Verrat zwischen den Sternen - Axarabor Apex Band 6 - Sechs Romane in einem Band
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Über dieses E-Book
In vielen aufeinanderfolgenden Expansionswellen haben die Menschen den Kosmos besiedelt. Die Erde ist inzwischen nichts weiter als eine Legende. Die neue Hauptwelt der Menschheit ist Axarabor, das Zentrum eines ausgedehnten Sternenreichs und Sitz der Regierung des Gewählten Hochadmirals. Aber von vielen Siedlern und Raumfahrern vergangener Expansionswellen hat man nie wieder etwas gehört. Sie sind in der Unendlichkeit der Raumzeit verschollen. Manche errichteten eigene Zivilisationen, andere gerieten unter die Herrschaft von Aliens oder strandeten im Nichts.
Die Raumflotte von Axarabor hat die Aufgabe, diese versprengten Zweige der menschlichen Zivilisation zu finden - und die Menschheit vor den tödlichen Bedrohungen zu schützen, auf die die Verschollenen gestoßen sind...
VERRAT ZWISCHEN DEN STERNEN enthält die in sich abgeschlossenen Romane 25 bis 30 der Science-Fiction-Erfolgsserie DIE RAUMFLOTTE VON AXARABOR.
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Buchvorschau
Verrat zwischen den Sternen - Axarabor Apex Band 6 - Sechs Romane in einem Band - Conrad Shepherd
Impressum
Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker
© by Wilfried A. Hary/Bernd Teuber/Konrad Carisi/Marten Munsonius.
Serien-Idee: Alfred Bekker und Marten Munsonius.
Cover-Gestaltung: Christian Dörge/Apex-Graphixx.
Cover-Illustration: Tithi Luadthong/123rf.
Schlusskorrektorat: Christian Dörge.
© dieser Ausgabe 2020 by Apex-Verlag (München) / CassiopeiaPress (Lengerich) / Edition Bärenklau (Oberkrämer).
www.apex-verlag.de (Kontakt: webmaster@apex-verlag.de)
www.AlfredBekker.de (Kontakt: postmaster@alfredbekker.de)
www.editionbarenklau.de (Kontakt: edition.baerenklau@gmail.com )
Klappentext
Zehntausend Jahre sind seit den ersten Schritten der Menschheit ins All vergangen...
In vielen aufeinanderfolgenden Expansionswellen haben die Menschen den Kosmos besiedelt. Die Erde ist inzwischen nichts weiter als eine Legende. Die neue Hauptwelt der Menschheit ist Axarabor, das Zentrum eines ausgedehnten Sternenreichs und Sitz der Regierung des Gewählten Hochadmirals. Aber von vielen Siedlern und Raumfahrern vergangener Expansionswellen hat man nie wieder etwas gehört. Sie sind in der Unendlichkeit der Raumzeit verschollen. Manche errichteten eigene Zivilisationen, andere gerieten unter die Herrschaft von Aliens oder strandeten im Nichts.
Die Raumflotte von Axarabor hat die Aufgabe, diese versprengten Zweige der menschlichen Zivilisation zu finden - und die Menschheit vor den tödlichen Bedrohungen zu schützen, auf die die Verschollenen gestoßen sind...
VERRAT ZWISCHEN DEN STERNEN enthält die in sich abgeschlossenen Romane 25 bis 30 der Science-Fiction-Erfolgsserie DIE RAUMFLOTTE VON AXARABOR.
25. Conrad Shepherd: PLANET IN FESSELN
1.
Über die Wüste tanzten Staubteufel, wirbelten empor, zerfaserten in den Inversionsschichten und verloren sich im Glast des Firmaments. Es war heiß; Felsen und Sand schienen unter den Strahlen der Sonne zu verbrennen.
Nirgendwo gab es Wasser in größeren Mengen. Nirgends Schatten.
Weit und breit schien kein Leben vorhanden zu ein – und dennoch existierte es ...
Unmerklich bewegte sich die Regra. Dreiundzwanzig Teile des Organismus streckten sich, die dreiundzwanzig Pseudopodien der anderen Körperseite bogen sich um wenige Millimeter nach oben. Ein dichter Flor von graugrünen und gelblichen Härchen bedeckten die wie Tentakel wirkenden Scheinfüße. Lediglich der Körperknoten in der Mitte war schwarz. Er absorbierte die Hitze, durch deren Wirkung der Turgor, der Gefäßdruck in dieser »lebenden« Pflanze, erhöht wurde und ihr so das »Laufen« ermöglichte.
Vor langer Zeit war bei bestimmten Pflanzengruppen auf dieser Welt ein Evolutionsschub eingetreten. Diejenigen, die nicht verkümmerten oder ausstarben, waren mobil geworden. Sie hatten die Fähigkeit erworben, sich von der Stelle zu bewegen.
Die Regra gehörte dieser Gruppe an.
An einem Platz, der ihr gerade bis zum ersten Reifen Lebensmöglichkeiten geboten hatte, war sie aufgewachsen. Nachdem ihr Wachstum die im Boden vorhandenen Ressourcen aufgebraucht hatte, machte sie sich auf den langen, gefahrvollen Weg, um zu überleben. Zu überleben an einem Ort, von dem ihr die feinen Sinneshärchen sagten, dass er feucht, nährstoffreich und schattig war.
Er lag in Richtung des periodischen Lichtaufganges.
Warum das so war, blieb der Regra verborgen. Sie besaß weder Intelligenz noch ein genetisch verankertes Erinnerungsvermögen, sondern war nur getrieben vom nackten Hunger nach Leben und den phototropischen und hydrotropischen Reaktionen in ihr, die sie zum Wandern veranlassten.
Sie ging auf die Stelle zu, wo das Licht am Himmel verschwand, um nach der kalten Nacht wieder aufzutauchen.
Langsam streckten sich die Gliedmaßen, langsam zogen sie sich wieder zusammen. Die Pflanze wanderte nur einige Handbreit in einem Zeitintervall, über dessen Dauer sie keine Vorstellung hatte. Vielleicht verdorrte sie, bevor sie die Barriere überwunden hatte, die den ausgedehnten Wüstengürtel gegen die nördlichen Kontinente abschottete. Aber vielleicht schaffte sie es, eine der winzigen Oasen in einer der sporadischen Bodensenken zu erreichen, ehe sie letztendlich doch noch von der Sonne verbrannt wurde.
Gleich ihr waren noch andere Pflanzen auf diesem Weg. Einzelgänger wie sie, die nicht weniger ums Überleben kämpften. Es gab kaum eine intakte Flora in dieser Einöde, nur tief im Erdreich verborgene Samen, die vielleicht aufgehen würden, wenn ununterbrochen Regen fiel – und wenn es Humusboden gäbe. Beide Voraussetzungen waren zurzeit nicht gegeben. Nicht Intelligenz oder Verstand waren die Parameter, die sie zum Laufen anregten, sondern eine Art Verzweiflung der Natur, die so einige Arten der Flora das Überleben sichern wollte.
Der Sand unter den haarigen »Füßen« der Regra glühte. Einige Büschel des Pelzes schoben sich zusammen und verhüllten die lichtempfindlichen Augenzellen, mit denen sie nicht wirklich »sehen« konnte; ihre visuellen Rezeptoren waren lediglich auf das Erkennen von Licht und Dunkelheit begrenzt.
Sie wanderte weiter und weiter.
Ohne zu denken.
Ohne zu leiden.
Sie würde mit diesem hoffnungslosen Marsch erst aufhören, wenn alle Reaktionen in ihr zu Ende waren.
Als die Sonne auf ihrem Weg zum Zenit mehrere Handbreit über dem Horizont stand, hatte die Regra den Kamm einer gewaltigen Düne erreicht, die die Wüste von einer weit unten liegenden Landschaft trennte. Dort herrschte emsige Geschäftigkeit. Doch das konnte die Regra nicht sehen, ihre visuellen Rezeptoren konnten eine derartige Unterscheidung nicht treffen.
Die Düne senkte sich auf der windabgewandten Seite, und der Sand bewegte sich immer dann, wenn der Boden bebte oder ein Sturm aufkam, hundert Meter oder weiter bis auf die Bodenfläche des Kessels in die Tiefe, bis er gegen ein scheinbar unsichtbares Hindernis stieß und dort zur Ruhe kam.
Die Pflanze erstarrte plötzlich.
Einige Sekunden verhielt sie sich so, als sei sie eingefroren worden. Dann begann sie sich zu schütteln und wie im Fieber zu zittern. In einem sehr frühen Stadium ihres Wachstums hatte sie mit der Bodennahrung den Rost zerfallener Metallkonstruktionen aufgenommen, wie alle anderen der photosynthetisierenden Organismen der Arm- und Wurzelfüßerarten auch.
Die mikroskopisch kleinen Eisenoxydfragmente hatten sich in ihrem pflanzlichen Gewebe verteilt. Jetzt reagierten diese und richteten ihre magnetischen Pole nach der Metallmasse aus, die über ihr erschien und in der Luft verharrte.
Unter der Pflanze begann der Sand zu rutschen. Zuerst ein wenig, dann mehr und mehr. Schließlich setzte sich der Hang zur Gänze in Bewegung. Die Regra verlor jeglichen Halt und schlitterte die Düne hinunter, während der metallene Körper wie drohend noch immer über ihr hing.
Plötzlich erschütterten hohe, schnelle Schwingungen die Luft. Aus dem Talkessel erklang ein kreischendes Heulen. Etwas Metallenes erhob sich auf einer Feuersäule, strebte nach oben und brachte die Tastempfindungen der eingelagerten Partikel in der Regra gänzlich durcheinander. Das Objekt über der Regra schwebte nach links. Das zweite Objekt kam von vorn aus dem Talkessel hoch, raste schnell heran, heulte immer infernalischer – dann verschmolzen die beiden Metallkörper.
Das Resultat dieser Verschmelzung war eine riesige Explosion.
Die Regra, deren sechsundvierzig Arme wild umherruderten, wurde von der Düne gefegt, rutschte den Hang hinunter, schoss in einer aufstiebenden Wolke über den Rand des Abbruchs und fiel das letzte Stück senkrecht hinunter. Ihre Eisenkern-Zellen beruhigten sich während des Falles; beide Eisenmassen existierten nicht mehr.
An ihrer Stelle gab es jetzt einen tiefen Krater im Dünenhang. Oval, an den Rändern tiefschwarz und in der Mitte glasig geschmolzen.
Die Regra schlug schwer am Fuß der rostroten Felsen auf. Sie war unversehrt. Sie setzte ihren Weg fort, kaum dass sich ihre sechsundvierzig Arme entwirrt hatten, die stammesgeschichtlich gesehen einmal Pfahlwurzeln gewesen waren.
Ihr war entgangen, dass sich während der Explosion aus dem aufblühenden Feuerorkan ein viel, viel kleinerer Metallkörper gelöst hatte und mit wahnwitzig hoher Geschwindigkeit im Glast des sonnendurchfluteten Himmels verschwand.
2.
Die Explosion im Holokubus verblasste. Die Projektion zeigte noch eine Weile die Datensequenzen aus dem Speicher der Blackbox, die ihren Weg vom Ausgangspunkt bis nach Talon markierten, ehe auch diese verblassten; an ihre Stelle trat das Analogon von Axarabor.
Niemand sprach.
Man wartete wohl auf eine Äußerung des Kapitäns.
Colonel Enno Rykher war groß und breitschultrig. Die hohe Stirn und die ausgeprägten Züge ließen eine gewisse ironische Überlegenheit erkennen, als amüsiere sich dieser Mann über alles, was ihm begegnete. Eine typische Eigenart der Menschen; Rykher stammte in direkter Linie von Axarabor ab. Die Falten um Mund und Nase bestätigten auf dem zweiten Blick, dass dieser Mann von den Jahren des Dienstes und der Bürde der Verantwortung als ehemaliger Kommandant in der Raumflotte von Axarabor geprägt war. Ein Dienst, der ihm neben seinem Amt als Kapitän des Forschungsraumers PENDORA auch noch die Verantwortung als Sektionsleiter über einen ausgedehnten Bereich der von Axarabor verwalteten Galaxis aufbürdete. Es war ein Amt mit vielfältigen Aufgaben und großen Visionen. Visionen, die sich vor allem damit beschäftigten, die im Raum verstreuten früheren Auswandererströme Terras zu lokalisieren und sie dem Imperium einzugliedern.
Jetzt stieß Rykher geräuschvoll den Atem aus und sah die Anwesenden der Reihe nach an. Mit ihm waren noch sechs weitere Personen im Raum – seine Crew, beziehungsweise seine Brücken-Offiziere –, die die Aufzeichnungen der Minidrohne zum ersten Mal in voller Länge gesehen hatten. Ihre Gesichter zeigten die widersprüchlichsten Gefühle.
»Wie lange ist das jetzt her?«, fragte Rykher schließlich und lehnte sich zurück.
Sie befanden sich in einem der Konferenzräume des Verwaltungsgebäudes von Talon Port. Der Raumhafen war auch Stützpunkt des Forschungskreuzers PENDORA.
Talon war die vierte Welt eines Fünf-Planeten-Systems, gelegen auf halber Strecke zwischen Axarabor und dem Rand dessen, was als Randsysteme des Reiches betrachtet wurde.
Beim Blick aus dem Panoramafenster waren die Korvetten, Leichter und Shuttles auf dem Vorfeld zu sehen. Etwas weiter draußen stand die PENDORA auf ihren Nullgravpolstern.
»Fünfzehn Stunden, seit uns die Brieftaube mit den Aufzeichnungen erreichte.« Die Antwort kam von Tore le Blanc, dem Zweiter Offizier und Navigator. Ein Mann mit einem gebräunten Gesicht, einem kräftigen Kinn und tiefblauen Augen unter einem Schopf schwarzer Haare, die er allerdings unter seinen Uniformmütze zu verbergen wusste.
Axaraborische Nachrichtendrohnen, die im Raumfahrerjargon als »Brieftauben« firmierten, waren nichts anderes als kleine, automatische Aufzeichnungsdrohnen, vollgepackt mit Nanomodulen und versehen jeweils mit einem extrem miniaturisierten Hypertriebwerk, das nicht größer als eine menschliche Faust war. Kein noch so effektiver Detektor eines möglichen Feindes war in der Lage, eine Brieftaube abzufangen; ihre Transitionsschocks waren vernachlässigbar gering beziehungsweise nicht vorhanden. Ihre Masse war zu klein für eine normale Erfassung und die Geschwindigkeit zu hoch für eine optische Entdeckung. Aufgrund ihrer immens hohen Beschleunigung konnte sie bereits wenige Sekunden nach ihrem Start nicht mehr entdeckt und zerstört werden. Sie waren als Notfallversicherungen an Bord eines jeden Raumschiffes der axaraborischen Flotte, ebenso in den unbemannten, vollkommen autark operierenden Aufklärungsdrohnen, die vor allem in den äußeren Raumquadranten des Imperiums zugange waren und nach den verlorenen Schäfchen der Menschheit Ausschau hielten.
»Welche Drohne haben wir verloren?«
»Eine Alpha-Eins. Nummer J5GOB-883«, ließ der Navigator verlauten. »Sie patrouillierte sehr weit draußen vor den Badlands.«
Rykher nickte und vergegenwärtigte sich wieder einmal, wie fern sie sich hier auf Talon von jeglicher Zivilisation befanden. Die Dimensionen konnten einen zum Erschauern bringen und waren rational nur schwer nachzuvollziehen.
Einem Sternenreisenden, der die Milchstraße aus einer extrem hohen Warte betrachtete, bot sich das Bild einer annähernd diskusförmigen Sternenwolke, die an den Rändern zu Spiralarme zerfaserte. Sie hatte in der Ekliptik einen Durchmesser von nahezu hunderttausend Lichtjahren und im Zentrum senkrecht zur Ebene knapp sechzehntausend Lichtjahren. Dicht gepackt mit Milliarden von Sternen, Sonnen aller Größen – kosmische Leuchtfeuer, nach denen sich jegliche Art von Raumreisen richteten. An den äußeren Rändern dünnte sich das Sternenaufkommen mehr und mehr aus, bis hin zur Ödnis der Spiralarme.
Die nächstgelegene Galaxis – Andromeda – war nur ein diffuser Lichtfleck und vorläufig unerreichbar für den Forscherdrang.
Als sich le Blanc leicht räusperte, stoppte Rykhers Gedankenflug und kehrte in die Gegenwart zurück.
»Das ist wirklich weit draußen, Major«, stimmte er seiner Nummer Zwei zu. »Ob sich je ein Forschungsschiff nach dort verirrt hat?« Seine Augen verengten sich kurz, dann wandte er sich an alle »Und? Was denkt ihr anderen über diesen Vorfall?«
»Es könnte sich um einen kriegerischen Akt gehandelt haben«, ließ sich Major Art Jagger vernehmen. Er war Rykhers Dritter Offizier, Ortungs- und Kommunikationsspezialist. Ein breitschultriger Mann von 35 Jahren, der wesentlich jünger wirkte mit seinem blonden, welligen Kopfschmuck. Jaggers Miene war die eines kompromisslosen Pessimisten, für den ein Glas stets halb leer war.
»Jemand anderer Ansicht?«, wollte Rykher wissen.
Es war Beta Lovell, die Schiffsärztin, die leicht die Hand hob. Sie war eine vierunddreißigjährige schlanke Frau von überwältigender Selbstsicherheit – nicht schön im landläufigen Sinn, aber bemerkenswert – mit schulterlangem, schwarzem Haar. Wenn sie sprach, sagte sie kaum etwas Unüberlegtes. Impulsivität war ein Fremdwort für sie, was Rykher in manchen Situationen hin und wieder bedauerte, manchmal sogar sehr. »Könnte es sich nicht um eine Verkettung unglücklicher Umstände handeln?«, gab sie ihre Bedenken Ausdruck. »Womöglich ein technischer Defekt der Sonde, der sie aus irgendeinem Grund explodieren ließ?«
Rykhers Miene verriet mit keiner Nuance, dass er dem Gedankengang der Wissenschaftlerin nicht viel Chancen zumaß. Er setzte zu einer Entgegnung an, doch Hikowa Ashikago kam ihm zuvor.
»Aber Beta!«, entgegnete der Chefingenieur und Herr über die Maschinen der PENDORA schärfer als beabsichtigt. »Die Annahme, dass die Sonde nicht vorsätzlich vernichtet wurde, können wir getrost zu den Akten legen.« Major Ashikago wirkte drahtig und zäh. Sein Alter war schwer zu schätzen, aber seine Dienstrolle wies ihn als Einundvierzigjährigen aus.
Beta Lovell hob leicht die Schultern. »War nur so eine Idee, Chief.«
»Noch weitere Wortmeldungen?« Enno Rykher blickte in die Runde. »Niemand? Na gut. Wir können wohl als gegeben annehmen, dass das Desaster mit Vorsatz herbeigeführt wurde. Jemand auf diesem Planeten hatte wohl etwas dagegen, von der Drohne gescannt zu werden.«
Der Colonel wandte sich an seinen Ersten Offizier. »Schon eine Vermutung, wer oder was als Verursacher in Frage käme, Eli?« Oberst Eli Jannik war über ein Meter achtzig groß, mehr als hundert Kilo schwer und hatte kühne Züge – ein eckiges, vorstehendes Kinn, und eine hohe, breite Stirn. Die schwarzen Augen verliehen ihm einen Ausdruck von Härte.
Der Oberst war Rykhers Stellvertreter – und der Enzige, von dem sich der Colonel duzen ließ, wenn es sich nicht gerade um eine offizielle Veranstaltung handelte. Jetzt sagte er: »Wir wissen zwar mit einiger Sicherheit, was dahinterstecken könnte, nämlich eine Rakete großen Kalibers, aber nicht, von wem sie auf unsere Drohne abgefeuert wurde. Die vollständige Auswertung des Speichers der Brieftaube wird erst in Kürze zur Verfügung stehen. Einen Anhaltspunkt haben wir jedoch schon bereits.«
»Ich höre?« Rykher wirkte ungeduldig.
»Ich denke – entschuldige einen Moment.« Im Hintergrund hatte sich eine Tür geöffnet.
Ein Techniker betrat den Konferenzraum. Er orientierte sich kurz und kam, einen Datenträger wie eine Trophäe in der Hand schwenkend, schnellen Schrittes auf Jannik zu. Der Erste nahm ihn in Empfang, wartete, bis sich die Tür wieder hinter dem Mann geschlossen hatte. Dann vergewisserte er sich mit einem schnellen Rundblick, dass er die uneingeschränkte Aufmerksamkeit aller hatte, ehe er erneut zu Sprechen begann.
»Der Flugdatenspeicher der Drohne war zu jedem Zeitpunkt aktiv und archivierte alle relevanten Parameter ihrer Reise durch die Sternenräume. Wir können also davon ausgehen, dass die Systeme fehlerfrei arbeiteten. Wir haben die Aufzeichnungen der Blackbox wieder und wieder geprüft, deshalb ist ...« Jannik wandte sich an die Ärztin … »eine Aneinanderreihung unglücklicher Umstände in der von Ihnen angedeuteten Form auszuschließen, Beta. Außerdem ...«
»Wir müssen also davon ausgehen, dass der Abschuss unserer Drohne absichtlich erfolgte?«, unterbrach Rykher den Redefluss seines Ersten Offiziers.
Jannik runzelte die Stirn. »Natürlich«, sagte er und schien etwas verstimmt über die Unterbrechung zu sein. »Habe ich das nicht klar gemacht?«
»Doch, doch, das hast du«, nickte Rykher und grinste kurz.
Eli Jannik warf ihm einen undeutbaren Blick zu. »Wie gesagt, eine endgültige Aussage darüber, wer hinter dem Angriff steckt, kann ich nicht machen, aber ich kann euch sehr wohl zeigen, was die Sonde zerstört hat. Ich habe die betreffende Sequenz noch einmal untersuchen lassen – und dies ist das Ergebnis.«
Jannik ließ den Datenträger in den Schlitz der Holoeinheit gleiten, nahm am Paneel einige Anpassungen vor. Dann sagte er: »Comp. Sequenzwiederholung der markierten Abschnitte. Einzelbild-Darstellung der letzten Sekunde vor dem Zusammenstoß.«
Das Hologramm baute sich abermals auf – und erneut nahm das Gestalt an, was sich auf diesem fernen Planeten zum Zeitpunkt des Angriffs auf die Drohne abgespielt hatte. Wie in einem Animationsfilm kamen die aufbereiteten Sequenzen des Geschehens zum Vorschein.
Enno Rykhers Augen verengten sich. Stirnrunzelnd blickte er auf das Holo. Aus der Überhöhung der Position der axaraborischen Aufklärungsdrohne war an der Spitze eines enormen Abgasschweifes ein langer, schlanker, rotglänzender Zylinder zu sehen. Glatte Wandungen, scharfe Bugsektion ohne irgendwelche Durchbrüche, kreuzförmige Stabilisierungsfinnen am Heck. Das Projektil näherte sich der Sonde – und traf innerhalb eines Lidschlages mit ihr zusammen.
Chief Ashikago pfiff überrascht durch die Zähne und beugte sich vor, nachdem die Elektronik die letzte Bildsequenz einfror. »Eindeutig eine Rakete großen Kalibers. Dort auf dem Planeten scheint es so etwas wie militärische Abwehrstellungen zu geben.« Der Asiate schwieg einen Moment, um dann fortzufahren: »Ich war schon immer der Meinung, dass wir unsere Alpha-Eins-Suchdrohnen mit einem effektiven Verteidigungssystem ausstatten sollten, um Ereignisse dieser Art von vornherein auszuschalten.«
»Und hätten vermutlich schon einige interplanetarische Kriege damit ausgelöst.« Rykher hob den Kopf und fixierte den Chefingenieur mit seinem Blick. »Aber abgesehen davon – dieses Thema ist seit Längerem dem CEO des Expeditionskorps auf Axarabor bekannt. Es wird sicher auch einmal geschehen. Nur wann das geschieht ...« Er hob die Schultern, eine Geste, die bedeutete, dass sich dieser Vorgang wohl noch eine ganze Weile hinziehen würde. Er wandte sich an le Blanc. »Wurden die Koordinaten des Planetensystems in der Blackbox festgehalten?«
»Aye, Kapitän.«
Im Holotank erschien ein Raumgitter. Hervorgehoben darin die Lage des betreffenden Systems, die Sternenkonstellationen für die Astrogatorhilfe, die Systemsonne und die kurzen Bahncharakteristika von acht Planeten. Die Nummer drei war die betreffende Welt, auf dem die Aufklärungsdrohne zu Schaden gekommen war. Die Informationen waren ausreichend, wenn auch nicht überwältigend groß.
Rykher, das Raumgitter nicht aus den Augen lassend, sagte halblaut und fast wie zu sich selbst: »Verdammt weit draußen im Nichts. Ob wir hier eine der verschollenen Kolonien vor uns haben?«
»Möglich ist es«, ließ Art Jagger verlauten. Der Kommunikations- und Ortungsspezialist war ein Mann mit sympathischen Lächeln und einer kammsparenden Igelfrisur. »Obwohl es nur eine äußerst vage Vermutung ist. Es kann sich aber auch um eine uns bisher unbekannte Alien-Population handeln, die in der Drohne einen Störenfried gesehen und sich ihrer entledigt hat.«
Für Sekunden herrschte Schweigen nach der Mutmaßung des Dritten Offiziers.
Dann sagte Rykher: »Wir werden uns vergewissern.«
Eli Jannik räusperte sich. »Und? Was hast du vor?«
Rykher lächelte dünn. »Was, glaubst du wohl, werde ich tun?«
»Wie ich dich kenne, wirst du dich nicht davon abhalten lassen, dem unbekannten System einen Besuch abzustatten. Was sonst!«
Der Colonel bestätigte mit einem Nicken. »Wie du weißt, ist es unsere Hauptaufgabe, Nachforschungen nach verschollenen Zivilisationen und oder anderen ungewöhnlichen Phänomenen anzustellen.« Nach kurzer Pause fügte er hinzu: »Es wird offensichtlich Zeit, dass dieses Ereignis dort draußen etwas näher in Augenschein genommen wird.«
»Meine Truppe ist bereit«, ließ sich Jannik hören. «Jeder Einzelne meiner Männer wäre erpicht darauf, für unsere Sicherheit zu sorgen. Und wie!«
»Ich weiß«, nickte Rykher. und lächelte leicht über den Eifer, den der I. O. an den Tag legte.
Zur Besatzung der PENDORA gehörten 40 hochtrainierte Raumsoldaten, die ihre Professionalität und Effizienz schon des Öfteren bei prekären Situationen unter Beweis gestellt hatten und die der Oberst mit Hilfe seines Oberleutnants Tom Hardt ständig im Trainingsmodus hielt.
»Ich würde mich«, meldete sich Beta Lovell zu Wort, »wäre ich an Ihrer Stelle, Kapitän, erst mit mit der Zentrale auf Axarabor in Verbindung setzen, dort mit jemanden sprechen und versuchen, ein Okay für das Unternehmen zu erhalten.«
»Sie nehmen mir das Wort förmlich aus dem Mund, Doktor Lovell«, sagte Rykher ohne Betonung. Als Zivilistin besaß Beta Lovell keinen militärischen Rang, aber sie hatte sich gleich zu Beginn ihres Dienstes auf der PENDORA mit ihrem Wissen und ihrer Kompetenz in medizinischen Fragen eine feste Position erobert. Jetzt stieg eine leichte Röte in ihr Gesicht, als Rykher fortfuhr: »Genau das sind meine primären Überlegungen. Ich werde beziehungsweise ich kann nichts ohne Zustimmung aus Axarabor unternehmen. Und ich werde jedes unnötige Risiko vermeiden.« Er schwieg einen Moment, um dann abschließend zu sagen: »Okay, das wäre es fürs Erste. Danke.«
Sie erhoben sich von ihren Plätzen und gingen nach draußen.
»Mister Jagger! Einen Augenblick.«
»Kapitän?« Der Kommunikationsoffizier drehte sich zu Rykher um.
»Begleiten Sie mich nach drüben.«
»Aye, Sir.«
Mit »drüben« war das Nervenzentrum von Talons Raumhafen gemeint.
»Ich brauche einen Kanal nach Axarabor mit dem Amt für Stellare Kolonisation. Die Zentrale muss darüber informiert werden, was dort draußen vorgefallen ist. Bereiten Sie außerdem die Übermittlung der Blackbox-Daten zum Zentralarchiv vor.«
»Aye, Kapitän.«
Der Kommunikationsbereich grenzte unmittelbar an den Konferenzraum, nur durch eine Doppeltür von diesem getrennt. Dahinter lag eines der Nervenzentren des Raumhafens von Talon. Dort standen die großen elektronischen Rechenanlagen und die Konsolen, mit denen Talon über Relaisketten Verbindung hielt zu den anderen Planeten des axaraborischen Imperiums und zu Axarabor selbst. Hektische Betriebsamkeit empfing den Colonel und seinen Dritten Offizier bei ihren Eintritt; hier wurde rund um die Uhr Dienst getan.
Art Jagger begab sich schnellen Schrittes zu den Übermittlungskonsolen, während Enno Rykher sich flüchtig umsah; die momentane Schicht bestand je zur Hälfte aus Roboter und menschlichen Technikern und Technikerinnen.
»Kapitän!« Jagger winkte ihm quer durch den Raum zu. »Hierher. Ihr Gespräch mit dem K-Amt.«
Enno Rykher setzte sich in den freien Sessel vor dem Terminal und tastete das Sensorfeld auf »Bereit«. Das Signal der Hyperfunkstrecke kam; nach dreißig Sekunden blickte ihn Sektorchef Kyr Norstrand vom Schirm herab an.
»Colonel Rykher.«
»Hallo, Direktor.«
»Was macht Talon?«
»Es geht so«, antwortete Rykher artig; die Begrüßungen mit Kyr Norstrand liefen stets nach dem gleichen Muster ab. Im Direktionsstab des Amtes für axaraborische Siedlungspolitik war er vor allem für die Nachforschungen über den Verbleib der sehr frühen terranischen Auswanderungsströme zuständig und damit Enno Rykhers unmittelbarer Vorgesetzter. Äußerlich glich er einem Menschen. Er war nahezu zwei Meter groß, mehr als hundert Kilo schwer und hatte kühne Züge – ein eckiges, vorstehendes Kinn, eine hohe, breite Stirn und große blaue Augen. Ein typischer Vertreter der Gattung Homo sapiens. Trotzdem war er nicht wirklich ein Mensch, er war ein Clione. Er hieß auch nicht Kyr Norstrand.
»Sie haben Neuigkeiten, Colonel?«
»Teils, teils, Direktor«, erwiderte Enno Rykher.
»Berichten Sie!« Die Stimme Norstrands hatte einen tiefen Bariton, so als käme sie aus einem riesigen Brustkorb. Das Lungenvolumen schien bei Clionen anders zu sein als bei Menschen, kam es Rykher flüchtig in den Sinn, ehe er in knappen, präzisen Worten berichtete, was sich in einer Distanz von mehreren hundert Lichtjahren von Talon entfernt am Rande der Badlands zugetragen hatte.
»Ist das dokumentiert?«
»Ist es, Direktor«, bestätigte der Colonel und winkte seinem Dritten Offizier zu, die Übertragung zu starten.
Die Daten aus der Brieftaube gingen als komprimierter Impuls über die Hyperfunkantennen hinaus. Auf der Statusleiste am unteren Rand des Schirmes flirrten in schneller Folge die Bestätigungen der einzelnen Relaisstationen, über die die Nachricht lief, bis nach knappen 15 Sekunden das Display das Ende der Übertragung anzeigte.
Kyr Norstrand bestätigte den Empfang. »Schon eine Idee, wer hinter diesem Vorfall stecken könnte?«, fragte er.
Enno Rykher verneinte. »Wie könnte ich – obwohl es schon einige Vermutungen gäbe, aber die zu äußern, wäre äußerst fragwürdig.«
Der Direktor nickte. »Sicher«, antwortete er, »sicher, Colonel.«
Leise sprach er mit jemanden außerhalb der visuellen Erfassung. Er nickte erst ein paarmal, dann schüttelte er exakt zweimal sein Cäsarenhaupt in einer verneinenden Geste. Das alles geschah wortlos, zumindest bewegte er nicht die Lippen, allerdings war bekannt, dass Clionen auch über eine Reihe anderer Verständigungsmittel verfügten. Dann wandte er sich wieder Enno Rykher zu.
»Sie werden also diesen Vorfall untersuchen, schätze ich.«
»Wenn ich Ihre Zustimmung erhalte, ja.«
»Die haben Sie selbstverständlich, Colonel Rykher.«
»Danke, Direktor.« Rykher schickte sich an, die Verbindung zu trennen.
Der Clione hielt ihn mit einer Handbewegung davon ab. »Warten Sie, Colonel. Bleiben Sie am Gerät. Ich melde mich in Kürze wieder.«
Auf dem Schirm blieb das Symbol Axarabors weiterhin sichtbar, was bedeutete, dass die Hyperfunkstrecke über die galaktische Relaiskette nach wie vor aufrechterhalten wurde.
Rykher lehnte sich zurück und betrachtete abwesend das Geschehen in der Nachrichtenzentrale. Was der Direktor wohl vorhatte ...
»Sir! Auch einen?«
Rykher sah zur Seite. Eine der Technikerinnen stand an einem Automaten, sah in seine Richtung und hob dabei ostentativ einen Becher in die Höhe. Erst jetzt wurde er gewahr, dass es überwältigend nach Kaffee roch.
Er nickte nachdrücklich. »Danke, ja. Bitte schwarz ohne alles.«
Der Kaffee war von einer Güte, die er einem Automaten nicht zugetraut hätte. Er hatte kaum den Becher geleert, als sich Kyr Norstrand erneut auf dem Schirm etablierte. Ohne Umschweife kam er zur Sache.
»Hören Sie, Colonel. Ein Flottenschlachtschiff, die Stolz von Axarabor, befindet sich auf einer semi-wissenschaftlichen Mission zwei Raumgradienten von den Koordinaten entfernt, in denen Ihr Ziel liegt. Sollten Sie in Schwierigkeiten geraten, rufen Sie sie. Man wird Ihnen zur Hilfe kommen. Einverstanden?«
»Selbstverständlich«, sagte Rykher mit Nachdruck. »Danke, Direktor.«
»Gut. Finden Sie heraus, was dort am Rande der Galaxis vor sich geht.«
Mit einer Handbewegung verabschiedete sich der Clione von dem Menschen.
Als der Bildschirm verblasste, schien es, als ob für einen ganz kurzen Moment Norstrands Gesicht auseinanderfließen wollte. Es war, als ob man hinter der Realität etwas anderes sehen könne; eine andere, bessere oder höher organisierte Wirklichkeitsform schien sich gestalten zu wollen. Doch dann, als Rykher mit den Augen zwinkerte, war der Spuk vorüber und er fragte sich, ob er von allen Erscheinungsformen des Clionen wohl jemals dessen richtige zu Gesicht bekommen würde.
3.
Mit der ihr eigenen Oszillation schob sich Forschungskreuzer PENDORA aus dem Hyperraum in die dreidimensionale Bezugswelt der Milchstraße. Als die Sterne erneut auf den Schirmen auftauchten, war eine Veränderung der Konstellationen mit bloßem Auge nicht feststellbar.
Es war der sechste Sprung seit dem Start von Talon. Für einen Moment schien die Stille mit den Händen greifbar, zumindest empfand es Enno Rykher so. Dann pulsierten Audiowarnungen durch die Gänge und Decks des Schiffes, und die Zentrale war erneut von ihren typischen Arbeitsgeräuschen erfüllt.
»Wir sind übergetreten, Sir«, verkündete der Pilot lakonisch. »Schiff ist im Normalraum.«
Der Colonel, leicht nach vorn gebeugt im Kontursessel sitzend, war ganz angespannte Konzentration, dennoch wirkte seine Miene ungerührt, als gäbe es nichts in diesem Universum, was ihn erschüttern könnte.
Seine Blicke glitten über die abgeschrägten, halbkreisförmigen Konsolen mit ihrem Kaleidoskop von Lichtern, Instrumenten, den Datensichtgeräten, Bildschirmen und Monitoren, die einen sinnverwirrenden Anblick für jeden boten, der zum ersten Mal die Zentrale eines Forschungskreuzers zu Gesicht bekam.
Der Hauptschirm zeigte das übliche Bild des Weltraums. Alle Schirme der normal optischen und elektronischen Raumüberwachung waren in Betrieb. Vom Halbrund des Frontschirmes leuchteten als dreidimensionale Projektion die Sterne dieses unbekannten Sektors. Tausende von Sonnen der unterschiedlichsten Größen füllten den Raum vor der PENDORA. Ihre Konstellationen schwangen sich als tiefenräumliches Muster über den Schirm, bildeten in Fahrtrichtung eine lang gestreckte Spirale, deren Ausläufer schließlich mit der Unendlichkeit des schwarzen Hintergrunds verschmolz.
Mit einem Zehntel der Lichtgeschwindigkeit bewegte sich der Forschungsraumer zwar recht schnell, aber das war eine kaum wahrnehmbare Bewegung vor der sternübersäten Kulisse des Alls.
Rykher bewegte sich in seinem Sessel.
»Voller Stopp, Mister Gard!«
»Aye, Sir.«
Leutnant Gerry Gard, der Pilot, brachte die PENDORA unverzüglich zum Halt.
In der Tiefe der Antriebssektion, Chief Ashikagos Heiligtum, wurden die Aggregate auf Bereitschaft heruntergefahren.
Scheinbar antriebslos schwebte die PENDORA im Weltall.
Was nicht ganz zutreffend war.
In Wirklichkeit griff der Hauptrechner – die KI Laurin – ständig mit minimalen Korrekturen ein, wann immer die Gravitationskräfte ferner Sonnen oder winziger Schwerkraftanomalien am Schiff zerrten und es von seiner Position abzudriften drohte.
Colonel Rykher studierte den Frontschirm und die in ihn hineinprojizierten Datensätze.
Sensorische Signale wisperten aus den Tonphasen, während die offenen Scanner den umgebenden Raum durchforsteten und die Zentrale fortwährend mit Daten und Informationen versorgten.
Rechts von ihm saß sein I. O., Eli Jannik, vor seiner Konsole. Dahinter, am anderen Ende des bogenförmigen Leitstandes, ließ Ortungsoffizer Art Jagger seine Systeme nicht aus den Augen.
Ron Morava assistierte ihm. Der Funktechniker gehörte bereits seit der Indienststellung der PENDORA zur Basismannschaft.
Enno Rykher fuhr seinen Gliedersessel etwas in den Schienen zurück und stemmte den linken Fuß auf die Raste.
»Statusbericht, Nummer Eins!«
»Alle Systeme okay, Skipper«, meldete sich der Erste Offizier.
Oberst Eli Jannik war der Einzige an Bord der PENDORA, der den Kommandanten hin und wieder »Skipper« nannte – und es auch straflos durfte. Aus welchen Gründen auch immer.
»Ausgezeichnet«, brachte Rykher seine Genugtuung zum Ausdruck. »Mister Jagger?«
Der Kopf des Dritten Offiziers und Ortungsspezialisten wandte sich ihm zu.
»Sir?«
»Irgendwelche Anzeichen in der näheren Umgebung, worüber wir uns Sorgen machen müssten?«
»Nein, Sir. Weit und breit ist nichts zu erkennen. Wir sind sozusagen allein im Revier.«
Rykher räusperte sich. »Was ist mit den Frequenzen, Nummer Drei?«
»Sind leer, Kommandant.«
»Ausgezeichnet«, zeigte sich Enno Rykher zufrieden. »Halten Sie die Kanäle schön im Auge. Sollten Sie dort draußen auch nur ein Flüstern hören, möchte ich das augenblicklich wissen.«
»Aye, Kapitän.«
Rykher widmete sich wieder der sternengesprenkelten Schwärze auf dem Hauptschirm; jede Sonne war nur ein Lichtfunke unter Abermillionen anderer Funken.
Ganz unten in der rechten Ecke des leicht konkav gewölbten Karrees glänzte die Sonne eines Systems, das neun Planeten aufwies.
Ihr Ziel.
Rykher betätigte einen Kontakt.
Die KI der PENDORA platzierte das System in die Mitte des Frontschirmes. Jetzt zeigte der Schirm die Himmelskörper in der Ebene ihrer Umlaufbahnen mit der Sonne im Mittelpunkt.
Noch während er Einzelheiten zu erkennen suchte, glaubte Rykher einen kurzen Impuls zu sehen, der aber sofort wieder verschwand, obwohl er eine chromatische Spur auf dem Hauptschirm hinterließ. Eine winzige Kratzspur nur, die von einem Bewegungsimpuls herrühren konnte, der eine Richtung aus dem System heraus genommen zu haben schien.
»Was war das?«, fragte Rykher mit scharfer Stimme. »Hat das jemand gesehen?«
Einer der Orter hob die Hand. »Ich, Sir«, sagte er zögernd.
»Und was haben Sie gesehen, Leutnant Katsus?«
»Ich konnte auf dem Massetaster einen Impuls feststellen. Aber ich konnte ihn wegen der winzig kurzen Zeitspanne nicht exakt lokalisieren, auch nicht erkennen, was er genau darstellte. Doch er kam eindeutig aus dem System vor uns.«
»Sind Sie ganz sicher«, fragte Rykher, »dass der Impuls auf dem Massetaster keine Hyperraumerschütterung war?«
»Sie meinen, Sir, ob es sich um einen Transitionsvorgang gehandelt haben könnte?«
Rykher bejahte. »Könnte es sich um ein Schiff gehandelt haben, das uns womöglich entdeckt hat?«
Die Antwort des Ortungstechnikers kam sofort.
»Die Detektoren haben nichts Relevantes gefunden, Sir. Es fehlten die Rückstände von Triebwerksemissionen. Wenn da etwas war, können es unsere Sensoren jedenfalls jetzt nicht mehr feststellen.«
Rykhers Stirn runzelte sich. Er wog Fakten und Vermutungen gegeneinander ab.
»Wir haben die Daten aus der Blackbox der zerstörten Drohne«, sagte er, »die eindeutig beweisen, dass sich auf der dritten Welt dieses Systems etwas befinden muss. Kam der Impuls von dort? Und wenn ja – was haben wir da gesehen? Ein Raumschiff, das sich vor eine Entdeckung durch andere – in diesem Fall durch uns – aus dem Staub gemacht hat? Und wenn es eines war, könnten da nicht mehrere sein? Wie viele? Vielleicht eine ganze Flotte. Haben wir gar in ein Wespennest gestochen, in ein Nest voller Aliens möglicherweise?«
Eine gewisse Unruhe unter der Besatzung ließ sich nicht leugnen.
Rykher gab sich einen Ruck. »Ich habe kein gutes Gefühl«, sagte er laut. »Laurin?«
»Ich erwarte Ihre Anordnung, Sir«, antwortete die KI des Raumkreuzers.
»Schilde aktivieren. Sofort!«
»Ist geschehen, Sir.«
Drei hintereinander gestaffelte Schutzschirme hüllten die PENDORA ein. Diese aufzubrechen, würde die komplette Bewaffnung eines Armada-Schlachtkreuzer der axaraborischen Hauptflotte erfordern.
Die PENDORA nahm auf einen Befehl des Kommandanten wieder Fahrt auf.
»Wie gehen wir vor, Skipper?«
Eli Jannik hatte seinen Platz rechts neben Rykhers.
»Standardprogramm für unbekannte Systeme«, beantwortete der Kapitän die Frage seines Ersten Offiziers. »Sehr überlegt – also vorsichtig.«
»Aye, Sir.« Eli Jannik vergriff sich ein Grinsen.
Während die PENDORA schräg zur Planetenekliptik in das unbekannte Sonnensystem einflog, verfolgte der Colonel die Annäherung auf dem Hauptschirm. Vor dem Raumkreuzer schob sich der Neunte, der sonnenfernste Planet des Systems ins Sichtfeld des Hauptschirmes. Er war zur Hälfte von seiner Sonne angestrahlt und reflektierte deren Licht trotz seiner Entfernung vom Zentralgestirn extrem hell; ein Eisriese aus gefrostetem Kohlendioxid. Absolut ohne Leben. Auch Nummer acht und sieben lagen unter kilometerdicken Eispanzern. Diese drei Umläufer zogen ihre einsamen Bahnen weit außerhalb der habitablen Zone. Die zwei innersten Planeten waren Gluthöllen und absolut ungeeignet, Leben zu tragen.
Rykher fragte: »Schiffsverkehr im System vorhanden?«