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Rettet Dornpunzel!: Prinz wider Willen
Rettet Dornpunzel!: Prinz wider Willen
Rettet Dornpunzel!: Prinz wider Willen
Ebook424 pages6 hours

Rettet Dornpunzel!: Prinz wider Willen

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About this ebook

Prinz Dimo Löwenbart ist mit seinen dreiunddreißig Jahren noch immer nicht im Leben angekommen. Statt pflichtbewusst die Königsausbildung zu absolvieren, hängt er lieber auf Partys ab, sieht Heldenaufgaben als ein antiquiertes Überbleibsel längst vergangener Ruhmeszeiten an und macht vor allem durch skandalöse Schockzeilen im Klatschwort auf sich aufmerksam. Wie sein Vater, der König, DAS findet, muss wohl nicht näher erläutert werden! In dieser "Idylle" ereilt Dimos Vater der Hilferuf des unbekannten Königs Dornpunzel: Die Entführer seiner Tochter, Rösi, haben sich nach zehn Jahren erneut mit einer kryptischen Nachricht gemeldet. Sehr zu Dimos Leidwesen beschließt sein Vater kurzerhand, ihn (ausgerechnet IHN) für die Rettung der Prinzessin einzuspannen. Doch die Heldenaufgabe erweist sich alles andere als einfach, denn die liebliche Prinzessin entpuppt sich als scharfzüngige Kratzbürste, die sogar Drachen durch bloße Worte vom Himmel keifen könnte. Dimo ahnt nicht, dass er ungewollt Teil eines perfiden Plans geworden ist: Sein machthungriger Cousin, Grindelieb, hat die Heldenaufgabe nur inszeniert, um selbst an die Krone zu kommen. Bevor Dimo sich versieht, steht er vor dem Wendepunkt seines Lebens: Schafft er die Heldenaufgabe? Will er König sein oder lieber Skandalprinz? Fragen über Fragen… #prinzwiderwillen #wahrehelden #schwarzerhumor #schockzeilen #schulterklopfer #machtgezicke #findemichs #dasgoldenewagenrad #mittelalterboys #drachengeschichten #achtung:kannspurenvonironieenthalten
LanguageDeutsch
Publishertredition
Release dateJul 6, 2021
ISBN9783347347427

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    Book preview

    Rettet Dornpunzel! - Kännie Meier

    Es ist einmal …

    … im prächtigen Königreich Löwenbart. An einem schönen, warmen Sommertag fallen Sonnenstrahlen sanft hinab in eine Waldlichtung. Die Vögel zwitschern fröhlich, ein Reh frisst zufrieden Gras. Die uralten und mächtigen Bäume umsäumen beständig die Lichtung.

    Ein wenig entfernt, in einem kleinen Tal am Rande des Wäldchens, verharrt merkwürdig einsam eine verlassene und heruntergekommene Waldhütte auf einer saftigen Wiese. Moos wächst auf ihrem Dach, die Holzfassade ist marode und vom Wetter gezeichnet. Das Innere wirkt wie durcheinandergefegt: Umgestoßene Stühle, das Fenster zerborsten, in der Luft wabert aufgewühlter Dreck gemischt mit Staub. Inmitten des Chaos liegen sie auf dem kalten Boden: Der Prinz und die Prinzessin nah beieinander; ihre Fingerspitzen berühren sich leicht, als hätten sie im letzten Moment noch versucht, mit den Händen nach einander zu greifen; wenige Schritte weiter weg der getreue Freund. Das Gesicht des Prinzen ist schmutzverschmiert, seine Haut aschfahl und das Haar staubig. Weder er noch seine Begleiter bewegen sich; unendliche Stille lastet über der verwilderten Behausung.

    Was bisher geschah

    Vor einigen Tagen war die Welt für Dimo noch in Ordnung. Friedlich schlummernd lag er im Bett, als sein Vater, König Edhard Löwenbart, in der Einfahrt vor dem Schloss ungeduldig im Morgengrauen auf ihn wartete. Ärgerlich palaverte er die Hausfassade an, als könnte die etwas dafür. „Wo bleibt er denn?, wetterte Edhard, während Dimo leise vor sich hin schnarchte. „Er weiß doch, dass heute die Jagd stattfindet. Der Kutscher zuckte unschlüssig mit den Schultern. Nach all den Jahren im Dienste der Familie Löwenbart hatte er gelernt, besser nichts zu sagen. Jeder wusste, dass das Verhältnis zwischen Edhard und Dimo nicht das Beste war, was sicherlich auch an Dimos Einstellung zur Arbeit lag. Der Prinz verbrachte schon sein dreiunddreißigstes Lebensjahr auf Erden, kümmerte sich aber kaum um das Prinzenamt und der damit einhergehenden Verantwortung. Stattdessen verbrachte er lieber seine Zeit damit, abzuhängen, spät aufzustehen und den Vater auf die Palme zu bringen, wenn es die denn im Königreich gegeben hätte; es schien, als wäre ihm alles egal. Und ja, natürlich wusste Dimo von der heutigen Jagd, zumindest wusste er es gestern noch, doch jetzt, so mitten im Tiefschlaf, war es ihm eben entfallen. Denn es war spät geworden letzte Nacht, im „Adelig".

    Wie eigentlich jeden Abend war Dimo ausgegangen und hatte sich dort mit seinen Bekannten getroffen. Da das Adelig ein Treffpunkt für die löwenbartsche Schickeria war, war es eine Selbstverständlichkeit für die zahlreichen Fast-Speed-Maler zu posieren und die Fragen der Reporter der hiesigen Klatschpresse, dem Klatschwort, zu beantworten. Vor den Schreiberlingen drückte er sich regelmäßig; vor den Malern kam er aber selten drumherum. Dies war nicht dem Umstand geschuldet, dass er sich für nicht bildwirksam genug hielt, sondern, dass das Posieren für eine Momentaufnahme mindestens fünf Minuten an Zeit und Dutzende Ermahnungen des Malers beinhaltete.

    „Bitte nicht bewegen und Pose halten, Prinz Dimo", hatte der längst zig Mal gesagt, weshalb Dimo weiter grinste, obwohl er schon den Muskelkater in den Mundwinkeln spürte.

    „Hoffentlich sind die bald fertig", raunte er Mizo, seinem besten Kumpel seit Kindertagen, zu und verdrehte die Augen. Prinz Dimo Löwenbart und der Sohn des Stallknechts, Mizo Klompenberg, waren schon seit jeher wie Brüder. Obwohl sie aus unterschiedlichen Gesellschaftsschichten stammten, hielten sie zusammen wie Pech und Schwefel. Als Antwort lachte Mizo leise und ersparte sich einen Kommentar, den Dimo durch das Geschrei der anwesenden Klatschpresse sowieso nicht verstanden hätte.

    „Majestät, Majestät!"

    „Prinz Dimo, schau hierher!"

    „Hallo, nur einen Blick hierhin!"

    „Nur eine kurze Frage: Wie oft wechselst du Unterhosen und Frauen?"

    Dimo war richtig begehrt bei den Schreiberlingen, füllte er doch unabsichtlich immerzu das mittelalterliche Klatschwort mit interessanten Geschichten und Skandalen. Als beliebter Junggeselle des Königreiches liebte das Volk, das an dieser Stelle fast ausschließlich aus jungen Damen und deren heiratsinteressierten Müttern bestand, das Geschreibsel über den attraktiven Thronfolger. Von athletisch-muskulöser Statur, mit dunkelbraunen Augen und Haaren, die sich leicht lockten, verbreitete er ein wahrhaft niedliches Flair auf die Damenwelt. Ohne es zu forcieren, existierten unzählige Bilder von ihm und seinem Dackelblick, den wiederum die Mitglieder der Schreibzunft abgöttisch liebten, weil er sich so gut verkaufte. Absichtlich legte er diese Visage natürlich nicht auf; er sah eben manchmal einfach so aus.

    Dimo verfolgte sich selbst im Klatschwort nur selten, er interessierte sich nicht für Rumgetratsche und lebte von einem in den nächsten Tag hinein. War er nicht auf den roten Teppichen des Königreiches anzutreffen, trieb er Sport oder machte sich von seinen königlichen Pflichten rar, verschaffte sich eine „Auszeit", wie er es nannte. An manchen Tagen war er deshalb wie vom Erdboden verschluckt. Das machte Edhard, der ihn nur zu gern für irgendwelche Termine einplante, wahnsinnig, da sich Dimo zu diesem Geheimnis nichts entlocken ließ und der Vater aufgrund dessen den schlimmsten, wie ein Damoklesschwert über sie schwebenden, Skandal von allen möglichen Skandalen vermutete. Bis auf Mizo wusste niemand Details und der hielt eisern die Klappe, selbst wenn ihm Edhard halbherzig Konsequenzen androhte.

    Diese hätte der König natürlich niemals wahrgemacht. Mizo gehörte zu Dimo, obwohl Edhard ihre Freundschaft nicht so nachvollziehen konnte, aber es stichelte ihn schon das eine oder andere Mal, dass der Sohn des Stallburschen so gar keine Angst zeigte, wenn er ihm drohte, ihn und seinen Vater, Friedwart, aus dem Schloss zu jagen. Mizo blieb stets höflich - und nichtssagend.

    „Miso, Miso, leg mal den Arm um Dimo", forderte ihn einer der Maler auf, woraufhin Mizo dem nachkam. Hektisch kritzelte der Maler auf das Pergament, um seine Zeichnung schnellstmöglich zu vervollständigen.

    „Lass mal sehen, unterbrach Dimo ihn und ließ sich das Bild vor die Nase halten. Zufrieden nickte er es ab: „Passt. Aber das nächste Mal sagst du Mizo mit Z, mein Bruder ist schließlich keine Suppe.

    Mizo lachte auf: „Vergiss es, Dimo. Wie ich tatsächlich heiße, hat er beim nächsten Mal eh schon wieder vergessen." Er boxte ihn leicht in die Seite und Dimo stimmte lachend zu. Er und Mizo machten sich regelmäßig über die Schreibzunft lustig, vor allem über den nervigen Reporter des Goldenen Wagenrads, Waldemar Schnüffelmann. Den Typ hatte Dimo echt gefressen. Der malte nicht nur unheimlich schlecht, sondern kritzelte auch noch unsagbar viel Mist über ihn. Deshalb rastete Edhard wiederum regelmäßig aus und brachte Dimo in Erklärungsnot, obwohl der eigentlich gar nichts gemacht hatte. Heute hatte Dimo den Wichtigtuer noch nicht gesehen, war aber auch nicht sonderlich scharf darauf.

    „Ich habe jetzt genug", sagte der Prinz und wandte sich ungeachtet der Proteste der Reporter in Richtung des Eingangs, der von Menschen belagert wurde.

    Zwischenzeitlich waren weitere prächtige und prollige Kutschen angekommen und füllten den Hof vor dem Klub. Die Reichen, Schönen und Wichtigen des Königreiches hielten sich überall auf: Schwätzchen vor dem Eingang, rauchen auf dem Hof, posieren für die Maler … Es war nicht leicht, sich den Weg in das Gebäude selbst zu bahnen, da Dimo es ablehnte, von den Leibwächtern des Hofes begleitet und beschützt zu werden. Mit Schaudern erinnerte er sich an eines der letzten Bilder, das vom Goldenen Wagenrad etliche Male gedruckt und ausgeschlachtet worden war: Er, begleitet von den in dunkler Kleidung, mit Wams, Sonnenbrillen, Schwertern und schulterlangen Haaren aufgepimpten Leibwächtern, bei einem öffentlichen Charity-Event, einer Gutzweckveranstaltung. So, wie das Bild ausgesehen hatte, war Dimo ein abgehalfterter Typ nach einer durchzechten Nacht, der noch richtig besoffen am nächsten Morgen, ohne den leichtesten Anschein von Anstand zu zeigen, einen Kindergarten eröffnete und sich dabei fachmännisch abschirmen ließ, weil ihm der Zweck dahinter eigentlich ziemlich egal war. Dimo mochte gar nicht daran denken, wie Edhard die Suppe beim Essen wieder ausgespuckt hatte, als er zufällig das Bild in der Zeitung sah. Noch weniger gern erinnerte er sich an den folgenden Monolog, der mal wieder entbrannt war und sein Leben, seine Moral und ihn selbst in Unehren brachte. Obwohl er den Kindergarten gar nicht betrunken betreten hatte, war die gute Tat dennoch in Vergessenheit geraten und der vermeintliche Skandal lebte bis zum heutigen Tage fort.

    Doch jetzt, während er sich den Weg in den Klub bahnte, vermochte er nicht daran zu denken. Immer wieder musste er Hände schütteln, kurz Schönwettergespräch abhalten oder für ein Selfie mit irgendwem aus der Schickeria posieren, was dann hektisch vom leibeigenen Fast-Speed-Maler des befreundeten Adels so fachmännisch wie ein Hochglanzfoto auf Papier festgehalten wurde. Edhard lehnte so einen Schnickschnack ab – hofeigene Fast-Speed-Maler zu beschäftigen – worin sich Vater und Sohn tatsächlich mal einig waren. Auch Dimo konnte sich nicht vorstellen, auf jedem Empfang von einem Selfiemaler begleitet zu werden. Doch letztlich gelang es ihm, sich loszueisen und, zusammen mit Mizo und weiteren Kumpels, das Gebäude zu betreten.

    Innen angekommen, empfing sie im Konzertsaal gedämmtes Licht, wild tanzende Menschen und laute Musik. Soeben spielte eine Gruppe von Minnesängern, die ganz Löwenbart und die anderen Königreiche mit ihren Auftritten in riesigen Stadien unsicher machten: „Die Mittelalter Boys. Aus Dimos Sicht eine bloße Horde von wellighaarigen Männern, die davon lebten, sinnreiche Texte wie „Ich liebe dich und du liebst mich zu singen und just in diesem Moment mit offenen Hemden auf nackter, enthaarter Brust und kreisenden Hüften auf der Bühne tanzend von liebreizenden Oberkörperbedeckungen der Damen beinahe totgeworfen zu werden. Die Mädels vor der Bühne kreischten abtrünnig, während Dimo und seine Kumpels auf den Getränkeausschank, auch neulöwenbartisch „Bar" genannt, zuliefen. Dabei kam ihm diese eine Frau entgegen, deren Namen er sich zwar nie merken konnte, aber trotzdem für attraktiv hielt – nicht den Namen, aber zumindest die Frau. Und da war sie wieder, die kleine Augenliebe zwischen ihnen beiden: Seit Jahren schon versuchte sie, bei ihm zu landen. Obwohl er vermutete, dass sie weniger Interesse an ihm selbst, der Person, hatte, als dem Thronerben, ging er dennoch gelegentlich darauf ein und tauschte den einen oder anderen Blick mit ihr aus. Sie lächelte ihn an, er lächelte zurück und zwinkerte. Das war es. Anschließend hielt er weiter auf den Flüssigtresen zu.

    Es war voll hier und zu seinem Erstaunen sah er eine Gruppe junger Mädchen auf der Tanzfläche, die maximal fünfzehn sein konnten. Sie tanzten wild zur Musik und sangen den Liedtext mit, wie zu Hause vor dem Spiegel mit der Haarbürste. Dimo stupste Mizo an, der gerade Getränke bestellte. „Wie kommen so junge Hühner hier rein?" Mizo wandte sich um und Dimo nickte in Richtung der Mädchen.

    „Schlafen mit dem Barkeeper", erwiderte Mizo achselzuckend. Dimo grinste; er kannte seinen Bruder gut genug, um den ironischen Scherz hinter dessen Worten zu verstehen.

    Eines der Mädchen, eine Dunkelblonde, tanzte und sang besonders wild, als ihr Augenmerk zufällig auf ihm landete. Sie stockte und glotzte ihn ungläubig an. Plötzlich fing sie an zu kreischen und zeigte hysterisch in seine Richtung, wodurch auch ihre Begleiterinnen auf ihn aufmerksam wurden und in das Gekreische einstimmten. Mit eingehakten Armen quetschten sie sich durch die Tanzenden auf den Ausschank zu, wie eine lebende Walze, und es wäre nicht verwunderlich gewesen, wären dabei so einige auf dem Boden niedergewalzte Opfer vor Schreck keuchend zurückgeblieben.

    Oh nein, dachte Dimo, als die Mädchengruppe auch schon vor ihm stand. Das Mädchen mit den dunkelblonden Haaren fächerte sich Luft zu. Ihr Kopf war rot, als sie heiser fragte: „Kann ich ein Autogramm haben, bitte?"

    „Na klar, wer bist du? Dimo schaute sie amüsiert an, aber auch etwas ängstlich, da ihr Gesicht mittlerweile so hochrot war, dass er Angst hatte, sie würde gleich umkippen. Doch sie strahlte ihn an und fächerte sich noch schneller Luft zu. „Gruupie, antwortete sie und reichte ihm einen Kohlestift. Er konnte das Lachen nicht unterdrücken.

    „Nee, nicht was, sondern wer bist du?"

    „Ja, Gruupie", antwortete das Mädchen erneut, seinen Wortwitz nicht verstehend. Dimo tauschte mit Mizo einen Blick aus und grinste.

    „Wo soll ich unterschreiben?, fragte er, da sie ihm zwar einen Kohlestift überreicht hatte, aber weder Papier oder irgendetwas Ähnliches bereithielt. Beschwingt riss sich das junge Liebchen die Bluse auf und zeigte auf ihren Brustansatz. War Dimo jetzt schockiert, entrüstet und so sehr vor den Kopf gestoßen, dass er sich schamhaft die Augen zuhalten wollte? Aber nicht doch. Da ihm sogar erwachsene Frauen wollene Schlüpfer zuschoben, war ein leicht entblößter Brustansatz nun wirklich nicht aufsehenerregend. Selbst wenn er Situationen wie diese nicht ausnutzte, schließlich war Gruupie in seinen Augen ein kleines Mädchen, amüsierten sie ihn dennoch ungemein. Ohne mit der Wimper zu zucken, tunkte er den Kohlestift in das Wasser einer Blumenvase auf dem Tresen, unterschrieb und reichte ihr den Stift zurück. Sie nahm ihn an, wobei sich ihre Fingerspitzen versehentlich zart berührten. Gruupie bekam kaum Luft, als sie von ihren Freundinnen unter den Armen gepackt und auf die Tanzfläche gezogen wurde. „Habt ihr gesehen? Er hat mich berührt! Er LIEBT mich!!, kreischte sie hyperventilierend, während sie sich nur mühsam wegziehen ließ.

    Dimo schmunzelte noch immer und nahm sein Getränk vom Tresen. Er setzte das Glas an und beobachtete besonnen die tanzende Menge, als eine regungslose Gestalt rechts im Blickfeld seine Aufmerksamkeit fesselte. Er ließ das Glas wieder sinken, den Blick fest auf die Gestalt gerichtet, und stupste Mizo an. „Da ist ER!"

    ER, Waldemar Schnüffelmann, stand, umringt von Tanzenden wie ein Fels in der Brandung, auf der Tanzfläche und beobachtete das Objekt seiner journalistischen Begierde: Dimo. Die rechte Hand flog nur so über das Pergamentpapier, das er auf ein kleines Brett gespannt hatte, und mit der anderen Hand vor sich hielt. Immer wieder hob und senkte er den Blick, imitiert von seinem Assistenten, ein kleines braunes Äffchen, das stets wie angewachsen auf seiner Schulter saß. Als sich ihre Augen trafen, hob Dimo das Glas zum Gruß an, trank daraus und zeigte mit der anderen Hand den Mittelfinger. Waldemars Stift fror auf dem Papier ein; seine Augen formten sich zu Schlitzen. Dann lächelte er listig, zeichnete einen finalen Strich und lief in etwas Entfernung an Dimo vorbei auf den Ausgang zu, ohne den Blickkontakt abreißen zu lassen. Provozierend hielt Dimo diesen fest.

    „Glückwunsch, morgen bist du wieder in aller Munde", sagte Mizo sachlich, als der Rücken des Klatschschreiberlings letztmalig im Türrahmen zu sehen war, bevor er, wie verschluckt, außer Sichtweite verschwand.

    „Ist mir egal, antwortete Dimo betont gelangweilt und drehte sich um. „Der Pöbel ist weg, jetzt wird gefeiert.

    Mit der Handfläche klatschte er auf den Tresen des Ausschanks, um neue Getränke zu ordern. Gemeinsam mit Mizo und seinen Freunden stieß er auf den Abend an.

    Nachdem Edhard am Morgen nach Dimos Partynacht dann doch alleine zur Jagd gegangen war, saß er beim Frühstück und schlürfte eine Tasse Kaffee, während er in der Zeitung las. Tilla, seine Gemahlin, die ihm gegenüber Platz genommen hatte, warf ihm beizeiten gequälte Blicke zu, wenn das Schlürfen zu laut wurde, sagte aber nichts. Sie war ein geduldiger Mensch.

    Jeden Morgen blätterte Edhard einen Stapel Zeitungen nacheinander durch. Hatte er die eine fertig und las die letzten Zeilen, nahm er auch schon die nächste zur Hand, um übergangslos weiterzulesen. Manchmal legte er eine Zeitung auf den Tisch, nahm die nächste und legte sie auf die erste und hielt beide gleichzeitig hoch. Er merkte das gar nicht und machte es unbewusst. Erst neulich, als Tilla realisierte, dass er ihr nicht zuhörte, hatte sie die Zeitung heruntergedrückt, um seine Aufmerksamkeit zu bekommen. Aber statt seines Gesichts strahlte sie nur das Titelblatt der nächsten Zeitschrift an und Edhard setzte den Artikel gefesselt fort.

    An diesem Morgen hingegen war sie selbst in ein Buch vertieft und legte dieses nur nieder, um sich erneut Kaffee einzuschenken. Nur durch Zufall fiel ihr Blick auf das Goldene Wagenrad, das als nächste Lesegelegenheit vor ihm auf dem Tisch ruhte. Ihr stockte der Atem beim Anblick der Headline, einer wahren Schockzeile. Das Blatt war bekannt für seine reißerischen, aber effektiven Einzeiler.

    „König Schmalzahn hat die Steuern erhöht, äußerte Edhard da gedankenverloren, legte die Zeitung beiseite und setzte die Kaffeetasse an die Lippen. Direkt vor seiner Nase lag das Goldene Wagenrad. Er nahm es in die Hand und fuchtelte damit herum, während er weitersprach und die Stirn in Falten legte. „Das wird noch böse enden, das sag ich dir. Seine Augen ruhten noch auf Tilla, als sein Körper schon wieder in Lesehaltung verfiel. „Ja, das glaube ich auch, fuhr sie schnell dazwischen, um ihn abzulenken. „Aber wie genau hat er die Erhöhung begründet?

    Er griff nach der vorherigen Zeitung. „Irgendwelche Lebenshaltungskosten, die angestiegen sind, warte mal." In der Zeitung blätternd, legte er sie auf das Goldene Wagenrad und verdeckte damit das Titelblatt. Erleichtert stieß Tilla die Luft aus den Lungen; die Gefahr schien gebannt.

    „Ah, hier, die Kosten für seine Privataudienzen und Kutschenfahrten haben sich erhöht. Das wird noch böse enden, das sag ich dir. Die Bürger werden sich irgendwann gegen seine Luxuslust wehren." Eine Antwort blieb Tilla erspart: Alfons, der Butler, klopfte und betrat das Esszimmer.

    „König Edhard, hier habe ich den magischen Spiegel der Madame Auxel, wie von dir gewünscht."

    „Aaaah, das ist gut. Erfreut rieb Edhard sich die Hände und erhob sich aus dem Stuhl. „Das wird Dimo freuen, sagte er, nahm den Spiegel an sich, drückte ihr einen Kuss auf die Stirn und verließ den Raum. Tilla lächelte ihm hinterher, bis die Tür mit einem leichten Klick ins Schloss fiel, dann verflog es. Schnell nahm sie das Goldene Wagenrad an sich und warf es in den Kamin, in dem ein kleines Feuer brannte. Alfons tat so, als hätte er es nicht gesehen, obwohl die ganze Dienerschaft die neueste Schockzeile über den Prinzen schon längst verschlungen hatte.

    Frohen Mutes machte sich Edhard in sein Arbeitszimmer auf, doch als er die Tür beschwingt aufriss, erstarb auch sein Lächeln auf den Lippen. Aus dem mittelgroßen Raum, mit königlichem Stil versehenen Büromöbeln in edler Optik, gähnte ihm das pure Nichts entgegen. Zur Wahrung der Fassung atmete er tief ein und aus. Das Zimmer war leer. Und dass, obwohl er hier mit Dimo verabredet war. Schon die zweite Verabredung, die der Sohn platzen ließ – an einem Morgen, wohlgemerkt. Entschlossen drehte Edhard sich wieder um und ging durch einen langen Gang in die Große Halle hinein, dann die breite Treppe hoch, bog links ab und stampfte immer lauter durch einen langen Flur, an dessen Wänden zahlreiche Gemälde seiner Ahnen hingen, auf Dimos Gemächer zu. Diese waren in dem Teil des Schlosses untergebracht, die der Öffentlichkeit nicht zugänglich und nur für die königliche Familie vorbehalten waren: dem kompletten ersten Stock.

    Noch zu Zeiten der Ahnen hauste die königliche Familie in einem zugigen, kaum beheizbaren, mittelalterlichen Schloss mit nackten, grauen Wänden, bis es Dimos Großvater, Eckbert, zu bunt wurde. Dementsprechend beschloss besagter Eckbert, das Schloss einfach Schloss sein zu lassen und lieber ein Haus wie ein Schloss bauen zu lassen, das wesentlich mehr Komfort bieten sollte: mit weißverputzten Wänden voller Gemälde, selbstbrennenden Fackeln, prunkvollen Kaminen in den Räumen und vor allem mit warmen Teppichen in allen Gemächern.

    Das Erdgeschoss hingegen wurde unter anderem für öffentliche Zwecke entworfen. Trat der Besucher durch das große Eingangstor, fand er sich in der Großen Halle wieder, die zu seiner rechten Hand einen langen Gang aufwies. Dieser führte zum königlichen Empfangssaal sowie zu weiteren zahlreichen Räumlichkeiten, wie Edhards privatem Arbeitszimmer, dem Esszimmer sowie einem dezent-elegant eingerichteten Wohnzimmer, das gelegentlich auch zu kleineren Empfangszwecken genutzt wurde.

    Links von der großen Treppe war ein weiterer, enger Flur, überdacht von einer Balustrade im ersten Stock. Dieser Flur ermöglichte den Zutritt zum Kaminzimmer, das Edhard und Tilla gerne abends nutzten, insbesondere im Winter, um in Ruhe und in Wärme zu lesen.

    Folgte der Besucher jedoch neugierig der großen Treppe, erklomm die mit rotem Teppich ausgelegten marmornen Stufen, befand er sich auch schon in den privaten Räumlichkeiten der königlichen Familie. Tagsüber war es kaum möglich, diese Stufen zu betreten, ohne von Wachen zurückgehalten zu werden. Doch außerhalb der Besucherzeiten, wenn das Schloss für Bürger nicht geöffnet war, konnte der erste Stock unbehelligt betreten werden.

    Noch zu Eckberts Zeiten wurde der linke Teil nicht bewohnt und war demnach gar nicht erst ausgebaut worden. Es hatte Dimo Jahre der Überzeugungsarbeit gekostet, seinem Vater die Erlaubnis abzuringen, diese Räumlichkeiten für sich herrichten zu dürfen. Edhard hatte befürchtet, ihn dadurch nicht mehr genug kontrollieren zu können, womit er letztlich, zumindest aus seiner Sicht, recht hatte. Aber Dimo hatte bitterlich um seine Privatsphäre gekämpft und nur knapp drei Jahre zuvor endlich gewonnen. Als Sprössling der königlichen Familie war es ihm nicht erlaubt, gänzlich auszuziehen; so stand es in der Löwenbarter Grundordnung, einer Art Gesetz sowohl für die Königsfamilie als auch für die Bewohner des Königreiches.

    „Die königlichen Mauern werden irgendwann über mir zusammenbrechen", spottete Dimo gern und häufig und wäre manches Mal lieber im Kerker gewesen, als eingesperrt inmitten der prunkvollen Wände, in einem Hausschloss, in dem jeder Raum viel zu groß war. Selbst arme Pferdeknechte durften von zu Hause ausziehen und hatten mehr Lebensfreiheiten als er, der privilegierte Königssohn. Doch Edhard pflegte solche Kommentare elegant zu überhören, genauso wie Dimos Bitte, nicht unangemeldet in seinem Schlafzimmer zu erscheinen, in dem er nun nichtsahnend schlummerte.

    Das Bett war mit dem Kopf zur Wand positioniert, so dass Dimo zu seiner rechten Hand aus dem Fenster, das er im Sommer nachts gerne offenließ, und zu seiner linken Hand auf die Tür schauen konnte. Diese wurde auch schon von Edhard lautstark aufgestoßen, wodurch das Türblatt geräuschvoll gegen die Wand donnerte. Sodann brüllte Edhard los: „Wieso bist du nicht beim Termin? Vor lauter Schreck fiel Dimo auf der anderen Seite des Raumes aus dem Bett. Verschlafen schaute er über die Matratze hinweg zum Türrahmen, in dem sein Vater mit wütendem Gesichtsausdruck auf eine Reaktion wartete. Wenig beeindruckt und seufzend, hievte Dimo sich vom Boden hoch und erhob sich, wobei die Decke herunterfiel und er nackt im Raum stand. „Was?, brachte er nuschelnd und gleichzeitig gähnend heraus.

    Zur Antwort verdrehte Edhard die Augen, lief zum Bett und warf dem Sohn ein Kissen zu. „Bedeck’ dich zumindest damit. Müde begutachtete Dimo dieses und winkte ab: Wenn sein Vater ohne anzuklopfen hineinkam, musste er auch mit den nackten Tatsachen leben. Wieder verdrehte Edhard nur die Augen, erwiderte aber nichts und hielt ihm stattdessen den Spiegel hin. „Wir hatten eine Vereinbarung. Einen Termin. Schon das zweite Mal heute Morgen, presste Edhard abgehackt und schnaubend hervor.

    „Ach ja, Verzeihung. Habe ich vergessen", gähnte Dimo, warf einen desinteressierten Blick auf den hingehaltenen Spiegel, und stemmte die Hände in die Hüften.

    „Eher verschlafen, korrigierte Edhard, woraufhin Dimo nickte. „Entschuldigung, ich wollte total pünktlich sein, um, um, na, um das eben zu machen, das eine, du weißt schon, aber mein Wecker hat versagt, antwortete der Prinz, ging um das Bett herum und öffnete seinen Kleiderschrank.

    „Es gibt Menschen, die haben eine gut funktionierende innere Uhr und stehen stets pünktlich auf. Edhard konnte nicht umhin, eine kleine Spitze vom Stapel zu lassen. Als Dimo nach seinen Klamotten griff und begann, sich anzuziehen, fügte Edhard hinzu: „Aber du hast recht. Der Fuchs hat den Hahn geholt, deshalb konnte er nicht krähen.

    „Der Fuchs konnte nicht krähen?", fragte Dimo in einer Stimme, die klang, als wäre er zu müde, um zu verstehen, verbarg damit aber nur den Schalk hinter seinen Worten, während er sich ein weißes Hemd über den Kopf zog.

    „Der Hahn, korrigierte Edhard und ergänzte leicht irritiert: „Du willst mich wohl auf den Arm nehmen.

    „Mitnichten, antwortete Dimo gelassen. „Ich treibe zwar Kraftsport, aber das ist selbst mir zu schwer. Empört zog Edhard sowohl Luft als auch Bauch ein. Zwar hatte er sich damit abgefunden, dass manche Verhaltensweisen Dimos weder ihm noch seiner verstorbenen Gattin zugeordnet werden konnten, aber dessen unverblümte Ausdrucksweise schockierte ihn deshalb nicht weniger. Genauso wie die Tatsache, dass sein Sohn so gar nicht den Willen zeigte, den Königsberuf zu erlernen und Verantwortung zu übernehmen. Er war in Dimos Alter schon längst Vater und nebenbei noch voll berufstätig gewesen, aber die Jugend heute … Schrecklich! Edhard äußerte diese Worte nicht laut, schüttelte aber trotzdem vielsagend den Kopf.

    Während Dimo sich weiter anzog, schnell die Zähne putzte und das Gesicht mit Wasser wusch, tippte Edhard mit dem Zeigefinger auf den Spiegel. Sofort veränderte sich die Oberfläche und zeigte Annoncen in dem Portal „Findemich an: „Suche dir eine Prinzessin, prangerte dick und fett auf dem Spiegel. Er trat näher an Dimo heran, der sich soeben vor dem Wandspiegel das kurze, dunkle Haar kämmte. „Hier, ich will, dass du dir das hier ansiehst. Erwartungsvoll hielt er seinem Sohn den magischen Spiegel hin, der soeben begann, sich zu rasieren. „Willst du den Bart nicht mal wachsen lassen?, fügte Edhard kritisierend hinzu, als Dimo auch schon wenig überzeugt den Spiegel nahm. Mit gerunzelter Stirn wischte er stetig mit dem Finger nach links und murmelte ein „Nein" nach dem Nächsten.

    „Nö, ich habe gestern erst ein Wachsbad genommen", antwortete Dimo trocken, während er genervt immer schneller wischte.

    „Du hast was?", fragte sein Vater stirnrunzelnd, denn die neuerdings modernen Verhaltensweisen der Jugend leuchteten ihm so gar nicht ein.

    „Ein Wachsbad genommen, zur Enthaarung, wiederholte Dimo ruhig. „Ein Vollbart passt dazu optisch nicht. Natürlich stimmte das mit dem Wachsbad nicht. Dimo sah sich als Mann an, der weder Bart-, Bein-, Brust- oder Augenbrauenhaare jemals zupfen würde, aber das wusste sein Vater ja nicht. Der war noch vom alten Schlag und fing mit dem heutigen Männerbild nur wenig an. Dimo hingegen ging mit der Mode, die vorsah, sich nur alle paar Tage zu rasieren; am Kinn, wohlgemerkt. Nach Edhards Weltbild jedoch wurde sich gemäß den Ahnen nicht rasiert – der Familienname kam ja nicht von irgendwoher – sondern maximal der schon gut sichtbare Bartwuchs minimal gestutzt. Weitere Frisuren im unteren Bereich des Gesichts gab es nun einmal nicht. Dimo sah das anders. Denn er bevorzugte den lässigen Stil, doch das verstand sein Vater einfach nicht. Wie so vieles andere auch, wie ihm heute ein weiteres Mal verdeutlicht wurde.

    Lustlos fingerte Dimo nun auf dem Spiegel herum. „Dafür sollte ich aufstehen?", fragte er vorsichtshalber mal nach.

    Überzeugt nickte Edhard ihm zu. „Es ist an der Zeit, dass du erwachsen wirst. Löwenbart braucht einen Erben und einen würdigen Nachfolger."

    „Jetzt?", fragte Dimo nach. Der Tag fing ja super an, dachte er für sich und ließ gelangweilt den Spiegel sinken.

    „Kann das nicht Grindelieb machen? Ich meine, er ist bestimmt froh, wenn er überhaupt mal eine abbekommt", bemerkte er trocken und hielt seinem Vater abschließend den Spiegel wieder hin, der diesen jedoch mit einer Handbewegung ablehnte und Dimos letzte Bemerkung überging.

    „Ich will, dass du dir eine Ehegattin suchst und verantwortungsbewusst wirst. Du lebst in einer Zeit, in der Männer nun mal Männer sind und klare Rollen und Aufgaben haben."

    Die Diskussion kannte Dimo schon auswendig. „Du gehst nicht mit der Zeit, Papa. Die Menschen sind keine Marionetten; es gibt keine allgemein gültige Rolle. Weder für Männer noch für sonst irgendwen, dafür sind Menschen einfach viel zu individuell."

    „Unsinn, schoss Edhard dagegen. „Hätte Gott das vorgesehen, hätte er Adam direkt mit Haardutt auf dem Kopf geschaffen.

    „Kommt vielleicht noch", entgegnete Dimo und ließ den Spiegel noch etwas tiefer sinken.

    „Blödsinn! Und nun schau sie dir an", antwortete Edhard nun leicht ungeduldig und hob den Spiegel in Dimos Hand wieder hoch. Sich neben den Sohn stellend, schaute er mit ihm zusammen auf die Oberfläche hinab. Eine wunderschöne Prinzessin schaute auf dem Bild schräg von unten zu ihnen hoch. Ihre Gesichtszüge und Haut ebenmäßig fein, wie bei einer Porzellanpuppe. Lange dunkle Wimpern umsäumten die Augen, der Mund war zu einem verheißungsvollen Kuss geformt.

    „Na, die ist doch mal was", sagte Edhard beeindruckt und nickte Dimo überzeugt zu. Der zog nur ein belustigtes Gesicht.

    „Wer soll das sein – Prinzessin Entenschnute? Wenn sie weiterhin so guckt, wird sie im Altersheim auch noch so aussehen, weil sich die Gesichtsmuskeln nicht mehr zurückbilden." Er konnte sich beileibe nicht vorstellen, dreißig Jahre und länger mit einer Frau zu verbringen, die solch inhaltslosen Fratzen für attraktiv hielt.

    Um Fassung ringend, warf Edhard nur kurz einen Blick an die Zimmerdecke. „Also gut, was ist mit ihr?" Er wischte auf dem Spiegel nach links, um die nächste Kandidatin anzeigen zu lassen. Die hatte schwarzes, glänzendes Haar, Haut so weiß wie Milch und Lippen so rot wie reife Kirschen: Eine richtige Schnitte, weshalb Edhard leise pfeifend die Luft einzog.

    „Ja, die wäre wirklich was, antwortete Dimo und nahm den Spiegel mit beiden Händen, um einen besseren Blick zu erhaschen. Edhard konnte es nicht fassen und fragte nur ungläubig zurück: „Wirklich? Er war schon drauf und dran, schreiend aus dem Zimmer zu eilen, um Tilla von dem Wunder zu berichten, als Dimo hinzufügte: „Wenn ich Interesse daran hätte, in einer Gruft zu leben."

    Nicht auf Anhieb verstand Edhard und fragte nach: „Wieso das denn?"

    „Na, die ist eine wandelnde Lichtallergie, siehst du doch." Vollends von der Sinnlosigkeit der Brautschau überzeugt, reichte Dimo den Spiegel wieder zurück.

    Doch Edhard ließ nicht so leicht locker: „Ist doch famos. Dann musst du ihr nur galant den Sonnenschirm halten und sie nicht mit deinem Mundwerk beglücken." Er schob den Spiegel wieder in Dimos Hand, der den Impuls unterdrückte, die Augen zu verdrehen.

    „Papa, so bleich, wie sie aussieht, pennt sie nachts in einem Sarg und steht nur bei Vollmond auf, um ein bisschen Blut zu tanken."

    „Auch gut, dann hast du keine hohen Lebensmittelkosten."

    „Dafür aber einen fetten Rabatt für den Kauf von Sonnenschirmen, oder was? Schau mal hier", Dimo zeigte zum Rand des Portals, „das ist schon die Werbung dafür. Persönliche Empfehlungen aufgrund deines Suchverhaltens. Vergiss es, ohne mich."

    Einen Moment lang passierte nichts. Mit offenem Mund starrte Edhard seinen Sohn an. Dann schnauzte er zurück: „Dir ist doch nicht zu helfen! Das wollen wir doch mal sehen. Sauer wischte er nach links. „Hier, die ist doch wirklich hübsch, brüllte Edhard schon fast und langsam die Nerven verlierend. Er schaute zwar nicht auf das Bild, fand aber trotzdem, dass er recht hatte.

    Seufzend betrachtete Dimo das Bild der nächsten Prinzessin, die sich R#si nannte, genauer: Blond, intensiv-blaue Augen, freundliches und ungekünsteltes Lächeln. Er stockte, sein Zeigefinger hing in der Luft, denn die Blonde hatte was. Aber er spürte die Erwartungshaltung seines Vaters so überdeutlich auf seinen Schultern lastend, ohne, dass der auch nur ein Wort sagen musste. Allein schon deshalb wischte er fast schon trotzig nach links und strich ihr Antlitz aus seiner Erinnerung. Er wollte sich nicht verkuppeln lassen, bereute es aber dennoch im selben Moment. Dimo öffnete den Mund, um einen flotten Spruch mit einem Hauch von Bedauern hinterherzuschieben („Leider keine dabei, sorry), als ihm der Vater schon ins gedachte Wort fiel: „Ich rede mit Tilla. So geht das nicht, wir müssen einen Ball für dich geben.

    Und damit rauschte der König aus dem Zimmer und ließ den verdutzten Dimo mit dem Spiegel zurück. Wieder seufzte er und pfefferte das Ding einfach aus dem Fenster, wo es an einem Baum zerbarst. Die Scherben fielen zu Boden und mit ihnen seine Erinnerung an das Bild der R#si.

    Am Abend ging Dimo wieder aus. Dieses Mal aber nicht ins Adelig, sondern in seine Lieblingstaverne „Schnabeltasse", in der er sich zum Kartenspielen verabredet hatte. Als er das überfüllte Etablissement betrat, sah er zwar seine Kumpels am Tisch sitzen, aber nicht Mizo, was ihn wunderte, da er eigentlich sehr pünktlich war. Normalerweise fuhren sie zusammen vom Schloss weg, da Mizo und sein Vater Friedwart, der Stallknecht und Mädchen für alles, auch auf dem Schlossgelände wohnten. Dieses Mal hatte Mizo ihn jedoch vorausgeschickt, weil er vorher noch etwas zu erledigen hatte.

    „Hey, Leute." Dimo trat an den Tisch heran und begrüßte

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