Der will nur spielen
By Manuel Rubey
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About this ebook
Manuel Rubey schreibt seit Jahren nur über die Dinge, die mit ihm zu tun haben, die er beobachtet, mit denen er sich auskennt. Dann überlässt er seiner Füllfeder das Steuer und lässt sich von der Kreativität umarmen – denn nur so hat das Ganze einen Sinn. Sein Publikum vergisst er dabei nie: Immer wieder animiert er uns, zum Beispiel mal in ein paar gute Stifte zu investieren oder jeden Tag eine Seite zu schreiben ...
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Book preview
Der will nur spielen - Manuel Rubey
1
Prolog
Das Telefon läutet. Ich weiß eh, wer dran ist, aber ich melde mich mit:
MANUEL
Ja bitte?
DIE VERLEGERIN
Hallo, mein lieber Bestseller. Wie geht es denn mit dem Schreiben voran?
MANUEL
Na ja.
DIE VERLEGERIN
Wir wollen es gerne in den Herbstkatalog geben, dein neues Buch. Das wäre doch schön!
MANUEL
Eh. Voll.
DIE VERLEGERIN
Also?
MANUEL
Ich glaube, irgendwas stimmt mit der Abrechnung nicht.
DIE VERLEGERIN
Wieso? Was meinst du?
MANUEL
Die Abrechnung des »Bestsellers« meine ich.
DIE VERLEGERIN
Was meinst du? Da muss ich bei der Buchhaltung nachfragen.
MANUEL
Ich meine, ich war nie gut in Mathe, aber ich habe einmal nachgerechnet. Wir haben wie viele Bücher verkauft?
DIE VERLEGERIN
Um die 25.000.
MANUEL
Genau. Das Buch kostet dreiundzwanzig Euro.
DIE VERLEGERIN
Wenn du das sagst. Das weiß ich jetzt nicht genau.
MANUEL
Doch, ist so.
DIE VERLEGERIN
Nun?
MANUEL
23 mal 25.000 macht 575.000 Euro.
DIE VERLEGERIN
Toll! Viel Geld ist das.
MANUEL
Korrekt. Weißt du, wie viel ich davon bekommen habe?
DIE VERLEGERIN
Nun?
MANUEL
15.000.
DIE VERLEGERIN
Nun?
MANUEL
Ich weiß zwar, dass es wohl rechnerisch stimmt, aber trotzdem habe ich das Gefühl, ihr habt mich da um eine Null betrogen.
DIE VERLEGERIN
Wieso?
MANUEL
Also, 15.000 klingt erst mal gut. Aber die Hälfte kriegt die Steuer, bleiben 7.500, dann gehen 1.500 für die Sozialversicherung weg. Bleiben 6.000 Euro über. Ach ja, die Kinder bestehen auch auf einem Anteil, weil ich so viele Zitate von ihnen verwendet habe. Bleiben in etwa 5.000. Wenn ich sage, dass ich ein Jahr lang jeden Tag zwei Stunden daran geschrieben habe, dann sind das 365 mal zwei ist 730 Stunden, folglich 5.000 dividiert durch 730. Bleibt ein Stundenlohn von 6,8493 Euro. Immerhin. Unserer Putzfrau zahle ich 13 Euro. Schwarz.
DIE VERLEGERIN
Ja, aber Schreiben ist auch schöner als Putzen.
33 wichtige Charaktere, die in diesem Buch mitspielen
2
Ich ziehe ein frisches Hemd an
Heute startet meine Tour durch Österreich. Ich werde ein Jahr lang das Land bereisen. Ein erster Arbeitstitel drängt sich auf: Der Charme der Peripherie. Ich sitze im Zug nach Attnang-Puchheim, wo ich mein erstes Buch in Form einer musikalischen Lesung vorstellen soll. Ich bin ein wenig nervös und unausgeschlafen. Anfangen ist immer schwer. Aber es warten in den nächsten Monaten über hundert Shows auf mich und da muss ich jetzt liefern. Lesungen, Konzerte und Kabarettauftritte. Am liebsten würde ich keine Genrebezeichnung aufs Plakat schreiben, aber wir leben in Österreich, da braucht alles seinen Stempel.
Ich habe meinen Kindern versprochen, dass ich die Tour möglichst mit dem Zug fahre. Nur an die Orte, wo es wirklich nicht anders geht, darf ich mit dem Auto fahren. Ich setze mich in den Speisewagen, bestelle Spritzwein und schaue mich um. Wir werden im Alltag ständig mit Gesprächsfetzen konfrontiert, die wir zufällig aufschnappen und ganz oft aber nicht hören wollen. Dennoch brauchen wir dieses wirkliche Leben als Türöffner für die Fantasie. Heute habe ich Glück und der Zufall serviert mir tatsächlich eine gute Geschichte. Am Nebentisch sitzen zwei Frauen und trinken Mineralwasser. Die eine erzählt der anderen gerade:
FRAU IM ZUG
Der Jakob hat gestern beim Zähneputzen gesagt, dass er seiner Kindergartenfreundin versprochen hat, sie zu heiraten. Ich habe ihn gefragt, warum. Jakob hat gesagt: Sie wollte es, und mir ist es wurscht.
Pragmatismus de luxe. Das nehme ich mir als Motto für die nächsten hundert Tage, die vor mir liegen. Wochen in trostlosen Hotels, vor abgestandenen Wurstplatten und witzlosen Veranstalteransprachen (»Das Einzige, was hier bei uns ansteckend ist, ist das Lachen«), obwohl im Vertrag ausdrücklich darauf hingewiesen wurde, dass ich keine Ansprachen dulde. Wir sind aber in Österreich und da sind Verträge bloß Empfehlungen, juristische Spitzfindigkeiten. Es warten aber auch Wochen voller Freude, voller Dankbarkeit, weil es ein Privileg ist, davon zu leben, was man sich beim Spielen ausgedacht hat. Die Landschaft zieht vorbei. Schön ist dieses eigenartige Land ja schon. Beinahe übersehe ich es auszusteigen. Leicht beschwipst stolpere ich mit zwei Koffern und meiner Gitarre auf den Bahnsteig. Ein junger Mann steht da und sieht mich ein bisschen so an, wie wenn Phil Dunphy in Modern Family in die Kamera schaut. Plötzlich grinst er und sagt:
JUNGER MANN AM BAHNSTEIG
Sie sind der Florian Scheuba.
MANUEL
Nein.
JUNGER MANN AM BAHNSTEIG
Doch.
Dann dreht er sich um und geht. Im Verschwinden sagt er noch:
JUNGER MANN AM BAHNSTEIG
Ich bin auch Musiker, Jazzgitarrist.
Ich kenne den Satiriker Florian Scheuba natürlich. Aber persönlich kaum. Noch nie wurde ich mit ihm verwechselt. Lustigerweise haben wir aber einen Hund von der Familie Scheuba übernommen. Das hat sich über einen gemeinsamen Bekannten so ergeben und würde hier jetzt den Rahmen sprengen. Aber unser Familienhund kommt tatsächlich aus dem Hause Scheuba. Ich denke, dass es lustig wäre, wenn ich dem jungen Mann erklären würde, dass ich zwar nicht Florian Scheuba bin, aber seinen Hund habe. Das würde ihn aber wohl verwirren und die Zeiten sind ohnehin schon verwirrend genug. Ich stapfe also los. Der Veranstalter hatte zwar versprochen, mich vom Bahnhof abzuholen, aber die Nummer stimmt nicht und es wartet auch niemand auf mich. Was sind schon zweieinhalb Kilometer mit zwei Koffern?! Ich mache mich also auf den Weg. Es ist alles sehr geräumig, und weil es ja neben der Schnellstraße eher nur Gegend und Windräder gibt, geizt man gerne mit Gehwegen. Es ist ein Parcours de force. Immer wieder muss ich die Straßenseite wechseln, weil Wege plötzlich zu Ende sind. Das erinnert mich an Wien. Da baut man auch tolle Radwege und diese enden dann aber irgendwo plötzlich oder münden in eine mehrspurige Straße. Man fährt gemütlich den Radweg entlang und ist von einer Sekunde auf die andere plötzlich Verkehrssünder, weil der Weg dann doch Autofahrbahnen weichen muss. Angst vor der eigenen Courage, oder doch der Versuch, es allen recht zu machen?
Es strengt mich ganz schön an. Das Gehen und die Vorstellung, was heute und in den nächsten Wochen vor mir liegt. Vielleicht tue ich immer noch viel jünger, als ich bin. Speziell wenn ich auf Tour bin, mute ich meinem Körper Dinge zu, die schon mit Anfang zwanzig nicht besonders klug waren. Vielleicht bin ich deswegen oft so deprimiert. Weil ich 43 Jahre alt bin und meine Sterblichkeit nicht nur nicht begreife, sondern immer noch nicht akzeptiert habe. Letzte Woche ist mir ein Gedichtband von Clemens Eich, dem so früh verstorbenen Sohn von Ilse Aichinger, in die Hände gefallen. Da heißt es:
CLEMENS EICH
Man wird ganz plötzlich alt.
Bist du mit dem Kranich davon?
Man wird ganz plötzlich alt. Das ist die größte Wahrheit, die ich seit langer Zeit gehört habe. Hinter den Windrädern geht eine glutrote Sonne unter. Warum bin ich hier und nicht in Cannes? Warum hat es nicht gereicht für den Nightliner? Warum ist es immer noch ein Kastenwagen oder ein Speisewagen? Warum bin ich immer unzufrieden? Warum werden weiße Handtücher von gewaschenen Händen schmutzig? Was macht der Wind, wenn er nicht weht? Wo hört der Himmel auf? Wann ist es zu spät?
Die österreichische Provinz hat mir Perlen beschert, die woanders so nicht möglich wären. Es gibt zum Beispiel einen Auftrittsort in Oberösterreich, wo es immer so spät wird, dass die Sonne längst wieder aufgegangen ist, obwohl wir uns immer vornehmen, um Mitternacht ins Bett zu gehen. Aber sobald man da ankommt, wird man verschluckt. Vielleicht weil es draußen immer schneit, wenn wir dort sind, und der Kamin im Backstage echt ist und mit wirklichem Holz geheizt wird und immer so eifrig nachgeschenkt wird? Einmal hängte ich eine nasse Hose vor dem Kamin in der Garderobe auf. Sie ist beinahe vollständig verbrannt. Als wir einmal einen anderen Techniker mithatten und ihm von diesem Ort erzählten, meinte er nur, dass er sicher vor Mitternacht schlafen würde, weil er dies immer tue. Beim Frühstück trafen wir ihn wieder. Sein Hals war starr. Er sah aus wie ein Hund mit Halskrause. Niemand konnte sich an die vergangene Nacht erinnern. Auf die Frage, was denn mit seinem Hals passiert sei, sagte er nur, dass ihm der Weg von der Eingangstür seines Zimmers bis zum Bett so lange erschienen sei, dass er auf halber Strecke eine Pause machen musste und wohl am Boden eingeschlafen sei.
Einmal lud mich ein geschätzter, älterer Kollege ein, seiner Verleihung zum Kammerschauspieler beizuwohnen. Da wir gerade in der Steiermark auf Tour waren und ich an diesem Tag frei hatte, fuhr ich die ca. fünfzig Kilometer in seinen Heimatort, in dem er ein Kulturhaus betreibt und die Ehrung stattfand. Der Landeshauptmann persönlich fuhr mit Entourage vor und hatte aber wohl keine genauen Kenntnisse, wen oder was er hier laudatieren sollte. Nach einigen Allgemeinsätzen über die Bedeutung von Kultur drohte der Fürst sich zu verzetteln. Dann fiel der große Satz:
DER LANDESHAUPTMANN
Ich bin do angeblich in einem der wichtigsten Weinbaugebiete der Weststeiermark, aber ich spür’s noch nicht!
Man reichte Weißwein und der Abend fand einen harmonischen Ausklang. Irgendwo habe ich einmal den guten Satz gehört, dass es die Aufgabe der Politik sei, Komplexität zu moderieren und nicht von oben herab zu agieren. Mit viel Wohlwollen könnte man diese Ansprache so interpretieren.
Wenn Jugend und Provinz zusammentreffen, kann es hart, aber auch so schön sein. Der Mischer der Band Mondscheiner hatte einmal einen schweren Unfall. Mehrere Operationen später war immer noch nicht klar, ob er jemals würde wieder gehen können. Die Heilung schritt glücklicherweise gut und zügig voran. Ein Jahr später konnte er es. Sein erstes Konzert nach der langen Auszeit mischte er in der Cselley