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Der helle Wahnsinn pflanzt sich fort: Aus dem Alltag einer Psychologin
Der helle Wahnsinn pflanzt sich fort: Aus dem Alltag einer Psychologin
Der helle Wahnsinn pflanzt sich fort: Aus dem Alltag einer Psychologin
Ebook420 pages5 hours

Der helle Wahnsinn pflanzt sich fort: Aus dem Alltag einer Psychologin

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About this ebook

Die liebenswert-chaotische Psychologin Regina Dotzki ist schwanger. Leider bekundet der Kindsvater, der norddeutsche Sozialpädagoge Egbert Wunderlich, nicht besonders viel Freude über diese Neuigkeiten. Was bleibt ihr anderes übrig, als sich mit ihrem Steuerberater Jochen zu trösten? Jochen, Egbert und ihr Freund Ramon sind bei der Geburt von Reginas Sohn anwesend. Nach der heiteren Geburt erlebt sie allerdings die Foltermethode des Schlafentzugs, da ihr Söhnchen die Nacht zum Tage macht, und außerdem die Schikanen des Sozialamts, die sie dazu motivieren, sich schnell wieder einen Job zu suchen, als Verkehrspsychologin. Nach einer aufregenden Zwangsversteigerung kauft sie eine heruntergekommene Eigentumswohnung, und Ramon hilft ihr bei der aufwändigen Renovierung. Kurz nach ihrem Einzug lernt sie den Pfarren und Grafen Benedikt von Rhönfelde kennen, einen Doppelgänger ihrer großen Liebe Armin, der sie erstens in die Sitten und Gebräuche des Schleswig-Holsteinischen Hochadels einführt, zweitens schwängert und sich drittens als ihr "Henker" entpuppt. Nach kurzem Höhenflug beendet Regina diese Beziehung. Am Ende des Buches bekommt sie ihr zweites Kind. Hier wird es eine große Überraschung geben, und der Kreis wird sich schließen. Mehr wird nicht verraten, aber es wird wie immer schonungslos offen, spannend, amüsant und unterhaltsam werden.
Dies ist der sechste und letzte Band der "Wahnsinns-Saga", die anderen Bände können Sie auch bei tredition erwerben. Es kann aber auch jeder Band einzeln für sich gelesen werden, aber am Ende werden Sie erkennen, dass sie doch zusammenhängen.
LanguageDeutsch
Publishertredition
Release dateMay 19, 2022
ISBN9783347523432
Der helle Wahnsinn pflanzt sich fort: Aus dem Alltag einer Psychologin

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    Book preview

    Der helle Wahnsinn pflanzt sich fort - Regina Dotzki

    Kapitel 1: Spitzenabschneiden beim Punkfriseur

    „Du hast von Anfang an gewusst, dass ich kein Kind möchte!", rief Egbert.

    „Und du hast gewusst, dass ich ein Kind möchte und dass ich nicht mehr verhüte!, rief ich zurück. „Und wenn du trotzdem das Risiko eingehst, dann musst du doch damit rechnen!

    „Du hast immer gesagt, dass die Chancen minimal sind, dass du ein Kind bekommen kannst!"

    „Minimal, ja, aber nicht gleich null."

    „Du hast mich reingelegt!"

    „Wenn du es als reingelegt bezeichnest, Vater zu werden, dann bist du ein Idiot! Andere würden sich darüber freuen."

    „Aber ich nicht, und das hast du genau gewusst!"

    „Wenn du kein Kind möchtest, dann verschwinde doch!"

    „Friss oder stirb, so geht das immer bei dir!"

    „Du hast immerhin die Alternativen zu gehen oder zu bleiben. Also was willst du? Gehen oder bleiben?"

    „Friss oder stirb!"

    „Wenn du gehen willst, dann geh doch! Und wenn du bleiben willst, dann bleib, aber mach nicht so ein Theater!"

    „Es gibt immer noch die Alternative einer Abtreibung."

    „Nein, die gibt es für mich nicht."

    „Immer geht es nur nach deinem Kopf!"

    „Genau! In dem Punkt lasse ich nicht mit mir reden."

    „Ah, du bist unerträglich!"

    „Du auch!"

    Nach diesem Dialog, der in den ersten Wochen nach Bekanntgabe meiner Schwangerschaft etwa sechsmal in nahezu identischer Form geführt wurde, pflegte Egbert türenknallend aus meiner Wohnung zu verschwinden. Er nahm zunehmend die Angewohnheit an, wieder auf dem Sofa seiner Eltern zu sitzen und in seinem alten Jugendzimmer zu schlafen. Nun gut, es war zu erwarten gewesen, dass Egbert nicht begeistert von meiner Schwangerschaft sein würde. Aber unsere Diskussionen drehten sich im Kreis. Weder die humorvolle Variante wie: „Tja, Egbert, sich regen bringt Segen, so ist das nun mal! noch die moralische Variante wie: „Du bist ein erwachsener Mann von 34 Jahren, und du kannst vor deiner Verantwortung nicht einfach weglaufen. Du bist schließlich der Vater dieses Kindes brachten entscheidende Fortschritte in unseren Kommunikationsmustern.

    Hätte ich Egbert jemals geliebt, so hätte seine Ablehnung mich tief verletzt. So aber empfand ich sein Verhalten nur zum einen als ärgerlich und zum anderen als unpassend, letztendlich tangierte es mich aber nicht sonderlich. Die Freude auf dieses Kind, dessen Seele an einem sonnigen Augusttag auf der Gottesinsel zu mir gekommen war, stellte jedes andere Gefühl in den Schatten. Ich ahnte, dass ich ein ungewöhnliches Kind in mir trug, und das Glück strahlte mir aus allen Knopflöchern.

    Dieses Mal wollte ich alles richtig machen und war Stammkundin bei Marga Balle. Marga war eine hervorragende Frauenärztin und gab mir zumindest teilweise mein Vertrauen in die Schulmedizin wieder. Ihr Mann hatte mir zwar das Leben zur Hölle gemacht, aber dafür hatte Marga seinerzeit durch ihre schnelle und sichere Diagnose und Krankenhauseinweisung bei meiner Eileiterschwangerschaft mein Leben gerettet, und das vergaß ich ihr nie. Bei meinem ersten Praxisbesuch nach dem Norwegenurlaub hatte sie mir nur aufmerksam in die Augen gesehen und schließlich wissend gelächelt.

    „Sie sind schwanger, Frau Dotzki."

    Sie hatte keine Frage gestellt, sondern die Schwangerschaft nur an dem Leuchten meiner Augen diagnostiziert. Und sie hatte sich mit mir mitgefreut und mit mir mitgejubelt, als ich dieses kleine Wesen in mir zum ersten Mal auf dem Ultraschallmonitor entdeckte.

    „Passen Sie gut auf sich auf, Frau Dotzki!, riet sie mir am Ende jedes Besuchs in ihrer Praxis. „Machen Sie nur Dinge, die Ihnen guttun! Denn Sie wissen ja, bei Ihrer Gebärmutter ist das Risiko einer Fehlgeburt hoch. Wenn Sie die ersten zwölf Wochen überstanden haben, können wir fürs Erste aufatmen.

    Nach den anfänglichen Streitereien kehrte zwischen Egbert und mir ein gewisser trügerischer Frieden ein. Egbert saß tagsüber wieder auf meinem Sofa und schlief nachts wieder in meinem Bett. Das Reizthema Schwangerschaft vermieden wir. Doch Egberts Strategie, Konflikte durch hartnäckiges Ignorieren aus der Welt zu schaffen, ging in diesem Falle nicht auf. Noch war nichts zu sehen, doch das Kind in mir wuchs und wuchs und kümmerte sich herzlich wenig um Egberts Ignoranz.

    Nach wenigen Wochen studierte ich bereits Immobilienangebote und fragte mich mit stillem Lächeln, ob wohl alle schwangeren Frauen einen Nestbautrieb entwickelten. Noch niemals in meinem Leben hatte ich den Wunsch nach einem Eigenheim verspürt. Schließlich war ich im Schwabenland aufgewachsen und wusste, zu welchen Verrücktheiten Häuslebauer in der Lage waren. Sie verklagten ihre eigenen Eltern auf vorzeitige Auszahlung des Erbes, sie schafften notfalls ihre Eltern in ein Altersheim und ließen sie entmündigen, bevor sie sich deren Häuser aneigneten, sie zerstritten sich bis auf Lebenszeit mit ihren eigenen Geschwistern bei der Aufteilung von Erbschaften, sie heirateten ungeliebte Partner, sie arbeiteten Tag und Nacht und verzichteten auf sämtliche Urlaube, und im äußersten Falle begingen sie an ihrem Arbeitsplatz sogar Unterschlagungen. All diese merkwürdigen, kaum nachvollziehbaren Dinge taten sie aus einem einzigen simplen Grunde, nämlich um den Lebenstraum eines jeden Schwaben zu verwirklichen: ein eigenes Häusle!

    Doch in Schleswig-Holstein waren im Gegensatz zu Baden-Württemberg keine kriminellen Energien oder hohen Erbschaften notwendig, um Besitzer eines Eigenheims zu werden, wie ich bald feststellte. Das erste Objekt meiner Begierde war ein kleines, altes Reihenhäuschen aus Backstein am Rande der Innenstadt, das sehr günstig war. Nach einem Gespräch mit meiner Bank dämmerte mir allmählich, dass Egbert und ich durchaus in der Lage waren, dieses Reihenhaus abzubezahlen.

    „Schau dir doch das Dach an!, brummte Egbert unwillig, als ich ihn zum Besichtigungstermin zerrte. „Beim nächsten Sturm ist es weg! Und dann? Dann sitzen wir ohne Dach da! Klasse!

    „Das übernimmt die Gebäudeversicherung, lächelte ich milde. „Etwas Besseres, als dass das alte Dach beim nächsten Sturm wegfliegt, könnte uns eigentlich gar nicht passieren!

    „Alles Schrott hier drin!", nörgelte er, als wir das Innere des Hauses betraten, und haute mit der Faust gegen die dünnen Innenwände. Der Hausverkäufer warf uns einen irritierten Blick zu, der mich vor Scham im Boden versinken ließ.

    „Gut, es ist etwas renovierungsbedürftig, aber dafür ist es billig. Du kannst nicht erwarten, zu dem Preis einen Neubau zu bekommen. Die Renovierungsarbeiten kann ich ja übernehmen, schließlich habe ich jetzt Zeit ohne Ende. Komm, lass uns mal den Garten ansehen!"

    Zum ersten Mal an diesem Tag hellte Egberts Miene sich auf, als er im Garten einen windschiefen Schuppen entdeckte, in dem eine alte Segeljolle stand, vor allem, als er erfuhr, dass wir im Falle eines Hauskaufes auch die Segeljolle behalten durften, da der Besitzer sie schon seit Jahren nicht mehr benutzt hatte.

    „Egbert, du wirst Besitzer eines Segelbootes!, strahlte ich. „Das ist doch alles wirklich ideal für uns!

    Egberts Hobby war neben Motorradfahren wie bei fast allen norddeutschen Männern das Segeln.

    Egbert überprüfte mit neuerwachtem Interesse den windschiefen Schuppen und die Segeljolle, die ihn weitaus mehr faszinierten als das Reihenhaus an sich. Doch dann beging ich den entscheidenden Fehler.

    „Und unser Kind kann hier im Garten spielen und in einem Planschbecken baden", lächelte ich, und Egberts Miene verdüsterte sich sofort. Ich hatte es gewagt, ihn wieder an sein grausames Schicksal zu erinnern.

    „Ich will kein Kind, ich will kein Haus, ich will diesen ganzen Schrott überhaupt nicht!"

    „Aber Egbert, wir können doch nicht zu dritt in einer Ein-Zimmer-Wohnung leben. Und wir müssen es doch auch nicht!"

    „Ah, es kotzt mich alles an!", waren Egberts letzten Worte, bevor er wieder einmal auf das Sofa seiner Eltern flüchtete.

    Ich allerdings hatte nach dieser Erfahrung Blut geleckt, und das Studium von Immobilienangeboten war zu einer meiner Lieblingsbeschäftigungen avanciert. Was war das denn? Ein Haus auf dem Land, 20 Kilometer von Lübeck entfernt, 100 Quadratmeter Wohnfläche, 1500 Quadratmeter Grundstück, leichter Renovierungsstau, für unglaublich wenig Geld! Ein Schnäppchen oder eine Ruine? Sofort anrufen!

    Auf dem Weg zum Telefon erstarrte ich zur Salzsäule. Nein, das konnte nicht wahr sein, das durfte einfach nicht wahr sein! Und doch waren es die gefürchteten Symptome, die ich allzu gut kannte: das schmerzhafte Zusammenziehen der Gebärmutter und die warme Flüssigkeit, die ohne Unterbrechung in die Unterhose floss.

    Ein Toilettenbesuch beseitigte jeden Zweifel. Wieder einmal war es so schnell gegangen, dass es zu spät war, um noch einen Notarzt zu rufen. Einen kleinen Moment lang überlegte ich, ob ich die Reste dieses einzigartigen Kindes, dessen Seele auf der Gottesinsel zu mir gekommen war, wirklich herunterspülen sollte, doch dann drückte ich energisch auf die Spültaste. Was sonst hätte ich tun sollen? Etwa die kleinen, leberartigen Stücke aus der Toilettenschüssel fischen und im Stadtpark begraben?

    Als Egbert von der Arbeit kam, fand er mich in Tränen aufgelöst in meinem Bett liegen.

    „Na, das sind ja endlich mal gute Nachrichten!", war sein einziger Kommentar zu dieser Katastrophe, bevor er wieder zu seinem derzeitigen Lieblingsthema überging: der Kauf eines neuen Wagens.

    Egberts alter Opel war vor vier Monaten gestohlen worden, was ihn in hellste Aufregung versetzt hatte. Der Opel war eine Woche später mit leerem Tank an einer Landstraße wieder aufgetaucht, und die vermutlich jugendlichen Täter hatten nur eine wenig originelle Duftmarke hinterlassen, sie hatten nämlich auf Egberts heißgeliebte Polstersitze uriniert. Egbert war über die Entweihung seines alten Opels so entrüstet, dass er ihn nicht wiederhaben wollte. Er erklärte jedem, der es hören wollte, dass er es einfach nicht mehr über sich bringe, mit diesem Fahrzeug wieder zu fahren, da er jedes Mal daran denken müsse, welche Chaoten es wohl entweiht hätten. Nach ausreichendem Lamentieren hatte Egbert von der Versicherung eine recht ordentliche Summe bekommen, und seit Monaten verbrachte er seine Wochenenden damit, sich diverse Automobile anzusehen, ohne sich jemals für eines entscheiden zu können. Entweder waren sie ihm zu teuer, oder aber sie waren billig, und Egbert vermutete, dass sie nur aus dem Grunde so billig waren, weil sie irgendwelche verborgenen und verschwiegenen Schäden hatten.

    Egbert mutmaßte ohnehin, dass jeder Mensch auf dieser Welt Interesse daran hatte, ihn übers Ohr zu hauen. In der Tat hatte er in jedem Lebensbereich Probleme, Entscheidungen zu treffen. Gelegentlich fragte ich mich sogar, wie es eigentlich möglich gewesen war, ihn so schnell zu der Stelle als Suchtberater im Gefängnis motivieren zu können, wenn er innerhalb von vier Monaten nicht einmal in der Lage war, ein Auto zu kaufen.

    „Ich hätte vielleicht doch den Opel vor zwei Wochen nehmen sollen, seufzte er. „Er war wirklich gar nicht so schlecht.

    „Dann ruf doch noch mal an!", schlug ich entnervt vor.

    „Scheiße, er ist schon weg!, meinte Egbert zutiefst bekümmert nach dem Telefonat. „Ach, das ärgert mich jetzt! Ich hätte ihn doch nehmen sollen. Er war wirklich noch in einem ganz guten Zustand. Und er hat sogar 200 weniger gekostet, als ich von der Versicherung bekommen habe.

    Auf einmal hatte ich einen der wenigen hellen und klarsichtigen Momente, die ein Mensch gelegentlich in seinem Leben hat. Ich fragte mich, was hier eigentlich vor sich ging. Soeben hatte ich eine Fehlgeburt erlebt, die Egbert mit „Na, das sind ja endlich mal gute Nachrichten!" kommentierte, und dann war ich auch noch so dumm, mir anzuhören, wie er einem alten Opel nachweinte. Wieder einmal fragte ich mich, was das eigentlich für ein Mann war, der eines Tages zufällig wie ein Käfer in meine Wohnung geflattert war und seitdem tagsüber auf meinem Sofa saß und nachts in meinem Bett lag. Verglichen mit Professor Balle und seiner destruktiven Crew und verglichen mit meinen Sexualstraftätern war Egbert mir immer erfreulich normal erschienen, nun aber bekam ich erste Zweifel an seiner Normalität. War es normal, dass ein Mann so reagierte, wenn er seine Freundin nach einer Fehlgeburt in Tränen aufgelöst im Bett vorfand?

    „Verschwinde!", sagte ich mit eiskalter Stimme.

    „Wie bitte?", staunte Egbert, der gar nichts mehr begriff.

    „Verschwinde, habe ich gesagt. Du sollst jetzt verschwinden, hörst du? Und dich hier niemals wieder blicken lassen!"

    „Aber wieso?" Egbert sah mich ernsthaft erstaunt an.

    Die Tränen schossen aus meinen Augen. „Ich habe eben mein Kind verloren, unser Kind, auf das ich mich so sehr gefreut habe. Und was machst du? Du faselst von einem alten Opel!"

    „Aber Regina, du weißt doch, dass ich mich nicht auf dieses Kind gefreut habe. Wieso soll ich so tun, als ob ich darüber traurig bin, dass du es verloren hast? Ich bin nicht traurig darüber. Ich bin erleichtert. Und ich dachte, jetzt können wir vielleicht endlich mal wieder zur Tagesordnung übergehen und wieder nett und friedlich wie früher miteinander leben."

    „Ich kann nicht zur Tagesordnung übergehen, weinte ich. „Es tut mir zu weh.

    „Nun komm, es gibt doch noch andere Dinge im Leben als Kinder!"

    „Du begreifst das nicht. Das hier, das war ein ganz besonderes Kind, das habe ich gespürt. Und ich habe es so sehr geliebt. Vielleicht hat es mich verlassen, weil es gemerkt hat, dass du es nicht geliebt hast." Ich konnte nicht mehr aufhören zu weinen.

    „Ich glaube, es ist wirklich besser, wenn ich gehe, bis du dich wieder abgeregt hast", seufzte Egbert kopfschüttelnd, bevor er meine Wohnung verließ.

    Am Montagmorgen um 9:00 Uhr stand ich relativ gefasst vor Marga Balle.

    „Ich glaube, ich habe wieder eine Fehlgeburt gehabt", konnte ich sogar sagen, ohne in Tränen auszubrechen, aber Marga sah mich mit einem solchen ungläubigen Schmerz in den Augen an, dass mein Kinn allmählich anfing zu zittern.

    „Ach, Frau Dotzki, das tut mir so unglaublich leid!, meinte sie mitfühlend. „Wissen Sie, es ist so traurig. Da kommen manchmal die allerletzten Gestalten bei mir an, die ein Kind nach dem anderen bekommen, und man weiß jetzt schon, dass aus diesen Kindern nichts werden wird. Gerade bei Ihnen hatte ich mich so sehr gefreut. Sie wissen ja, ganz gleich, was geschehen ist, ich habe Sie von Anfang an ganz besonders gemocht.

    Es war das erste Mal, dass Marga eine Andeutung über die Geschehnisse am sexualmedizinischen Institut machte.

    „Was genau ist passiert?" Allmählich verwandelte sie sich wieder in eine kompetente und fachlich interessierte Frauenärztin. Ihre Sachlichkeit tat mir gut, besser als ihr Mitgefühl.

    „Am Freitagabend hatte ich Krämpfe, ich ging auf die Toilette, und dann ging eine rosafarbene Flüssigkeit ab und einige leberähnliche Stücke. Es war genauso wie bei den ersten beiden Malen. Mit dem Unterschied, dass ich bei den ersten beiden Malen noch lange danach starke Blutungen hatte, und dieses Mal nicht."

    Marga seufzte tief. „Trotzdem, das ist wohl eindeutig. Warum sind Sie denn nicht gleich zu mir gekommen?"

    „Es war Freitagabend. Ihre Praxis hatte doch schon zu."

    „Aber Sie hätten mich doch zuhause anrufen können."

    „Auf die Idee bin ich, ehrlich gesagt, gar nicht gekommen. Ich hätte Sie anrufen sollen?"

    „Aber natürlich. Ich wäre sofort zu Ihnen gekommen. Vielleicht hätten wir noch etwas machen können. Naja, nun ist es wohl zu spät. Aber bitte geben Sie die Hoffnung nicht auf! Gerade neulich habe ich mit einem Professor aus Hamburg gesprochen, der eine neuartige Operationsmethode bei einem Uterus bicornis entwickelt hat. Die beiden Kammern werden aufgeschnitten und wieder zu einer Gebärmutter zusammengenäht. Sie können sich doch überlegen, ob Sie sich nicht so einer Operation unterziehen wollen."

    Ich seufzte tief. Ohne lebensnotwendigen Grund unters Messer und mir die Gebärmutter aufschneiden und neu zusammenflicken lassen? Nein danke! Vielleicht hatte Egbert ja doch recht. Schließlich gab es noch andere Dinge im Leben als Kinder.

    „Dann lassen Sie uns mal mit dem Ultraschall nachsehen, ob wir noch eine Ausschabung machen müssen!"

    Das Ultraschallgerät wanderte über meinen Bauch, und interessiert sah ich auf den Monitor. Diese Technik war faszinierend. Fast ließ sie mich vergessen, dass ich vor wenigen Tagen mein Kind verloren hatte.

    „Von der Plazenta ist nichts mehr zu sehen, stellte Marga fachmännisch fest. „Ich denke, wir können Ihnen wenigstens eine Ausschabung ersparen. Ah, was ist das denn? Sie schrie auf. „Das gibt‘s doch nicht! Sehen Sie das? Sehen Sie das? Da ist ja der Kerl! Hier, hier hat er sich festgekrallt, hier, in der hintersten und letzten Ecke Ihres rechten Horns!"

    Ungläubig sah ich auf den Monitor und dann auf Marga Balle, in deren Augen Tränen schimmerten.

    „Sehen Sie das?, rief Marga aufgeregt. „Er ist noch da. Und er lebt! Er lebt! Sehen Sie, wie er sich bewegt?

    Um meine Selbstbeherrschung war es nun endgültig geschehen. Die Tränen stürzten wie Sturzbäche aus meinen Augen. Marga und ich weinten und lachten gleichzeitig.

    „Was rede ich eigentlich immer von er?, lachte Marga und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. „Wahrscheinlich denke ich, das kann nur ein Er sein. Was für ein Kind! Es hat sich, als es losging, in die allerhinterste Ecke des Horns verzogen, es hat sich festgekrallt, und es hat sogar noch einen Rest der Plazenta festgehalten. Und Fruchtwasser ist in dieser Ecke auch noch da. Was für ein Kind! Mein Gott, Frau Dotzki, was für ein Kind haben Sie da bloß? Welche Kraft, welche Stärke steckt bereits jetzt schon in diesem kleinen Kerl? Jetzt rede ich schon wieder von einem männlichen Wesen. Ich bin völlig durcheinander! Aber ich glaube, das kann nur ein Junge sein. Machen Sie sich um den mal keine Sorgen! Der will leben! Und er wird auch leben!

    Ich konnte nichts weiter tun als immer nur ungläubig meine Blicke zwischen Marga und dem Monitor schweifen zu lassen und zwischendurch hemmungslos zu weinen. Am Ende dieser denkwürdigen Untersuchung lagen Marga und ich uns in den Armen. Es musste einfach sein.

    „Frau Dotzki, ahnen Sie, was ich ahne? Das wird ein ganz besonderes Kind."

    „Ja, das ahne ich auch. Von Anfang an habe ich es geahnt. Ob Sie mich nun für verrückt halten oder nicht, ich habe seine Seele gespürt, als sie in Form eines goldflirrenden Energiefeldes auf einer norwegischen Felseninsel in mich eingedrungen ist. In diesem Moment nahm die Welt andere Farben an."

    Marga lachte mich nicht aus, wie es ihr Mann mit Sicherheit getan hätte. Sie sah mich nur aufmerksam an. „Wenn Sie das so genau gespürt haben, dann ist er sicher ein Wiedergeborener und eine starke Persönlichkeit. Aber Sie sind auch eine starke Frau. Sie werden es mit ihm aufnehmen können."

    „Das hoffe ich, lächelte ich Marga zu und drückte sie noch einmal an mich. „Ich danke Ihnen so sehr. Für alles.

    „Wofür?", fragte Marga überrascht.

    „Na, immerhin habe ich Ihnen erstens mein Leben zu verdanken und zweitens einen der glücklichsten Momente meines Lebens. Ich habe jeden Grund der Welt, um Ihnen für immer dankbar zu sein. Und das werde ich auch."

    Marga schluckte gerührt. „Ich habe nur meine ärztliche Pflicht getan. Aber ich sage Ihnen eines: Auf dieses Kind bin ich so gespannt wie auf mein eigenes Enkelkind, wenn ich jemals eins bekommen sollte!"

    Egberts Freude über diese unerwartete Wendung der Dinge hielt sich in deutlichen Grenzen. Ohne dass es zu einem klaren und endgültigen Bruch gekommen wäre, saß er dennoch zunehmend häufiger auf dem Sofa seiner Eltern als auf meinem. Es tangierte mich nicht sonderlich, auf welchem Sofa Egbert nun saß. In meinem Glück konnte nichts und niemand mich mehr tangieren. Ein Wunder war geschehen!

    Ich machte lange Spaziergänge am Meer, schlief viel, las viel, ernährte mich gesund und war niemals allein. Das Leben war wieder schön, und dank des Arbeitslosengeldes hatte ich nicht einmal materielle Sorgen. Allmählich rundete sich mein Bäuchlein, und ich spürte die ersten kleinen Bewegungen des Wesens in mir, das sogar der Natur getrotzt hatte und das ich jetzt schon über alles liebte.

    Nach den ersten zwölf Wochen hatte ich endlich den Mut, den Rest der Welt über meine Schwangerschaft zu informieren, und der Rest der Welt freute sich mit mir. Ramon entwickelte eine schon nahezu rührende Fürsorge und bestand darauf, dass ich nichts Schweres mehr tragen durfte, kaufte mindestens zweimal in der Woche für mich ein, kochte raffinierte Menüs und regte sich dabei stundenlang über Egbert auf.

    „Nenn ihn doch Ramon, ach bitte, Regina!", bat er immer wieder, und ich lachte vergnügt.

    „Ramon, es ist mein Kind, und ich nenne es, wie ich will. Und außerdem bin ich kein Invalide, sondern nur schwanger, und durchaus noch in der Lage einkaufen zu gehen."

    „Nein, nein, meine Süße, du musst dich schonen, wir wollen doch unserem Kind nicht schaden! Es reicht schon, wenn es einen solchen Volltrottel als Vater bekommt!", wobei Ramon wieder einmal bei seinem Lieblingsthema war.

    Ramon steigerte sich allmählich in eine Vaterrolle hinein, die mich amüsierte. Nun denn, wenn Egbert nicht gewillt war, seine Vaterrolle einzunehmen, warum nicht von Zeit zu Zeit Ramon? Ein Kind brauchte schließlich männliche Bezugspersonen, das wusste jeder Psychologiestudent spätestens im fünften Semester.

    Merkwürdigerweise kam ich lange nicht dazu, Jochen von meiner Schwangerschaft zu berichten. Irgendwie ergab sich nie ein geeigneter Zeitpunkt. Mein Verhältnis zu Jochen war ein anderes als das lockere und freundschaftliche Verhältnis, das ich zu Ramon hatte. Mit Ramon konnte man plaudern wie mit seiner besten Freundin, aber Jochen war reservierter und sprach in erster Linie über Aktien und Steuersparmodelle, Themen, zu denen eine Schwangerschaft einfach nicht passte.

    Als ich mit Jochen eines schönen Abends in einer Kneipe landete, dachte ich, dass dieses Ambiente eigentlich der richtige Rahmen wäre, um ihn endlich über das kleine Wesen zu informieren, das ich in mir trug. Aus irgendeinem Grunde zögerte ich. Vielleicht hatte er es auch schon bemerkt und keinen Kommentar abgeben wollen. Jochen war ein diskreter Mann. Mein sich rundendes Bäuchlein war allmählich kaum noch zu kaschieren, obwohl die derzeitige Mode mit Leggings und weiten Pullovern mir durchaus entgegenkam. Ich nahm einen Schluck von meinem Orangensaft und sah Jochen über das Glas an, als sähe ich ihn zum ersten Mal. Ohne Zweifel war Jochen ein attraktiver Mann mit seiner sportlichen Figur, seinem markanten Gesicht und den unbestechlich klaren blauen Augen. Er war ruhig und zuverlässig, er verdiente gut, und in finanziellen Angelegenheiten konnte man ihm blind vertrauen. Im Grunde war Jochen der ideale Mann für jede werdende und potenziell alleinerziehende Mutter. Er würde keine Windeln wechseln, so viel stand jetzt schon fest, aber er würde für die notwendige finanzielle Sicherheit sorgen, die ein Kind brauchte, um unbeschwert aufwachsen zu können.

    Regina, welche Gedanken trägst du bloß mit dir herum, schalt mein Über-Ich. Du wirst doch wohl nicht auf deine alten Tage noch so tief sinken, dass du dir einen Mann nur nach seinem Portmonee aussuchst!

    Es ist ja nicht nur das Portmonee, verteidigte sich mein innerer Schweinehund. Aber warum muss es denn immer gleich ein Loser sein? Eine werdende Mutter musste andere Prioritäten im Leben setzen. Und eigentlich war Jochen verdammt attraktiv. Sollte eine werdende Mutter mit einem lieblosen Kindsvater nicht auch einmal an ihr eigenes Wohlbefinden denken?

    Jochen hielt wieder einmal einen Monolog über lukrative Anlagemodelle und ahnte nichts von dem Streit zwischen meinem Über-Ich und meinem inneren Schweinehund. Wie immer hatte der innere Schweinehund die überzeugenderen Argumente.

    „Jochen?", hauchte ich mit sanfter Stimme und setzte ihn erbarmungslos dem blauen Funkenregen meiner Augen aus.

    „Was ist denn?", fragte Jochen etwas irritiert.

    „Kannst du eigentlich noch etwas anderes als über Steuersparmodelle und über Aktien reden?" Ich senkte meine blausprühenden Augen in seine.

    „Wie, äh, wie meinst du das?"

    „Fällt dir denn wirklich gar nichts anderes ein, was du mit mir machen könntest, außer über Anlagemodelle zu diskutieren?" Ich lächelte sanft und legte den Kopf etwas zur Seite.

    Mit einer solchen direkten Avance hatte Jochen offensichtlich nicht gerechnet. Er schluckte und wurde erst ein bisschen blass und dann ein bisschen rot. Ich sah ihn nur unentwegt an, als er mein Gesicht mit beiden Händen umschloss und meine Wangen mit einer Zärtlichkeit streichelte, die man diesem kühlen Geschäftsmann mit den stets perfekt gebügelten Designerhemden gar nicht zugetraut hätte.

    „Ach, Regina!, seufzte er, und seine Augen hinter der Designerbrille wurden überraschend weich und sanft. „Möchtest du das denn wirklich?

    Ich nickte lächelnd.

    „Was möchtest du denn?", flüsterte Jochen.

    Wie lieb Jochen mich ansah! Und wie zärtlich er mit den Daumen meine Wangen streichelte!

    „Ich möchte alles, was du auch willst", flüsterte ich zurück, und dann sanken wir in das Sofa, auf dem wir gesessen hatten, und küssten uns wie die Verrückten.

    In einem der wenigen klaren Momente dieses Abends fragte ich mich, was ich getan hatte. Ich hatte Jochen von meiner Schwangerschaft erzählen wollen, und stattdessen war ich mit ihm knutschend auf dem Kneipensofa gelandet. Wo sollte das nur hinführen? Es konnte nur noch eine Frage von Minuten sein, bis Jochen mit seinen forschenden Händen über meinen Bauch stolpern und stutzig werden würde. Und dennoch, ich bereute keine Sekunde. Wie wundervoll war es nach all den Streitereien mit Egbert, wieder leidenschaftlich von einem Mann geküsst und begehrt zu werden! Wer hätte ahnen können, dass in einer werdenden Mutter eine solche Leidenschaft schlummerte? Es bestand kein Zweifel mehr, wie dieser Abend enden würde, wenn ich jetzt nicht augenblicklich einen Riegel vorschob. Wollte ich einen Riegel vorschieben? Nein, eigentlich wollte ich das nicht. Aber ich konnte unmöglich mit Jochen zu weiteren Aktivitäten schreiten, ohne ihn vorher darüber zu informieren, dass ich schwanger war. Wann sollte ich es ihm sagen? Und vor allem, wie sollte ich es ihm sagen? Etwa: Ach übrigens, ich bin im vierten Monat, aber mach dir nichts draus, sondern mach einfach weiter, ja? Oder wie wäre es mit: Ach, Liebling, was ich dir noch sagen wollte, wir werden demnächst zu dritt sein! Nein, jede denkbare Variante, Jochen jetzt noch über meine Schwangerschaft zu informieren, würde nur zu einem führen: Seine Leidenschaft würde so schnell abklingen, wie sie aufgeflackert war.

    „Sag mal, ist das nicht Regina?", hörte ich eine fassungslose männliche Stimme vor mir.

    „Ja, das ist Regina, rief eine weibliche Stimme in höchstem Erstaunen. „Mit, das darf doch wohl nicht wahr sein, mit Jochen!

    Der Skandal war perfekt. Jochen ließ mich los wie eine heiße Kartoffel, setzte sich auf, rückte seine Brille zurecht und zog sein Hemd glatt. Auch ich nahm wieder, soweit es möglich war, eine korrekte und würdevolle Haltung an, aber meine Wangen brannten vor Verlegenheit. Vor uns stand Egberts Kumpel Klas mit seiner ökologischen Sozialpädagogik-Freundin in Gesundheitsschuhen. Und Klas und seine Freundin wussten, dass ich schwanger war. Sie hatten sogar noch vor einer Woche mit wenig Erfolg versucht, mit Egbert und mir ein therapeutisches Paargespräch zur Klärung unserer Beziehung zu führen. Klas und seine Freundin sahen zutiefst erschüttert aus.

    „Ich glaube, Regina, wir fahren dich jetzt besser nach Hause", meinte Klas in bemüht empathischem Tonfall nach unendlich langen Schweigeminuten, in denen wir uns nur angestarrt hatten.

    „Ja, das ist wohl das Beste", seufzte ich und stand auf. Jochen blieb wie ein begossener Pudel sitzen.

    „Also Regina, wie konntest du nur?, echauffierte sich die ökologische Freundin von Klas, sobald wir die Kneipe verlassen hatten. „Und das in deinem Zustand!

    Und das in meinem Zustand! Trotzig schwieg ich. In meinem Zustand war offensichtlich nichts mehr erlaubt, was Spaß machte!

    „Weiß Jochen denn überhaupt, dass du ein Kind von Egbert erwartest?", fragte Klas vorsichtig.

    „Nein, er weiß es nicht, war die Antwort, die beide nach Luft schnappen ließ. „Und wenn ihr es ihm sagt, dann drehe ich euch den Hals um. Jochen wird es zu gegebener Zeit erfahren. Und er wird es von mir erfahren, klar?

    „Regina, wir verstehen ja deine besondere Situation und wissen, dass du es zurzeit nicht leicht mit Egbert hast, aber ist dir klar, dass du genau das Verkehrte machst? Statt dich mit Egbert zusammenzusetzen und endlich eure Beziehung zu klären, fängst du mit Jochen etwas an. Das ist ein ganz klares Ausweichverhalten und weder Egbert gegenüber noch Jochen gegenüber besonders fair." Klas‘ Ton wurde therapeutisch.

    Himmel, warum mussten mir ausgerechnet diese beiden Moralisten in dieser Situation in die Quere kommen? Vielleicht waren sie mir doch zum richtigen Zeitpunkt in die Quere gekommen. Spätestens in dem Moment, in dem Jochen mir in seinem oder in meinem Bett die Kleider vom Leib gerissen hätte, wäre ihm mein Bauchumfang aufgefallen. Und das wäre mit Sicherheit noch peinlicher gewesen als das Einschreiten von Klas und seiner Freundin.

    Unsere Entgleisung auf dem Kneipensofa wurde in den nächsten Wochen weder von Jochen noch von mir thematisiert. Wie üblich gingen wir an der Ostsee spazieren, und wie üblich sprach Jochen über Anlagemodelle und Aktien in einer Nüchternheit, die auf mein angeschlagenes Nervensystem eine beruhigende Wirkung hatte.

    Erst vor zwei Tagen hatte ich erfolglos versucht, den Rat von Klas anzunehmen und die Beziehung zu Egbert zu klären. Zum wiederholten Male hatte ich Egbert interessante Immobilienangebote vorgelegt, er hatte zum wiederholten Male erklärt, dass er kein Kind wolle und dass ich ihn hereingelegt hätte, und am Schluss hatten wir uns angeschrien, und er war gegangen. Egbert war eine harte Nuss, die ich nicht knacken konnte. Er wagte es nicht, sich endgültig von mir zu trennen, denn dann hätte er vor all seinen Freunden als der Bösewicht dagestanden, der eine schwangere Frau sitzenließ, aber er kam auch meinen Vorschlägen in keiner Weise entgegen.

    Ausgerechnet am Buß- und Bettag entschloss ich mich, Jochen endlich über meine Schwangerschaft zu informieren. Allmählich war sie nicht mehr zu übersehen. Jochen musste blind sein, wenn er die Wölbung unter meinen weiten Pullovern nicht wahrnahm. Dennoch war es schwieriger, als ich erwartet hatte. Es war so angenehm, sich in all den Gefühlswirrungen einfach nur von der überschaubaren Welt aus Zahlen einlullen zu lassen, in der Jochen lebte.

    In einem Café, in dem wir uns an einer Tasse heißer Schokolade wärmten, nahm ich einen weiteren verzweifelten Anlauf, als ein anderer Steuerberater und Bekannter von Jochen an unseren Tisch trat und ihn in ein längeres Fachgespräch verwickelte. Zum Abschied warf er mir und meinem Bauch einen freundlichen Blick zu.

    „Herzlichen Glückwunsch, alter Junge!", zwinkerte er Jochen zu, bevor er ging.

    „Na, dem scheinst du gefallen zu haben, lautete Jochens knapper Kommentar, und ich prustete in meine heiße Schokolade. „Wahrscheinlich dachte er, dass du meine Freundin bist. Wollen wir noch bei mir eine Kleinigkeit essen?

    „Was hast du denn anzubieten?"

    „Wie wäre es mit Spiegeleiern, Speck und Toast?"

    „Hmm, ja, das klingt gut!"

    Und schon wieder war nichts aus meinem Geständnis geworden!

    Jochen war ein hervorragender Hausmann. In seiner durchgestylten Zwei-Zimmer-Wohnung lag kein Staubkorn herum, kein Fleck verunstaltete den teuren Teppichboden, und sogar Spiegeleier konnte er perfekt zubereiten. Ach ja, Jochen war der ideale Mann für eine potenziell alleinerziehende Mutter! Warum nur war nicht er der Vater des wundervollen Kindes, das munter in mir strampelte? Es hätte die Dinge wesentlich vereinfacht.

    „Sag mal, bist du jetzt eigentlich noch mit Eggi zusammen oder nicht?", startete Jochen die Konversation bei Tisch und versuchte, locker zu klingen, was ihm nicht ganz gelang. Jochen sondierte das Terrain. Und eine gewisse Anspannung konnte er dabei nicht verbergen.

    Nun also war der Moment der Momente gekommen. Ich holte tief Luft.

    „Nein, eigentlich kann man nicht sagen, dass ich noch mit Egbert zusammen bin." Ich hob meine Blicke nicht von

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