Die Energiewende ist eine Menschenwende.: Mit Interviews von: Dr. Franz Alt, Prof. Dr. Volker Quaschning und Dr. Ingrid Nestle, MdB
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About this ebook
»Alles, was wir an Problemen haben, ist schon deshalb lösbar, weil sie von Menschen geschaffen worden sind.«
Dr. Franz Alt, Autor und Fernsehjournalist
»Wir brauchen eine echte Energierevolution anstelle einer lauen Energiewende.«
Prof. Dr. Volker Quaschning, Wissenschaftler und Autor
»Der Zubau der erneuerbaren Energien ist viel zu schwach und hat in den letzten Jahren sogar abgenommen. Diesen Trend gilt es zu stoppen.«
Dr. Ingrid Nestle, Mitglied des Deutschen Bundestages
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Book preview
Die Energiewende ist eine Menschenwende. - Dr. Claus Hartmann
1 Warum brauchen wir die Energiewende?
Warum brauchen wir überhaupt die Energiewende? Diese Frage kann in meinen Augen nur beantwortet werden, wenn wir uns überlegen, wie unsere Zukunft ohne Energiewende aussehen würde. Da es sich hierbei natürlich um Prognosen handelt, sind diese fehleranfällig und per se ungenau – jedoch haben wir für die Zukunft häufig keine bessere Möglichkeit diese vorherzusagen. Deswegen gehen wir in diesem Kapitel etwas genauer auf das Thema Klimawandel ein.
Eine andere Möglichkeit neben der Verwendung von Szenario-Berechnungen oder anderer wissenschaftlicher Methoden ist die Verwendung der eigenen Intuition. Das mag für dich zunächst etwas befremdlich klingen, da wir es ja gewohnt sind, dass wir unsere Wahrheiten über die Wirklichkeit gerne mittels neutral gemessener Daten bestimmen wollen. Häufig gibt uns unsere eigene Intuition jedoch einen Hinweis darauf, was für uns und womöglich die ganze Menschheit das richtige Vorgehen ist. Deswegen starte ich mit einer kurzen persönlichen Hinführung, wie ich in meinem Leben zur Energiewende gefunden habe.
1.1 Persönliche Hinführung
Die ersten 18 Jahre meines Lebens waren von der Landwirtschaft geprägt. Die meisten Jahre davon hatte mein Vater Milchkühe, die morgens und abends gemolken wurden, sodass wir den Begriff Urlaub nicht kannten. Das habe ich als Kind jedoch nie vermisst, denn du vermisst nichts, was du nicht kennst. Als ich dann im Alter von 19 Jahren das erste Mal mit meiner späteren Frau Sabrina im Urlaub war, habe ich jedoch gemerkt, wie schön ein Urlaub sein kann.
So ähnlich war es mit einer anderen zentralen Erkenntnis, die ich mir erst Jahre später bewusst gemacht hatte, als ich schon gar nicht mehr auf dem elterlichen Hof in Groß Vollstedt gelebt habe: Als Landwirt denkst du unweigerlich nachhaltig. Zum einen hat ein Landwirt in seinem Leben nur 40 Versuche – 40-mal darf er auf seinen Feldern etwas aussäen und im Idealfall im kommenden Jahr eine reichhaltige Ernte einfahren. Das bedeutet, dass mein Vater in der Regel keine vorschnellen Entscheidungen getroffen hat und dass er jede neue Idee wohl abgewogen hat. Noch extremer ist es mit den Investitions-entscheidungen: Bei diesen Entscheidungen ist es meistens so, dass diese über die eigenen 40 Zyklen hinausreichen und dass womöglich erst die nachfolgende Generation die Früchte dieser Entscheidungen ernten wird. Das sind Denkansätze und Verhaltensweisen, die wir heute in der Energiewirtschaft dringend benötigen. Denn hier denken wir mittlerweile zu häufig in Jahresplänen oder maximal in 5-Jahres-Strategien.
Was in der heutigen Zeit hinzugekommen ist und Entscheidungen erschwert, ist das Thema Variantenvielfalt. Auch in meinem Leben hat sich die Variantenvielfalt bemerkbar gemacht und ich habe als erster Hartmann-Erstgeborener seit dem 17. Jahrhundert nicht unmittelbar den Beruf des Landwirts ergriffen. Sei es aus Protest, etwas anderes machen zu wollen oder aus der Erkenntnis heraus, dass ein Hof mit knapp 50 Hektar wenig zukunftsträchtig ist. So ging ich zur Daimler AG, um dort im dualen Studium Wirtschaftsingenieurwesen zu studieren – eine vermeintlich freie Entscheidung, die sicherlich nur unwesentlich davon geprägt war, dass ich in meinen 18 Jahren davor immer mit einem Mercedes gefahren worden bin. Doch zum freien Willen kommen wir später noch genauer, denn auch dieser hängt mit der Energiewende in meinen Augen zusammen.
Nachdem ich die sechs Semester Studium und die sechs abwechslungsreichen Praktika in unterschiedlichen Abteilungen wirklich genossen habe, war ich dann im Oktober 2005 endlich am vermeintlichen Ziel: Ich war Qualitätsingenieur für den Bereich Rohbau im Werk Sindelfingen. Jeden Monat gab es ein sicheres und (aus damaliger Sicht) üppiges Gehalt und ich hatte schon gleich richtig viel Verantwortung – zumindest für einen Großkonzern: Für über 50 Kollegen durfte ich festlegen, wie die Rohbauqualität von C-Klasse, E-Klasse und S-Klasse geprüft wird und in Qualitätsforen mit richtig wichtigen Führungskräften im Rohbau diskutieren, ob sie einen guten Job gemacht haben. Viele Menschen an meiner Stelle hätten es sich hier gemütlich eingerichtet: Firmenwagen, Hausbau, Familiengründung, beim Daimler bis zur Rente bleiben. Ich hatte jedoch ein Störgefühl: Jeden Morgen, wenn ich meinen blauen Audi A3 auf dem Mitarbeiterparkplatz außerhalb vom Werk abgestellt habe und um kurz vor 7:00 Uhr auf dem Weg zu unserer Frühbesprechung war, bin ich an der Halle vorbeigegangen, wo die fertig montierten Autos im Minutentakt herausgefahren worden: Mal ein E 400 CDI, dann ein S 500, vielleicht auch mal ein CL 600 – der Inbegriff höchster Ingenieurskunst. Und dann habe ich bei mir gespürt, dass das doch nicht die Zukunft der Mobilität sein kann, dass wir Menschen uns mit bestenfalls knapp unter 10 Litern Spritverbrauch und schlimmstenfalls mit mehr als 20 Litern Spritverbrauch durch die Gegend bewegen. Und vor allem habe ich gespürt, dass es nicht meine Zukunft ist. Denn ich hatte ja in der Landwirtschaft gelernt, was es bedeutet, sich nachhaltig zu verhalten.
Es gibt im Leben keine Zufälle, sondern es fällt dir immer das zu, was fällig ist.
Wie ich später von Dieter Lange gelernt habe, gibt es im Leben keine Zufälle, sondern es fällt dir immer das zu, was fällig ist – und so habe ich nach nur wenigen Monaten als Qualitäts-ingenieur in der Nachbargemeinde Rottenburg am Neckar das Studium »Nachhaltige Energietechnik und Energiewirtschaft« für mich gefunden und aufgenommen sowie zum Teilzeit-Qualitätsingenieur umgestellt. Auf einmal passte für mich alles zusammen: Endlich konnte ich mit dem, was ich tagsüber machte, die Welt retten. Das Studium flog an mir vorüber. Nachdem wir wieder im hohen Norden waren, ging die Promotion an der Universität Flensburg (zumindest im Nachhinein betrachtet) leicht von der Hand und auch die ersten Jahre bei den Stadtwerken Flensburg waren ein Geschenk, da es darum ging, wie wir das Heizkraftwerk Flensburg bis 2050 CO2-neutral bekommen. Ein Highlight in diesen Jahren war sicherlich der Bau des ersten Elektrokessels zur Erbringung von Regelenergie in Deutschland – doch dazu später noch mehr, was dabei alles so schiefgehen kann.
Und auch hier ist die Frage erlaubt, warum ich mich dann als jüngster Abteilungsleiter der Stadtwerke Flensburg nach sieben Jahren zum jüngsten Ex-Abteilungsleiter gemacht habe und nicht zumindest diesen Job artgerecht bis zur Rente durchgezogen habe. Hierfür gibt es für mich mindestens zwei gute Gründe: Zum einen habe ich für mich erkannt, dass ich in meinem Berufsleben regelmäßige Abwechslung benötige: Da war ein BA-Studium mit dreimonatigem Praktikum perfekt – die Stadtwerke Flensburg wollten und konnten jedoch nicht im gleichen Intervall die Führungskräfte rollieren lassen. Zum anderen erkannte ich in mir ein Bild, das mich seitdem in meinem Leben unheimlich antreibt und regelmäßig Tränen in meine Augen treibt: Wenn ich im Jahr 2055 mit meiner Frau Sabrina unsere goldene Hochzeit feiere, sehe ich uns auf einer Holzbank unter einem großen, alten Baum sitzen. Und auf dem grünen Rasen spielen unsere drei Kinder Bjarne, Milena und Valentina mit ihren Kindern. In dem Moment möchte ich eine Frage nicht gestellt bekommen, ohne sie adäquat beantworten zu können: »Opa, warum hast du nichts für den Erhalt unserer Lebensgrundlagen getan, obwohl du alle Talente und alle Fähigkeiten dafür in dir hattest?«
Opa, warum hast du nichts für den Erhalt unserer Lebensgrundlagen getan, obwohl du alle Talente und alle Fähigkeiten dafür in dir hattest?
Deswegen habe ich eine Entscheidung getroffen: Nämlich, dass ich meine bequeme Anstellung bei den Stadtwerken Flensburg verlassen muss und meine wahren Talente finden werde und diese zum Wohl der Menschheit einsetzen werde.
Denn Pablo Picasso hat schon gesagt: »Der Sinn des Lebens besteht darin, deine Gabe zu finden. Der Zweck des Lebens ist, sie zu verschenken.« Deswegen begleite ich seit Juli 2020 den nachhaltigen Wandel in der Energiewirtschaft in Form von Vorträgen, Workshops und Beratungen und gehe erst in Rente, wenn die Energiewende erfolgreich abgeschlossen ist.
Der Sinn des Lebens besteht darin, deine Gabe zu finden. Der Zweck des Lebens ist, sie zu verschenken.
Nach dieser sehr persönlichen Einführung möchte ich dir in den folgenden Kapiteln näherbringen, warum wir die Energiewende überhaupt benötigen. Denn in meinen Augen ist die Energiewende mehr als ein Instrument, um dem Klimawandel zu begegnen: Wir brauchen die Energiewende, um die Zukunft der Menschheit auf diesem Planeten zu ermöglichen.
1.2 Der Mensch hat Einfluss auf den Klimawandel
Seitdem in der Mitte des 19. Jahrhunderts die Menschheit begonnen hat, regelmäßig Lufttemperaturen zu messen, ist die mittlere Welttemperatur um rund 1,2 °C angestiegen (vgl. Abbildung 1).
Abweichung der globalen Lufttemperatur vom Durchschnitt der Jahre 1850 bis 1900*
Abbildung 1: Abweichung der globalen Lufttemperatur vom Durchschnitt der Jahre 1850 bis 1900 [UBA, 2021]
Hierbei ist es wichtig, darauf hinzuweisen, dass es sich dabei um den Mittelwert aller globalen Messstationen handelt. Denn mancherorts sind die Temperaturen stärker angestiegen, so zum Beispiel in Deutschland um 1,6 °C, sodass es andere Regionen geben muss, wo der Anstieg bislang weniger stark ausgefallen ist. Das mag zunächst wenig klingen, doch sind die 19 wärmsten Jahre alle nach dem Jahr 2000 aufgezeichnet worden. Das bedeutet für mich, dass wir in den letzten Jahren einen ganz klaren Trend haben, den du vielleicht auch schon ein Stück weit wahrgenommen hast: Hatten wir früher nicht häufiger und mehr Schnee? Müssen wir heute unsere Gärten nicht länger und intensiver im Sommer wässern? Hat sich die Vegetationszeit nicht in den letzten Jahren immer mehr ausgedehnt, sodass die Landwirte zum Teil schon zwei Ernten im Jahr einfahren?
Auch wenn man in die weitere Vergangenheit schaut, erkennt man, dass dieser Temperaturanstieg in der Erdgeschichte einzigartig ist. Für diese Zeiträume existieren freilich keine Temperaturmessungen, doch mithilfe von Analysen von abgelagerten Sedimenten oder Eisbohrkernen, die das Eis von vielen Tausend Jahren beinhalten, können Aussagen für vergangene Zeiten vorgenommen werden. In der Antarktis ist Eis geborgen worden, das bis zu 800.000 Jahre alt ist.
In Abbildung 2 ist für die vergangenen 350.000 Jahre dargestellt, wie sich die Temperaturen und parallel dazu die CO2-Konzentration in der Atmosphäre entwickelt hat. Es ist deutlich zu erkennen, dass es eine parallele Entwicklung dieser Kurven gibt. Die Wissenschaft ist sich jedoch recht sicher, dass in der Vergangenheit vor 1800 die Temperaturanstiege erst in der Folge zu einer Erhöhung der CO2-Konzentration in der Atmosphäre geführt haben, die dann wiederum durch den Strahlungsantrieb eine weitere Temperaturerhöhung unterstützt hat. Unter dem Strahlungsantrieb versteht man die Wirkung des CO2 auf den Treibhauseffekt.
Abbildung 2: Verlauf der Temperatur in der Antarktis (blau) und der globalen CO2-Konzentration (grün) der letzten 350.000 Jahre [Rahmstorf und Neu, 2004, S. 2]
Der Treibhauseffekt an sich ist erst mal sogar gut für das Leben auf der Erde: Nur durch die Zusammensetzung unserer Atmosphäre erhöht sich die mittlere Oberflächentemperatur um rund 33-36 °C. Ohne den Treibhauseffekt hätten wir im Schnitt Minusgrade an der Erdoberfläche [Rahmstorf und Schellnhuber, 2007, S. 31]. In Laborversuchen ist überdies eindeutig nachgewiesen worden, dass mehr CO2 zu einem Anstieg des Treibhauseffekts führt, der dann wiederum zu einem weiteren Temperaturanstieg führt.
Natürlich gibt es an dieser Stelle auch andere Meinungen, die ich hier gar nicht unerwähnt lassen möchte. Diese sogenannten Klimawandelskeptiker gehen zum Teil davon aus, dass es gar keinen Klimawandel gibt, und zum Teil, dass der bereits zu beobachtende Klimawandel nicht menschengemacht ist. An dieser Stelle passt das Zitat von Arthur Schopenhauer: »Bei gleicher Umgebung lebt doch jeder in einer anderen Welt.« Und das meine ich gar nicht despektierlich, sondern ich bin mir sicher, dass wenn der Fokus darauf liegt, dass der Klimawandel nicht existiert oder er zumindest nicht vom Menschen verursacht wird, dass diese Menschen dann auch die dazu passenden Informationen in ihrem Leben vermehrt wahrnehmen. Das ist dann so ähnlich wie Frauen, die gerne schwanger werden wollen und in der Folge nur noch Babybäuche, Kinderwagen und Umstandsmode wahrnehmen, obwohl diese Dinge wahrscheinlich vor dem Babywunsch auch schon in ihrer Umgebung vorhanden waren, jedoch von der Frau einfach nicht bewusst wahrgenommen worden sind. Der Grund hierfür ist, dass wir doch ohnehin nur einen begrenzten Teil unserer Realität bewusst