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Ada - Roadstory und Reiseführer
Ada - Roadstory und Reiseführer
Ada - Roadstory und Reiseführer
Ebook173 pages2 hours

Ada - Roadstory und Reiseführer

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About this ebook

Die junge Frau Ada lebt auf Neufundland und träumt von einem pulsierenden und abwechslungsreichen Leben auf dem Festland. Ihr schlechtes Gewissen gegenüber ihrem querschnittgelähmten Zwillingsbruder lässt sie auf der Heimatinsel verharren.
Da trifft sie Meghan, 80, die mit Truck und Trailer unterwegs ist. Sie ist für einen letzten Sommer in ihre Heimat zurückgekehrt, um mit ihrer düsteren Vergangenheit Frieden zu schliessen.
Ada und Meghan begeben sich zusammen auf eine Reise durch die Insel.
Immer mehr auf ihre innere Stimme vertrauend, findet Ada zu sich selbst.
LanguageDeutsch
Publishertredition
Release dateDec 23, 2020
ISBN9783347216938
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    Ada - Roadstory und Reiseführer - Fabrizia Testi

    1

    «Dieser verdammte Wind», schimpfte Ada, «hört der denn gar nicht mehr auf?» Sie gab es auf, sich die Haarsträhnen aus dem Gesicht zu streichen, und sah über den grossen Platz den davonwirbelnden Papierfetzen nach. «Was für ein Scheisstag! Wieso knall ich nicht Besen, Schaufel und Mülleimer in eine Ecke und verziehe mich nach Hause?»

    Ada kickte den Eimer auf die Seite. Er rollte in ein Schlammloch und versank. Das Klingeln des Telefons unterbrach ihre Tirade. Tante Florence war am Apparat. Adas Gesicht wurde weich und ihre Stinklaune verflüchtigte sich. «Hallo Boss, was steht an?», meldete sie sich.

    Florence war die Besitzerin des Campingplatzes Princehaven und Ada nahm sie gern auf die Schippe, weil sie so gar nicht dem Bild einer Chefin entsprach. Stets war sie gut angezogen und sah in allen Lebenslagen tadellos aus. Sie war kaum 1,60 Meter gross, trug klassische Blusen mit karierten, knielangen Röcken. Die Blusen peppte sie jeweils mit einer altmodischen Brosche oder der alten Perlenkette der McLeodys auf, die seit Urzeiten von der Mutter an die Tochter vererbt wurde. Ihre leicht angegrauten Haare hatte sie mit Strähnchen aufgefrischt, an ihre Haut liess sie ausser einer Creme von Estée Lauder weder Make-up noch sonstige Kosmetika. Sie war eine Dame. Aber eine, die den Schmutz nicht scheute und hart anpacken konnte. Ada beneidete sie um ihr ruhiges, ausgeglichenes Wesen. Florence war so ganz anders als sie selber: grosszügig und weise und ausnahmslos entspannt. Für jeden hatte sie ein offenes Ohr. Sie muss viel Lebenserfahrung haben, sonst verstände sie mich nicht so gut, dachte Ada.

    Über die Vergangenheit der Tante wusste sie nicht viel. Florence sprach nur vage und mit leichter Trauer in den Augen darüber. Dabei rollte sie jeweils nervös die einzelnen Perlen zwischen den Fingern oder, wenn sie eine der Broschen trug, polierte diese ständig. Ada schloss daraus, dass es in Tante Florences Leben doch Dinge gab, die sie beunruhigten, und sie deshalb ihre Hände beschäftigen musste.

    Ada wusste von ihrem Vater nur, dass seine kleine Schwester es in ihrer Kindheit nicht leicht gehabt hatte. Es war eine raue Welt gewesen. Die Mutter war früh gestorben und Florence musste mit knapp zehn Jahren den Haushalt übernehmen. Damals wurde die Wäsche in kochendem Wasser in einem riesigen Holzzuber über einer Feuerstelle gewaschen. Wie das kleine Mädchen das geschafft hatte, grenzte für Ada an ein Wunder. Florence hackte auch das Feuerholz und arbeitete im Garten, wenn Vater und Bruder draussen auf dem Meer waren. Kamen die beiden mit reichem Fang zurück, war es ihre Aufgabe, den Fisch weiter zu verarbeiten. Das hiess, Kopf und Eingeweide zu entfernen, die Filets zu salzen und dann, paarweise zusammengebunden an den Schwanzflossen, zum Trocknen auf Holzgestelle aufzuhängen.

    Ihre Jugend und die Ehejahre bezeichnete die Tante als eine Qual. Erst nach ihrer Scheidung seien gute Zeiten angebrochen. Sie war auf die Bonavista-Halbinsel zurückgekehrt. Dort hatte sie in einem Kaff einen heruntergekommenen Campingplatz gekauft und ihn mit Hilfe der Familie wieder in Schuss gebracht.

    An ihren freien Tagen half Ada ihr gerne aus. So konnte sich die Tante um ihren eigenen Haushalt in Bonavista-Dorf kümmern und ausspannen. Ada wiederum schnupperte auf dem Campingplatz den Duft der grossen, weiten Welt.

    Florences Stimme holte Ada in die Gegenwart zurück: «Und, wie sieht es aus? Hat es Überschwemmungen gegeben? Ist das Dach des Bürohäuschens noch dort, wo es sein soll? Und die zwei Wohnwagen, sind die umgekippt?»

    «Alles im grünen Bereich», beruhigte Ada sie. «Die Wagen stehen noch, allerdings schwappt der See bis auf zwei Meter an sie heran. Wenn es nochmals regnet, schwimmen sie davon. Und sonst …»

    Ada drehte sich um. Immer noch trieb der Wind das Wasser ins Land hinein. Äste und halbe Bäume lagen kreuz und quer herum oder schaukelten auf den Wellen gegen das neu entstandene Ufer. Wo der Boden trocken geblieben war, rollte Unrat von einer Ecke in die andere. Und das dort drüben, beim Bootssteg, war das eine tote Katze? Ada zuckte die Schultern und meinte ins Telefon: «Alles halb so wild.»

    «Bist du sicher?», fragte die Tante nach. «Bei uns sieht es fürchterlich aus. Da ging letzte Woche gar nichts mehr. Erst seit gestern Abend sind Strassen und Wasserwege wieder passierbar. In den Nachrichten ist von einem Jahrhundertsturm die Rede. Sie sagen, dass die Wreckhouse-Winde noch nie so gewütet hätten. Du weisst ja, die wehen sogar Lastwagen samt Anhänger von den Strassen. Also wenn du Hilfe brauchst, sag es bitte.»

    Ada schaute erneut zu den beiden Wohnwagen hinüber. Sie standen etwas verloren inmitten des verwüsteten Platzes. Anscheinend hatten die Besitzer anderes vor, als sich hier blicken zu lassen. «Vielleicht könntest du mal die Wohnwagenmenschen anrufen und ihnen mitteilen, dass sie bald Bootsbesitzer sind.» Ihr Blick wanderte zu den geborstenen Bäumen. «Wegen den Bäumen: Da bitte ich die Jungs aus dem Dorf um Hilfe. Wenn die ihre Kettensägen mitbringen dürfen, stehen sie ratz-fatz auf der Matte. Gäste erwartest du ja keine. So habe ich genug Zeit, um aufzuräumen.»

    «Doch», antwortete Florence zögernd. «Letzte Woche hat sich eine Frau angemeldet. Keine Ahnung, wo sie abgeblieben ist. Ich hoffe, es ist ihr nichts geschehen … Dieses Jahr läuft es nicht gut. Kein Wunder bei diesem Wetter! Es ist schon Mitte Juni und immer noch treiben Eisberge in der Bucht. Wer denkt da ans Campen? Die Einheimischen bleiben zu Hause und die Touristen verkriechen sich in gemütlichen Pensionen. Ich hoffe auf den Südwind, der …»

    «… die Reisevögel bringt», vervollständigte Ada den in Neufundland allgegenwärtigen Satz. Und dachte dabei: Der arme Südwind, wenn der wüsste!

    «Also dann», sagte Florence, «lasse ich dich weitermachen. See you!»

    Ada verstaute das Telefon und fragte sich, ob sie es heute noch schaffen würde, bei Steven und ihren Eltern vorbeizuschauen. Als sie einen hustenden Motor hinter sich hörte, drehte sie sich um. Der Vergaser, dachte sie, oder doch eher die Benzinleitung? Sie beobachtete, wie ein Truck mit Wohnwagen langsam in die Einfahrt rollte. Mit letztem Schwung schaffte es das Gefährt auf den Platz. Hinter der Frontscheibe war niemand zu sehen. What the heck?

    Das Seitenfenster wurde hinuntergekurbelt und ein Gesicht tauchte knapp über dem Fensterrand auf. «Hi, bin ich hier richtig auf dem Princehaven-Campground? Ich habe vor knapp zwei Wochen einen Platz reserviert. Allerdings für letzte Woche. Aber die Fähre, oder besser gesagt der Sturm, hat mir einen Strich durch die Rechnung gemacht.»

    «Ach», sagte Ada, «dann bist du Meghan Nelson? Wir haben uns schon gefragt, ob dir etwas zugestossen ist. Erst mal herzlich willkommen!»

    Auf Meghans Gesicht machte sich Erleichterung breit. Sie öffnete die Autotüre. Zuerst wurden geschwollene Füsse in hellrosa Flip-Flops sichtbar, danach entfaltete sich die ganze Person, kugelrund und mindestens 1,80 Meter gross. Eine leicht bläulich gefärbte Dauerwelle zierte ihren Kopf. Die Frau trug eine weite, zeltartige Bluse in einer undefinierbaren Farbe über einer scheusslich abgewetzten, glänzenden, ausgeleierten Trikothose, die knapp über der Wade endete.

    «Was bin ich froh, hier zu sein! Ich dachte schon, meine alte Lady», sie tätschelte den Truck, «schafft es nicht mehr. Sag, wo kann ich den Wohnwagen hinstellen?» Forschend schaute sie sich auf dem Platz um. «Viele Möglichkeiten gibt es ja nicht.»

    «Such dir einen trockenen Platz, bis das Wasser abgelaufen ist», sagte Ada. «Normalerweise ist die Seeseite sonniger, dafür hat die Waldseite nicht so viel Wind.» Ada musterte den verdreckten Truck. «Woher kommst du bei dem Sauwetter?»

    «Direkt vom kanadischen Festland. Wegen des Sturmes musste ich knapp eine Woche am Fährhafen in Sydney warten. Erst gestern Abend durfte das Schiff ablegen.» Meghan verzog schaudernd das Gesicht. «Die Überfahrt war grauenvoll.»

    «Und wie lange willst du bleiben?»

    «Ungefähr vier Wochen, mal schauen.»

    «Brauchst du Hilfe beim Einparken?»

    «Nein, nein.» Meghan schaute zum dunklen Himmel. «Ich beeile mich besser. Wenn ich alles angeschlossen habe, komme ich zur Anmeldung ins Büro.»

    «Okay. Hast du Lust auf eine Tasse Tee?»

    «Das wäre ganz wunderbar, meine Liebe. Bis später.»

    Auf dem Weg zum Bürohäuschen sah Ada, dass Meghan bereits im Truck sass und ihren Wohnwagen zügig auf den nächstbesten Abstellplatz manövrierte. Im Büro heizte Ada den kleinen Holzofen ein, setzte Teewasser auf und stellte die Infomappe für Camper zusammen. Währenddessen schloss Meghan sämtliche Kabel und Schläuche an und kam dann, den Pfützen und Ästen ausweichend, zur Anmeldung.

    Adas schlechte Laune war wie weggeblasen. Vielleicht hätte Meghan Zeit für einen kleinen Schwatz? Sie war so anders als andere Reisende. Sie war mindestens achtzig Jahre alt. Ihr Gang war schwerfällig und langsam. Sie hatte geschnauft wie eine Dampfwalze, als sie sich erneut in den Truck gehievt hatte. Ihre geschwollenen Beine sahen aus, als würden sie gleich platzen. Einzig ihre Augen blickten … Ja, wie blickten sie? Jung und alt zugleich. Ist das überhaupt möglich, fragte sich Ada. Auf jeden Fall sehe ich eine Menge Lebenslust, Neugier und Weisheit darin.

    Sie musterte sich selber im kleinen Wandspiegel auf der Suche nach ähnlichen Merkmalen. Aber sie sah nur eine kleine, zierliche Person in Jeans und Kapuzenpulli, ihrer Dauerbekleidung. In Anbetracht der Wetterlage trug sie statt Turnschuhen rote zerknautschte Gummistiefel. Aus dem riesigen Schalkragen blickte ihr ein blasses, nichtssagendes Gesicht mit hellen Augen entgegen, die weder Frische noch Weisheit ausstrahlten. Die Sommersprossen glänzten je nach Sonnenlicht mal mehr oder weniger auf ihrer Nase. Das einzig Auffällige war ihre sandfarbene, widerspenstige Mähne, die nur einen Kamm sah, wenn Ada als Pflegehilfe im Altersheim unterwegs war. Dann fasste sie die Haare auf der Fahrt ins Heim mit einer Klammer nachlässig zusammen.

    «Es gibt nichts Bemerkenswertes an mir», stellte sie fest. «Ich sehe aus, wie mein Leben ist: langweilig.»

    Die Türe öffnete sich und Meghan trat ein. «Ist das ein gemütlicher Raum», rief sie verblüfft, «und vor allem schön warm.»

    Da hatte sie recht. Das knisternde Feuer im Kamin tauchte das Büro nicht nur in ein warmes Licht, sondern verbreitete auch einen würzigen Duft nach Zedernholz.

    «Setz dich doch», forderte Ada sie auf und wies auf die beiden Sessel vor der Feuerstelle.

    Meghan liess sich nicht zweimal bitten. Sie streifte ihre Flip-Flops ab und legte die Füsse zum Aufwärmen auf das aufgeschichtete Holz vor dem Ofen. Dann schaute sie sich um. Eine riesige Neufundlandkarte schien sie magisch anzuziehen. «Es ist schon ein schroffer Fels, was? Ein einziger Highway mit unzähligen, endlos langen Stichstrassen; versteckte Ecken; namenlose Inseln; und Campingplätze sehe ich auch fast keine. Ich frage mich …» Meghans Gesicht nahm einen abwesenden Ausdruck an. Sie schien sich in Gedanken zu verlieren. Erst Adas Frage brachte sie in die Gegenwart zurück.

    «Die Fahrt hierher? Sie war lang und anstrengend. Die Strassen waren blockiert durch umgestürzte Bäume und wenn es endlich vorwärtsging, musste ich im Zickzack fahren. Ihr habt ja riesige Schlaglöcher hier. Zum Teil erinnerten sie mich an Mondkrater. Wobei, ich war noch nie auf dem Mond. Aber du weisst, was ich meine.» Sie zwinkerte Ada zu. «Eigentlich kosteten die mich am meisten Nerven.» Trotzdem funkelten ihre Augen vergnügt. «Aber jetzt bin ich ja hier.»

    Ada reichte Meghan eine Tasse heissen Tee und setzte sich zu ihr. «Du bist das erste Mal in Neufundland, sonst wären dir unsere ‹potholes›, unsere legendären Schlaglöcher, ein Begriff. Ich hingegen kenne nichts anderes.» Leichte Wehmut huschte über Adas Gesicht.

    «Ursprünglich komme ich aus St. John’s, lebe aber seit 63 Jahren auf dem Festland»,

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