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Geist & Leben 3/2022: Zeitschrift für christliche Spiritualität
Geist & Leben 3/2022: Zeitschrift für christliche Spiritualität
Geist & Leben 3/2022: Zeitschrift für christliche Spiritualität
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Geist & Leben 3/2022: Zeitschrift für christliche Spiritualität

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About this ebook

GuL 95 (2022), Heft 3 Juli - September 2022
n. 504


Notiz

Andrea Riedl
Zwerge auf den Schultern von Riesen [223-224]


Nachfolge

Yann Vagneux MEP
Im Geist leben.
Der Briefwechsel zwischen Henri Le Saux und Thérèse Lemoine [226-234]

Manfred Grimm SJ
Helfende Hände.
Mnemotechnik als Frömmigkeitsübung [235-240]

Markus Kneer
Guillaume Pouget und die Spiritualität der historischen Kritik [241-248]


Nachfolge | Kirche

Georg Lauscher
Missbrauchte Eucharistie?
Wie das Gegebene sich entzieht [249-257]

Anna Slawek
Spirituellem Missbrauch zuvorkommen.
Was wir von Frankreich lernen können [258-266]

Philipp Müller
Berufung - ein gefährlicher Topos?
Pastoralpsychologische Impulse zur Priesterausbildung [267-275]


Nachfolge | Junge Theologie

Markus Adolphs
Grundvertrauen und Gottvertrauen.
Eine Verhältnisbestimmung [276-280]


Reflexion

Sebastian Maly SJ
Spiritualität studieren (Teil II).
Studiengänge im deutschsprachigen Raum [282-290]

Ralph Kunz
Hoffnung für die Welt.
Eine Aufgabe der Theologie [291-297]

Isabella Bruckner
Perlen des Glaubens.
Der Rosenkranz mit Michel de Certeau gelesen [298-306]


Lektüre

Martin Blay
Erweckung - Kairos - Unterscheidung.
Willibald Sandlers Analyse geistlicher Neuaufbrüche [308-316]

Iuliu-Marius Morariu
"Das Tagebuch der Freude" von Nicolae Steinhardt [317-323]


Buchbesprechungen [324-330]
LanguageDeutsch
PublisherEchter Verlag
Release dateJul 6, 2022
ISBN9783429065591
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    Book preview

    Geist & Leben 3/2022 - Echter Verlag

    Notiz

    N

    Andrea Riedl | Dresden

    geb. 1984, Dr. theol. habil., Fachbereichsleiterin für Kirchengeschichte an der TU Dresden, Beiratsmitglied von GEIST & LEBEN

    andrea.riedl@tu-dresden.de

    Zwerge auf den Schultern von Riesen

    In der Antike war die Überzeugung weit verbreitet, dass Wahrheit mit dem Alter zu tun habe: Nur etwas, das sehr alt ist, könne wahr sein. Indem man das Alte oder besser: das Altehrwürdige (lat. antiquitas) bewahrte, war für die antike Welt die Garantie gegeben, dass man auf einer soliden und tragfähigen Basis aufbaute und nicht dem Irrtum der Neuerung verfiel – eine Neuerung, wie man sie etwa dem Christentum im Gegensatz zum Judentum vorwarf. Was alt ist, ist wahr – was älter ist, ist wahrer und damit in jedem Fall zu bevorzugen. Diese Vorstellung galt in der Antike nicht nur für religiöse Belange, für Kult und Lehre, sondern auch für die Wissenschaft, für die Philosophie und das Denken. Dass ein Gedanke völlig neu und noch von niemandem der gelehrten Vorgänger gedacht und entfaltet worden war, provozierte mindestens Skepsis, wenn nicht sogar offenes Misstrauen – ganz anders, als heutige Wissenschaft, Patentkompetenz und Innovation funktionieren. Für die Wahrheit und Zuverlässigkeit eines Gedankens (beziehungsweise für seine reliability, wie es im Englischen so treffend heißt und kaum adäquat übersetzt werden kann) spricht in der Antike demnach, wenn man zeigen kann, dass er nicht neu und innovativ ist, sondern zum Traditionsgut gehört und insofern ein Gütesigel trägt, als er bereits früher gedacht und nun in die Gegenwart transferiert worden sei.

    Ein schönes Sinnbild des französischen Gelehrten Bernhard von Chartres (gest. um 1126) ist unter anderem Zeuge dafür, dass dieses antiquitas-Prinzip der Antike seine Fortschreibung im akademisch blühenden Mittelalter gefunden hat. Auf ihn, der zuletzt Kanzler der einflussreichen Kathedralschule von Chartres und in dieser Funktion ebenso Lehrender war, geht das Bild der „Zwerge auf den Schultern von Riesen zurück. Sein Schüler Johannes von Salisbury schreibt: „Bernhard von Chartres pflegte zu sagen, wir seien gleichsam Zwerge auf den Schultern von Riesen, so dass wir mehr und weiter sehen können als diese; nicht aber wegen der Schärfe unseres eigenen Blickes oder unserer eigenen Körpergröße, sondern weil wir durch die Erhabenheit jener Riesen in die Höhe gezogen und emporgehoben werden (Ioh. Sal., Metalogicon III, 4, ed. CCCM 89, p. 116, 46–50).

    Dieses Bild fügt sich zunächst nahtlos in das Konzept der Antike ein. Wir finden es sogar in leicht veränderter, weil die Schriftauslegung betreffender Form in der Sakralarchitektur der berühmten Kathedrale von Chartres: Die Glasfenster des Südquerschiffes, die in die erste Hälfte des 13. Jahrhunderts datieren, zeigen die vier Evangelisten auf den Schultern der vier alttestamentlichen Propheten sitzend: Matthäus auf Jesaja, Markus auf Daniel, Lukas auf Jeremia und Johannes auf Ezechiel. Johannes von Salisbury schreibt nun, basierend auf der zeitgenössischen Entdeckung des einflussreichen aristotelischen Gedankenguts, das Prinzip der Antike fort: Es sei nicht die Wahrheit, deren Garant das Alter ist. Die Arbeit moderner Autoren, Gelehrter, Literaten und Philosophen seiner Zeit stünde jener der Alten hinsichtlich ihrer Wahrheit sowie der Eleganz ihrer Sprache um nichts nach. Nicht um Wahrheit gehe es – sondern um auctoritas: Autorität zu erlangen sei uns modernen Menschen unmöglich oder zumindest äußerst erschwert. Aufgabe und Kompetenz der Gegenwart hingegen sei es, den Gedankenreichtum der Vergangenheit gewissermaßen in moderne Kleidung, ja in leichte Sprache (verbis facilibus) zu kleiden und das Sichtbare ebenso wie das Verborgene in ihnen zur Geltung zu bringen.

    Der Streifzug durch Antike und Mittelalter bietet uns im Hinblick auf die Gegenwart zwei Ansatzpunkte: Zunächst veranschaulicht er den Grundsatz historischer Kritik, dass Selbstverständliches selten in Erinnerung gerufen werden muss. Die Crux historischer Textzeugnisse besteht darin, dass sie mehr Außergewöhnliches als Normales, mehr zu Forcierendes als ohnehin Bestehendes überliefern. Indem wir diese Zeugnisse daher mehr als Aufforderung und als Werben des Autors lesen, kommen wir ihrem Anspruch näher: Sei kein(e) Alleinkämpfer(in)! Profitiere von den Errungenschaften und Erfahrungen deiner Vordenker(innen) und erfinde nicht neu, was sie vor dir bereits erfunden haben! Zolle ihnen Tribut, indem du ihren Beitrag dafür anerkennst, wo du heute stehst und was du heute leisten kannst! Und – zweitens – auf Fragen der Spiritualität und des kirchlichen Lebens angewandt: Kirche muss sich nicht neu erfinden, um attraktiv zu sein, denn auctoritas rührt nicht von der Gegenwart, sondern von ihren Ursprüngen her. Sich zu Recht um die moderne Kleidung und die leichte Sprache als Aufgabe der Gegenwart zu sorgen, setzt – mit Antike und Mittelalter gesprochen – die Kenntnis und Überzeugung, aber auch die Kraft dessen voraus, was eingekleidet und übersetzt werden soll; eine Kraft, die von der Offenbarung selbst herrührt und sich durch die zweitausendjährige Geschichte hindurch geformt, konturiert, neu ausgerichtet und jeweils wieder verankert hat.

    NNachfolge

    R

    L

    Nachfolge

    N

    Yann Vagneux MEP | Varanasi (Indien)

    geb. 1976, Dr. theol., Priester

    arunachalaji@yahoo.com

    Im Geist leben*

    Der Briefwechsel zwischen Henri Le Saux und Thérèse Lemoine

    „Das ganze irdische Leben des Abhishiktananda wird den Augen der großen Öffentlichkeit verborgen bleiben", schrieb Raimon Panikkar im Vorwort zum intimen Tagebuch seines Freundes¹. Weil er uns zeitlich und räumlich fern ist, bleibt uns die Gestalt von Henri Le Saux (1910–1973) auch heute noch ungreifbar, ungeachtet all dessen, was über ihn geschrieben wurde. Einige Jahrzehnte lang wurde uns der Schlüssel zur Interpretation seines einzigartigen Lebens durch R. Panikkar selbst gegeben: „Er ist Mönch, sannyasi, einer, dessen Ideal weltlos ist: ohne Geburt, ohne Ort, ohne Ende, ohne Nichts. (…) Und gegen Ende seines Lebens wird er mehr und mehr Christ, indem er mehr und mehr Hindu wird, indem er alle dvanda (Dichotomien) übersteigt, die ihn geplagt haben."² Aber indem Panikkar ihn zu einem sannyasi, zugleich Christ und Hindu³, macht, können wir uns zurecht fragen, ob Panikkar auf Abhishiktananda nicht sein eigenes Profil projiziert hat, das er so zusammenfasst: „Ich habe Europa als Christ verlassen, ich habe in Indien entdeckt, dass ich Hindu bin, und ich bin zurückgekehrt als Buddhist, ohne deshalb aufgehört zu haben, ein Christ zu sein."⁴

    Neue Sicht auf Henri Le Saux

    Die in den letzten Jahren veröffentlichte Korrespondenz⁵ wirft ein gänzlich anderes Licht auf Henri Le Saux. Die Briefe bestätigen jenen, die etwa daran gezweifelt hätten, seine christliche Verwurzelung. Im Gegenteil: Sie hat sich in dem Maß vertieft, als er dem Hinduismus begegnete. Darüber hinaus zeigt die Korrespondenz seine tiefe Menschenverbundenheit, weit entfernt von der Radikalität eines Akosmismus, vor allem, wo es um humane Beziehungen geht. So erklärt er in einer letzten Botschaft an seinen Schüler Marc Chaduc: „Welche Freude, dich so menschlich zu erfahren, wo doch manche deiner ‚extremen‘ Äußerungen mich mehr als einmal erschauern ließen."⁶ Beeindruckend erscheint sein Profil in dem Gedankenaustausch, den H. Le Saux über vierzehn Jahre mit Thérèse Lemoine führte, einer Karmelitin von Lisieux, die ihm später nach Indien folgte. In der Begegnung mit dieser um 15 Jahre jüngeren Ordensschwester, die sich wie er der Kontemplation geweiht hatte, offenbarte sich der Mönch als Meister im geistlichen Leben.

    Henri Le Saux an Thérèse Lemoine

    Diese Zeugnisse geistlicher Begleitung stellen einen überaus kostbaren Schatz der Kirche dar. In einer Zeit, in der zahlreiche Fälle von Machtmissbrauch im Gewissensbereich bekannt werden, darf man das Kostbare einer solchen Beziehung nicht aus dem Auge verlieren, wenn sie in reinster Authentizität gelebt wird. Sie kann mit drei Begriffen beschrieben werden: Tiefe (profondeur), Hingabe (abandon) und Freiheit (liberté). Wir können uns an der Einzigkeit dieser Beziehung erfreuen, die in das Leben des Geistes hineinführt, zu dem wir alle berufen sind.

    Tiefe

    Henri Le Saux trat von Indien aus, wo er lebte, in Briefkontakt mit dem Karmel von Lisieux. Die damalige Priorin bat die Novizenmeisterin, Sr. Thérèse de Jésus, sich um diese Korrespondenz zu bemühen. Ohne Zweifel ahnte Mutter Françoise-Thérèse bereits den geistlichen Nutzen, den die junge Schwester aus diesem Briefkontakt ziehen konnte. Schon zwei Jahre später vertraute Thérèse dem Benediktiner an: „Von meiner frühen Kindheit an hatte ich die Sehnsucht nach ‚Gott allein‘. Und wo immer ich mich aufgehalten habe, sogar in der Familie, wo ich alles hatte, um glücklich zu sein, habe ich mich gleichermaßen fremd gefühlt mit der verzehrenden Sehnsucht nach etwas Höherem, einem Absoluten."⁷ Rasch fanden zwei Menschen, die einander nicht kannten, zu einem Austausch in voller Transparenz. Bereits einige Monate später schrieb Henri Le Saux: „Es ist bewegend, mit Thérèse in einem so unmittelbaren Kontakt zu sein, die mir auf derart einfache Weise die Geheimnisse ihres Herzens anvertraut.⁸ Offenkundig hatten weder der Benediktiner noch die Karmelitin eine genaue Vorstellung, wohin sie ihr Briefaustausch führen sollte. Trotzdem ergab sich zwischen ihnen ein wahres geistliches Verstehen und ein Gleichklang in der Sehnsucht nach Tiefe: „An diesem 22. Juli 1959 – ein Gedenktag für mich –, an dem ich zum ersten Mal mit Shantivanam in Kontakt getreten bin, erfuhr ich einen tiefen Schock, eine Art Intuition, dass mir plötzlich das gegeben wird, was ich dunkel erwartete, nämlich meinem geistlichen Leben eine Form zu geben, wenn ich so sagen kann. Ich glaube, dass meine Entscheidung unmittelbar und definitiv folgte. Sie haben mich in diesen 18 Monaten viel gelehrt, aber jetzt kann ich nicht mehr zweifeln, ich muss mich in meinem tiefsten Grund engagieren. Sie würden mir helfen, auf diesen Ruf der tiefen Wahrheit zu antworten. Manchmal habe ich den Eindruck, dass ich nur durch diesen Ruf konstituiert bin.

    Thérèse fand im Mit-Begründer des Shantivanam einen, der sie verstehen und der ihren Durst an den Quellen des Geistes löschen konnte. Aber Henri Le Saux bot ihr keine leichten Tröstungen. Im Gegenteil, er hörte nicht auf, sie zu ermutigen, weiter den Weg zu gehen „in jener verlassenen und brutalen Einsamkeit, die die Armen im Geist bewohnen"¹⁰. „Der Kontemplative ist nicht einer, der auf jene Vorstellung von Gott fixiert ist, die er sich gebildet hat und an der er sich erfreut. Der wahrhaft Kontemplative ist jener, der es dem Geist überlassen hat, ihn emporzuheben und ihm jeden Halt zu nehmen, selbst in dem, was er seine Kontemplation nannte.¹¹ Immer von neuem lud der Benediktiner die Ordensfrau ein, in den Grund ihres Herzens zurückzukehren, um da „die blendende Fülle der Gegenwart (des Herrn)¹² zu entdecken. „Was bedeutet dagegen alles, was um uns geschieht? Auf die Mitte unseres Selbst allein müssen wir uns stützen. Und diese Mitte stützt sich selbst auf den göttlichen Felsen. Es sind nicht zwei Felsen. Im Akzeptieren des Felsens, der man selbst ist, enthüllt sich der innere Fels (und nicht die Seele) an diesem Felsen. (…) Dieser Fels ist der Glaube. Und der Glaube ist die Erfahrung des ‚Drüber‘ im tiefsten Grund.¹³ Für Abhishiktananda war dieser geheime Ort, an dem sich der Pilger des Absoluten unbewegt aufhält, die Erfahrung des trinitarischen „Ich bin. Nur auf dieser Ebene wird er seine wahre und unersetzbare Berufung in der Kirche entdecken können. Auch als Thérèse die Schrecken der geistlichen Nacht erfahren hatte, als sie nicht verstand, wohin der Herr sie führen werde, hörte der Mönch nicht auf, sie in die abgründigsten Tiefen zu führen: „Sie werden mich heute zweifellos als hart empfinden. Aber ich glaube, sie müssen sich auf diese ihre wahre Ebene erheben, wo sie sie selbst sind."¹⁴

    Die ersten Jahre des Briefverkehrs zwischen dem Swami und der Karmelitin sind ein wahres Juwel christlicher Spiritualität. Sie zeigen auch, welch hohe Vorstellung Abhishiktananda vom Priestertum hatte. Dies kommt in einem Text aus dem Jahr 1966 mit dem Titel „Der Priester, den Indien erwartet, den die Welt erwartet klar zum Ausdruck: „Im Kontext Indiens kann der christliche Priester nur ein Guru sein. (…) Der Guru (…) ist ein Mensch, der aus Erfahrung spricht. Der Guru ist einer, der die Lehre vom Heil vermittelt. Ist es nicht so, dass man nur im Grund des Herzens das Geheimnis der Weisheit versteht, dass sich die Erfahrung des Heils auftut? (…) Nur der Guru oder der geistliche Meister ist einer, der eines Tages im Grunde seiner Seele dem ‚wahren und lebendigen‘ Gott begegnen wird, von dem die Schrift auf jeder Seite spricht. Von da an wird er für sein Leben mit dem Brandmal dieser Begegnung geprägt sein.¹⁵

    Die Figur des Gurus ist leider häufig durch „Betrug" verunstaltet. Es scheint, dass außerhalb Indiens sehr wenige jene zentrale Rolle verstehen können, die dem geistlichen Meister in der Übermittlung der Weisheit der Alten zukommt. Doch das reine Ideal des Guru in

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