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Etwas bleibt unverletzt: Heilungswege bei sexuellem Missbrauch und häuslicher Gewalt
Etwas bleibt unverletzt: Heilungswege bei sexuellem Missbrauch und häuslicher Gewalt
Etwas bleibt unverletzt: Heilungswege bei sexuellem Missbrauch und häuslicher Gewalt
Ebook216 pages2 hours

Etwas bleibt unverletzt: Heilungswege bei sexuellem Missbrauch und häuslicher Gewalt

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Das traumatische Erleben von sexueller Gewalt schafft eine Ruine im Herzen und in der Seele des Opfers. Doch genau in dieser Ruine verbirgt sich ein Schatz: Mitgefühl und Liebe - eine wunderbare Quelle der Kraft und der Heilung für jeden betroffenen Menschen. Der Hunger nach WAHRER Liebe und die Sehnsucht nach ECHTER Erlösung sind ernsthafte Bedürfnisse, die aus seiner unverletzten inneren Wesenstiefe aufsteigen und geradezu danach verlangen, sich den Schrei des Befreitwerdenwollens zu gestatten und den Schmerz bewusst zu fühlen, damit sich das Herz wieder öffnen kann und nachhaltige Selbstfürsorge möglich wird.
LanguageDeutsch
Publishertredition
Release dateDec 11, 2019
ISBN9783749782833
Etwas bleibt unverletzt: Heilungswege bei sexuellem Missbrauch und häuslicher Gewalt

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    Book preview

    Etwas bleibt unverletzt - Peter Wehmann

    Vorwort

    Ein Buch über das eigene Innere zu schreiben – zumal wenn dieses schwere Verletzungen davon getragen hat –, erfordert besonderen Mut. Es in Angriff zu nehmen und abzuschließen, ist ein Zeichen, dass eine Schwelle überschritten werden kann, an der jemand durchgearbeitetes Leid, eine lange eingenommene Opferrolle, eine verzweifelte Einsamkeit, verbunden mit der Vorstellung, mit etwas mutterseelenallein auf der Welt zu sein, hinter sich lässt. Dieser Mensch kann beginnen, mit einem veränderten Vertrauen, von heute aus und neu auf das Geschehene zurückzuschauen. Es wird zur Vergangenheit und der Mensch spürt es schmerzvoll, jedoch ohne darin unterzugehen. Die Relevanz, die dieses Leid dann noch für sein heutiges Leben hat, wird geringer, und es bekommt einen Platz zugewiesen, anstatt wie früher das ganze Leben bedrängend und vernichtend auszufüllen.

    Peter Wehmann ist eine große Strecke dieses Weges gegangen. Er hat nicht aufgegeben, sich und seinen unverletzten Kern zu erforschen, um seine Lebendigkeit, verbunden mit einem annehmenden und wieder neugierigen, statt ablehnenden Fühlen des einstmals malträtierten und benutzten Leibes, zurückzugewinnen. So konnte mehr Weite und Liebe entstehen, mehr Verstehen seiner damals verinnerlichten Wut und Aggression, aber auch der Manipulation, der er selbst ausgesetzt war. Er konnte alte Rollen, die erfüllenden Beziehungen im Wege standen, relativieren oder aufgeben.

    Von all dem zeugt dieses Buch.

    Ich wünsche ihm eine breite Leserschaft.

    Gabriele Ramin

    Hamburg

    Raum der Erinnerungen

    „Liebe ist Heilung, Liebe ist Macht,

    Die Liebe ist die Magie der Veränderung.

    Die Liebe ist der Spiegel der göttlichen Schönheit."

    (Rumi)

    Als junger Mensch liebte ich die Augsburger Puppenkiste; besonders faszinierte mich der Scheinriese. Aus der Ferne betrachtet war er riesengroß, und die Menschen fürchteten sich vor ihm. Doch je näher man ihm kam, desto mehr schrumpfte er auf eine ganz normale Größe und zeigte sich dabei sensibel und freundlich. So ähnlich ist es mit den Ängsten und Problemen. Wenn wir sie vermeiden und von uns fernhalten, wirken sie riesengroß und monströs, und es scheint, als seien sie nicht zu bewältigen. Ich habe die Erfahrung gemacht: Je näher ich ein Angstgefühl oder ein Problem an mich heranlasse, desto mehr verliert es an Schrecken und desto freier werde ich, echte Lösungsmöglichkeiten zu finden.

    Dieses Buch ist keine Autobiografie im herkömmlichen Sinn, es ist auch kein spiritueller Reisebericht oder gar eine psychologische Anleitung – dennoch handelt es von allem. Ich bin kein Gelehrter, sondern ein einfacher Mensch mit einer speziellen Lebenserfahrung. Mir sind Dinge geschehen, von deren Bewältigungs-Phasen und Heilungs-Prozessen ich hier erzählen möchte. Möge es anderen Menschen, die ähnlich oder anders betroffen sind, und Angehörigen sowie Mitfühlenden dienlich sein auf ihrem Weg zu dem Schatz, der in der Tiefe ihres Inneren auf sie wartet. Dieser Schatz will geborgen werden, und ich bin dankbar, wenn ich mithilfe meiner Geschichte dem Schatzgräber die Schaufel reichen kann.

    Ich skizziere bestimmte Erfahrungen meines Lebens, um darüber verschiedene Veränderungs-Stufen auf meinem Weg der Bewältigung und Heilung zu beschreiben und um den Raum meiner Erinnerungen so klar wie möglich auszuleuchten. Eine besondere Betonung lege ich darauf, dass durch Hingabe an die Liebe – und damit an das Leben selbst – eine grundlegende Veränderung möglich ist. Daher sind für die Leser zwar keine Patentrezepte im Umgang mit sexueller Gewalt zu erwarten, aber die feste Zusage, dass es für jede noch so schwierige Erfahrung individuelle Lösungsansätze gibt. Denn jede Erfahrung ist so einzigartig wie der Mensch, der sie macht.

    In der heutigen Zeit brauchen wir alle mehr Mitgefühl, um der verhängnisvollen Tendenz entgegenzuwirken, immer stärker auf materielle Dinge ausgerichtet zu sein und innere Werte zu vernachlässigen. Gerade die Liebe tritt viel zu häufig in den Hintergrund und gerät zu einer Randerscheinung. Wir scheinen in eine Art kollektives Vergessen zu fallen, wobei Liebe und Mitgefühl nur noch als verzerrte romantische Vorstellungen existieren und verfremdet werden – verbannt in Kitschromane oder Seifenopern. In der Realität jedoch brauchen wir die wahre Kraft der Liebe und die tiefe Verbundenheit, die wir durch echtes Mitfühlen erleben können.

    Das traumatische Erleben von sexueller Gewalt schafft eine Ruine im Herzen und in der Seele des Opfers. Doch ich bin davon überzeugt, dass sich genau in dieser Ruine ein Schatz verbirgt: Mitgefühl und Liebe. Diese wunderbaren Quellen der Kraft und der Heilung können Sie – liebe Leserin, lieber Leser – ganz neu für sich entdecken und nutzen.

    Wenn ich von „Trauma" spreche, meine ich in diesem Zusammenhang eine tiefe seelische und/oder körperliche Verletzung, die durch das unnatürliche und katastrophale Ereignis sexueller Gewaltanwendung entsteht und weit außerhalb jeder üblichen menschlichen Erfahrung erduldet wird. Ein auf diese Weise entstandenes Trauma hat in der Folge – nicht selten ein Leben lang – massive Auswirkungen auf das Verhalten und auf die körperliche und seelische Konstitution des Betroffenen. Meist sind diese nicht ohne fremden Beistand, ambulante oder stationäre Psychotherapie, Einbindung in eine Selbsthilfegruppe oder die professionelle Hilfe von Beratungsstellen und erfahrenen Pädagogen zu bewältigen.

    Mit meinem Buch möchte ich Ihnen Hoffnung schenken und Mut machen, den Weg der Liebe zu gehen, um aus dem individuellen Vergessen heraus zu finden. Glauben Sie mir: Liebe und Mitgefühl sind keine sentimentalen Ideen, sondern essenzielle Qualitäten Ihres Lebens. Wahre Hoffnung besteht nur in Verbindung mit einer Wirklichkeit, in der Menschen mit ihren tiefsten Gefühlen in Kontakt sind, ob es sich dabei nun um Trauer, Schmerz und Wut oder um Zuversicht, Freude und Liebe handelt. Ihre Gefühle sind machtvoll und lebenswichtig, damit Sie mit Ihrem Herzen verbunden bleiben. Versperren Sie sich den Weg zu Ihren Gefühlen, bleibt Ihnen auch das große Potenzial Ihres Herzens verschlossen. Öffnen Sie sich für Ihre Gefühlswelt, wird der Strom der Liebe Sie erreichen und erfüllen.

    Um es gleich vorwegzunehmen: Auch der Hunger nach Liebe, die Sehnsucht nach Wahrheit und Erlösung sind keineswegs sentimentale oder idealisierte Empfindungen. Jedes Heimweh zeigt ein echtes und ernstes Bedürfnis an, das aus der instinktiven Tiefe Ihres Wesens aufsteigt. Es verlangt geradezu von Ihnen, sich den Schrei Ihres inneren Wesens zu gestatten. Den Schmerz zu fühlen, bedeutet, Ihr Herz wieder öffnen zu können, damit Heilung geschieht und Selbstfürsorge möglich wird.

    Was immer Ihnen geschehen ist, was immer Ihnen angetan wurde – Sie sind ein heiliges Wesen mit einer heiligen Seele und einem heiligen Körper.

    Heilung – eine Perspektive

    Heilung entsteht in einem von der Liebe zart berührten Herzen.¹

    Ich beginne die Reise aus dem tiefsten Bedürfnis heraus, mich zu erkennen und zu verstehen, wo mich die Reise hinbringen soll und welche Geheimnisse sie mir offenbaren wird. Mir begegnen Angst, Stress, Wahnsinn und Kontrollverlust in bedrohlichem Ausmaß – aber immer wieder auch die großzügige Liebe, die es schafft, meine alten Gewohnheiten zu brechen, die unendlich viel Schmerz erzeugen. Liebe ist meine einzig wahre Begleiterin. Ich versuche, einen Pfad zu skizzieren, der sich differenzierend im Spektrum von Idealisierung der Opferhaltung und Dämonisierung des Täters bewegt und der sich weder Bagatellisierung noch Überschätzung von sexueller Gewalt erlaubt. Ich möchte einen Weg beschreiben, der Selbsterfahrung und Selbsterkenntnis als Stationen der Bewältigungs- und Heilungsmöglichkeiten aufzeigt.

    Obwohl immerzu und überall auf der Welt schlimme Dinge geschehen, glaube ich fest daran, dass wir Menschen von Liebe durchdrungen sind, ob wir es fühlen oder nicht, und dass die Schöpfung es grundsätzlich gut mit uns meint und uns letztlich doch trägt. Wir müssen uns nur daran erinnern, weil wir das Gute so oft und so schnell vergessen und nicht selten zu lange an dem Schlimmen hängenbleiben. Wir müssen den vielfach verknoteten Faden der Liebe erst wieder aufnehmen und die Knoten auflösen. Eine Alternative haben wir nicht: Liebe ist die größte, stärkste Kraft im Universum. Ohne Liebe gibt es kein Leben. Sie ist das eigentliche Potenzial jeder Veränderung und jeden Wachstums. Und die Mühe lohnt sich, sie ist es wert, denn Liebe ist auch die Basis jeder Heilung – ob seelisch, körperlich oder geistig. Unsere Genesung hängt immer in gewissem Maße davon ab, ob wir für die Liebe empfänglich sind oder mindestens mit ihrer enormen Kraft in Resonanz gehen. Wir sind uns dessen nur selten bewusst, denn wir bringen unsere Heilung meistens mit anderen Dingen in Verbindung: Medikamente, Ärzte, Therapien …, es sind immer andere Menschen, äußere oder stoffliche Einflüsse, denen wir mehr zutrauen als uns selbst, vor allem mehr als der Kraft unseres eigenen Herzens – ein Irrtum!

    Jedes Tier, jede Pflanze, ganze Landschaften und Regionen sind in der Lage, sich selbst zu erholen von tiefen und tiefsten Verletzungen und Beschädigungen. Alles Physische weiß „von selbst", wie es wieder regeneriert und zu neuer Kraft findet. Der Drang, sich trotz hinderlicher Umstände oder lebensfeindlicher Einflüsse irgendwie doch möglichst vollständig zu entfalten, liegt dem Leben schlicht und einfach zugrunde. Unabhängig davon, dass wirksame Behandlungen und Therapien, die richtigen Medikamente oder auch die passende Ernährung, menschliche Unterstützung und fachliches Wissen natürlich ein Segen sein können auf dem Heilungsweg, reagieren Körper und Psyche darauf nur dann positiv, wenn es in uns selbst auch einen positiven Anker gibt – im Kern unseres Wesens. Es sind nicht (nur) die Tabletten, die Spritzen, die Massagen, die therapeutischen Gespräche, die uns gesund machen, sondern letztlich sind wir es selbst – wenn wir unser im Kern unverletzt gebliebenes, natürlich liebendes, lebensbejahendes Herz öffnen!

    Wer erst einmal begonnen hat, dem Weg des Herzens zu folgen, weiß: trotz aller Hindernisse gibt es kein Zurück mehr. Im tiefen Innern ist man sich bewusst, der richtigen Spur zu folgen. Mir selbst ging es so. Es war mein tiefstes Bestreben, mich intensiv an alles zu erinnern, um in mir einen Raum für Heilung und Verzeihen zu schaffen. Erst das Erinnern zeigte mir, wie mein Leben wirklich gewesen war und dass ich es nicht neu erschaffen konnte. Ich mutete mir selbst zu, meine schwierigen Kindheitserfahrungen gezielt zu reflektieren. Ich nahm die Unterstützung profunder Psychotherapie in Anspruch und setzte mich existenziell auseinander mit dem Sinn meines Lebens. Ich erforschte meine spirituelle Natur und entdeckte schließlich in mir selbst Lösungsmöglichkeiten – im Sinne der Salutogenese (Gesundheitsentstehung) – zur Bewältigung meiner Traumatisierung. Der Weg war frei, mit der Vergangenheit Frieden zu schließen und zu einem erfüllten Leben zu finden, in dem Licht und Schatten, Liebe und Schmerz eine dynamische Einheit bilden.

    Am Beginn meines Heilungsweges hatte ich endlos Schmerzen im ganzen Körper, denn die enorme psychische Belastung hatte sich bereits in physischen Symptomen manifestiert. Ich rannte von Arzt zu Arzt. Es wurden Diagnosen gestellt, doch diese Diagnosen stellten mir noch keine Heilung in Aussicht. Ich kämpfte an zwei Fronten: im Körper gegen die Schmerzen und in der Psyche gegen das Trauma. Gerade die Psychotherapie begleitete mich lange. Die vertrauensvollen Gespräche und sanften Körperübungen ermöglichten mir nach und nach tiefe Einsichten über mich selbst. Ich schaffte es, zu meinen weitestgehend verdrängten Gefühlen vorzudringen und diese bewusst noch einmal zu durchleben. Diese selbst gewonnenen Einsichten und die wertvolle Erfahrung, dass es Menschen gab, die mir zuhörten, mir beistanden und mir glaubten, trugen wesentlich zu meiner Heilung bei. Ich fühlte, dass ich nicht mehr alleine war mit meinem Leid. Ich verließ meine Isolation und war fähig, einen nährenden zwischenmenschlichen Austausch zu führen und mich in ein gesundes soziales Umfeld einzubetten.

    Mein erlittenes Trauma war gekennzeichnet durch Gewalt und Demütigungen. Das machte mich auch noch als Erwachsenen gegenüber anderen Menschen misstrauisch und in zwischenmenschlichen Beziehungen instabil. Ich unterlag starken Stimmungsschwankungen und zeigte oft heftige Angstreaktionen, auch dann, wenn eine reale Bedrohung gar nicht vorlag. Durch Therapie und Selbsterforschung entwickelte ich jedoch allmählich die Fähigkeit, echte und unechte Gefühle, reale und eingebildete Gefahren zu unterscheiden. Ich lernte die Welt als einen Ort kennen, der nicht generell bedrohlich ist. Diese Veränderung kam nicht auf leichtem Weg und auch nicht schnell zustande – meine Heilung brauchte Zeit. Sie war und ist ein fortlaufender Prozess, der von mir Mut, Ausdauer und die Entschlossenheit fordert, mich dem immer wieder aufsteigenden Schmerz, der Angst und der Neigung, anderen zu misstrauen, zu stellen.

    Mein Erkenntnisweg brachte zwar elementare Fortschritte, doch ich war auch oft erschöpft und zweifelte, ob ich jemals eine wirkliche Genesung erfahren würde – besonders in Phasen, in denen ich Rückschläge erlitt. Da ich zunächst noch an ein Paradies glaubte, hoffte ich, irgendwann wären alle Probleme gelöst und die Welt würde eine wunderbare heile Welt ohne Leid sein. Aufgrund dieser illusionären Vorstellung konnte jede noch so kleine Enttäuschung das bisher Erreichte wieder infrage stellen. Aus meinem kleinen befangenen Radius hinauszuwachsen, stellte mich nicht selten vor schwierige Aufgaben und komplexe Herausforderungen. Um das alles zu bewältigen, brauchte ich professionelle

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