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Facharztwissen Endokrinologie und Diabetologie: Klinik, Diagnostik, Therapie
Facharztwissen Endokrinologie und Diabetologie: Klinik, Diagnostik, Therapie
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Ebook1,137 pages4 hours

Facharztwissen Endokrinologie und Diabetologie: Klinik, Diagnostik, Therapie

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About this ebook

Dieses Buch bietet kompakt das gesamte praxisrelevante Wissen zu Hormonen und Stoffwechsel.
Oft handelt es sich um angeborene bzw. chronische Erkrankungen. Hier ist es wichtig, frühzeitig die richtigen Weichen zu stellen und die potentiell lebenslange Therapie optimal auf den Patienten anzupassen.

Diagnostik, Differentialdiagnostik

  • Leitsymptome, Früherkennung
  • Welche Verdachtsdiagnose ist plausibel?
    Erkrankungen zuverlässig nachweisen bzw. ausschließen
  • Welche Begleit- und Folgeerkrankungen müssen bedacht werden?
  • Stufendiagnostik: Was ist medizinisch und wirtschaftlich sinnvoll und effizient
  • Testdurchführung und –auswertung
  • Verlaufskontrolle: Was, wann, wie häufig

 Therapiestrategien

  • Individuell auf den Patienten abgestimmt
    (Alter, Schwangerschaft, Begleiterkrankungen, Lebensumstände …)
  • Konservativ/operativ – interdisziplinär abgestimmt
  • Komplikationen
  • Verlauf, Prognose, Nachsorge, Beratung für Patienten und Familienangehörige

Konkret und zuverlässig

  • Zahlen, Fakten, Dosierungen in zahlreichen Algorithmen und Tabellen
  • Tipps für die Praxis (z.B. Verhalten bei Sport, Reisen), FAQs, typische Fehler
  • Fallbeispiele

Für die Facharztprüfung
Lern- und Strategiebuch, um sicher die Facharztprüfung Innere Medizin und Endokrinologie und Diabetologie zu bestehen.
Für den erfahrenen Anwender
Nachschlagewerk für den klinisch-praktischen Alltag für Endokrinologen, Internisten, Allgemeinmediziner, Gynäkologen, pädiatrische Endokrinologen, Nuklearmediziner.

LanguageDeutsch
PublisherSpringer
Release dateSep 7, 2020
ISBN9783662588970
Facharztwissen Endokrinologie und Diabetologie: Klinik, Diagnostik, Therapie

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    Facharztwissen Endokrinologie und Diabetologie - Iris van de Loo

    © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020

    I. van de Loo, B. HarbeckFacharztwissen Endokrinologie und Diabetologiehttps://doi.org/10.1007/978-3-662-58897-0_1

    1. Einführung

    Iris van de Loo¹   und Birgit Harbeck²  

    (1)

    Bremen, Deutschland

    (2)

    Hamburg, Deutschland

    Iris van de Loo (Korrespondenzautor)

    Email: i-vdloo@t-online.de

    Birgit Harbeck

    Email: b.harbeck@web.de

    Endokrinologie ist die Lehre von der Morphologie und Funktion hormonproduzierender Drüsen. Als Teil des Fachgebietes firmiert die Diabetologie, die sich speziell mit Zuckerstoffwechselstörungen beschäftigt. In diesem Kapitel werden die Kernpunkte und Paradigmen des Faches erläutert. Es findet eine Einführung in das Grundprinzip hormoneller Regelkreise statt. Allgemeingültige Faktoren bei Diagnostik und Therapie in Endokrinologie und Diabetologie werden besprochen und der Buchaufbau wird dargestellt.

    Endokrinologie: Lehre von der Morphologie und Funktion hormonproduzierender Drüsen. Begriffsableitung (griech.): ἔνδον endon „innen", κρίνειν krinein „abscheiden".

    Kernpunkt der Endokrinologie sind die aus dem Blut gewonnenen Hormonwerte. Dabei handelt es sich um dynamische Parameter, die durch interne und externe Variablen beeinflussbar sind.

    Die Beurteilung von Hormonparametern ist nur möglich unter Beachtung von:

    Anamnese,

    Alter,

    Lebensphase,

    körperlicher Untersuchung,

    Berücksichtigung der Blutabnahmebedingungen (z. B. Tageszeit).

    Der im Folgenden verwendete Oberbegriff „Diagnostik" beinhaltet Anamnese, körperliche Untersuchung, Laboranalytik und ggf. weiterführende Diagnoseverfahren (Bildgebung, Histologie etc.).

    Ergibt sich ein Sachverhalt logisch aus dem anderen, findet sich im Folgenden dieses Symbol: → (z. B. nach operativer Entfernung der Schilddrüse → lebenslange Substitution mit L-Thyroxin).

    FAQ („frequently asked questions") beinhaltet in Prüfungen häufig abgefragtes Kernwissen.

    Für eine klare Übersicht wird folgende Gliederung verwendet:

    Synonym

    Epidemiologie

    Pathophysiologie

    Klinik

    Diagnostik

    Differentialdiagnosen

    Therapie

    Verlauf und Prognose

    Komplikationen

    Tipp für die Praxis/FAQ (engl. frequently asked questions)

    Anamnese

    Anamnese = Vorgeschichte.

    Die Anamnese nimmt eine Schlüsselstellung in der Betreuung endokrinologischer Patienten ein. Sie ist:

    Basis für eine stabile Arzt-Patienten-Beziehung,

    Grundlage für den diagnostischen und therapeutischen Erfolg.

    Über das Gespräch ergeben sich wichtige Informationen, die bei alleiniger Befundbetrachtung verloren gehen.

    Im Arzt-Patienten-Gespräch ist zu berücksichtigen:

    Alter (Passt ein Symptom zum Alter, z. B. vorzeitige Wechseljahre?),

    Geschlecht (Zyklusanamnese ♀, [unerfüllter] Kinderwunsch ♀♂, Libido ♀♂, [morgendliche] Erektion ♂, Ejaculatio praecox ♂),

    Lebensphase (Jugend, Senium, fertile Lebensphase),

    Gewichtsverhalten,

    Leistungsfähigkeit,

    Durstgefühl,

    vegetative Anamnese: Schwitzen, Herzrasen, Schwäche, Kälte-/Wärmeempfinden,

    Kopfschmerzen, Muskelschmerzen, Muskelschwäche,

    Sehstörungen, Schluckstörungen,

    Haarausfall, veränderte Körperbehaarung,

    gehäufte Knochenbrüche,

    Vorerkrankungen (z. B. Zustand nach Chemotherapie),

    Sozialanamnese (z. B. Schichtarbeit kann die zirkadiane Rhythmik der Hormone stören),

    Familienanamnese.

    Spezielle Fragen, passend zu einzelnen endokrinologischen Krankheitsbildern werden in den jeweiligen Kapiteln aufgegriffen.

    Körperliche Untersuchung

    Grundprinzip der Hormondiagnostik

    Moderne Laborverfahren ermöglichen zuverlässige Bestimmungen von Hormonen im Blut.

    Generell gilt:

    Die Verteilung normaler Hormonwerte ist weit gespannt.

    Die Bestimmung eines einzelnen Wertes im Serum reicht (meist) nicht aus, um zwischen physiologischer/pathologischer Hormonsekretion zu differenzieren.

    Hormonsekretion erfolgt episodisch: meist einer Rhythmik folgend.

    Periodische Tagesrhythmik (zirkadiane Rhythmik)

    (z. B: sekretorisches Maximum von Wachstumshormon in der Nacht, sekretorisches Maximum von Cortisol in den frühen Morgenstunden).

    Periodische Hormonsekretion bei der Frau im Monatszyklus

    (Die korrekte Interpretation der Untersuchungsergebnisse ist nur mit Kenntnis des Zyklustages bei Blutabnahme möglich.).

    Hormonsekretion erfolgt pulsatil: Normal sind Sekretionspausen im Wechsel mit plötzlichen Sekretionspeaks (z. B. Wachstumshormon). Der Parameter kann jeden beliebigen Wert zwischen Nadir und Maximum annehmen.

    Hormonsekretion erfolgt in Abhängigkeit von:

    Geschlecht,

    Lebensphase (z. B. Klimakterium → LH ↑, FSH ↑),

    in Anpassung an äußere Einflüsse (z. B. Stress → Cortisol ↑, Berührung der Mamille → Prolaktin ↑).

    Hormonsekretion erfolgt in Regelkreisen: Sie verläuft über negative Rückkopplung.

    Beispiel: Schilddrüsen-, Nebennieren- und Gonadenachse. Der initiale Impuls ist das hypothalamische Releasinghormon, das auf die Hypophyse wirkt. Die Hypophyse setzt daraufhin das trophische Hormon mit Wirkung am Endorgan frei. Dies führt zur Ausschüttung des peripheren Hormons. Die peripheren Hormone wirken im Feedback auf Hypophyse und Hypothalamus zurück. Das wird als negative Rückkopplung bezeichnet, da es zur Absenkung der hypothalamisch/hypophysären Hormone mit folglich verminderter Stimulation am Endorgan führt (◘ Abb. 1.1).

    ../images/430873_1_De_1_Chapter/430873_1_De_1_Fig1_HTML.png

    Abb. 1.1

    Hypothalamisch-hypophysärer Regelkreis (mit stimulierender Hormonwirkung (+) und hemmender Rückkopplung (-))

    Der Rückkopplungsmechanisumus auf endokrine Organe kann im Körper auch nichthormonellen Ursprungs sein (z. B. bewirkt hohes Kalzium eine Parathormonabsenkung, ein Glukoseanstieg führt zur Insulinfreisetzung und ein verändertes extrazelluläres Volumen führt zur Anpassung von Vasopressin, Renin und Aldosteron).

    Die Analyse einer Hormonwirkung an der Zielzelle ist unterschiedlich nachweisbar:

    Bei Insulin beispielsweise ist die Hormonwirkung an der Zielzelle leicht über die Messung des Blutzuckers zu ermitteln.

    Bei anderen Hormonen ist deren Wirkung aber nur indirekt über die Bestimmung übergeordneter Hormone (unter Berücksichtigung des Regelkreises) möglich (z. B. wird die adäquate Wirkung von Schilddrüsenhormonen durch die Normalisierung des übergeordneten Hypophysenhormons TSH bestimmt).

    Ist die Differenzierung zwischen physiologischen oder pathologischen Hormonkonstellationen (unter Berücksichtigung der gekoppelt wirkenden Hormone des Regelkreises) nicht möglich, wird ein Funktionstest eingesetzt (i. d. R nicht erforderlich bei gonadotroper und thyreotroper Achse). Hierdurch wird der Komplexität und Dynamik einer Hormonanalyse Rechnung getragen.

    Stimulationstest: Ermittlung einer Hormonunterfunktion,

    Suppressionstest: Ermittlung einer Hormonüberfunktion.

    Die im jeweiligen Labor eingesetzten Verfahren sollten dem Endokrinologen bekannt sein, da jedes Laborverfahren Stärken und Schwächen aufweist. Dies ist bei der Auswertung der Daten zu berücksichtigen.

    Die Datenbasis (insbesondere für die Funktionstests) ist bis heute in der Endokrinologie klein. Ursächlich dafür sind:

    geringe Fallzahlen,

    hohe physiologische Variabilität von Hormonantworten,

    begrenzte Sensitivität und Spezifität von Analyseverfahren.

    Die Beurteilung einer Hormonuntersuchung ist nur möglich unter Berücksichtigung von:

    endokrinologischer Anamnese,

    körperlicher Untersuchung,

    Erfahrung.

    Ziel einer Untersuchung ist die Koordination von:

    klinischem Bild und

    Hormonanalyse.

    Dies gilt auch für das Therapieziel Beseitigung von Beschwerden.

    Es werden keine Laborparameter, sondern Patienten behandelt!

    Bildgebung

    Die endokrinologische Funktionsdiagnostik hat Vorrang vor jeder Lokalisationsdiagnostik. Dadurch werden Fehldiagnosen und unnötige Kosten vermieden.

    Die Schilddrüsen-Sonographie muss sicher beherrscht werden.

    Beurteilungen von CT/MRT-Bildern der Hypophyse sollten geläufig sein.

    DXA-Messungen zur Knochendichtemessung müssen ausgewertet werden können.

    Humangenetische Untersuchungen

    Chromosomenanalysen und molekulargenetische Untersuchungen kommen häufig in der Endokrinologie zum Einsatz und müssen dem aktuellen Wissensstand entsprechend bewertet werden können. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass sich der Erkenntnisgewinn dieses Fachgebietes rasant entwickelt.

    Gendiagnostikgesetz (GenDG)

    Genetische Untersuchungen sind seit 2010 im Gendiagnostikgesetz (GenDG) geregelt.

    Diagnostische genetische Untersuchung dürfen von allen Ärzte durchgeführt werden.

    Prädiktiv genetische Untersuchungen dürfen nur von Fachärztinnen/Fachärzten für Humangenetik oder nach Qualifikation von anderen Ärztinnen/Ärzten nach Erwerb einer Facharzt-, Schwerpunkt- oder Zusatzbezeichnung für genetische Untersuchungen im Rahmen ihres Fachgebietes (§ 7 Abs. 1 GenDG) durchgeführt werden.

    Vor einer genetischen Untersuchung muss die Aufklärung durch die/den verantwortliche(n) Ärztin/Arzt erfolgen über:

    Wesen der Untersuchung,

    mögliche Ergebnisse,

    mögliche Konsequenzen.

    Wichtig ist eine sorgfältige Dokumentation über den Inhalt der Aufklärung.

    Es gilt das Grundprinzip der „informationellen Selbstbestimmung" (Art. 2 I i. V. m. 1 I GG). Das heißt, der Patient hat:

    das Recht auf Kenntnis eigener Befunde,

    das Recht auf Nichtwissen eigener Befunde.

    Untersuchungsbefunde nach dem GenDG dürfen ausschließlich mit dem Patienten kommuniziert werden (Ausnahme: minderjährige Patienten oder Patienten, die unter Betreuung stehen).

    Rechtliche Aspekte im klinischen Alltag

    Beachte: Außerhalb von Notfällen sollte die Aufklärung von Patienten vor Interventionen (z. B. Hypophysentest, Schilddrüsenpunktion) mit einem Zeitfenster von >24 Stunden angestrebt werden. Je invasiver und je eher elektiv ein Eingriff, desto wichtiger ist die Einhaltung dieses Dogmas.

    Die Aufklärung eines Patienten muss unter Berücksichtigung seiner intellektuellen Fähigkeiten erfolgen.

    Bei Jugendlichen ist die Einwilligung von Patient und Erziehungsberechtigten einzuholen.

    Zu berücksichtigen ist auch, dass viele Medikamente erst ab dem Alter von 18 Jahren zugelassen sind, hier ist eine intensive Aufklärung unabdingbar.

    Generell empfiehlt sich eine präzise Aktenführung.

    Bei der Anwendung von Medikamenten im „off label use" handelt es sich um deren Anwendung jenseits der Zulassung. Hierbei ist zu beachten, dass:

    die Aufklärung und Dokumentation besonders sorgfältig erfolgen sollte,

    die Finanzierung nicht über die gesetzlichen Krankenkassen (Ausnahme: Sonderentscheid des Medizinischen Dienstes nach vorherigem Antrag) geregelt ist,

    die Endverantwortung beim verordnenden Arzt liegt.

    Tipp für die Praxis

    Krankheiten dürfen in Arztbriefen benannt werden (z. B. adrenogenitales Syndrom), die auslösende Mutation (z. B. Mutation im Cyp-Gen 21, Basenaustausch X gegen Y an Position Z) darf nach GenDG nicht ohne explizite Einwilligung des Patienten mit Dritten kommuniziert werden.

    Die Kenntnis über die genaue Mutation hilft dem Behandler den Krankheitsverlauf einzuschätzen. → Sinnvolle Option ist es daher, Arztbriefe mit Mutationsanalyse an die Patienten zu geben, sodass diese selbstbestimmt entscheiden können, an wen sie die Information weitergeben (Vorgehen bewährt sich z. B. beim Arztwechsel).

    CAVE: Weisen Sie Patienten darauf hin, dass beim Abschluss eines Versicherungsvertrages grundsätzlich keine Auskünfte über Untersuchungen nach dem Gendiagnostikgesetz verlangt werden dürfen. Sollen jedoch Versicherungen mit hoher Versicherungssumme abgeschlossen werden, müssen vor dem Abschluss (zur Vermeidung von Missbrauch) Ergebnisse genetischer Untersuchungen vorgelegt werden, da sonst ggf. die Haftung der Versicherung ausgeschlossen wird.

    Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird in diesem Buch überwiegend das generische Maskulinum verwendet. Dies impliziert immer alle Formen, schließt also die männliche, weibliche und diverse Form mit ein.

    © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020

    I. van de Loo, B. HarbeckFacharztwissen Endokrinologie und Diabetologiehttps://doi.org/10.1007/978-3-662-58897-0_2

    2. Hypothalamus und Hypophyse

    Iris van de Loo¹   und Birgit Harbeck²  

    (1)

    Bremen, Deutschland

    (2)

    Hamburg, Deutschland

    Iris van de Loo (Korrespondenzautor)

    Email: i-vdloo@t-online.de

    Birgit Harbeck

    Email: b.harbeck@web.de

    2.1 Pathophysiologie

    2.2 Hypothalamische Prozesse und Pinealisregion

    2.3 Kraniopharyngeom

    2.4 Raumforderungen im Bereich der Hypophyse

    2.5 Hormoninaktive Hypophysenadenome („non-functioning pituitary adenomas")

    2.6 Hormonaktive Hypophysenadenome

    2.6.1 Prolaktinom

    2.6.2 Akromegalie

    2.6.3 Morbus Cushing

    2.6.4 TSHom

    2.7 Hypophyseninsuffizienz

    2.8 Hypophysitis

    2.9 Diabetes insipidus

    2.10 Syndrom der inadäquaten ADH-Sekretion (SIADH)

    Literatur

    In diesem Kapitel erfolgt die Darstellung der physiologischen Funktionen von Hypothalamus und Hypophyse sowie ihrer Störungen. Es werden hormonaktive und hormoninaktive pathologische Prozesse mit ihren Folgen dargestellt. Die verschiedenen hormonaktiven Tumoren und das erforderliche Vorgehen als auch die Hypophysenvorderlappeninsuffizienz werden im Einzelnen erläutert. Sonderfälle wie Kraniopharyngeom und Hypophysitis finden Erwähnung. Die Funktionsstörungen des Hypophysenhinterlappens werden gesondert besprochen.

    Der Hypothalamus ist Teil des Zwischenhirns und liegt im Bereich der Sehnervenkreuzung (Chiasma opticum). Durch das sog. Infundibulum (Hypophysenstiel) wird er mit der Hypophyse verbunden (◘ Abb. 2.1). Diese befindet sich in der Sella turcica und besteht aus einem Vorderlappen (HVL) und Hinterlappen (HHL). Letzterer ist noch Teil des Hypothalamus. Der Hypothalamus als übergeordnetes Steuerungsorgan steht selbst unter Neurotransmitterkontrolle (z. B. Dopamin, Serotonin, Noradrenalin, GABA, verschiedene Peptide) und wird auch durch die Ausschüttung von Zytokinen (TNF-α, IL-1, IL-6) stimuliert.

    Aufgaben des Hypothalamus:

    Bildung von Effektorhormonen, Releasing-und Inhibitinghormonen, Neuropeptiden und Dopamin,

    Steuerung vegetativer Funktionen, z. B. Regulation des Wasser-Elektrolyt-Haushalts, der Körpertemperatur, Nahrungs- und Wasseraufnahme, zirkadianen Rhythmik und des Schlafs,

    Steuerung des Sexual –und Fortpflanzungsverhaltens.

    2.1 Pathophysiologie

    Zwischen Hypothalamus, Hypophyse und peripheren Drüsen besteht ein Regelkreissystem (◘ Abb. 2.1).

    ../images/430873_1_De_2_Chapter/430873_1_De_2_Fig1_HTML.png

    Abb. 2.1

    Hormonhierachie. Hypophysenhinterlappen synonym Neurohypophyse, Hypophysenvorderlappen synonym Adenohypo physe, Releasing-Hormone synonym Statine, Liberine, TSH=Thyreotropin, ACTH= Adrenokortikotropin, STH=Somatotropin, LH=Lutropin, FSH=Follikelstimulierendes Hormon (Follitropin), ADH=Antidiuretisches Hormon

    Der Hypothalamus gibt Releasinghormone ab, die die Hypophyse zur Ausschüttung spezifischer Hormone aus dem HVL (sog. glandotrope Hormone) veranlassen. Diese wiederum stimulieren die Sekretion sog. Effektorhormone aus den peripheren Drüsen. Zu unterscheiden sind dabei die gonadotrope (LH, FSH), somatotrope (STH, GH), thyreotrope (TSH), corticotrope (ACTH) und mammotrope (Prolaktin) Achse. Im Hypophysenhinterlappen erfolgt die Freisetzung von ADH (Vasopressin) und Oxytocin, welche in den Nuclei paraventricularis und supraopticus des Hypothalamus sezerniert und nach axonalem Transport im HHL gespeichert werden.

    Über negative Rückkopplungsmechanismen sowohl auf hypophysärer als auch auf hypothalamischer Ebene wird Einfluss auf die Aktivität der Hypothalamus-Hypophysen-Endorgan-Achse genommen und damit die Hormonsekretion reguliert. Zusätzlich wirken verschiedene Hormone (z. B. Somatostatin, Dopamin) inhibierend auf den Hypothalamus.

    Der Hypothalamus nimmt damit eine zentrale Stellung im endokrinen System ein (◘ Abb. 2.2).

    ../images/430873_1_De_2_Chapter/430873_1_De_2_Fig2_HTML.jpg

    Abb. 2.2

    Hypophyse. In spezialisierten Zellen des Hypothalamus (1) werden ADH und Oxytozin gebildet, über Axone zur Neurohypophyse transportiert und dort in das Blut abgegeben. Aus jeweils spezialisierten Zellen der Adenohypophyse (2) werden Tropine abgegeben. Die Ausschüttung der Tropine steht unter Kontrolle von Liberinen und Statinen, die von neuroendokrinen Zellen des Hypothalamus (3) gebildet und in das Portalblut der Hypophyse (4) abgegeben werden. Die Liberin und Statin produzierenden Neurone stehen wiederum unter dem Einfluss weiterer Neurone des Hypothalamus (5). (RF schmidt et al.: Physiologie es Menschen, 31. Aufl. Springer, 2017)

    Viele Hormone unterliegen einer pulsatilen Ausschüttung bzw. einer zirkadianen Rhythmik (v. a. ACTH, Cortisol, Katecholamine, TSH, STH).

    Hormone können dabei im Blutkreislauf in freier oder gebundener Form (Bindungsproteine, Albumin) vorliegen. Insbesondere einige Steroid- und Schilddrüsenhormone sind für den Transport über die Blutbahn an spezifische Trägerproteine gebunden. Typische Bindungsproteine sind das Corticosteroid-bindende Globulin (CBG) für Cortisol, das Thyroxin-bindende Globulin (TBG) sowie das Sexualhormon-bindende Globulin (SHBG) für Östradiol und Testosteron.

    Faktoren, welche die Bindungsproteine beeinflussen, führen so zu einer Änderung der Konzentration des gebundenen Hormons:

    Östrogene → SHBG ↑, TBG ↑ CBG ↑ → Gesamthormon-Konzentration ↑,

    Hyperthyreose → SHBG ↑,

    Eiweißmangel → Bindungsproteine ↓ → Gesamthormon-Konzentration ↓.

    Abhängig von der Lokalisation (intra- bzw. suprasellär) können primär hypothalamische (supraselläre Lage) und hypophysäre (intraselläre) Prozesse unterschieden werden. Eine primär hypothalamische Raumforderung kann sich aber auch in die Hypophyse ausdehnen und so zu einer Vergrößerung der Sella turcica führen. (◘ Abb. 2.3). zeigt das MRT einer normalen Hypophyse.

    Der Hypophysenhinterlappen stellt sich bei Gesunden in der T1-Wichtung des MRT meist hyperintens als heller Fleck dar („hot spot").

    ../images/430873_1_De_2_Chapter/430873_1_De_2_Fig3_HTML.jpg

    Abb. 2.3

    MRT der Hypophyse, koronar und sagittal

    T1-Wichtung: fettreiche Körpergewebe und Strukturen sind heller (hyperintens) dargestellt als umliegendes Gewebe.

    T2-Wichtung: flüssigkeitsgefüllte Körperstrukturen (z. B. Liquorräume) werden hell (hyperintens) dargestellt → Darstellung von Ödemen, Ergüssen; Unterscheidung von Zysten und soliden Tumoren.

    2.2 Hypothalamische Prozesse und Pinealisregion

    Zu den wichtigsten Tumoren des Hypothalamus gehören Kraniopharyngeome, Germinome, Chordome, Harmartome, Zysten, Gliome, Meningeome und Metastasen. Auch maligne Systemerkrankungen des ZNS (z. B. Lymphome) und granulomatöse Erkrankungen (z. B. Neurosarkoidose, Tuberkulose, Wegner’sche Granulomatose)

    Können sich im suprasellären Bereich manifestieren. Von Bedeutung für hypothalamische Prozesse sind zudem Entwicklungsstörungen im Bereich des Hypothalamus.

    Symptome

    1.

    neurologisch (Hirndruckzeichen).

    2.

    opthalmologisch (Sehstörungen).

    3.

    endokrin (partielle/komplette HVL-Insuffizienz, Entzügelungshyperprolaktinämie, HHL-Insuffizienz mit Diabetes insipidus),

    4.

    Störung des kalorischen Gleichgewichts, des Schlaf-Wach-Rhythmus und der Temperaturregulation.

    Bei den Tumoren der Pinealisregion handelt es sich meist um Keimzelltumoren, die aufgrund ihrer Lokalisation bei entsprechender Größe zum Verschlusshydrozephalus führen können. Typischerweise kann es zum Auftreten eines Parinaud-Syndroms mit vertikaler Blicklähmung, Konvergenzschwäche und aufgehobener Lichtreaktion der Pupillen kommen.

    2.3 Kraniopharyngeom

    Fall 1:

    22-jähriger Patient mit seit 3 Monaten bestehenden Kopfschmerzen und zunehmenden Sehstörungen. Der Patient berichtet auf Nachfrage über einen Libidoverlust sowie ein verstärktes Durstgefühl mit einer Trinkmenge von ca. 6 Litern und einer erhöhten Ausscheidung sowie zunehmende Konzentrationsstörungen. Laborchemisch zeigt sich ein Ausfall der somatotropen und gonadotropen Achse. Das MRT zeigt intra- und suprasellär eine zystische Raumforderung (3,2 × 2,3 × 1,8 cm) mit inhomogenem Binnensignal, siehe T2-Wichtung in ◘ Abb. 2.4., in den hier nicht mitabgebildeten T1-und Diffusionswichtungen kräftiges Randenhancement und dorsal diffusionsgestörte Tumoranteile. Es zeigen sich keine soliden, KM-anreichernden Tumoranteile, Kalzifikationen sind nicht erkennbar (◘ Abb. 2.4).

    ../images/430873_1_De_2_Chapter/430873_1_De_2_Fig4_HTML.jpg

    Abb. 2.4

    MRT-Hirn mit intra-und suprasellärer Raumforderung; hier nur T2-Wichtung dargestellt, um das Ausmass der zystischen Raumforderung zu zeigen

    Welche Diagnose stellen Sie?

    Epidemiologie

    Häufigster hypothalamischer Tumor,

    30–50 % im Kindes- und Jugendalter,

    Inzidenz: 1–2 Fälle/Mio. Einwohner, Prävalenz: 10–30/Mio. Einwohner,

    zwei Altersgipfel: Kindesalter (5–15 Jahre), Erwachsenenalter (40–60 Jahre).

    Pathophysiologie

    Benigner Fehlbildungstumor aus Resten der Rathke-Tasche, häufig umgebende Strukturen infiltrierend, Lokalisation meist intra- und suprasellär (70 %), nur intrasellär (10 %), nur suprasellär (20 %).

    Histologie

    Klinik

    Sehstörungen und Gesichtsfeldausfälle,

    Hirndrucksymptomatik, Kopfschmerz,

    endokrine Ausfälle (bei 80 % der Fälle): STH-Mangel (75 %) → Wachstumsstörungen, Gonadotropinmangel (40 %), ACTH-Mangel (25 %), TSH-Mangel (25 %), Hyperprolaktinämie (20 %), Diabetes insipidus (17–24 %) → Polydipsie, Polyurie,

    hypothalamische Essstörungen (25–50 %), neuropsychologische Störungen.

    Diagnostik

    Anamnese: Kopfschmerzen, Sehstörungen, Hinweis auf Hormonausfälle (Wachstumsretardierung, Menstruationsstörungen, Libidoverlust, Einschränkung der Leistungsfähigkeit, Haarausfall, trockene Haut, erhöhte Trinkmenge/Ausscheidung).

    Labor:

    pathologisch niedrige Hormone der Endorgane bei gleichzeitig niedrigen hypophysären Hormonen (◘ Tab. 2.1),

    Stimulationstest ist bei V. a. Vorliegen einer gonadotropen/thyreotropen Partialinsuffizienz nicht erforderlich.

    Bildgebung: MRT nativ und mit Gadolinium (Prozesse bis 2 mm Größe werden erfasst), CT nativ (meist intra-und suprasellärer oder rein suprasellärer Tumor mit glatter Begrenzung, Zysten und Verkalkungen).

    Ophthalmologische Untersuchung: Beeinträchtigungen von Sehschärfe/Fundus, Gesichtsfeldausfälle (Perimetrie).

    Neurologische Untersuchung: Hirnnervenfunktionsstörungen.

    Tab. 2.1

    Hyophysenachsen und Funktionstests

    Differentialdiagnosen

    Verdacht auf Zysten der Rathke-Tasche und sehr große Hypophysenadenome → Verlagerung 3. Ventrikel und Hypothalamusregion.

    Therapie

    Operation (1. Wahl): Sicherung der Diagnose, radikale Resektion ohne begleitende Morbidität; meist transnasal-transkranieller Weg bei suprasellärem Wachstum; komplette Entfernung oft wegen invasiven Wachstums nicht möglich.

    Radiotherapie:

    Indikationen: bei inkompletter Tumorresektion/Tumorrezidiv

    Verfahren: konventionelle perkutane fraktionierte Strahlentherapie, fraktionierte stereotaktische Radiotherapie, radiochirurgische Verfahren,

    Nebenwirkungen: Müdigkeit/Abgeschlagenheit (akut, vorübergehend), zerebrovaskuläre Ereignisse, sekundäre Hirntumoren, neurologische Veränderungen, Hirnnervenschädigungen, möglicherweise schnellerer Wirkungseintritt und geringere Nebenwirkungsrate durch neuere stereotaktische Bestrahlungsmethoden.

    Pharmakotherapie: Substitutionstherapie (bei 80–100 % post-OP erforderlich).

    Verlauf, Prognose

    Laborchemische Kontrolle 6 Wochen nach OP,

    Verlaufs-MRT 3 Monate postoperativ (CAVE: vorher operationsbedingte Artefakte),

    weitere Kontrollabstände (laborchemisch, radiologisch) individuell festlegen,

    lebenslang endokrinologische Verlaufskontrollen erforderlich,

    10-JÜR: 83–93 %, 3- bis 19-fach erhöhte Mortalitätsrate gegenüber Allgemeinbevölkerung,

    Rezidivrate bzw. Progression nach OP abhängig von Ausmaß der Operation/Radiotherapie:

    nach kompletter mikrochirurgischer Tumorexzision: 30 %,

    nach subtotaler Resektion: >50 %,

    nach fraktionierter stereotaktischer Radiotherapie nach OP: 20 %.

    Komplikationen

    Hypophyseninsuffizienz (Spätschaden mit Latenz von 5–10 Jahren durch Radiotherapie),

    Wundheilungsstörungen, Hämatome, Liquorfistel, Infektionen, Nachblutung (durch operativen Zugang),

    hypothalamische Dysfunktion mit erheblicher Adipositas bei >50 %,

    Sehstörungen, neurologische Ausfallserscheinungen, psychoneurologische Schäden, Beeinträchtigung der Lebensqualität.

    Tipp für die Praxis/FAQ

    Vorliegen eines Diabetes insipidus spricht für supraselläre Raumforderung.

    MRT ist Standard bei Bildgebung der Sellaregion → besserer Weichteilkontrast; CCT → bessere Darstellung von Tumorverkalkungen und ossären Destruktionen.

    Operation in spezialisierten Zentren.

    Rezidive häufig! (Müller 2014)

    Fall 1:

    Diagnose: V. a. Kraniopharyngeom. Es erfolgt die operative Resektion des Tumors, histologisch bestätigt sich der Verdacht. Die postoperative Kontrolle zeigt einen persistierenden Ausfall der somatotropen und gonadotropen Achse sowie einen Diabetes insipidus. Eine entsprechende Substitution wird eingeleitet ( ► Abschn. 2.7).

    2.4 Raumforderungen im Bereich der Hypophyse

    Raumforderungen in diesem Bereich sind überwiegend Hypophysenadenome (90 %). Diese gutartigen Tumoren aus parenchymatösen Zellen des Hypophysenvorder- oder -hinterlappens stellen 10–15 % aller intrakraniellen Neubildungen dar (Petersenn et al. 2006). Abhängig von der Größe unterscheidet man Mikroadenome (<10 mm) von Makroadenomen (<10 mm). Mikroadenome sind meist Zufallsbefunde (Inzidentalome).

    Vorkommen in abnehmender Reihenfolge: Prolaktinome > hormoninaktive Hypophysenadenome > Akromegalie > Morbus Cushing > TSHome > funktionell aktive Gonadotropinome (absolute Raritäten).

    Pathophysiologie

    Noch nicht vollständig geklärt, vermutet werden genetische Alterationen.

    Klinik

    Kopfschmerzen, Sehstörungen,

    Symptome des Hormonmangels bzw. der -hypersekretion.

    Diagnostik

    Labor: → hormonelle Evaluation.

    Bildgebung: MRT nativ und mit Gadolinium (◘ Abb. 2.5), meist zeigt sich intraselläres Wachstum, häufig Sellavergrößerung, bei Kontraindikationen für MRT → CCT.

    Ophthalmologische Untersuchung zum Nachweis/Ausschluss Chiasma-Syndrom mit Visusminderung, Gesichtsfeldausfällen, z. B. bitemporale Hemianopsie (Perimetrie), Optikusatrophie,

    ggf. neurologische Untersuchung bei V. a. Hirnnervenfunktionsstörungen (bei Makroadenomen/parasellären Anteilen kann es entsprechend der Größenausdehnung zu Augenmuskelparesen durch Beeinträchtigung der Hirnnerven III, V und VI kommen → meist III betroffen).

    Differentialdiagnosen

    Metastasierendes Karzinom, Lymphom, Meningeom, Zyste, Abszess, Keimzelltumor, Hypophysitis.

    CAVE: physiologische Vergrößerung der Hypophyse während Schwangerschaft.

    Bei Auftreten eines Hypophysenadenoms stets an Möglichkeit einer multiplen endokrinen Neoplasie Typ 1 denken (Bestimmung von Kalzium!).

    Therapie

    Operative Resektion → Indikationen: HVL-Insuffizienz, Hormonaktivität des Adenoms (Ausnahme: Prolaktinom), Chiasma-Syndrom, Größenprogredienz im Verlauf, Versagen/Unverträglichkeit medikamentöser Therapie (bei Mikroadenomen selten operativ bedingte Ausfälle einzelner Hypophysenpartialfunktionen).

    2.5 Hormoninaktive Hypophysenadenome („non-functioning pituitary adenomas")

    Fall 2:

    25-jährige Patientin mit seit längerer Zeit bestehenden Kopfschmerzen. Es bestehen keine Sehstörungen, keine Hinweise für den Ausfall einer Hypophysenpartialfunktion. Im MRT-Sella zeigt sich ein Mikroadenom der Hypophyse ohne raumfordernde Wirkung mit einem Durchmesser von 5 mm.

    Wie gehen Sie weiter vor?

    Epidemiologie

    30 % aller Hypophysenadenome, zweithäufigste Manifestation,

    Inzidenz: 10 Fälle/Mio. Einwohner/Jahr, Prävalenz: 60–100/Mio. Einwohner.

    Pathophysiologie

    Adenome des HVL, bei denen in Zirkulation keine erhöhten Spiegel von aktiven HVL-Hormonen nachweisbar sind (obwohl bei bis zu 90 % immunhistochemisch Produktion belegbar ist, d. h. Sekretion findet nicht statt oder Hormone sind unwirksam) → Nullzell-Adenome, α-Untereinheit sezernierende Adenome, Silent-Adenome.

    Hierzu zählen auch Adenome, die zwar Hormone produzieren, jedoch keine klinischen Symptome verursachen (meist funktionell inaktive Gonadotropinome).

    Klinik

    Wenn klinisch auffällig → meist Makroadenom (Mikroadenom meist Inzidentalom),

    Gesichtsfeldeinschränkungen (Spätsymptom), Kopfschmerzen,

    Symptome der HVL-Insuffizienz, Entzügelungshyperprolaktinämie bei Kompression des Hypophysenstiels,

    Klinik der partiellen/kompletten HVL-Insuffizienz entspricht der jeweils ausgefallenen hypophysären Partialfunktion (◘ Tab. 2.1),

    aufgrund höherer Sensitivität gegenüber einer Kompression klassische Reihenfolge des Achsenausfalls: somatotrop, gonadotrop → thyreotrop, corticotrop,

    Frühsymptome: ♀: Zyklusstörungen, Amenorrhö, ♂: Libido- und Potenzverlust.

    Diagnostik

    Anamnese: Kopfschmerzen, Sehstörungen, Hinweise auf HVL-Insuffizienz.

    Hormonelle Diagnostik: Nachweis eines oder mehrerer Hormonausfälle bzw. Ausschluss hormoneller Hypersekretion (◘ Tab. 2.1).

    Bildgebung: MRT (1. Wahl) nativ und mit Gadolinium.

    Ophthalmologische Untersuchung: Ausschluss eines Chiasma-Syndroms.

    Ggf. neurologische Untersuchung.

    Differentialdiagnosen

    Andere selläre Raumforderungen → Karzinome, ontogenetische Zellresttumoren, Zysten, primitive Keimzelltumoren, Gliome, Meningeome, Abszesse, Granulome, Metastasen, Aneurysmen.

    Therapie

    Abwartendes Procedere: bei Inzidentalomen <10 mm ohne Nachweis HVL-Insuffizienz oder ausreichendem Abstand zum Chiasma opticum.

    Operativer Eingriff (1. Wahl): möglichst komplette Resektion, meist transsphenoidal (>90 %).

    Radiotherapie:

    Indikationen: bei inkompletter Tumorresektion,

    Verfahren: konventionelle perkutane fraktionierte Strahlentherapie, fraktionierte stereotaktische Radiotherapie, radiochirurgische Verfahren

    Spätschäden: ► Abschn. 2.3, Komplikationen.

    Pharmakotherapie: ggf. Einleitung einer Substitutionstherapie.

    Verlauf und Prognose

    Nach OP: laborchemische Kontrolle nach 6 Wochen, Verlaufs-MRT 3 Monate postoperativ, weitere Kontrollabstände (laborchemisch, radiologisch, ophthalmologisch) inidividuell festzulegen.

    Rezidivrate: 6–20 % nach kompletter Resektion.

    Bei nicht reseziertem Makro- Inzidentalom → MRT nach 6 Monaten, bei nicht reseziertem Mikroinzidentalomen → MRT nach 12 Monaten.

    Endokrine/ophthalmologische Kontrollen 6 Monate nach Diagnosestellung, dann jährlich.

    Komplikationen

    Hypophyseninsuffizienz, Sehstörungen, neurologische Ausfallerscheinungen, Einblutung in Makroadenom (stärkste Kopfschmerzen!), Komplikationen durch operativen Zugang (► Abschn. 2.3, Komplikationen).

    Tipp für die Praxis/FAQ

    In der Regel kein Diabetes insipidus!

    Unterschiedliche Sensitivität der einzelnen Achsen des HVL gegenüber einer Tumorkompression: häufig somatotrope>gonadotrope>corticotrope>thyreotrope Achse.

    Trotz Hormoninaktivität des Hypophysenadenoms kann es bei Kompression des Hypophysenstiels zu Begleithyperprolaktinämie kommen.

    Gesichtsfeldausfälle bleiben dem Patienten häufig über einen langen Zeitraum unbemerkt, daher testen.

    Nach operativer Resektion eines Adenoms können sich Achsenausfälle erholen.

    Fall 2:

    Procedere: MRT-Kontrolle nach 1 Jahr, ophthalmologische und endokrinologische Verlaufskontrolle in 6 Monaten.

    2.6 Hormonaktive Hypophysenadenome

    Hormonaktive Hypophysenadenome sind durch eine erhöhte Konzentration eines hypophysären Hormons im Blut und die hierdurch hervorgerufenen Symptome gekennzeichnet.

    2.6.1 Prolaktinom

    Fall 3:

    Eine 31-jährige Patientin mit Kinderwunsch stellt sich vor, die Pille habe sie vor 6 Monaten abgesetzt, in der Folge fand kein Zyklus statt. Im Rahmen der gynäkologischen Abklärung wird ein erhöhter Prolaktinspiegel festgestellt (1365 ug/l, Norm <23,3). Ein daraufhin durchgeführtes MRT der Sella zeigt ein Hypophysenmakroadenom (19 × 18 × 13 mm), ◘ Abb. 2.6. Anamnestisch ergeben sich keine Galaktorrhö und keine Kopfschmerzen. Es besteht ein hypogonadotroper Hypogonadismus (LH <0,1 IU/l, FSH 0,9 IU/, Östradiol 10,9 ng/l). Die ophthalmologische Kontrolle ergibt keine Gesichtsfeldeinschränkung.

    ../images/430873_1_De_2_Chapter/430873_1_De_2_Fig5_HTML.png

    Abb. 2.5

    MRT der Hypophyse (Sella), koronar, mit einem Hypophysenadenom

    Welche Diagnose stellen Sie und wie ist das weitere Vorgehen?

    ../images/430873_1_De_2_Chapter/430873_1_De_2_Fig6_HTML.jpg

    Abb. 2.6

    MRT der Sella

    Epidemiologie

    Häufigster hormonproduzierender Hypophysentumor (40 % aller Hypophsenadenome),

    Inzidenz: 50–60 Fälle/Mio. Einwohner/Jahr, Prävalenz: 60–100/Mio. Einwohner,

    90 % Mikroprolaktinome mit geringer Wachstumstendenz, diese vor allem bei Frauen,

    bei Männern finden sich ganz überwiegend Makroadenome (95 % d.F.).

    Pathophysiologie

    In der Regel benigne Proliferation laktotroper Zellen mit pathologischer Mehrsekretion von Prolaktin → Sistieren der pulsatilen LH-Freisetzung, da erhöhte Prolaktinspiegel zur Erhöhung des hypothalamischen Dopamin-/Endorphinumsatzes führen → parakrine Unterdrückung der Pulsatilität von GnRH-Neuronen → hypogonadotroper Hypogonadismus (ggf. dafür auch kompressorische Beeinträchtigung der gonadotropen Zellen durch Makroadenom mitursächlich),

    Normbereich: 3–25 μg/l (Frauen: 3,8–23,2 μg/l bzw. Männer: 3,0–14,7 μg/l) → assayabhängig.

    Klinik

    Kopfschmerzen,

    Gesichtsfeldeinschränkung, Augenmuskelparesen,

    Symptome der partiellen HVL-Insuffizienz (◘ Tab. 2.1),

    langfristig Osteoporose.

    Diagnostik

    Anamnese: Kopfschmerzen, Sehstörungen, Galaktorrhö, Spannungsgefühl in der Brust, Zyklusstörungen, Infertilität, Libidoverlust, Hinweise auf eine partielle HVL-Insuffizienz, Medikamente.

    Labor:

    Nachweis Hypersekretion von Prolaktin (mind. 3-mal messen!),

    Untersuchung der übrigen Hypophysenachsen (bei Mikroadenomen sehr selten Ausfälle weiterer Hormonachsen!).

    Bildgebung: MRT der Sellaregion (1. Wahl) nativ und mit Gadolinium, meist intraselläres Wachstum bei Mikroprolaktinomen, Abgrenzung zu großen hormoninaktiven Hypophysenadenomen mit Kompression des Hypophysenstiels.

    Ophthalmologische Untersuchung.

    Ggf. neurologische Untersuchung.

    Differentialdiagnosen

    (◘ Tab. 2.2)

    Tab. 2.2

    Differentialdiagnosen der Hyperprolaktinämie

    Abgrenzung hormoninaktives Makroadenom/Makroprolaktinom durch Prolaktinspiegel und Tumorgröße:

    Makroprolaktinom: Prolaktin meist >250 μg/l,

    Entzügelungshyperprolaktinämie: meist <100 μg/l (inadäquat niedriger Prolaktinspiegel im Verhältnis zur Tumorgröße),

    Mikroprolaktinom: häufig nur geringe Hyperprolaktinämie, 100–250 μg/l.

    Therapie

    Pharmakotherapie:

    Dopaminagonisten →

    Indikation: Makroprolaktinome, Mikroprolaktinome mit Hypogonadismus, Fertilitätsstörungen mit Kinderwunsch und/oder Galaktorrhö, Mikroprolaktinome mit Größenprogredienz.

    Bei Ansprechen → schneller Wirkungseintritt mit abfallendem Prolaktin (Stunden bis Tage) → in 66 % d. F. Größenabnahme um mind. 50 %.

    Dosierung immer einschleichen: zu Therapiebeginn → häufig UAW (siehe unten), langwirksame Substanzen vor dem Schlafen einnehmen.

    Dosierungen:

    Bromocriptin (1. Gen.): Startdosis 1,25 mg am Abend, ab Tag 2 3-mal 1,25 mg/d, nach 1 Woche 3-mal 2,5 mg/d (max. 15–20 mg/d) → bei Kinderwunsch (meiste Erfahrungen in Schwangerschaft).

    Cabergolin (2. Gen.): Startdosis 0,25 mg 2x/Woche (z. B. Montag und Donnerstag), schrittweise Dosiserhöhung um 0,5 mg/Woche in monatlichen Abständen bis 2 mg/Woche (max. 3,5 mg); bei Mikroadenomen kann Startdosis von 0,25 mg 1x/Woche ausreichen → am effektivsten, bessere Verträglichkeit, längere Wirksamkeit.

    Quinagolid (2. Gen.): 75–150 μg 1x/d (max. 600 μg/d) → bessere Verträglichkeit, längere Wirksamkeit.

    UAW:

    Nausea, Vomitus, orthostatische Dysregulation,

    selten bei höherer Dosierung → psychotische Veränderungen (z. B. Spielsucht bei ca. 5 %), Hypersexualität,

    sehr selten Gefahr von Herzklappenveränderungen,

    CAVE: bei Makroprolaktinomen Gefahr einer hämorrhagischen Nekrose (neurochirurgischer Notfall!),

    bei länger andauerndem Hypogonadismus zusätzlich Substitution von Sexualhormonen (z. B. Östrogene, Testosteron),

    ggf. zusätzliche Substitution weiterer HVL-Achsen,

    bei Mikroprolaktinomen ohne Klinik/milder Hyperprolaktinämie im Einzelfall Verzicht auf dopaminagonistische Therapie möglich (ggf. Sexualhormonsubstitution bei Östrogen-oder Testosteronmangel).

    Operative Therapie: nur bei Therapieresistenz (ca.10 %), Unverträglichkeit der Therapie, geplanter Schwangerschaft und Makroadenom, medikamentös nicht schnell genug/unzureichend beeinflussbare Prolaktinome mit rasch progredienter Gesichtsfeldeinschränkung, Auftreten akuter Hirndruckzeichen durch Tumoreinblutung nach Beginn medikamentöser Behandlung.

    Radiotherapie:

    nur bei sehr aggressiven Verlaufsformen, Spätschäden (s.o.).

    Verlauf und Prognose

    Endokrine Laborkontrolle unter Dopaminagonisten nach 1 und 2 Wochen, danach abhängig von Verlauf und Klinik (Normalisierung des Prolaktinspiegels),

    MRT-Kontrolle bei Makroprolaktinom nach 3 Monaten, danach jährlich → bei Makroprolaktinomen gute Korrelation zwischen Abfall der Prolaktinspiegel und Tumorgröße,

    MRT-Kontrolle bei Mikroprolaktinomen nach 1 Jahr, bei konstantem Prolaktinspiegel im weiteren Verlauf keine weitere Bildgebung erforderlich,

    Auslassversuch mit Dopaminagonisten frühestens nach 2 Jahren (Voraussetzungen: normalisiertes Prolaktin, Tumorgrößenreduktion mind. 50 %, konstante Größe mind. 24 Monate), Kontrolle des Prolaktinspiegels im 2-Monats-Intervall,

    Langzeitremission nur bei ca. 20–30 % der Patienten (Mikroprolaktinome: ca. 21 %, Makroprolaktinome: ca. 16 %).

    Komplikationen

    Hypophyseninsuffizienz, Sehstörungen, neurologische Ausfallerscheinungen, Einblutung in Makroadenom unter Dopaminagonistentherapie (stärkste Kopfschmerzen!), Resistenz gegen verwendete Dopaminagonisten (Bromocriptin ca. 20–30 %, Cabergolin ca. 10 %).

    Tipp für die Praxis/FAQ

    Tipp für Blutentnahme: Tagesrhythmik der Prolaktinsekretion beachten → Bestimmung vormittags mindestens 1 h nach Aufstehen, Stressbelastung vor Blutentnahme vermeiden! → Führt zu kurzzeitigem Prolaktinanstieg um das 2- bis 3-Fache.

    Keine Brustpalpation vor Blutentnahme!

    Prolaktin-spezifische Störfaktoren: High-dose-hook-Effekt: falsch-niedrige Prolaktinwerte durch sehr hohe Antigenkonzentrationen verursacht → Probe nach Verdünnung erneut messen; Makroprolaktin: hochmolekulare Komplexe aus Prolaktin, Proteinen und endogenen Antikörpern (soweit bekannt biologisch inaktiv → keine Klinik!); durch Vielzahl von Bindungsstellen Immunoassay-Antikörper können falsch-positive Messergebnisse auftreten → Re-Evaluation nach PEG-Fällung (Polyethylenglykol).

    Echokardiographie vor Therapiebeginn mit Cabergolin und im Verlauf

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