Von der Steuervielfalt zum Steuersystem: Wegweiser zu einer grundlegenden Reform der Besteuerung des Einkommens der Bürger und des Gewinns von Unternehmen
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Book preview
Von der Steuervielfalt zum Steuersystem - Dr. Manfred Rose
Teil I
Zur Akzeptanz von Steuerlasten
von schlechten und guten Steuern
Theorie und Praxis der öffentlichen Finanzen ist beinahe vollkommen von dem Bestreben geformt worden, die auferlegte Last soweit wie möglich zu verschleiern und diejenigen, die sie letztlich zu tragen haben, so wenig wie möglich darauf aufmerksam zu machen. Es ist wahrscheinlich, dass die gesamte Komplexität der Steuerstruktur, die wir errichtet haben, weitgehend das Resultat der Bemühungen ist, die Bürger zu überreden, der Regierung mehr zu geben, als wozu sie bei voller Faktenkenntnis bereit wären.
Friedrich Hayek
Österreichischer Nationalökonom
Steuerhinterziehung ist der strafbare Versuch des Steuerzahlers, das staatliche Versprechen der Steuergerechtigkeit auf privater Basis zu realisieren.
Helmar Nahr
Deutscher Mathematiker und Unternehmer
Der deutsche Romantiker Novalis hat sehr viel über die Schönheit der Natur und über die Wonnen der Liebe geschrieben. Weniger über das Steuerzahlen. Doch hatte er auch dazu eine reichlich romantische Anschauung. Er schrieb:
"Man sollte dem Staat seine Steuern zahlen wie man seiner Geliebten einen Blumenstrauß schenkt."
Blumen fürs Amt
Wie Poeten ihre Steuern zahlen
Von solch‘ hingebungsvollen Manieren kann der Finanzminister nur träumen. Eher im Hass als in Liebe begegnet der deutsche Staatsbürger seinem Finanzbeamten, mit dem er gnadenlos um jeden Cent ringt.
Wenn einer nicht spurt, wie der andere will, geht es vor den Kadi. Hochkonjunktur für Finanzgerichte: Zigtausend Urteile ergehen Jahr für Jahr im Namen der Steuer. Diese Art der Behandlung von Steuerpflichtigen entspricht wohl eher der Auffassung von Jean-Baptist Colbert, der da sagte:
Steuereintreibung
Gnadenlos
„Zu besteuern heißt, die Gans so zu rupfen, dass man möglichst viel Federn mit möglichst wenig Geschrei erhält."
Der Staat ist nicht zimperlich. Allerorts geht die Steuerfahndung um. Bei tausenden Steuerzahlern wird übers Jahr hinweg geschnüffelt und durchsucht. Und jedes Jahr steigt die Zahl der Ermittlungen. Die Summe der Rückzahlungen ertappter und durch Selbstanzeigen verängstigter Steuersünder geht in die Milliarden.
Der große Konz
Pfundige Anregung zum Schummeln
Der Bürger hält dagegen. Wer keine Berater anheuert, quält sich durch Ratgeber wie „Keine Angst vor dem Finanzamt oder den Doppelpfünder „1 000 ganz legale Steuertricks
von Franz Konz. Wer will, fasst die „ganz legalen Steuertricks" dabei auch als
Anregungen für ein bisschen illegales Schummeln auf. Schummeln hier, etwas Schummeln da, das gilt eh schon als Volkssport. Bei Umfragen gestehen regelmäßig vier von fünf Befragten, dass sie es bei ihrer Steuererklärung mit der Wahrheit nicht ganz so genau nehmen. Beliebt ist auch noch immer das Steuerhinterziehen des kleinen Mannes durch Schwarzarbeit.
Doch auch die große Steuerhinterziehung grassiert. Dabei wurde schwarze Barschaft schon immer gerne außer Landes geschafft, am liebsten auf Bankkonten in Luxemburg, der Schweiz, Liechtenstein oder karibischen Steueroasen.
Ob legal, ob illegal
ist für viele ganz egal
Zöllner berichten, dass sich auch ganz feine Leute durchaus mal hinter das Lenkrad eines alten VW-Polos oder Fiat-Puntos klemmen, wenn sie ihr Bares unauffällig über die Grenze karren wollen. Aber nicht nur Schwarzgeld wurde tonnenweise ins Ausland geschmuggelt. Das meiste Geld, das Deutsche unter dem Mantel der Verschwiegenheit auf ausländische Bankkonten eingezahlt haben, war an sich „sauber". Freilich nicht die darauf gezahlten Zinsen sowie die damit erzielten Spekulationsgewinne!
Fahrerflucht
Aufgedeckt wurde die Hinterziehung der Steuer auf Kapitalerträge – wohl bislang nur zu einem geringen Teil – durch die von Finanzbehörden gekauften CDs mit Daten über Anlagekonten Deutscher – z.B. in der Schweiz – sowie auch durch Selbstanzeigen. Ab Frühjahr 2010 bis Ende 2018 haben sich bundesweit etwa 120 000 Bürgerinnen und Bürger selbst angezeigt. Die hieraus folgenden Mehreinnahmen des Fiskus beliefen sich auf bis zu 7 Milliarden Euro. Packt man alle möglichen Steuerbetrügereien zusammen, kommt da alles in allem also schon einiges an Kleingeld zusammen.
54 Milliarden und mehr pro Jahr
vorbeigeschleust am Fiskus
Nach neueren aus der Presse zu entnehmenden Schätzungen soll der durch Steuerhinterziehung bewirkte Steuerausfall derzeit fast ein Sechstel der Gesamteinnahmen des Bundes betragen. Für das Jahr 2018 wären dies rund 54 Milliarden Euro. Es handelt sich hierbei jedoch immer um Schätzungen nach ganz unterschiedlichen Methoden. Genau weiß niemand, wie hoch das Ausmaß der Einnahmenverluste aus Steuerhinterziehungen für den Fiskus tatsächlich ist.
Wer als Neuling ins große Steuerhinterziehungs-Business einsteigen will, findet auch hierfür passendes Lehrmaterial auf dem lukrativen Markt für graue Steuerliteratur. Frank und frei informieren da die Vertuschungsexperten über „Schwarzgeldanlage in der Praxis oder „Die besten Steueroasen für Ihr Geld weltweit
. Und wer nicht nur sein Geld, sondern gleich seinen gesamten Hausstand (inklusive sich selbst) aus steuerlichen Gründen ins Ausland verfrachten will, greift zum „Ratgeber Steuerparadiese".
Gerade erst in der Aufdeckungsphase befindet sich die Steuerhinterziehung Vermögender bezüglich des verdeckten Parkens ihres – teilweise ‚schmutzigen‘ – Kapitals in Off-Store Gesellschaften (Briefkastenfirmen, z.B. in Panama). Dabei sollen ihnen auch Banken geholfen haben. Für die hierüber vor allem intendierte Hinterziehung der Steuern auf Zinsen und Gewinne aus der Veräußerung von Wertpapieren wurde seitens der ‚Fluchthelfer‘ unverblümt mit Slogans wie „Zweitwohnsitz für Kapital und „Reisen bildet, z.B. Kapital
geworben.
Reisen in die Karibik bildet, z.B.
unversteuertes Kapital
Steuern sparen deutsche Bürger auch durch Verlagerung ihres Wohnsitzes ins Ausland. Hierbei handelt es sich nicht um strafbaren Steuerbetrug, sondern um legale Steuervermeidung.
Mitbürger a.D.
Zelte abgebrochen und „rübergemacht"
Viele vermögende „Mitbürger a. D. haben aus diesen Gründen dem deutschen Fiskus schon lange den Rücken gekehrt: Zelte abgebrochen und „rübergemacht
nach Österreich oder lieber noch in die Schweiz oder gleich ins „steuerbefreiende" Monaco. Prominente Sportler nutzen diesen Weg wohl ausgiebig.
Nach Auffassung von Steuerexperten der OECD haben die nationalen Steuergesetze in der zunehmend vernetzten Welt ihren Zugriff nicht nur auf Kapitaleinkommen der Bürger, sondern auch auf die Gewinne global operierender Unternehmen, der digitalen Wirtschaft und des beweglichen Kapitals verloren. So würden solche Aktivitäten und Anlagen zunehmend – legal – ins Ausland verlagert, wo geringere oder keine Steuern zu zahlen sind.
Aber ob Steuervermeiden oder Steuerhinterziehung, beide Aktivitäten sind Indikatoren für eine niedrige Steuermoral in Deutschland. Das zeigen nicht zuletzt auch die Ergebnisse der – im Auftrag des Bundes der Steuerzahler NRW – von der Kölner Forschungsstelle für empirische Sozialökonomik durchgeführten Befragungen zur Steuermentalität deutscher Bürger. Hiermit soll deren grundsätzliche Einstellung zu den deutschen Steuern, und dabei vor allem zu der empfundenen Last nach Höhe und fairer Verteilung erfasst werden. Die letzten Befragungsergebnisse aus dem Jahr 2014 ergaben, dass die Steuermentalität deutlich gesunken ist. Mehr als 85 Prozent der Befragten, d.h. mehr als vier von fünf Bürgern betrachten ihre individuelle Steuerlast als zu hoch.
Depression
Steuermentalität der Deutschen auf dem Tiefstand
4: 1 verloren
nur jeder Fünfte findet die Steuern gut
Es gibt wohl die folgenden drei Hauptgründe für das schlechte Verhältnis von Steuerstaat zu Steuerbürger.
➢ Kriminelle Veranlagungen bestimmter Bürger und auch von Unternehmen zur Steuerhinterziehung, die allerdings dem Staat in keinem Land der Welt eine andere Wahl lassen als den Einsatz seiner strafenden Machtmittel.
➢ Das Verhältnis der für die Steuererhebung zuständigen staatlichen Organisationen zu den Steuerpflichtigen ist nicht ausreichend genug partnerschaftlich geprägt. Das partnerschaftliche Steuerregime geht von dem Grundsatz aus, dass die Bürger verantwortungsbewusste Menschen sind, die durchaus dazu bereit sind, ihre Steuern ehrlich zu zahlen, solange diese erkennbar fair und einfach sind. Der Staat verhält sich in diesem System wie ein fairer Partner und schenkt den Steuererklärungen der Bürger weitgehendes Vertrauen. Der Bedarf an Steuerberatern ist gering, weil die Steuerzahler im Zweifel gleich die Finanzbeamten selbst konsultieren.
Berufsberatung
Wo Steuerberatern die Mandanten fehlen
➢ Das Steuerrecht ist so organisiert, dass es von den Steuerpflichtigen nicht verstanden wird, d.h. vor allem bezüglich der zu erfüllenden Steuerpflichten und der Höhe der abverlangten individuellen Steuerlast sowie oft auch bezüglich der Verteilungen der Steuerlasten. Auch hierdurch werden nicht nur Anreize zur Steuervermeidung, sondern auch zur Steuerhinterziehung ausgelöst, die von den Akteuren oft – wegen Einschätzung ihrer Geringfügigkeit – nur als Kavaliersdelikt betrachtet wird.
Der Staat hat bei einer Einsicht zu den beiden letzten Gründen und dem Willen hiergegen etwas zu tun, durchaus die Chance, die erforderlichen Rahmenbedingungen für eine Verbesserung des ‚Steuerverhältnis‘ zu seinen Bürgern zu schaffen. Dabei wären sie eigentlich durchaus dazu bereit, ihren fairen Teil zur Finanzierung des Staates beizusteuern.
Wenn uns denn, ja wenn uns denn das deutsche Steuerregime im Großenund Ganzen als partnerschaftlich und damit als gut erschiene. Doch das ist offenbar nicht der Fall. In dieser Situation sollte es doch lohnend sein, einmal darüber nachzudenken, wie ein partnerschaftliches System der Einkommensbesteuerung denn überhaupt aussehen müsste. Ein Steuersystem, das akzeptiert würde, das überzeugt und nicht überwältigt. Sicherlich müsste ein solches System vor allen Dingen erst einmal fair sein.
Der Wille ist da
Womit der Staat rechnen sollte
Wie die Ergebnisse der Steuerwiderstandsforschung zeigen, ist der starke Wunsch der Bürger nach fairen Steuern keineswegs vorgeheuchelt. Die steuerpsychologische Forschung hat vielmehr nachgewiesen, dass das Gerechtigkeitsempfinden in der Tat einen besonders großen Einfluss auf die Steuermentalität und Steuermoral nimmt. Eine eigene hohe Steuerbelastung wird demnach weit eher akzeptiert, wenn die Steuerlasten insgesamt als fair verteilt angesehen werden.
Fairer machen
Gerechtigkeit bricht Steuerwiderstand
Verhaltensexperimente haben darüber hinaus auch bewiesen, dass Gelegenheiten zur Steuervermeidung und zur Steuerhinterziehung in einem als fair empfundenen Steuersystem weit weniger ausgenutzt werden als in einem als unfair empfundenen Steuersystem. Die Bürger wollen also ein faires Einkommensteuerrecht und haben deshalb auch ein Anrecht darauf. Wann aber wird eine Einkommensteuer als fair empfunden? Bei den Steuerexperten herrscht Einigkeit darüber, dass eine gerechte Einkommensteuer zwei Forderungen erfüllen sollte:
Gerechtigkeit
Horizontal und vertikal
• Bürger mit einem gleich hohen Einkommen sollen auch einen gleich hohen Teil davon abgeben.
• Je mehr Einkommen jemand hat, desto größer sollte der Teil sein, den er davon abgeben muss.
Ist die erste Forderung erfüllt, spricht man von einer horizontal gerechten Steuer, ist die zweite erfüllt, sagt man, die Steuer sei vertikal gerecht. Während die erste Forderung nach horizontaler Gerechtigkeit sofort verständlich ist, soll die zweite Forderung nach vertikaler Gerechtigkeit kurz an einem Beispiel veranschaulicht werden:
Sagen wir, Herr Müller habe ein Einkommen von 30 000 Euro und muss darauf 6 000 Euro Steuern zahlen – muss also davon 20 Prozent abgeben. Frau Lüdenscheid habe ein Einkommen von 60 000 Euro und muss bei gleichem Steuersatz 12 000 Euro Steuern zahlen. Dann gilt: Frau Lüdenscheid verdient doppelt so viel wie Herr Müller und zahlt auch doppelt so viel Steuern. Damit wird dem Grundanspruch einer vertikal gerechten Einkommensbesteuerung entsprochen. Weitergehend wird auch die Meinung vertreten, dass die Steuerzahlung nicht nur mit dem Einkommen absolut, sondern auch relativ steigen müsse. Hiernach hätte Frau Lüdenscheid nicht 20 %, sondern vielleicht 30 % von ihrem Einkommen abzugeben.
Um die beiden ‚Gerechtigkeiten‘ zu garantieren, sind zunächst zwei Schritte absolut notwendig:
1. Im ersten Schritt muss das Einkommen eines jeden Bürgers möglichst genau und treffsicher bestimmt werden. Das Resultat dieser Bemühungen ist das zu versteuernde Einkommen, das auch als Steuerbemessungsgrundlage der Einkommensteuer bezeichnet wird. Da aber beide Begriffe sehr sperrig sind, spreche ich im Weiteren einfach von der Steuerbasis.
Drei Schritte
zu einer fairen Einkommensteuer
2. Im zweiten Schritt muss für jeden möglichen Betrag der Steuerbasis ein vom jeweiligen Steuerbürger zu entrichtender Steuerbetrag so festgesetzt werden, dass die beiden Gerechtigkeitsforderungen insgesamt erfüllt werden können. Das Resultat dieses zweiten Schrittes folgt aus dem Einkommensteuertarif.
Insbesondere bei den mit dem ersten Schritt verbundenen Anforderungen ist eine Fülle entscheidender, oft unterschätzter Probleme zu lösen:
Die große Frage
Was sind eigentlich Einkommen?
• Was sind eigentlich Einkommen?
• Welche Einkommen gehören in die Steuerbasis?
• Wie ermittelt man die einzubeziehenden Einkommen?
• Wann und wie sind frühere negative Einkommen (Verluste) in der heutigen Steuerbasis zu berücksichtigen?
• Welche Privataufwendungen – d.h. solche, die nicht der Erzielung, sondern der Verwendung von Einkommen dienen – dürfen die Steuerlast mindern?
• Wie bestimmt sich die Steuerbasis aus Einkommen und solchen besonderen Abzügen?
Aus der Forderung, „gerecht" zu besteuern, finden wir unmittelbar leider keine Antworten auf diese Fragen. Hier kann nur ein ‚Steuerleitbild‘ helfen, das uns die notwendigen Regeln für eine faire Bestimmung der Steuerbasis an die Hand gibt. Ungerecht wäre dann, wenn das Steuerrecht dem jeweiligen Leitbild entgegen bestimmte Einkommen geringer als alle anderen oder sogar gar nicht belastet. Angenommen, das Steuerrecht würde die Honorare von Steuerberatern als steuerfreies Einkommen betrachten und der Steuerbasis deshalb nicht hinzurechnen. Das wäre augenfällig eine grobe Ungerechtigkeit, weil es Steuerberater in einer völlig unfairen Weise besser stellen würde als Mitbürger, die einen anderen Beruf ausüben.
Steuer-Leitbilder
Prinzipien für eine faire Steuerbasis
Gibt es solche groben Ungerechtigkeiten in der deutschen Steuerrealität? Leider ja – und dabei nicht zu wenige! Wer sie wahrnehmen kann, ist dem Staat dafür dankbar, weshalb sie bislang auch nicht abgeschafft wurden.
Nicht anders ist zu erklären, dass es noch immer den langen Katalog von Steuerbefreiungen im Paragrafen 3 des Einkommensteuergesetzes gibt. Dieser könnte eigentlich vollständig gestrichen werden.
Von den betroffenen Interessenvertretern wird z.B. weiterhin vehement die Beibehaltung der steuerfreien Zuschläge zur Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit verteidigt. Ein Politiker, der sich für die Abschaffung dieser Vergünstigung einsetzte, müsste sich den Vorwurf gefallen lassen er würde den ohnehin kargen Lohn der Tag und Nacht schwer schuftenden Krankenschwestern steuerlich höher belasten wollen. Dass auch andere ihre Einkommen sonntags, nachts oder gar an Feiertagen erzielen und hierfür steuerlich nicht entlastet werden, spielt dabei keine Rolle.
Der Gesetzgeber kommt mir manchmal wie der Osterhase vor. Wie dieser durch den Garten hoppelt und bunte Ostereier versteckt, springt jener durch das deutsche Steuerrecht und stopft hier und da fleißig Steuergeschenke hinein. Im Gegensatz zum Osterhasen wundert sich der Gesetzgeber hinterher allerdings darüber, dass die Steuerzahler ebenso fleißig nach diesen Geschenken suchen und sich auch viele dieser Geschenke abholen, für die sie eigentlich gar nicht bestimmt waren. Die Steuerprivilegien haben nämlich einen äußerst gefährlichen Verführungseffekt: Schritt für Schritt verführen sie den Steuerzahler dazu, sich von der Legalität erst ein wenig und dann immer mehr zu entfernen.
Ein amüsantes und relativ harmloses Beispiel zeigt den Verführungseffekt in Aktion: Nach den Steuererklärungen zu urteilen gab es in ganz Deutschland nicht eine einzige Fahrgemeinschaft von Berufspendlern. Was denken Sie: Gab es wirklich keine? Oder glauben Sie nicht auch, dass die vermeintliche Nichtexistenz von Fahrgemeinschaften etwas mit der hohen Kilometerpauschale zu tun gehabt haben konnte? Der Gesetzgeber hat dann kapituliert. Mit der neuen Entfernungspauschale ist jetzt alles (l)egal: sie gilt nicht nur für Autofahrer und Nutzer öffentlicher Verkehrsmittel (außer Flugzeug und Taxi), sondern auch für die Benutzung eines Bootes, des Fahrrades und der eigenen Füße. Nur wenn man zu Hause bleibt und trotzdem 30 Cent für jeden Entfernungskilometer als abzugsfähige Werbungskosten deklariert, ist dies eine illegale Steuerverkürzung. Viele stört das überhaupt nicht und die Finanzämter können einen solchen Missbrauch kaum kontrollieren.
Km-Pauschale
Missbrauch kaum kontrollierbar
Demnächst gibt es noch mehr, denn für die klimapolitisch begründete Erhöhung der Kraftstoffe solle die Pendler durch eine Erhöhung der Pauschale entschädigt werden.
Das deutsche Einkommensteuerrecht ist mit seinen vielfältigen Steuerausnahmen ein regelrechter Verführungsautomat. Ungerecht ist daran zunächst, dass der Ehrliche immer benachteiligt ist.
Hiervon abgesehen gilt zudem auch, dass die Besserverdienenden eine größere Manövriermasse haben und dadurch vielfältigeren Verführungsreizen ausgesetzt sind. Sie sind nicht anfälliger für Steuerhinterziehung als andere, sie haben dazu aber mehr Gelegenheiten. Aufgrund der Progression des Tarifs fallen Steuerersparnisse bei ihnen auch größer aus als bei Bürgern mit einem mittleren oder geringen Einkommen.
Grob ungerecht
Riesige Profite - und keine Steuern
Entlastung aus Spenden steigt mit dem Einkommen
Da bleiben etwa riesige Profite, die durch den Verkauf von Häusern und anderen Immobilien erzielt werden, nach einer 10-jährigen Haltefrist steuerfrei. Wenn der Bezieher eines jährlichen Einkommens von 300 000 Euro 1 000 Euro spendet, dann reduziert sich seine Steuer derzeit (2020) um 474,75 Euro. Verdient jemand jährlich nur 20 000 Euro, so schenkt ihm der Fiskus nur 274,30 Euro, also rund 200 Euro weniger.
Ein mustergültiges Beispiel ist in diesem Zusammenhang auch das nach Paragraf 35a des Einkommensteuergesetzbuchs als haushaltsnahes Beschäftigungsverhältnis gewährte Dienstmädchen- und Butler-Privileg:
Es