Raus aus den Schubladen!: Meine Gespräche mit Schwarzen Deutschen
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Wie sieht ihr Alltag aus? Welche Erfahrungen machen sie als Schwarze Menschen in Deutschland?
Nach dem Motto »Raus aus den Schubladen!« lädt Florence Brokowski-Shekete dazu ein, verschiedene Lebenswege kennenzulernen, etwas über Alltagsrassismus zu erfahren, den Schwarze Menschen nach wie vor erleben, und den eigenen Horizont zu erweitern. Ein wichtiger Beitrag zur Sichtbarmachung und zum Empowerment von Schwarzen in Deutschland, aber auch zur Verständigung.
Die vielen positiven Reaktionen auf ihre Autobiografie »Mist, die versteht mich ja! Aus dem Leben einer Schwarzen Deutschen« verdeutlichten Florence Brokowski-Shekete, wie solche Innensichten gegenseitiges Verständnis fördern und Mut machen können.
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Book preview
Raus aus den Schubladen! - Florence Brokowski-Shekete
Sylvie Brou, Schulsekretärin, Heidelberg, Baden-Württemberg, mit Wurzeln in der Elfenbeinküste, Westafrika
Mein Lächeln ist meine Waffe
Sylvie Brou, Schulsekretärin
Einmal Mehrheit in der Minderheit
Eine Schule in einem Stadtteil von Heidelberg. Wer bei der Schulleitung einen Termin hat, muss sich für gewöhnlich zunächst im Schulsekretariat, dem Vorzimmer der Schulleitung, anmelden. Sobald sich diese Tür öffnet, erhebt sich die Frau hinter dem Schreibtisch und begrüßt den eintretenden Gast mit einem Lächeln und der Frage: »Guten Tag, was darf ich für Sie tun?« Eines bemerkte auch ich sofort, die offene Freundlichkeit hat eine wohltuende Wirkung. Egal, in welcher Stimmung der Gast das Büro betritt, ob aufbrausend verärgert oder abwartend unsicher, durch die Begegnung mit Sylvie Brou entsteht eine Atmosphäre der Entspannung.
Noch gut erinnere ich mich an unsere erste Begegnung im Jahr 2014. Anmeldungen von Erstklässlerinnen und Erstklässlern an dieser Schule waren entgegenzunehmen. Die Schule wurde neu organisiert, deshalb verlief nun auch der Anmeldeprozess anders. Die Anwesenheit einer Vertretung der Unteren Schulaufsicht war erforderlich. Aus diesem Grund war ich an diesem Morgen in der Schule und habe zunächst nur mit der weißen Schulleitung gesprochen. Noch wusste ich nicht, wer neben ihr noch anwesend sein würde. Es hieß, eine Schulsekretärin würde uns bei der Arbeit unterstützen. Prompt öffnete sich die Tür und Sylvie Brou trat ein. In diesem Moment passierte etwas, das mir während meines gesamten Berufslebens bisher kein zweites Mal passiert ist. Bei drei Personen in einem Raum bildeten Sylvie Brou und ich die Mehrheit.
Noch heute verspüren wir beide dieses einmalige Gefühl von Solidarität und Freude, von wahnsinnigem Stolz. Zwei Schwarze Frauen in wichtigen Positionen an einer weißen, deutschen Schule, die das Bild dominieren. Das unbeschreibliche Gefühl, mal nicht allein zu sein. Es brauchte nicht viele Worte, wir verstanden uns auf Anhieb, nicht nur verbal, auch nonverbal.
Noch heute fragen wir uns beide, was damals wohl die Erziehungsberechtigten dachten, die an diesem Tag ihre Kinder anmeldeten, denn alltäglich ist diese Personalkonstellation bis heute nicht. Nicht für uns und schon gar nicht für Erziehungsberechtigte.
Mit der Zeit kamen Sylvie Brou und ich öfter ins Gespräch. So liegt es nahe, dass auch ihre Geschichte in dieses Buch gehört.
Der Weg nach Deutschland
Die Mutter einer mittlerweile 20-jährigen Tochter wird 1979 als eines von sieben Geschwistern in Abidjan, dem größten städtischen Ballungsraum der Elfenbeinküste, geboren. Die sieben Kinder sind der Mittelpunkt der großen Familie. Die Mutter kümmert sich ausschließlich um den Haushalt und sorgt dafür, dass der Vater seinem Beruf als Lehrer nachgehen kann. »Meine Mutter ist schon immer eine ruhige, zurückhaltende und gleichzeitig sehr starke Frau gewesen«, erzählt Sylvie Brou in unserem Gespräch. »Die familiären Entscheidungen hat sie immer unserem Vater überlassen und diese auch nie in Frage gestellt.« »Euer Vater liebt euch«, soll Sylvie Brous Mutter ihren Kindern erklärt haben, »warum sollte er jemals eine schlechte Entscheidung für euch treffen?« Diese Regelung entspricht auch dem Vater, der sich stets mit großem Kampfgeist für seine Familie einsetzt und darauf bedacht ist, immer nur das Beste für alle zu erreichen.
Sylvie Brou erkennt früh beide Anteile in sich, die ruhige, zurückhaltende Art der Mutter wie den Kampfgeist des Vaters.
Mit 17 Jahren legt sie ihr Abitur ab und beginnt in Abidjan ein Studium der Germanistik. Bereits in der Schule hat sie ihre Liebe zur deutschen Sprache entdeckt. Wegen der Vielzahl an einheimischen Sprachen, sie spricht drei davon, wächst die Ivorerin mit Französisch als Amtssprache und Englisch als Fremdsprache multilingual auf. Da ist es nur verständlich, dass der Wunsch, die deutsche Sprache dort zu lernen, wo sie auch gesprochen wird, in ihr aufkeimt. Ihrem Vater eröffnet sie, sie wolle nach Deutschland gehen, um die Sprache richtig zu erlernen. Sie ist jung, knapp 20 Jahre alt. Wird das gut gehen? Doch der Vater glaubt an seine Tochter, an ihre Stärke, ihre Willenskraft. »Wenn du nach Deutschland gehen möchtest, dann geh. Du bist eine Kämpferin, du schaffst das«, soll er seiner Tochter gesagt haben. Er gibt ihr noch einen sehr wichtigen Rat mit auf den Weg: »Träume nicht davon«, ermahnt er sie, »dass in einem fremden Land alles glattläuft. Du musst darauf gefasst sein, viel schlucken und ertragen zu müssen. Sei bereit, dich zu wehren und für dich einzustehen.« Außerdem solle sie nie vergessen, dass man sich als Fremde in einem anderen Land immer untereinander zu unterstützen habe. Dies sei, so Sylvie Brou, einer der wichtigsten Ratschläge, die sie mitgenommen habe.
Hochmotiviert bewirbt sich Sylvie Brou bei einer Agentur, die Au-pair-Stellen in Deutschland vermittelt. Sie erhält eine Stelle in der Nähe von München. Ob die Eltern das Geld für diese Reise einfach so aufbringen konnten, frage ich. Denn ich kann mir vorstellen, dass die nötige Summe für eine neunköpfige Familie nicht leicht zusammenzusparen ist. »Nein, nein«, winkt Sylvie Brou ab, »das war kein Problem.« Sie erklärt mir, dass ihre Eltern Teil einer Gemeinschaft mit einer Vielzahl von Mitgliedern sind. In dieser Gemeinschaft sei es üblich, dass jeder monatlich einen bestimmten Betrag in eine Gemeinschaftskasse einzahle. Plane ein Mitglied ein größeres Projekt, stehe ihm das nötige Geld zur Verfügung. Auch sie unterstütze diese Idee. Monatlich überweise sie einen gewissen Betrag in ihre Heimat. Damit habe sie schon vielen Mitgliedern der Gemeinschaft helfen können, individuelle Vorhaben zu realisieren. Ganz nach dem Credo ihres Vaters, man habe füreinander da zu sein.
Die ersten Eindrücke
Als sie im Juni 2000 in Deutschland ankommt, erlebt die junge Frau ihre erste Überraschung. Ihre Gastfamilie nimmt sie zwar sehr herzlich auf, doch stellt sie schnell fest, dass sie in dem Ort die einzige Schwarze ist. Eine solche Situation hat es in ihrem Leben noch nie gegeben. Zu Hause, in ihrer Heimat, fällt sie nicht auf, und wenn, dann nur aufgrund ihrer Persönlichkeit. Die Menschen in ihrer neuen Umgebung begegnen der jungen Frau freundlich und aufgeschlossen, aber auch mit großer Neugier. Sie stellen viele Fragen, wollen wissen, woher sie kommt, warum sie hier sei, und auch, wann sie vorhabe, wieder zurückzugehen. Sie spricht jedoch noch nicht genug Deutsch, um sich fließend unterhalten zu können. Deshalb verständigt sie sich auf Englisch.
Die größte Herausforderung stellen für Sylvie Brou die »eisigen« Junitemperaturen dar. Lachend beschreibt sie, wie sie sich gefühlt und wie sehr sie gefroren habe. Ihr sei so kalt gewesen wie noch nie zuvor in ihrem Leben.
Sie weiß sich nicht anders zu helfen, als mit einem dicken Wintermantel herumzulaufen, denn eines ist klar, frieren mag sie nicht. Die Menschen um sie herum amüsiert das. Sie lächeln die junge Frau im Wintermantel in der Junisonne an.
»Ja, ich fror, aber es ging mir gut«, sagt sie im Nachhinein, »ich habe mich mit den Menschen dort wohlgefühlt.« Das Wichtigste, sagt Sylvie Brou, sei die Fähigkeit, sich in einer fremden Umgebung anzupassen. »Nicht die Einheimischen haben sich mir anzupassen«, betont sie, »sondern ich passe mich den örtlichen Gegebenheiten an. Diese Einstellung habe ich schon zu Hause gelernt, wir wurden so erzogen.« Natürlich wären die Leute sehr neugierig gewesen und hätten sie immer angeschaut. Das sei jedoch nie negativ gemeint gewesen, denn neugierig zu sein, hieße nicht automatisch, ablehnend zu sein. Das habe sie gewusst und es sich bei jeder Begegnung wieder gesagt.
Sylvie Brou gewöhnt sich trotz der für sie eisigen Temperaturen schnell in ihre Umgebung ein. Etwas anderes, sagt sie, wäre für sie auch nie in Frage gekommen. Zumal sie nicht nach Deutschland gereist sei, um Urlaub zu machen.
Ihre Arbeit als Au-pair nimmt sie umgehend auf. Die Arbeit macht ihr Freude, mit den Kindern kommt sie gut zurecht, wird von ihnen und der gesamten Gastfamilie gemocht. Das für sie vorrangigste Ziel bleibt dabei das Erlernen der deutschen Sprache. Mit Hilfe von Sprachkursen, die verpflichtend sind und zu ihrem einjährigen Aufenthalt gehören, verbessert sie ihre Deutschkenntnisse, die sie sich zu Hause bereits angeeignet hatte. Wenn Leute mit ihr Deutsch sprechen, versteht sie viel. Sie vermeidet es jedoch, selbst Deutsch zu sprechen, zu groß ist ihre Angst, Fehler zu machen, sich zu blamieren. Sie hört zu und lernt stumm. Bis ihre Gastmutter sie eines Tages zur Seite nimmt. »Wenn du hier in Deutschland bleiben möchtest«, rät sie der jungen Frau, »musst du aktiv Deutsch sprechen. Wer dich sieht«, ermuntert sie, »geht doch ohnehin nicht davon aus, dass du perfekt Deutsch sprichst. Im Gegenteil, die Leute erwarten, dass du Fehler machst. Von daher musst du dich nicht schämen. Sprich, egal wie, aber sprich, denn nur so kannst du die Sprache richtig