Schatztruhe der Lebenserfahrung: Überraschende und lehrreiche Episoden aus einem bewegten Leben. Mit Fotografien von Jürgen Briem
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In anrührenden und inspirierenden Geschichten vermittelt Dr. Jens-Uwe Martens Erkenntnisse, die er aus seinem bewegten Leben gewonnen hat. So öffnet sich eine »Schatztruhe« an Erfahrungen, die unser Verhalten und Denken positiv beeinflussen können - für ein Leben in Erfüllung und Zufriedenheit.
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Schatztruhe der Lebenserfahrung - Jens-Uwe Martens
Einführung
Lernen wir nur in Schule und Universität? Ich bin wie so viele nicht nur 13 (in meinem Fall sogar 14) Jahre durch verschiedene Schulen gegangen und habe ca. sieben Jahre die Universität besucht, ein Studium abgeschlossen und ein weiteres angefangen und dabei sicher viel gelernt. Das Wichtigste, das ich aber gelernt habe und das mir in meinem Beruf und bei der Lösung der Probleme geholfen hat, die sich mir privat oder beruflich gestellt haben, habe ich nicht in der Schule oder Universität, sondern im Leben gelernt.
Natürlich kann ich nicht alles, was mir das Leben beigebracht hat, in Geschichten fassen, aber doch einiges, und es drängt mich, diese Geschichten aufzuschreiben, um anderen die Chance zu geben, ebenfalls aus diesen Geschichten zu lernen. Muss man denn wirklich jede Erfahrung selbst machen?
Ich habe mich bemüht, die Quintessenz der erlebten Lernerfahrungen hier zu schildern. Ich habe in diesem Buch die »Rosinen meines Lebens« gesammelt, ich gebe hier einige Erlebnisse weiter, die mich beeinflusst haben und die vielleicht auch dem einen oder anderen Leser helfen können, mit Schwierigkeiten fertigzuwerden, oder seinem Leben einige Glücksmomente hinzuzufügen.
Noch ein Wort zu der Anrede: Ich habe mir lange über legt, ob ich Sie, liebe Leserin und lieber Leser, mit dem vertrauten »Du« oder mit »Sie« anreden soll. Das »Du« verbreitet sich immer mehr und heute wird man häufig schon in Geschäften, in denen man noch nie war, auch als älterer Kunde von den sehr viel jüngeren Bedienungen mit »Du« angeredet. Ich habe mich trotzdem für das »Sie« entschieden. Ich möchte damit meinen Respekt Ihnen als Leser gegenüber ausdrücken. Ich schätze Sie sehr und ich möchte auf keinen Fall den Eindruck erwecken, dass ich mich Ihnen vertraut fühle, ich kenne Sie nicht und bin mir bewusst, dass Sie und nur Sie entscheiden, wie sehr Sie sich mir und meinen Geschichten öffnen.
Nachdem es sich in diesem Buch fast ausschließlich um selbst erlebte Geschichten handelt, kann es durchaus sein, dass Sie, lieber Leser, an dem einen oder anderen Erlebnis beteiligt waren. Ich habe Ihren Namen verändert und bitte vorweg um Verzeihung, wenn ich mich in einem Detail nicht richtig erinnert habe.
Es kommt auf unsere Einstellungen¹ an!
Schon im ersten Semester meines Psychologiestudiums begegnete mir ein Zitat des berühmten Psychologen William James, der schon um 1900 lebte und als Erster die Erfahrung aus Experimenten zur Grundlage der Psychologie erklärte. Das Zitat, das mich so faszinierte und mein ganzes Leben beeinflussen sollte, lautete:
»Die Revolution unserer Zeit besteht darin, dass wir entdeckt haben, welch’ großen Einfluss unsere Einstellungen auf unser Leben haben und dass wir es in der Hand haben, diese Einstellungen zu bestimmen.«
Wenn das stimmt – so überlegte ich mir – dann kann ich also den Gang meines Lebens weitgehend selbst bestimmen, indem ich mir meine Einstellungen bewusst mache und die passenden Einstellungen aussuche oder fehlende positive übernehme. Ich war fasziniert von dieser Idee – und ich kann sagen: Ich habe sie umgesetzt und bei mir selbst erlebt, dass meine Erwartungen gerechtfertigt waren.
Aber was sind »Einstellungen« überhaupt?
Alles, was uns begegnet, wird von uns bewertet: gut oder böse, unnütz oder nützlich, interessant oder uninteressant, begehrenswert oder abscheulich usw. Wahrscheinlich war es für die Menschen, seit sie sich auf diesem Planeten entwickelt haben, überlebensentscheidend, alles sofort zu bewerten, damit sie schnell und ohne lange zu überlegen auf ihre Umgebung reagieren konnten. Wenn jemand in grauer Vorzeit erst überlegen musste, ob der Säbelzahntiger, der plötzlich vor ihm auftaucht, etwas Begehrenswertes oder Gefährliches sei, dann wäre er gefressen worden, bevor er zu einem Ergebnis gekommen wäre. Damit wären seine Gene und damit die Gewohnheit, alles vorurteilsfrei durch Überlegung einzuschätzen, nicht weitergegeben worden, im Gegensatz zu den Genen der Menschen, die alles sofort und ohne zu überlegen spontan bewertet haben. Wir bewerten aber nicht nur Säbelzahntiger und damit alle konkreten Wahrnehmungen sondern auch Abstraktionen, die wir aus vielen Wahrnehmungen gebildet haben. Wir bewerten z. B. »die Menschen«: Sie sind unserer Meinung nach »von Natur aus« gut oder schlecht, oder etwas konkreter und differenzierter: Wir teilen die Menschen ein in: Deutsche, Neonazis, Unternehmer, Asylanten, Juden, Kapitalisten usw. Und über jede dieser Gruppen haben wir eine bestimmte Meinung, wir bewerten sie, bevor wir die einzelnen Vertreter dieser Gruppen kennengelernt haben. Wenn solche Bewertungen nicht nur einer spontanen, kurzfristigen Laune entsprechen, sondern über lange Zeit unser Handeln beeinflussen, dann nennen wir sie Einstellungen.
Kann man denn Einstellungen »bestimmen«, sich bewusst machen oder gar beeinflussen? Sind wir denn wirklich für unsere Einstellungen verantwortlich, so wie es das obige Zitat von William James nahelegt?
Einstellungen zu verändern, ist sehr schwierig. Sie bilden sich vor allem aufgrund eigener Erfahrungen, oder indem wir sie von unseren Vorbildern übernehmen: solchen, denen wir konkret begegnet sind, oder solchen, von denen wir in Büchern, Zeitschriften, Filmen oder anderen Medien gehört haben. Unser Selbstbild hängt sehr eng mit unseren Einstellungen zusammen. Unser Selbstbild ist uns sehr wichtig, wir verteidigen es mit aller Kraft und daher sind wir auch nicht bereit, unsere Einstellungen zur Disposition zu stellen. Das gilt vor allem für die Werthaltungen, die eng mit unserem Selbstbild verbunden sind.
Trotzdem kann man Einstellungen verändern. Es gibt eine große Zahl von Untersuchungen, vor allem aus den USA, die belegen, dass man alte Einstellungen durch neue ersetzen kann. Das gilt vor allem dann, wenn der Betroffene dies selbst wünscht, seltener, wenn er sich dagegen sträubt.
Sie können also, wenn Sie sich das wünschen, tatsächlich bestimmen, durch welche Einstellungen Ihr Handeln beeinflusst wird. Sie haben das wahrscheinlich schon häufiger in Ihrem Leben getan, ohne sich dessen bewusst zu sein: Sie haben eine Einstellung gegenüber vegetarischer Ernährung entwickelt, gegenüber Mülltrennung, gegenüber alternativen Energien usw. Uns begegnen immer wieder im Leben neue konkrete Eindrücke oder Abstraktionen, zu denen wir Stellung beziehen müssen. Aber wir haben auch eine Einstellung gegenüber uns oder dem Leben selbst. (Ist für Sie das Leben ein »Jammertal« oder ein »süßes Geschenk«?)
Wenn ich oben gesagt habe, dass sich Einstellungen aus persönlichen Erfahrungen gebildet haben, dann ist das eine Vereinfachung, die ich korrigieren muss: Das Entscheidende ist, dass diese Einstellungen in der Regel NICHT das Ergebnis von häufigen Erfahrungen sind, sondern das Ergebnis von – eigentlich beliebigen – Interpretationen dieser Erfahrungen. Wir können also unsere Einstellungen nur in den seltensten Fällen mit Fakten »belegen«, wir können – wenn wir ehrlich sind – nur in den seltensten Fällen argumentieren, dass nur unsere Einstellungen und keine anderen gerechtfertigt sind – obwohl wir uns häufig etwas anderes einbilden. Daraus folgt, dass diese Werthaltungen beliebig und damit veränderbar sind. Die Bedingung, nach der wir eine Einstellung beurteilen sollten, ist, ob sie geeignet ist, ein Leben zu schaffen, das man sich wünscht. Die Kapitel dieses Buches orientieren sich daher an den Einstellungen, die für den Verlauf unseres Lebens und das Lebensgefühl besonders wichtig sind:
Am Ende eines jeden Kapitels finden Sie, liebe Leserin und lieber Leser, ein abstraktes Foto von Jürgen Briem. Er ist mein Freund aus alten Schulzeiten und lebt schon seit langer Zeit in Paris. Seine Fotos sind für Sie als »Haltepunkte« gedacht. Vielleicht regen sie Sie zum Nachdenken an, vielleicht erinnern sie Sie an Ähnliches, was sie selbst erlebt haben. Und vielleicht überlegen Sie sogar, ob meine Geschichten nicht auch Einfluss auf Ihr Leben haben könnten. Mit viel Fantasie finden Sie vielleicht sogar eine Verbindung zwischen dem Gelesenen und den Fotos.
1 Ich benutze hier den in der Psychologie gebräuchlichen Begriff Einstellung im Sinne von »innerer Einstellung«. Er ist weitgehend synonym mit »innerer Haltung«, »(Wert-)Orientierung«, »geistiger Orientierung«, »Betrachtungsweisen«, »Konzepte«, »Überzeugung (besitzen)« oder im Englischen »attitude«, neuerdings: »mindset«.
I. Die Einstellung zu sich selbst
Das Bild, das wir von uns selbst haben, ist vielleicht die wichtigste Einflussgröße auf unser ganzes Leben. Zumindest ist sie die wichtigste, die wir mit beeinflussen können.
Sehen Sie sich eher als »Pragmatiker« oder als »Denker«?
Sehen Sie sich als »GestalterIn« Ihres Lebens oder als »Opfer der Umstände«?
Sind Sie stolz auf das, was Sie bisher erreicht haben, oder überzeugt, dass Sie eigentlich versagt haben? Oder glauben Sie, in entscheidenden Situationen die falsche Entscheidung getroffen zu haben, so dass Sie viele Chancen verpasst haben?
Mit welchen Begriffen würden Sie Ihr Wesen am ehesten kennzeichnen?
•Philosoph – Philosophin?
•Sensibelchen?
•Held – Heldin?
•Draufgänger – Draufgängerin?
•Anpasser – Anpasserin?
•Unternehmer – Unternehmerin?
In den folgenden Geschichten wurde mir klar, welchen Einfluss das Bild, das ich von mir habe, auf mein Leben hat und dass ich mir dessen bewusst sein sollte. So wie ich mich sehe, werde ich und entsprechend wird letztlich auch mein Leben aussehen.
Vielleicht können auch Sie – so wie ich – einiges aus diesen Geschichten für sich übernehmen.
Der Portier der Spielbank
Können wir wirklich bewusst die Werte beeinflussen, nach denen wir entscheiden, nach denen wir leben? Welchen Grad an Freiheit haben wir wirklich?
Wenn Sie einem Fremden vorgestellt werden, werden Sie ihn freundlich anlächeln und ihm – zumindest in unserer Kultur – die Hand geben. Aber unser tägliches Verhalten ist von vielen Faktoren bestimmt, nicht nur von der Etikette oder von der anerzogenen Höflichkeit. Auch unsere Stimmung, unsere Erwartungen, die Frage, ob wir uns dem anderen über- oder unterlegen fühlen, wird unser Auftreten einem Fremden gegenüber beeinflussen.
Wir tun das häufig mit dem Blick auf den anderen, wir wollen ihn gewogen machen, wollen ihn nicht verletzen oder verärgern. Vielleicht erhoffen wir uns auch irgendwelche Vorteile, wenn wir ihn für uns einnehmen. Haben Sie sich jemals gefragt, ob unser sichtbares Verhalten auch Rückwirkungen auf uns selbst hat? Ob vielleicht sogar ein immer wieder gezeigtes Verhalten Einfluss auf unseren Charakter haben kann? Ich habe mir diese Fragen nicht gestellt. Bis ich einem interessanten, vielleicht sogar weisen Mann begegnete – dem Portier einer Spielbank.
Mein Leben lang habe ich für verschiedene Gruppen Trainings entwickelt. Das brachte mich immer wieder mit den unterschiedlichsten Menschen in Kontakt, häufig mit Persönlichkeiten, die ich ohne mein berufliches Interesse kaum kennengelernt hätte. Der Kontakt mit den verschiedensten Menschen aus unterschiedlichsten sozialen Schichten mit zum Teil exotischen Berufen und oft auch in fremden Ländern war der interessanteste Part meines Berufes. Oft denke ich, dass ich vielleicht von diesen Menschen mehr – vor allem mehr praktisch Verwertbares – gelernt habe, als in meinem Studium.
Eine solche äußerst interessante Persönlichkeit, von der ich eine wichtige Lektion gelernt habe, war der Portier einer großen Spielbank. Ich werde die Begegnung mit ihm sicher nie vergessen. Eigentlich interviewte ich ihn, weil wir ein Lehrsystem für die Spielbank entwickeln sollten. Die Angestellten sollten lernen, wie man Kunden mit kriminellen Absichten schnell erkennen kann und wie man gegebenenfalls so mit ihnen umgeht, dass es die anderen Gäste kaum bemerkten. Letztendlich habe ich von dem Portier mehr, zumindest Wichtigeres gelernt, als ich den Croupiers der Spielbank vermitteln sollte.
Der Portier einer Spielbank hat nichts anderes zu tun, als den Gästen die Tür aufzuhalten, bzw. eine vorhandene Drehtür in Bewegung zu setzen, oder wenn es regnet einen Schirm über die Gäste zu halten, wenn diese vor der Spielbank aus einem Auto steigen oder beim Verlassen wieder einsteigen. Natürlich sorgt er auch dafür, dass ungebetene Gäste die Spielbank nicht betreten, aber das kommt fast nie vor.
Ich war auch früher schon öfter in einer Spielbank. Mich faszinierte die Atmosphäre, wenn alle wie hypnotisiert auf die Kugel starrten, die in dem sich drehenden Kessel hin und her sprang, bevor sie endlich in der Vertiefung einer Zahl liegen blieb, oder manchmal doch noch in das Nachbarfeld hüpfte. Mich interessierten bei meinen Spielbankbesuchen immer mehr die Spieler als die Kugel. Die Croupiers und vor allem den Portier habe ich dagegen kaum beachtet. Ich hätte mir nicht vorstellen können, dass ich aus den Erfahrungen eines Menschen mit einem solchen Beruf so wichtige Dinge lernen könnte.
Das Interview fand bei einem Kaffee in der Kantine der Spielbank statt und es wurde mir erst während des Gesprächs bewusst, auf wie viele Trinkgelder er verzichtete, während er mir bereitwillig länger als eine Stunde auf meine Fragen antwortete. Ich hatte den Eindruck, dass er sehr gerne mit mir redete. Er hatte es gar nicht eilig – und auch für mich verflog die Zeit, weil er so spannend erzählen konnte, obwohl das Interview um drei Uhr morgens stattfand. Eine Zeit, in der ich normalerweise im Bett liege, die für ihn allerdings normale Arbeitszeit war.
Die Croupiers von Spielbanken leben von den Trinkgeldern, die die Spieler bereit sind zu geben und die mit einem »Vielen Dank, für die Angestellten!« in dem so genannten Tronc landen. Die Einnahmen aus einer Nacht werden nach einem bestimmten Schlüssel unter den Croupiers aufgeteilt. Lediglich der Portier ist daran nicht beteiligt. Er lebt von dem, was ihm die Gäste direkt zustecken, und er kann das auch alles für sich behalten. Ich habe noch nie einem Portier einer Spielbank ein Trinkgeld gegeben und konnte mir daher nicht vorstellen, wie viel das sein würde. Ich