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Minich stirbt: Schillings zweiter Fall
Minich stirbt: Schillings zweiter Fall
Minich stirbt: Schillings zweiter Fall
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Minich stirbt: Schillings zweiter Fall

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Die schwüle Hitze liegt wie ein Leichentuch über Wien. Das Kind stirbt auf der Wiener Höhenstraße. Die Mutter wird entführt, die junge Frau des alten Minich! Wer ist dieser Minich? Ein liebevoller Gatte mit verkalkten Herzgefäßen, der es sicher nicht mehr lange machen wird, wie die Ärzte es ihm sagen? Ein Immobilien-Tycoon mit viel Dreck am Stecken? Der abkassierte, als es so Usus war, unten bei der Süd-Bank. Ein Netzwerk des Verbrechens türmt sich vor Schilling, Preinfalk und der unermüdlichen Sue auf.
LanguageDeutsch
Publishertredition
Release dateApr 29, 2016
ISBN9783734521362
Minich stirbt: Schillings zweiter Fall

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    Minich stirbt - Rudolf Schandalik

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    1

    Die Sonne sticht unbarmherzig vom blauen, wolkenlosen Himmel und saugt die letzten Tropfen Feuchtigkeit aus der Erde. Es ist Juli, und dieser Tag hält es für seine Pflicht, der heißeste des Monats zu werden. Eine schwüle Hitze hängt über Wien. Wie ein Leichentuch.

    Schilling steht am Fenster in seinem Büro in der Polizeidirektion und schaut auf die menschenleere Straße.

    Vor ihm, unten im kleinen Grünstreifen entlang der Fahrbahn, ist das Gras braunverbrannt. Die paar erst gepflanzten Bäume lassen die frühzeitig vertrockneten Blätter zu Boden segeln. Kein Lüftchen rührt sich. Wer jetzt noch in dieser Stadt regt, ist selbst schuld. Die Aggressionen der Menschen steigen an, jede Kleinigkeit kann zur Explosion führen. Oder zur Abreise.

    Ohne anzuklopfen, stößt Dr. Preinfalk die halboffenstehende Türe zum Allerheiligsten der Wiener Mordkommission ganz auf. Der großgewachsene Hüne aus dem Ybbstaler Alpenvorland kann die bäuerliche Abstammung nicht verleugnen. Alles ist groß an ihm, Hände, Füße und der nur mehr dürftig behaarte Kopf. Die lächelnden Augen und das freundliche Gesicht nehmen jeden für ihn ein. Max ist ein zu groß gewordenes Kind geblieben. Alle mögen ihn. Ein Staatsanwalt, der sich Anerkennung verschafft hatte. Und sich auch als Staatsanwalt zum Anfassen behaupten konnte.

    »Hallo, Schilling, hältst du nach etwas Bestimmtem Ausschau da unten?«

    »Nein, Max, ich beobachte nur die Straße und denke über die Menschen hier nach.«

    »Wie gehts Fritzi? Hab schon Wochen nichts mehr von ihr gehört!«

    »Sie arbeitet an den letzten Kapiteln ihrer Diplomarbeit, kannst dir doch vorstellen, wie angespannt sie ist! Um in Ruhe arbeiten und schreiben zu können hat sie sich im Waldviertel für zwei Wochen einquartiert.«

    »Das verstehe ich gut. Damals, in den letzten Zügen meines Studiums hat Maria es auch nicht einfach gehabt mit mir. Sie sagte mir später, ich glich zu jener Zeit mehr einem brummelnden Braunbären aus den Voralpen als einem menschlichen Wesen!« Dabei verziehen sich seine Gesichtszüge in ein aufgekratztes Lächeln.

    Dr. Preinfalk stellt sich neben Dr. Schilling ans Fenster. Er nimmt seine allgegenwärtige Pfeife aus der Tasche, nuckelt an dieser und lässt sie wieder in den Tiefen des Hosensack’s verschwinden.

    »Verdammt heiß heute«, sagt er.

    Schilling nickt zustimmend, »Die trockene Hitze treibt den Schweiß aus allen Poren.»

    Zwei, die sich gut kennen, erzählen von dem, dass sie interessiert, aber nicht bewegt. Small-Talk, wie in jedem Café es gang und gäbe ist.

    »Gibt’s was Neues?«, fragt Max.

    »Der Wagen wurde gefunden, du weißt, der an der Fahrerfluchtgeschichte beteiligt war.«

    »Was war da genau?«

    »Der Wagen hat das Auto einer Frau Jäger gerammt!«

    Max erinnert sich, »Wobei das Baby getötet worden war? Ein Baby war getötet worden! Ein Baby! Da muss man mit aller Strenge vorgehen. Und die Mutter, war sie die Lenkerin? Auch verletzt?«

    »Nicht der Rede wert, nichts Wesentliches. Fürchte, dass mit der Strenge wird nicht so einfach werden!«

    »Warum?«

    »Die Besitzer des Wagens behaupten steif und fest, sie wären nicht gefahren! Das Auto wäre ihnen gestohlen worden und ich muss ihnen glauben!«

    »Wer sind diese Leute?«

    »Franz und Eva Graf aus Waidhofen. Wohnen derzeit in einer Garçonnière in der Gersthoferstraße.«

    Max fragt weiter, »Wo wurde das Auto gestohlen?«

    »Praktisch direkt vorm Haus. In Währing draußen ist kein Parkverbot.«

    »Noch nicht! Wird auch noch kommen, wenn der Bezirk einmal ›grün‹ ist, wirst es schon sehen! Aber, der Unfall ereignete sich am frühen Nachmittag, stimmt das?«

    »Gestern um 14 Uhr 35. Oben auf der Höhenstraße, Richtung Tulln hinunter. Frau Jäger hat ausgesagt, sie wollte einem mit überhöhten Tempo fahrenden Wagen ausweichen. In der 50-km-Begrenzung! Und ist über den Straßenrand hinausgedrückt worden! Schrecklich!«

    »Und wie seid ihr auf den Fahrerfluchtwagen gekommen?«

    »Sie hat nur ein ›WY‹ am Nummernschild erkennen können. Genaueres konnte sie nicht sagen. Einer aufmerksamen Streifenpolizistin ist aber der am linken Kotflügel beschädigte Wagen mit dem seltenen ›WY‹ aufgefallen. Irgendwo in Floridsdorf. Das linke Vorderlicht war demoliert und an der Karosserie mehrere Kratzer.«

    »Wie war es den gestartet worden«, fragt Max betroffen.

    »Ach, ist so ein älteres Auto. Da hat jemand die Zündung kurzgeschlossen!«

    »War denn der Wagen nicht versperrt?«

    »Nein, sagte Herr Graf«, meint der Kommissar.

    »Eigenartig! Welcher Idiot lässt sein Auto unversperrt?«

    »Es handelt sich um ein Uralt-Auto. Ein Cabrio, das seinen besten Zeiten schon lange nachtrauert. Sie behaupten, dass ein Fenster klemme und halb offen geblieben war. Schau, da, das Foto. Irgendwie erinnert es mich an was.«

    »Sam Schilling! Schaust du nicht fern? Das kann ich dir schon sagen: Sieht aus wie dieses Peugeot-Cabrio vom Inspektor Colombo. Glaub nicht, dass dieses versperrbar war. Das Stoffdach war auch hin.«

    »Von welchem Auto?«

    »Ich meinte das vom Colombo. Und die Graf’s, können die beweisen, dass sie nicht selbst gefahren sind?«

    »Ja, Max, sie waren in der Albertina. Die Eintrittskarten hatten sie noch, sie waren mit der Straßenbahn in die Stadt gefahren. Sogar die Fahrscheine hatten sie noch! Entwertet mit Datum und Uhrzeit!«

    »Also ein komplettes Alibi!«

    »Ja, und nach dem Besuch der Albertina wollten sie noch ins Maria-Theresien-Schlössel, dem neurologischen Krankenhaus im Neunzehnten. Den Professor dort kenne ich gut, ich hab Hans, Professor Bandon, schon angerufen. Er bestätigte, dass der Bruder von Frau Graf einen Schlaganfall erlitten hatte und seit zwei Wochen dort betreut wird. Dem Herrn Minich ginge es gar nicht gut, sagte er. Am vorgestern Abend habe er einen neuerlichen Schlaganfall gehabt.«

    »Schlimm. Und wer ist der Minich?«

    »Der hat ein kleines Häuschen im Marchfeld. Eigentlich wollte ich jetzt ins Spital fahren. Hans sagte am Telefon, er versuche ständig, was zu sagen. So wie ›Schlüssel‹. Und wie ›Polizei‹. Und ›Schilling‹.«

    »Was?«

    »Nichts Eindeutiges, aber Hans meinte, es klang so, wie wenn die Polizei, wie wenn ich zu seinem Haus gehen sollte. Irgendetwas will er mir sagen.«

    Max kommt wieder auf den Unfall auf der Höhenstraße zurück, das mit dem Baby lässt ihn nicht los! »Warum sollte jemand einen Wagen in der Gersthoferstraße stehlen und dann einen Unfall bauen? Wollten die den Verdacht auf die Besitzer abwälzen?«

    Schilling schüttelt den Kopf, »Wenn ich das nur wüßte!«

    »Und keine Fingerabdrücke? Im Auto?«

    »Nichts, Max, die Kollegen von der Spurensicherung haben nichts gefunden, weder auf dem Lenkrad, noch sonst wo, alles fein säuberlich abgewischt. Auch das spricht dafür, dass die Graf’s die Wahrheit sagen. Die hätten das sicherlich nicht getan! Wer wischt schon das Lenkrad und den Schaltknüppel seines eigenen Autos ab, wenn er grade gefahren ist?«

    Max nickt zweifelnd.

    »Was sind das für Leute? Kenn ich ja gar nicht, du darfst nicht vergessen…«, da wird er schon von Schilling unterbrochen, »…dass du auch aus Waidhofen bist! Ich weiß, ich weiß, eine schöne Gegend, die Stadt klein, aber fein! Hast ja genug oft davon erzählt. Also: Er hat eine Graphikwerkstatt, ein Einmannbetrieb dort bei Waidhofen. Ist etwa so um die fünfundvierzig, eher schon fünfzig, ein Zwergerl gegen Dich!«, lächelt Schilling.

    »Sam, hast du was gegen große Menschen?«

    »Und sie etwa gleichalt«, Schilling überhört dies geflissentlich, »vielleicht etwas älter, hat aber in der Familie die Hosen an! Und fast deine Statur. Die sagt, was sie meint! Und meint auch, was sie sagt!«

    Schillings Telefon läutet. Aggressiver als sonst.

    »Mordkommission Schilling!«

    Eine grelle, bellende Frauenstimme fängt in rasendem Tempo zu reden an. Sofort stellt er das Telefon auf laut: »Ich bin Michaela Minich, ich war am Westbahnhof mit meinem kleinen Mädchen und wartete dort auf Bekannte, die mich abholen sollten. Da traten Leute auf mich zu und fragten mich, ob ich Michaela Minich sei. Als ich bejahte, sagten sie, draußen wäre die Polizei, die mich sprechen müsse. Ich ging mit ihnen durch die Tür zu einem Auto, in das sie mich zerrten. Es ging alles so schnell! Und fuhren mit mir weg. Mein Baby ist am Bahnhof auf einer Bank liegen geblieben, auch mein Gepäck. Ich hab so eine Angst gehabt, dass ich nichts vom Baby sagte. Ich hab befürchtet, sie könnten meinem Mädchen was antun.«

    Schilling unterbricht sie, »Wo sind Sie denn momentan?«

    Die Frau geht nicht darauf ein, »Bitte beschützen Sie mein Baby, es ist allein am Bahnhof in großer Gefahr! Auf der Bank, neben dem Zeitungsgeschäft. Bitte können Sie--«, da bricht die Stimme ab, zuerst noch ein gellender Schrei und dann eine keuchende Männerstimme: »Weg mit dem Telefon…«

    Lautes Poltern. Aus.

    »Die hat aber schnell gesprochen! War wie ein Maschinengewehr! Hat doch irgendwie ehrlich geklungen«, sagte Preinfalk. »Aber es kommen doch immer so verrückte Anrufe!«

    »Weiß schon, aber diese Männerstimme und das Gepoltere, wie wenn jemand umgestoßen wird! Wie ein Niederstürzen! Oder vielleicht, wenn jemand aufs Handy draufsteigt? An die Wand wirft?«

    »Sie sagte, sie heiße Minich!«

    »Kann auch sein, dass es nur so ähnlich war! Wir müssen aber zum Bahnhof!«

    »Fahrst du mit?«

    »Natürlich!«

    Gut acht bis zehn Minuten später sind sie mit dem Einsatzwagen am Bahnhof. Alles ist so, wie es immer ist. Viele Menschen, gehend, laufend, herumstehend, angelehnt an das Geländer. Ein dreijähriges Kind weint, einige alte Männer sitzen auf einer Bank, still vor sich hin starrend.

    Neben dem Zeitungsladen, auf der langen Bank für die Wartenden, ist ein Mann in ein Taschenbuch vertieft, roter Umschlag, wie oft bei Krimis. Daneben auf dem Fußboden ein Aktenköfferchen. Der Mann ist gut gekleidet, trotz der bleiern in der Luft hängenden Hitze. Unter dem Bürstenhaarschnitt ist auch diese Stirne feucht. Wie bei all den anderen Menschen hier.

    »Die Luft ist zum Schneiden«, sagt Schilling, und dann sieht er es. Auf dem Sitz knapp daneben, ein typisches Baby-Trage-Liegegestell und ein Gepäckstrolley, so nahe, wie wenn dies alles zu dem Mann gehöre.

    Schilling stürzt sofort hin: Das Baby schläft ruhig und selig. Die nackten Füßchen strampeln ein wenig im Schlaf.

    Fassungslos stößt Max Preinfalk ein »I werd’ narrisch!« aus. Wie zur Salzsäule erstarrt glotzt er das Kind an.

    Schilling läuft zum Zeitungsgeschäft, die Frau dort hat nichts gesehen, hatte zu viel zu tun. Max Preinfalk stürzt zu dem danebensitzenden Mann. Laut und aufgebracht schleudert er die Frage: »Lag das Baby schon dort, als Sie sich hierher gesetzt haben?«, ihm direkt ins Gesicht.

    Eingeschüchtert antwortet der Mann, »Nein, ich glaube, es war nur eine Frau da…Halt…ja, so war es. Das Baby und eine Frau waren da. Das Kleine in der Trageliege oder wie man das halt nennt. Hab nur kurz hingeschaut und dann in meinem Buch weitergelesen. Der Krimi ist gerade so spannend.«

    »Wissen Sie, wann die Frau weggegangen ist?«

    »Nein, darauf hab’ ich wirklich nicht geachtet!«

    Preinfalk, durch seine Statur wirkt er schon maßgebend, ruft laut, »Einen Augenblick, meine Herrschaften, bitte horcht einmal her!«

    Einige der Menschen wenden sich zu dem beeindruckenden Mann, »Dies ist Kommissar Doktor Schilling, er hat ein paar Fragen an Euch!«

    Schilling ruft laut, um sich im Trubel bemerkbar zu machen, »Wir müssen die Mutter dieses Baby finden! Weiß jemand, wo sie ist? Hat sie jemand gesehen?«

    Kurz wurde es still. Die Menschen schauen sich an und beginnen dann leise miteinander zu flüstern.

    Eine nicht nur um die Hüften sehr starke Frau, die in Begleitung zweier anderer Damen ist, hebt ihre rechte Hand. Sie deutet mit dem mit ihrer rechten Hand gehaltenen, nicht unbeträchtlichen Rest eines Frankfurter Würstchen direkt auf Schilling. Den kleinen, nun leeren Pappkarton hält sie in der Linken. »Ich hab sie gesehen!«, sagt sie laut und jedes Wort betonend. Dann steckt sie das ganze Wurstende in den Mund. Genüsslich kaut sie darauf herum.

    Schilling dreht sich zu ihr, »Wie lange ist dies her?«

    »Vielleicht zehn, fünfzehn Minuten«, und schluckt hinunter.

    Sie stapft Ehrfurcht gebietend die paar Schritte zum Abfallkübel hin. Sie entsorgt den verschmierten, noch einen Rest Senf aufweisenden Pappteller. Dann wendet sie sich wieder Schilling zu.

    »Können Sie die Frau beschreiben?«

    »Na, so um die Fünfundzwanzig ist sie.«

    Sie kramt umständlich in ihrer Handtasche. Endlich findet sie die Papiertaschentüchern. Ein triumphierendes Lächeln überzieht ihr Gesicht. Etwas patschert zieht sie eines aus der Packung heraus und tupft sich die Lippen langsam, ja übersorgfältig, ab.

    »Sicher keine Dreißig! Berta, du hast sie doch auch gesehen?«

    Hinter ihr steht eine zarte Dame. Berta schüttelt nur den Kopf. Die Dritte wartet etwas seitlich, groß und hager. Auffallend missbilligend blickt sie drein. Sie kann es nicht verstehen, dass sich ihre Freundin überhaupt gemeldet hat.

    »Sie trug eine hellbraune Jacke, ja etwas dunkler als flachsfarbiges Leinen, den passenden Rock, eine hellrosa Bluse. Eine hübsche Frau! An die gelblichen Handschuhe erinnere ich mich besonders! Eher so ganz hell braun-gelblich waren die Handschuhe. Feines Wildleder!«

    »War sie blond, braunhaarig, schwarzhaarig?«

    »Blond, bin ich mir sicher!«

    »Wie heißen Sie?«, fragte Dr.Preinfalk.

    »Eva Marchalek.«

    »Wie lange sind Sie schon hier?«

    »Na, vielleicht eine halbe Stunde, viel mehr nicht.«

    Schilling versucht noch, die anderen Leute auszufragen, aber niemand sah etwas. Frau Eva Marchalek bleibt die Einzige. Sie gibt noch Schilling ihre Adresse und die Handynummer. Dann drehte sich das ungleiche Damentrio um und schreitet Richtung Bahnsteig.

    Max, mit einem maliziösen Lächeln auf den Lippen, sagte zu Schilling, »Ja, mein Freund, es sieht so aus, als ob das Baby nun uns bleibt!«

    Schilling wirft ein: »Und einen Fall von Kindesweglegung. Und noch Menschenraub dazu!«

    Er ruft nun die Einsatzzentrale an. Sollen sich doch die Kollegen weiter befassen.

    Zu den noch herumgaffenden Menschen sagt er mit ruhiger Stimme, »Wenn ihr die Frau nicht gesehen habt, könnt ihr uns auch nicht weiterhelfen!«

    Das Baby schläft ruhig und friedlich in seiner Liege. Da hat sich doch eine Fliege frech auf den großen Zeh gesetzt, der nackt unter der Decke mit den Elefanten vorlaut hervorblickt. Und Preinfalk beschäftigt sich intensiv damit, dies unnütze Flugungetier vom kleinen Babyzeh zu verscheuchen.

    Inspektor Stahl, der Erste, der eintrifft, ein übermäßig stark beleibter Mann, ist begleitet von einer zarten Polizistin, die neben ihm keinesfalls zur Geltung kommen kann. Sie verhält sich so, als wollte sie sich hinter ihm, der den starken Mann markiert, verstecken. Stahl schwitzt übers ganze Gesicht, der Schweiß fließt über den feisten Hals bis in den Hemdkragen. Es ist, wie wenn er schmelze. Schilling informiert sie rasch und sagt nun zu Max Preinfalk, »Wir haben ein Baby bekommen!«

    »Wir?«

    Dann mutmaßt er, »Max, glaubst du nicht, deine Frau würde sich freuen, das Kindchen vorübergehend aufzunehmen?«

    Max Preinfalk, der Staatsanwalt, wurde plötzlich weich. »Ich frag sie. Wie ich sie kenne, nimmt sie mit Freuden das kleine Würmchen!«

    Er informiert die eingetroffenen Kollegen, »Wir nehmen das Kind zu uns. Da ist es doch sicher besser aufgehoben als bei der Fürsorge!«

    »Gehen wir, Schilling, ich ruf daheim an.«

    2

    Preinfalks Haus ist eine Zufluchtsstätte an den Abhängen in Neuwaldegg, am Rande der Stadt in den Wienerwald hinein. Das alte Haus strahlt Ruhe, Zufriedenheit aus. Als ehemaliges Landhaus aus der Monarchie muss es über eine mit Weinranken bewachsene Holzveranda verfügen, die einen kühlen Ruheplatz nach der Hitze der Stadt verspricht. Das geht doch gar nicht anders. Aus den wild wuchernden Ranken und umgebenden, Schatten spendenden hohen Bäumen strömt eine kühle Feuchtigkeit.

    Die Hausfrau, Maria, ihrem Mann in Größe und Freundlichkeit kaum nachstehend, hat gelernt, das Leben von der philosophischen Seite zu nehmen und nur die wirklich wichtigen Dinge des Lebens zu beachten. Eine Welle von Ruhe und Tüchtigkeit geht von dieser Frau aus.

    Wie sie ankommen, wacht das Kind auf. Und wird sofort von der Mütterlichkeit der Maria in Beschlag genommen. Sie nimmt die Kleine mit der Trage hoch und verschwindet mit ihr im Haus.

    »Soll ich dir helfen«, ruft ihr Mann.

    »Nein, nein, ich komme schon zurecht. Sie ist nur hungrig, die Kleine!«

    »Ja ja, du schaffst es schon!«

    Er grinst etwas hilflos, entspannt. Er weiss, was es für seine Frau bedeutet, ein Kindchen zu versorgen, zu umhätscheln! Wie viele Jahre hatte er, hatten sie beide auf so einen Augenblick der Freude gewartet, des Glücks, ein Kind hier bei sich zu haben. Er weiß, wie es seiner Frau jetzt zumute ist, was sie fühlt.

    Schilling zieht seine Jacke aus, wie auch Max getan hatte. Schon Jahre sind sie befreundet. Er, der etliches über die Fünfzig hinausgehende Staatsanwalt, mit dem gut zwanzig Jahre Jüngeren. Und seit zu dieser Freundschaft noch Fritzi, Schillings ›Verlobte‹, wie er zu sagen pflegt, dazu gestoßen ist, sind sie noch enger verbunden. Preinfalk, fast noch mehr seine Frau, sind ein wenig zu Ersatzeltern geworden.

    Schilling hat sich, seit er in der Beziehung mit Fritzi lebt, völlig gewandelt. Die junge Polizistin, nebenbei eine strebsame Studentin der BWL, hat den immer auf höchsten Touren laufenden Kommissar umgemodelt. Zum Glück, das er mit ihr gefunden hat, kam die Entspannung. Die Ruhe, die Schilling nun verbreitet, ist in Fritzi, seiner Fritzi, begründet.

    Beide, der Ältere und der Jüngere, sitzen auf der Veranda dieses heimeligen Hauses. Max hat Sam eine leichte Zigarre angeboten, wortlos rauchen beide. Nach einer Weile stößt Maria zu ihnen, ihre Augen strahlen die Männer liebevoll an.

    Maria Preinfalk ist keine Frau, die mit allen Tricks ihr Alter verbergen will. Keinen Beautysalon hatte sie je von innen gesehen, trotzdem ist sie, oder gerade deswegen, schön. Eine große, kräftige Frau, die Freundlichkeit, die Liebe verbreitet. Sie freut sich ihres Lebens, das sie an der Seite ihres Mannes verbringt. Das Schicksal hat sie hart auf die Probe gestellt, das ersehnte Kind war ihnen versagt geblieben. Sie haben auch

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