Zlatans Erbe: Vampirroman
Von Dana Müller
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Über dieses E-Book
Eines Tages ist Emma gezwungen, das Gift einzunehmen. Was zunächst wie eine Rettung anmutet, entpuppt sich rasch als Katastrophe, denn schnell wird klar, dass ihre neue Daseinsform Gefahren birgt, denen sie schutzlos ausgeliefert ist.
Überarbeitete Neuauflage 2022
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Zlatans Erbe - Dana Müller
Zlatans Erbe
Dana Müller
Lockruf des Schicksals
Im finstren Tal,
dort sah ich dich.
Im finstren Tal,
dort riefst du mich.
Versprachst mir
die Ewigkeit.
Ich ertrank in dir
und verlor meine Freiheit.
Text Copyright © 2015 Dana Müller
Prolog
Zlatan
Hinter regenschwangeren Wolken zeichnet sich das Purpur der Nacht ab und allmählich versinkt der rote Feuerball hinter dem Horizont. Er wirft sein verbliebenes Brennen auf den Ozean. Wie ein verklingendes Echo – der letzte Aufschrei einer sterbenden Sonne.
Ich betrachte die Lichter unter mir. Von hier aus sieht die Stadt friedlich aus. Würde ich die Menschen nicht kennen, hätte ich keinen Anlass, hinter den verschlossenen Türen Gewalt oder Wut zu vermuten. Hier oben bekomme ich nichts von all dem Hass mit, der den Menschen wie eine Seuche befallen hat – lange vor meiner Zeit. Nicht einmal der Schall der Schüsse der sich bekriegenden Straßenbanden dringt an mein Ohr. Dabei weiß ich genau, dass just in diesem Augenblick ein Mensch durch eine Kugel stirbt.
Es wundert mich nicht, dass wir allein gelassen wurden. Wenn die Götter doch nur weiter unten ihren Herrschersitz hätten, würden sie auch die Gebete der trauernden Mütter, schreienden Kinder und verzweifelten Väter hören. Sie hätten das Wehklagen einer jungen Frau vernommen, deren Leben in erstickender Dunkelheit versinkt.
Ihre Ohren aber sind taub, ihre Augen blind. Wahrscheinlich sind sie nur die Erfindung ohnmächtiger Menschen, die einem letzten Hoffnungsschimmer nachjagen, ehe die Finsternis sie wie eine wilde Bestie einholt. Ich habe aufgehört, einer höheren Macht zu vertrauen. Mit dem Glauben ist die Hoffnung geschwunden. Meine Gebete sind verstummt. In meiner Seele breitet sich die Finsternis unaufhaltsam aus. Das Licht am Ende des Tunnels ist wie die zarte Flamme einer Kerze im Wind erloschen.
Eine Windböe erfasst mich. Meine Arme umklammern rechtzeitig den eisernen Metallträger zu meiner Rechten. Adrenalin jagt durch meinen Körper und versetzt meinem Herzen einen Stoß. So darf es nicht passieren! Ich will den Zeitpunkt selbst bestimmen. Mein Blick gleitet hinauf. Der Träger stützt einen weiteren Eisenbalken über mir – unter mir unbeschreibliche Tiefe. Vorsichtig begebe ich mich in die Hocke und setze mich auf den kalten Querbalken.
Das unerwartete Vibrieren meines Handys lässt mich zusammenfahren. Vorsichtig ziehe ich es aus der Tasche meines Sweaters und werfe einen Blick auf das Display. Meine Mutter! Nein, sie ist die Letzte, mit der ich jetzt reden will. Meine gefühlskalte Mutter war überhaupt an allem hier schuld. Nicht ein einziges Mal hat sie mir wirklich zugehört oder mich in den Arm genommen. Wie es tief in meiner Psyche aussieht, interessiert sie nicht. Dass mich ihr neuer Freund mit seinen Augen auszieht, glaubt sie mir nicht. Sie glaubt mir nie.
Entschlossen stecke ich das vibrierende Ding wieder ein. Nach einer Weile verstummt es und überlässt mich meinem Schicksal – hier oben in schwindelnder Höhe. Nur das Rauschen des Windes, der sich erneut in dem Baugerüst und meinen Haaren verfängt, zieht durch die Stille. Ich lasse mich nicht drängen. Ich gehe, wann ich es will.
Die Böe löst sich und zieht weiter. Ich lasse den Träger los und schiebe meine kalten Hände in die Taschen des Sweaters. Nur ein kleiner Windstoß würde reichen, um mich in die Tiefe zu reißen.
Ein weiteres Mal vibriert mein Handy. Ich ahne, dass es wieder sie ist. Deshalb versuche ich, das Summen in meiner Hand zu ersticken.
»Willst du nicht rangehen?«, ertönt eine sanfte Stimme hinter mir.
Ich fahre zusammen und spüre, wie mein Herz mir vor Schreck aus der Brust springen will. Unwillkürlich drehe ich mich um und verliere beinahe den Halt. Während ich mich an dem Balken festklammere, halte ich nach dem Besitzer der Stimme Ausschau.
Der Anblick wirft mich gleich noch einmal aus der Bahn. Eine dunkle, tiefschwarze Mähne flattert im Wind. Ihr Besitzer fängt sie mit einer eleganten Handbewegung ein. Dahinter kommt das sanfteste Lächeln zum Vorschein, das mir je begegnet ist. Aber noch viel faszinierender sind seine ungewöhnlichen Augen. Sie schimmern in einem seltsamen Silber und verändern ihre Farbe, als er hinauf zum Nachthimmel blickt. Ein zartes Violett flutet die Iris im Schein des Mondes.
Ich vergesse meine Angst nutze den Augenblick,
um ihn genauer zu betrachten. Seine Haut ist makellos. Die Nase perfekt geformt, nicht zu groß, nicht zu klein und die Lippen ... Ich frage mich, wo dieser Typ hergekommen ist. Er gehört in eine Disco oder einen Film, aber nicht mitten in der Nacht auf ein Baugerüst. Mir fällt sein kräftiger Kiefer auf. Seine Züge haben etwas von den alten Abbildungen griechischer Helden und Götter. Vielleicht gibt es sie doch und sie haben ihn geschickt, um mir zu zeigen, dass sie zuhören. Oder könnte er ein Bote sein, der mir mein Vorhaben ausreden will? Dafür ist es zu spät!
»Verschwinde wieder. Lass mich allein!«, zische ich ihn an.
Er rührt sich nicht, einzig sein rechtes Auge zuckt beim Klang meiner Worte. Ich ahne, dass er mich geflissentlich überhört.
Mein Blick ist starr nach vorne gerichtet. Vielleicht verschwindet er, wenn ich ihn nicht beachte.
»Was machst du hier oben?«, sprengt er die Stille.
»Geht dich nichts an«, erwidere ich ruppig und hoffe, dass er mich endlich in Ruhe lässt.
»Verstehe«, sagt er und neigt sich nach vorne. »Ist tief. Wenn du das wirklich durchziehen willst, dann hast du genau den richtigen Ort gewählt. Wenn du da unten ankommst, bist du Brei.«
Seine Worte gewinnen an Form, sie erzeugen grässliche Bilder in meinem Kopf. Vor meinem inneren Auge sehe ich mich auf dem Asphalt liegen – mein Kopf ist zertrümmert und die Gliedmaßen verrenkt. Alles beginnt sich plötzlich zu drehen, als säße ich in einem Karussell. Mir wird übel.
»So genau wollte ich das nicht wissen«, antworte ich und schlucke den bitteren Kloß hinunter, der sich in meinem Hals festgesetzt hat.
»Du hast recht. Wenn du erst mal unten aufgeschlagen bist, müssen sich andere mit deinen Resten beschäftigen.« Mit einem Satz hüpft er auf den Stahlträger, auf dem ich sitze.
Ich blicke hinauf zu ihm und traue meinen Augen nicht.
Er steht mit weit ausgestreckten Armen neben mir und schreit in die Nacht hinaus. Unvermittelt balanciert er den Träger entlang und verliert das Gleichgewicht.
Ich erstarre.
Ich kenne ihn nicht, und dennoch könnte ich es nicht ertragen, ihn fallen zu sehen.
Mit den Armen rudernd erlangt er sein Gleichgewicht zurück, aber mir sitzt der Schreck in den Gliedern. Keine Frage – er ist aus demselben Grund hier wie ich.
»Ich bin Zlatan«, ruft er mir entgegen und überwindet einige Meter im Sprung. Er landet neben mir in der Hocke und streckt mir seine Hand entgegen.
Zögerlich ergreife ich sie und stelle mich ebenfalls vor. »Emma.«
»Freut mich, Emma«, erwidert er und setzt sich dicht neben mir auf den Träger.
Seine Füße baumeln locker, die Hände schiebt er in die Taschen seiner Collegejacke und schließt die Augen. Er neigt den Kopf nach hinten und atmet tief ein. Etwas an seinem Wesen fasziniert mich gleichermaßen, wie es mich abstößt.
Eine Weile sitzen wir einfach nur so da. Der Wind setzt wieder ein. Diesmal stärker und kälter. Ein Zittern jagt durch meinen Körper. Zlatan sieht mich mit seinem zarten Lächeln an und rückt näher. Seine ungewöhnlichen Augen mustern mich. Es fühlt sich an, als könnte er direkt in meine Seele sehen. Sein Blick ist mir unangenehm. Ich weiche ihm aus und richte meine Aufmerksamkeit wieder auf das nächtliche Panorama. Meine Strähne wird von einer Brise erfasst und jagt wild über mein Gesicht. Wie spät ist es? Wann verschwindet er endlich wieder und lässt mich mein Ding durchziehen? Ich hole mein Handy aus der Tasche. Es entgleitet mir und fällt taumelnd in die Tiefe. Aus einem Reflex heraus greife ich erschrocken hinterher und dann geschieht es!
Ich falle.
Adrenalin jagt durch meinen Körper.
Im Bruchteil eines Augenblicks greift Zlatan nach mir. Er packt mein Handgelenk und zieht mich hinauf, als wäre ich federleicht. Ehe ich mich versehe, stehe ich mit zitternden Knien und bebendem Herzen vor ihm auf dem schmalen Träger. Wie automatisiert huscht mein Blick hinunter und startet das Karussell in meinem Kopf erneut. Wäre Zlatan nicht gewesen, dann läge ich jetzt dort unten. Diese Erkenntnis erschüttert mich, entfesselt einen Zweifel, der mir bislang verborgen war. Will ich das wirklich?
»Nein«, sagt er und packt meine Schultern. Dann sieht er mir erneut in die Augen. »Du bist nicht so weit. Noch nicht.«
Mit einer besiegelnden Ruhe wischt er mir eine Träne von der Wange.
Seine Worte zwirbeln sich in meinen Kopf und gelangen tief in mein Herz. Er hat recht. Heute ist kein guter Tag zum Sterben.
»Wir werden jetzt diese Todesfalle verlassen. Kannst du gehen?«, fragt er.
Beschämt weiche ich seinem Blick aus und antworte mit brüchiger Stimme: »Keine Ahnung. Meine Beine hören einfach nicht auf zu zittern.«
»Wie bist du überhaupt hier hochgekommen?«, will er wissen.
»Geklettert. Aber ich kann nicht wieder runter. Mir ist schwindlig«, gestehe ich und muss die Angst bekämpfen, erneut zu fallen.
Zlatan lässt mich los und dreht mir den Rücken zu. »Klammeraffe«, sagt er und reicht mir seine Hände über die Schultern.
Mein träges Denken erfordert eine gewisse Zeit, bis ich verstehe, was er meint. Er wartet geduldig, bis ich seiner Aufforderung folge. Mit aller Macht hindere ich mich an dem Drang, hinunterzusehen. Er zieht mich auf seinen Rücken und ich verliere den Balken unter meinen Füßen. Mit vor seiner Kehle verschränkten Fingern versuche ich mich vor dem Sturz zu bewahren. Trotz der Kälte, die ich schlagartig wieder wahrnehme, schwitzen meine Hände und drohen den Halt zu verlieren. Zlatans Finger gleiten an meinen Oberschenkeln hinab und kommen in meiner Kniekehle zum Stehen. Mit einem beherzten Ruck zieht er meine Knie hinauf auf seine Hüften und verkeilt meine Füße vor seinem Bauch.
»Festhalten«, sagt er.
Wie ein nasser Sack hänge ich nun auf dem Rücken eines mir völlig Fremden und mache mir vor Angst fast in die Hosen. Oberpeinlich! Ich frage mich, ob er das für jedes Mädchen tun würde, und lege mein Gesicht auf seinen Rücken.
»Bereit?«, will er wissen und dreht seinen Kopf so weit wie möglich zu mir nach hinten.
»Ja!«, lüge ich, denn ich bin alles andere als das. Wer wäre schon bereit, auf dem Rücken eines Mannes das höchste Baugerüst Amerikas hinabzusteigen.
»Nicht loslassen«, erwidert er und setzt zum Sprung an.
Zum Sprung? Heilige Scheiße! Er wird doch nicht mit mir gemeinsam in den Tod springen?
Noch bevor ich meine Gedanken ordnen kann, landen wir mit einem Ruck auf einem Metallträger. Vorsichtig öffne ich die Lider und sehe mich um. Hier bin ich vorhin gewesen, daran erinnere ich mich. Doch als ich hinaufsehe, traue ich meinen Augen nicht. Wir haben mindestens fünfzig Meter mit einem Sprung überwunden.
»Noch mal?«, fragt er und wartet meine Antwort
nicht ab, sondern setzt erneut zum Sprung an.
Diesmal lasse ich meine Augen offen. Er springt
hinunter und ich sehe das Gerüst an uns vorbeiziehen. Der Wind saust durch mein Haar und fährt in meinen Jackenkragen. Aus einem mir unerklärlichen Grund bröckelt meine Angst und ich beginne, Gefallen an der Situation zu finden. Mich erfüllt eine ungewohnte Leichtigkeit. Ganz so, als hätte ich die Dunkelheit in der Höhe zurückgelassen, die so schwer auf meiner Seele lastete. Mit jeder Faser meines Körpers lasse ich mich auf den winzigen Moment der absoluten Schwerelosigkeit ein.
Er springt.
Ich fliege.
Diesmal landen wir mit einem heftigen Ruck auf dem staubigen Grund. Ich lasse los und taumle zurück, falle in den Staub und kann einen Husten nicht unterdrücken. Seine Hand schnellt aus der aufgewirbelten Staubwolke hervor. Ich ergreife sie und werde mit einem Ruck auf meine Füße gezogen.
»Wow! Was war das?«, will ich wissen.
Er schenkt mir ein freches Grinsen. »Ich habe dich eben vor einer klitzekleinen Dummheit bewahrt.« Er nimmt meine Hand und klettert durch
einen schmalen Spalt im Zaun.
Ich folge ihm und blicke ein letztes Mal hinauf, um
mich zu vergewissern, dass ich tatsächlich auf einem der obersten Balken gesessen habe. Es ist mir unbegreiflich, wie er diese Strecke mit wenigen Sprüngen hinter sich lassen konnte.
»Das ist unmenschlich«, rutscht es mir heraus.
Das hätte ich nicht sagen sollen. Zlatan neigt den Kopf ein wenig zur Seite. Zwischen seinen Brauen bildet sich eine Kerbe und er sieht mich nachdenklich an.
»Wie hast du das gemacht?«, bohre ich weiter.
»Ein einfaches Danke hätte gereicht«, erwidert er und läuft los.
Will er sich etwa aus dem Staub machen? »Warte, wo willst du hin?«
Abrupt bleibt er stehen und dreht sich langsam auf dem Absatz zu mir um. »Sind wir jetzt verheiratet?«, fragt er mit einem gehörigen Schuss Sarkasmus in der Stimme, während seine rechte Augenbraue in die Höhe schnellt.
Das war direkt. Betreten senke ich meinen Blick und hoffe, nicht rot anzulaufen.
Er nähert sich mir, hebt mein Kinn mit dem Zeigefinger an und verliert sich in meinen Augen. »Ich weiß nicht, ob ich dich mitnehmen kann. Du gehörst bestimmt jemandem«, sagt er mit einem Schmunzeln und lässt mich erneut stehen.
»Was? Ich gehöre niemandem! Hallo? Warte doch mal!« Ich hole rasch zu ihm auf und bemühe mich, mit seinem schnellen Schritt mitzuhalten. »Zlatan, bleib doch mal stehen!«
»Hast du Lust auf `ne Party?«, fragt er überraschend und lässt mich weiterhin hinter sich herlaufen.
Mit einem Schulterzucken antworte ich: »Von mir aus. Alles ist besser als mein beschissenes Leben.«
Ohne mich vorzuwarnen, schnappt er nach meinem Arm und schwingt mich auf seinen Rücken. Ehe ich registriere, dass er mich huckepack genommen hat, rennt er los. Er ist verdammt schnell. Ich sehe die Lichter der Stadt an uns vorbeizischen. Schließlich wird er langsamer und setzt mich wieder ab. Meine Knie fühlen sich an wie Wackelpudding. Berauscht von der Geschwindigkeit taumle ich ihm hinterher.
Wir halten vor einer Technodisco. Er wendet sich mir zu und sieht mich fragend an. Techno ist zwar überhaupt nicht meine Richtung, aber ich würde im Moment alles tun, um meinem Leben
zu entfliehen.
»Bist du sicher, dass du mit rein willst?«, fragt er und zupft an meinem Sweater herum.
Ohne zu antworten, setze ich mich in Bewegung. Ich will an ihm vorbeigehen, aber er packt fest meinen Arm und zieht mich zurück. Ich bin verwirrt. Erst will er, dass ich da reingehe, dann wieder nicht. Was soll ich von ihm halten? Wenn er in allem so ambivalent ist, dann sollte ich lieber nicht bei ihm sein. Doch dieser Gedanke verpufft in dem Augenblick, als er meine Hand nimmt. Ich spüre, dass er es ehrlich mit mir meint.
Zlatan drückt die neongrüne Tür auf und sagt in ernstem Ton: »Egal, was da drinnen passiert – egal, wen oder was du siehst, du bleibst dicht bei mir. Wenn sich jemand für dich interessiert, dann gehörst du mir. Kapiert? Sonst kann ich für nichts garantieren.«
Ich gehöre niemandem! Aber für den Moment tue ich so, als wäre das in Ordnung. »Okay. Dann gehöre ich dir.« Warum ist er plötzlich so besorgt? Was sollte mir denn schon in einer Disco passieren?
Als wir den Schuppen betreten, schlägt uns eine Mischung aus schnellem Beat und Alkoholdünsten entgegen. Die Lautstärke flutet meinen Kopf und der Rhythmus versetzt mich in eine Art Trance. Zlatan läuft geradeaus durch die tanzende Menschenmenge und zieht mich hinter sich her. An einer unscheinbaren Tür bleibt er stehen. Er klopft drei Mal lang und zwei Mal kurz, wartet einen Moment und klopft vier Mal kurz hintereinander. Die Tür wird von innen geöffnet und ein Typ mit gelben Kontaktlinsen starrt mich gierig an. Ich verstecke mich hinter Zlatan und warte, dass er uns einlässt. Aber der Kerl stellt sich breitbeinig mit vor der Brust verschränkten Armen vor meinen Beschützer und lässt uns nicht durch.
»Was soll das, Janek?«, raunt Zlatan ihn an.
»Wie lautet das Zauberwort?«, erwidert der Gelbäugige mit einem gehässigen Grinsen.
Zlatan wirkt gelangweilt, er plustert seine Wangen und entlässt die Luft aus ihnen nur ganz langsam. »Hämoglobin«, sagt er schließlich und legt seine Hand auf die Schulter des Türstehers. »Und jetzt lass uns rein!«
Der seltsame Typ gibt den Weg frei und lässt uns endlich eintreten.
Als die Tür hinter uns wieder zugeht, ist nichts von dem Trubel der Disco zu hören. Die Musik in diesem Bereich ist dezenter. Sie gefällt mir, denn in ihr liegt etwas endgültig Verlorenes – etwas Melancholisches. Ich frage mich, welche Musikrichtung das wohl ist. Es könnte eine Mischung aus Gothic und Elektro sein, doch die engelsgleiche Singstimme sprengt meine Überlegungen und ich lasse mich von den Klängen tragen. In dem langen Flur, den wir durchqueren, treffen wir auf ineinander vertiefte Pärchen.
Ein Typ mit stoppeligen, platinblonden Haaren hält seine brünette Errungenschaft fest im Arm und hat sie offensichtlich in einen Rausch geküsst. Vielleicht ist sie auch nur mit Drogen vollgepumpt. Die Arme der Frau baumeln herunter, während er sich an ihrem Hals zu schaffen macht. Seine Lider schnellen auf, als hätte er meinen Blick gefühlt, und seine Augen starren mich durch rote Kontaktlinsen an. Sofort sehe ich nach unten. Ein unangenehmes Gefühl des Ertapptseins setzt ein und ich klammere mich an Zlatans Arm.
»Auf Kuschelkurs?«, fragt mein Beschützer und blickt zu mir herunter.
Er ist einen guten Kopf größer als ich. Seine maskuline Art vermittelt mir ein Gefühl der Sicherheit.
»Ist das hier eine Kostümparty?«, werfe ich ein und ernte ein kurzes Lachen.
»Wie kommst du denn darauf?«
»Die Typen hier haben alle Kontaktlinsen und sind auf die eine oder andere Weise schräg, so als würden sie irgendeine Rolle spielen«, erwidere ich und blicke an meiner Kleidung hinab. »Ich glaube, ich passe hier nicht so gut rein.«
»Blödsinn. Da drinnen laufen auch Normalos rum. Da fällst du gar nicht auf, und wenn doch, dann
gehörst du mir«, antwortet er und bleibt stehen.
Wir haben das Ende des Flurs erreicht und stehen vor einem samtenen Vorhang. Seine letzten Worte hallen wie ein Echo durch meinen Kopf. Hat er gerade schon wieder gesagt, ich würde ihm gehören?
Ein Kerl tritt hinter dem schweren Stoff hervor und wirft Zlatan einen Gruß mit dem Kopf zu. »Hey Zlatan, ist das deine?«
Zlatan sieht mich kurz an, beißt sich auf die Unterlippe und nickt.
Mit einem breiten Grinsen im Gesicht läuft der Typ an uns vorbei und gibt den Durchgang hinter dem Vorhang frei.
Mein Begleiter fesselt mich mit seinen violetten Augen. Ich kann meinen Blick einfach nicht abwenden, erst recht nicht, als seine Lippen sich meinen nähern. Will mich dieser unglaublich gut aussehende Typ etwa küssen? Mein Herz trommelt so stark gegen die Brust, dass es schmerzt. Meine weichen Knie drohen nachzugeben. Genau so wie auf dem Gerüst, aber jetzt ist es nicht die Angst vor dem freien Fall, es ist die Erwartung einer zarten Berührung, die mich in Panik versetzt.
»Nicht vergessen, du gehörst mir«, haucht er und atmet tief durch die Nase ein. Ihm scheint zu gefallen, was er riecht, denn er schließt die Augen und wirft den Kopf nach hinten, dann atmet er ein weiteres Mal ein, diesmal noch tiefer.
Hinter dem Vorhang tritt erneut jemand hervor, diesmal drängelt sich eine Blondine dicht an mir vorbei, obwohl hinter uns genügend Platz ist. Ich vermeide den Blickkontakt zu ihr und erfasse die schwarze Spitze ihres geschnürten Kleids. Sie kommt immer näher und fährt sich mit der Zunge über die Lippen. Macht sie mich etwa gerade an? Sie ist mir unheimlich, deshalb neige ich meinen Kopf nach hinten, um ihrer Nähe zu entkommen. Trotzdem bedrängt sie mich immer weiter. Erst, als sie ihren Mund leicht öffnet und nach meinem Hals sucht, geht Zlatan dazwischen. »Amelia! Schluss jetzt! Such dir dein eigenes Dessert!«
Dessert? Das bin ich also für ihn. Ein Nachtisch
nach dem Hauptgang. Darauf habe ich keine Lust und überlege, wieder zu gehen, aber Zlatan hält meine Hand immer noch fest und zieht mich hinter den roten Vorhang.
Bei dem Anblick dessen, was meine Augen zu überblicken versuchen, erstarre ich. Er hat mich in einen Swingerclub verschleppt! Einen, der in einer längst vergangenen Epoche hängen geblieben ist. Von der hohen Decke hängt ein gewaltiger Kronleuchter und flutet den Saal mit seinem warmen Licht, das sich in den unzähligen Kristallen bricht, die an ihm hinunterbaumeln. Sie funkeln wie kleine Sonnen und es fällt mir schwer, meinen Blick von ihnen zu lösen. Große rote Polstermöbel, in goldene Verzierungen gefasst, stehen in kleinen Gruppen, und auf ihnen tummeln sich Paare. Ich fühle mich hier fehl am Platz. Die Kellnerinnen tragen knappe Korsetts und Strapse. Hier will ich nicht sein. Das ist nicht meine Welt.
»Scheiße, das ist ein Swingerclub!«, bemerke ich und will mich an Zlatan vorbeidrängeln, um diesen verruchten Ort zu verlassen, aber er packt meinen Oberarm so fest, dass der Druck einen Schmerz in meine Schulter jagt.
»Weit gefehlt!«
»Zlatan, lass mich los. Ich hab in solchen Clubs
nichts verloren. Verdammt, ich bin sechzehn!«, versuche ich zu erklären und hoffe auf seinen gesunden Menschenverstand. Er kneift die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen und zerrt mich die Treppe zu meinen Füßen hinunter.
»Du gehst, wenn ich das anordne«, sagt er mürrisch.
Ein Gemisch aus Verzweiflung, Reue und Angst hat sich in einem dicken Kloß in meinem Hals
festgesetzt. Ich schlucke.
»Kommst du klar, wenn ich dir sage, dass es kein Swinger ist?«, fragt er mit harter Stimme und schubst mich auf ein rotes Liegesofa.
Wird er sich an mir vergehen? Angst schnürt mir die Kehle zu. Erst jetzt begreife ich, dass ich etwas sehr Dummes getan habe. Wie konnte ich nur mit einem wildfremden Kerl mitgehen?
Eine der leicht bekleideten Kellnerin tritt an uns heran, stellt ein bauchiges Glas Rotwein und eine Cola auf einem winzigen Tischchen ab und geht wieder. Zlatan hebt das Weinglas gegen das Licht und nippt daran. Ich blicke mich um. Hinter mir sind zwei Kerle mit einem Mädchen beschäftigt, das allem Anschein nach unter irgendwelchen Drogen steht. Neben uns das gleiche Bild, nur dass sie zu dritt sind und eine Frau in einem Rüschenkleid ihre Unterröcke rafft, um sich breitbeinig auf den offenkundig betäubten Mann zu setzen. Sie neigt ihren Kopf zu seinem Hals und zieht seinen Geruch tief ein. Wo zum Teufel bin ich bloß gelandet?
Ich beschließe, keinen Schluck von der Cola zu trinken. Vermutlich ist sie mit irgendeiner fiesen Droge versetzt.
Die Musik verstummt ohne Überleitung und ein Gong ertönt, der mich zusammenfahren lässt. Sofort horchen die Leute in ihren barocken Kleidern auf und blicken sich um. Die Frau neben uns mustert mich mit gierig blitzenden Augen und öffnet ihren Mund leicht. Etwas stimmt nicht. Das Weiß ihrer Zähne blitzt auf und ich sehe, wie sich ihre Eckzähne verlängern. Sie versenkt ihr Gebiss in dem Hals des Mannes, der noch immer wie ein totes Stück Fleisch unter ihr liegt. Ich erstarre. Ein Blutstropfen rinnt unter ihrem Mund heraus und sammelt sich in der Kuhle zwischen Hals und Schulter des Opfers. Das sind Vampire! Ich bin in einer verdammten Vampirhöhle gelandet!
Mein Herz trommelt wie verrückt. Hier werde ich nicht wieder lebend rauskommen. Schlimmer noch: Ich werde als Vampirfutter enden!
Nur mit Mühe gelingt es mir, meine Augen von ihr abzuwenden. Ich sehe Zlatan an, der tief in seinem Cocktailsessel sitzt und noch immer an dem Wein nippt. Sein Blick verliert sich in Leere, bis er zu mir herübersieht. Ich will schreien, aber meine Kehle hält den Schrei fest. Ich will aufstehen und wegrennen, aber mein Körper gehorcht mir nicht. Das ist der Moment, in dem ich sterben werde, der Moment, den ich vor einigen Stunden mit offenen Armen empfangen hätte. Ein süßlicher Geruch vermengt sich mit dem von Rost.
Blut.
Ich kann es riechen, der Geruch wabert wie eine verheißungsvolle Ahnung um mich herum. Die Gewissheit, dass mein Blut auch gleich in einer Wolke den Raum erfüllen wird, zerreißt mich. Was habe ich nur getan?
Aus dem Augenwinkel vernehme ich eine Bewegung. Mit aller Macht kämpfe ich gegen meine Starre an und drehe den Kopf nach links. Ich entdecke einen Kerl mit zerzaustem Haar und Klamotten, die er anscheinend Mozart persönlich gestohlen hat. Gierig grinsend taumelt er auf mich zu, duckt sich und breitet die Arme aus, als wolle er ein