichtsschädels (Keilbeinaplasie bzw. -dysplasie), Krümmung der langen Röhrenknochen mit und ohne Pseudarthrosen, häufig des Schien- oder Wadenbeines)

    Verwandter 1. Grades mit NF-Typ 1

    Bildgebung: Schwere Formen der Skoliose zeigen typischerweise 3 Merkmale:

    Seitliche Keilwirbel

    Dorsale Wirbelkörpereinbuchtung („scalloping")

    Rippeneinziehungen („penciling")

    Differenzialdiagnostik

    McCune-Albright-Syndrom (siehe „fibröse Dysplasie)

    Watson-Syndrom (Café-au-lait-Flecken, Pulmonalstenose, Lernbehinderung)

    Therapie

    Multidisziplinäre Therapie erforderlich

    Tumoren werden engmaschig kontrolliert und bei ausgeprägter Beschwerdesymptomatik bzw. Entartungsverdacht entfernt (Gefahr: Funktionsverlust des Nerven)

    Orthopädische Therapie

    Die Skoliosen sind oft rasch progredient und nur bei den einfachen Formen konservativ therapierbar. Komplexere Formen benötigen meist ein kombiniert dorsoventrales Vorgehen

    Beinlängenunterschiede sollten engmaschig kontrolliert und bei Progress frühzeitig mittels Epiphysiodese therapiert werden. Verlängerungen des gesunden Beins bzw. Verkürzungen des betroffenen Beins sind hierbei die risikoreichere Variante (Pseudarthrosengefahr)

    Tibiapseudarthrose: Behandlung gilt als schwierig, da oft Rezidive auftreten (► Kap. 8)

    Prognose

    Meist besteht eine normale Lebenserwartung

    1.1.5 Down-Syndrom

    Grundlagen

    Definition: Die Trisomie 21 ist die häufigste Heredopathie und zeichnet sich bei Betroffenen durch das mehr oder weniger ausgeprägte Vorhandensein von typischen Pathologien des Herzens, gastrointestinalen Trakts und des Skelettsystems aus. Eine Intelligenzminderung besteht immer

    Ätiologie und Pathogenese

    Verdreifachung des Chromosoms 21 mit Entstehung eines Chromosomensatzes von 47

    Nahezu alle Fälle entstehen durch eine fehlerhafte Meiose. Wenige Fälle sind vererbt

    Die Trisomie kann als freie Form in allen Zellen (häufigste Form), in einem Teil der Zellen (Mosaik), als Translokationstrisomie (Chromosom 21 an anderes Chromosom angelagert) bzw. partielle Trisomie (Teil des Chromosoms 21 liegt dreifach vor) vorliegen. Die heterogene Ausprägung der Symptome kann dadurch teils erklärt werden

    Epidemiologie

    Inzidenz: 1/500–800 Lebendgeburten (häufigste Chromosomenveränderung). Die Inzidenz steigt mit dem Alter der Mutter sowie externen Noxen (ionisierende Strahlung). Männer sind von der Trisomie 21 häufiger betroffen

    Klinik

    Bereits bei Geburt zeigen sich typische Auffälligkeiten

    Typische Fazies mit nach außen oben geschrägten Lidachsen, Vierfingerfurche und Sandalenlücke (vergrößerter Abstand zwischen 1. und 2. Zehe). Herzfehler und gastrointestinale Anomalien erfordern teils ein frühzeitiges operatives Vorgehen

    Orthopädische Probleme: Generalisierte Hypotonie mit Gelenkhypermobilität führen zu Fußfehlstellungen (Pes planovalgus), Gelenk(sub)luxationen (Patella, Hüfte, Schulter) und atlantoaxialer Instabilität. Hüftkopfnekrosen und Epiphysiolysis capitis femoris treten häufiger auf

    Diagnostik

    Klinisches Erscheinungsbild

    Bildgebung: Radiologisch zeigen sich typische Befunde

    Becken („Kartenherzbecken"): Hüftdysplasie, Beckenkamm relativ lang und wenig gebogen, hypoplastische Ossa ischii, Coxa valga

    Genu valgum

    Chromosomenanalyse (Lymphozyten, ggf. Hautfibroblasten)

    Differenzialdiagnostik

    Andere Chromosomenanomalien

    Therapie

    Multimodale Therapien nötig (Herzfehler, gastrointestinale Anomalien)

    Orthopädische Therapie

    Hüftluxation: Sie kann primär postpartal oder sekundär im Kleinkindalter aufgrund der Bandlaxität entstehen. Hierbei sind oft operative Kapseleingriffe und bei bestehender Dysplasie Eingriffe am Knochen (z. B. Pemberton-, Dega-Osteotomie) erforderlich. Die Rezidivrate ist hoch

    Atlantoaxiale Instabilität: Sie betrifft zwar weniger als 10 % der Kinder, ist aber dann häufig symptomatisch (ca. 66 %). Eine operative Stabilisierung ist hierbei oft unumgänglich

    Früharthrosen der großen Gelenke kommen durch die Bandlaxität oft vor

    Patellofemorale Instabilität: Zunächst sollte konservativ vorgegangen werden. Eine operative Stabilisierung ist manchmal erforderlich

    Prognose

    Durch multimodale Therapiekonzepte besteht heute größtenteils eine fast normale Lebenserwartung (ca. 70 Jahre)

    1.1.6 Lipidosen

    Morbus Gaucher

    Grundlagen

    Definition: Häufigste, angeborene lysosomale Speicherkrankheit (Lipidose) mit primärer Beteiligung des Skelettsystems und innerer Organe

    Ätiologie und Pathogenese

    Es besteht meist ein autosomal-rezessiver, selten ein autosomal-dominanter Erbgang

    Die Mutation liegt auf Chromosom 1 (ca. 250 beschriebene Mutationen) und betrifft die Glukozerebrosidase, die eine elementare Rolle im Abbau von Zellmembranen gealterter Zellen spielt. Hierdurch kommt es zur Kumulation von Glukozerebrosiden in Makrophagen (Gaucher-Zellen) und dem Beginn einer Kaskade entzündlicher Prozesse innerhalb betroffener Organe

    Einteilung (◘ Tab. 1.5): Je nach Vorhandensein oder Fehlen von neurologischen Symptomen

    Epidemiologie

    Inzidenz: 1/50.000. Deutlich erhöhte Inzidenz (bis 1:1.500) unter Angehörigen der aschkenasisch-jüdischen und türkischen Bevölkerungsgruppe

    Tab. 1.5

    Einteilung Morbus Gaucher

    Klinik

    Die Symptomatik kann sehr heterogen sein. Häufige Erstsymptome bei adulten Formen sind eine chronische Müdigkeit und Blutungsneigung. Eine Knochenbeteiligung findet sich in ca. 90 % d. F.

    Knochen: Durch die Infiltration mit Gaucher-Zellen entstehen Wachstumsstörungen mit verzögerter Pubertät, Spontanfrakturen und Nekrosen (v. a. Hüftkopf). Gefürchtet sind auch „Knochenkrisen" mit akuten, teils tagelang persistierenden Knochenschmerzen v. a. der proximalen Tibia und des Femurs aufgrund einer ossären Ischämie. In Knochennekrosen können sich Osteomyelitiden entwickeln

    Innere Organe: Hepatosplenomegalie mit Thrombozytopenie (mit Blutungsneigung), Anämie, Infektneigung, im Verlauf Leberzirrhose

    Nervensystem: Geistige Behinderung und Bewegungsstörungen

    Diagnostik

    Enzymtestung der β-Glukozerebrosidase in Leukozyten

    Bildgebung

    Osteopene Knochenstruktur vorwiegend des hämatopoetisch tätigen Knochens (Wirbelsäule, Becken, Metaepiphysen langer Röhrenknochen) mit multiplen, oft geografischen Osteolysen und Ausdünnung der Kortikalis

    Knochennekrosen (v. a. Hüftkopf) und pathologische Frakturen

    Erlenmeyer-Verformung: Auftreibung der Metaphysen von Röhrenknochen (◘ Abb. 1.15)

    Molekulargenetischer Nachweis der Mutation

    ../images/318025_2_De_1_Chapter/318025_2_De_1_Fig15_HTML.jpg

    Abb. 1.15

    Röntgenaufnahme mit Auftreibung der distalen Femurmetaphyse und proximalen Tibiametaphyse (Erlenmeyer-Verformung) bei M. Gaucher

    Differenzialdiagnostik

    Leukämie

    Osteomyelitis

    M. Perthes

    M. Niemann-Pick

    Autosomal-rezessiv vererbte Lipidose mit ähnlicher Symptomatik wie beim M. Gaucher. Wesentliche Unterschiede sind aus orthopädischer Sicht das Fehlen von Knochennekrosen und die geringere Häufigkeit geografischer Osteolysen

    Therapie

    Infusionstherapie mit gentechnologisch hergestellten Glukozerebrosidasen (ca. 2-wöchige Infusionstherapie) bei Typ 1 und 3; ggf. Stammzelltransplantation

    Orthopädische Therapie

    Es besteht eine erhöhte perioperative Komplikationsrate durch die Blutungsneigung und schlechte Knochenheilung

    Pathologische Frakturen entstehen bei Kindern oft kniegelenksnah und im Bereich vom Schenkelhals. Meist werden sie konservativ behandelt

    Hüftkopfnekrosen: Häufig ist eine Gelenkersatztherapie nötig

    Kyphotische Wirbelsäulenfehlstellungen bedürfen oft einer operativen Stabilisierung

    Prognose

    Abhängig von der Verlaufsform und einer frühzeitigen Enzymersatztherapie

    1.1.7 Mukopolysaccharidosen (MPS)

    Grundlagen

    Synonym: Dysostosis multiplex

    Definition: Heterogene Gruppe lysosomaler Speicherkrankheiten mit enzymatischem Defekt des Abbaus von Glykosaminoglykanen (GAG). Betroffen sind meist Knochen, innere Organe, das zentrale Nervensystem sowie die Augen

    Ätiologie und Pathogenese

    Es besteht meist ein autosomal-rezessives Vererbungsmuster

    Die lysosomale Speicherung der nicht abgebauten GAGs führt teils zum Zelltod und zur Induktion einer Entzündungskaskade mit Organschädigung. Weiter kommt es zu einer pathologischen GAG-Ausscheidung im Urin

    Epidemiologie

    Prävalenz: 1,7/1.000.000

    Klinik

    Die Symptomatik kann sehr heterogen sein und ist meist bei Geburt noch nicht vorhanden. Oft besteht im Verlauf eine psychomotorische Retardierung

    Die schweren Formen der MPS sind sich in ihrer Symptomatik sehr ähnlich. Im frühen Kindesalter treten gehäuft Atemwegsinfektionen, Nabel- und Leistenbrüche sowie Hepatosplenomegalien auf

    Skelettsystem: Kleinwuchs, dysmorpher großer Kopf mit Hypertelorismus, breiter Nase und Hornhauttrübung (Gargoylismus). Muskelhypo- und -hypertonien (Spastik). Skoliosen und Kyphosen kommen oft vor

    Diagnostik

    Enzymtestung in Leukozyten oder Fibroblasten

    Bildgebung

    Becken: Weinglasaspekt des Beckeneingangs, breite Beckenschaufeln mit flachem Pfannendach und Coxa valga, unregelmäßige Femurkopfepiphysen (◘ Abb. 1.16)

    Röhrenknochen: Häufig breit und kurz mit kortikaler Ausdünnung

    Rippen (Säugling): Typischerweise breite Rippen dorsalseitig (normalerweise ventralseitig)

    Wirbelsäule: Platyspondylie, hakenartige Ausziehung des ventralen Wirbelkörpers, thorakolumbale Kyphoskoliose, Axishypoplasie mit atlantoaxialer Instabilität

    Molekulargenetischer Nachweis der Mutation

    ../images/318025_2_De_1_Chapter/318025_2_De_1_Fig16_HTML.jpg

    Abb. 1.16

    Röntgenaufnahme bei MPS mit typischen Veränderungen

    Differenzialdiagnostik

    Multiple epiphysäre Dysplasie

    Down-Syndrom

    Therapie

    Multimodale Therapie notwendig

    Enzymersatztherapie sowie homologe Stammzelltransplantation zeigt abhängig vom Subtyp teils gute Erfolge

    Orthopädische Therapie: Atlantoaxiale Instabilitäten bzw. ausgeprägte thorakolumbale Kyphosen benötigen oft eine operative Therapie. Umstellungsosteotomien sind am proximalen Femur sowie am Rückfuß oft nötig

    Prognose

    Lebenserwartung abhängig von kardiopulmonalen Anomalien

    1.1.8 Hämophile Arthropathie

    Grundlagen

    Definition: Erkrankung des Skelettsystems aufgrund rezidivierender Blutungen durch angeborene Gerinnungsstörungen

    Ätiologie und Pathogenese

    Einteilung der Hämophilien: ◘ Tab. 1.6

    Die Arthropathie entsteht als Folge intra- und periartikulärer Blutungen v. a. an mechanisch exponierten Gelenken (am häufigsten Kniegelenk, gefolgt von Ellenbogen-, Sprung-, Hüft- und Schultergelenk). Weichteileinblutungen finden sich typischerweise in den Mm. rectus abdominis und Iliopsoas

    Epidemiologie

    Prävalenz

    Hämophilie A (85 %)/B (15 %): 1/10.000. Es sind fast nur Männer betroffen

    von-Willebrand-Syndrom: 1/100, wobei nur jeder 100. symptomatisch wird

    Tab. 1.6

    Einteilung der Hämophilien

    Klinik

    Hämophilie-Patienten bluten nicht früher als Gesunde, sondern länger. Je nach Ausprägung der Erkrankung kann es somit bei banalen Verletzungen zu schwersten Blutverlusten kommen

    Kleinkinder zeigen regelhaft erste Blutungen, wobei die Anzahl im Erwachsenenalter aufgrund einer erhöhten Sensibilität für die Erkrankung abnimmt

    Die Wahrscheinlichkeit für eine Arthropathie nimmt ab 3 Gelenkeinblutungen pro Jahr deutlich zu, die Schwere korreliert indirekt mit der Aktivität der Gerinnungsfaktoren. Letztlich entwickeln ca. 80 % der Patienten eine Arthropathie

    Klinisch im Vordergrund steht die progrediente Gelenkzerstörung mit zusätzlicher muskulärer Imbalance aufgrund Gelenkkontrakturen

    Weichteileinblutungen können verkalken oder reaktiv zu Knochenneubildung führen (hämophiler Pseudotumor)

    Interessanterweise entwickeln die Patienten auffällig selten bakterielle Arthritiden

    Diagnostik

    Bildgebung: Stadien der hämophilen Arthropathie n. Arnold/Hilgartner (◘ Tab. 1.7)

    Labor: Blutungszeit und INR sind nicht verändert. Die aPTT ist verlängert. Verminderte Einzelfaktoraktivitäten beweisen die Erkrankung

    Je nach Faktorenaktivität wird unterschieden

    Leichte Hämophilie: 6–15 %

    Mittelschwere Hämophilie: 1–5 %

    Schwere Hämophilie: < 1 %

    Tab. 1.7

    Stadien der hämophilen Arthropathie n. Arnold/Hilgartner

    Differenzialdiagnostik

    Sekundäre Gerinnungsstörungen (z. B. Tumorerkrankung, medikamenteninduziert)

    Therapie

    Kausale Therapie: Faktorensubstitution. Sie verzögert den natürlichen Verlauf der Arthropathie und findet i. d. R. als intravenöse Selbstbehandlung statt

    Bedarfstherapie (v. a. bei Erwachsenen und leichten/mittelschweren Hämophilien): Direkt nach Trauma oder situationsbedingt prophylaktisch

    Dauerprophylaxe (v. a. bei Kindern und schwerer Hämophilie): Langzeittherapie mit mehrfachen Infusionen wöchentlich

    Orthopädische Therapie

    Orthesenversorgung, Schuhzurichtung, Physiotherapie

    Synoviorthese (prophylaktisch) durch Instillation von Radiopharmaka (z. B. Yttrium-90) oder sklerosierenden Substanzen (z. B. Rifampicin)

    Akuter Hämarthros: Faktorensubstitution, Ruhigstellung, physikalische Maßnahmen; ggf. Punktion/Gelenkspülung mit Synovektomie bei massiven Blutungen

    Fortgeschrittene Arthropathie: Gelenkersatz, Arthrodese

    Prognose

    Unbehandelt führt die Hämophilie-Arthropathie bereits im jungen Alter zur Gelenkzerstörung

    1.2 Erworbene Skelettsystemerkrankungen

    1.2.1 Osteoporose

    Grundlagen

    Definition: Skeletterkrankung mit Verlust bzw. Verminderung von Knochenmasse, -struktur, und -funktion und daraus resultierender erhöhter Frakturgefahr

    Ätiologie und Pathogenese

    Multifaktorielle Ätiologie. Genetische Faktoren (HLA-A2/B7 mit relativem Osteoporoserisiko > 30), Mangel-, Fehlernährung u. a.

    Größte Risikofaktoren: Alter, weibliches Geschlecht, BMI < 20, elterliche osteoporotische Frakturen und eigene frühere osteoporotisch bedingte Frakturen

    Einteilung: ◘ Tab. 1.8

    Die Knochenmasse nimmt bei beiden Geschlechtern bis zum ca. 30. Lebensjahr kontinuierlich zu („peak bone mass) und ab dem 40. Lebensjahr um ca. 0,5 %/Jahr ab. Frauen erreichen gewichtsadaptiert 10–30 % weniger Knochenmasse als Männer, beginnen, aufgrund des Östrogenmangels, ca. 5 Jahre früher mit dem Abbau und verlieren die ersten 3–10 Jahre in der akzelerierten Phase (High-turnover-Osteoporose) bis über 5 %/Jahr an Knochenmasse (<3 %/Jahr: „slow-loser; >3 %/Jahr: „fast-loser")

    Die Kompakta macht 80 % der Gesamtmasse des Skelettknochens aus (20 % Spongiosa). Der Gesamtmasseverlust liegt im Alter physiologischerweise bei ca. 15 % (50 % Spongiosa, 5 % Kompakta), wobei der Kompaktaverlust ca. 8 Jahre später eintritt als der Spongiosaverlust. Bei Osteoporose erfolgt der Masseverlust früher und rascher (negative Knochenbilanz)

    Epidemiologie

    Prävalenz stark altersabhängig. 6,5 Millionen Osteoporose- und Osteopeniepatienten in Deutschland (80–90 % Frauen). 20 % aller Frauen entwickeln nach der Menopause eine klinisch relevante Osteoporose

    Tab. 1.8

    Form und Einteilung der Osteoporose

    Klinik

    Klinische Stadien: Definition anhand des T-Wertes (s. u.) und Folgen der Osteoporose

    Osteopenie: T-Wert -1 bis -2,5

    Osteoporose: T-Wert < -2,5

    Manifeste Osteoporose: osteoporsebedingte Frakturen vorhanden

    Fortgeschrittene Osteoporose: zusätzlich osteoporosebedingte Deformitäten

    Knochenschmerzen v. a. im Rückenbereich

    Frakturen ohne adäquates Trauma

    Wirbelsäule: Gibbusbildung bei thorakaler Hyperkyphose und zervikolumbaler Hyperlordose, Abnahme der Körpergröße, Tannenbaumphänomen (typische Hautfaltung am Rücken bei Wirbelkörpersinterung)

    Diagnostik

    Eine Osteoporoseabklärung sollte bei einem kalkulierten Frakturrisiko von 20 %/10 Jahren durchgeführt werden. Die primäre Osteoporose ist eine Ausschlussdiagnose (alleinige DXA-Messung beweist keine Osteoporose, da Differenzialdiagnosen wie Hyperparathyroidismus oder Osteomalazie ebenfalls pathologische Werte erzielen können)

    Basisdiagnostik: Anamnese, klinischer Befund und DXA-Knochendichtemessung (s. u.)

    Bildgebung: Zeichen der Osteoporose zeigen sich am besten an LWS, BWS, proximalem Femur und Handskelett. Radiologisch erkennbar ist ein Knochendichteverlust ab 30 %. Typische Röntgenveränderungen sind:

    Wirbelsäule (◘ Abb. 1.17, ◘ Tab. 1.9): Zu Beginn treten die Kompakta und vertikale Spongiosatrabekel stärker hervor (Strukturvergröberung, Rahmenwirbel). Über einen kompletten Verlust der horizontalen Trabekel entsteht ein Fischwirbel mit konkaver Deck- und Grundplatte und schließlich Flach- bis Keilwirbel bei stattgehabter Fraktur

    Frische Wirbelkörperfrakturen zeigen im Gegensatz zu alten eine grund- bzw. deckplattennahe Verdichtungszone (komprimiertes Knochenmaterial)

    Becken: Coxa vara mit Coxa profunda

    DXA-Osteodensitometrie („dual-energy X-ray absorptiometry"; auch DEXA genannt): Standarddiagnostikum bei Osteoporose; Technik: Anhand der Messungen mittels zweier unterschiedlich energiereicher Strahlen kann der weichteilbedingte Absorptionsanteil ermittelt und eliminiert werden

    Gemessen wird an der LWS (L1–4; frakturierte/defekte Wirbelkörper können aus der Berechnung ausgeschlossen werden) und proximalem Femur (Oberschenkelhals, Ward-Dreieck, Trochanterregion, Schaft), wobei der niedrigste Wert ausschlaggebend ist

    Bei nachgewiesener Osteoporose sollte alle 2 Jahre die Messung wiederholt werden

    T-Wert: dimensionslose Zahl; Standardabweichung zur „peak-bone-mass" eines gesunden, geschlechtsgleichen 30-jährigen Menschen

    I. –1 bis –2,5: Osteopenie

    II. < –2,5: Osteoporose

    Z-Score: Standardabweichung der gemessenen Knochendichte vom Mittelwert einer altersentsprechenden, gesunden Vergleichsgruppe, in der Praxis mit wenig Relevanz

    Quantitative CT-Messverfahren (QCT) bieten zwar die Möglichkeit, Kompakta und Spongiosa getrennt zu analysieren, bei jedoch geringerer Genauigkeit der Knochendichtemessung und höherer Strahlenbelastung bleibt ihr Einsatz speziellen Fragestellungen vorbehalten

    Basislabordiagnostik zum Ausschluss eines Plasmozytoms, Hyperparathyroidismus und Osteomalazie: CrP, BSG, Differenzialblutbild, Kalzium, Phosphat, γ-GT, AP, Kreatinin, Serumeiweißelektrophorese, TSH, evtl. erweiterte Hormonabklärung (Testosteron, Östrogen, Vitamin D3, PTH)

    ../images/318025_2_De_1_Chapter/318025_2_De_1_Fig17_HTML.jpg

    Abb. 1.17

    Röntgenaufnahme der Wirbelsäule mit Nachweis typischer Rahmenwirbelkonfiguration und multipler Deck- und Grundplattenfrakturen

    Tab. 1.9

    Einteilung osteoporotischer Wirbelkörperfrakturen nach Genant

    Differenzialdiagnostik

    Malignome

    Osteomalazie

    Therapie

    Kausale Therapie bei sekundärer Osteoporose (Hormonsubstitution u. a.)

    Symptomatische Therapie

    Sturzvermeidung durch Hilfsmittel, Muskelkräftigung, Koordinationsschulung; Untergewicht vermeiden, ausgewogene Ernährung, Rauchen vermeiden

    Analgetika bei Knochen-, Frakturschmerz

    Medikamentöse Therapie

    Die Basistherapie sollte bei einem Frakturrisiko (Wirbelsäule und proximales Femur) von 20 %/10 Jahre eingeleitet werden, die spezielle medikamentöse Therapie erst bei einem Frakturrisiko von 30 %/10 Jahre

    Basistherapie: Supplementation mit 500 mg Kalzium und 1000–2000 I.E. Vitamin D3

    Spezielle medikamentöse Therapie: ◘ Tab. 1.10, Indikation bei

    > 30 %igem Frakturrisiko/10 Jahre (◘ Tab. 1.11) oder

    Vorhandensein von Risikofaktoren, die den T-Wert adaptieren (◘ Tab. 1.12)

    Nachweis einer osteoporotischen Wirbelkörperfraktur (ab Grad 2) und T-Score < -2,0 oder

    mehr als einer osteoporotischen Wirbelkörperfraktur (ab Grad 1) unabhängig vom T-Score

    Derzeit sind keine genauen Daten bezüglich der Dauer der Therapie verfügbar. Eine spezielle medikamentöse Therapie (◘ Tab. 1.10) ohne entsprechende Basistherapie mit ausreichend Kalzium und Vitamin D3 führt nur zu einem unzureichendem therapeutischen Erfolg

    Operative Therapie

    Kypho-, Vertebroplastie: Bei gescheiterter konservativer Therapie über 3 Wochen und nach Ausschluss anderer beschwerdeursächlicher (meist degenerativer) Veränderungen

    Vorteile: meist sofortige Schmerzbesserung, Verbesserung des sagittalen Wirbelsäulenprofils dauerhaft um ca. 5°

    Nachteile: OP-Komplikationen (z. B. Zementembolien), mögliche Anschlussfrakturen aufgrund der Zementsteifigkeit

    Tab. 1.10

    Wirkstoff und Eigenschaften

    Tab. 1.11

    T-Grenzwerte in Abhängigkeit von Lebensalter und Geschlecht, die mit einem ca. 30 %-igen Frakturrisiko (Wirbelsäule/Schenkelhals) assoziiert sind und somit die Indikation zur speziellen medikamentösen Therapie darstellen

    Tab. 1.12

    Bei Vorliegen der folgenden Risikofaktoren wird eine Anhebung der Therapieschwelle aus Tab. 1.11 empfohlen

    Prognose

    Osteoporotische Frakturen mit konsekutiv entstehenden Komplikationen führen zu erhöhter Mortalität (10–20 % im ersten Jahr nach Schenkelhalsfraktur, ca. 20 % innerhalb von 5 Jahren nach Wirbelkörperfraktur)

    1.2.2 Osteomalazie/Rachitis

    Grundlagen

    Definition: Ungenügende Mineralisation des Osteoids beim wachsenden (Rachitis) oder ausgewachsenen Skelett (Osteomalazie)

    Ätiologie und Pathogenese

    Ätiologisch spielt Vitamin D die zentrale Rolle, d. h. ein Vitamin-D-Mangel, Vitamin-D-Stoffwechselstörungen, primäre Kalziummangelzustände oder Phosphatstoffwechselstörungen kommen als Ursache infrage

    Z. B. Malassimilation, Fehlernährung, unzureichende UV-Bestrahlung, Enzymmangel der Vitamin-D-Biosynthese (Leberzirrhose, Niereninsuffizienz, genuin), Medikamente (Antikonvulsiva, aluminiumhaltige Antazida)

    Die orthopädische Symptomatik kann zumindest teilweise durch den weichen und biegsamen Knochen erklärt werden

    Epidemiologie

    Prävalenz in westlichen Ländern gering. Betroffen sind in Deutschland v. a. ältere Menschen mit wenig Sonnenexposition und einseitiger Ernährung bzw. Menschen mit dunkler Hautpigmentierung oder ganzjähriger Ganzkörperbekleidung (z. B. kulturell bedingte Vollverschleierung)

    Klinik

    Klinisch oft lange asymptomatisch

    Bei Vorstellung besteht oft schon seit längerem eine unspezifische Symptomatik aus Adynamie mit Muskelschwäche und Watschelgang, Konzentrations- und Schlafstörungen oder Depression

    Skelettschmerzen, als periostaler Dehnungsschmerz aufgrund des biegsamen Knochens, treten typischerweise diffus auf (Mammamia-Syndrom) und können im Verlauf zu Immobilität mit Bettlägerigkeit führen

    Typisch ist ein unverhältnismäßig starker Druckschmerz am Sternum und der Tibiavorderkante. Knochendeformierungen (Genu varum, Coxa vara, Kyphoskoliosen) entstehen im fortgeschrittenen Stadium

    Bei Kindern findet sich zudem eine Erweichung des Schädelknochens (sog. Kraniotabes) und im Verlauf eine Abplattung des Kopfes (Caput quadratum)

    Diagnostik

    Anamnese und klinische Untersuchung. Eine begleitende Osteoporose gilt es auszuschließen

    Bildgebung: Der Knochen ist transparenter und verwaschener, Knochendeformierungen mit Fischwirbelbildung, Skoliosen und Kyphosen sowie Achsabweichungen der Röhrenknochen sind zu beobachten

    Looser-Umbauzonen (benannt nach dem Schweizer Chirurgen Emil Looser (1877–1936); nicht verkalktes Osteoid mit ggf. Entstehung einer Insuffizienzfraktur): Aufhellungslinien typischerweise am lateralen Skapulablatt, im Bereich des Os ilium, der ehemaligen Synchondrosis ischiopubica sowie als quer zur Schaftachse verlaufende Linien in Röhrenknochen (◘ Abb. 1.18). Bei multiplem Auftreten spricht man vom Milkman-Syndrom

    Frakturen im Sinne von Kontinuitätsunterbrechungen sind aufgrund der erhöhten Elastizität des osteomalazischen Knochens eher selten

    Rachitiszeichen: Es überwiegt eine Auftreibung der Wachstumsknorpel und Anlagerung von Osteoid mit „rachitischem Rosenkranz" an den Rippen, „Doppelhöcker″ (Marfan-Zeichen) an Hand- und Fußgelenken (◘ Abb. 1.19), „Perlschnurfingern und Erweiterung der unteren Brustkorböffnung („Glockenthorax)

    Labor: Erhöhung AP (Leitbefund); Vitamin-D3-Metabolite (25[OH]-Vitamin-D3-Mangel, Calcitriol oft noch im Normbereich), ggf. Hypokalzämie und Hypophosphatämie; bei Niereninsuffizienz Hyperphosphatämie. Erhöhung intaktes PTH bei sekundärem Hyperparathyroidismus

    Knochenbiospie nach vorheriger, mehrfacher Tetrazyklinmarkierung in unklaren Fällen

    ../images/318025_2_De_1_Chapter/318025_2_De_1_Fig18_HTML.png

    Abb. 1.18

    Demineralisation mit unscharfer inneren Kortikalisbegrenzung und reduzierter Trabekulierung der Schambeinäste. Diskrete rechtsbetonte Knochenverbiegung am Übergang von Acetabulum zu oberem Schambeinast. Mehrere unterschiedlich alte Pseudofrakturen = Looser-Umbauzonen beider unterer Schambeinäste, sich als unscharfe Frakturspalten und als sklerosierte Querlinien präsentierend

    ../images/318025_2_De_1_Chapter/318025_2_De_1_Fig19_HTML.png

    Abb. 1.19

    Rachitiszeichen an der Hand: Becherförmige strähnige Deformierung der Metaphysenendplatte von Radius und Ulna. Ausgedünnte Kortikalis von Radius/Ulna und Hand- sowie Fingerknochen mit verminderter Knochendichte

    Differenzialdiagnostik

    Fibromyalgie-Syndrom

    Osteoporose

    Therapie

    Kausale Therapie bei Vitamin-D-Mangel durch Substitution oral oder subkutan, ggf. Kombination mit Kalzium/Phosphat

    Prognose

    Abhängig von der Grunderkrankung ist die Osteomalazie/Rachitis heilbar

    1.2.3 Hyperparathyroidismus (HPT)

    Grundlagen

    Synonyme: M. von-Recklinghausen, Ostitis fibrosa cystica generalisata

    Definition: Nebenschilddrüsenüberfunktion mit gesteigerter Parathormonsekretion und progressiver Entkalkung des Knochens

    Ätiologie und Pathogenese (◘ Tab. 1.13)

    Tab. 1.13

    Ätiologie und Pathogenese des HPT

    Epidemiologie

    Prävalenz ca. 1 %. Manifestationszeitpunkt meist nach dem 65. Lebensjahr

    Klinik

    Fast 90 % der Patienten sind asymptomatisch, und die Diagnose ist ein serologischer Zufallsbefund. Ca. 10 % haben Nierensteine, und nur 2 % leiden an einer Ostitis fibrosa

    Die klassische Trias der „Stein-, Bein-, Magenpein" ist selten

    Unspezifische Symptome: Unwohlsein, Vergesslichkeit, depressive Verstimmung, gesteigerte Ermüdbarkeit, Schwäche und Atrophie der proximalen Extremitätenmuskeln, leichte Übelkeit, Obstipation, Polydipsie

    Skelettmanifestationen

    Initial Rücken-, Kreuz-, Hüft- und Beinschmerzen nach Anstrengungen, oft als Rheumatismus, Lumbalgie oder beginnende Coxarthrose fehlgedeutet

    Kyphoskoliose mit Hühnerbrust, Verschwinden der Lendenlordose

    Verkürzung und Auftreibung der Fingerendglieder

    Abnorme Knochenbrüchigkeit, Spontanfrakturen der Extremitätenknochen und Wirbelkörper

    Bei Kieferbeteiligung Lockerung und Verlust gesunder Zähne

    Im Spätstadium heftige nächtliche Knochenschmerzen, außerdem Gangstörungen durch Muskelschwäche

    Komplikationen: Hyperkalzämische Krise (Koma bis Herz-Kreislauf-Versagen), Kalkmetastasen (Kalziumphosphatniederschläge in inneren Organen und periartikulären Weichteilen)

    Diagnostik

    Diagnosesicherung anhand der typischen Laborparameter (◘ Tab. 1.14)

    Hyperkalzämie (> 2,6 mmol/l)

    Intaktes PTH (> 60 pg/l)

    AP oft erhöht, Phosphat bei primärem HPT erniedrigt, bei sekundärem HPT aufgrund Niereninsuffizienz erhöht

    Bildgebung: Ausgedehnte Demineralisierung des Skeletts, Spongiosierung der Kompakta mit subperiostalen Resorptionslakunen, Knochenzysten mit Akroosteolysen (◘ Abb. 1.20), braune Tumoren (◘ Abb. 1.21) und starke Bindegewebewucherung im Knochenmark. Im Verlauf Chondrokalzinose, Wirbelkörpersinterungen und Spontanfrakturen

    DXA-Messung: Es zeigt sich frühzeitig eine Knochendichteabnahme

    Tab. 1.14

    Formen des Hyperparathyroidismus

    ../images/318025_2_De_1_Chapter/318025_2_De_1_Fig20_HTML.png

    Abb. 1.20

    Röntgenbild bei sekundärem Hyperparathyroidismus mit typischer Spongiosierung der Kompakta und Akroosteolysen

    ../images/318025_2_De_1_Chapter/318025_2_De_1_Fig21_HTML.png

    Abb. 1.21

    Zystische Knochendefekte der Metakarpaleköpfchen II–IV, dem distalen Radius und Ulna (braune Tumoren)

    Differenzialdiagnostik

    Tumor-Hyperkalzämie

    Hyperkalzämie-Syndrome

    Therapie

    Primärer HPT

    Konservative Therapie: Normale Flüssigkeits- und Salzzufuhr, insbesondere keine kalziumarme Diät (→ PTH-Steigerung)

    Indiziert bei asymptomatischen Patienten mit geringer Hyperkalzämie (< 2,8 mmol/l), normalem Kreatinin ohne Nephrolithiasis, mit altersentsprechender Knochendichte

    Operative Therapie: Parathyroidektomie (komplett oder inkomplett)

    Indiziert bei asymptomatischen Patienten mit deutlicher Hyperkalzämie (> 2,8 mmol/l), Nierensteinen oder Nierenfunktionseinschränkung, einer Hyperkalziurie oder einer beginnenden Osteoporose

    90 %ige Erfolgsrate

    Sekundärer HPT: Therapie der Grunderkrankung

    Tertiärer HPT: Bei Versagen konservativer Maßnahmen erfolgt eine Parathyroidektomie

    Prognose

    Die Mehrzahl der serologisch diagnostizierten Patienten mit primärem HPT bleibt auf die Dauer asymptomatisch. Nach der Parathyroidektomie bleibt ein Teil der Beschwerden bestehen, sodass ein Kausalzusammenhang mit der Hyperkalzämie oft zweifelhaft erscheint

    Beim sekundären und tertiären HPT bestimmt die Grunderkrankung die Prognose

    1.2.4 M. Paget

    Grundlagen

    Synonyme: Ostitis deformans, Osteodystrophia deformans

    Definition: Mono- oder polyostotische, progrediente Skeletterkrankung, charakterisiert durch lokal erhöhte Knochenumbauvorgänge mit dem Risiko von Verformungen, chronischen Schmerzen und Frakturen sowie artikulären, neurologischen und kardiologischen Komplikationen

    Ätiologie und Pathogenese

    20 % der Erkrankten weisen eine positive Familienanamnese auf. Diskutiert wird auch eine „Slow-virus"-Infektion von Osteoklasten mit Paramyxoviren

    Es besteht eine erhöhte Aktivität von Riesenosteoklasten. Die kompensatorische überschießende Osteoidproduktion durch Osteoblasten führt zur Entstehung von mechanisch minderwertigem Knochen

    Epidemiologie

    Prävalenz ist altersabhängig und beträgt ca. 2 %. Manifestationszeitpunkt meist nach dem 60. Lebensjahr

    Klinik

    Jeder Knochen kann betroffen sein. Meist liegt ein monoostotischer Befall vor

    Die Erkrankung wird in 80–90 % d. F. als Zufallsbefund im Röntgen oder im Rahmen einer weiter abgeklärten Erhöhung der AP diagnostiziert

    Symptomatische Patienten berichten über lokalisierte Schmerzen, Knochendeformitäten mit Gelenkfehlstellungen und sekundären Muskelfehlbelastungen sowie hartnäckigen Myalgien der betroffenen Regionen

    Pathologische Frakturen und sekundäre Arthrosen kommen vor

    Der erhöhte Knochenturnover mit vermehrter Perfusion kann bei oberflächlicher Knochenlage zur Überwärmung der Haut, bei polyostotischem Befall sogar zur Herzinsuffizienz führen

    Komplikationen

    <1 % der Patienten entwickeln ein sekundäres Osteosarkom. Als Risikofaktor gilt ein polyostotischer, stammnaher Befall. Warnhinweise sind eine plötzliche Beschwerdezunahme, Erhöhung der AP und progrediente Osteolysen

    Nervenausfälle durch lokale Kompression des aufgetriebenen Knochen (v. a. Schädel)

    Diagnostik

    Labor: Erhöhung der knochenspezifischen AP (geeignet zur Diagnosefindung und auch Verlaufskontrolle unter Therapie). Es besteht ein positiver Zusammenhang mit der Ausdehnung der Erkrankung. Der Ausschluss eines sekundären HPT sollte initial erfolgen (intaktes PTH, Kalzium, Phosphat, 25-[OH]-Cholecalciferol)

    Bildgebung: Regelhaft gelingt die Diagnosestellung projektionsradiografisch (◘ Abb. 1.22)

    Initial Osteolysen, im Verlauf gemischt lytisch-sklerotische Läsionen, im Endstadium überwiegen diffuse Osteosklerosen der Kompakta und Spongiosa (grobmaschiger Befall) mit Knochendeformierung und -auftreibungen, sodass häufig insgesamt eine Volumenzunahme resultiert

    Perifokale, lokalisierte Osteoporosen kommen vor

    Paget-Areale respektieren immer Gelenk- und Knochenbarrieren. Ein Überschreiten ist immer suspekt

    Szintigrafie: Die Prozesse zeigen eine intensive Mehranreicherung. Initial immer indiziert zur Bestimmung des Befallsmusters

    Knochenbiospie, MRT/CT sollten bei Verdacht auf Malignisierung zum Einsatz kommen

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    Abb. 1.22

    Röntgenaufnahme des Beckens a.p. mit diffusen Osteosklerosen des Beckens, Femora und Lendenwirbelsäule bei M. Paget

    Differenzialdiagnostik

    Osteomalazie

    Metastasen

    Therapie

    Konservative Therapie ist bei den meisten Patienten ausreichend

    Indikation: Bei leichten Knochenschmerzen, geringer Krankheitsaktivität (AP < 300 I.E./l), monoostotischem Befall, Alter > 75 Jahre

    Symptomatische Therapie: NSAR, Physiotherapie mit physikalische Maßnahmen

    Spezielle medikamentöse Therapie (◘ Tab. 1.15): Indiziert bei hoher Krankheitsaktivität (AP >600 I.E./l), stärkeren Knochenschmerzen und der Gefahr von Komplikationen bei ausgedehntem Befall (Frakturrisiko, Nervenläsion, Deformitäten)

    Tab. 1.15

    Spezielle medikamentöse Therapie bei M. Paget

    Ziel ist eine Normalisierung des AP-Serumwerts (< 170 I.E./l)

    Alle Patienten erhalten eine Basismedikation aus Kalzium (1 g/Tag) sowie Vitamin D3 (800 I.E./Tag)

    Bisphosphonate: Mittel der Wahl

    Indikation: Bei Vorliegen von Symptomatik bzw. radiologischem oder serologischem Nachweis progressiver Krankheitsaktivität (AP-Serumwerte)

    Initial sollte 3-monatlich eine AP-Bestimmung zur Ermittlung des tiefsten Werts erfolgen (anschließend 6- bis 12-monatlich), Röntgenkontrollen 1- bis 2-mal jährlich

    Bei Anstieg der AP über 25 % des erreichten niedrigsten Wertes und Lage oberhalb des Normbereichs sollte eine erneute Therapie erfolgen

    Kann die AP nicht in den Normbereich gesenkt werden, sollte ein Wechsel der Substanzklasse, eine Dosiserhöhung oder Verkürzung der Therapieintervalle versucht werden

    Calcitonin: Als Second-line-Therapie bei Bisphosphonat-Unverträglichkeit

    Orthopädische Therapie: Bei Gelenkdeformierungen oder Arthrosen kommen Umstellungsosteotomien, Gelenkersatzoperationen oder, bei Wirbelsäulenbefall mit entsprechender Symptomatik, spinale Dekompressionen infrage

    Eine präoperative Bisphosphonat-Therapie (2–3 Monate) kann den Blutverlust aufgrund der Hypervaskularisation des Paget-Knochens vermindern

    Erhöhte Komplikationsraten aufgrund schlechterer Frakturheilung bzw. mechanisch weniger belastbarem Paget-Knochen sind beschrieben (Prothesenlockerung, Pseudarthrose)

    Prognose

    Durch konservative Maßnahmen ist der Großteil der Patienten beschwerdearm

    Literatur

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    AWMF-Leitlinie der Gesellschaft für Kinderheilkunde und Jugendmedizin (DGKJ): Minderwuchs (2010) AWMF-Leitlinien-Register Nr. 027/023 Klasse: S1

    Beck M (2007) Lysosomale Speicherkrankheiten. Monatsschr Kinderheilkd 155:653–662Crossref

    Black D et al (2007) Once-yearly zoledronic acid for treatment of postmenopausal osteoporosis. N Engl J Med 356:1809–1822Crossref

    Bone HG, Kleerekoper M (1992) Clinical review 39: Paget’s disease of bone. J Clin Endocrinol Metab 75:1179–1182PubMed

    Brown R, Steiner GC, Lehman WB

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