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"Deutsche Stunde": Volksgemeinschaft und Antisemitismus in der politischen Theologie bei Paul Althaus
"Deutsche Stunde": Volksgemeinschaft und Antisemitismus in der politischen Theologie bei Paul Althaus
"Deutsche Stunde": Volksgemeinschaft und Antisemitismus in der politischen Theologie bei Paul Althaus
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"Deutsche Stunde": Volksgemeinschaft und Antisemitismus in der politischen Theologie bei Paul Althaus

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About this ebook

Eine sorgfältig recherchierte Studie, die durch die Einbeziehung der biografischen und intellektuellen Entwicklungsgeschichte von Althaus zeigt, dass sein Antisemitismus eine lange und theoretisch ausgereifte Vorgeschichte hat - weit vor der NS-Machtübernahme.

1933 setzt Paul Althaus, der bedeutende theologische Autor, seine Unterschrift unter das antisemitische "Gutachten zum Arierparagraph" der Erlanger Universität. Wie kam der Systematiker, Neutestamentler und Lutherforscher, der beliebte akademische Lehrer und Prediger zu einer solch dezidiert antisemitischen Äußerung? Tanja Maria Hetzers ideengeschichtliche Studie spannt einen weiteren Bogen als alle bisherigen Arbeiten zu Althaus, um diese Fragen zu beantworten: Sie beginnt mit der "Entnazifizierung" der Theologischen Fakultät der Universität, rekonstruiert seinen theologischen und (kirchen-)politischen Werdegang, seinen Einsatz als Gouvernementpfarrer im besetzten Polen während des Ersten Weltkrieges und seine Entwicklung zum konservativen, der "Positiven Theologie" zugehörigen Akademiker. Sie beleuchtet Althaus' "Schöpfungstheologie" und den von ihm vertretenen "gemäßigten" Antisemitismus, den er euphemistisch als "Seelsorge am Antisemitismus" bezeichnete und mit dem er das national-konservative Klima entscheidend mitprägte.
LanguageDeutsch
Release dateDec 21, 2011
ISBN9783869062228
"Deutsche Stunde": Volksgemeinschaft und Antisemitismus in der politischen Theologie bei Paul Althaus

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    "Deutsche Stunde" - Tanja Hetzer

    Beiträge zur Geschichtswissenschaft

    Herausgegeben von Ernst Piper

    Tanja Hetzer

    »Deutsche Stunde«

    Volksgemeinschaft und Antisemitismus

    in der politischen Theologie

    bei Paul Althaus

    Das Buch wurde 2007 als Dissertation von der University of Sussex/England angenommen.

    Wir danken der Stiftung Irène Bollag-Herzheimer (Basel) und der Axel-Springer-Stiftung (Berlin) für ihre großzügige Unterstützung.

    Weitere Informationen über den Verlag und sein Programm unter: www.allitera.de

    Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

    Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

    Juli 2009

    Allitera Verlag

    Ein Verlag der Buch&media GmbH, München

    © 2009 Buch&media GmbH, München

    Umschlaggestaltung: Kay Fretwurst, Freienbrink, unter Verwendung eines

    Fotos des Stadtarchivs Erlangen, Zuhörer im Kolosseumssaal bei der Hitlerrede

    am 3 · Juli 1931 (Signatur: VI.F.b.360).

    Herstellung: Books on Demand GmbH, Norderstedt

    Printed in Germany · ISBN 978–3-86520–328-1

    Inhalt

    Einleitung

    1    Entnazifizierung in der Theologie

    1.1   Entnazifizierung – im eigenen Haus

    1.2   Die Entlassung

    2   Christliche Apologetik oder Kampfgemeinschaft

    2.1   Das Fundament: Elternhaus

    2.2   Die Verbindung: Nicaria

    2.3   Geistige Väter: Adolf Schlatter und Karl Holl

    2.4   Theologische Konzepte: Erlanger Schule und Eschatologie

    2.5   Blick in andere Disziplinen: Leopold Ranke und Max Lehmann

    3   Beginn des Ersten Weltkriegs und die Volksgemeinschaft

    3.1   Einsatz als Mobilisierungsprediger

    3.2   Kampf für deutsche Identität in der kulturellen Grenzlage

    3.3   Engagement für die völkische Bewegung

    3.4   Althaus’ Blutideologie

    3.5   Luther und die deutsche Volksseele

    4   Kriegstheologie

    4.1   Offenbarung, Reinigung und Läuterung

    4.2   Volkseelsorgerische Berufung

    4.3   Opferhingabe für die Volksgemeinschaft

    5   Niederlage als Gemeinschaftserfahrung

    5.1   Überwindung des Individuellen und Partikularen

    5.2   Kirche als höhere Volksgemeinschaft

    5.3   Neue Bedrohung: Schmutz und Zersetzung

    6   Pazifismus im Visier christlicher Ethik

    6.1   Lebendige Gerechtigkeit: Wider den Idealismus des Friedens

    6.2   Werden und Vergehen: Die Idee vom »tüchtigen« Volk

    6.3   Wille, Recht und Macht: Die Ethik der Volks-Existenz

    6.4   Volk und »geschichtlicher Beruf«

    6.5   Die Völkergemeinschaft: Eitle Schwärmerei wider Gottes Walten

    6.6   Neue Beziehung von Religion und Volkstum

    7   Weimarer Republik: Nach dem Krieg ist vor dem Krieg

    7.1   Politische und theologische Positionierung

    7.2   Eine dogmatische Moral von Unterwerfung und Gehorsam

    7.3   Intellektuelle Vernetzung und theologische Urteile

    Kampf mit doppelter Front: Beiträge zur Förderung christlicher Theologie

    Urteile des Glaubens: Zeitschrift für systematische Theologie

    8   Ruf nach Erlangen – Hochburg der Lutheraner

    8.1   Die neue Generation: Elert und Althaus

    8.2   Studenten kämpfen gegen »schädliche Toleranz«

    9   Die Judenfrage – ein theologischer Alleinkampf

    9.1   Gegen eine mystische Annäherung an Christus bei Constantin Brunner

    9.2   Abwehr Martin Bubers mystischer Gottesauffassung und Betrachtung des Urchristentums

    9.3   Mit Peinlichkeit des Körperlichen gegen Max Brod

    9.4   Keine »gemeinsame Entdeckungsreise« mit Franz Rosenzweig

    10  Schöpfungstheologie und Antisemitismus

    10.1  Ethik und Ordnung der Volksgemeinschaft

    10.2  Seelsorge am Antisemitismus

    11  In politischer Mission

    11.1  Eine deutsche Stunde

    Boykott und Gewalt gegen Juden

    (Selbst-)Arisieriung der Universität Erlangen

    Wider undeutschen Geist

    11.2  Ein Arierparagraf für die Kirche: (Selbst-)Gleichschaltung?

    Frage nach Rasse oder Bekenntnis

    Ein Wort aus Erlangen

    Ablehnung und Zuspruch

    Praxis der Entlassungen

    11.3  Streit um theologische Wahrheit und kirchenpolitischen Einfluss

    Die Bekennende Kirche formiert sich in Barmen

    Mit lutherischer Stimme dagegen

    Theologen von Weltruf in einer unheilvollen Allianz

    Elerts Bekenntnis zu Blut und Boden

    Althaus’ Bekenntnis in alle Richtungen

    Unwertes Leben aus Sicht der Schöpfungstheologie

    11. 4  Im Einsatz für den völkischen Auftrag der Kirche

    Als Vermittler zwischen den Fronten

    Mit im Boot: Das »Befriedungswerk« des Reichskirchenministers

    Althaus’ Schöpfungstheologie als Vorbild für die Mission

    11.5  Volksgemeinschaft und Staatspositivismus

    Eine göttliche Volksgemeinschaft

    Schützenhilfe von Elert

    Prediger des Herrn

    12  Nach Kriegsende: Von der Volksgemeinschaft zur Schicksalsgemeinschaft

    12.1  Die Enkelgeneration beginnt zu fragen

    12.2  Eine entblößende Verteidigung

    12.3  Der mühsame Weg der Kirche zur Verantwortung

    12.4  Deutsche Schuld – ein Verhängnis?

    12.5  Von der Ordnungstheologie zur unpersönlichen Schuld

    12.6  Ein theologisches Problem: Verrat, Entweihung und Befleckung

    Schluss

    Dokumente

    Paul Althaus: Rede zur Enthüllung des Kriegerdenkmals (1. Juli 1930)

    Theologisches Gutachten über die Zulassung von Christen jüdischer Herkunft zu den Ämtern der Deutschen Evangelischen Kirche (Erlanger Gutachten, 25. September 1933)

    Der »Ansbacher Ratschlag« zu der Barmer »Theologischen Erklärung« (1934)

    A. Die Grundlagen

    B. Die Aufgabe

    Dank

    Quellen- und Literaturverzeichnis

    Unveröffentlichte archivalische Quellen

    Zeitschriften und Heftreihen

    Veröffentlichte Quellen und Literatur von Paul Althaus

    Veröffentlichte Quellen und Literatur bis 1945

    Literatur seit 1945

    Bildnachweis

    Personenregister

    Einleitung

    1933 unterzeichnete Paul Althaus für die theologische Fakultät der Universität Erlangen das Gutachten zum Arierparagraf. Damit befürwortete er eine innerkirchliche Arisierung nach dem Vorbild des »Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums« vom 7. April 1933. Ein Jahr später unterschrieb er den politisch ebenso problematischen Ansbacher Ratschlag, worin propagiert wurde, dass Gott sich nicht allein in Christus, sondern ebenso in Familie, Volk und Rasse offenbare. Die Unterzeichner glaubten, auch im nationalsozialistischen Staat und dessen Führer Adolf Hitler eine gottgegebene Ordnung zu erkennen, die Offenbarungscharakter besitze.

    Was bewegte den Erlanger Theologen Althaus, den Systematiker, Neutestamentler und Lutherforscher, den bedeutenden und viel gelesenen theologischen Autor und beliebten akademische Lehrer und Prediger zu einer solchen politischen Stellungnahme? Wie steht diese Übereinstimmung mit der antisemitischen Politik und Ideologie des Nationalsozialismus im Verhältnis zu seinem übrigen theologischen Schrifttum?

    Seiner intensiven Korrespondenztätigkeit und Gesprächsbereitschaft verdankt Althaus eigentlich den Ruf eines Vermittlers: er gilt noch heute als Theologe mit einem selbst gewählten Standort in der Mitte.¹ Es ist genau dieses scheinbar stimmige Bild eines Theologen in der Mitte, das es zu untersuchen lohnt. Wie verhält sich ein solcher Vermittler zur Judenfrage oder: Wie antisemitisch war eigentlich die Mitte?

    Auch für die protestantischen Theologen lag zwischen offenem Widerspruch und freiwilliger Unterstützung des Antisemitismus ein breites Spektrum von Verhaltensweisen. Die entscheidende Frage lautet nicht nur, was Paul Althaus vor und während des Dritten Reiches zur Verbreitung des Antisemitismus beitrug und ob er dem Antisemitismus der nationalsozialistischen Ideologie und der konkreten Judenverfolgung im Dritten Reich zustimmte. In dieser Studie geht es auch um die Frage, in welchen Denkkategorien und Metaphern sich Antisemitismus bei ihm äußerte und entwickelte. Welche theologischen Begründungsmuster wurden beigezogen? Welche ethischen Maßstäbe benutzte Althaus im Zusammenhang mit der Verteidigung der deutschen Volksgemeinschaft? Was bedeutete »Gottes Wille« oder »Gottes Gerechtigkeit« in diesem Kontext?

    Angesichts antisemitischer Traditionen sowohl im konservativen Protestantismus als auch im völkischen und neokonservativen Milieu, denen Althaus angehörte bzw. nahe stand, stellt sich die Frage, inwiefern nach 1933 neben einem Bruch auch eine Kontinuität zur Weimarer Zeit bestehen blieb.²

    Eine einfache Gegenüberstellung von religiös und politisch geprägten Formen der Judenfeindschaft würde dabei zu kurz greifen.³ Denn der rassistische Antisemitismus des Nationalsozialismus nutzte neben rassistischen auch religiöse Motive, um die behauptete rassische Differenz zu popularisieren und hatte in dem tief verwurzelten religiösen Antijudaismus einen großen Vorrat »von nahezu automatischen antijüdischen Reaktionen« zur Verfügung.⁴ Zudem war seit der wilhelminischen Zeit die christliche Judenfeindschaft mit den Ideen der politischen Romantik, des Nationalismus und des Sozialdarwinismus verschmolzen. Die neuen nationalen, völkischen und rassenideologischen Rechtfertigungsmuster des Judenhasses lösten die alten antijudaistischen, religiös und wirtschaftlich motivierten Stereotype nicht einfach ab, sondern überlagerten sie. Deshalb lässt sich zwischen einem traditionellen Antijudaismus und einem modernen Antisemitismus auf motivgeschichtlicher Ebene keine klare Trennlinie ziehen. Sinnvoll scheint es vielmehr, das Phänomen Antisemitismus im Kontext anderer zeitgenössischer Ideologien zu betrachten.⁵ Für die Interpretation des Antisemitismus in den Publikationen von Althaus gilt es deshalb auch zu fragen, welche anderen zeitgenössischen Strömungen er rezipierte und in welchen politisch-theologischen Netzwerken er sich bewegte.⁶

    Die Verknüpfung von Politik-, Theologie- und Kirchengeschichte stellt in der bisherigen historischen Forschung zum Antisemitismus in der Theologie noch immer in vieler Hinsicht ein Desiderat dar. Die (kirchen-)historische Forschung zum Protestantismus im Dritten Reich ist zwar (auch) äußerst umfangreich, doch konzentriert sie sich noch bis in die 1990er Jahre stark auf den Kirchenkampf und die ersten Jahre des NS-Regimes.

    Die vorliegende ideengeschichtliche Studie spannt einen weiteren Bogen als bisherige Arbeiten zur Theologiegeschichte im Nationalsozialismus: Die Einbeziehung der biografischen und intellektuellen Entwicklungsgeschichte des Theologen Althaus und die gleichzeitige Verortung seiner Ideologie im theologischen und politischen Umfeld und seiner Generation sollen zeigen, wie sich sein Weltbild weit vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten festigte. Das sozialwissenschaftliche Modell der »politischen Kohorte« (oder auch »politischen Generation«) erweist sich dabei nicht nur für die Einordnung des politischen Denkens des 1888 geborenen Althaus sondern auch für sein Wirken nach 1945 aufschlussreich.⁸ Harold Marcuse wendet dieses Modell erstmals auf Erfahrungen und Einflüsse verschiedener Altersgruppen hinsichtlich ihrer Erlebnisse im Nationalsozialismus und ihrer Verarbeitung nach 1945 an. Althaus ist in diesem chronologisch angelegten Kohorten-Modell, das Björn Krondorfer fruchtbar auf die Theologieforschung übertragen hat, den sogenannten 1890ern zuzuordnen, die 1868 bis 1890 geboren wurden. Zu ihnen gehörte auch die Gründungsgeneration des Nationalsozialismus wie Hitler, Göring, Heß und Himmler. Auch wenn hier eine exemplarische Studie zu Althaus vorliegt, lassen sich durch Querbezüge zur Forschungsliteratur Spezifika dieser Theologengeneration erkennen. Besonders deutlich wird dies in der Rückschau der Theologen nach 1945, wie im Schlusskapitel skizziert.

    Für diese Studie wurden nicht nur seine wissenschaftlichen Werke, sondern auch seine populären Schriften und Predigten untersucht, die eine ungleich größere Breitenwirkung hatten und vielfach politisch eine deutlichere Sprache sprechen. Sie richteten sich oftmals an Multiplikatoren, die an der öffentlichen Meinungsbildung mitwirkten.

    1977 veröffentlichte Klaus Scholder den ersten Band seiner umfangreiche Studie Die Kirchen und das Dritte Reich, in dem der Tübinger Kirchenhistoriker die Entwicklung vom Beginn der Weimarer Republik bis zum ersten Regierungsjahr Hitlers darstellt.¹⁰ Die Studie wertet die Quellen zur Kirchengeschichte so umfassend aus, dass fortan jede weitere kirchengeschichtliche Arbeit darauf aufbauen konnte, aber auch kaum je eine Arbeit über den von Scholder gesetzten Zeitraum (1933/34) hinausführte. Im Rückblick erweist sich zudem Scholders Engführung der sogenannte Judenfrage als historisch, aber auch historiografisch problematisch: Er beschränkte diesen Begriff lediglich auf die Auseinandersetzung um die Einführung des Arierparagrafen im Kirchenbereich. Dies scheint lange Zeit den Weg zu einer differenzierten Analyse der über den Kirchenkampf hinausgehenden Haltung der Kirche wie auch der Theologie zur NS-Judenpolitik verstellt zu haben. Zudem war das durchgehende Thema des Kirchenkampfes nicht – wie die Forschung nach Scholder den Eindruck erweckt – die Judenfrage, sondern eigentlich die »Kirchenfrage«. Es ging nicht um das Verhältnis zwischen Christen und Juden, sondern um die Frage der »wahren Ekklesia« und die Autonomie der Kirche gegenüber dem Staat.¹¹

    Die älteren Überblicksdarstellungen zur Kirchengeschichte, die sich vorwiegend an einer Institutionengeschichte orientieren und die Ideologiegeschichte vernachlässigen, gehen letztlich davon aus, dass die Haltung der Kirche gegenüber dem NS-Regime als Versuch verstanden werden müsse, die eigene Institution zu schützen.¹² Zugespitzt führt dies zu der These, dass die Kirche, hätte das Dritte Reich länger gedauert, das »nächste Opfer« der NS-Politik geworden wäre.¹³ Unlängst konnte der Historiker Manfred Gailus in seiner sozialgeschichtlichen Fallstudie zu Berlin nachweisen, in welchem Maße das protestantische Kirchenmilieu selbst von nationalsozialistischen Auffassungen durchdrungen war.¹⁴ Daneben zeigen mehrere neuere Arbeiten, dass auch die Bekennende Kirche von antisemitischen Vorstellungen geprägt war.¹⁵ Allerdings wird durch die empirische Studie von Gailus ebenso deutlich, dass die historische NS-Forschung die theologischen Fragen und konfessionellen Zusammenhänge in ihrer Bedeutung zuweilen noch großzügig unterschätzt.

    Erst im Herbst 1988 haben zahlreiche Gedenkfeiern und Veröffentlichungen zur Erinnerung an das Judenpogrom vom 9./10. November 1938 das öffentliche Interesse erneut auf das Verhältnis und das Verhalten von protestantischer Theologie und Kirche gegenüber der antisemitischen Judenpolitik gelenkt.¹⁶

    Die dann 1990 von Marikje Smid veröffentlichte Studie Deutscher Protestantismus und Judentum 1932/1933 setzte diesbezüglich einen wichtigen Akzent: In ihrem Vergleich unterschiedlicher Strömungen innerhalb der Kirchengeschichte, sowie der Systematischen und Praktischen Theologie kann sie überzeugend zeigen, dass auch die im Luthertum wirksamen Vorurteile gegenüber Juden und dem Judentum nicht zwangsläufig zu einer Duldung und Unterstützung der nationalsozialistischen Judenpolitik führen mussten.¹⁷ Aber auch ihre Arbeit geht über das Jahr der Machtergreifung nicht hinaus. Eberhard Röhm und Jörg Thierfelder erweitern in ihrer vierbändigen Darstellung und Dokumentensammlung diesen engen Zeitraum. Sie dokumentieren anhand von Einzelschicksalen das Verhalten von Christen während der Judenverfolgung, besonders den Umgang der Kirche mit ihren sogenannten »judenchristlichen« Pfarrern und den getauften Juden.¹⁸ Erst 2001 findet schließlich das Werk von Scholder über die Kirchen im Dritten Reich seine Fortsetzung: Gerhard Besier präsentiert sie in seinem Buch über die Geschichte der beiden großen Kirchen zwischen 1934 und 1937.¹⁹ Ebenso akribisch wie sein Lehrer Scholder rekonstruiert Besier auf fast 1300 Seiten minutiös die Politik des NS-Regimes gegenüber den Kirchen. Besier widmet schließlich auch ein Kapitel der NS-Judenpolitik, worin aber auch er sich vor allem mit der Haltung der Kirchen gegenüber den zum Christentum konvertierten Juden und Jüdinnen, deren Selbstorganisationen (»Reichsverband der nichtarischen Christen«) und Hilfsorganisationen beschäftigt; er bleibt damit letztlich dem klassischen Themenkanon der Kirchenkampfgeschichtsschreibung verhaftet.²⁰

    Im Unterschied zu den kirchengeschichtlichen Forschungen zum Dritten Reich wird von der Theologiegeschichte, einer Sparte der systematischen Theologie, durch eine allzu binnentheologischen Perspektive oftmals der zeitgeschichtliche Kontext unterschlagen. Dennoch ermöglichten diese Arbeiten mit ihren oftmals akribischen (theologischen) Textanalysen mir als »Profanhistorikerin« – wie Theologen mich bezeichnen würden – einen Zugang zu den manchmal schwer erschließbaren Texten.²¹ Wie fruchtbar indes auch ein theologiegeschichtlicher Ansatz sein kann, zeigt Heinrich Assel, der die weltanschauliche Disposition der Lutherrenaissance, die in den 1920er Jahren ihren Anfang nahm und zu der auch Paul Althaus zählte, in Bezug zur NS-Ideologie setzt und ihre teilweise Kompatibilität mit dieser nachweist.²²

    Wegweisend sind nach wie vor die Arbeiten der Theologin Leonore Siegele-Wenschkewitz: Mit ihrer dezidiert interdisziplinären Studie über den Antisemitismus des Tübinger Neutestamentlers Gerhard Kittel setzte sie einen wichtigen Impuls in der Theologiegeschichte.²³ Aufsehen erregte ihre Studie auch deshalb, weil sie mit Kittel einen der prominentesten Theologen untersuchte und damit auch die Geschichte theologischen Fakultäten während der NS-Zeit ins Zentrum der Forschung rückte.²⁴ Ihr Ansatz wurde allerdings von der Theologiegeschichte nicht rezipiert. So sah sie sich fünfzehn Jahre später noch zu Recht zu ihrem Plädoyer veranlasst, die Interpretation theologischer Äußerungen nicht darauf zu beschränken, die innere Logik der protestantischen Polemik nachzuzeichnen, sondern vielmehr den Zusammenhang mit der rechtlichen, ökonomischen, sozialen und kulturellen Lage der jüdischen Gemeinschaft im Blick zu halten.²⁵

    Die weitgehende Marginalisierung der Haltung verschiedener protestantischer Richtungen gegenüber der NS-Judenpolitik in der Forschung scheint auf eine besondere perspektivische Verengung zurückzuführen zu sein: So beschränkte sich sogar die Forschung zur Glaubensbewegung der Deutschen Christen, deren deklariertes Ziel eine Synthese zwischen Christentum und Nationalsozialismus war und die ein explizit antisemitisches Programm vertraten, lange weitgehend auf eine organisationsgeschichtliche Perspektive.²⁶ Erst in der Studie der amerikanischen Historikerin Doris Bergen gelang es, die ideologische Zielsetzung der Deutschen Christen und ihre Position innerhalb der nationalsozialistischen Weltanschauung einzuordnen und Antisemitismus als zentralen Bestandteil dieser Weltanschauung nachzuweisen.²⁷ Der bereists erwähnte Robert P. Ericksen – auch ein amerikanischer Historiker – zeigte schließlich, dass die antisemitische Ideologie der Deutschen Christen durchaus zum mainstream der Theologie zählte und auch in der Universitätstheologie verankert war.²⁸ Möglicherweise brauchte die deutsche Forschung diese Impulse aus den USA, um die ideologische und personelle Verstrickung der theologischen Wissenschaften in die NS- Zeit aufzudecken. Wie in anderen Disziplinen verhinderten sicherlich auch in der Theologie die Abhängigkeitsverhältnisse von jungen Forschern und Forscherinnen zur Generation der Väter, die als Professoren den Zugang zur Wissenschaftscommunity verwalteten und selbst noch ideell oder durch direkte familiäre Loyalität mit der NS-Zeit verbunden waren, eine kritische Forschung. Dabei ist gerade in der protestantischen Theologie die dichte Vernetzung durch Verwandtschaftsverhältnisse besonders auffällig: Nachfolge der Söhne als Professoren, Heiraten innerhalb von Theologen- und Pastorenfamilien. Außerdem wird in keiner anderen Disziplin wie in der Theologie der Verortung der eigenen wissenschaftlichen Positionierung durch die Namen der akademischen Lehrer solche Bedeutung zugemessen, was alleine dadurch zum Ausdruck kommt, dass in kaum einer biografischen Notiz die Namen der Professoren fehlen, was in andern Disziplinen längst nicht so ausgeprägt ist. Darüber hinaus sind Wissenschaftler jedes Faches – sobald es um die Geschichte des Nationalsozialimus geht – nicht nur in Loyalität gegenüber ihrer Disziplin verhaftet, sondern selbst auch wieder in hohem Masse durch ihre persönliche Familienbiografie geprägt, die aber selten reflektiert geschweige denn transparent diskutiert wird.²⁹

    Inzwischen sind die theologischen Ansichten und kirchlichen Programme des radikalen Flügels der Deutschen Christen, als dessen markanteste Vertreter die sogenannten Thüringer Deutschen Christen gelten, in vieler Hinsicht erforscht.³⁰ Ebenso ist das 1939 mit Zustimmung von drei Vierteln der deutschen evangelischen Landeskirchen gegründete Eisenacher »Institut zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben« in den Fokus grundlegender Forschung genommen worden.³¹ Unterbelichtet ist aber jener Teil der Deutschen Christen, die als gemäßigt galten und die ihre Fühler auch zu konservativen Kräften innerhalb der Landeskirchen ausstreckten, um eine überkonfessionelle Nationalkirche zu realisieren. Paul Althaus war genau an dieser Grenze tätig: Er versuchte die moderaten Deutschen Christen für die »Mitte« zu gewinnen.

    Von dem 1888 geborenen Althaus heißt es in gängigen theologischen Lexika: Er war lutherischer Theologe ohne konfessionelle Enge und für alle bibelkritischen Probleme offen, aber extremen Positionen abgeneigt.³² Tatsächlich verband Althaus die Erneuerung des Erbes Luthers mit einer Offenheit für die zeitgenössischen Fragen der systematischen und historischen Theologie. Doch worin bestand diese Offenheit und wem gegenüber galt sie? Seine Ethik ist klar lutherisch orientiert: Die Lehre von zwei Reichen – dem geistlichen und dem weltlichen – war für ihn Grundlage seiner theologischen und politischen Ausrichtung.³³ Mit dem Dogmengeschichtler Werner Elert prägte Althaus den Ruf der Erlanger Fakultät als Hort des Luthertums. Seine Sozialethik wurde von ihm konsequent als Ethik der Ordnungen entfaltet. Althaus wirkte als Wissenschaftler nach 1945 weit über den Bereich der bayerischen Landeskirche hinaus und prägte eine ganze Theologengeneration entscheidend mit.³⁴

    Beim Evangelischen Kirchentag in Nürnberg im Jahr 1979 zeigte sich die besondere Brisanz dieses Themas beim Versuch, die antisemitische Verstrickung der Erlanger Theologie im Dritten Reich zu beleuchten.³⁵ Mitglieder der Theologischen Fakultät der Universität Erlangen beschäftigten sich dabei eingehend und kritisch mit ihrem bis dahin unter Laien häufig wenig bekannten Erbe, dem Gutachten zum Arierparagrafen der Erlanger Theologen Paul Althaus und Werner Elert aus dem Jahr 1933. Dieses Ereignis rief ein großes öffentliches Echo hervor und löste eine heftige Kontroverse aus. Im Jahr 1989 verursachte die Vergangenheit der Erlanger Fakultät erneut eine heftige Diskussion. Anlass war diesmal ein Aufsatz des Erlanger Kirchenhistorikers Berndt Hamm zur Erlanger Theologie im Nationalsozialismus mit dem Titel Schuld und Verstrickung der Kirche.³⁶ Damit sah der emeritierte Erlanger Kirchenhistoriker Karlmann Beyschlag seine akademischen Lehrer so verunglimpft, dass er sich zu einer scharfen Kritik provoziert fühlte.³⁷

    Mit der Studie Eine Frage der Rasse? von Axel Töllner liegt seit kurzem eine empirisch fundierte Forschungsarbeit zur Auswirkung des Arierparagrafen und des von Althaus mitverfassten Gutachtens auf die bayerischen Pfarrerfamilien mit jüdischen Vorfahren vor. Nebst der umfangreichen regionalgeschichtlichen Quellenarbeit liegt ein Akzent der Arbeit auf der Beleuchtung des damaligen theologie- und mentalitätsgeschichtlichen Klimas, das den Hintergrund für die Reaktionen auf die Forderung bildete, die Kirche dem NS-Staat entsprechend zu »arisieren«. Damit setzt Töllner einen expliziten Fokus auf die Bedeutung des Antisemitismus.³⁸

    Eine umfassende Biografie über Paul Althaus entsteht zur Zeit in Erlangen von dem Politikwissenschaftler Gotthard Jasper, dem der gesamte private Nachlass von Paul Althaus zur Verfügung steht. Hierbei wird erstmals auch der komplette Briefwechsel des Theologen mit einbezogen. Die frühesten Briefe, die Althaus als 18 bis 19-jähriger Student an seine Eltern schrieb, sind dabei aus historischer Sicht ein besonderer Fund. Sie dokumentieren die familiäre Tradition eines positiv kirchlich orientierten lutherischen Pfarrhauses und geben Eindruck vom Studentenleben und Theologiestudium in Tübingen zu Beginn des 20. Jahrhunderts.³⁹

    Roland Liebenberg widmet seine kürzlich erschiene Studie Der Gott der feldgrauen Männer der theozentrischen Erfahrungstheologie von Paul Althaus während Ersten Weltkriegs.⁴⁰ Diese innovative Arbeit erschließt unzählige bisher nicht bekannte Schriften von Althaus, die er in seiner Studienzeit und als Pfarrer in Łód veröffentlichte.⁴¹ Seine weit über einen theologischen Ansatz hinausweisende Vorgehensweise ermöglicht es, die mentalen Prägungen Althaus’ im Bildungsbürgertum und sein stark verinnerlichtes soldatisches Männerideal überzeugend darzustellen.

    Die 2007 erschienene materialreiche Studie von Roland Kurz zum Nationalprotestantischen Denken in der Weimarer Republik vergleicht die Schriften von drei prominenten Protestanten aus dem Bereich Universitätstheologie, Kirchenpolitik und Publizistik: Paul Althaus, Otto Dibelius und Wilhelm Stapel.⁴² Dabei scheut der Autor zuweilen die historisch-politische Kontextualisierung zugunsten einer vorwiegend theologischen Hermeneutik. In seinem Fazit stellt Kurz dann auch nicht die Ordnungstheologie von Althaus vor dem Hintergrund ihrer politischen Wirkung in Frage, sondern widerspricht ihr in erster Linie aufgrund der Nichtverifizierbarkeit der Beziehung zwischen Gott und der Weltgeschichte. Dabei verharmlost er Althaus’ fundamentalistische Forderung der totalen Hingabe an die göttliche Ordnung als »Fehleinschätzungen«. Kurz favorisiert zudem die Interpretation, dass die Wirkung von Althaus’ Ordnungstheologie als Wegbereiter für die NS-Ideologie »sicherlich nie in seiner Absicht lag«, ohne die vermeintliche Absicht wiederum verifizieren zu können.⁴³

    Meine Studie beginnt mit der Entnazifizierung der Theologischen Fakultät an der Universität Erlangen. Überraschenderweise war Paul Althaus zuerst Vorsteher des Entnazifizierungsausschusses, wurde dann jedoch selbst angeklagt und vorübergehend aus dem Universitätsdienst entlassen. Nach seinem Freispruch kehrte er unbeschadet schon ein Jahr später auf seinen Lehrstuhl zurück. Die Grundlage seiner Anklage bildeten zunächst zwei Bücher: Deutsche Stunde der Kirchen (1933) und Führertum und Obrigkeit (1936). Der Inhalt dieser Publikationen und ihre Bedeutung im Gesamtwerk von Althaus wird im Fortgang der Studie beleuchtet werden.

    Sein theologischer und (kirchen-)politischer Werdegang wird als Rückblende seit seiner Studienzeit (1906–1914) rekonstruiert, wobei die Frage nach der Kontinuität und den Brüchen in seiner ideengeschichtlichen Entwicklung im Zentrum steht. Die Rückblende beginnt mit der Studienzeit in Tübingen und Göttingen und beleuchtet seinen darauf folgenden Einsatz als Gouvernementpfarrer im besetzen Polen während des Ersten Weltkrieges. Wie erlebte der junge Akademiker im Grenzgebiet die Kultur der dort schon vor der Besatzung ansässigen Deutschen? Wie positionierte er sich als Theologe zum Krieg? Welchen ideologischen Strömungen fühlte er sich verpflichtet? Gibt es erste Anzeichen von Antisemitismus in seinen Schriften?

    In der Weimarer Zeit widmete sich Althaus der Entwicklung seiner bekannten Schöpfungstheologie. In Abgrenzung zu völkisch-radikaler oder rassistisch-gewalttätiger Diskriminierung von Juden formulierte er in einem Text von 1927 einen im Vergleich dazu »gemäßigten« Antisemitismus, den er euphemistisch als »Seelsorge am Antisemitismus« bezeichnete. Eine genaue Textanalyse nicht nur dieser sondern auch seiner ethischen Schriften will zeigen, worin die spezifische Qualität der von Althaus vertretenen politischen Theologie liegt. Bedeutsam für sein Geschichtsverständnis sind seine Beiträge zur Eschatologie, die ebenfalls einer kritischen Analyse unterzogen werden. Dabei wird in dieser Studie auch das weitverzweigte akademische Netzwerk von Althaus und das Klima an der Universität Erlangen beleuchtet: Auf welchem Nährboden entwickelte Althaus seine Theologie und in welchen Kreisen wirkte er?

    Wie stark Althaus die viel diskutierte Judenfrage beschäftigte, wird am Beispiel eines bisher in der Forschung m.W. nicht berücksichtigten Vortrages mit dem Titel Frage des modernen Evangeliums an das moderne Judentum, den er 1930 in der von ihm herausgegebene Zeitschrift für systematische Theologie veröffentlichte, seine antisemitische Haltung im Spiegel der Zeitgeschichte interpretiert werden.

    Dem revolutionären Umbruch im Geiste des Nationalsozialismus, der nach der Übergabe der Regierungsgewalt an Adolf Hitler am 30. Januar 1933 weite Teile der Gesellschaft erfasst, stellte sich auch Althaus. Sein theologisches Engagement für das herbeigesehnte Regime und seine kirchenpolitischen Aktivitäten werden hier hinsichtlich seiner Haltung zur NS-Judenpolitik reflektiert.

    Die Erlanger Theologie tat sich nach 1945 schwer mit einer kritischen Reflexion des Erbes ihrer theologischen Väter. Erst nach der Ausstrahlung der Fernsehserie »Holocaust« wagten junge Studierende der theologischen Fakultät ihre akademischen Lehrer mit Fragen zur ideologischen Verstrickung der Fakultät mit dem Nationalsozialismus zu konfrontieren. Wie sich Althaus nach Kriegsende zur Schulddebatte äußerte, wie er sein Konzept der »Volksgemeinschaft« in eine »Schicksalsgemeinschaft« umdeutete und dabei die Ideen der Ordnungstheologie beibehielt, ist Thema des abschließenden Kapitels.

    Als Grundlage nutzt die Studie in erster Linie das umfangreiche wissenschaftliche Opus sowie die populären Schriften und Predigten des Theologen und Kirchenpolitikers Paul Althaus. Wenn Althaus hier in seiner Rolle und Wirkung als Theologe beleuchtet wird, deute ich seine Texte im zeitgeschichtlichen Kontext, die Persönlichkeit von Althaus tritt dabei eher in den Hintergrund.⁴⁴

    Zuletzt sei bemerkt: In der Beschäftigung mit dem Dritten Reich, mit Antisemitismus und Judenverfolgung stellt sich immer wieder die Frage nach der wissenschaftlich korrekten Begrifflichkeit. Wie viele Anführungszeichen sind angemessen? Hinzu kommt, dass mit den Quellen ein theologisches Gedankengut in meine Arbeit hineinwirkt, das ebenso nach einer kritischen wissenschaftlichen Distanz verlangt. Ich habe mich entschieden, nur dann Anführungszeichen zu verwenden, wenn es mir anders nicht möglich ist, meine Distanz als Autorin zu den diskriminierenden zeitgeschichtlichen Begriffen oder zu den theologischen Glaubenskonzepten zum Ausdruck zu bringen.

    Die amerikanische Militärbehörde ließ sich von einem Zehnerausschuss, den sie Ende Mai 1945 eingesetzt hatte, über die politische Vergangenheit des Lehrkörpers unterrichten. Vorsitz hatte Paul Althaus, der hier rechts an der Stirnseite des Tisches zu erkennen ist.

    ¹   ERICKSEN, Theologen, 1986.

    ²   Einen Überblick zur älteren Forschung zu Protestantismus und modernem Antisemitismus bei BERDING, Antisemitismus, 1988, insb. S. 86–226; basierend auf einer umfangreichen Analyse von kirchlichen Amtsquellen und protestantischem Schrifttum verschiedenster Provenienz zeichnet Heinrichs mentalitätsgeschichtlich das »Judenbild« im Protestantismus des Deutschen Kaiserreichs nach: HEINRICHS, Judenbild, 2000; zum Antisemitismus in der völkischen Ideologie: BREUER, Ordnung, 2001, insb. S. 327–369.

    ³   KATZ, Kontinuität, 2001; zur Bedeutung der Begrifflichkeit: HEIL, Antijudaismus und Antisemitismus.

    ⁴   FRIEDLÄNDER, Reich, 1999, S. 98; vgl. auch WALZ, Antisemitismus, 1995, S. 747.

    ⁵   Der Zusammenhang von Nationalismus und Antisemitismus wird erstmals systematisch analysiert bei HOLZ, Antisemitismus, 2001.

    ⁶   Der Begriff »Antisemitismus« wird im folgenden ganz allgemein als Sammelbegriff für negative Stereotype über Juden, für Ressentiments und Handlungen, die gegen einzelne Juden als Juden oder gegen das Judentum insgesamt sowie gegen Phänomene, weil sie jüdisch seien, gerichtet sind, verwendet. Zur grundlegenden Definition des Begriffs Antisemitismus vgl. auch BENZ, Antisemitismus, 2004, S. 234–241.

    ⁷   In ihrem historiografischen Überblick kritisieren Ericksen und Heschel insbesondere den fehlenden Einbezug der Antisemitismusforschung und fordern eine Einbindung der Geschichte der Kirchen in die allgemeine Sozialgeschichte. ERICKSEN/ HESCHEL, Churches, 1994.

    ⁸   MARCUSE, Cohorts, 2001. Anwendung des Kohorten-Konzepts auf die autobiografischen Zeugnisse deutscher Theologen – eine vernachlässigte Quellengattung in Theologiegeschichte – bei: KRONDORFER, Nationalsozialismus, 2006. In den Sozialwissenschaften wird unter einer »politischen Kohorte« eine bestimmte Altersgruppe verstanden, die aufgrund einer politisch formativen Lebensphase und bestimmter Schlüsselereignisse gemeinsame »Einstellungen, Verhaltensdispositionen und Handlungspotentiale« teilt, mit der sie die politische Ordnung und Wirklichkeit beurteilt. Vgl. FOGT, Generationen, 1982.

    ⁹   Auf diesen Umstand weist 1990 schon Rainer Hering in seiner Übersicht zum Forschungsstand hin. HERING, Wissenschaft, 1990, S. 20. Ino Arndt legte 1960 eine Dissertation in der er den Antisemitismus der evangelischen Sonntagsblätter von 1918–1933 untersuchte und kam zu einem deutlichen Ergebnis: Die evangelische Presse half in großem Umfang mit breits in der Weimarer Republik, Juden als »artfremde Rasse«, als »minderwertige Menschen« u. v. m. zu brandmarken. Mit der Kirchenpresse wurden doppelt so viele Leser wie Gottesdienstbesucher erreicht. ARNDT, Judenfrage, 1960.

    ¹⁰  Der erste Band Vorgeschichte und die Zeit der Illusion 1918–1934 erschien 1977. Der zweite Band stellt die entscheidenden Weichenstellungen des protestantischen Kirchenkampfes, die Bildung der Bekennenden Kirche sowie die Synoden von Barmen und Dahlem dar. Der Band Das Jahr der Ernüchterung 1934 Barmen und Rom erschien 1985. Das über 1000-seitige Werk beschreibt schwerpunktmäßig die protestantische Kirche, nimmt aber auch die katholische Seite angemessen in den Blick. SCHOLDER, Kirchen, 2 Bd., 2000.

    ¹¹  Vgl. die Kritik am Kanon der Kirchenkampfgeschichtsschreibung SIEGELE-WENSCHKEWITZ, Wissenschaft, 1980, S. 15.

    ¹²  Beispielsweise bei CONWAY, Kirchenpolitik, 1969. Bemerkenswert allerdings, dass diese 1968 in Englisch erschienene Arbeit – im Gegensatz zu Scholder – bereits die gesamte Zeit des Dritten Reiches untersucht.

    ¹³  Beispielsweise bei SCHOLDER, Kirchen 1, 2000; auch HELMREICH, Churches, 14 1979.

    ¹⁴  GAILUS, Protestantismus, 2001. Von dieser Durchdringung ist wenig erkennbar bei BESIER, Kirchen, 2001.

    ¹⁵  Zum Antisemitismus der Bekennenden Kirche vgl. GERLACH, Zeugen, 1993; BÜTTNER/GRESCHAT, Kinder, 1998.

    ¹⁶  Jochen-Christoph Kaiser stellte in der Einleitung zu dem von ihm und von seinem Kollegen der Kirchengeschichte, Martin Greschat, herausgegebenen Sammelband gar fest, dass das Thema nur ansatzweise aufgearbeitet sei. Verhältnis von Kirche KAISER/GRESCHAT, Holocaust, 1988, S. IX.

    ¹⁷  Smid zeigt dies am wohl berühmtesten Vertreter der Bekennenden Kirche: Dietrich Bonhoeffers entschiedene Wendung gegen die Judendiskriminierung im April 1933 zeigen, dass er sich von den ersten antisemitischen Maßnahmen des NS-Staates an auf einem anderen Weg befand als seine lutheranischen Kollegen. SMID, Protestantismus, 1990, insb. S. 415–454.

    ¹⁸  RÖHM/THIERFELDER, Juden, 1990–2004.

    ¹⁹  BESIER, Kirchen, 2001.

    ²⁰  Ebd., S. 807–902.

    ²¹  Empfehlenswert für den Laien ist die ausgezeichnete einführende Theologiegeschichte zur Systematischen Theologie, die den zeithistorischen Kontext überzeugend einbezieht. FISCHER, Theologie, 1992. Andere theologische Arbeiten, aber eher hagiografischen Genres, sind entsprechend in den Fußnoten kommentiert.

    ²²  ASSEL, Aufbruch, 1993.

    ²³  SIEGELE-WENSCHKEWITZ, Wissenschaft, 1980.

    ²⁴  SIEGELE-WENSCHKEWITZ/NICOLAISEN, Fakultäten, 1993; MEIER, Fakultäten, 1996; ERICKSEN, Fakultät, 1998.

    ²⁵  SIEGELE-WENSCHKEWITZ, Wissenschaft, 1995, S. 628.

    ²⁶  Bei Kurt Meier fehlen Fragen nach der Ideologie der Deutschen Christen und ihrer Verwurzelung in der protestantischen Theologie. MEIER, Christen, 1967; marginal behandelt ist der Antisemitismus der Deutschen Christen bei SONNE, Theologie, 1982; ebenso auf die Organisationsgeschichte und den Kirchenkampf beschränkt bleibt die schon 1978 erschienene Regionalstudie zu Bremen: HEINONEN, Anpassung 1978.

    ²⁷  BERGEN, Cross, 1996.

    ²⁸  ERICKSEN, Theologen, 1986; Die Haltung von prominenten Kirchenvertretern zum Antisemitismus bleibt beispielsweise in den Untersuchungen zum Reichsbischof Ludwig Müller und zu Heinrich J. Oberheid, Landesbischof im Rheinland, größtenteils ausgeklammert. SCHNEIDER, Reichsbischof, 1993; FAULENBACH, Oberheid, 1993; Untersuchungen zu Institutionen wie etwa dem Reichskirchenministerium und der Leitung der Deutschen Evangelischen Kirche hinsichtlich ihrer Haltung zur NS-Judenpolitik fehlen weiterhin.

    ²⁹  Die Historikerin Hanna Schissler weist auf die damit einhergehende methodische Verengung in der historischen Zeitgeschichte, die sich im

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