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EIN MÄDCHEN VERSCHWINDET - EIN FALL FÜR REMIGIUS JUNGBLUT: Der München-Krimi!
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EIN MÄDCHEN VERSCHWINDET - EIN FALL FÜR REMIGIUS JUNGBLUT: Der München-Krimi!
eBook294 Seiten3 Stunden

EIN MÄDCHEN VERSCHWINDET - EIN FALL FÜR REMIGIUS JUNGBLUT: Der München-Krimi!

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Über dieses E-Book

München im Jahre 1963.
Die wohlhabende Witwe Lavinia Engelmann ist todkrank und hat nur noch wenige Tage zu Leben. Sie hegt den Wunsch, sich mit ihrer verschwundenen Tochter Christina auszusöhnen, bevor ihr letztes Stündlein geschlagen hat. Privatdetektiv Remigius Jungblut wird beauftragt, die junge Frau ausfindig zu machen und zurück nach München zu bringen.
Die Spur führt nach Frankfurt. Doch als Jungblut in der Main-Metropole eintrifft, geschieht dort ein Mord. Die Hauptverdächtige: Christina Engelmann...
 
 Ein Mädchen verschwindet  ist der vierte Roman um den Münchner Privatdetektiv Remigius Jungblut  aus der Feder von Christian Dörge, Autor u. a. der Krimi-Reihen  Die unheimlichen Fälle des Edgar Wallace ,  Friesland ,  Jack Kandlbinder ermittelt  und  Münchner Blut. 
SpracheDeutsch
HerausgeberBookRix
Erscheinungsdatum14. Juli 2022
ISBN9783755417231
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    Buchvorschau

    EIN MÄDCHEN VERSCHWINDET - EIN FALL FÜR REMIGIUS JUNGBLUT - Christian Dörge

    Das Buch

    München im Jahre 1963.

    Die wohlhabende Witwe Lavinia Engelmann ist todkrank und hat nur noch wenige Tage zu Leben. Sie hegt den Wunsch, sich mit ihrer verschwundenen Tochter Christina auszusöhnen, bevor ihr letztes Stündlein geschlagen hat. Privatdetektiv Remigius Jungblut wird beauftragt, die junge Frau ausfindig zu machen und zurück nach München zu bringen.

    Die Spur führt nach Frankfurt. Doch als Jungblut in der Main-Metropole eintrifft, geschieht dort ein Mord. Die Hauptverdächtige: Christina Engelmann...

    Ein Mädchen verschwindet ist der vierte Roman um den Münchner Privatdetektiv Remigius Jungblut aus der Feder von Christian Dörge, Autor u. a. der Krimi-Reihen Die unheimlichen Fälle des Edgar Wallace, Friesland, Jack Kandlbinder ermittelt und Münchner Blut.

    Der Autor

    Christian Dörge, Jahrgang 1969.

    Schriftsteller, Dramatiker, Musiker, Theater-Schauspieler und -Regisseur.

    Erste Veröffentlichungen 1988 und 1989:  Phenomena (Roman), Opera (Texte).

    Von 1989 bis 1993 Leiter der Theatergruppe Orphée-Dramatiques und Inszenierung

    eigener Werke,  u.a. Eine Selbstspiegelung des Poeten (1990), Das Testament des Orpheus (1990), Das Gefängnis (1992) und Hamlet-Monologe (2014).

    1988 bis 2018: Diverse Veröffentlichungen in Anthologien und Literatur-Periodika.

    Veröffentlichung der Textsammlungen Automatik (1991) sowie Gift und Lichter von Paris (beide 1993).

    Seit 1992 erfolgreich als Komponist und Sänger seiner Projekte Syria und Borgia Disco sowie als Spoken Words-Artist im Rahmen zahlreicher Literatur-Vertonungen; Veröffentlichung von über 60 Alben, u.a. Ozymandias Of Egypt (1994), Marrakesh Night Market (1995), Antiphon (1996), A Gift From Culture (1996), Metroland (1999), Slow Night (2003), Sixties Alien Love Story (2010), American Gothic (2011), Flower Mercy Needle Chain (2011), Analog (2010), Apotheosis (2011), Tristana 9212 (2012), On Glass (2014), The Sound Of Snow (2015), American Life (2015), Cyberpunk (2016), Ghost Of A Bad Idea – The Very Best Of Christian Dörge (2017).

    Rückkehr zur Literatur im Jahr 2013: Veröffentlichung der Theaterstücke Hamlet-Monologe und Macbeth-Monologe (beide 2015) und von Kopernikus 8818 – Eine Werkausgabe (2019), einer ersten umfangreichen Werkschau seiner experimentelleren Arbeiten.

    2021 veröffentlicht Christian Dörge mehrere Kriminal-Romane und beginnt drei Roman-Serien: Die unheimlichen Fälle des Edgar Wallace, Ein Fall für Remigius Jungblut und Friesland.

    2022 folgen zwei weitere Krimi-Serien: Noir-Krimis um den Frankenberger Privatdetektiv Lafayette Bismarck und München-Krimis mit Jack Kandlbinder, der in der bayrisches Landeshauptstadt die merkwürdigsten Verbrechen aufzuklären hat.

    EIN MÄDCHEN VERSCHWINDET

    Die Hauptpersonen dieses Romans

    Remigius Jungblut: Privatdetektiv aus München. 44 Jahre alt, studierter Jurist.

    Susie Laurentius: seine 21jährige Sekretärin, auf die in jeder Situation Verlass ist.

    Lavinia Engelmann: eine wohlhabende Münchner Witwe.

    Christina Engelmann: ihre Tochter.

    Johnny Grimm: Musiker.

    Alwin Metz: Jungbluts Assistent in der Detektiv-Agentur.

    Harry Jäger: ein freier Mitarbeiter von Remigius Jungblut.

    Konrad Landeck: Kommissar bei der Münchner Kriminalpolizei.

    Julius Cassetti: Kommissar bei der Frankfurter Kriminalpolizei.

    Eva Schley: Schlagersängerin.

    Skippy Kramer: Pianist und Arrangeur in Johnny Grimms Orchester.

    Friedrich Germani: Spediteur aus Frankfurt.

    Evelyn Germani: seine Frau.

    Oliver Meixner: stellvertretender Direktor der Sparkasse in Frankfurt.

    Wolfgang Beck: Laufbursche bei der Spedition Germani.

    Dieser Roman spielt in München und in Frankfurt/Main im Jahr 1963.

      Erstes Kapitel

    Es war eines der wenigen alten Gebäude in der Landshuter Allee, das noch nicht in Appartementhäuser umgewandelt oder abgerissen worden war, um einer Großtankstelle Platz zu machen. Ich parkte meinen Wagen unter einem Säulenportal, ging die Sandsteinstufen zu einer langgestreckten, angebauten Veranda hinauf und drückte auf den Klingelknopf. An den Jalousien summten die Fliegen, der Verkehrslärm am Rande der abschüssigen Rasenfläche hinter mir schien weit entfernt. Es war drei Uhr nachmittags, mitten im heißen August. Ich nahm meinen Hut ab und trocknete die feuchte Stirn mit einem Taschentuch, das ich aus der Brusttasche meines leichten Freskoanzugs zog.

    Eine Frau in weißer Pflegerinnentracht kam an die Tür und musterte mich durch die Glasscheibe. Sie war in den Dreißigern, recht hübsch, wenn auch ein wenig dicklich, und ungeschminkt. Braunes Haar mit grauen Strähnen kräuselte sich feucht unter der weißen, gestärkten Haube.

    »Ja?«, fragte sie freundlich, nachdem sie geöffnet hatte.

    »Mein Name ist Jungblut«, sagte ich. »Ich bin mit Frau Engelmann verabredet.«

    »Ja, richtig.« Sie trat beiseite. »Kommen Sie bitte herein.«

    In der Veranda stieg mir ein leichter Stärke- und Lysol-Geruch in die Nase. »Hier, bitte! Frau Engelmann befindet sich im Sonnenzimmer.«

    Ich folgte ihr durch einen dunklen Korridor, der im Vergleich zu der Hitze, die draußen herrschte, geradezu kühl wirkte. Der Teppich war ein wenig abgetreten, er hatte ein altmodisches Blumenmuster, und es roch leicht nach Moder, Wachs und Staub. An der einen Wand tickte eine alte Standuhr. Die Schwester öffnete eine Tür, durchquerte einen dunklen Raum, dessen Rollos herabgelassen waren, um die Sonne abzuhalten, und ging in eine Art Alkoven, der von hohen Fenstern umschlossen war; mehrere Tische mit Topfpflanzen standen darin. Die Fenster waren geschlossen, und die Hitze war erdrückend. Es wurde mir fast übel von dem Geruch der Blumen und der feuchten Erde. Erneut wischte ich mir die Stirn ab und fühlte den Schweiß hinter den Ohren herabrinnen.

    In einem tiefen, niedrigen Sessel, im direkten Sonnenlicht, saß eine Frau. Sie hatte eine rosa Wolldecke über die Knie hochgezogen und trug ein rüschenbesetztes Kleidungsstück mit langen Ärmeln und hohem Kragen, das man, wie ich glaube, Bettjacke nennt. Wenn ich die Decke und die Jacke nur ansah, wurde mir noch heißer. Die Frau hatte ein schmales, bleiches Gesicht, scharfe, dunkle Augen und weiße Haare, die man auf eine fast komisch anmutende Art in straffe kleine Löckchen gelegt hatte. Der schmale, kleine Mund war mit grellem Lippenrot geschminkt, und die eingefallenen Wangen bildeten einen erschütternden Kontrast zu der trockenen, blassen, gepuderten Haut. Irgendwann einmal in der fernen Vergangenheit mochte sie schön gewesen sein. Vielleicht war sie sechzig, vielleicht achtzig – in den Geruch der Blumenerde mischte sich der Geruch des Alters und Verfalls.

    Die dickliche Pflegerin sagte mit halb erstickter Stimme: »Frau Engelmann – das ist Herr Jungblut.«

    »Besten Dank, meine Liebe.« Die Stimme der alten Dame klang erstaunlich kräftig und voll. »Vergessen Sie nicht meine Medizin um sechs.«

    »Selbstverständlich, gnädige Frau.« Die Schwester verließ schleunigst den Raum; offenbar war sie froh, der erdrückenden Hitze zu entrinnen, und ich konnte es ihr nicht verdenken.

    »Bitte nehmen Sie Platz«, sagte Frau Engelmann zu mir.

    Ich setzte mich auf einen Stuhl neben einem Kasten mit Geranien. Mein Hemdkragen war klatschnass, und der Schweiß rann mir am Rücken entlang.

    »Mich friert«, sagte Frau Engelmann weinerlich, zupfte an der Decke und zog sie höher hinauf. »Ich kann nicht warm werden. Das ist der einzige Raum im ganzen Haus, in dem ich mich einigermaßen wohl fühle – wenigstens, wenn die Sonne scheint.«

    »Ich verstehe, gnädige Frau«, entgegnete ich und wischte mir das Gesicht ab.

    Sie fuhr in forschem Ton fort: »Ich werde Sie nicht länger aufhalten, als unbedingt nötig ist. Ich weiß, es geht Ihnen wie Fräulein Andorn – Sie fühlen sich hier sehr unbehaglich. Aber ich kann nichts dafür – es hat mit meinem Stoffwechsel und meiner Blutzirkulation zu tun. Offenbar muss ich immer frieren, vielleicht deshalb, weil ich bald eine Leiche sein werde.«

    Ich war ein wenig verblüfft, zwang mich jedoch zu einem Lächeln. »Das dürfen Sie nicht sagen.«

    »Aber es ist wahr, und es macht mir nichts aus. Mein Arzt hat mir ganz offen erklärt, dass ich vielleicht noch sechs Monate, im besten Fall ein Jahr zu leben habe. Mein armes altes Herz ist verbraucht. Ich bin bereit zu sterben, aber vorher möchte ich noch etwas erledigen. Und aus diesem Grund... habe ich Sie hierhergebeten.«

    Ich betrachtete sie höflich und forschend. Der Schweiß sammelte sich auf meinen Brauen und tropfte mir auf die Wimpern. Das Salz brannte, ich zwinkerte mit den Augen und trocknete sie mit dem bereits völlig durchnässten Taschentuch. Das Hemd unter der Jacke fühlte sich klebrig an. Ich hatte keine Ahnung, warum Frau Engelmann mich zu sprechen wünschte. Meine Sekretärin, Susie Laurentius, hatte den Anruf entgegengenommen. Die Erkundigungen besagten, dass Frau Lavinia Engelmann die Witwe von Christoph Engelmann sei, der Mitte der fünfziger Jahre auf der Donau unter dem Namen Kapitän Chris als Eigentümer der größten Flotte von Erzkähnen, die zwischen Ulm und Wien verkehrte, bekannt gewesen war. Das Haus der Engelmann an der Landshuter Allee in München repräsentierte auch heute noch ein Vermögen, das zu einer Zeit entstanden war, da keine hohen Steuern die Profite beschnitten. Frau Engelmann hatte mich für drei Uhr bestellt. Ich sah auf meine Armbanduhr und stellte fest, dass das Lederband unter der feuchten Manschette nass war. Fünf nach drei. Abermals wischte ich mir das Gesicht ab und versuchte, einen munteren Eindruck zu machen, aber ich musste immerzu an ein kaltes Bier in einem schattigen Biergarten denken. Die Hitze in Frau Engelmanns Zimmer hatte mein Geschäftsinteresse und sogar meine Neugier betäubt.

    Frau Engelmann sagte mit einem Lächeln, das mir geradezu schelmisch vorkam: »Herr Jungblut, ich will Ihnen offen gestehen, dass ich Ihre Agentur durch meinen Anwalt überprüfen ließ. Er hat mir berichtet, Sie seien durchaus zuverlässig.«

    »Besten Dank!«, erwiderte ich abwartend.

    Mit einem Seufzer schloss sie die Augen. Ihre verschränkten Finger sahen aus wie aus Wachs. Die Sonne glitzerte auf einem riesigen, gelblichen Brillanten und einem dicken, goldenen Ehering. »Ich werde mich kurz fassen«, sagte sie schließlich mit müder Stimme. »Bitte, unterbrechen Sie mich nicht. Wenn ich fertig bin, können Sie sich entschließen, ob Sie bereit sind, den Auftrag zu übernehmen. Ist das klar?« Sie öffnete die Augen und sah mich scharf an.

    »Vollkommen, gnädige Frau.«

    Wieder machte sie die Augen zu und begann zu sprechen, tonlos und einförmig: »Ich möchte Sie bitten, meine Tochter ausfindig zu machen und sie zu veranlassen, nach Hause zu kommen und in meinen letzten Tagen bei mir zu sein. Das ist nicht zu viel verlangt. Sie ist mein einziges Kind. Ihr Vater und ich, wir haben ihr alles geboten, wir haben sie mit größter Güte behandelt, aber sie...«

    Die müde, alte Stimme redete endlos weiter. Ich hörte aufmerksam zu und bemühte mich, die erdrückende Hitze einfach nicht zu beachten. Ich erfuhr, dass die Tochter – sie trug die etwas französisch und nordisch klingenden Vornamen Françoise Christina (ich werde mich im Folgenden auf das schnörkellosere Christina beschränken) – im jugendlichen Alter von sechzehn Jahren mit einem umherziehenden Trompeter aus einer zweitklassigen Kapelle, welche die Tanzlokale in den kleineren und größeren Städten abzuklappern pflegte, davongelaufen sei. Als die Polizei sie fand, war der Trompeter bereits weitergezogen, und Christina arbeitete in einem Gartencafé am Stadtrand von Nürnberg. Die Polizei schaffte sie nach Hause, aber der Trompeter schlüpfte ihnen durch die Finger.

    Obwohl Frau Engelmann es nicht ausdrücklich erwähnte, hatte ich den Eindruck, dass nach Christinas Rückkehr die Dinge nicht reibungslos verliefen und dass zwischen Mutter und Tochter ein recht gespanntes Verhältnis herrschte. Ihrem Ton konnte ich entnehmen, dass sie es nicht übers Herz brachte, einen Schlussstrich unter das Geschehene zu ziehen, sondern Christina immer wieder daran erinnerte, dass sie ein sehr, sehr unartiges Kind gewesen sei. Ein Jahr später, als Christina nahezu achtzehn war, brannte sie wiederum durch. Diesmal verzichtete die Mutter darauf, sie zurückzuholen. Es vergingen sechs Monate, dann bekam Frau Engelmann Nachricht von ihrer Tochter: Christina wollte nach Hause kommen. Inzwischen aber hatte sich die Mutter auf eine bittere Geschieht-ihr-recht-Haltung versteift. Sie beantwortete weder Christinas ersten Brief noch die beiden weiteren, die auf ihn folgten. Dann erlitt Frau Engelmann einen Herzanfall, und als sie das Sauerstoffzelt verlassen durfte, merkte sie, dass sie trotz allem das Bedürfnis hatte, ihr Kind noch einmal zu sehen, bevor sie sterben würde, obwohl Christina so eigensinnig auf dem Pfad der Sünde gewandelt war. Sie änderte ihr Testament und vermachte ihre gesamte Habe Christina, vorausgesetzt, dass Christina nach Hause kommen und an ihrem Bett sitzen würde, um ihr in ihren letzten Stunden Trost zu spenden. Inzwischen aber hatte es sich auch Christina anders überlegt: Sie wollte nicht nach Hause kommen, nie wieder, unter keinen Umständen, und die Anwälte, die Frau Engelmann zu ihr schickte, konnten sie von ihrem Entschluss in keiner Weise abbringen.

    Es lief darauf hinaus, dass Frau Engelmann mich beauftragen wollte, Christina umzustimmen und zu ihr zu bringen. Sie hatte keine nahen Verwandten, niemanden, an den sie sich hätte wenden können, außer an ihre Anwälte, und die hatten versagt. Ich war demnach ihre letzte Hoffnung.

    Ich zögerte jedoch. »Frau Engelmann, wenn Ihre Anwälte Ihre Tochter nicht bewegen konnten, nach Hause zu kommen, warum erwarten Sie ausgerechnet von mir, dass es mir glücken sollte?«

    »Es ist meine letzte Chance«, sagte sie müde. »Man hat Sie mir ausdrücklich empfohlen. Ich bin bereit, Sie gut zu bezahlen, über das übliche Honorar hinaus. Werden Ihnen persönlich fünfhundert Mark genügen – für den Fall, dass Sie mir meine Tochter bringen?«

    »Ich bekomme mein Gehalt von der Agentur, Frau Engelmann, ich kann nicht...«

    »Dummes Zeug. Nimm, was man dir gibt – das pflegte mein Mann immer zu sagen.« Ihre dunklen, scharfen Augen schienen mich zu durchbohren. »Wollen Sie es versuchen, mein Kindchen nach Haus zu holen?«

    Ich seufzte, wischte mir den Schweiß von der Stirn und fragte vorsichtshalber: »Wo befindet sich Ihre Tochter?«

    »Der letzte Brief kam aus Frankfurt. Meine Anwälte haben sie dort aufgesucht. Ich werde Ihnen die Adresse geben.«

    »Vielleicht ist sie weggezogen? Wie lange ist es her, seit Ihre Anwälte mit ihr gesprochen haben?«

    »Das war im Juni.«

    »Und seither haben Sie nichts mehr gehört?«

    »Nein.«

    »Geht sie einer geregelten Arbeit nach?«

    »Vermutlich – offenbar. Ich beauftragte meine Anwälte, ihr etwas Geld zu geben, aber sie wollte es nicht nehmen. Dann schickte ich ihr einen Scheck, doch sie schickte ihn zurück.« Frau Engelmann seufzte, ihre schmalen Lippen zitterten. »Christina ist wie ihr Vater – eigenwillig, halsstarrig und...« Sie schloss die Augen, eine Träne rollte ihr über die Wange, so dass die Puderschicht verfloss. »Bitte, holen Sie sie nach Hause, Herr Jungblut! Bringen Sie mir mein Kind zurück.«

    Ich fasste einen Entschluss. Auftrag ist Auftrag. »Ich werde es versuchen. Wie lautete die letzte Adresse?«

    Sie griff mit der knochigen Hand unter die rosa Decke, brachte eine kleine, dicke, ledergebundene Bibel zum Vorschein, holte zwischen den dünnen, rotgeränderten Seiten ein zusammengefaltetes Blatt Papier hervor und reichte es mir. Ich entfaltete das Papier, las die mit zittriger Schrift in blauer Tinte hingekritzelten Worte:

    Françoise Christina Engelmann, Kelsterbachstraße 17, Frankfurt/Main.

    Ich vermutete, den zweiten Vornamen müsse sie von ihrem Vater Christoph erhalten haben, der sich sicher einen Sohn gewünscht hatte, einen Nachfolger auf dem Thron seines Erzschifffahrt-Imperiums. Nicht ohne eine leise Melancholie überlegte ich mir, dass außer dem zusammengerafften Vermögen nichts mehr von der Herrlichkeit geblieben war außer eine sterbende Witwe und eine Tochter, die sich mit einem umherziehenden Trompeter aus dem Staub gemacht hatte.

    »Danke!«, sagte sie und steckte das Papier wieder ein. Nach einem kurzen Zögern meinte ich: »Vielleicht ist es belanglos, aber es wäre nicht schlecht, wenn Sie mir den Namen des Mannes sagen könnten, mit dem sie vor zwei Jahren durchgebrannt ist.«

    Sie erwiderte schroff: »Was soll das nützen? Er war ein Musiker – ein schäbiger Musiker. Christina hatte sich in ihn verliebt. Ich hatte Anzeige gegen ihn erstattet, aber als Christina wieder zu Haus war, zog ich sie zurück. Es hätte keinen Zweck gehabt, und meine Tochter sollte ihn vergessen.«

    »Vielleicht ist er zu ihr zurückgekehrt«, sagte ich behutsam. »Vielleicht will sie deshalb nicht nach Hause kommen, weil sie weiß, was Sie von ihm halten. Vielleicht ist sie glücklich.«

    »Herr Jungblut«, erklärte sie kalt, »Ihre Meinung interessiert mich nicht. Ich verlange von Ihnen nur, meine Tochter nach Haus zu holen.«

    Aber ich ließ nicht locker. »Ich möchte den Namen des Mannes wissen.«

    Ein hässlicher Ausdruck trat in ihre Augen, die Muskeln um den schmalen Mund strafften sich. »Johnny Grimm«, sagte sie. »Beruf: Verführer.« Das letzte Wort wurde fast hervorgezischt.

    Ich erschrak. In den Kreisen der Unterhaltungsmusik war der Name Johnny Grimm berühmt. Noch vor einem Jahr waren Johnny Grimm, seine Kapelle und seine Trompete unbekannt gewesen, jetzt aber gab es keine Musikbox im ganzen Land, die nicht zumindest einige Grimm-Potpourris offerierte.. Seine Platten wurden zu Millionen verkauft, er war häufig im Rundfunk und im Fernsehen aufgetreten. Er hatte sogar seine schmachtenden Fan-Clubs. Sein Stil war eine wehmütige Kombination von Guy Lombardo und Ernst Armstrong und seine Tanzkapelle bei der Jugend der letzte Schrei. Egal, wie es um Johnny Grimms Moral bestellt sein mochte, er hatte beinahe den Gipfel erreicht – in einem Beruf, in dem der Aufstieg eine beschwerliche, grausame und mitunter herzzerreißende Sache ist. Es gab nur sehr wenige wirklich berühmte Kapellen, und Johnny Grimm war auf dem besten Weg, sich ihnen anzuschließen.

    »Er ist heute eine Berühmtheit«, sagte ich.

    »Dessen bin ich mir bewusst«, entgegnete Frau Engelmann mit brüchiger Stimme. »Bringen Sie mir meine Tochter zurück, Herr Jungblut, und die fünfhundert Mark gehören Ihnen – über das übliche Honorar hinaus. Wenn Sie einen Vorschuss wünschen...« Wieder griff sie unter die Decke.

    »Das ist nicht nötig. Mein Büro wird Ihnen eine Honorarrechnung und eine detaillierte Spesenrechnung zuschicken. Wollen Sie unseren Grundtarif wissen?«

    »Nein, nein«, erwiderte sie ungeduldig. »Wie lange wird es dauern?«

    »Nur ein paar Tage – so oder so –, falls ich sie ausfindig machen kann. Ich kann Ihnen nichts versprechen, Frau Engelmann, aber ich werde mein Bestes tun. Auf Wiedersehen.«

    Sie schloss die Augen und wiederholte flüsternd: »Bitte, bringen Sie mir meine Tochter zurück.«      

    Ich verließ das Zimmer. Die Krankenschwester saß im Korridor und las eine Illustrierte. Als ich näherkam, blickte sie lächelnd auf. Im Vergleich zu dem Sonnenzimmer war es hier kühl. Ich sagte: »Wohnen Sie und Frau Engelmann allein in diesem Haus?«

    »Ja.«

    Ich stopfte mir das Taschentuch in den feuchten Kragen. » Wie kann sie es bloß da drinnen aushalten?«

    Wieder lächelte sie und zeigte ihre hübschen Zähne. »Sie hat eine sehr schlechte Blutzirkulation. Sie benötigt viel Wärme.«

    »Ist sie wirklich so krank, wie sie behauptet? Ich meine, hat sie wirklich nicht mehr lange zu leben?«

    Sie nickte sachlich. »Sie ist sehr tapfer und spricht ganz offen darüber.« Sie seufzte. »Sie hat nur noch den einen Wunsch – ihre Tochter wiederzusehen.«

    »Warum hat sie nicht dafür Sorge getragen, dass ihre Tochter nicht wieder fortläuft?«

    »Sie hat es mir erzählt. Sie spricht viel von ihr und macht sich große Vorwürfe. Sie bereut, dass sie Christina nicht liebevoller, verständnisvoller behandelt hat, dass sie nicht nachsichtiger war. Aber sie hat es für ihre Pflicht gehalten, Christina zu bestrafen, sie wollte sie nicht vergessen lassen, dass sie – eine Sünde begangen hatte.«

    »Das habe ich mir gedacht«, entgegnete ich. »Und jetzt will Christina von ihrer Mutter nichts mehr wissen.« Ich nahm meine Brieftasche und gab ihr eine Karte. »Ich werde versuchen, Christina Engelmann ausfindig zu machen und nach Hause zu bringen. Wenn Sie sich mit mir in Verbindung setzen wollen, rufen Sie mein Büro an.«

    Sie betrachtete die Karte und blickte lächelnd zu mir auf. »Wie interessant! Ein Detektiv. Ich habe noch nie einen Detektiv kennengelernt. Ich wünsche Ihnen viel Glück, Herr Jungblut.«

    »Nach dem, was ich über Christina gehört habe, werde ich Ihre Wünsche dringend brauchen. Auf Wiedersehen, Fräulein...«

    »...Andorn«, erwiderte sie lächelnd. »Miriam Andorn.«

    »Auf Wiedersehen, Fräulein Andorn.« Ich setzte meinen Hut auf und ging hinaus in die grelle August-Sonne.

      Zweites Kapitel

    Ich konnte der Versuchung nicht widerstehen und trank in einer benachbarten Kneipe eine kalte Flasche Bier. Es schmeckte sehr gut, aber eine Flasche musste genügen. Dann fuhr ich zurück nach Schwabing. Der Verkehr in der Münchner Innenstadt war wie üblich dicht und unnachgiebig, und es war beinahe fünf Uhr geworden, als ich ins Büro in der Walter-Gropius-Straße kam.

    Susie Laurentius wollte gerade zuschließen und hatte die abzusendende Post in einem sauberen Stoß auf ihrem Schreibtisch geordnet. Susie ist eine große junge Dame mit einigen Sommersprossen auf dem kurzen Näschen. Sie hat freundliche braune Augen und einen weichen Mund, der erst natürlich wirkt, wenn sie zu lächeln beginnt. An diesem Tag trug sie ein einfaches schwarzes Leinenkleid mit kurzen Ärmeln, das ihr sehr gut stand. Seit ich die Filiale in München übernommen hatte, war Susie Laurentius bei mir angestellt.

    »Hallo, Remi!«, begrüßte sie mich. »Ich habe Sie nicht erwartet und die Briefe für

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