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Nachhaltiges Planen, Bauen und Wohnen: Kriterien für Neubau und Bauen im Bestand
Nachhaltiges Planen, Bauen und Wohnen: Kriterien für Neubau und Bauen im Bestand
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Nachhaltiges Planen, Bauen und Wohnen: Kriterien für Neubau und Bauen im Bestand

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Dieses Fachbuch dient als Planungswerkzeug für nachhaltiges Bauen im Wohnungsbau, sowohl bei Neubauten als auch beim Bauen im Bestand. Es werden alle relevanten Kriterien erläutert, die beim nachhaltigen Bauen zu beachten sind. Neben konkreten Maßnahmen zur Zielerreichung wird erläutert, wie die vorgestellten Kriterien bei einer Nachhaltigkeitszertifizierung mit dem Deutschen Gütesiegel für nachhaltiges Bauen (DGNB) und dem Qualitätssiegel Nachhaltiger Wohnungsbau (NaWoh) einbezogen und bewertet werden. Jedes Kapitel bietet zusammenfassende Checklisten, mit denen anstehende Bau- und Modernisierungsaufgaben systematisch angegangen werden können.


LanguageDeutsch
Release dateMay 30, 2018
ISBN9783662565537
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    Nachhaltiges Planen, Bauen und Wohnen - Stefanie Friedrichsen

    © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2018

    Stefanie FriedrichsenNachhaltiges Planen, Bauen und Wohnenhttps://doi.org/10.1007/978-3-662-56553-7_1

    1. Einleitung

    Stefanie Friedrichsen¹ 

    (1)

    Lehrgebiet Baubetrieb/Projektmanagement, FH Münster, Münster, Deutschland

    Bauinvestitionen haben einen hohen wirtschaftlichen Stellenwert, da sie nicht nur hohe Investitionen, sondern auch hohe Folgekosten verursachen. Zunehmend werden an Gebäude aber auch hohe ökologische und soziale Anforderungen gestellt. Bauliche Maßnahmen sollen die Umwelt möglichst wenig beeinträchtigen und den Menschen in seiner natürlichen und gebauten Umgebung schützen. Außerdem müssen bedarfsgerechter Wohnraum und ein geeignetes Wohnumfeld sichergestellt sein.

    Eines der größten aktuellen Probleme ist zweifellos die Energiefrage. Die Lösung des Problems wird nur bedingt im Erschließen von neuen Energiequellen – ob regenerativ oder nicht – beziehungsweise in der Optimierung von technischen Anlagen in Gebäuden liegen. Beide Ansätze sind wichtig, weitaus wichtiger jedoch ist es, den Energiebedarf zu senken.

    Zu einer Optimierung des Energiebedarfs im Wohnungsbau gehören

    eine konsequente Energieeinsparung (durch bauliche Wärmedämmung, Verbesserung beziehungsweise Austausch der Heizungsanlage sowie Veränderung des Nutzerverhaltens),

    die Steigerung der Energieeffizienz, das heißt eine optimierte Beziehung zwischen der Qualität des Raumklimas und dem dazu benötigten Energiebedarf, und

    ein zukunftssicherer Energiemix, das heißt verstärkter Einsatz von erneuerbaren Energien (Wind, Sonne, Erdwärme).

    Eine flächendeckende energetische Gebäudeoptimierung gelingt nur mit Innovationen in der Gebäudetechnik sowie einer entsprechenden Qualifikation der Projektbeteiligten, die die Innovationen umsetzen.

    Neben der Energieeffizienz ist der demografische Wandel ein weiterer wichtiger Faktor, der den Wohnungsbau beeinflusst. Eine zentrale Zukunftsaufgabe der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft ist daher die Versorgung der alternden Gesellschaft mit altersgerechtem Wohnraum.

    Der Markt für Seniorenimmobilien ist nicht nur in Deutschland, sondern in allen europäischen Ländern ein Zukunftsmarkt mit einem erheblichen Wachstumspotenzial. Entscheidendes Handlungsfeld ist auch hier der Wohnungsbau beziehungsweise -bestand. Die meisten älteren Menschen leben bislang in herkömmlichen Wohnungen und wollen auch solange wie möglich in ihren vertrauten Räumlichkeiten verbleiben. Der vorhandene Wohnungsbestand ist vielfach nicht seniorengerecht und weist bauliche Barrieren auf. Bei einer energetischen Optimierung bietet es sich an, gleichzeitig einen Teil des Wohnungsbestandes an die Bedürfnisse von Senioren anzupassen.

    Die Entwicklungen im Wohnungsbau haben nicht nur Auswirkungen auf die Gebäude, sondern auch auf den städtebaulichen Kontext. Beim Neubau sowie bei der Anpassung vorhandener Wohngebäude an künftige Nutzeransprüche muss das Gebäude außerdem in eine funktionierende Stadtstruktur eingebettet werden. Die Lebensqualität in den Städten ist ein zunehmender Wettbewerbsvorteil. Der aktuelle Trend „Zurück in die Stadt" gibt Planern und Entwicklern einen Impuls, sich auf Wachstumsbereiche zu konzentrieren und die Innenstadtentwicklung beziehungsweise regionale Entwicklungsperspektiven zu stärken.

    Neben diesen Aspekten spielen weitere Kriterien der Nachhaltigkeit eine zunehmende Rolle. Bauliche Maßnahmen müssen in verstärktem Maße kostengünstig, umweltgerecht und sozial verträglich sein und gleichzeitig eine architektonische Qualität haben. Die folgenden Kapitel sollen deshalb eine Hilfestellung bieten, die anstehenden Maßnahmen im Wohnungsbau im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung erfolgreich angehen zu können. Einen Überblick über die vier Bereiche des nachhaltigen Planen und Bauens gibt Abb. 1.1.

    ../images/192298_2_De_1_Chapter/192298_2_De_1_Fig1_HTML.png

    Abb. 1.1

    Optimierungsbereiche beim Bauen (eigene Darstellung)

    Eine Optimierung des Gebäudebestands darf jedoch nicht „Modernisierung um jeden Preis" bedeuten. Eine Erneuerung lohnt sich nur bei einer ausreichenden Objekt- und Standortqualität. K. O.-Kriterien für energetische Bestandsinvestitionen auf schrumpfenden Märkten sind nicht korrigierbare Standortprobleme (Verkehrslärm, fehlende Infrastruktur, städtebauliche Defizite, Sozialstrukturprobleme), erhebliche Grundrissprobleme (fensterlose Badezimmer etc.) sowie unattraktive Gebäudetypen (Großsiedlungen, Hochhaus).

    Für verschiedene Baualtersklassen müssen unterschiedliche Lösungen gefunden werden. Gründerzeitliche Stadtquartiere und stadtbildprägende Wohnsiedlungen der 1920er und 1930er Jahre haben meist eine gute Bausubstanz; außerdem gehören sie zu den beliebtesten Standorten der Wohnungsnachfrage und sind wertvolle Elemente der Stadtkultur. Deshalb gibt es einen breiten gesellschaftlichen Konsens, diesen Bestand zu erhalten und zu erneuern.

    Unmittelbar nach dem 2. Weltkrieg errichtete Wiederaufbauten sowie Wohnsiedlungen bis Ende der 1950er Jahre, die nach dem I. Wohnungsbaugesetz und den Notprogrammen des Wiederaufbaus errichtet wurden, weisen in der Regel eine schlechte bauliche Substanz und gravierende funktionale Mängel auf. Hier sollte genau geprüft werden, ob eine Erneuerung wirtschaftlich tragfähig ist. Gegebenenfalls ist ein Abriss und Neubau die bessere Lösung.

    Wohnungsbestände, die ab Ende der 1950er beziehungsweise Anfang der 1960er Jahre errichtet wurden, sind für einen Erhalt, allerdings mit nachhaltiger Umstrukturierung, besser geeignet. Wohngebäude der 1960er und 1970er Jahre haben in der Regel ebenfalls Potenzial für eine Erneuerung.

    1.1 Zielsetzung Lebenszyklusbetrachtung

    Gebäude werden üblicherweise über einen langen Zeitraum, in der Regel 50 bis 100 Jahre, genutzt. Die Bauphase nimmt dabei nur einen sehr geringen Zeitanteil ein. Für eine nachhaltige Optimierung muss deshalb nicht nur die Erstellung oder Erneuerung eines Gebäudes, sondern der gesamte Lebenszyklus der Immobilie betrachtet werden. Dieser umfasst eine sich wiederholende Abfolge von der Entstehung über die Nutzung bis zur Verwertung (Abb. 1.2). Dabei können innerhalb des Lebenszyklus´ eines Gebäudes durch Umnutzung und/oder Modernisierung mehrere Zyklen durchlaufen werden. Der eigentliche Lebenszyklus der Immobilie wird jedoch erst beendet, wenn das Gebäude rückgebaut wird.

    ../images/192298_2_De_1_Chapter/192298_2_De_1_Fig2_HTML.png

    Abb. 1.2

    Lebenszyklus einer Immobilie (eigene Darstellung)

    Abb. 1.3 und 1.4 verdeutlichen, dass sowohl Kosten als auch Umweltbelastungen in weit größerem Maße in der Nutzungsphase als in der Erstellungsphase der Immobilie anfallen.

    ../images/192298_2_De_1_Chapter/192298_2_De_1_Fig3_HTML.png

    Abb. 1.3

    Anteil Nutzungskosten an den Gesamtkosten eines Einfamilienhauses (nach [2], S. 3)

    ../images/192298_2_De_1_Chapter/192298_2_De_1_Fig4_HTML.png

    Abb. 1.4

    Anteile der baubedingten Umweltbelastungen in Herstellungs- und Nutzungsphase (nach [1], S. 70)

    Die Einwirkungsmöglichkeiten auf die Bau- und Nutzungskosten dagegen sind zu Beginn einer Baumaßnahme am größten und nehmen mit dem Planungsfortschritt sehr schnell und immer weiter ab (Abb. 1.5).

    ../images/192298_2_De_1_Chapter/192298_2_De_1_Fig5_HTML.png

    Abb. 1.5

    Kostenbeeinflussbarkeit im Projektablauf (eigene Darstellung)

    Der Grundstein für ein erfolgreiches Projekt wird bereits in der Projektentwicklungsphase gelegt. Da Bauprojekte sehr langlebig sind und Umweltbelastungen und Kosten vor allem in der Nutzungsphase anfallen, die Rahmenbedingungen, die über die Höhe der Belastungen und Kosten entscheiden, jedoch bereits in der Planungsphase festgelegt werden, muss bei einem nachhaltigen Gebäude immer der gesamte Lebenszyklus betrachtet und optimiert werden.

    1.2 Vorgehensweise

    Im Folgenden wird in Kap.​ 2 zunächst in die Themen Nachhaltigkeit und Nachhaltiges Bauen eingeführt. Nach der Definition wichtiger Begriffe werden die Geschichte der Nachhaltigkeit genauer beleuchtet und die wichtigsten Bewertungssysteme vorgestellt.

    Da das Bauen im Bestand immer wichtiger wird, werden in Kap.​ 3 die Besonderheiten beim Bauen im Bestand dargestellt. Die Begrifflichkeiten bei Erneuerungsmaßnahmen werden oft unterschiedlich verwendet, deshalb wird dem Kapitel zunächst eine Begriffsdefinition vorangestellt.

    Daran anschließend werden im Kap.​ 4 allgemeine Planungsgrundsätze zum nachhaltigen Bauen erläutert, gefolgt von den ökologischen, wirtschaftlichen und soziokulturellen Qualitäten eines nachhaltigen Gebäudes (in den Kap.​ 5 bis 7). Dabei werden zu jedem Themenbereich die Relevanz und Zielsetzung des Kriteriums sowie konkrete Maßnahmen zur Zielerreichung inklusive einer Checkliste dargestellt. Zusätzlich wird für jeden Themenbereich erläutert, inwieweit die Kriterien in den Bewertungssystemen DGNB und NaWoh berücksichtigt werden.

    Kap.​ 7 fasst die wichtigsten Ergebnisse zusammen und gibt einen Ausblick. Einen Überblick über der Aufbau gibt Abb. 1.6.

    ../images/192298_2_De_1_Chapter/192298_2_De_1_Fig6_HTML.png

    Abb. 1.6

    Struktur der Veröffentlichung (eigene Darstellung)

    Literatur

    [1]

    Kohler N, Hassler U, Paschen, H (Hrsg) (1999) Stoffströme und Kosten in den Bereichen Bauen und Wohnen. Springer, Berlin

    [2]

    Kompetenzzentrum „Kostengünstig qualitätsbewusst Bauen im BBSR im BBR" (Hrsg) (2009) Bauen im Lebenszyklus. Info-Blatt Nr. 3.2. Selbstverlag, Berlin

    © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2018

    Stefanie FriedrichsenNachhaltiges Planen, Bauen und Wohnenhttps://doi.org/10.1007/978-3-662-56553-7_2

    2. Nachhaltige Entwicklung im Baubereich

    Stefanie Friedrichsen¹ 

    (1)

    Lehrgebiet Baubetrieb/Projektmanagement, FH Münster, Münster, Deutschland

    Auch im Baubereich wird in den letzten Jahren verstärkt eine nachhaltige Entwicklung gefordert. Nachhaltige Entwicklung ist die übliche Übersetzung des englischen Begriffs „sustainable development oder auch „sustainability und bezeichnet eine Entwicklung, die den Bedürfnissen der heutigen Generation entspricht, ohne die Möglichkeiten künftiger Generationen zu gefährden, ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen.

    2.1 Begriff und Definition

    Der Begriff „Nachhaltige Entwicklung " wurde 1987 von der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung (Brundtland-Kommission) folgendermaßen definiert:

    Sustainable development meets the needs of the present without compromising the ability of future generations to meet their own needs. ([11], Chapter 2)

    Nachhaltige Entwicklung ist also eine Entwicklung, die den Bedürfnissen der heutigen Generation entspricht, ohne den zukünftigen Generationen die Möglichkeiten zu nehmen, ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen und ihren eigenen Lebensstil zu wählen.

    Die Brundtland-Kommission definierte „sustainable development" im eigentlichen Kern über zwei Hauptaspekte:

    weltweite Befriedigung der Grundbedürfnisse der Armen und

    Verwenden der begrenzten Naturressourcen so, dass nicht nur die heutige, sondern auch zukünftigen Generationen etwas davon haben (Generationengerechtigkeit).

    Seit der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung im Jahr 1992 (Rio-Konferenz) bezieht sich nachhaltige Entwicklung nicht mehr nur vorrangig auf den langfristigen Schutz von Umwelt und Ressourcen, sondern gleichermaßen auf die Verwirklichung sozialer und ökonomischer Ziele. Eine nachhaltige Entwicklung umfasst also

    die ökologische Dimension,

    die ökonomische Dimension und

    die soziale Dimension (vgl. Abb. 2.1).

    ../images/192298_2_De_2_Chapter/192298_2_De_2_Fig1_HTML.png

    Abb. 2.1

    Drei-Säulen-Modell der Nachhaltigkeit (eigene Darstellung)

    2.2 Geschichte

    Der Begriff „Nachhaltigkeit wurde ursprünglich in der Forstwirtschaft verwendet. Schriftlich festgehalten wurde er zum ersten Mal 1713 von Hans Carl von Carlowitz, Oberberghauptmann am kursächsischen Hof in Freiberg, in seinem Buch „Sylvicultura Oeconomica – Die Naturmäßige Anweisung zur Wilden Baumzucht (vgl. Tab. 2.1). Für ihn war Nachhaltigkeit ein rein wirtschaftliches Prinzip zur dauerhaften Sicherung kontinuierlicher Holzlieferungen für die darauf angewiesenen Montanbetriebe. So sollte immer nur so viel Holz geschlagen werden, wie durch planmäßige Aufforstung durch Säen und Pflanzen nachwachsen konnte. Ziel war es, die Waldfläche konstant zu halten.

    Tab. 2.1

    Geschichte der Nachhaltigkeit (wichtige Meilensteine)

    Dieses Prinzip wurde dann deutlich später auch auf das internationale Vorgehen zum Umweltschutz übertragen. Das Jahr 1972 markiert mit der ersten internationalen Umweltschutzkonferenz in Stockholm den Startpunkt für eine länderübergreifende Umweltpolitik. Im Anschluss daran wurde auf Vorschlag der Konferenz das UN-Umweltprogramm UNEP durch die UN-Vollversammlung gegründet. Im gleichen Jahr veröffentlichte auch der vier Jahre zuvor von Wissenschaftlern, Politikern und Wirtschaftsexperten gegründete Club of Rome seinen Bericht „Grenzen des Wachstums" zur Zukunft der Weltwirtschaft. Der Bericht prognostizierte das Erreichen der Wachstumsgrenze der Weltwirtschaft innerhalb der nächsten 100 Jahre, wenn sich an den politischen, kulturellen, wirtschaftlichen und ökologischen Gegebenheiten nichts änderte.

    Der Bericht des Club of Rome und die Ölkrise 1973 sorgten für ein weiteres Umdenken in Sachen Umweltschutz. 1983 gründeten die Vereinten Nationen die Weltkommission für Umwelt und Entwicklung (World Commission on Environment and Department WCED) als unabhängige Sachverständigenkommission. Ziel der Kommission war es, einen Perspektivbericht für eine langfristig tragfähige und umweltschonende Entwicklung zu erstellen, der 1987 mit dem Titel „Our Common Future veröffentlicht wurde. Der Bericht ist ebenfalls als „Brundtland-Report bekannt¹ und bildete die Grundlage für die weltweite Umweltkonferenz in Rio de Janeiro im Jahr 1992, an der rund 10.000 Delegierte aus 178 Ländern teilnahmen. Zum ersten Mal setzten sich Vertreter nahezu aller wichtigen Staaten mit dem Thema Umwelt und Entwicklung auseinander. Als Ergebnis wurden zwei internationale Abkommen (Klimaschutz-Konvention und Artenschutz-Konvention), zwei Grundsatzerklärungen (Deklaration über Umwelt und Entwicklung und Walddeklaration) und das Aktionsprogramm Agenda 21 für eine weltweite nachhaltige Entwicklung beschlossen.

    Auf Grundlage der Klimaschutz-Konvention fanden in den folgenden Jahren mehrere UN-Klimakonferenzen statt. Die bedeutendste war die 3. Klimakonferenz 1997 in Kyoto, auf der das Kyoto-Protokoll zu Ausgestaltung der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen (UNFCCC) mit dem Ziel des Klimaschutzes beschlossen wurde. Darin wurden erstmals völkerrechtlich verbindliche Zielwerte für den Ausstoß von Treibhausgasen in den Industrieländern festgehalten. Konkrete Details zur Umsetzung des Protokolls wurden jedoch nicht geklärt. Diese Fragen waren Gegenstand der Verhandlungen auf weiteren Konferenzen in den Jahren 1998 bis 2001.

    Ein weiterer Meilenstein für eine nachhaltige Entwicklung ist die 55. Generalversammlung der Vereinten Nationen, die im Jahr 2000 in New York stattfand und auch als Millennium-Gipfel bezeichnet wird. Auf der bis dato größten Zusammenkunft von Staats- und Regierungschefs einigten sich die Teilnehmer auf einen Maßnahmenkatalog mit konkreten Ziel- und Zeitvorgaben und dem übergeordneten Ziel, die Armut in der Welt bis zum Jahr 2015 zu halbieren.

    Zehn Jahre nach der Rio-Konferenz fand in Johannesburg der Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung statt, um die Ergebnisse der Agenda 21 zu bilanzieren und neue Zeitziele und Handlungsprioritäten festzulegen. Es nahmen ca. 20.000 Delegierte, bestehend aus Regierungen, Wirtschaft, Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und Kommunen, aus 190 Staaten teil. Ergebnis waren ein umfassender Aktionsplan, eine politische Erklärung der Staats- und Regierungschefs sowie eine offene Liste mit Partnerschaften zur Umsetzung der Agenda 21, der Ziele der Millenniums-Erklärung der Vereinten Nationen und der in Johannesburg vereinbarten neuen Nachhaltigkeitsziele. Die Ergebnisse wurden unterschiedlich kommentiert: Während sie von den Regierungen positiv aufgenommen wurden, beurteilten die NGOs die Ergebnisse als zu unkonkret und die Zielvorstellungen als kaum zu realisieren.

    Das Kyoto-Protokoll wurde zwar bereits 1997 beschlossen, um völkerrechtlich verbindlich zu sein, musste es jedoch von mindestens 55 Parlamenten der beteiligten Staaten ratifiziert werden, wobei diese Staaten mindestens 55 % der CO2-Emissionen der Industrieländer von 1990 auf sich vereinigen müssen. Nach der Entscheidung der USA im Jahr 2001, das Kyoto-Protokoll nicht zu ratifizieren, war eine Ratifizierung nur mit der Beteiligung Russlands möglich. Nach langem Zögern entschied sich Russland 2004 für die Ratifizierung, sodass das Kyoto-Protokoll 2005 in Kraft treten konnte.

    Parallel fanden jährliche Klimakonferenzen statt, die sich mit der Bestandsaufnahme des internationalen Klimaschutzes, Maßnahmen zur Verminderung von Treibhausgasemissionen und Anpassungen an die Folgen des Klimawandels sowie mit Überlegungen zur Fortschreibung des Kyoto-Protokolls über 2012 hinaus beziehungsweise Nachfolgevereinbarungen beschäftigten.

    2009 sollte schließlich auf der UN-Klimakonferenz in Kopenhagen ein neues Abkommen geschlossen werden. Dies gelang nicht, es wurde lediglich ein Minimalkonsens erzielt, nämlich dass die Erderwärmung auf maximal 2°C im Vergleich zum vorindustriellen Niveau begrenzt werden soll. Die aufgesetzte „Kopenhagener Erklärung" wurde von den Teilnehmern lediglich zur Kenntnis genommen und ist damit völkerrechtlich nicht bindend.

    Ende 2015 fand die UN-Klimakonferenz in Paris statt. Ergebnis ist das Pariser Klimaschutzabkommen. Danach verpflichten sich alle Staaten völkerrechtlich, einen nationalen Klimaschutzbeitrag mit konkreten Umsetzungsmaßnahmen zu erarbeiten. Das Ziel ist, die Erderwärmung im Vergleich zum vorindustriellen Niveau auf deutlich unter 2 °C, optimal 1,5 °C zu begrenzen.

    Die Bundesregierung Deutschland hat in diesem Zusammenhang im Kabinettsbeschluss vom 3. Dezember 2014 im „Aktionsprogramm Klimaschutz 2020" für Deutschland eine Reduktion der Treibhausgasemissionen im Vergleich zu 1990 von mindestens 40 % bis 2020 und 80–95 % bis 2050 als Ziele festgelegt (vgl. [1], S. 6–7).

    Im September 2015 einigten sich außerdem die Staats- und Regierungschefs der 193 Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen bei der UN-Generalversammlung im Rahmen einer Agenda 2030 auf 17 globale Nachhaltigkeitsziele mit 169 Unterzielen, die sogenannten Sustainable Development Goals (SDGs). Sie gelten als Nachfolger der im Jahr 2000 beschlossenen Millennium Development Goals (MDGs) und sollen bis 2030 erreicht werden. Erarbeitet wurde die Agenda 2030 in einem über dreijährigen partizipativen Verhandlungsprozess innerhalb der Vereinten Nationen. Sie gilt für Industrie-, Schwellen- und Entwicklungsländer in gleicher Weise. (vgl. [6], S. 16, 22, 23)

    Die SDGs lauten:

    1.

    Armut in jeder Form und überall beenden,

    2.

    den Hunger beenden, Ernährungssicherheit und eine bessere Ernährung erreichen und eine nachhaltige Landwirtschaft fördern,

    3.

    ein gesundes Leben für alle Menschen jeden Alters gewährleisten und ihr Wohlergehen fördern,

    4.

    inklusive, gerechte und hochwertige Bildung gewährleisten und Möglichkeiten des lebenslangen Lernens für alle fördern,

    5.

    Geschlechtergleichstellung erreichen und alle Frauen und Mädchen zur Selbstbestimmung befähigen,

    6.

    Verfügbarkeit und nachhaltige Bewirtschaftung von Wasser und Sanitärversorgung für alle gewährleisten,

    7.

    Zugang zu bezahlbarer, verlässlicher, nachhaltiger und moderner Energie für alle sichern,

    8.

    dauerhaftes, breitenwirksames und nachhaltiges Wirtschaftswachstum, produktive Vollbeschäftigung und menschenwürdige Arbeit für alle fördern,

    9.

    eine widerstandsfähige Infrastruktur aufbauen, breitenwirksame und nachhaltige Industrialisierung fördern und Innovationen unterstützen,

    10.

    Ungleichheit in und zwischen Ländern verringern,

    11.

    Städte und Siedlungen inklusiv, sicher, widerstandsfähig und nachhaltig gestalten,

    12.

    Nachhaltige Konsum- und Produktionsmuster sicherstellen,

    13.

    umgehend Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels und seiner Auswirkungen ergreifen,

    14.

    Ozeane, Meere und Meeresressourcen im Sinne nachhaltiger Entwicklung erhalten und nachhaltig nutzen,

    15.

    Landökosysteme schützen, wiederherstellen und ihre nachhaltige Nutzung fördern, Wälder nachhaltig bewirtschaften, Wüstenbildung bekämpfen, Bodendegradation beenden und umkehren und dem Verlust der Biodiversität ein Ende setzen,

    16.

    friedliche und inklusive Gesellschaften für eine nachhaltige Entwicklung fördern, allen Menschen Zugang zur Justiz ermöglichen und leistungsfähige, rechenschaftspflichtige und inklusive Institutionen auf allen Ebenen aufbauen,

    17.

    Umsetzungsmittel stärken und die Globale Partnerschaft für nachhaltige Entwicklung mit neuem Leben erfüllen. (vgl. [6], S. 55–226)

    2.3 Nachhaltigkeitsstrategie in Deutschland

    Die Agenda 21 als wichtiges Ziel der Umwelt-Konferenz in Rio beinhaltete als wesentlichen Bestandteil den Auftrag an alle Regierungen, sogenannte „nationale Nachhaltigkeitsstrategien" zu entwickeln. Darin sollten Wege und Methoden beschrieben werden, wie das Konzept einer nachhaltigen Entwicklung in konkrete Schritte und Projekte übersetzt werden kann. Eine nationale Nachhaltigkeitsstrategie muss in einer Zeit, die immer mehr von wechselseitigen Abhängigkeiten geprägt wird, alle Bereiche gesellschaftlichen Handelns umfassen. Auf der einen Seite muss eine langfristig tragfähige wirtschaftliche Entwicklung angestrebt werden, gleichzeitig müssen Themen wie Klimaschutz und Energieeffizienz, Flächenverbrauch oder Artensterben einbezogen werden.

    Um die Ziele der Agenda 21 umzusetzen und eine nationale Nachhaltigkeitsstrategie zu entwickeln, wurde 1992 in Deutschland die Enquète-Kommission „Schutz des Menschen und Umwelt" eingerichtet, die ihre Arbeit 1998 abschloss (vgl. Tab. 2.2).

    Tab. 2.2

    Nachhaltigkeitsstrategie in Deutschland

    2001 wurde auf Beschluss des Bundestags der Rat für Nachhaltige Entwicklung von der Bundesregierung einberufen. Er hat den Auftrag, die Regierung in ihrer Nachhaltigkeitspolitik zu beraten, Beiträge (insbesondere Ziele) für die nationale Nachhaltigkeitsstrategie zu liefern und Vorschläge für Projekte zur Umsetzung dieser Strategie zu machen. Außerdem soll der Rat den gesellschaftlichen Dialog fördern, der zu einem Konsens zwischen den verschiedenen gesellschaftlichen Interessengruppen führen soll. Die Mitglieder des Rates sind Persönlichkeiten aus unterschiedlichen Bereichen der Gesellschaft und vertreten in besonderer Weise ökologische, ökonomische und soziale Interessen.

    Auf Basis dieser Vorarbeiten wurde 2002 von der Bundesregierung eine nationale Nachhaltigkeitsstrategie² beschlossen und veröffentlicht.

    Zentrales Kapitel der Nachhaltigkeitsstrategie ist das Leitbild der Nachhaltigen Entwicklung. Es beschreibt, wie „nachhaltiges" politisches und gesellschaftliches Handeln aussieht und geht dabei von folgenden vier Leitlinien aus:

    Generationengerechtigkeit,

    Lebensqualität,

    Sozialer Zusammenhalt,

    Internationale Verantwortung.

    Um die Nachhaltigkeitsbestrebungen messbar zu machen, wurden unter diesen Schwerpunkten 21 Indikatoren mit entsprechenden Zielvorgaben festgelegt.

    Zur konkreten Umsetzung des Leitbildes der nachhaltigen Entwicklung wurden zehn Managementregeln der Nachhaltigkeit entwickelt, die im Jahr 2016 auf zwölf Regeln erweitert wurden. Die Grundregel lautet:

    Jede Generation muss ihre Aufgaben selbst lösen und darf sie nicht den kommenden Generationen aufbürden. Sie muss zugleich Vorsorge für absehbare zukünftige Belastungen treffen. ([6], S. 12)

    Die Nachhaltigkeitsstrategie wurde mittlerweile mehrfach überarbeitet und erweitert, zuletzt im Jahr 2016. Die Indikatoren wurden darin auf 63 erhöht und den SDGs zugeordnet. Die Indikatoren und Ziele werden alle zwei Jahre einem Monitoring unterzogen. Der aktuelle Indikatorenbericht zur nachhaltigen Entwicklung in Deutschland ist von 2016.³ Tab. 2.3 zeigt die Indikatoren, die sich direkt auf das nachhaltige Bauen und Wohnen beziehen.

    Tab. 2.3

    Indikatoren (Auszug) zur deutschen Nachhaltigkeitsstrategie mit Bezug zu Bauen und Wohnen (vgl. [6], S. 35–40)

    2.4 Nachhaltiges Bauen und Wohnen

    Die Enquète-Kommission „Schutz des Menschen und der Umwelt des 13. Deutschen Bundestages beschäftigte sich in ihrem Abschlussbericht 1998 explizit mit dem Bereich „Bauen und Wohnen, da es kaum ein vergleichbares Feld gibt, „bei dem das komplexe Beziehungsgeflecht zwischen ökologischen, ökonomischen und sozialen Zielen und Aspekten so stark ausgeprägt ist wie beim Thema ‚Bauen und Wohnen‘" ([5], S. 232).

    Für die zukünftige Bau- und Wohnungspolitik wurden drei Strategien vorgeschlagen:

    Stärkung städtischer Strukturen gegen Zersiedelung und Suburbanisierung,

    Konzentration auf den Wohnungsbestand sowie

    ressourcensparendes Bauen und Wohnen (vgl. [5], S. 292).

    Die größten Probleme sah die Enquète-Kommission in der Flächeninanspruchnahme und Zersiedelung der Landschaft. Das Thema Ressourcenschonung (Stoff- und Energieströme) wurde erst in zweiter Linie gesehen. Bei der ökonomischen Betrachtung wurde bereits der Lebenszyklusgedanke aufgegriffen, indem nicht nur die Minimierung der Bau-, sondern der gesamten Lebenszykluskosten gefordert wurde. Außerdem sollte durch eine entsprechende Umschichtung der Fördermittel das Bauen im Bestand gestärkt werden. Bei den sozialen Kriterien standen die Sicherung bedarfsgerechten Wohnens und des Wohnumfelds, die Vernetzung von Wohnen, Arbeiten und Freizeit, das gesunde Wohnen und die Förderung des Wohneigentums im Vordergrund. Ausgewählte Zieldimensionen für den Bereich „Bauen und Wohnen" zeigt Abb. 2.2.

    ../images/192298_2_De_2_Chapter/192298_2_De_2_Fig2_HTML.png

    Abb. 2.2

    Zieldimensionen für den Bereich Bauen und Wohnen 1998. (nach [5], S. 234)

    Nach Abschluss der Arbeit der Enquète-Kommission wurde das Thema Nachhaltiges Bauen insbesondere im Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen und dem

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