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Grünes Gold: Ein Holledau-Krimi
Grünes Gold: Ein Holledau-Krimi
Grünes Gold: Ein Holledau-Krimi
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Grünes Gold: Ein Holledau-Krimi

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About this ebook

Vinzenz Graflinger ist eigentlich IT-Experte, hat aber einen Nebenjob, der ihm deutlich mehr Nervenkitzel einbringt: Er arbeitet als Privatdetektiv und hat schon so manchen Fall in seiner Heimat, der Holledau, gelöst. Doch der neue Auftrag erweist sich als knifflig: Der Wissenschaftler Martin Treikert vom nahen Hopfenforschungsinstitut glaubt, bespitzelt zu werden, und bittet Vinzenz um Beschattung seines Umfelds. Treikerts Forschungsprojekt »Hopfen gegen Krebs« findet internationale Beachtung, der Erfolg des Projekts ist allerdings nicht in jedermanns Sinn. Kurze Zeit später ist der Wissenschaftler tot - den Sturz von der zwölf Meter hohen Hopfendarre hat er nicht überlebt. Aber war es wirklich ein Unfall, wie die Polizei vorschnell annimmt? Vinzenz ermittelt eigenständig und schwebt bald selbst in größter Gefahr … Ein spannender »Holledau-Krimi«!
LanguageDeutsch
PublisherBuch&media
Release dateAug 18, 2014
ISBN9783957800206
Grünes Gold: Ein Holledau-Krimi

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    Book preview

    Grünes Gold - Helmut Ginzinger

    Kapitel 1

    Mir geht’s ned guad

    Vinzenz«, haucht eine Stimme.

    Ich strecke mich ... oh Mann, geht’s mir guad!

    Oder etwa doch nicht? Wenn ich versuch, meinen Kopf ein wenig zu heben, wird mir gleich ganz anders. Irgendwas hat mir letzte Nacht wohl nicht so gut getan. Irgendwie fühl ich mich aber auch ganz entspannt, eben so wie nach einer guten Nacht.

    Vielleicht sollte ich doch mal die Augen öffnen. Könnte ja sein, dass ich noch träum und jetzt diese wenigen Sekunden vor dem Aufwachen erlebe, an die man sich später erinnern kann und von denen man glaubt, sie hätten eine halbe Ewigkeit gedauert. Mir ist das jetzt total wurstegal, ich riskiere es und mach die Augen vorsichtig auf.

    Ein schönes Zimmer hab ich. Während ich mir meine Umgebung blicktechnisch erschließe, kommen mir allerdings leichte Zweifel, ob das überhaupt mein Schlafzimmer ist. Eigentlich nicht, es sei denn, ich hätte es die letzten Tage total umgebaut und wüsste das nicht mehr. In dem Doppelbett liegt sich’s bequem, aber so einen Bettüberzug mit vom Dunkelgrünen bis ins Blassgrüne übergehenden Querstreifen hab ich nun wirklich nicht. Überhaupt ist alles in einem leichten Grünton gehalten, die Vorhänge, die Stehlampe, selbst die Zimmerwände sind bis zur halben Höhe in einem beruhigenden Grün gestrichen. Der Teppich ist nicht grün, der ist blau, passt aber irgendwie ganz gut zum dunklen Holz der Möbel.

    Ja Herrschaftszeiten, wo bin ich da bloß gelandet?

    Mein Kopf macht sich immer unangenehmer bemerkbar und lässt die Vermutung zu, dass der gestrige Abend einen feuchtfröhlichen Verlauf genommen hat. Ist ja auch kein Wunder, wenn die Hotelbar partout nicht schließen will. Na klar, ich bin nicht zu Hause, ich bin in einem Hotel, und das ist logischerweise nicht mein eigenes Zimmer, sondern ein Hotelzimmer. Eine gewisse Erleichterung macht sich in mir breit.

    Mein Oberstübchen nimmt widerwillig seine Arbeit auf und startet einen Sortiervorgang, um Licht ins vernebelte Bewusstsein zu bringen.

    Langsam dämmert’s, ich bin doch gestern auf eine zweitägige Produktvorstellung zu Monstersoft gefahren und befinde mich wohl in meinem Hotelzimmer in München. Ein Blick auf die Uhr, es ist gerade mal acht Uhr morgens. Im selben Moment meldet sich mein Magen mit einem untrüglichen Hungergefühl, was die Vermutung zulässt, dass die Uhrzeit korrekt ist und mein Körper gerne ein Frühstück zu sich nehmen würde. Beim zweiten Blick auf die Uhr macht sich in mir etwas Verwunderung breit, weil die Uhr auf dem Nachttisch gar nicht meine Uhr ist. Klar, ich würde niemals so eine rote Uhr tragen.

    Die Jeans am Boden und das daneben liegende Hemd kann ich eindeutig als Teil meiner Garderobe identifizieren. Auch das Sakko entspricht meiner Moderichtung, und die braunen Lederschuhe unterm Tisch sind, soweit ich das von hier aus beurteilen kann, meine. Der Grund für diese etwas unordentliche Aufbewahrung erschließt sich mir derzeit noch nicht, was mich allerdings nicht besonders erstaunt.

    Hab ich vielleicht gestern gar einen Granatenrausch mit aufs Zimmer gebracht? Wenn sich mein Gehirn doch nur etwas mehr anstrengen und dafür der ganze Kopf weniger wehtun würde. Der Versuch aufzustehen gelingt mir - fast. Ein Fuß hängt schon aus dem Bett, der zweite folgt bedächtig.

    Endlich an der Bettkante sitzend merke ich, dass ich grad gar nichts anhab. Ein kurzer prüfender Blick und ich stelle fest: Bist noch immer gut beieinander, Vinzenz, das muss ich schon sagen. Fast kein Gramm zu viel auf den Rippen und der Rest kann sich auch sehen lassen. Wieso hab ich eigentlich keinen Schlafanzug an, hab mir doch den blau gestreiften eingepackt.

    Neben dem Bett, auf einem Koffer, seh ich was liegen und erkenn sofort - nicht meine Unterhosn. Was da vor mir liegt, ist weiß, mit rosa Blümchen bedruckt und hat feine Spitzen. Könnt mich nicht erinnern, so ein Teil je getragen zu haben. Bei näherer Betrachtung des kleinen Nichts wird zudem klar: nicht meine Größe! Ein heißes Stoffteil, ohne Zweifel. Diese Erkenntnisse lassen die Vermutung zu, dass der dazugehörige Inhalt wohl am ehesten zu einem weiblichen Wesen passen würde.

    »Vinzenz, bist du schon wach? Ich bin gleich fertig im Bad!«

    Da war sie wieder, die Stimme, die meinen Namen haucht! Es war also kein Traum. Während meine Gedanken um die Stimme kreisen, geht die Badezimmertür auf, und ich kann mir grad noch die Bettdecke über meinen Nabel ziehen.

    Sie steht vor mir und strahlt mich an.

    Mit einem Schlag bin ich putzmunter. Mein Gehirn beginnt mit Hochdruck zu arbeiten, um Fakten und Bilder zu sammeln, damit ich annähernd herausbekomme, was da letzte Nacht gelaufen ist.

    Logisch! Gestern nach der Schulung und dem anschließenden Abendessen sind alle Teilnehmer und die Dozentin noch auf einen Drink in die Hotelbar gegangen. Nach und nach waren die anderen Gäste verschwunden, bis nur noch wir beide am Tresen saßen. Katrin, die Dozentin, und ich. Wir haben uns glänzend unterhalten, getrunken, gelacht und sogar getanzt, wenn ich mich recht erinnere. Es muss schon ziemlich spät gewesen sein, als wir aufs Zimmer sind. Und dann, dann, … Jetzt lässt sowohl die Geschwindigkeit meines Erinnerungsvermögens als auch dessen Exaktheit nach. Was war dann?

    Sie steht vor mir, fertig gestylt, schwarze Lackschuhe mit halb hohen Absätzen, enger bordeauxfarbener Rock, der über den Knien beginnt, weiße Spitzenbluse leicht geöffnet, blonde schulterlange Haare und ein Lächeln wie aus Tausendundeiner Nacht. Bitte nicht aufwachen, denk ich mir, aber ich bin ja schon wach.

    »Hallo Vinzenz, ich seh schon, du hast was gefunden, das ich noch brauchen kann, darf ich mal?«

    Sie kommt an mein Bett, beugt sich zu mir herunter, küsst mich und nimmt das heiße Teil. Sie setzt sich neben mich und streift ihre Schuhe von den Füßen. Sie schlüpft in das heiße Teil, steht auf, und sodann verschwinden die rosa Blümchen und die feinen Spitzen unter ihrem Rock. Bisher hab ich so was nur im Fernsehen gesehen, live ist das hundertmal besser.

    »Magst mir noch meine Uhr geben? Ich muss jetzt nach unten in den Besprechungsraum, noch etwas vorbereiten für die Präsentation heute. Wenn du Lust hast, können wir uns nachher noch sehen«, sagt sie mit einem Lächeln und verschwindet.

    Ja spinn ich denn? Ein paar Details zur letzten Nacht fehlen mir zwar noch, aber das Gesamtbild wird immer klarer. Nicht schlecht! Während des Duschens schließen sich dann noch die restlichen Erinnerungslücken, was mich zugegebenermaßen in eine exzellente Stimmung für den weiteren Tag versetzt.

    Nach dieser äußerst interessanten Aufwachphase brauch ich erst mal einen extra starken Kaffee und ein eiweißreiches Frühstück. Das saublöde Kopfweh lässt auch langsam nach.

    Der Produktschulung lausche ich mit so tiefer Aufmerksamkeit, wie ich es wohl selten vorher bei einem Vortrag getan habe. Sehr informativ und äußerst anregend, vor allem die Dozentin.

    Am Ende der Veranstaltung applaudieren alle Teilnehmer schön brav und es beginnt das allgemeine Verabschieden. Als alle anderen gegangen sind, bleibt uns noch etwas Zeit.

    »Weißt, Vinzenz, ich bin in den nächsten Wochen zwar viel unterwegs, aber es gibt auch immer wieder Tage, an denen ich ganz normal im Münchner Büro arbeite. Würde mich freuen, wenn wir uns mal verabreden könnten.«

    »Das lässt sich bestimmt einrichten, Katrin. Du meldest dich einfach, wenn du da bist.«

    Dann gibt’s noch einen Abschiedskuss, filmreif sag ich dir, so richtig was für Genießer.

    Auf der Heimfahrt stört mich nicht mal dieser vermaledeite Stau auf der Autobahn zwischen Allershausen und Pfaffenhofen. Wie ich beim Dreieck Holledau nach Regensburg abbieg, merk ich, dass ich von den letzten sechzig Minuten Stop-and-go eigentlich gar nichts mitbekommen habe.

    Zwei Kilometer vor der Ausfahrt Mainburg werd ich unsanft aus meinen Gedanken gerissen, weil’s da bei schönstem Sonnenschein plötzlich noch heller wird. Jetzt haben die Kerle mich schon wieder geblitzt. Haben die nichts anderes zu tun, als anständigen Bürgern das Geld aus der Tasche zu ziehen? Da darf man doch einhundertzwanzig fahren und ich war bestimmt nicht viel schneller dran, also keinesfalls um so viel schneller, als dass es der Rede wert wäre.

    Kapitel 2

    Die Holledau

    Die Holledau beginnt dort, wo die gescheiten Leut aufhören und die Spitzbuben anfangen.«

    Mit diesem Satz wurde vor allem im 17. und 18. Jahrhundert oft die Mentalität der Holledauer beschrieben. Dickköpfigkeit, Geiz und Rauflust wurden den Holledauern unterstellt. Rechthaberisch seien sie, und das Pferdestehlen sei eine ihrer Lieblingsbeschäftigungen gewesen. Nicht selten endete die Karriere eines Pferdediebes am Galgen, ein ziemlich riskantes Hobby also.

    Heute ist das natürlich nicht mehr so. Die Holledauer, oder auch die Hallertauer (des kannst jetzt grad sagen, wie du willst), sind traditionsbewusst und heimatverbunden, aber auch aufgeschlossen, fortschrittlich und modern - die meisten jedenfalls.

    Die Hallertau ist das größte zusammenhängende Hopfenanbaugebiet der Welt und ein wunderschöner Flecken Erde. Ganz klar gibt’s bei uns neben dem Hopfenanbau noch andere Landwirtschaft, gestandene Handwerksbetriebe, einen gesunden Mittelstand und erfolgreiche Hightech-Unternehmen.

    In Mainburg, dem »Herzen der Hallertau«, hab ich meinen Computerladen und bin ganz nebenbei als Privatdetektiv unterwegs. Da ich über viele Jahre bei amerikanischen IT-Unternehmen tätig war, sprech ich natürlich zwei Fremdsprachen. Englisch sowieso und wenn’s unbedingt sein muss astreines Hochdeutsch.

    »Jetzt erzähl schon, wie war’s die letzten beiden Tage in München auf der Produktschulung? Hast was G’scheites g’lernt, Chef?«, fragt mich die Lena als Erstes, nachdem ich am Donnerstagmorgen in den Laden komm.

    »Ach Lena, du kannst dir’s doch denken. Da erzählen sie dir den ganzen Tag, wie gut und toll das neue Programm ist, und dann stellst beim ersten Ausprobieren fest, dass noch allerhand Bugs drin sind, also Fehler ohne Ende. Natürlich haben wir jede Menge Kaffee getrunken und uns zwischendurch über die allgemein schlechte Lage in unserer Branche beschwert. Das übliche Gejammer halt. Bei Monstersoft gibt’s logischerweise keine Probleme, weil’s wieder ein paar Milliarden mehr Gewinn gemacht haben. Ist ja auch keine Kunst, wenn wir des Zeug verkaufen und beim Kunden unseren Kopf für deren Mist hinhalten.«

    »Und wie waren die Teilnehmer so? Und der Dozent?«

    »Es waren überwiegend kleine Computerdandler wie wir eingeladen, ein paar hab ich gekannt. Der Riegel aus Wolnzach und der Bremser aus Pfaffenhofen waren auch dabei. Insgesamt waren’s vielleicht fünfundzwanzig und dazu natürlich noch jede Menge Anzugträger von Monstersoft. Die sind in den Pausen auf uns losgelassen worden, damit’s mal Praxiserfahrung sammeln.«

    »Und wie war der Dozent? Jetzt lass dir doch ned alles aus der Nase ziehn, geh Herrschaftszeiten!«

    »Der Dozent war eine Sie und hat sich recht gut ausgekannt. Eine äußerst kompetente Frau, wirklich.«

    »Oha, wenn du des so sagst, war’s bestimmt nicht nur kompetent, sondern auch recht hübsch.«

    »Na ja, schiach war’s ned. Aber jetzt genug gefaselt. Sag mir lieber, was heut auf dem Programm steht. Sind neue Bestellungen hereingekommen? Hat der Liachtl die PCs für die Hauptschule schon fertig konfiguriert, damit wir die Kisten ausliefern können? Sind alle Rechnungen geschrieben? Stimmen die Zahlungseingänge? Müssen Mahnungen verschickt werden?«

    »Jaja, ist alles am Laufen. Du sollst dich mal bei der Franzi melden.«

    Akkurat jetzt soll ich mich bei der Franzi melden, des passt mir grad gar nicht in den Kram. Hab ich doch den Kopf voller anderer Gedanken, und das merkt die Franzi sofort, wenn ich ihr nicht uneingeschränkt meine Aufmerksamkeit schenke.

    Zurzeit sind wir ja nicht zusammen, das heißt, wir sind schon seit fast sechs Monaten nicht zusammen, also so richtig, mein ich. Vorher waren wir für längere Zeit zusammen, aber sie hat mir »gekündigt«. Beziehungskisten sind halt oft nicht so einfach. Soll sie doch machen, was sie will.

    »Ich fahr jetzt erst mal raus zum Wolkenstein und geb unser Angebot ab«, sag ich zu Lena. »Danach muss ich zum Bauamt, was regeln wegen dem Laden.«

    Die Franzi kann warten.

    Die Firma Wolkenstein ist eines der größten Unternehmen in der Holledau. Die stellen Kugelhähne und Industrieventile in allen Größen und für tausend verschiedene Zwecke her. Ich als Computerheini wüsste heute noch nicht, was ein Kugelhahn ist, hätten die nicht vor ein paar Jahren einen Tag der offenen Tür mit Freibier und Weißwurstfrühschoppen gehabt. Ohne Freibier wäre ich gar nicht hingegangen, aber dann wollt ich doch sehen, wie ein paar von meinen Spezln schon seit Jahrzehnten dort ihre Zeit totschlagen.

    Ach ja, der Kugelhahn, das ist nicht etwa so ein vollgefressener Giggerl von unserem Nachbarn, der kurz vor seiner Verwertung steht. Den Kugelhahn kannst du dir in seiner einfachsten Form in etwa so vorstellen wie einen Wasserhahn, nur dass beim Zudrehen keine flache Ventildichtung, sondern eben eine Kugel den Weg des Wassers, des Gases oder von was auch immer nach außen versperrt. Damit aber beim Aufdrehen das Zeugs durchfließen kann, hat die Kugel ein Loch in der Mitte durch. Die Kugel hält im Gegensatz zu anderen Verschlüssen viel mehr Druck aus, ist viel dichter und geht auch nicht so leicht kaputt, sagen die. Der Werksleiter hat uns bei der Präsentation - die mussten wir vor dem Freibier über uns ergehen lassen - gesagt, dass einem da eher die Zuleitung um die Ohren fliegt, als dass der Kugelhahn seinen Geist aufgibt und einen Tropfen durchlässt. Heute gibt’s die Kugeldinger natürlich in allen Farben und computergesteuert, perfekt. Nach einer Stunde gab’s dann endlich die Weißwürste und das Freibier.

    Die an der Pforte beim Wolkenstein kennen mich schon, da kann ich quasi Tag und Nacht rein, weil ich einen Geschäftspartnerausweis hab.

    Wolkenstein kauft nicht regelmäßig bei mir, aber wenn mal wieder so ein Computerteil abgestürzt ist, rufen die bei uns an. Weil wir denen einen schönen Wartungsvertrag verkauft haben, tanzen dann bei Problemen entweder der Liachtl oder ich innerhalb von drei Stunden an, um das Ganze wieder ans Laufen zu bringen.

    Heut ist mal eben nichts kaputt, sondern ich will mein Angebot über vierzig neue PCs inklusive Software und Wartungsvertrag abgeben. Bevor ich das allerdings mach, geh ich noch kurz in die Produktion, um mit dem Schorsch zu sprechen. Der steht an so einer riesigen Presse mit ein paar Tonnen Gewicht. Der Schorsch selbst ist etwas zierlicher, er hat höchstens hundertzwanzig Kilo.

    Jedes Mal, wenn die Presse nach unten fährt, fliegen dir fast die Eier aus der Hose. Der Schorsch ist das gewohnt. Der macht den Job schon seit zwanzig Jahren und hat wohl extra Muskeln, damit er da nichts verliert.

    »Heut um sieben beim Stoandl!«, schrei ich ihn an und er nickt. Normal unterhalten kannst dich da nicht bei dem Lärm, und außerdem hat der Schorsch eine »Micky Maus« auf, also einen Gehörschutzkopfhörer. Ich nehm an, er liest mir von den Lippen ab.

    Heut ist Donnerstag, und das bedeutet, wie jeden Donnerstag, Gesellschaftsabend und Schafkopfen beim Stoandl. Mit Stoandl ist nicht etwa ein kleiner Stein gemeint, sondern eine der letzten verbliebenen privaten Brauereien in der Hallertau, der Steinbräu.

    Nachdem nun dieser wichtige Termin klar ist, treff ich mich mit dem IT-Fuzzi, ich mein, dem EDV-Leiter vom Wolkenstein, und der wiederum nimmt mich gleich mit zum Einkaufschef.

    Wenn man irgendwann jemanden endlos jammern hören will, dann muss man einfach einen Einkaufschef treffen. Er hat doch erst vor zwei Jahren zwanzig neue PCs gekauft und die anderen Computer sind auch erst fünf Jahre alt. Tja, die fünf Jahre alten Kisten kann er getrost entsorgen, da läuft weder die neue Office- Software noch die neue SAP-Oberfläche drauf. Da schläfst du ein, bis die neuen Programme ausgeführt werden. Kurzum, es bleibt ihm gar nichts anderes übrig, als neue Computer anzuschaffen.

    Beim Anblick vom Gesamtpreis, inklusive telefonischem und Vor-Ort-Support für drei Jahre, bleibt ihm fast die Luft weg. Armer Kerl, dabei bin ich ja eh schon an meiner untersten Preisschmerzgrenze angelangt.

    »Das geht ja überhaupt nicht! Da haben wir schon viel bessere Angebote«, gibt er mir zu verstehen.

    Obwohl ich weiß, dass das wahrscheinlich überhaupt nicht stimmt, verspreche ich ihm, noch mal neu zu kalkulieren. Das übliche Spiel halt. Seine ehrwürdige Daseinsberechtigung als Einkaufschef besteht darin, noch einige Prozent Nachlass herauszuholen, die ich natürlich vorher draufgeschlagen habe. Für Anfang nächster Woche sage ich ihm ein optimiertes Angebot zu.

    Nach dem Meeting brauch ich dringend was zum Essen, und weil die Wolkenstein-Kantine gar nicht so schlecht ist, begebe ich mich direkt dorthin. Eine Kantine hat nicht nur den Vorteil, dass du dich für ein paar Euro satt essen kannst, sie ist in vielen Betrieben die Kommunikationszentrale schlechthin. Dort erfährst du mehr über gewisse Interna als am Besprechungstisch.

    Die Geschäftsleitung plant organisatorische Änderungen und die Prozesse sollen optimiert werden, heißt es, welch eine Überraschung! Den üblichen Tratsch gibt’s natürlich auch. Einer der Abteilungsleiter war wohl während der Überstunden etwas enger mit seiner Sekretärin beschäftigt. Harter Job!

    Das Einzige, was mich bei dem Getratsche aufbaut, ist das Schimpfen der Bürohexen über die langsamen PCs und darüber, dass sie den EDVlern schon Feuer unterm Arsch machen würden, damit neue Computer herkommen. Gut so, meine Damen, der Bedarf ist geweckt!

    EDV ist übrigens die Abkürzung für »Ende der Vernunft« und nicht wie vielfach angenommen das Kürzel für »Elektronische Datenverarbeitung«.

    Ein kleiner Spaziergang nach dem reichlichen Essen tut gut und überbrückt die Mittagsmüdigkeit.

    Am frühen Nachmittag mach ich mich auf den Weg zur Stadtverwaltung. Um halb drei stehen die Chancen gut, dass die vom Bauamt nun auch schon aus ihrer Mittagsruhe erwacht sind und ich eine Audienz bekomme.

    »Servus, Norbert, nun schau dir diese Verbrecher vom Landratsamt an, die wollen mir doch glatt meinen Laden zusperren, obwohl ich überhaupt nichts gemacht habe.« Ich halt ihm das Schreiben vom Landratsamt unter die Nase, das ich vor vier Wochen bekommen habe.

    »Zeig den Schrieb mal her, Vinzenz, was wollen die denn von dir?« Der Norbert liest sich das Schreiben aufmerksam durch. »Ah so, die mahnen zum dritten Mal an, dass du beim Notausgang in deinem Laden ein vorschriftsmäßiges Geländer anbringen musst, damit sich bei einem Notfall keiner die Haxen bricht, wenn er da raus muss.«

    »Dass ich ned lach! Wer außer mir, der Lena und dem Liachtl sollte denn da raus oder rein wollen? Ein anderer hat bei unserem Notausgang gar nichts zu suchen. Wenn ein Unberechtigter da rumturnt, macht’s nix, wenn er sich was bricht. Und weißt du eigentlich, was so was wieder kostet? Da muss ich mindestens zehn PCs verkaufen, bis ich das wieder reingeholt hab.«

    »Weißt was, Vinzenz, ich schreib jetzt dem Kollegen im Landratsamt, dass du bei mir vorstellig geworden bist und dass du alsbald das Geländer anbringen lassen wirst, sagen wir innerhalb der nächsten vier Wochen, okay?«

    Seit Neuestem gibt’s zu Notausgängen sogar eine EU-Verord-nung und die soll angeblich auch für mich gelten, meint der Norbert.

    »Na meinetwegen, aber in Ordnung ist so was nicht. Da würde mich schon interessieren, ob zum Beispiel ein Marcello auf Sizilien, der vielleicht auch einen Computerladen hat, ob der auch so schikaniert wird. Der würde sich einen Dreck drum kümmern, ach, was sag ich, der würde erst gar kein Schreiben vom Amt bekommen! Aber mit uns können sie es ja machen, die im Landratsamt. Nichts für ungut, Norbert, aber das muss doch echt mal gesagt werden.«

    Mir ist schon klar, dass der Norbert auch nicht viel gegen die EU ausrichten kann, ist halt vielleicht doch ein Sklave, ein »servus«, wie der Lateiner sagte.

    »Servus, Norbert«, sag ich noch und schließ die Tür hinter mir.

    Abends um dreiviertel sieben brech ich auf zum Stoandl. Die Brauerei-Gaststub’n ist nur zehn Minuten zu Fuß von mir entfernt und deswegen hab ich auch keine Bedenken, ab und zu ein oder zwei Halbe Bier mehr zu genießen.

    Am Gesellschaftsabend sind im Gegensatz zu den anderen Wochentagen immer ein paar Leute mehr beim Bräu, und der Stammtisch ist schon ziemlich voll. Solange es geht, werden Stühle dazugestellt, und nur im äußersten Notfall wird vor dem Schafkopfen ein zweiter Tisch aufgemacht. Ich quetsch mich also noch dazu, und wie so oft in der letzten Zeit

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