Der Wind erhebt sich: Novelle
By Tatsuo Hori
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About this ebook
Internationale Berühmtheit erlangte seine autobiografisch gefärbte Novelle 2013 durch die preisgekrönte Anime-Adaption „Wie der Wind sich hebt“ von Hayao Miyazaki (Studio Ghibli).
Tatsuo Hori
Tatsuo Hori (1904–1953) studierte Literatur in Tokio und übersetzte Gide, Proust und Mauriac. Hori gilt als Freund und Schüler von Ryūnosuke Akutagawa, einem der größten Schriftsteller Japans. Er litt an Tuberkulose und starb 1953 mit nur 48 Jahren.
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Book preview
Der Wind erhebt sich - Tatsuo Hori
Der Wind erhebt sich, nun gilt es zu leben
Dich immer noch im Arm haltend, wiederholte ich die Worte im Stillen, die mir soeben über die Lippen gekommen waren. Du hast dich schließlich doch aus meiner Umklammerung befreit und bist aufgestanden. Die noch feuchte Leinwand war überall mit Grashalmen übersät, die an der Farbe klebten. Du stelltest die Staffelei mit dem Bild wieder an ihren Platz und hattest einige Mühe, die Halme mit dem Spachtel zu entfernen.
„O weh, wenn mein Vater uns hier ertappen würde …", riefst du mir zu und schenktest mir ein vages Lächeln.
„Mein Vater wird in ein paar Tagen hier sein."
Eines Morgens, als wir durch den Wald schlenderten, rücktest du mit der überraschenden Nachricht heraus.
Ich erwiderte nichts, sondern schwieg verdrossen.
Mit einem Seitenblick auf mich fuhrst du fort, diesmal mit belegter Stimme:
„Dann werden wir nicht mehr so wie jetzt durch die Gegend streifen können."
„Ein bloßer Spaziergang wird doch wohl erlaubt sein."
Immer noch grantig, spürte ich deinen besorgten Blick in meine Richtung, wurde jedoch irgendwie von einem unvermuteten Rascheln der Baumkronen über unseren Köpfen abgelenkt.
„Tja, mein Vater wird mich wohl kaum aus den Augen lassen."
Ich muss ziemlich ungehalten gewirkt haben, als ich dich entgeistert anstarrte:
„Heißt das etwa, dass wir uns jetzt nicht mehr sehen können?"
„Es bleibt uns wohl kaum etwas anderes übrig."
Deine Antwort klang resigniert, trotzdem hast du dir ein Lächeln abgerungen. Wie blass du warst, nicht nur dein Teint, auch deine Lippen!
Wieso dieser plötzliche Sinneswandel? Du hast mir doch in jeder Hinsicht vertraut, bist mir willig gefolgt …
Vor mich hinbrütend trottete ich schwerfällig auf dem von Wurzelwerk durchzogenen Pfad hinter dir her. Der Wald wurde dichter und die Luft kühler. Hier und da gab es morastige Stellen, die den Boden aufgeweicht und sich in die Erde gefurcht hatten.
Plötzlich schoss mir ein Gedanke durch den Kopf. Wenn du dich mir, den du ganz frisch in diesem Sommer kennengelernt hast, so bereitwillig anvertraust, wie bedingungslos muss deine Hingabe dann erst zu jemandem sein, der wie dein Vater alles in deinem Leben kontrolliert?
Setsuko! Wenn das so ist, liebe ich dich noch viel mehr. Sobald ich meine Zukunft geregelt habe, werde ich dich bitten, meine Frau zu werden, und bis dahin soll es mir recht sein, wenn du bei deinem Vater bleibst.
Bei diesem Gedanken ergriff ich brüsk deine Hand und drückte sie fest, als würde ich dich um deine Einwilligung bitten.
Du hast mich gewähren lassen. Hand in Hand blieben wir vor einer dieser sumpfigen Mulden stehen, schweigend versunken in den Anblick. Die Sonnenstrahlen, die sich mühsam einen Weg durch Sträucher und unzählige Äste bahnten, gelangten sogar zu den Farnspitzen im tiefsten Unterholz der erodierten Stelle. Fast wehmütig betrachteten wir das flüchtige Flackern der Lichtsprenkel, hervorgerufen durch die kaum merkliche Brise.
Einige Tage später entdeckte ich dich im Speisesaal beim Abendessen mit deinem Vater, der gekommen war, um dich abzuholen. Du saßest in steifer Haltung mit dem Rücken zu mir. Dein wohl eher unbewusstes Benehmen, ausgelöst durch die Anwesenheit deines Vaters, erschien mir wie das einer fremden jungen Dame.
Selbst wenn ich dich beim Namen riefe …, murmelte ich in mich hinein, würdest du mich glattweg ignorieren. So als hätte ich dich gar nicht angesprochen …
An jenem Abend unternahm ich lustlos einen einsamen Spaziergang und schlenderte nach meiner Rückkehr ein Weilchen durch den menschenleeren Garten des Hotels. Es duftete nach Berglilien.
Ich blickte geistesabwesend zur Fassade, wo noch einige Fenster erleuchtet waren. Inzwischen war ein leichter Dunst aufgestiegen. Eins nach dem anderen erloschen nun auch die hellen Vierecke, so als fürchteten sie sich vor dem Nebel.
Schließlich lag das Hotel im Dunkeln, als ich ein leises Knarren vernahm. Sachte wurde ein Fenster geöffnet. Eine junge Frau im rosa Nachthemd lehnte sich hinaus.
Das warst du …
Noch heute kann ich mich in aller Deutlichkeit an meine euphorische Stimmung erinnern, fast genauso intensiv wie an die Melancholie, die mir die Brust noch eine Weile zuschnürte, nachdem ihr tags darauf abgereist wart.
Für den Rest der Zeit hielt ich mich fast nur noch im Hotelzimmer auf. Nun konnte ich mich wieder meiner Arbeit widmen, die ich wegen dir so lange aufgeschoben hatte. Zu meiner eigenen Überraschung gelang es mir, mich konzentriert darin zu vertiefen.
Darüber war eine neue Jahreszeit angebrochen.
Erst am Tag vor meiner Abreise begab ich mich zum ersten Mal wieder nach draußen, um vom Hotel aus einen Spaziergang zu unternehmen.
Der Herbst hatte den Wald bis zur Unkenntlichkeit verwüstet. Zwischen den fast kahlen Bäumen konnte ich jetzt die Terrasse einer verfallenen Villa erkennen. Der feuchte Geruch von Pilzen mischte sich mit dem des toten Laubs.
Wie seltsam und unerwartet erschien mir dieser Wechsel der Jahreszeiten. Wie viel Zeit war unbemerkt verstrichen, seitdem du abgefahren warst.
Im Grunde meines Herzens war ich überzeugt davon, dass unsere Trennung nur vorübergehend sein würde, sodass der Lauf der Zeit vielleicht einen ganz neuen Sinn für mich bekam.
Noch waren dies vage Gedanken, die sich jedoch schon bald bestätigen sollten.
Zehn Minuten später gelangte ich am Ende des Waldstücks auf eine Lichtung, üppig bewachsen mit Pampasgras, die sich ganz unerwartet aufgetan hatte und den weiten Blick zum Horizont freigab. Ich legte mich unter eine Birke, deren Blätter sich bereits gelb verfärbt hatten. Es war derselbe Platz wie damals im Sommer, als ich dir beim Malen zusah. In jenen Tagen war der Blick in die Ferne fast immer von Quellwolken behindert gewesen, aber nun zeichneten sich durch die Büschel der Gräser hindurch die Konturen einer Bergkette am Horizont ab.
Ich starrte intensiv auf das Panorama, um mir die Umrisse genau einzuprägen. Dabei kam ich mehr und mehr zu der Überzeugung, dass sich mir nun etwas offenbarte, was bereits tief in mir verborgen lag – etwas, das die Natur für mich bereitgehalten hatte.