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Futura: Der Staat aus der Zukunft
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Futura: Der Staat aus der Zukunft

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About this ebook

Europa ist in Gefahr. Dieses Buch zeigt die Risiken in der Wirtschaft, einer falschen Politik und einer zunehmenden Abhängigkeit von fremdem Kapital. Die Gedanken über Wirtschaft, Zuwanderung und Politik sind in eine spannende und faszinierende Zeitreise eingebettet.

Der Mittelstand schrumpft. Narzisstische Politiker, unkontrollierte Zuwanderung, extremer Reichtum in den Händen einiger Menschen, multinationale Unternehmen und ausufernde Sozialansprüche gefährden den sozialen Zusammenhalt. Gibt es eine Lösung?
LanguageDeutsch
Publishertredition
Release dateJun 21, 2017
ISBN9783743915657
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    Futura - Wolfgang Grüner

    Kapitel 1: Der Aufbruch

    20. Februar 2120

    Hunderte Augen starrten fasziniert auf die Bildwand, die die ganze Raumseite des Kontrollzentrums einnahm. Trotz der frühen Stunde war der Raum dicht besetzt.

    Eigentlich sollte es ein Routineunternehmen sein, immerhin war die Marsstation seit zwanzig Jahren in Betrieb.

    Starts zum Mars und die Rückkehr zur Erde erfolgten im Fünfjahrestakt, der Aufbau der Station lag im Plan. Erfreulicherweise war bisher kein schlimmer Rückschlag zu verzeichnen. Eine Besatzung von fast zwanzig Wissenschaftlern und Technikern erforschte unter den Bedingungen der Marsatmosphäre den Weltraum und beobachtete mit den bisher leistungsfähigsten Teleskopen und Radiostationen Millionen von Lichtjahren entfernte Galaxien. Mit den neuesten wissenschaftlichen Apparaten war man den Geheimnissen der dunklen Materie und der Entstehung des Lebens auf der Spur.

    Längere Zeit waren die Amerikaner die führende Weltraumnation gewesen. Schon seit über 100 Jahren, also etwa um die Jahrtausendwende, gelangen ihnen spektakuläre Marslandungen mit tausenden Fotos und Gesteinsanalysen. Auch Russen, Chinesen und Europäer arbeiteten als Wissenschaftler an einer Station, seit auch ihnen ab etwa 2050 Landungen am Mars gelungen waren. In den letzten zwanzig oder dreißig Jahren überrundeten dann die Wissenschaftler von Futura die anderen Nationen. Ihre Raketen konnten viel größere Mannschaften und Nutzlasten befördern und waren vor allem zuverlässiger.

    Ihre Station lag in der Nähe der amerikanischen, war aber etwas geräumiger.

    Die Versorgung mit Lebensmitteln und Energie gelang schon autark. Manche Gemüsesorten wie Tomaten und diverse Salate, die in Glashäusern auf der Erde wuchsen, gediehen auch hier recht gut. Aquarien lieferten Meeresfrüchte und Fische. Alles, was mehr Raum und Wärme brauchte wie Apfelbäume, Weinreben oder selbst einfache Kartoffeln, war reiner Luxus. Größere Tiere, die Auslauf und Weideflächen beanspruchten, waren erst recht nicht möglich. Die Aufzucht von Hühnern gelang, aber als glücklich durfte man sie nicht bezeichnen. Immerhin gaben sie sich mit wenig Platz, Algengewächsen und den Synthesekörnern zufrieden, die leicht herzustellen waren und den Wissenschaftlern der Station ohnehin nicht schmeckten.

    Der Forschung war es gelungen, die Photosynthese der Pflanzen zu kopieren und aus den Abfallstoffen Kohlendioxid und Wasser mit Hilfe eines Katalysators und gebündelter Sonnenenergie Zucker und Stärke zu produzieren. Sauerstoff war dabei ein nützliches Begleitprodukt. Die Vielfalt der Natur mit ihren zehntausenden Geschmacksrichtungen blieb zum Leidwesen der Mannschaft unerreichbar. Trotzdem war das Verfahren ein gewaltiger Fortschritt, denn es lieferte sogar einen Überschuss der notwendigen Kohlenhydrate. Auch die Verwertung organischer Abfälle gelang in einem geschlossenen Kreislauf.

    Die Probleme am Mars lagen in der stärkeren Strahlung, der geringeren Anziehungskraft des Planeten, der kaum vorhandenen Lufthülle, die vor allem aus Kohlendioxid bestand, und der Kälte, bedingt durch die größere Entfernung zur Sonne. Diese stand nur schwach leuchtend und wenig wärmend am Firmament. Ein Problem lag auch in der aufwändigen Gewinnung von Wasser, das trotz des Kreislaufes innerhalb der Station nur unter großem Aufwand ausreichend zur Verfügung stand. Ein Königreich für einen Wildbach, sprudelnd und klar, dachten sich manche immer wieder. Vorteile hingegen lagen in wertvollen Erzen, die eine neue Energietechnik und eine fast verlustfreie Speicherung von Strom ermöglichten. Lithiumverbindungen für Batterien lagen stark konzentriert vor.

    Die heute startende Crew war die bisher größte, auch die mit den prominentesten Teilnehmern. Alle hatten militärische Ränge. Eine kurze Zeit beim Militär gehörte für alle dazu, die an den Raumfahrten teilnehmen oder zur Gesellschaft gehören wollten. Mit Gesellschaft war die Zugehörigkeit zur Elite gemeint, die in Futura regierte und das Sagen hatte. Ebenso selbstverständlich war die Ausbildung auf ihrer eigenen Universität, die zu den drei besten der Welt gehörte. Zwei oder drei Abschlüsse in verschiedenen Wissensgebieten waren durchaus normal. Wissen war der Schlüssel zur Anerkennung und zur Macht.

    Die Familienherkunft war zwar wichtig, sie war so etwas wie es früher der europäische Adel gewesen war, aber ohne Ausbildung und eigene Leistung kam trotzdem niemand auf die gehobenen Positionen. Manche hatten auch öffentliche Ämter bekleidet, die aber für die Dauer der Reise ruhend gestellt wurden.

    Das riesige Raumschiff lag noch träge im Licht der vor kurzem aufgegangenen Sonne. Dicke Kabelstränge und Leitungen banden die Rakete noch fest an die Rampe. Der aufgemalte Name Helion II blitzte silbrig auf.

    Im Kontrollzentrum zeigte eingeblendet in die Bildwand eine große Digitalanzeige die Zeit. 8 Uhr 23 Ortszeit, darunter das Datum vom 20. Februar 2120. Nochmals darunter die rückwärts laufende Zeit bis zum Start: 01:24:16 - 01:24:15 - 01:24:14.

    Ron Kurzweil, übrigens Nachfahre eines bekannten Forschers und Leiter des Kontrollzentrums, sah kurz auf. Auf der Anzeige sah er die Crew, die bereits ihre Plätze einnahm.

    „Irgendwie sonderbar. Immer noch die gleichen Zeitangaben wie vor hundert Jahren", sagte er zum Chef der Startvorbereitung.

    „Was sollte denn anders sein?, meinte der Angesprochene. „Die Erde kreist immer noch um die Sonne. Noch eine Stunde bis zum Start. Alles okay.

    Ron nickte. Hinter ihnen klangen die Stimmen der anderen Mitarbeiter des Zentrums. Die medizinischen Daten der Crewmitglieder wurden von ihren implantierten Körperchips direkt auf die Computer im Raum übertragen. Das lief seit Jahren vollautomatisiert. Auch die Daten aller anderen im Raum und außerhalb wurden übertragen. Die Voraussage seines Ururgroßvaters war Selbstverständlichkeit geworden. Die kurz nach der Geburt eingepflanzten Chips standen im ständigen Kontakt zum Zentralcomputer. Dieser überwachte ihre Körperfunktionen, erweiterte aber auch ihre Fähigkeiten, ermöglichte eine ständige Form von Kommunikation, Wissensvermittlung und Wahrnehmung. Die Bedenken, die noch ihre Elterngeneration wegen Anonymität, Privatleben und der möglichen Steuerung oder Beeinflussung gehabt hatten, waren den praktischen Vorteilen gewichen. Ihre Generation war vom Homo Sapiens zu einem Cyberwesen geworden. Die Anfänge waren schon lange zuvor mit dem Internet und den Smartphones grundgelegt worden. Sie trugen das Smartphone sozusagen in sich. Über ihren Biochip konnten sie mit dem Computer und dem Internet kommunizieren.

    Ihre Gefühle, ihr Temperament und ihr Charakter waren ihnen geblieben, in diesem Bereich glichen sie dem Homo Sapiens noch immer. Sie liebten und waren traurig, waren frohe und meist auch soziale Wesen wie ihre Eltern und Großeltern auch. Ein bisschen smarter, klüger und gewandter waren sie schon, aber das war ja eigentlich auch bei früheren Generationen so gewesen. Ron erinnerte sich an alte Filme, in denen Jugendliche ihren Eltern den Umgang mit den digitalen Medien erklärten und noch mit gedruckten Büchern hantierten. Es gab auch in seiner Wohnung noch ein paar Bücher zur Erinnerung, aber sie waren nur noch Teil einer Sammlung nostalgischer Gegenstände, wobei er auf ein altes Nokiahandy durchaus stolz war. Trotz der damaligen Massenproduktion waren die meisten verloren gegangen und nur noch einige Exemplare in technischen Sammlungen erhalten.

    Noch dreißig Minuten bis zum Start.

    Die Crew lag inzwischen vollständig in ihren Schalensitzen, beobachtete die Anzeigen, hatte aber nicht wirklich zu tun, da die Kontrolle und der Countdown vom Zentralcomputer gesteuert wurden.

    Dr. Pernstein winkte seinen beiden Söhnen im Kontrollzentrum zu. Er war der Kapitän des Raumschiffs, drahtig, energisch und hochintelligent. Gut, das waren eigentlich alle. Die aus neunzehn Personen bestehende Crew von 10 Männern und 9 Frauen war natürlich eine Eliteauswahl aus den Wissenschaftlern und wichtigen Familien ihres Staates. Alle fit und trainiert, alle Fachleute in mindestens zwei oder drei Wissensgebieten. Andere hätten die Chance zur Teilnahme ohnehin nie bekommen.

    „Guten Flug, Daddy, du wirst uns abgehen", riefen ihm seine gerade erwachsen gewordenen Söhne zu.

    „Ihr mir auch, macht es gut, antwortete ihnen ihr Vater. Dann wandte er sich wieder seiner Crew zu, um letzte Maßnahmen zu besprechen. „Irgendwie ein Abschied für so lange Zeit und ich finde nur die paar banalen Worte.

    Auf der Dachterrasse liefen die Kameras, deren Bilder ebenfalls eingeblendet wurden. Im Raumschiff waren alle zum Start bereit. Fünf Jahre Mars, neue Erfahrungen, aber auch harte Arbeit.

    Das Schiff war für den Aufenthalt und die Rückreise ausgestattet, hatte aber auch eine Menge neuer Geräte an Bord, die ihnen das Leben in dieser Zeit wesentlich erleichtern sollten. Eines dieser Geräte, das neu entwickelt worden war, war die ausgereifte Ausgabe eines an sich seit hundert Jahren bekannten 3D-Druckers, der imstande war, mit den gespeicherten digitalen Anleitungen jeden beliebigen Gegenstand herzustellen. Dem Drucker gelang dies entweder direkt aus den Molekülen vorhandener Substanzen oder – allerdings zeitraubender – Atom für Atom. Von der Wurstsemmel bis zum Medikament, einem Computerchip oder was auch immer, alles war möglich. Die entsprechenden chemischen Elemente mussten natürlich vorhanden sein, das war aber nicht das Hauptproblem. Die größte Schwierigkeit lag in der enormen Computerleistung, die für komplexe Gegenstände notwendig war. Selbst ihr Hauptcomputer im Raumschiff arbeitete für die Reproduktion oder Herstellung komplizierter Gegenstände bis zu einer Stunde, obwohl er die millionenfache Rechenleistung älterer Computer hatte. Für einen einfachen Schlüssel benötigte der Drucker allerdings nur ein paar zehntel Sekunden. Für die medizinische Versorgung gab es zwei Medizinroboter mit den Möglichkeiten, die das 22. Jahrhundert bot, dazu die üblichen medizinischen Geräte, Medikamente, normales Werkzeug, Lasercutter, überraschenderweise auch einen Laserdefensor, eine tödliche Waffe, die jeden Panzer oder sonstigen Angreifer ausschalten konnte. Wozu um alles in der Welt sollten sie den am Mars brauchen?

    Zwei Roboterbagger waren für den Abbau der Marserze bestimmt.

    Noch acht Minuten bis zum Start.

    Die Leitungen zum Raumschiff wurden gelöst. Ab nun hatte es keine materielle Verbindung zur Startrampe.

    Für die Startphase war noch immer ein schon seit langer Zeit erprobter, allerdings verbesserter Flüssigtreibstoff nötig, den weiteren Antrieb besorgten ein Ionentriebwerk und Anti – Schwerkraftgenerator, die erst die langen bemannten Fahrten im Sonnensystem in einer vernünftigen Zeit ermöglichten.

    Der Präsident ihres Landes wurde eingeblendet und wünschte der Mannschaft einen guten Flug.

    Zwei Minuten bis zum Start.

    Als die Zündung der Triebwerke erfolgte, bebte das ganze Schiff. Pünktlich mit nur einer Sekunde Verspätung erhob sich das riesige Raumschiff, schien noch einen kurzen Moment in seiner gewaltigen Feuerwolke zu verweilen, wurde schneller und schneller und verschwand im Dunst des sonnigen Tages.

    An die hundert Augenpaare verfolgten den gelungenen Start im Kontrollraum. Man schien die Hitze zu spüren, die die Startrampe in einer Feuerwolke verschwinden ließ. Das Grollen der Triebwerke wurde authentisch mit übertragen. Nach verschiedenen 3D-Spektakeln war man in der Übermittlung von Bildern und Filmen wieder zum überwiegend zweidimensionalen Bild zurückgekehrt. Zu Hause vertiefte die dritte Dimension das Erlebnis, Bewegung und Düfte trugen ihren Anteil zum Gesamteindruck bei, im Bereich der raschen Informationsübertragung aus Bild und Schrift lenkte die Tiefenwirkung eher ab.

    Klatschen brandete auf und die Spannung begann sich zu lösen. Als kleiner Punkt verschwand die Rakete vom Bildschirm, kurz darauf füllte sich die Bildwand wieder. In einer Direktübertragung aus dem Raumschiff meldete sich der Schiffsingenieur Raul Nonndorf:

    „Wir sind alle wohlauf, der Flug ist jetzt ruhig." Raul war braunhaarig, lebendig, mit gerade mal 26 Jahren der Jüngste der Mannschaft. Aber das Schiff kannte er von oben bis unten, Teile davon gingen trotz seiner Jugend auf seine Entwürfe zurück.

    Auch der Major Dr. Johann Urban, Freund des Generals und rangmäßig nach ihm der nächste, meldete sich. Er war ein Spezialist für Logistik, Finanzmathematik und Programmierung, außerdem der beste Schachspieler der Crew. Sogar den Rechner hatte er schon einmal geschlagen, was sonst noch niemandem gelungen war. Er war mit 34 Jahren schon einer der Älteren, ehrgeizig, halbe Sachen liebte er nicht.

    Routinemäßig wurden ein paar technische Daten ausgetauscht.

    „Der Blick auf die Erde ist traumhaft, diese blaue Kugel, gesprenkelt mit weißen Flecken, faszinierend. Richten sie Grüße an die Familie aus. Dann eine Pause von einer Minute, während im Hintergrund der Bildwand das Bild der Erde eingeblendet wurde: „Es wird mir plötzlich so stark bewusst, dass wir jetzt fünf Jahre unterwegs sind, dass es keine Berge und Wälder mehr gibt, fast wie ein Selbstgespräch mit leiser Stimme. Dann wieder lauter und sachlich: „Das Ionentriebwerk arbeitet, wir beschleunigen auf 120 km pro Sekunde. Voraussichtliche Reisezeit bis zur Landung 38 Tage und 13 Stunden. Die Schwerkraft wurde auf 20 Prozent der Erdschwerkraft eingestellt."

    Es folgten noch ein paar dienstliche Gespräche. Daraufhin wurde der Sender für private Gespräche genutzt, Grüße an Freunde und die Familien geschickt.

    Bei der Bodenstation und bei Präsident Aric Miller, dem Leiter des Stadtstaates Futura, waren inzwischen die Gratulationen anderer Wissenschaftler und ausländischer Politiker für den geglückten Start eingetroffen. Millers Sekretariat bedankte sich in den nächsten Stunden für die übersandten Glückwünsche.

    Natürlich wusste Miller, dass nicht nur Freude und Anerkennung in deren Worten mitschwang. Zu tief war die Demütigung, dass diesem Emporkömmling von Stadtstaat der Erfolg nur so in den Schoß zu fallen schien. Dass ihr kleines Land trotz seiner geringen Größe wirtschaftlich und politisch mächtig und einflussreich geworden war. Es wurden zwar immer wieder dubiose und illegale Quellen für den plötzlichen Reichtum und die Macht dieses Staates vermutet, doch beweisen ließ sich nichts. Die Geheimdienste vieler großer Nationen hatten zwar riesige Sammlungen geheimer Dossiers, hatten aber ebenso wenig Beweise wie stichhaltige Theorien. Wie ein Tsunami war dieser neue Staat in ihre geordneten Reihen und Traditionen eingebrochen, hatte trotz des erbitterten Widerstands und aller politischen Hindernisse Marktanteile und ungeheuren Reichtum erobert. Wie, das war ein Geheimnis geblieben. Es schien diesen Politikern, Bankern und ihren Wissenschaftlern einfach alles zu gelingen, sie waren weder durch Skandale noch durch andere Exzesse angreifbar geworden.

    Nein, Heilige waren sie sicher nicht, auch nicht wirklich sozial und schon gar nicht besonders demokratisch. Ihr damaliger Gründer, ein charismatischer, aber bis heute geheimnisvoller Machtmensch, war geradezu legendär. Wie aus dem Nichts waren er und einige Verbündete aufgetaucht und in kurzer Zeit reich und mächtig geworden. Im Hintergrund hatten sie ihre Fäden gezogen und mit Bestechung und ohne erkennbaren Einfluss plötzlich ihren inzwischen angehäuften Landbesitz in einen eigenen Staat verwandelt. Die neu gegründete Stadt Futura war rascher gewachsen als alle bisher bekannten Städte, ihr Erfolg wiederum hatte erfolgreiche Firmen und Millionäre wie Licht die Motten angezogen. Nirgendwo gab es mehr reiche Menschen. Das Wissen und das Geld der Erde schienen sich dort zu sammeln, während andere Staaten sich vergeblich bemühten, verhärtete Strukturen aufzubrechen und mit den wuchernden Defiziten, den häufigen Krisen und sonstigen Problemen zurechtzukommen.

    21. Februar 2120

    An Bord wurden die Schichtdienste angetreten. Es waren logischerweise keine Tag- und Nachtdienste, da es ja im Raumschiff weder Tag noch Nacht gab. Es wurde allerdings der gewohnte Rhythmus zum Teil fortgesetzt und Hell- und Dunkelphasen simuliert.

    Die jeweilige Wache meldete sich alle zwei Stunden bei der gerade erreichbaren Bodenstation, die ihrerseits mit den anderen Bodenstationen Nachrichten austauschte. In der Zeit, in der die eigene Station im Sendebereich lag, wurden jeweils auch Privatgespräche übertragen. Sonst: Keine besonderen Vorkommnisse.

    22. bis 29. Februar 2120

    Mit der steigenden Entfernung zur Erde wurden auch die Pausen immer länger, die zwischen senden und empfangen lagen, was die Gespräche zunehmend kürzer und einsilbiger werden ließ. Schließlich waren zwar die elektromagnetischen Funkwellen wie das Licht mit 300.000 km pro Sekunde unterwegs, aber das Raumschiff war inzwischen schon einige Millionen Kilometer von der Erde entfernt. Der Mars hatte fast schon die Größe einer kleinen Mandarine erreicht, die Erde lag wie ein grünblauer Ball von einem dünnen, geheimnisvollen Schimmer umgeben hinter ihnen. Sonst waren die Sterne ohne Funkeln in tiefes Schwarz eingebettet. Auch die Sonne war ein bisschen kleiner geworden, aber noch bei weitem zu hell, um ungeschützt ihr Leuchten zu beobachten.

    Die Wissenschaftler an Bord begannen ihre vorbereiteten Experimente und Beobachtungen. Die direkte Einwirkung der kosmischen Strahlung konnte durch das vom Raumschiff aufgebaute Magnetfeld zwar vermindert aber nicht ganz unschädlich gemacht werden. Die geringe Schwerkraft erforderte tägliches Training, um nicht zu viel Muskelmasse und Kalzium aus den Knochen abzubauen.

    Die Mannschaft am Mars verfolgte ebenfalls den Flug mit großem Interesse. Zwei Wochen würden sie etwas beengt noch miteinander verbringen, um die Marsstation geordnet zu übergeben. Es gab auch eine Menge Neuigkeiten auszutauschen. Trotz der täglichen Kommunikation mit der Erde blieb manches ungesagt. Ihre Familien erwarteten sie schon mit großer Sehnsucht. Ihre Gedanken kreisten vorwiegend um scheinbar banale Dinge wie einen Sprung in kaltes Wasser, durch raschelndes Laub laufen, Wind und Regen auf der Haut zu spüren, andere Leute um sich zu haben, neue Gesichter zu sehen. Zwei Babys, die inzwischen laufen konnten, waren in den letzten fünf Jahren geboren worden. Sie würden erstmals Wind und Wetter auf ihrer weichen Haut und die viel höhere Schwerkraft der Erde fühlen.

    Der Commander der Station hatte einen jungen Offizier, dessen Frau auf der Erde zurückgeblieben war, um die erste Tätigkeit nach der Landung gefragt: „Ich trage Lisa ins Schlafzimmer und hole die letzten fünf Jahre nach, antwortete er. „Und dann? „Dann ziehe ich die Schuhe aus."

    Kapitel 2: Das Wurmloch

    1. März 2120

    Horst Angold, 28 Jahre, schwarzhaarig, ein eher kumpelhafter Typ, der gutes Leben, feine Speisen, Anekdoten und Witze liebte, war gerade mit seiner Freundin Lena im Gespräch. Sein Spezialgebiet Maschinenbau, Künstliche Intelligenz und Bionik betrieb er mit enormer Fachkenntnis und er hatte schon ein paar wertvolle Patente in diesem Bereich erworben. Er richtete das Licht so, dass es ihn gut zur Geltung brachte. Auch seine Freundin sah mit ihrer neuen Frisur schick aus, Horst bereute schon, sie so lang allein zu lassen. Lena sprach ihn mit Herrn Doktor an. Sie war stolz darauf, er hatte seinen Titel erst zwei Wochen vor dem Start geschafft. Sie würde für ihren Abschluss noch zwei Jahre brauchen.

    Das Gespräch verlief etwas holprig. Bilder und Sprache waren inzwischen ein paar Minuten unterwegs. Jede Antwort kam also erst nach längerer Zeit, woraus sich teils skurrile Situationen ergaben, über die Lena sich vor Lachen kaum halten konnte. Jeder versuchte möglichst viel mitzuteilen, der Partner antwortete bereits nach den ersten Sätzen um die Pausen kurz zu halten, sodass oft Text und Gesichtsausdruck und Antwort und Gegenantwort nicht mehr zusammenpassten.

    Auf zwei anderen Bildschirmen wurde ebenfalls privat gesprochen, über weitere jedoch wissenschaftliche Daten durchgegeben oder Fotos der Teleskope gesendet.

    „Kennst du den? Zwei Jäger sind im Wald unterwegs, als plötzlich einer von ihnen zu Boden sinkt. Er atmet offenbar nicht mehr; seine Augen sind verdreht. Der andere greift nach seinem Sapienta (ein Smartphone aus dem 22. Jahrhundert) und ruft die Notrufzentrale an. Atemlos schreit er ins Telefon: „Mein Freund ist tot! Was soll ich tun? Der Mann in der Notrufzentrale beruhigt ihn und sagt: „Keine Panik. Ich kann ihnen helfen. Zuerst versichern sie sich, dass er wirklich tot ist. Stille in der Leitung, dann ein Schuss. Die Stimme des Jägers spricht wieder ins Telefon: „Okay, was jetzt?"

    Plötzlich blinkte auf einem der Schirme ein Warnlicht auf und eine Stimme der Kontrollstation sagte: „Achtung, Achtung. Erhöhte Strahlengefahr. Wir haben einen massiven Anstieg der Sonnenaktivität festgestellt. Stellen sie ihr Magnetfeld auf die höchste Stufe. Vermeiden sie alle Anstrengungen."

    Acht Minuten, nachdem Horst den Witz fertig erzählt hatte, begann Lena zu lachen. Sie schnappte nach Luft. „Er hat wirklich auf ihn ……?"

    Plötzlich brach der Ton ab. Alle Bildschirme begannen zu flimmern, die Warnlichter im Raumschiff leuchteten grell auf. Eine Sirene heulte. Eine wilde Faust schien das riesige Raumschiff zu packen und zu schütteln. Die Schwerkraftanzeige stieg auf absurde Werte. Einige der Crewmitglieder flogen wüst durcheinander. Andere wurden von herumfliegenden Gegenständen getroffen. Die meisten schrien auf, weil sie sich wie auf einer Streckbank in die Länge gezogen und unheimlich schwer fühlten. Wer seinen Sitz erreichen und das automatische Anschnallen auslösen konnte, war noch am besten dran. Zeiger und digitale Anzeigen sprangen durcheinander. Irgendwo schien Feuer auszubrechen, aber das automatische Löschsystem funktionierte. Das Raumschiff stöhnte und ächzte in allen Fugen.

    Der Major und der General hatten mit übermenschlicher Anstrengung ihren Sitz erreicht, zu mehr waren sie nicht in der Lage. Die Schwerkraftanzeige funktionierte noch und zeigte Werte im längst roten Bereich.

    Pernstein glaubte noch, dass eine Explosion oder ein Meteorit das Schiff getroffen hatte, er sah seine Frau verrenkt auf einer Wand wie festgeklebt hängen, dann umfing ihn tiefe Schwärze.

    Futura

    In der Kontrollstation auf der Erde stieg in Ron Kurzweil Panik hoch. Die Verbindung mit dem Raumschiff war plötzlich weg, die Bildwand flimmerte, nur die digitalen Zeitanzeigen waren noch da.

    Lena starrte fassungslos auf den Bildschirm. Das Lachen blieb ihr in der Kehle stecken. Eine Ahnung von Unheil drängte sich in ihre Gedanken.

    Offensichtlich waren auch Satelliten ausgefallen. Sirenen heulten auf. Techniker rannten durcheinander, suchten verzweifelt nach einer Ursache der Störung. Ein automatischer Neustart des Zentralcomputers blieb erfolglos. Auch die Verbindung zur Marsstation war weg, ebenso das Internet. Einige Telefone, die am Festnetz hingen, begannen zu läuten. Techniker hoben ab, waren aber ratlos.

    Die Uhr zählte quälend langsam Sekunde um Sekunde. Eine Minute, zwei, drei, vier. Nach 8 Minuten versuchte der Computer einen Neustart, einige Dateien und Anzeigen begannen wieder zu arbeiten, die Satelliten und die Bildwand blieben ohne Funktion. Über das Telefon trafen Anfragen und Meldungen ein. Sie konnten nicht antworten, es gab keine Antwort, nur Chaos.

    Dahl, Geologe und Chemiker, krachte gegen die Wand des Raumschiffs, einen Moment lang kämpfte er verzweifelt gegen seine Lage, aber eine eiserne Faust presste ihn dagegen. Auf dem Weg in die Bewusstlosigkeit sah er sich plötzlich auf eine Wiese treten. Ein Schmetterling flog leicht von Blume zu Blume, verharrte, rollte seinen Rüssel aus, der plötzlich zu einem grauen Elefantenrüssel anschwoll, gleich darauf wieder wie ein Schmetterling aussah. Jetzt auf einem silbrig glänzenden Blatt sitzend, die Flügel aufgestellt, braun, mit einem großen und sechs kleinen schwarzen Augen darauf, einem blauen Flügelende, weißen Streifen und vom Körper ausgehenden Adern, die den Flügel ihre Steife gaben, dann noch ein Ruf von ganz weit weg. Flammen fraßen sich gegen den Schmetterling vor, der sich bemühte, vom Blatt zu fliehen aber wie festgeklebt schien, rot und schwarz wurde und sich hilflos seinem Schicksal ergab.

    Nochmals wachte Pernstein kurz auf, seine Frau hing nicht mehr an der Wand, er sah sie nicht. Es war wahnsinnig heiß, das Schiff brannte. Undefinierbare Geräusche dröhnten an sein Ohr, der Druck, der ihn in den Sitz presste, war unerträglich. Als ihn wieder Dunkelheit umfing, jagten Gedanken durch seinen Kopf. Er hatte versagt. Die Mission war gescheitert.

    Noch halb bewusstlos hörte er Schritte und Stöhnen. Im Raumschiff war es sonst ruhig, die Sirene hatte aufgehört, die Notbeleuchtung brannte, der Computer schien zu arbeiten. Er war nicht tot. Oder doch?

    Als er die Augen aufbrachte, sah er die Ärztin Nora Fiedler, wie sie Patienten versorgte. Wie durch einen Schleier bemerkte er Blut an den Wänden, auch manche Instrumente waren verschmiert. Die Ärztin legte gerade einem der Offiziere einen Verband an. Er schien sich etwas gebrochen zu haben. Es war Dr. Georg Dahl, schwarze Haare, schlank, mit 190 cm der größte in der Mannschaft. Nebenbei ein guter Musiker. „Er wird eine Zeitlang nicht spielen können", dachte er und war wütend auf sich selbst, dass ihm so banale Gedanken durch den Kopf schossen.

    Er wollte aufstehen, kam aber nicht hoch. Erst jetzt dämmerte ihm so langsam, dass ihn sein Gurt festhielt. Er löste sich, er fühlte sich ungeheuer schwer. Durch die Panzerglasscheibe sah er nichts, spürte nichts, der Bildschirm war leer. Die Rakete war jedenfalls nicht verbrannt, auch wenn er sich an das Feuer erinnerte, vielleicht nur ein Albtraum. Ein Meteorit war es möglicherweise auch nicht, im Hintergrund rappelte sich jemand auf. Er erkannte ihn zuerst nicht. Blut hatte sein Gesicht verschmiert, aber es stockte bereits. John Merfield war noch etwas zittrig auf den Beinen und wischte sich mit dem Ärmel das Blut aus dem Gesicht. Nur eine kleine Platzwunde, auch er fühlte sich ungeheuer schwer.

    Nora, die Schiffsärztin, trat auf den General zu, prüfte kurz dessen Äußeres und schien damit zufrieden zu sein. Mit brüchiger Stimme erstattete sie ihm Bericht:

    „Fünf Besatzungsmitglieder sind noch bewusstlos, aber außer Lebensgefahr. Die Chips melden normale Herzfrequenz und normalen Atem, meist erhöhten Blutdruck, der aber durch den Chip bald reguliert sein wird.

    Drei gebrochene Knochen, einige leichte Schnittverletzungen, zahlreiche Prellungen, Verstauchungen. Auch ihre Frau ist laut automatischem Gesundheitsbericht auf dem Weg der Besserung, Schmerzen durch den Aufprall."

    Am besten davongekommen waren jene, die gerade Wache hatten und daher in ihren Sitzen saßen. Doch auch sie hatte die ungeheure Beschleunigung, die für Minuten oder auch länger auf sie einwirkte, so belastet, dass sie bewusstlos oder zumindest bewegungsunfähig in ihren Sitzen hingen.

    Trotz ihres harten Trainings für diese Mission hatte noch keiner eine Beschleunigung dieser Dimension ertragen müssen.

    Weitere Crewmitglieder traten auf Dr. Pernstein zu. Auch wenn sie hinkten oder das Gesicht schmerzvoll verzogen, sie warteten auf Anweisungen.

    „Ich weiß nicht, was passiert ist. Das müssen wir klären, weiters, wie weit wir vom Kurs abgekommen sind, Schäden am Raumschiff, mögliche Reparaturen. Sobald das Schiff stabilisiert ist, unterstützen bitte Marek und Penz die Ärzte. Der Major versucht Kontakt zur Erde und zur Marsstation aufzunehmen, Dr. Angold prüft Luft und Sauerstoff. Alle anderen machen Ordnung. Danke an Nora."

    Wie machte die das bloß? Leichtfüßig eilte sie zwischen den Patienten umher und versorgte sie.

    Der Boden war mit Splittern, Schachfiguren und Kleinteilen übersäht. Auch wenn der General strikt auf Ordnung sah, hatte sich manches losgerissen. Doch der Reinigungsroboter war schon unterwegs, um das Chaos zu beseitigen. Die Schachfiguren saugt er genauso ein, stellt sie aber nach kurzer Überprüfung wieder auf ihren Platz zurück. Trotz der quälenden Unsicherheit musste der General lächeln.

    Dr. Fiedler, der Arzt, wandte sich an den General: „General, es sind jetzt alle wach, einige haben Schmerzen, die Knochenbrüche bei den zwei Männern und bei Frau Nonndorf sind versorgt. Nur Dr. Dahl, Frau Nonndorf und ihre Frau sind für einen Tag dienstunfähig. Die Platzwunde von Merfield ist geklebt. Nora untersucht einige noch genauer."

    Der General drehte sich zum Major: „Schon Erfolge?"

    „Nein, aber es liegt nicht an den Geräten. Die Frequenzen sind verstellt, es gibt unbekannte Geräusche. Da, jetzt kommt ein starkes Signal."

    Es knisterte und plötzlich gab es überlaute Musik. „Wo kommt die her? Portugiesisch." Er schüttelte ratlos den Kopf.

    Dr. Angold meldete sich kreidebleich: „Unsere Tanks sind fast leer. Nach den Aufzeichnungen hat das Triebwerk 14 Minuten und 54 Sekunden mit voller Kraft gearbeitet."

    In diesem Moment schrie auch der Major durch den Raum: „Wir haben ein starkes Magnetfeld, keine Bewegung des Schiffes, wir …, seine Stimme erstarb. Er schaute fassungslos in die Runde. Er begann nochmals: „Wir sind, nein, das gibt es nicht!

    „Was sind wir?", fragte der General. Auch er, der sonst so kühl und beherrscht war, stand an seinen Grenzen.

    „Wir, wir sind auf der Erde. Draußen ist normaler Luftdruck, die Zusammensetzung stimmt, es ist Luft mit 21% Sauerstoff und sie hat 32 Grad Celsius." Alle blickten Angold und Urban abwechselnd an, als ob die beiden übergeschnappt wären.

    „Warum sehen wir beim Fenster und auf den Bildschirmen nichts?", setzte der General fort. Alle waren plötzlich hellwach, das Herz von einigen schlug heftig. Zu unglaublich schien alles.

    „Wir sind tot und in der Hölle", murmelte einer in der hinteren Reihe.

    Der General hatte sich wieder im Griff. „Angold und Urban, ich bitte um nochmalige Überprüfung. Wenn die Werte stimmen und die Anzeigen richtig arbeiten, öffnen wir eine Luke. Ich glaube es zwar noch immer nicht, aber wir müssen die Situation klären."

    Nach einer Minute bestätigten beide die Werte. Der General befahl, die äußere Schleuse zu öffnen.

    Die neuerliche Überprüfung ergab 34 Grad Celsius, Luftfeuchtigkeit 89%, normalen Luftdruck von etwa 200 Metern Meereshöhe.

    „Beide Schleusen öffnen." Modrige Luft, gemischt mit beißendem Rauch drang ins Raumschiff, Blätter rauschten ganz leise, ein paar Insekten flogen ins Licht des Raumschiffes.

    Die Bäume rundum waren angekohlt und mussten zum Teil gebrannt haben. Wegen der hohen Luftfeuchtigkeit und der nassen Blätter war das Feuer bis auf ein paar verstreute Glutnester rasch wieder erloschen. Die Baumkronen lagen noch im Dunkel der Nacht, das Raumschiff, so riesig es war, wurde von ihnen fast verdeckt. Die Umgebung sah nach Regenurwald aus, so wie sie ihn von ihren Reisen kannten.

    Offensichtlich hatten sie unglaubliches Glück gehabt. Die Triebwerke hatten rechtzeitig und automatisch während ihrer Bewusstlosigkeit gezündet, deshalb der fehlende Treibstoff. Ihre Geschwindigkeit musste riesig gewesen sein, auch wenn sie noch keine Aufzeichnungen dazu überprüfen konnten. Der heiße Strahl hatte alles unter ihnen verbrannt und verdampft, sodass sie in einer tiefen Grube standen.

    Was immer war, die Bodenstation musste ihren Beinaheabsturz auf den Radargeräten verfolgt haben, sodass in Kürze ein Rettungstrupp zu erwarten war. Die Äste oder die vorherigen Erschütterungen dürften die Außenkameras demoliert haben, sodass verständlicherweise auf den Bildschirmen nichts zu sehen war.

    Der General wandte sich Thomas, dem Koch zu: „Thomas, ich habe Hunger und werde nicht der einzige sein. Bitte um ein gutes Essen, ich habe auch gewaltigen Durst. Wir müssen feiern, wir leben."

    Sie schlossen die Schleuse wieder und setzten sich an die Tische.

    Thomas Kronberger, Koch aus Leidenschaft und Informatiker, begann mit vier Freiwilligen die Tische zu decken und kurz darauf die Speisen aufzutragen. Das Essen war köstlich, Kaffee und Kuchen gab es auch.

    Fassungslos und bleich redeten sie wild durcheinander. Plötzlich stöhnte der Major auf. Zwischen Hauptgericht und Nachspeise hatten er und Georg Dahl die Nachrichten im Radio verfolgt. Neben den Ereignissen war auch das Datum genannt worden. Der Major stürzte zu den Geräten. Die Uhr im Schiff zeigte den 2. März 2120, kurz nach Mitternacht.

    Die portugiesischen Nachrichten nannten den 2. Juni 1998, 4 Uhr 29 Minuten, Brasilien.

    Kapitel 3: Staatstrauer

    Futura, März 2120

    Entsetzen füllte die Straßen. Trotz hektischer Suche mit riesigen Teleskopen war nicht die geringste Spur im Sonnensystem zu finden. Es gab kaum Hoffnung, ein im Weltall hilflos treibendes Raumschiff retten zu können. Auch die Marsstation sah keine Möglichkeit einer Rettungsaktion, zu riesig waren die Räume zwischen den Planeten. Die Nachrichten brachten gute und schlechte Vergleiche, vom fliegenden Holländer bis zu ewig kreisenden Gräbern. Schlagzeilen brachten Titel wie >Spurlos verschwunden< und >Tiefschlag für die Raumfahrt<.

    Die Söhne Pernsteins waren zu Waisen geworden. Viele hatten ihre Freunde, Brüder oder Kinder verloren, ohne die leise Hoffnung, jemals an ihrem Grab stehen zu können. Die Flaggen wurden in ganz Futura auf halbmast gesenkt, eine 5-tägige Staatstrauer ausgerufen. Diesmal hatte das Schicksal die Elite des Staates getroffen und nicht wie so oft die Armen und Benachteiligten.

    Lena saß in ihrem Zimmer und hielt ein Bild ihres Freundes in der Hand. Tränen tropften auf den Rahmen. Er sah doch so fröhlich aus, so lebendig. Wie konnte er tot sein?

    Innerhalb weniger Stunden kamen Beileidsbekundungen von befreundeten Regierungen.

    Für die Anfragen von Eltern, Verwandten oder Freunden wurde ein Krisenraum eingerichtet. Psychologen und Seelsorger standen Tag und Nacht den Trauernden zur Verfügung, aber auch sie hatten keine Antwort. Das Raumschiff war einfach verschwunden und neunzehn Menschen mit ihm.

    Als nach vierzehn Tagen das Fehlen eines Funkspruchs oder einer wie auch immer gearteten Nachricht jede Hoffnung erlöschen ließ, wurde ein großes Ehrenmal für die >Helden der Raumfahrt< gebaut und eine große Trauerfeier im Dom und am Friedhof abgehalten. Zahlreiche Ehrengäste waren zur Feier gekommen. Symbolisch sank ein mächtiger Bronzesarkophag in die Gruft, Reden wurden gehalten und die Leistungen der jungen Menschen gewürdigt, die so jäh aus ihrem Leben gerissen worden waren.

    Ron Kurzweil war unter jenen, die dem Senator Thomas Angold ihr Beileid aussprachen.

    „Ihr Opfer rettet uns vielleicht das Leben", flüsterte der Senator. Kurzweil verstand diese Antwort nicht, aber wer fragt schon bei einem Menschen nach, der eben seinen Sohn verloren hatte?

    Der Senator betrachtete die anderen. Er hatte als Techniker und Computerspezialist für die Dateien gesorgt, die das Wissen des 20. und 21. Jahrhunderts enthielten. Er und noch jemand mussten hinter das Geheimnis gekommen sein, das diese Mannschaft begleitete und das sein Urgroßvater an ihn überliefert hatte. Auch wenn er jahrzehntelang das alles nur für eine Familiensaga gehalten hatte, war er doch nachdenklich geworden und hatte nachgeforscht. Beweisen konnte er nichts, aber wenn es stimmte, was ihm sein Ahn zugeflüstert hatte, dann lebte diese Crew tatsächlich weiter. Ein, wenn auch vager Beweis lag darin, dass er lebte, Futura und die Station noch existierten und die Menschen rund um ihn nicht einfach verschwanden, ja gar nicht verschwinden konnten, weil sie sonst ja nie existiert hätten. Die Geschichte wäre gänzlich anders verlaufen, ihn, seine Familie, das alles hätte es nie gegeben. Er begann zu weinen; was auch immer geschah oder geschehen würde, er würde sein Kind nie wieder sehen. War es das wert? Er wusste es nicht.

    Kapitel 4: Überleben

    2. Juni 1998

    Manche erstarrten, andere wurden bleich, einige stöhnten vor sich hin. „Das gibt es nicht, das gibt es nicht, ich glaube es nicht." Zwei von ihnen begannen zu beten.

    Dr. Pernstein wirkte inzwischen relativ gefasst. Wer ihn kannte, merkte seine Anspannung daran, dass er die Hand seiner Frau so fest hielt, dass seine Knöchel weiß hervortraten. Er schluckte mehrmals.

    „Wir leben, das ist vorerst das Wichtigste. Wie es dazu gekommen ist, wissen wir nicht. Es muss auch nicht das sein, was uns jetzt beschäftigt. Rettung können wir uns offensichtlich abschminken. Unser Schiff steht mitten im Urwald Brasiliens. Falls die Zeit stimmt, die wir eben gehört haben, sind wir weit in die Vergangenheit zurückgeworfen worden. Was immer das bedeuten mag, wir klären das Datum noch weiter ab. Unser Leben ist sicher, außer die brasilianische Luftwaffe hat unsere Landung entdeckt und hält uns für Invasoren. Deshalb werden wir den Luftraum permanent überwachen. Zum Schlafen haben wir keine Zeit. Wir brauchen eine Strategie. In vier Gruppen beraten wir unsere nächsten Schritte. Jede Gruppe hat eine halbe Stunde Zeit für Beratung und Überlebensstrategien. Dann treffen wir uns im Plenum wieder. Jeder von euch hat strategische Vorlesungen besucht, wir sollten also zu einer Lösung kommen. Um 5 Uhr 20 setzen wir gemeinsam fort."

    Kurze Sätze, wie im Stakkato. Fast wie einer der alten Roboter.

    Lebhaft diskutierend trafen sich die Gruppen, fast auf die Minute pünktlich. Doch noch immer gab es heftige Diskussionen.

    „Gruppe 1", wandte er sich an den Major.

    „Wir sollen auf alles vorbereitet sein, wahrscheinlich wird doch bald ein Rettungstrupp da sein, so schlecht war die Technik doch auch vor 100 Jahren nicht. Wir haben ein Wissen, das alle interessieren wird, wir werden uns schon durchschlagen können. Falls der Rettungstrupp nicht kommt, dürfte es auch nicht so schwierig sein. Wir haben das Landungsboot, sofern es noch funktioniert. Wir haben auch genug Nahrung und Ausrüstung, um uns durch den Urwald zu kämpfen."

    Die Gruppen 2 und 3 vertraten eine ähnliche Meinung.

    „Gruppe 4."

    „Wir sind noch zu keinem endgültigen Ergebnis gelangt, es war ziemlich kontrovers. Aber wir glauben an keine positive Lösung wie die anderen Gruppen. Die Militärs werden uns aus Angst wie Feinde behandeln, oder wie Zootiere, die von allen bestaunt werden. Wir haben Wissen, das den anderen Nationen nützen, aber auch gefährlich werden kann. Außerdem kennen wir ja die Zukunft. Offensichtlich haben wir unser Wissen für uns behalten, sonst gäbe es unseren Staat nicht, von dem wir weggeflogen sind. Wir wissen nicht, was passiert, wenn wir die Zukunft ändern. Wir ändern dann möglicherweise alles. Dr. Lukas Miller sah sich suchend im Kreis um. „Ich will nicht wie ein Zootier angegafft werden.

    Eine Zeitlang herrschte Stille und Betroffenheit, dann brach die Diskussion wieder los.

    Der General hob die Hand:

    „Ich stimme Lukas zu. Was wäre die Alternative für uns? Okay, wir haben überlebt und sitzen in einer fremden Zeit mit einer fast unlösbaren Aufgabe. Sollen wir als Schiffbrüchige um Rettung und Asyl betteln?"

    Für einen Moment brach ihm die Stimme.

    Er suchte nach einem Taschentuch, irgendwie eine rituelle Handlung, um Zeit und Abstand zu gewinnen. Elen, seine Frau, legte ihm die Hand auf die Schulter.

    „Ja, alle würden sich um uns reißen. Zuerst die Abschirmung in einer Quarantäne und dann Verhör um Verhör, um aus uns und unseren Computern jeden noch so kleinen Schnipsel der uns bekannten Zukunft heraus zu quetschen. Wir hätten monatelange Befragungen und Untersuchungen vor uns. Unseren kleinen Wissensvorteil würden die Regierungen und ihre Schergen schamlos für ihre Zwecke nutzen. Und am Schluss brächten sie uns vielleicht sogar um, um uns als lästige Mitwisser aus dem Verkehr zu ziehen."

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