Serienmörder - Der Mensch hinter dem Monster
Von Florence McLean
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Buchvorschau
Serienmörder - Der Mensch hinter dem Monster - Florence McLean
Vorwort
Dieses Buch basiert auf der Forschungsarbeit über Serienmörder, die ich im Zusammenhang mit meiner Diplomarbeit am Psychologischen Institut der Universität Aarhus vorgenommen habe. Die Diplomarbeit hatte den Titel Serienmörder – Verständnis und Prävention. Die Untersuchungen waren vertraulich, weshalb ich die Namen der Teilnehmer in diesem Buch nicht nenne. Grundlage war ein Fragebogen mit offenen Fragen, der an 34 ausgewählte Serienmörder verschickt wurde, 30 davon in den USA, drei in England und einer in Australien. Von etwa der Hälfte erhielt ich brauchbare Antworten. Die übergeordnete Fragestellung der Diplomarbeit bestand darin, ob man mit Hilfe der Theorien, die das Fundament zur Erstellung eines Täterprofils bilden, eine Methode entwickeln kann, potenzielle Serienmörder zu identifizieren, bevor sie ihren ersten Mord begehen.
Der amerikanische Serienmörder Arthur John Shawcross wurde zu meinem zentralen Fall, auch in einem späteren Forschungsbericht, weil er zu den Wenigen gehörte, der alle meine Fragen beantwortete, und ich nur mit ihm die Korrespondenz fortgesetzt habe. Im Verlauf unseres Austauschs gab er mir die Erlaubnis, seine Antworten und seinen Namen in einem Buch zu verwenden. Die namentlich erwähnten Serienmörder, mit denen ich mich in meinen Studien beschäftigt habe, sind allgemein bekannt und wurden bereits in anderen Büchern, Filmen und Dokumentationen behandelt. Außerdem habe ich im Zusammenhang mit der Entstehung dieses Buchs neue Fälle von Serienmördern bis ins Jahr 2020 studiert, ausgehend von dem Modell, das ich in meiner Doktorarbeit entwickelt habe.
Florence McLean
Prolog
Der Brief
Mir wurde etwas flau im Magen, als an einem Vormittag im Jahr 2003 der erste Brief eines Serienmörders auf dem Boden unterhalb des Briefschlitzes in meiner Tür landete. Zu diesem Zeitpunkt ahnte ich noch nicht, wie nahe ich den Serienmördern mit der Zeit kommen würde – und sie mir. Auf dem Umschlag klebten sieben identische Briefmarken mit amerikanischer Flagge. Ich spürte ein Ziehen im ganzen Körper, als ich ihn aufhob. Auf der Vorderseite war ein Stempelabdruck zu sehen: „Mailed from a state correctional institution". Ob es als eine notwendige Information oder als Warnung gemeint war – oder beides –, darüber war ich mir in diesem Moment nicht im Klaren.
Ich ging ins Wohnzimmer und legte den Brief auf den Tisch. Es war ein dickes Kuvert. Spitze!, dachte ich, denn das deutete ja darauf hin, dass der Absender alle meine Fragen beantwortet hatte. Irgendjemand hatte einen Hinweis auf die Vorderseite des Kuverts geschrieben: „1 photo enclosed".
Ich begann zu lesen, aber schnell wurde mir bewusst, dass der Briefschreiber nicht auf meine Fragen geantwortet hatte. Ich blätterte in den blauen Bögen, von denen mich mit der Hand gezeichnete Smileys ansahen, die gegen Ende des Briefes immer unheimlicher wurden. Auf eine Seite hatte der Mörder den riesengroßen Umriss einer Hand gemalt, und mein Blick fiel auf das Wort „SNAP (was so viel wie „Knack
bedeutet), geschrieben in Großbuchstaben – das Geräusch eines Asts, der bricht ... oder vielleicht etwas anderes.
Mein Herz hämmerte, und ich musste daran denken, was mir der bekannte Fallanalytiker, oder criminal profiler, John E. Douglas, und das FBI gesagt hatten, als ich mich zu dem Projekt entschloss: „Ganz egal, was du tust, sie werden versuchen, dich einzuschüchtern!"
Ich rief mir ins Gedächtnis, dass der Brief natürlich seitens der Gefängnisleitung gecheckt worden war, bevor er rausging, und ich begann, den Text noch einmal von Beginn an gründlich durchzulesen. Der Absender knüpfte einige Bedingungen an seine Mitwirkung in meiner Studie. Er schrieb, er habe bereits viele Anfragen im Zusammenhang mit wissenschaftlichen Projekten bekommen und er fühle sich wie ein Versuchskaninchen, aus dem man ein Untier machen wolle. Er unterstrich, dass er kein Interesse an Geld habe, sondern an mir.
„Nach zwanzig Jahren in einem Käfig, umgeben von Männern, kannst du dir sicher denken, was mich an dir am meisten interessiert, Florence ...", stand da.
Dann kam die Bedingung. Er wollte Bilder von mir. Gemäß den im Gefängnis geltenden Bestimmungen dürfe ich jedem Brief bis zu fünf Fotos beilegen, erklärte er. Auf diese Weise könne ich ihm beweisen, dass ich vertrauenswürdig sei.
Aber es sollten nicht irgendwelche Bilder sein. „Wenn du mir das nächste Mal schreibst ...", setzte er an, und es folgten präzise Anweisungen: eine Nahaufnahme meines Gesichts, ein Ganzkörperfoto, eins von hinten, eins von der Seite und eins, auf dem ich auf meinem Bett liege.
„Du kannst selbst entscheiden, was du anziehst, aber ich mag eng sitzende Blusen und Stilettos", fuhr er fort.
IllustrationUnd das war noch nicht alles. Neben einem Smiley, das die Zunge rausstreckte und dessen zusammengezogene Augenbrauen ihm einen diabolischen Ausdruck verliehen, hatte er notiert, wie die weiteren Bilder auszusehen hatten. Ich sollte immer weniger Kleidung tragen.
„Nacktbilder sind nicht erlaubt, aber du hast sicher etwas, das nicht mehr viel verhüllt. Du wirst für mich posieren und dabei so gut wie nichts meiner Fantasie überlassen", erklärte er.
Ihm war wichtig, dass ich nicht in die Kamera lächelte, das mache ihn nicht an. Stattdessen sollte ich ernst dreinblicken. Ich überlegte, ob diese präzisen Anweisungen etwas mit seinen Opfern zu tun hatten. Schließlich saß er in der Todeszelle, weil er mindestens zehn Frauen vergewaltigt und ermordet hatte.
Vor dem ersten Mord hatte er bereits mehrere Frauen vergewaltigt. Innerhalb eines Zeitraums von drei Jahren verschaffte er sich in unzähligen Fällen unter einem Vorwand, wie zum Beispiel die Toilette benutzen zu wollen, Zugang zu den Wohnungen der Frauen. Waren sie alleine zu Hause, schlug er zu. Außerdem kurvte er mit dem Auto bevorzugt in Rotlichtvierteln herum, und oft gelang es ihm, die Prostituierten zu sich nach Hause zu locken, wo er sie fesselte und stundenlang vergewaltigte, bevor er sie umbrachte. Manchmal erwürgte er sie, anderen schnitt er die Kehle durch oder schlug sie tot. Die Leichen ließ er an einsamen Straßenabschnitten am Waldrand verschwinden, inszenierte sie meist in Positionen, die sie sexuell zur Schau stellten.
Eines seiner Opfer hielt er mehr als 24 Stunden lang gefangen. Er vergewaltigte die Frau mehrfach, bevor sie entkommen konnte. Kurz darauf wurde er festgenommen. Zunächst gestand er eine ganze Reihe Entführungen und Morde, um der Todesstrafe zu entgehen, aber als ein weiteres Opfer entdeckt wurde, landete er in der Todeszelle. Und von dort schrieb er mir: „Kannst du dir vorstellen, dass ich bei dir bin? Jetzt? SNAP! Kannst du dir das vorstellen, wo du auch bist? SNAP!", schrieb er.
Schlagartig wurde mir übel. Auf der einen Seite versuchte er, mit mir zu flirten, auf der anderen Seite war er so extrem hemmungslos, dass es mir kalt über den Rücken lief.
Kapitel 1
Es war mir nicht in die wiege gelegt ...
Mein Zeigefinger glitt über die Seite des Telefonbuchs und stoppte beim Namen Mirjana Tived Rosenlund.
Zwar wohnte sie auf derselben Etage und noch dazu direkt neben mir, aber manchmal ist es einfacher anzurufen. Die Abkürzung neben ihrem Namen fiel mir auf: cand. psych. Ein solches Kürzel war mir nicht bekannt, und ich fragte mich, was es wohl bedeuten könne.
Ich kannte Mirjana schon seit einigen Jahren. Anfangs waren wir uns auf der Straße begegnet, wenn wir mit unseren Hunden Gassi gingen. Wir hatten beide je drei Shih Tzu, eine kleinwüchsige, lebendige und intelligente Hunderasse mit Wurzeln in Tibet, und so war es fast selbstverständlich, dass wir ins Gespräch kamen. Wir unterhielten uns über Welpen, Genetik und Haltung, aber nach und nach ging es auch immer mehr um andere Dinge, und irgendwann besuchten wir uns gegenseitig. Ich war gerade neunzehn geworden, Mirjana war vierzehn Jahre älter als ich.
Irgendwann saß ich bei einer Tasse Kaffee bei ihr in der Wohnung, in der sie mit ihrem Freund lebte.
„Was bedeutet eigentlich dieses cand. psych. im Telefonbuch?", fragte ich.
„Ich bin Psychologin", antwortete Mirjana.
„Und was bedeutet das?", wollte ich wissen.
Mirjana erklärte in groben Zügen, was eine Psychologin ist, aber ich wollte mehr darüber erfahren, was sie genau tat. Sie erzählte, dass sie mit Kindern arbeite, die auf die eine oder andere Weise Probleme in der Schule haben.
„Als Psychologin hilft man Menschen, denen es schwerfällt zu leben", fügte sie hinzu.
„Und wie machst du das?", hakte ich nach.
„Zunächst einmal, indem ich mit ihnen rede."
Je mehr Mirjana erzählte, umso klarer wurde mir, dass ich Psychologin werden wollte.
Die Sache war nur die, dass ich nach der 8. Klasse von der Schule abgegangen war.
Als meine Mutter jung war, ging sie als Au-pair-Mädchen nach England, wo sie meinem Vater begegnete. Er kam aus Jamaica, sie verliebten sich und ließen sich in Dänemark nieder, wo meine große Schwester und ich zur Welt kamen. Damals gab es nicht sehr viele dunkelhäutige Menschen in Dänemark, erst recht nicht auf Fünen, von wo meine Mutter stammte. Die Leute glotzten meinem Vater auf der Straße hinterher, und einige wollten sogar ein Autogramm von ihm. Vor allem auf der Arbeit war er Sticheleien ausgesetzt: „Du musst dich gar nicht erst waschen, du bist ja sowieso schwarz", hieß es.
Außerdem brachten sie ihm jede Menge unschöne Ausdrücke bei und behaupteten, es sei ganz normal, so zu reden. Meine Mutter musste das dann alles wieder zurechtbiegen, wenn er nach Hause kam.
Ich kann mich selbst nicht daran erinnern, aber meine Mutter hat auch davon erzählt, wie sie sich dabei fühlte, ständig die Familie verteidigen zu müssen, weil wir nicht so aussahen wie die allermeisten anderen Dänen. Oft sahen die Leute meine Schwester und mich an und fragten meine Mutter dann, wo sie uns denn gekauft habe. Und so wurde meinen Eltern damals in den 1960er-Jahren permanent deutlich gemacht, dass wir anders waren als die breite Masse.
Schließlich nahm die Situation meine Eltern so mit, dass sie sich entschlossen, nach Jamaica zu gehen. Sie versuchten, meine Schwester und mich von der Idee zu überzeugen, aber ich verstand nicht, was wir dort sollten. Ich war sieben Jahre alt, ging gerne zur Schule und hatte viele Spielkameradinnen und deshalb überhaupt keine Lust, ans andere Ende der Welt zu ziehen. Aber eines Tages teilten sie uns mit, dass es nun so weit sei.
Was Jamaica betrifft, so sind mir meine Familie und meine Freunde am deutlichsten in Erinnerung geblieben. Die Familie meines Vaters besaß einige Apfelsinen- und Bananenplantagen in den Bergen bei Spaldings in Clarendon, wo wir bei Florence und Arthur lebten, meinen Großeltern mütterlicherseits. In der Gegend gab es große Spinnen, und manchmal, wenn sie sich gehäutet hatten, fanden wir ihre Panzer. Auch wurden wir laufend ermahnt, nicht auf das Brett zu klopfen, wenn wir auf der Toilette saßen, um nicht die kleinen, giftigen Spinnen anzulocken, die sich unter dem WC-Brett verbargen.
Zum Glück gab es noch andere Tiere auf den Plantagen. Die beiden Labradore Blackie und Lassie hatten es mir angetan, und ich glaube, meine Liebe zu Hunden hat dort ihren Anfang genommen. Und dann war da noch ein blindes Huhn, das irgendwann aus einem unerfindlichen Grund mir gehörte. Es folgte mir wie ein Hund, und ich mochte es sehr. Einmal glaubte ich, es sei geschlachtet worden, und weigerte mich zu essen. Zu Hause kümmerte sich Oma um alles, und ich sehe sie noch vor mir, wie sie an dem großen Topf steht, in dem ständig irgendetwas köchelte, das wir dann zum Abendessen vorgesetzt bekamen. Mein Opa arbeitete den ganzen Tag lang auf den Plantagen und kam erst nach Hause, wenn es dunkel wurde. Wie gesagt gehörten die Plantagen meinen Großeltern, und mein Vater unterstützte die beiden. Opa war vom „alten Schlag" und der Ansicht, ich sei viel zu schlecht erzogen. Ich erinnere mich, dass mein Vater sehr ehrerbietig war, wenn er mit ihm sprach: Yes, sir! No, sir! – aber das war damals auf Jamaica so Usus, so unterhielt man sich mit den Eltern.
Diese Form der Disziplin erlebte ich ganz besonders, als ich in die Schule kam, wo körperliche Strafe zum Alltag gehörte. Vor meinem ersten Schulbesuch unterstrichen meine Eltern gegenüber den Lehrern, dass sie mich unter keinerlei Umständen schlagen durften. Das führte manchmal zu seltsamen Begebenheiten, wie zum Beispiel einmal, als ich von meiner Cousine abgeschrieben hatte und sie ein paar Schläge dafür kassierte, während ich vom Lehrer gelobt wurde, weil ich keinen einzigen Fehler hatte. Dass wir jeden Morgen in der Klasse erst einmal zu Gott beten mussten, machte die Situation nicht besser. Ich war sicher, dass es nicht derselbe Gott sein konnte, den ich von zu Hause kannte. Zwar gaben sie sich alle Mühe, mir zu erklären, sie seien ebenfalls Christen, nichtsdestotrotz saß ich demonstrativ mit den Händen hinter dem Rücken verschränkt da, während die anderen die Hände falteten. Als einer meiner Klassenkameraden eines Tages so heftig geschlagen wurde, dass er zu bluten anfing, hatte ich genug. Ich machte mich davon, und zu Hause angekommen teilte ich der Familie mit, dass ich ab sofort nicht mehr zur Schule gehen würde. Und so kam es auch.
Die Zeit auf Jamaica ist mir als eine Zeit immenser Freiheit im Gedächtnis geblieben. Es war immer jemand da, mit dem man spielen konnte. Und Regeln, was man durfte und was nicht, gab es kaum. Wir Kinder waren überwiegend für uns selbst verantwortlich. Elektrizität gab es ebenso wenig, und so fingen wir abends Glühwürmchen in Gläsern und erzählten uns in ihrem fahlen Licht gegenseitig Spukgeschichten. Die großen Kinder passten auf die kleinen auf, und gab es Konflikte, mussten wir sie selbst lösen; etwas, das mich mein Leben lang begleiten sollte.
Aber so konnte es natürlich nicht ewig weitergehen. Zuerst schickten meine Eltern mich wieder zur Schule, aber es funktionierte einfach nicht, und schließlich sagte meine Mutter: Wir können sie nicht zwingen. Wieder nach Dänemark zurückzugehen war also die einzige Lösung. Bevor wir nach Jamaica kamen, hatten wir alles verkauft, was wir besaßen, und jetzt sollte meine Mutter vorab in Dänemark eine Arbeit und eine Wohnung für uns suchen, bevor wir nachkämen, so der Plan. Es war schlimm. Ich vermisste sie schrecklich, und ich war überzeugt, dass ich sie nie wiedersehen würde. Natürlich gab es noch meinen Vater, aber er war nicht sehr präsent. Auf den Plantagen war immer viel zu tun, und er besaß auch selbst ein Stück Land irgendwo nicht weit weg. Zwar war meine Schwester da und tröstete mich, aber sie war nun mal nicht meine Mama.
Wieder in Dänemark zu sein war eine gewaltige Umstellung. Ich besuchte zunächst eine sehr kleine Schule, die Sct. Annagades Skole im Stadtteil Frederiksberg in Aarhus, wo ich sehr gut zurechtkam. Leider wurde die Schule 1976 geschlossen, obwohl Eltern und Kinder demonstrierten und ich mit einem Banner in der ersten Reihe stand und einfach nur wütend auf die Mehrheit im Stadtrat war. Sogar ein lokales Referendum wurde organisiert, aber weil nicht genügend Leute ihre Stimme abgaben, führte das zu nichts, und ich musste fortan die viel größere N. J. Fjordsgades Skole besuchen, zusammen mit den Schülerinnen und Schülern, die schon lange dort waren. Anfangs protestierten wir von der Sct. Annagades Skole noch, aber dann gaben immer mehr auf, und schließlich waren wir nur noch eine Handvoll, die sich widersetzten.
Schon immer wollte ich im Leben möglichst viel Spaß haben. Allerdings war man seitens der Schule oft anderer Meinung, was unter Spaß zu verstehen sei. Deshalb musste ich oft nachsitzen, beispielsweise nachdem ich im Hauswirtschaftsraum eine Prügelei angezettelt hatte und Eier und Mehl an Wänden und Decke landeten. Dabei war es gar nicht so, dass ich nicht gerne lernte. Von klein auf habe ich sehr viel gelesen. Jede Woche ging ich zur Bibliothek und schleppte stapelweise Bücher nach Hause. Während meiner Kindheit hatte ich einen Wellensittich,