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Reichsadler und Brieftaube: Private Postdienstleister in Karlsruhe 1886 - 1900
Reichsadler und Brieftaube: Private Postdienstleister in Karlsruhe 1886 - 1900
Reichsadler und Brieftaube: Private Postdienstleister in Karlsruhe 1886 - 1900
Ebook307 pages1 hour

Reichsadler und Brieftaube: Private Postdienstleister in Karlsruhe 1886 - 1900

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About this ebook

Wir schreiben das Jahr 1886: Das ganze deutsche Postwesen ist von der staatlichen Post besetzt... Wirklich das ganze? Nein! Einige private Postdienstleister hören nicht auf, Widerstand zu leisten. Die Auseinandersetzung zwischen staatlichem Reichsadler und privater Brieftaube war Folge einer erst am 31. März 1900 geschlossenen "Lücke im Postgesetz", die eine innerörtliche Briefbestellung durch private Postdienstleister zuließ. Die Ereignisse in Karlsruhe zeichnen diese spannenden Kapitel der deutschen Postgeschichte im Kleinen nach, angefangen von der Aufbruchsstimmung des Jahres 1886, den Chancen und Versäumnissen der frühen Jahre, dem verdeckten Kampf der Reichspost gegen die ungeliebte Konkurrenz bis hin zu einem erfolgreichen und geschätzten Unternehmen, das erst durch das gesetzliche Verbot der Privatpostfirmen ausgebremst wurde. Auch bei der Spurensuche in der philatelistischen Hinterlassenschaft findet man in Karlsruhe das ganze Spektrum dieser Zeit: Speziell für Sammler hergestellte Ausgaben, seriöse Bedarfspost, innovative Angebote und immer wieder das Thema Werbung.
LanguageDeutsch
Publishertredition
Release dateAug 6, 2018
ISBN9783746953762
Reichsadler und Brieftaube: Private Postdienstleister in Karlsruhe 1886 - 1900
Author

Oswald Walter

Nach Physikstudium und 30 Jahren in der IT-Branche hat Dr. Oswald Walter sein Faible für das Thema „Geschichte“ (wieder-) entdeckt und sich auf ein spezielles Kapitel der deutschen Postgeschichte spezialisiert, nämlich die Zeit der privaten Postdienstleister am Ende des 19. Jahrhunderts. Unterstützt durch seine Kenntnis der philatelistischen Hinterlassenschaft dieser Firmen und auf Basis umfangreicher Recherchen in Archiven sind so in den letzten Jahren eine Reihe von Veröffentlichungen in Fachzeitschriften zum Thema private Postdienstleister vor 1900 sowie eine Abhandlung mit dem Thema „Privatpost – Außergewöhnliches und Kurioses“ entstanden. Da seine Neugier insbesondere den Verhältnissen in Baden gilt, hat er die Geschichte der Privatpostfirmen in Karlsruhe, Mannheim und Freiburg unter die Lupe genommen und die Ergebnisse als Buch veröffentlicht; weitere Arbeiten über Pforzheim und Heidelberg sind in Planung.

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    Book preview

    Reichsadler und Brieftaube - Oswald Walter

    Teil I

    Geschichte

    1

    Private Postdienstleister im deutschen

    Kaiserreich

    Gehören Sie auch zu den Menschen, die gelegentlich einen Brief schreiben? Dann machen Sie sich natürlich Gedanken, wie Ihr Brief seinen Empfänger erreichen soll. Im letzten Jahrhundert erforderte das kein großes Kopfzerbrechen, war dafür doch die staatliche Post zuständig. Seit einigen Jahren sind die Verhältnisse allerdings nicht mehr ganz so einfach, da im Zuge der Privatisierung staatlicher Aufgaben auch im Postwesen die Privatwirtschaft Einzug gehalten hat. So ist seit dem Neujahrstag 2008 das staatliche Postmonopol vollständig aufgehoben und der gesamte Briefmarkt steht für private Postdienstleister offen. Trotz der privaten Konkurrenz wird der Markt aber immer noch vom Monopolisten Deutsche Post AG beherrscht, der mit harten Bandagen und nicht immer fairen Mitteln um Marktanteile kämpft. Doch ist alles, was seit 2008 geschehen ist, wirklich so neu?

    Blenden wir 135 Jahre zurück: Das ganze Postwesen ist von der staatlichen Post besetzt… Wirklich das ganze? Nein! Einige private Postdienstleister hören nicht auf, Widerstand zu leisten. Wie konnte es im deutschen Kaiserreich zu einem solchen Einbruch der Privatwirtschaft in den sorgfältig gehüteten Hort einer staatlichen Institution wie der Post kommen? Um diese Auseinandersetzung zwischen staatlichem Reichsadler und privater Brieftaube zu verstehen, muss man sich die deutsche Postgeschichte etwas genauer anschauen.

    Die Mitte des 19. Jahrhunderts ist gekennzeichnet durch das Bemühen Preußens, seine Vormachtstellung in Deutschland auch im Postwesen auszubauen. Personifiziert wird dieser Anspruch durch Heinrich von Stephan, preußischen Generalpostmeister und späteren Staatssekretär des Reichspostamtes (Postminister), der innerhalb kurzer Zeit ein deutschlandweit einheitliches Postwesen aufbaut. Mit der Entstehung des Norddeutschen Bundes kommen zunächst die Postverwaltungen der norddeutschen Staaten unter preußische Hoheit, nach der Reichsgründung wird auch das Postwesen der süddeutschen Staaten in die neue Reichspost integriert. Baden und Hessen geben dabei ihre Posthoheit vollständig auf, nur Bayern und Württemberg behalten bis 1920 Sonderrechte. Mit dem am 1. Januar 1872 in Kraft getretenen Reichspostgesetz gibt es erstmals eine einheitlich organisierte Post im gesamten Reichsgebiet.

    Parallel zur organisatorischen Neuordnung verändert sich auch der Leistungsumfang der Post. Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts ist das Augenmerk der Postverwaltungen ausschließlich auf den Fernverkehr gerichtet, das heißt auf Sendungen, die zwischen zwei Orten ausgetauscht werden. So, wie der Absender seinen Brief zur Post bringt, so kümmert sich auch der Empfänger um die Abholung seiner Sendungen am Zielort. Das Austragen der Fernbriefe in der Stadt wird häufig von Boten erledigt, meistens gegen zusätzliches Entgelt. Diese Boten übernehmen in der Regel zusätzlich die Beförderung von Sendungen innerhalb einer Stadt. Mit der zunehmenden Industrialisierung und dem Wachstum der Städte steigt die Nachfrage nach der Beförderung von Ortsbriefen, was 1797 zur Gründung einer ersten privaten Stadtpost in Hamburg führt. Im 19. Jahrhundert nimmt der Ortsbriefverkehr weiter zu und gerät erst jetzt in den Fokus der staatlichen Postverwaltungen.

    In den deutschen Teilstaaten ist dieser Bereich sehr unterschiedlich geregelt. So ist in Oldenburg und Hamburg das innerörtliche Umfeld überhaupt nicht reguliert, in Braunschweig und Sachsen dagegen unterliegen auch Ortsbriefe dem Postmonopol. Das unverändert in das Reichspostgesetz übernommene Postgesetz des Norddeutschen Bundes vereinheitlicht diese Normen und formuliert das Postmonopol im Artikel 1:

    Die Beförderung

    1. aller versiegelten, zugenähten oder sonst verschlossenen Briefe,

    2. aller Zeitungen politischen Inhalts, welche öfter als einmal wöchentlich erscheinen,

    gegen Bezahlung von Orten mit einer Postanstalt nach anderen Orten mit einer Postanstalt des In- oder Auslandes auf andere Weise, als durch die Post, ist verboten.

    Diese Fassung impliziert im Umkehrschluss, dass verschlossene Briefe innerhalb eines Ortes sowie unverschlossene Sendungen generell vom Postzwang ausgenommen sind. Aus heutiger Sicht ist es müßig, darüber zu streiten, ob die Formulierungen bewusst gewählt worden sind, um den Ortsbriefverkehr generell zu liberalisieren, oder ob man sich 1871 nicht hat vorstellen können, welchen Aufschwung dieser Bereich in naher Zukunft nehmen würde. Die Reichspost hat sich in späteren Jahren aus naheliegenden Gründen für die letztere Interpretation entschieden und die Sprachregelung von der „Lücke im Postgesetz" etabliert.

    Für einen Zeitraum von knapp dreißig Jahren ist damit der gesetzliche Rahmen für privatwirtschaftliche Aktivitäten abgesteckt. Allerdings dauert es mit einer kurzlebigen Ausnahme bis zur Mitte der 1880er Jahre, bis erste Unternehmer an den Start gehen und in kurzer Zeit zwei in der Praxis häufig miteinander kombinierte Geschäftsmodelle entwickeln:

    Private Stadtpost konkurriert unmittelbar mit der staatlichen Post. Ihr Portfolio reicht von der innerörtlichen Vermittlung von Briefen, Drucksachen, Warenproben, Geschäftspapieren, Paketen bis hin zu Inkassodiensten. Sofern es sich um offene Sendungen handelt, wird die Zustellung gelegentlich auf Vororte oder Nachbarstädte ausgedehnt. Briefmarken und Briefkästen sind unerlässlich, ansonsten ist der Betriebsablauf ähnlich wie bei der Staatspost. Die Firmen verfügen über einen festen Mitarbeiterstamm, der in Stoßzeiten durch Aushilfskräfte aufgestockt wird. Für den Vertrieb ihrer Briefmarken und Ganzsachen arbeiten die Unternehmer häufig mit örtlichen Ladengeschäften zusammen.

    Zirkularpost konzentriert sich auf die Beförderung von Massendrucksachen und Werbematerial. Eine Konkurrenz zur Reichspost ergibt sich nur, wenn adressierte Sendungen zugestellt werden. Das Postgut ist mit wenig Aufwand zu befördern, Briefkästen oder Briefmarken werden nicht benötigt. Als weitergehende Dienstleistungen werden das Schreiben von Adressen, das Kuvertieren der Briefe und teilweise auch die Herstellung der Werbedrucksachen angeboten. Diese Firmen benötigen nur einen kleinen Personalstamm und arbeiten mit Zustellern, die nach Bedarf eingestellt werden. Die Auslieferung erstreckt sich gelegentlich auch auf Nachbarstädte.

    Beide Varianten werden im Folgenden unter dem Begriff private Postdienstleister bzw. Privatpost zusammengefasst.

    In der Zeit zwischen 1885 und 1900 gibt es im Deutschen Reich etwa 150 Firmen, deren Geschäftsmodell man der Privatpost zuordnen kann. Rechtsform und Größe der Unternehmen sind unterschiedlich, sie reichen von Familien- und Ein-Personenbetrieben bis hin zur „Berliner Packetfahrt AG" mit fast 1.000 Angestellten im Jahr 1900.

    Wie in jeder Branche gibt es bei den privaten Postdienstleistern fähige und weniger fähige Akteure – solche, die eine solide Firma aufbauen, und solche, die in mehr oder weniger betrügerischer Absicht lediglich eine schnelle Mark machen wollen. Erfolgreich sind die Unternehmen nur, wenn es ihnen gelingt, einen möglichst großen Anteil des örtlichen Postaufkommens auf die eigene Firma umzuleiten. Im Gegensatz zur Reichspost müssen die Privaten durch Werbung auf sich aufmerksam machen, um so in Kombination mit ihren günstigen Tarifen Kunden zu gewinnen. Besonders die Geschäftskunden mit großem Beförderungsvolumen werden umworben, häufig mit zusätzlichen Rabatten auf die regulären Tarife. Die Ausgaben für den laufenden Betrieb, die Kundenakquisition, die Werbung durch Zeitungsanzeigen und Handzettel und die Einarbeitung des Personals kosten Zeit und Geld. Nicht alle Unternehmer haben ein ausreichendes finanzielles Polster, um die Anlaufzeit zu überstehen.

    Die erste Privatpost nach der Gründerkrise von 1879 wird in Berlin eröffnet und am 13. Februar 1884 unter dem Namen „Berliner Packetfahrt AG ins Firmenregister eingetragen. Wie der Name sagt, befasst sie sich anfänglich ausschließlich mit der Beförderung von Paketen. Doch bald erkennt man die Chance, die sich durch die Beförderung von Ortsbriefen ergibt. Die Attraktivität einer Berliner Privatpost beruht dabei nicht nur auf der Größe der Stadt und dem damit verbundenen hohen Sendungsaufkommen, sondern auch auf einer Tarifbesonderheit der Reichspost, die Berliner Ortsbriefe wie Briefe im Fernverkehr behandelt und mit 10 Pfennig (anstatt mit dem in anderen Städten gültigen Ortstarif von 5 Pfennig) taxiert. Und so geht die „Berliner Packetfahrt AG Anfang 1885 zusätzlich als private Stadtpost an den Start.

    Bis Ende 1888 werden insgesamt 50 Firmen in 34 Städten, eröffnet, von denen allerdings gut die Hälfte nach wenigen Wochen wieder schließt. Nicht immer sind die Gründer prädestiniert für den Betrieb einer Privatpost: In einer Zusammenstellung der Reichspostverwaltung zu den Unternehmensgründern finden sich Berufe wie Schlosser, Metzger, Schuhmacher, Maler und Notariatsgehilfe.

    Anzahl der zwischen 1886 und 1888 eröffneten Privatpostfirmen bezogen auf die Stadtgröße

    Unabhängig von den Fähigkeiten der Unternehmer spielt das Marktumfeld und damit in erster Linie die Größe einer Stadt eine wesentliche Rolle. Kleinstädte mit weniger als 10.000 Einwohnern sind wenig erfolgversprechend. Es überrascht daher nicht, dass in Bergedorf (heute Stadtteil von Hamburg), Cölln an der Elbe (heute Stadtteil von Meißen), Neuenheim (heute Stadtteil von Heidelberg) und Schwerte die Gründer nach wenigen Wochen wieder aufgeben.

    21 Unternehmer versuchen in Mittelstädten mit bis zu 100.000 Einwohnern ihr Glück, allerdings können sie sich nur an drei Standorten durchsetzen. Und nicht einmal Großstädte bieten in allen Fällen eine Erfolgsgarantie, zehn der in diesem Zeitraum gegründeten Firmen werden bereits vor dem Ende der Privatpostzeit geschlossen. Gehen in einer Stadt mehrere Firmen an den Start, verringern sich die Erfolgsaussichten deutlich. In solchen Fällen entwickelt sich sehr schnell ein Platzhirsch oder keine der Firmen ist lebensfähig.

    Ein Beispiel dafür, wie man auch in einer Großstadt an der eigenen Unfähigkeit scheitern kann, ist der am 1. November 1886 in Leipzig gegründete „Privat-Brief-Verkehr", der bereits nach vier Monaten im Februar 1887 seine Arbeit wieder einstellt. Im August 1887 werden die ehemaligen Eigentümer der Firma wegen Verstoßes gegen das Postgesetz angeklagt. Corpus Delicti sind acht Briefe, die von der Privatpost in nicht zur Stadt Leipzig gehörende Vororte zugestellt worden sind. Die Verletzung des Postmonopols lässt sich nicht abstreiten, die Briefe liegen dem Gericht vor.

    Während der Verhandlung räumt der ehemalige Geschäftsführer Hässelbarth ein, die Buchführung sei sehr lax gehandhabt worden; in einer Schublade hätten umfangreiche Champagner-Rechnungen gelegen. Für einen Miteigentümer eingehende Zahlungen werden nur auf Drängen und äußerst unwillig in kleineren Summen ausbezahlt, dessen Mitwirken am operativen Geschäft beschränkt sich auf das Tragen einer Postmütze, die er nach der Auflösung des Unternehmens behalten darf. Insgesamt wird so ein Startkapital von 25.000 Mark in den Sand gesetzt. Da Anweisungen fehlen, tun die Austräger, was sie für richtig halten und stellen auch Briefe für die Vororte zu, obwohl die Reichspost deswegen den „Privat-Brief-Verkehr" abmahnt. Am Ende wird Hässelbarth zu einer Geldstrafe von drei Mark verurteilt.

    Diese Verhältnisse sind sicherlich nur für einen kleinen Teil der Firmen repräsentativ, die Begebenheit belegt aber die mancherorts vorhandene Goldgräberstimmung. Zu den schwarzen Schafen zählen auch Unternehmer, die in erster Linie Briefmarken für die Sammler des neuen Gebietes „Privatpost produzieren. Einige Firmen dagegen wie die „Berliner Packetfahrt AG oder der „Mercur" in Hannover entwickeln sich zu äußerst erfolgreichen Postdienstleistern, die hohe operative Gewinne

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