Philosophie der freien Gesellschaft: Ein Karl-Popper-Brevier
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Philosophie der freien Gesellschaft - NZZ Libro
Meisterdenker
der Freiheitsphilosophie
Herausgegeben von
Gerd Habermann und Gerhard Schwarz
Hardy Bouillon (Hrsg.)
Philosophie der freien
Gesellschaft
Ein Karl-Popper-Brevier
Verlag Neue Zürcher Zeitung
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Die Rechte an allen Werken Karl Poppers liegen seit 2008 bei der Universität
Klagenfurt/Karl Popper-Sammlung.
Umschlagabbildung:
Mark Ellidge/Keystone
© 2013 Verlag Neue Zürcher Zeitung, Zürich
Der Text des E-Books folgt der gedruckten 1. Auflage 2013 (ISBN 978-3-03823-848-5)
Datenkonvertierung: CPI – Clausen & Bosse, Leck
Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechts.
ISBN 978-3-03823-986-4
www.nzz-libro.ch
NZZ Libro ist ein Imprint der Neuen Zürcher Zeitung
Vorwort
In einer Bibliothek liberaler Meisterdenker darf Sir Karl R. Popper nicht fehlen. Er hat als Kritiker des Historizismus – des Glaubens an geschichtliche Gesetze – und des Totalitarismus in seinen linken und rechten Varianten Unschätzbares für die liberale Sache geleistet, namentlich durch sein berühmtes Buch Die offene Gesellschaft und ihre Feinde (1945; den Begriff verwendete Henri Bergson allerdings schon im Jahr 1932). Heute, wo besonders ein kruder Egalitarismus im Namen von «Antidiskriminierung» und «politischer Korrektheit» die Freiheit bedroht, sind seine freiheitlichen Gedanken und seine tiefschürfenden Analysen von besonderem Gewicht. Er war immer auf der Seite der Freiheit. So schrieb er in seiner Autobiografie (Ausgangspunkte. Meine intellektuelle Entwicklung, dt. 1979), «[…] daß die Freiheit wichtiger ist als die Gleichheit; daß der Versuch, Gleichheit zu schaffen, die Freiheit gefährdet; und daß, wenn die Freiheit verloren ist, es unter den Unfreien auch keine Gleichheit geben kann.»
Mit Friedrich August von Hayek war er persönlich wie geistig eng befreundet, nur schon durch das gemeinsame Schicksal, das die beiden als exilierte Wiener teilten. Obwohl die beiden besonders in der Kritik einer sich überschätzenden wissenschaftlichen Vernunft übereinstimmten, traditionelles Wissen hochhielten («kritischer Rationalismus») und die holistischen Experimente der Totalitarismen mit teilweise ähnlichen Argumenten verwarfen, fällt auf, dass Popper nie ganz seine Kritik am angeblich «schrankenlosen Kapitalismus» aufgab und da und dort für einen ökonomischen Interventionismus eintrat. Dies trug ihm den Beifall manches prominenten demokratischen Wohlfahrtspolitikers (wie Helmut Schmidt oder Helmut Kohl) ein, zumal seine Absage an umfassende gesellschaftspolitische Konzepte und sein Begriff des «social piecemeal-engineering» offenzulassen schienen, in welche Richtung die politische Ingenieurskunst gehen sollte. Offenbar wirkte bei Popper die sozialistische Überzeugung und das politische Engagement seiner Wiener Jugendzeit noch lange nach, auch wenn er am Ende seines Lebens doch immer skeptischer gegenüber den ausufernden Wohlfahrtsstaaten des Westens wurde.
Hardy Bouillon, Trier, der dieses Brevier zusammengestellt hat, war dafür als Schüler des verstorbenen Wissenschaftsphilosophen Gerard Radnitzky besonders gut vorbereitet. Er misst den großen Philosophen in seiner Einführung an strengsten libertären Maßstäben, was die unvermeidbaren Spannungen im Werk jedes großen Denkers, so auch in jenem Poppers, besonders deutlich hervortreten lässt, Popper aber auch als weniger liberal und als interventionsfreundlicher erscheinen lässt, als er dies im Urteil der großen Mehrheit der klassischen Liberalen ist. Dieser strenge Maßstab erleichtert es Bouillon aber auch, das facettenreiche Werk Karl Poppers in die Übersicht dieses Breviers zu bringen, das nunmehr als Band 17 in der Reihe «Meisterdenker der Freiheitsphilosophie» erscheint. Wir danken dem Verlag Neue Zürcher Zeitung, namentlich seinem Verlagsleiter Hans-Peter Thür, für die Weiterführung eines Projekts, in dem nicht nur das kommerzielle Interesse maßgebend sein konnte.
Die Friedrich-August-von-Hayek-Gesellschaft hat auch dieses Brevier wieder begleitet und gefördert, und die Stiftung für Abendländische Ethik und Kultur (STAB) mit ihrem Präsidenten Robert Nef hat es finanziell ebenfalls unterstützt. Wir danken dafür sehr herzlich. Ebenfalls danken wir der Universität Klagenfurt / Karl Popper-Sammlung, namentlich Herrn Dr. Manfred Lube, für die freundliche Genehmigung zum Wiederabdruck aus Poppers Werken.
Professor Dr. Gerd Habermann, Berlin
Dr. Gerhard Schwarz, Zürich
Im April 2013
Popper zur Einführung
Karl Popper gehört zweifellos zu den bedeutendsten Philosophen des 20. Jahrhunderts. Zu seinem weltweiten Ruhm hat vor allem sein 1944 erschienenes Buch über die Offene Gesellschaft beigetragen, in dem er für eine Weiterentwicklung der gesellschaftlichen Institutionen im Rahmen eines freiheitlich-demokratischen Rechtsstaates warb. Doch schon lange vor Erscheinen der Offenen Gesellschaft war Popper als bahnbrechender Wissenschafts- und Erkenntnistheoretiker weit über die Fachgrenzen hinaus bekannt geworden. Viele der Einsichten und Grundüberzeugungen, die er in seinen erkenntnis- und wissenschaftstheoretischen Schriften verfeinerte, kennzeichnen auch seine Gesellschaftsphilosophie. Man könnte sie wie folgt zusammenfassen: Unsere Erkenntnis ist fehlbar. Alles, was wir tun (können), besteht letztlich aus Versuch und Irrtum und geschieht in der Hoffnung, die Erkenntnis und das Leben zu verbessern. Ein kurzer Blick in Poppers Wissenschafts- und Erkenntnistheorie kann die Grundlagen der Popper’schen Gesellschaftstheorie verdeutlichen.¹
1. Wissenschafts- und Erkenntnistheorie
Die beiden Grundprobleme der Erkenntnistheorie (1979), die Logik der Forschung (1934, Teil 2 des vorgenannten Werkes) sowie Vermutungen und Widerlegungen (2000) sind Poppers wissenschaftstheoretische Hauptwerke. In ihnen formuliert er die Ideen der Falsifizierbarkeit und der Falsifikation (Widerlegbarkeit und Widerlegung). Obwohl beide Begriffe austauschbar zu sein scheinen, meinen sie doch Grundverschiedenes. Die Falsifizierbarkeit dient Popper zur logischen Abgrenzung empirischer Disziplinen von der Metaphysik, während er die Falsifikation als eine methodologische Forderung begreift. Falsifikationen sind für Popper nicht absolut, sondern stehen stets unter dem Vorbehalt, dass die zur Widerlegung führende Aussage weniger problematisch ist als die widerlegte Theorie. Kurz: Widerlegungen gelten nur pro tempore. Insofern sind falsifizierte Theorien für Popper keine – wie oft missverstanden – falschen Theorien. Aufgabe des Forschers ist es laut Popper, aktiv nach Widerlegungen der bislang unwiderlegten Theorien zu suchen. Es gehe um eine «Annäherung an die Wahrheit» (Verisimilitude) und um den Austausch schlechter Theorien durch bessere Alternativen.
Die Idee aktiver Fehlersuche und -ausmerzung durchzieht auch Poppers Evolutionäre Erkenntnistheorie (Objektive Erkenntnis, 1973), insbesondere die Idee vom aktiven Darwinismus, der zufolge alle Lebewesen permanent mit der Suche und Lösung von Erkenntnisproblemen beschäftigt sind. Dabei würden, so Popper, wichtige Lösungen oftmals der Beschäftigung mit anderen Problemen entspringen. Popper glaubte z. B. an Günter Wächtershäusers Theorie, dass Bakterien ihren «Sehsinn» der Suche nach Nahrung verdanken.² Die Auffassung, dass viele evolutionäre Lösungen letztlich das unbeabsichtigte Nebenprodukt von Handlungen sind, die ursprünglich anderen Zielen galten als das zufällig eintretende Nebenprodukt, ist eine Position, die Popper mit seinem Freund Friedrich August von Hayek teilte. Wie Hayek hielt auch Popper diese Erkenntnis für äußerst wichtig. Wie Hayek wendete auch Popper die Vorstellung spontaner Ordnungen auf