Discover millions of ebooks, audiobooks, and so much more with a free trial

Only $11.99/month after trial. Cancel anytime.

Narbenmeer: das Tagebuch einer Heilung
Narbenmeer: das Tagebuch einer Heilung
Narbenmeer: das Tagebuch einer Heilung
Ebook168 pages2 hours

Narbenmeer: das Tagebuch einer Heilung

Rating: 0 out of 5 stars

()

Read preview

About this ebook

Charly ist Anfang vierzig, als sie an Brustkrebs erkrankt. Es ist der 21. August 2015, der Tag, der ihr Leben für immer verändern wird. Ihre Welt bricht zusammen und sie steht vor den Trümmern ihres Lebens. Nach dem Absturz in bedrohliche Tiefe erhebt sie sich und kämpft den wohl härtesten Kampf ihres Lebens. Narbenmeer ist die berührende Geschichte einer Heilung, ein Auseinandersetzen mit dem Leben und dem Tod und einer Welt aus Fragen, denen sich Charly stellen muss. War sie glücklich in ihrem Leben? Hat sie das Leben gelebt, das sie sich erträumt hat? Wie viel Zeit bleibt ihr noch? Charly liebt das Leben und ist doch unfähig, es zu nehmen, wie es ist. Eine Reise voller Momente der Schönheit und des Bedauerns beginnt. "Vielleicht muss man irgendwann einfach beschließen, damit aufzuhören, so zu sein, wie man immer war." Wie schafft man es, eine andere Frau in einem anderen Leben zu werden? Die Autorin erzählt die Geschichte mit beeindruckender Klarheit, bildgewaltiger Sprache und unglaublicher Kraft. Sie nimmt uns mit auf eine spannende und dramatische Reise, bei der es um nicht weniger als alles geht.
LanguageDeutsch
Publishertredition
Release dateMar 16, 2021
ISBN9783347256972
Narbenmeer: das Tagebuch einer Heilung

Related to Narbenmeer

Related ebooks

Biographical/AutoFiction For You

View More

Related articles

Reviews for Narbenmeer

Rating: 0 out of 5 stars
0 ratings

0 ratings0 reviews

What did you think?

Tap to rate

Review must be at least 10 words

    Book preview

    Narbenmeer - Mandy Osterburg

    Charly

    Ich war eine unglückliche Frau. Mein Leben und ich selbst waren mir fremd geworden. Wenn ich das heute sage, klingt es, als ob ich das über eine andere Frau und ein anderes Leben sagen würde. Und doch waren es mein Leben und mein Unglücklichsein. Es ist etwas passiert in der Zwischenzeit. Mir ist etwas zugestoßen. Etwas, von dem ich nie geglaubt hätte, dass es gerade mich trifft. Nun bin ich eine andere Frau in einem anderen Leben. Manchmal erscheint mir das wie ein Wunder und vielleicht ist es das auch.

    Ich bin Charly und die Geschichte, die ich euch erzählen möchte, beginnt im August 2015, als ich die Diagnose Brustkrebs bekam. Damals habe ich geglaubt, dass das mein Todesurteil ist, dass ich sterben würde. Doch das ist nicht passiert. Ich habe überlebt. Auch das empfinde ich als ein Wunder. Und wenn ich jetzt sage, dass der Krebs mir auf eine unerklärliche Weise das Leben gerettet hat, ist das gewagt. Doch ich empfinde es genauso. Das ist meine Wahrheit. Ich habe gelernt, dass jeder seine eigene Wahrheit in sich trägt und das ist beruhigend. Weil ich immer geglaubt habe, dass es nur eine Wahrheit geben kann.

    Ich bin gewachsen, nicht nur an dem, was geschehen ist, sondern vielmehr daran, was ich aufgeschrieben habe. Vielleicht hat das Schreiben mich sogar gerettet, als ich vor den Trümmern meines Lebens stand. Nicht alles an meiner Geschichte hat sich genauso zugetragen, mitunter habe ich meiner Fantasie freien Lauf gelassen. Alle Namen von Personen, Institutionen und Orten habe ich frei erfunden.

    August 2015

    Ich verbrachte meinen Sommer am See, in meiner alten Heimat, dem Havelland. Ich hatte mir eine Auszeit genommen, drei Monate für mich allein, weg von zu Hause, weg von diesem Alltagstrott und von Gewohnheiten, die mich zu fest im Griff hatten, die mir die Kehle zuschnürten. In diesen Wochen habe ich alles mit einer nie gekannten Intensität erlebt und in mich aufgenommen. Ich saugte es auf wie ein Schwamm. Mehr brauchte ich anscheinend nicht. Ich war glücklich. Im Haus meiner Eltern fühlte ich mich geborgen und willkommen. Ich spürte, wie sehr sie mich liebten und wie mir all das gefehlt hatte. Die Tage und Stunden gingen so wunderbar leicht ineinander über, dass ich mich zuweilen fragte, ob ich so viel Glück eigentlich verdient hatte. Es war ein Sommer wie aus dem Bilderbuch, sonnig, warm und leicht. Jeden Morgen fuhr ich mit dem Rad zum See, fuhr über duftende Wiesen, goldene Felder und durch summende Kiefernwälder, schwamm ausgiebig und fühlte mich danach herrlich erfrischt. Und am Abend fuhr ich dann noch einmal durch den Wald, sprang ins kühle Wasser und war frei. Ich schwebte förmlich durch die Tage und ließ mich treiben von einer Sorglosigkeit, die ich nicht mehr kannte und von der ich nicht genug bekommen konnte.

    Doch da war noch etwas anderes, nicht Greifbares, ein vages Gefühl, das ich in mir gespürt und verdrängt habe. Erklären lässt sich das schlecht. In manchen Augenblicken fühlte es sich an wie das Ende von etwas. Da gab es eine Traurigkeit und auch Wehmut in mir. Irgendetwas veränderte sich. Nur konnte ich es nicht richtig einordnen. Wie auch? Da existierte eine Tiefe in mir, die mir fremd war. Meine Mutter sagte mir später einmal, dass sie das auch so empfunden habe. Wir verbrachten viel Zeit miteinander und waren uns nah wie nie zuvor.

    In den letzten Tagen dieses so wunderbaren Sommers änderte sich dann tatsächlich etwas. Ich hatte Schmerzen in meiner linken Brust und im linken Arm. Zuerst traten die Beschwerden nur nach dem Schwimmen auf. Ich schob es auf die ungewohnte Anstrengung und auf mein Herz, das manchmal stolperte, und ignorierte die Schmerzen einfach. Doch meine Mutter ließ nicht locker. So ging ich zu einem Allgemeinmediziner im Dorf. Er untersuchte mich gründlich, machte ein EKG und sagte, dass alles in bester Ordnung sei und meine Beschwerden wohl vom Rücken kämen. Ich war beruhigt.

    Der Sommer war vorbei und ich fuhr mit einem schweren Herzen zurück nach Hause zu Franz, meinem Partner, zurück in ein Leben, das ich nicht mehr wollte. Nur wusste ich das damals noch nicht.

    Zu Hause angekommen, wurden die Schmerzen plötzlich schlimmer. Ich hatte sie nun auch nachts, wenn ich auf dem Bauch oder auf der linken Seite lag. An einem Morgen, nur wenige Tage nach meiner Rückkehr, tastete ich meine Brust ab und da spürte ich etwas ganz deutlich. Ich spürte einen großen, festen Knoten in meiner linken Brust. Voller Panik rief ich Franz an. Er sagte etwas Ungeheuerliches: „Ja, ich habe den Knoten auch bemerkt. Ich habe ins Telefon geschrien: „Warum hast du dann nichts gesagt?

    Warum hatte er nichts gesagt? Und warum war ich nicht schon viel früher auf die Idee gekommen, meine Brust abzutasten? Ganz egal, in diesem Moment wusste ich, dass ich handeln musste. So wie man spürt, dass man in Gefahr ist und die Flucht ergreifen sollte. Am Nachmittag des gleichen Tages, es war der 21. August, ein Tag, der sich für immer in mein Gedächtnis eingebrannt hat, rief ich Dr. Beyer, meinen Frauenarzt, an. Er sagte, dass ich sofort vorbeikommen solle.

    21. August

    Es ist noch nichts passiert, nichts weiter als ein schlechtes Gefühl und nichts weiter als ein Knoten in meiner Brust. Sicher wird sich alles als völlig harmlos herausstellen. Mein Termin ist einfach nur eine Vorsichtsmaßnahme. Ich will lediglich Gewissheit, sage ich mir wieder und wieder. Doch eine dunkle Vorahnung hat sich bereits in mir breit gemacht, eine unbestimmte Angst. Ich bin nervös und durcheinander, als ich im Wartezimmer sitze. Ich versuche mich abzulenken, nehme eine Zeitschrift und blättere Seite um Seite darin. Doch nichts davon erreicht mich. Alles verschwimmt vor meinen Augen, erscheint plötzlich so belanglos und banal. Ich probiere, mich auf meine Atmung zu konzentrieren. Auch das funktioniert nicht. Ich spüre nichts außer der Furcht meines Herzens in meiner Brust und der Frage in meinem Kopf: Wie lange ist mein letzter Brustultraschall her? Ich kann mich nicht daran erinnern und das bedeutet: Es ist viel zu lange her.

    Dann gibt es einen Riss, ein Beben in meinem Inneren, die Zeit davor und die danach. Diese Stunden, die noch immer unfassbar sind und in denen ich hoffe, dass das alles nur ein böser Traum sein kann.

    Dr. Beyer ruft mich auf und ich folge ihm ins Behandlungszimmer. Mit jedem Schritt wird meine Angst größer. Mit jedem weiteren Schritt betrete ich ein Minenfeld. Doch ich kann nicht mehr zurück, habe keine Chance umzudrehen. Ich sitze in der Falle.

    Als erstes tastet Dr. Beyer meine linke Brust ab. Er versucht, mich zu beruhigen. Doch als er den Knoten ertastet, verschwindet das Lächeln aus seinem Gesicht. Ich lege mich auf die Liege für den Ultraschall. Während der Untersuchung wird Dr. Beyer immer blasser. Er sieht besorgt aus, beinahe schockiert. Mir gefriert das Blut in meinen Adern. „Doch das kann nicht sein. Was soll das schon bedeuten?, frage ich ihn. Seine Stimme ist brüchig, als er zu sprechen beginnt: „Das sieht nicht gut aus. „Wie? Was soll das heißen?, frage ich verunsichert. Er muss sich irren. Das kann nur ein Traum sein und gleich werde ich aufwachen. Doch er redet weiter: „Das ist ein Tumor und er ist schon relativ groß. Du musst doch etwas bemerkt haben. Warum bist du nicht früher gekommen? Ich bin erstarrt, kann nicht mehr sprechen. Wir sind beide zutiefst bestürzt. Ich bebe, kurz darauf breche ich in Tränen aus, schluchze, zittere am ganzen Körper, will hier nur weg. In diesem Moment ist alles zerstört, einfach alles, was ich an Hoffnung verspürt hatte. Angst und Panik wachsen in mir zu einem Ungeheuer heran. Ich spüre, dass es dieses Mal anders ist, dass es nicht harmlos ist. „Der Tumor ist circa drei Zentimeter groß", sagt Dr. Beyer. Er ist ein erfahrener Arzt und hat schon vieles gesehen. Bestimmt hat er erkannt, dass der Tumor alles andere als harmlos ist. Warum wache ich nicht auf? Er versucht mich zu beruhigen, nimmt mich in die Arme. Doch es hilft nichts. Ich bin verloren. Wir beide sind es. Eine Flut aus Entsetzen und Ohnmacht rollt heran und reißt mich mit sich.

    Auf einmal erscheint alles unwirklich, ich falle heraus aus Raum und Zeit und stürze in einen Abgrund. Es hört nicht auf. Ich existiere außerhalb meines Ichs wie ein Geist, wie in Trance, weiß nicht, wie ich mich beruhigen soll, lache plötzlich hysterisch. Ich höre noch, wie Dr. Beyer einen Termin im Krankenhaus, im dortigen Brustzentrum, für mich macht. Den Begriff habe ich noch nie gehört und ich begreife ihn deshalb auch nicht. Ich traue meinen Ohren nicht. Ein Termin am Montag für eine Biopsie. Es muss ein Irrtum sein.

    Vier Tage Ungewissheit. Wie soll ich das aushalten? Ich will auf der Stelle wissen, was mit mir los ist. Ich renne aus der Praxis. Ich laufe, bis ich keine Luft mehr bekomme, laufe so lange, bis ich atemlos bin vor Angst und Schrecken. Dann sinke ich zu Boden und schluchze. Vielleicht stöhne ich auch vor Schmerz. Jemand fragt mich, ob alles in Ordnung sei. Ich antworte nicht, kann nichts erwidern, stehe nur auf und taumle wie eine Betrunkene zu meinem Auto. Nichts ist mehr in Ordnung. Ausweglosigkeit. Wohin soll ich nun? Ich fahre betäubt nach Hause. Doch dort halte ich es nicht aus, halte weder Ruhe noch Stillstand aus. Ich muss mich bewegen, nehme mir mein Fahrrad und trete wie wild in die Pedale. Schneller, immer schneller, weg, einfach nur weit weg. Tränen strömen über mein Gesicht, ein ganzes Meer aus Tränen überströmt mich. Ich habe solche Angst, Todesangst. Ist das das Ende? Schreien! Ich möchte den Schmerz aus mir herausschreien. Und dann schreie ich in den Wald hinein. Ich schreie so lange, bis meine Stimme mich verlässt, so lange, bis ich endlich leer bin, leergeschrien.

    22. August

    Ich werde verrückt, weil ich nichts tun kann. Diese Ungewissheit und das Warten sind grausam. Franz ist die Ruhe selbst. Er sagt, dass alles gut wird, dass ich nicht immer vom Schlimmsten ausgehen darf. Er hat gut reden. Hat er überhaupt keine Angst um mich? Ich schütte mein Herz woanders aus, bei allen möglichen Leuten. Ich hoffe, dass es dadurch leichter wird. Geteiltes Leid ist halbes Leid. Nein, ist es nicht. Alle sind nur sprachlos. Eine Freundin meiner Mutter ist die Einzige, die mich versteht. Sie hatte bereits zweimal Krebs. Ich rede mir alles von der Seele, rede, rede und rede. Nichts wird besser oder leichter dadurch.

    24. August

    Die längsten vier Tage meines Lebens sind vorbei. Die Nächte waren am schlimmsten. Ich habe wachgelegen, stundenlang die Decke angestarrt, bin aufgestanden und durch die Dunkelheit gegangen, habe mich wieder hingelegt und auf den Morgen gewartet. Er hat sich sehr viel Zeit gelassen.

    Ich sitze im Krankenhaus und warte auf die Biopsie. Der Wartebereich ist steril und anonym. Mir ist kalt und heiß zugleich. Ich zittere am ganzen Körper, mir ist speiübel. Die Angst lähmt mich, diese Furcht vor dem Unaussprechlichen, dem Unvorstellbaren. Die Zeit zerrinnt in meinen Händen wie Sand. Ich habe absolut nichts mehr unter Kontrolle.

    Dann ruft der Arzt mich auf. Ich folge ihm in den Behandlungsraum. Er gibt mir die Hand und stellt sich vor. Er sagt: „Guten Tag, ich bin Dr. Bari, leitender Arzt des Brustzentrums." Ich bin ein wenig erstaunt, weil ich ihn mir ganz anders vorgestellt hatte. Er ist aus einem Land, in dem schon lange Krieg herrscht und mir kommt sofort der Gedanke: Diesen Mann kann nichts mehr erschüttern, der hat schon alles gesehen und vielleicht sogar erlebt. Ob das gut oder schlecht für mich ist, weiß ich noch nicht.

    Er erläutert mir kurz und knapp, wie die Stanzbiopsie ablaufen wird. Zunächst macht er einen Ultraschall links, dann rechts, markiert während der Untersuchung mehrere Stellen an meiner linken Brust und betäubt diese mit einer Spritze. Dann nimmt er das Stanzgerät, das aussieht wie eine große Wasserpistole, hält es an meine linke Brust und plötzlich schießt das Gerät in mich hinein. Ich erschrecke mich fürchterlich und zittere wie Espenlaub. Drei Mal schießt das Gerät und jedes Mal zucke ich entsetzt zusammen. Der Arzt erklärt mir, dass sich an dem Gerät eine Stanznadel befindet, die mit enorm hoher Geschwindigkeit durch den Tumor schießt. Deshalb gibt es auch dieses markerschütternde Geräusch. Um genauen Aufschluss über die Art und Beschaffenheit des Tumors zu erhalten, wird an drei verschiedenen Stellen eine Gewebeprobe entnommen. Dadurch ist es möglich, größere Zellverbände zu erfassen, erklärt er weiter.

    Ich bekomme einen festen Brustverband und ein Kühlkissen, weil die Einstichstellen nachbluten können. „In zwei Tagen ist das Ergebnis da", sagt Dr. Bari. Ich bekomme einen Termin für Mittwoch und verlasse den Behandlungsraum. Jeder Schritt ist ein Schritt in

    Enjoying the preview?
    Page 1 of 1