Blaue Schatten über der Bucht: Irrlicht - Neue Edition 16 – Mystikroman
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Diese Serie enthält alles, was die Leserinnen und Leser von Mystik Romanen interessiert.
Stella trat an das Fenster. Unter ihr lag die Bantry Bucht mit ihren blauen Schatten. Dann fiel ihr Blick auf den Friedhof. Auch dort erleuchtete das Licht des Mondes die Gräber. Sie schienen violett gefärbt zu sein. Nun entdeckte sie zwei gekreuzte Schwerter, um die ein Kranz hing. Was für ein merkwürdiger Grabschmuck. Und dann die uralte Eiche, die so gespenstisch aussah. Eine dunkle Gestalt mit einem bodenlangen Kapuzenmantel trat hinter dem Stamm der Eiche hervor. Die Kapuze war so tief ins Gesicht gezogen, dass Stella nur die Nasenspitze hervorragen sah. Wie hell die Nacht war, unheimlich hell mit dem blauen geisterhaften Licht. Wer war diese Person, die nun mit Riesenschritten bis zu dem größten der Grabsteine eilte? Er sah wie ein Zwerg mit eckigen, nach oben gezogenen Schultern aus. Die Gestalt war verschwunden, so, als ob sie sich in Luft aufgelöst hätte. Der Blick des Fremden ließ sie nicht los und irritierte sie derart, dass sie den Ballsaal fluchtartig durch die Terrassentür verließ. Das Schneetreiben hielt sie nicht davon ab, die Richtung zum Pavillon einzuschlagen. Sie achtete auch nicht auf ihre dünnen Seidenschuhe, die schon nach wenigen Schritten völlig durchnässt waren. Schwer atmend stieß sie die Tür auf und zündete mit klammen Fingern die Kerzen an, die in dem Porzellanleuchter steckten. Dann setzte sie sich auf die Bank. Sie zitterte nicht nur vor Kälte, sondern auch vor Angst.
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Irrlicht - Neue Edition
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Blaue Schatten über der Bucht - Judith Parker
Irrlicht - Neue Edition
– 16 –
Blaue Schatten über der Bucht
Das Unheil kam in der Hochzeitsnacht
Judith Parker
Stella trat an das Fenster. Unter ihr lag die Bantry Bucht mit ihren blauen Schatten. Dann fiel ihr Blick auf den Friedhof. Auch dort erleuchtete das Licht des Mondes die Gräber. Sie schienen violett gefärbt zu sein. Nun entdeckte sie zwei gekreuzte Schwerter, um die ein Kranz hing. Was für ein merkwürdiger Grabschmuck. Und dann die uralte Eiche, die so gespenstisch aussah. Eine dunkle Gestalt mit einem bodenlangen Kapuzenmantel trat hinter dem Stamm der Eiche hervor. Die Kapuze war so tief ins Gesicht gezogen, dass Stella nur die Nasenspitze hervorragen sah. Wie hell die Nacht war, unheimlich hell mit dem blauen geisterhaften Licht. Wer war diese Person, die nun mit Riesenschritten bis zu dem größten der Grabsteine eilte? Er sah wie ein Zwerg mit eckigen, nach oben gezogenen Schultern aus. Die Gestalt war verschwunden, so, als ob sie sich in Luft aufgelöst hätte.
Der Blick des Fremden ließ sie nicht los und irritierte sie derart, dass sie den Ballsaal fluchtartig durch die Terrassentür verließ. Das Schneetreiben hielt sie nicht davon ab, die Richtung zum Pavillon einzuschlagen. Sie achtete auch nicht auf ihre dünnen Seidenschuhe, die schon nach wenigen Schritten völlig durchnässt waren.
Schwer atmend stieß sie die Tür auf und zündete mit klammen Fingern die Kerzen an, die in dem Porzellanleuchter steckten. Dann setzte sie sich auf die Bank. Sie zitterte nicht nur vor Kälte, sondern auch vor Angst. Was sie vorhatte, war reiner Wahnsinn. Wie hatte sie sich nur auf so etwas einlassen können? Noch war es nicht zu spät, noch blieb ihr Zeit, dem Mann zu erklären, dass sie es sich anders überlegt hätte. Leslie O’Carnac aber übte eine seltsame Macht auf sie aus.
Sie wusste von ihm, dass er aus einer angesehenen irischen Familie stammte, die in der Grafschaft Cork ein Schloss und natürlich auch Ländereien besaß. Dieser Besitz lag an der Bucht von Bantry. Unverständlich für sie war Mamas Abneigung gegen Leslie. Sie hatte erklärt, sie würde es niemals zulassen, dass sie, Stella, diesen Mann heirate. Deshalb hatte sie sich entschlossen, mit Leslie durchzubrennen. Noch in dieser Nacht. Eine Barkasse würde sie von Woolwich zu dem Schiff bringen, das direkten Kurs auf die Hafenstadt Cork nahm.
Stella O’Riodain war vor einigen Wochen achtzehn geworden und noch nicht volljährig. Leslie jedoch hatte ihr versprochen, dass Pater Rubens sie gleich nach ihrer Ankunft in Durham House trauen würde. Sein Vater und seine Schwester wären von ihm verständigt worden.
Stella erschrak zutiefst, als sie Schritte hörte, die sich dem Pavillon näherten. Leslie? Er musste bemerkt haben, dass sie das Haus verlassen hatte. Wenn Papa noch leben würde, wäre alles viel leichter für sie. Sein unerwarteter Tod vor einem Jahr war für sie ein entsetzlicher Schock gewesen. Auch Mama litt sehr unter dem schweren Verlust. Aber sie lenkte sich von ihrem Kummer ab, indem sie sich für Wohltätigkeitsvereine aufopferte und auch gesellschaftlichen Verpflichtungen nachkam. Papa hätte bestimmt nichts gegen eine Ehe mit Leslie O’Carnac gehabt. Papa war auch Ire gewesen.
Die junge Frau hielt kurz den Atem an und wartete aufgeregt. Die Tür wurde aufgestoßen, und der Mann, der nun den Pavillon betrat, sah einfach fantastisch aus in dem schwarzen Frack und dem blütenweißen Rüschenhemd. Es war der Fremde, vor dem sie davongelaufen war.
Was für ein bezauberndes Mädchen, dachte er. Es ist für diesen O’Carnac viel zu schade. Stella zupfte verlegen an dem Ausschnitt ihres rosa Ballkleides, das sie scheußlich fand. Mama jedoch war der Meinung, dass ein junges Mädchen in ihrem Alter auf keinen Fall in einer mondänen Robe auf seinem ersten Ball erscheinen dürfe.
»Wer sind Sie?«, fragte die junge Frau. »Ich habe Sie im Ballsaal gesehen. Hat meine Mutter Sie eingeladen?«
»So ist es, Miss O’Riodain. Ich dachte, Sie würden mich kennen. Sonst hätte ich mich gleich vorgestellt. Ich bin Timothy O’Crean und kenne die O’Carnacs sehr lange. Auch ich fahre nach Irland zurück. Mein Vater und der Ihrige waren gute Freunde. Ich hatte etwas in London zu erledigen.«
Stella war noch zu jung, um sich verstellen zu können. Dass dieser Mann über Leslie und sie Bescheid wusste, ließ sie vor Schreck erstarren. Nun gut, Leslie und sie waren oft zusammen gewesen und auch gesehen worden. Aber woher wusste dieser Timothy O’Crean von ihrer Absicht durchzubrennen?
»Ich habe dich überall gesucht, Stella«, ertönte die atemlose Stimme von Leslie O’Carnac. Er trug ebenfalls einen Frack, aber er sah darin nicht so gut aus wie dieser Timothy O’Crean, dessen Blick sich nun auf den um einen halben Kopf kleineren und untersetzten Mann richtete. Leslie sah in einem Sportanzug viel anziehender aus. Er hatte Stella gestanden, wie ungern er sich in Schale geworfen hatte. Auch Bälle seien ihm zuwider. Er sei das freie Landleben gewöhnt und könne den Augenblick kaum erwarten, endlich wieder daheim zu sein, daheim in Durham Castle, in dem alten Schloss an der Bucht von Bantry.
Dass die Männer sich kannten, war nicht zu übersehen und auch nicht, dass sie sich spinnefeind waren.
»Stella, du hast nasse Schuhe. Du wirst dich erkälten. Du hast dir nicht einmal einen Schal umgelegt. Es ist Februar und eine besonders kalte Nacht. Das Schneetreiben ist heftiger geworden. Komm sofort ins Haus zurück!«
»Ja, Leslie.« Die blauen Augen des Mannes, dem sie ihr Leben anvertrauen wollte, siegten wieder über ihre Skrupel. Ich liebe ihn mehr als mein Leben, dachte die junge Frau und erhob sich.
Sie fing noch einen Blick des größeren Mannes auf. Es war ein missbilligender, gleichsam trauriger Blick, der sie irgendwie schmerzte.
Hastig wandte sie sich um und ließ sich von Leslie seine Frackjacke über die Schultern legen. Ihr zukünftiger Mann fasste sie bei der Hand.
Timothy hatte es nicht so eilig. Er blieb in der offenen Pavillontür stehen und sah dem Paar nach. Er verstand sich selbst nicht mehr. Was ging ihn diese Stella O’Riodain an, die Tochter eines Iren und einer Londonerin? Und was er von Leslie O’Carnac zu halten hatte, darüber brauchte er sich bei Gott den Kopf nicht mehr zu zerbrechen. Natürlich gab er nicht viel auf das Gerede der Leute rund um die Bantry Bucht. Dennoch musste etwas Wahres daran sein. Seltsame Dinge geschahen in Durham House. Ein bitteres Lächeln umspielte seine gut geschnittenen Lippen, als er an Ellis O’Carnac dachte, an das Mädchen, das er hatte heiraten wollen. Doch das war vorbei. Er hatte sich mit seiner großen Enttäuschung abgefunden.
Merkwürdigerweise fühlte er sich für die Tochter des einst so guten Freundes seines Vaters verantwortlich. Zuletzt hatte er sie als vierzehnjähriges Mädchen gesehen, an dem Tag, als ihr Vater ihr die Fuchsstute geschenkt hatte. Das Mädchen hatte nur noch das Pferd gesehen und ihn überhaupt nicht beachtet.
Als er am gestrigen Tag der Witwe von Mr O’Riodain einen Besuch abstattete, um ihr Grüße von seinen Eltern zu bestellen, hatte diese ihn zu dem heutigen Ball eingeladen, das erste Fest in dem großen Palais nach Mr O’Riodains Tod. Er war gerne gekommen. Sehr schnell war ihm klar geworden, dass Leslie O’Carnac und Stella O’Riodain ein Liebespaar waren.
Vor einer guten Stunde hatte Stellas Mutter ihm erklärt, sie werde nie ihre Zustimmung zu einer Heirat zwischen den beiden geben. Niemals!
Stella. Sie gehörte nicht zu den schönen Frauen, die die Männer wie die Motten das Licht umschwärmten. Sie war anders als diese oft hohlköpfigen Frauen, deren Sinn nur nach Vergnügen stand. Sie hatte etwas, das mehr zählte als Schönheit. Ihre Züge belebten sich auf eine fast wundersame Weise, wenn sie sprach oder lachte. Selbst wenn ein Zug von Traurigkeit ihr Gesicht überschattete, wirkte sie lieblich. Etwas Anziehendes ging von ihr aus, ein unwiderstehlicher Charme, der ihn gefangen genommen hatte.
Fast körperlich spürte Timothy eine Gefahr, die Stella drohte. Von wem? Natürlich von Leslie O’Carnac. Vielleicht aber redete er sich das alles nur ein, weil er Leslie die Schuld an seiner zerplatzten Verlobung mit Ellis O’Carnac gab. Bis zum heutigen Tag konnte er sich nicht erklären, weshalb seine Verlobte ihn nicht mehr hatte sehen wollen.
Timothy O’Crean kehrte sehr nachdenklich zurück. Der Ball schien seinen Höhepunkt erreicht zu haben.
Lautes Lachen, lebhaftes Stimmengewirr und dann die Kapelle, die nun eine Polka spielte. Die jungen Leute tanzten begeistert nach dem temperamentvollen Rhythmus. Aber Stella war nicht da. Leslie O’Carnac sprach mit einem älteren Gentleman. Er warf Timothy einen kurzen Blick zu, dann sprach er wieder auf den alten Mann ein. Damit schien er ihm klarmachen zu wollen, dass er für ihn Luft war.
Wo aber steckte die Tochter der Gastgeberin? Vivian O’Riodain sah dem jungen Mann freundlich entgegen, als er sich ihr näherte.
»Meine Tochter ist nach oben gegangen«, klärte sie ihn auf. »Timothy, müssen Sie tatsächlich schon im Morgengrauen London verlassen?«, fragte sie leise.
»Ja, Madam, aber ich werde wiederkommen. Sowie ich alles Geschäftliche mit meinem Vater besprochen habe, werde ich zurückkommen. Das verspreche ich Ihnen. Ich möchte mich jetzt verabschieden. Mein Diener erwartet mich in meiner Wohnung am Regent Park. Wir dürfen das Schiff nach Irland nicht verpassen. In Woolwich besteigen wir die Barkasse, die uns zu der Victoria bringt. Es war ein sehr hübscher Abend. Richten Sie Ihrer reizenden Tochter noch viele Grüße aus.«
Nach einem Handkuss verließ Timothy O’Crean das Palais. Sein Kutscher öffnete ihm den Schlag des Wagens. Bevor der Mann einstieg, warf er noch einen Blick auf die Fensterfront im ersten Stock des prunkvollen Hauses. Bewegte sich da nicht ein Vorhang?
Ich werde bald zurück sein, Stella, sagte er sich. Um dich von diesem Leslie O’Carnac zu kurieren. »Fahr los, John!«, rief er dem Kutscher zu.
Mrs Vivian O’Riodain atmete erleichtert auf. Sie war fest davon überzeugt, dass dieser reizende Ire ihre Tochter zur Vernunft bringen würde. Dass Timothy O’Crean großes Interesse für Stella zeigte, war der lebenserfahrenen Frau nicht entgangen. Hoffentlich