Discover millions of ebooks, audiobooks, and so much more with a free trial

Only $11.99/month after trial. Cancel anytime.

¡Blut und Feuer! (Softcover): Helden, Bestien und Märtyrer im Spanischen Bürgerkrieg
¡Blut und Feuer! (Softcover): Helden, Bestien und Märtyrer im Spanischen Bürgerkrieg
¡Blut und Feuer! (Softcover): Helden, Bestien und Märtyrer im Spanischen Bürgerkrieg
Ebook303 pages4 hours

¡Blut und Feuer! (Softcover): Helden, Bestien und Märtyrer im Spanischen Bürgerkrieg

Rating: 0 out of 5 stars

()

Read preview

About this ebook

Mit diesem Erzählband zeigt sich der Journalist Manuel Chaves Nogales (1897–1944) als meisterhafter Erzähler, dem es gelingt, die Hoffnungen und den Hass der Menschen in Kriegszeiten in kurze Geschichten zu gießen. Mit geradezu mahnender Klarheit erkennt er die Wirkweisen totalitärer Anschauungen und hält die blinde Gewalt fest, die überall hervorbricht.

"Von den hunderten Erzählungen und Romanen, die über den Spanischen Bürgerkrieg geschrieben wurden, kann sich kaum etwas mit ¡Blut und Feuer! messen." - Andrés Trapiello
LanguageDeutsch
Release dateOct 19, 2022
ISBN9783966752282
¡Blut und Feuer! (Softcover): Helden, Bestien und Märtyrer im Spanischen Bürgerkrieg

Read more from Manuel Chaves Nogales

Related to ¡Blut und Feuer! (Softcover)

Titles in the series (1)

View More

Related ebooks

World War II Fiction For You

View More

Related articles

Related categories

Reviews for ¡Blut und Feuer! (Softcover)

Rating: 0 out of 5 stars
0 ratings

0 ratings0 reviews

What did you think?

Tap to rate

Review must be at least 10 words

    Book preview

    ¡Blut und Feuer! (Softcover) - Manuel Chaves Nogales

    Reproduktion nach dem Gemälde Guernica von Pablo Picasso.

    Der Journalist im Angesicht des Zusammenbruchs

    Die Ereignisse, die in Spanien zwischen 1936 und 1939 stattfanden, erschütterten die Welt. Die Regierung der Zweiten Spanischen Republik, die 1931 rechtmäßig gewählt wurde, sah sich mit einem Staatsstreich konfrontiert, der von einem gewissen General Franco angeführt wurde. Einerseits verbündet mit den Feinden des gewählten Systems (Großgrundbesitzer, Militärs des alten Regimes, große Teile des Klerus, kurzgesagt: die konservativen Kräfte), andererseits unterstützt vom nazistischen Deutschland und faschistischen Italien, die sich beide im propagandistischen Krieg gegen eine Ideologie befanden, die sie als Kommunismus verachteten, traten sie eine Rebellion gegen das gewählte Regime los. Diese Revolte gegen die Republik führte in die Radikalisierung, zu zahllosen Straßenkämpfen und endete letztlich in einem blutigen und quälend langen Bürgerkrieg, der Tod und Zerstörung über das junge republikanische System brachte, das dem Land versprochen hatte, es in die Moderne zu führen und ihm in Aussicht stellte, die Last abzunehmen, mit der unfähige und wirkungslose Regierungen sie jahrelang erdrückten.

    Diese Umstände entfesselten die Solidarität zahlreicher Gruppen aus anderen Ländern, die sich dem spanischen Volk nahefühlten und herbeieilten, um ihren Fraktionen, meist den republikanischen und den roten, in diesem ungleichen Kampf zur Seite zu stehen.

    Grauenhafte Ereignisse geschahen in diesen drei Jahren. Ein Bürgerkrieg, der Spanien förmlich auseinanderriss. Um diese drei Jahre zusammenzufassen: die Grausamkeit wechselte mit dem siegreichen Lager. Sein Recht, seine Gesinnung wurde dem anderen, dem kurzzeitig besiegten Spanien aufgezwungen, egal ob es nun friedlich oder im Widerstand war, welches dann das grauenhafteste Joch zu tragen hatte, das sich ein Volk vorstellen kann: Die blinde Rache des eigenen Bruders oder die Vertreibung. Und damit das Schweigen, der Tod oder das Exil.

    Herausragende Schriftsteller der Zeit, unter anderem Ernest Hemingway (For Whom the Bell Tolls, 1940, dt.: Wem die Stunde schlägt), André Malraux (L’Espoir, 1937, dt.: Die Hoffnung), oder George Orwell (Homage to Catalonia, 1938, dt.: Mein Katalonien), waren angesichts der Ereignisse erschüttert. Sie kamen nach Spanien, um gegen den Faschismus zu kämpfen und schrieben gegen ihn an.

    Seit der Ausrufung der Republik am 14. April 1931 verfolgten die reaktionären Kräfte eine Strategie der Destabilisierung, die die Umsetzung tiefgreifender Reformen verhindern sollte: Trennung von Kirche und Staat, fundamentaler Umbau des Militärs, garantierter Zugang zu Bildung, staatsbürgerliche Freiheiten.

    Aber diese von der Republik beabsichtigten Reformen führten 1936 zu einer Radikalisierung der Opposition, die die Umsetzung verunmöglichte. Der Moment näherte sich, an dem „der Terror mich nicht mehr leben ließ und das Blut mir bis zum Hals stand", wie der inzwischen exilierte Journalist Manuel Chaves Nogales es 1937 in seinem Prolog (S. 17) gestand, den er seinen Erzählungen voranstellte.

    „Antifaschist und Antirevolutionär aus innerer Veranlagung, weigerte ich mich beharrlich, an das Heilsversprechen großer Umstürze zu glauben. Ich beschloss, schreibend auszuharren und mich den Gesetzen der Evolution und des Fortschritts anzuvertrauen."

    Ab Juli 1936 hatte eine Suche nach einer Entente begonnen, die die Ausrichtung seiner Zeitung akzeptierte. Seine Zeitung, die AHORA, für die er seit deren Gründung als Chefredakteur arbeitete, war von einem Arbeiterrat der sozialistischen Jugend enteignet worden, der täglich radikaler agierte: Ein Redaktionssitz, der sich in eine Barrikade verwandelt hatte, Pistolen auf den Redaktionstischen, ein zerstörtes Gebäude, eine unpassierbare Straße und Milizionäre, die sich von der Front in der Redaktion einfanden und unverhohlen Linientreue der Verlagshäuser forderten.

    Es ist die Abwesenheit des letzten Stückchens Vernunft, die Chaves Nogales veranlasst, das Land zu verlassen: „Ich verließ das Land, nachdem ich mich überzeugt hatte, dass ich, außer den Krieg in einer Weise zu unterstützen, in Spanien nichts mehr tun konnte. Da war Manuel Chaves Nogales ein noch junger Journalist, Chefredakteur eines Blatts der politischen Mitte, intelligent und über das politische Panorama Europas im Bilde, mit beruflichen Erfolgen im Rücken, ein Sympathisant des republikanischen Regimes, das versuchte, eine junge und rechtmäßig formierte Zweite Republik in die Moderne zu führen. Seit ihrer Gründung wies er die Radikalismen der linken Gruppen zurück, die an manchen Stellen (wie er bei seinen Besuchen in den proletarischen Hochburgen mancher Provinzen zeigen konnte) an einen Punkt gerieten, da sie sich von ›freiheitlichen‹ Ideen mitreißen ließen, die der russischen Propaganda entsprangen und die den spanischen Breitengraden nicht sonderlich angepasst waren. So strebte man die „soziale Revolution an und sprengte letztlich den Rahmen und schürte Angst und Gewalt. Chaves Nogales kritisierte die Aktionen der extremistischen Gruppen, ob faschistisch oder anarcho-syndikalistisch, hart: „Mit Verlaub, in meinen Augen war der Revolutionär genauso schädlich wie der Reaktionär."

    Seine Zeitung, die AHORA, die sich in der politischen Mitte positionierte, hatte in Anbetracht der Ereignisse eine Vernunft an den Tag gelegt, die in dieser Zeit selten war. Das hatte sie zum Feind beider extremistischen Lager gemacht. Die AHORA war die Zeitung der Regierung unter Manuel Azaña, und der hatte in den schwierigsten Momenten auf seinen Chefredakteur gesetzt. Aber die Worte kamen nicht so klar auf das Blatt. Sein Prolog zu ¡Blut und Feuer! ist nicht zuletzt die Explosion der Ohnmacht eines Journalisten, dem es nicht mehr gelang, klar zu sagen, was er dachte. Denn die Verworrenheit der Situationen, der er sich gegenübersah, hinderte ihn, aus einer verständlichen Haltung heraus zu reden. Es wurde einsam um ihn herum. So lässt Chaves Nogales mutmaßlich eine seiner Figuren denken und schließt doch mit den eigenen Worten ab, wie er über seine völlig irrelevante Rolle im Bürgerkrieg urteilte: „Für seine Sache, die Freiheit, gab es in Spanien gerade niemanden, der sie verteidigte." Ein Gemäßigter, der Spanien nach fünf Monaten Krieg verlassen musste, ohne sich aus eigenem Antrieb heraus gegen die Totalitarismen beider Prägungen zu stellen, die sich in diesem Moment gegenüberstehen. Als Intellektueller war er sich des Zusammenbruchs Spaniens bewusst und verstand, dass die Bewohner des Landes nicht in der Lage waren, eine reife und einigermaßen klare Haltung zu den Ereignissen einzunehmen.

    Im November 1936 erwarteten ihn seine Frau und seine Kinder in Barcelona. In einem Auto, in dem Familienmitglieder eines Journalistenkollegen und seine Familie saßen, verließen sie Spanien über die französische Grenze und kamen nach einer ermüdenden Reise in einem Pariser Vorort an, der vor Exilanten aus allen faschistischen und nationalsozialistischen Exilgebieten nur so barst. Paris war die Stadt, die sich für alle Bedrohten Europas als erster Zufluchtsort erhob.

    Die Familie mietete sich in einer kleinen Herberge ein (ein Zimmer, inklusive der Mitbenutzung der Küche); seine Familie, das sind seine Frau Ana und seine drei Kinder, Pilar, Josefina und Pablo. Pilar, die älteste, war seit Barcelona erkrankt und musste dringend behandelt werden, weshalb sie ihr Vater jeden Tag zum Krankenhaus begleitete. Den Rest des Tages verbrachte Manuel damit, Presseagenturen und Zeitungsredaktionen auf der Suche nach einer möglichen Zusammenarbeit abzuklappern. Und in den Nächten, nach dieser täglichen und kräfteraubenden Suche, begann er – auch, um seine Rolle als Journalist wiederzufinden – in diesem beengten Zimmer mit der Niederschrift der Erzählungen von ¡Blut und Feuer!

    In Paris setzte er sich mit Emery Reves in Verbindung, Eigentümer der Agentur Cooperation Press Service, die Artikel von Autoren aus dem progressiven Lager in Zeitungen auf der ganzen Welt publizierte. Chaves findet, dass dies eine günstige Chance sei, Lateinamerika die Botschaft vom Wert der bedrohten Demokratie in Europa zu überbringen. Mit den Erzählungen ¡Blut und Feuer! bezeugt er nicht nur, was in Spanien vor sich geht, sondern sendet auch ein Zeichen der Vernunft aus dem Chaos, das ihn umgab. Er beschreibt die verheerenden Ereignisse in all ihrer Härte, ohne aber der Wut oder dem Wunsch nach Vergeltung zu verfallen, zu denen sich so mancher verleiten ließ. Was seine Erzählungen auszeichnen, deren zweiter Titel nicht grundlos Helden, Bestien und Märtyrer des Bürgerkriegs lautet, sind ein offenkundiger Überlebenswille, trotz schwierigster Momente, samt allem, was damit verknüpft ist, ein ringendes Begreifen, fraglose und hinterfragbare Lebensfreude und das notwendige Mitgefühl. Sie sind Ausdruck der harten Realität, die das spanische Volk ertragen musste. Nicht alle, denn einige wenige waren angetreten, sich zu den Herren über Leben und Güter zu machen. Und so verhielten sie sich auch: jenseits aller Menschlichkeit. Diesem Überlebenswillen bot Manuel Chaves Nogales zwei Perspektiven des Journalisten an: die bloßgelegte Realität der gewaltvollen Taten und das Verständnis, was daran die Schwächen und Triebe des Menschen sind.

    Die in ¡Blut und Feuer! erzählten Ereignisse seien der Realität entnommen, schrieb ihr Autor in seinem Prolog und wiederholt dies in einem weiteren Text, der der Buchausgabe vorangestellt ist: Der Aufstand der von Franco angeführten Gegner der Republik ließ ihn teilhaben an jenen Ereignissen, die nicht zuletzt das narrative Material des Journalisten stark beeinflussten; Ereignisse, die sich in seiner Zeitungsredaktion zutrugen, die zur Kampflinie wurde; Ereignisse, die sich zutrugen, als er auf seiner Flucht in Richtung der Grenze unterwegs war, nachdem er zuvor noch Valencia und Barcelona ansteuerte und dort zu bleiben versuchte; Ereignisse aber auch, die ihm Republikaner berichteten, die sich, wie er, in der Hoffnung auf Schutz, Arbeit und Wiedersehen in den Außenbezirken von Paris einfanden … Die hier erzählten Ereignisse seien der Realität entnommen, sofern man von ein paar Änderungen der Personen- und Ortsnamen absehe, erklärt er, weiter ins Detail gehend. Er legte darin eine zutiefst menschliche Essenz offen: Das Gute und das Schlechte gehen Hand in Hand, wie sie es auch im echten Leben tun, und wie er es erleben wird:

    In Paris, inmitten der Last so vieler Entbehrungen, umgeben von all dem Schmerz, der nationalen, sozialen und familiären Verhältnisse, stellte Chaves Nogales die hier vorliegenden Erzählungen zusammen. Einmal abgeschlossen, nahm er sie aus der Schreibmaschine und suchte für sie einen Platz in einer Redaktion. Und hier wurde er von einem Strudel der Solidarität mitgerissen, als er sie selbst dringender brauchte denn je, in Zeiten, in denen er nicht mehr als sein Talent anbieten konnte.

    Nach eigener Angabe des Autors wurden die Erzählungen zwischen Januar und Mai 1937 verfasst, das heißt, im ersten Jahr des Bürgerkrieges. Fertiggestellt wurden sie in Montrouge, einem Pariser Viertel, in dem die Familie ein annehmbareres Quartier fand, nachdem sie zuvor in unterschiedlichen Pensionen und Notunterkünften gewohnt hatte. Diese Geschichten hatten das Glück, rasch in Zeitungen und Büchern veröffentlicht zu werden: La Nación in Buenos Aires, einem Blatt, mit dem der Journalist schon früher zusammengearbeitet hatte; in dem französischen Wochenblatt Candide; in der mexikanischen Zeitschrift Sucesos para todos und in der kubanischen Bohemia; außerdem in der englischen Tageszeitung Evening Standard und in der neuseeländischen Weekly News, für die zwischen 1937 und 1938 Luis de Baeza, Freund und Korrespondent der AHORA in London, und seine Kollegin Dolores Harding die Übersetzungen lieferten. Sofortige Bucheditionen waren die von Ercilla in Chile, sowie auf Englisch in New York, London und Toronto (die letzte mit dem Titel And in the Distance a Light.)

    Chaves Nogales verstand den Journalismus als Arbeit im weiten geografischen Feld und war nie nur auf das nationale Medium beschränkt. Für ihn waren die Ereignisse miteinander verwoben und ihre Verknüpfungen gingen über die Landesgrenzen hinaus. Wie nur wenige Journalisten seiner Zeit ging er das Geschehen in Europa an, er machte es in Lateinamerika sichtbar und brachte die Nachricht über den Spanischen Bürgerkrieg bis nach Neuseeland. Und das in einer Universalität, wie es nur wenige Journalisten der Zeit vermochten.

    Das Buch, zum ersten Mal im chilenischen Verlag Ercilla veröffentlicht, bestand aus neun Erzählungen, später konnten zwei Erzählungen in Zeitungsarchiven ausfindig gemacht werden, die dem Korpus der Erzählungen aus dem Bürgerkrieg hinzugefügt werden können – die der Kupido Literaturverlag in einem anderen Kontext veröffentlichen wird. Schon in den Anfangssätzen des Buches von Ercilla wird schlicht auf die Ideologie seines Autors verwiesen:

    „Chaves Nogales hat niemals einer Partei angehört. Sein Credo ist das der Demokratie. Er glaubt an die politische Freiheit und lehnt alle Arten von Diktatur ab, egal, ob es die faschistische oder kommunistische ist, egal, ob rassistisch oder proletarisch. […] Ihm ging es in Spanien immer darum, das Interesse der Massen für die gravierendsten sozialen und politischen Probleme der Zeit zu wecken."

    Solche Aussagen komplettieren sich in der kubanischen Zeitschrift Bohemia, als im Juli 1937 zum ersten Mal der Prolog erscheint, der im heutigen Spanien als einer der wichtigsten Beiträge zum Bürgerkrieg gelesen wird. Damals gelang es ihm, mit dem Prolog die ideologischen Konzepte zum Inhalt zu machen, was nun, da der Autor im Exil lebte, ausführlicher möglich war. Chaves Nogales lieferte ein hilfreiches Beispiel für eine Suche nach einer Orientierung in dieser neuen Situation, eine Suche nach ihren Gründen und Auslösern. Eine Art Introspektion, die ihm, dem ‚kleinen Bourgeois‘, wie er sich gerne selbst bezeichnet, erlaubt, aus seiner Rolle als Bürger einer demokratischen und parlamentarischen Republik heraus zu informieren. Man bedenke, dass er, seitdem der Krieg im Gange war, für sein Schreiben, das er immer aus der Freiheit heraus tat, von beiden ideologischen Extremen angefeindet wurde, was für ihn nicht mehr vergleichbar war mit einfacher politischer Hinterfragung.

    Chaves Nogales starb mit 46 Jahren im Mai 1944 in London, kaum einen Monat vor den Landungen in der Normandie. So blieb es ihm verwehrt, der Welt diese große Nachricht aus seiner Presseagentur, der Atlantic Pacific Press, zu verkünden, die er in seinem zweiten Exil in der britischen Hauptstadt gegründet hatte. Er hatte sicher gehofft, der Welt diesen Triumph der Alliierten über den Faschismus mitzuteilen. Er verstarb aber einige Tage vorher, nachdem er sich einer dringenden Operation in einem Londoner Hospital unterziehen musste. Er konnte den Triumph der Freiheit und der Demokratie nicht mehr miterleben, für die er sein ganzes Leben lang gekämpft hatte.

    María Isabel Cintas Guillén

    Prolog

    Ich war, was Soziologen einen »liberalen Kleinbürger« nennen, Bürger einer demokratischen und parlamentarischen Republik. Im Dienste der Industrie, die in den Händen der kapitalistischen Bourgeoisie lag, der Erbin der grundbesitzenden Aristokratie, die in meinem Land traditionell das Monopol auf die – wie die Marxisten sie nennen – Produktions- und Tauschmittel besaß, verdiente ich als intellektueller Arbeiter mein Brot und meine Freiheit in relativ guten Verhältnissen, indem ich Zeitungen herstellte und Artikel, Reportagen, Biografien, Erzählungen und Romane schrieb, womit ich die Hoffnung verband, den Geist meiner Landsleute zu beleben und bei ihnen das Interesse für die großen Zusammenhänge zu wecken. Als ich nach Moskau reiste und bei meiner Rückkehr berichtete, dass die Russen schlecht leben und eine Diktatur unterstützen würden, die ihnen vortäusche, zu herrschen, beglückwünschte mich mein Chef mit ein paar gutmeinenden Klapsen auf die Schulter. Als ich nach meiner Rückkehr aus Rom versicherte, dass der Faschismus die Brotration eines Italieners um kein zusätzliches Gramm vergrößern würde und er auch dessen moralischen Werte keinesfalls zu mehren verstand, war mein Chef unzufrieden mit mir und zweifelte, ob ich überhaupt ein guter Journalist sei; dennoch habe ich, ob es seiner Kaste gefiel oder nicht, trotz Lobhudelei und Zensur, meine Wahrheit des liberalen Intellektuellen, des Bürgers einer demokratischen und parlamentarischen Republik nicht verraten.

    Wenn mir, wie ich es häufig erlebte, der Kapitalismus seine Druckmaschinen und Tonnen von Papier nicht lieh, sodass ich im großen Umfang sagen konnte, was ich zu sagen hatte, fand ich mich damit ab, es im Café, am Redaktionstisch oder vor einem kleinen Publikum eines provinziellen Athenäums auszusprechen, ohne befürchten zu müssen, dass man mir die Hand auf den Mund legen, dass Polizisten mich inhaftieren, oder dass verhüllte Gestalten mich auf brutale Weise meine Fehler büßen lassen würden. Antifaschist und Antirevolutionär aus innerer Veranlagung, weigerte ich mich beharrlich, an das Heilsversprechen großer Umstürze zu glauben. Ich beschloss, schreibend auszuharren und mich den Gesetzen der Evolution und des Fortschritts anzuvertrauen. Mit Verlaub, in meinen Augen war der Revolutionär genauso schädlich wie der Reaktionär.

    Tatsächlich und ohne jede Wichtigtuerei, meine einzige und bescheidene Wahrheit, das Mindeste, was ich mit meiner Kunst und den Anekdoten meiner erlebten und erfundenen Geschichten ausdrücken wollte, diese einzige und bescheidene Wahrheit war der unüberwindliche Abscheu vor der Dummheit und der Gewalt; in anderen Worten, meine natürliche Aversion gegen die einzige Sünde, die für mich existiert, die Sünde gegen die Intelligenz, die Sünde gegen den Heiligen Geist.

    Aber Dummheit und Gewalt wurden in Spanien salonfähig. Wo hat diese Vergiftung stattgefunden? Die Suppen dieser Zucht einer neuen Pest, die auf dem großen Misthaufen – Asien – gewachsen war, servieren uns die Laboratorien in Moskau, Rom und Berlin mit den Etiketten Kommunismus, Faschismus oder Nationalsozialismus, und der unvorbereitete keltiberische Mensch schlürfte sie gierig herunter. Nach Ende einer drei Jahrhunderte währenden Brache begann auf Spaniens fruchtbaren Äckern in erschreckendem Tempo, die uralte Saat der Dummheit und der Gewalt wieder aufzugehen. Schon der Versuch, auf den Infektionsherd des alten Bruderkrieges in diesem oder jenem Sektor, in diesem oder jenem Bereich des sozialen Lebens hinzudeuten, ist vergebene Mühe. Weder die Weißen noch die Roten haben sich etwas vorzuwerfen. Ganz Idioten und Mörder haben sie auf beiden Seiten mit identischer Fülle und Intensität alles getan, um Spanien zu zerreißen.

    Aus meiner bescheidenen Erfahrung heraus kann ich sagen, dass ein Mann wie ich, so unbedeutend er ist, bereits genügend Verdienste angesammelt hat, um von der einen, wie der anderen Seite erschossen zu werden. Aus vertrauenswürdigen Quellen weiß ich, das eine faschistische Gruppe in Madrid noch vor Ausbruch des Krieges, perfekt vorschriftsmäßig, die Verabredung getroffen hatte, meine Ermordung als eine der präventiven Maßnahmen gegen den möglichen Triumph der sozialen Revolution durchzuführen, ohne zu ahnen, dass die Revolutionäre, Anarchisten wie Kommunisten, ihrerseits meinten, ich sei perfekt erschießungswürdig.

    Als der Bürgerkrieg ausbrach, blieb ich auf meinem Posten und erfüllte meine beruflichen Aufgaben. Ein Arbeiterrat, der sich aus Delegierten der Werkstätten zusammensetzte, enteignete den Eigentümer des Zeitungsunternehmens, für das ich arbeitete, und setzte seine Funktionäre ein. Ich, der ich im Leben weder Revolutionär war, noch mit der Diktatur des Proletariats sympathisierte, fand mich plötzlich inmitten eines sowjetischen Regimes. Ich stellte mich also in den Dienst der Arbeiterschaft, wie ich früher den Befehlen der Kapitalisten folgte, in anderen Worten, loyal ihnen gegenüber und mir. Ich ließ meine fehlende revolutionäre Überzeugung und meinen Protest gegen jede Art von Diktatur, einschließlich der des Proletariats, durchblicken und fühlte mich einzig dazu verpflichtet, die Sache des Volkes gegen den Faschismus und die aufständischen Militärs zu verteidigen. Ich wurde »Kamerad Direktor« und kann behaupten, dass mich während der Kriegsmonate, die ich in Madrid an der Spitze eines regierungstreuen Blattes verbrachte, welches die höchste Auflage der republikanischen Presse erzielte, niemand wegen meines mangelnden revolutionären Geistes belästigte, oder wegen meines Auftretens als »liberaler Kleinbürger«, das ich nie ablegen werde.

    Ich sah damals viele Reaktionäre sich in glühende Kommunisten verwandeln und gestandene Bürger in Furcht verbreitende Anarchisten. Der Krieg und die Angst rechtfertigten alles.

    Schulter an Schulter mit den Revolutionären, kämpfte ich, obwohl ich keiner von ihnen war, mit den Waffen meines Berufes gegen den Faschismus. Mein Gewissen bezichtigt mich keines Verrats meiner Sache. Als ich nicht weiter mit ihnen übereinstimmte, ließen sie mich in Frieden gehen.

    Ich ging, als in mir die Überzeugung gereift war, dass alles verloren war und es nichts mehr gab, was es zu retten galt – als der Terror mich nicht leben ließ und das Blut mich ertränkte. Vorsicht! In meiner Desertion wog das vergeudete Blut der mordenden Schwadronen, die den roten Terror über Madrid verbreiteten, genauso schwer wie das, welches Francos Flugzeuge ausschütteten, wenn sie unschuldige Frauen und Kinder umbrachten. Mindestens genauso viel, wenn nicht mehr Angst als vor der Barbarei der anarchistischen und kommunistischen Analphabeten hatte ich vor der der Mauren, vor den Banditen des Heers und den Mördern der Falange.

    »Starke Geister« werden sicher anführen, dass dieser Abscheu vor dem Gemetzel eine anachronistische Sentimentalität sei. Das ist möglich. Ohne viel Aufhebens, ohne der menschlichen Existenz mehr Bedeutung einzuräumen, als sie in unseren Tagen besitzen kann oder sollte, weiß ich weder dem gegenseitigen Abschlachten einen tieferen Sinn abzugewinnen, noch der Moral, die sie dazu anstiftet, und so habe ich mir den Luxus erlaubt, überhaupt keine Solidarität mit den Mördern zu empfinden. Auch wenn das für einen Spanier vielleicht ein übertriebener Luxus ist.

    Ein Luxus, den man natürlich teuer bezahlt. Gegenwärtig ist der Preis das Heimatland. Aber die Wahrheit lautet, dass zwischen der Wahl, uns zu einer Art ›blasshäutigen Abessiniers‹ zu machen – was General Franco vorhat –, beziehungsweise zu einer Art ›westlichem Kirgisen‹ – was die bolschewistischen Agenten gerne sähen –, die Option liegt, die Hände tief in die Taschen zu stecken und aufzubrechen in eine noch bewohnbare Welt, die uns geblieben ist, obwohl man weiß, dass in unserer Zeit engstirniger und egoistischer Nationalismen der Exilierte, ein Mensch ohne Heimatland, ein unerwünschter Gast ist, der sich durch Demut und Knechtschaft sein Überleben verdienen muss. Wie auch immer, ich ertrage die Knechtschaft in einem fernen Land besser als in meinem eigenen Haus.

    Als die Regierung der Republik ihren Posten aufgab und nach Valencia auswich, verließ ich auch meinen. Keine Stunde früher, keine Stunde später. Meine Auffassung als Bürger der Republik Spanien verlangte von mir nichts mehr – und nicht weniger. Die Macht, die meine legitime Regierung in den Schützengräben der Vororte von Madrid zurückließ, nahmen die Männer in die Hand, die heroisch kämpfend in diesen Schützengräben ausharrten. Von ihnen, wenn sie gewinnen, oder von ihren Besiegern, wenn

    Enjoying the preview?
    Page 1 of 1