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Wer A sagt, sollte auch weitergehen: Lebensepisoden
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Ebook473 pages5 hours

Wer A sagt, sollte auch weitergehen: Lebensepisoden

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Dieses Werk schildert in bildhafter Sprache viele unterschiedliche Lebensepisoden. Diese sind in viele Kapitel gegliedert. Geschildert wird der auf Neugier und Erfolgswunsch gegründete Werdegang des Protagonisten. Dieser ist untrennbar mit der Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland verknüpft. Der Autor berichtet von seinem Werdegang durch Kommunalpolitik, das Hochschulwesen und den Forschungssektor, wobei ihn sein Lebensweg aus der hinteren Eifel über das lebendige Köln und das damals hauptstädtische Bonn in die sächsische Metropole Leipzig führt. Die Bewältigung beruflicher und familiärer Probleme wird humorvoll und optimistisch geschildert.
LanguageDeutsch
Publishertredition
Release dateOct 2, 2020
ISBN9783347095281
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    Book preview

    Wer A sagt, sollte auch weitergehen - Winfried Niebes

    Rückschau

    Für diejenigen meiner Leser, die mein erstes Buch „Beamtenkühe und betrunkene Hühner" nicht kennen, hier ein kurzer Rückblick über meine Kindheit, Jugend und Ausbildung.

    Aufgewachsen bin ich in dem dreihundert Seelen zählenden Dorf Schüller in der Eifel¹. Historisch kann Schüller sehr weit auf die Römerzeit blicken. Auf dessen Gelände lag die römische Siedlung ICORIGUM an der damaligen Hauptstraße von Tier nach Köln², östlich zum heutigen Jünkerath gelegen. In Schüller lag der Vorposten des römischen Kastells. Am 19. September 855 wurde Schüler erstmals urkundlich als „Sconilare" erwähnt.

    Die Dorfgemeinschaft blickte 1995 historisch weit zurück auf die Zeit des Geschlechts der Karolinger. Schüller war bereits damals berühmt. Es geschah vor 1140 Jahren, als Kaiser Lothar I. in Schüller gastierte und just hier seine Kaiserkrone ablegte. Die letzten Jahre seines Lebens wollte er im Kloster verbringen. „Sconilare palatio regio, Kaiser Lothar der Erste, 855 September 18, so zu lesen zu Beginn der „Streiflichter durch 1140 Jahre Dorfgeschichte. Verstorben ist er bereits am 29. September 855 in der Abtei in Prüm.

    Es war für meine Eltern in der Nachkriegszeit mit ihren drei Kindern (meine drei Jahre jüngeren Zwillingsschwestern und ich) ein karges Leben, wie es so viele Familien erleben mussten. Sehr gut erinnerte ich mich an das knappe Geld im familiären Haushalt. Das Einkommen meines Vaters als Elektriker bei der Deutschen Bahn war sehr gering; meine Mutter hatte mit dem Fünfpersonenhaushalt alle Hände voll zu tun. Als Kind wurde ich während meiner achtjährigen Volksschulzeit immer wieder während der Ferien bei Bauern beispielsweise zum Kühe hüten und zur Heu- und Kartoffelernte eingesetzt. Im Anschluss an die Volksschulzeit startete meine Verwaltungsausbildung im Rathaus. Ich fand sehr rasch heraus, was der Ausspruch „Lehrjahre sind keine Herrenjahre" bedeutet. Im Büroalltag erlebte ich doch auch heitere Stunden, welche ich nach Jahrzehnten als unglaubliche Anekdoten schildere. In der zweiten Hälfte der Sechzigerjahre folgte ein Verwaltungsstudium, um Beamter des mittleren Dienstes zu werden. Erst als das Wirtschaftswunder in Westdeutschland langsam eine finanzielle Verbesserung für die Bevölkerung brachte, erlebte auch die Familie Niebes einen Aufschwung. Meine Ausbildungsvergütung, damals Erziehungsbeihilfe genannt, war dennoch ein selbstverständlicher Beitrag zum Familieneinkommen. Karges Taschengeld war für mich normal.

    Die herannahende Verwaltungsreform in Rheinland-Pfalz und interessante Stellenausschreibungen in einer Fachzeitschrift weckten schon längst mein Fernweh und verstärkten den Drang, die Eifelheimat zu verlassen. Ich war nicht bereit, auf Zufälle zu warten. Mein Glück wollte ich außerhalb des Elternhauses suchen. Eine Bewerbung brachte Erfolg und ich nahm mit 23 Jahren Abschied.

    ¹ Lesehilfe

    ² Lesehilfe

    Vorrede

    Wir gehen, indem wir vergehen, ziehen – bestenfalls – eine Leuchtspur wie ein Komet, verglühen irgendwann im Irgendwo. Wir landen, unabhängig davon, ob wir betrachtet werden. Unser Gesichtetwerden erfolgt erst viel später, wenn wir gleich fernen, erloschenen Himmelskörpern längst in eine andere Materieform übergegangen sind. So leistete ich mir wiederum den Übermut, etwas schriftlich niederzulegen, auf dass Leser meine bescheidene Leuchtspur auch nach meinem Erlöschen beobachten können, sei es zur Unterhaltung oder gar zur Belehrung.

    Haltbarer als Papier ist bekanntlich Stein, doch bin ich kein Hammurapi³ eine Schriftsäule in Auftrag zu geben so vermögend. Verfasser Lutz Nitzsche-Kornel

    Sie währte, meine Lebensreise. Weg aus dem vertrauten Umfeld der Eltern; Abschied von Freunden. Ich blicke zurück und sehe mich im Spiegel der Sturm- und Drangzeit in der Eifel. Nicht missen möchte ich die vielen lustigen, humorvollen Stunden und Tage. Aber nicht nur eitel Sonnenschein herrschte während der vergangenen Jahrzehnte. Wen wundert’s nicht? Sagt man dem Eifelvolk eine stetige Hartnäckigkeit nach, steckt hierin gleichfalls mein Wille, Ziele zu erreichen. Der Weg führte über kleines und grobes Pflaster, gesäumt durch mannigfache Blumenbeete. Nicht alles war Gold im Westen Deutschlands. Im ständigen Wechsel, so als wären sie wieder auferstanden, begleiteten mich die römischen Götter Juno und Venus. Hochjubelnd nach einem Sieg folgte mein niederschmetterndes Schluchzen bei Niederlagen. Jetzt, fast am Lebensabend, sehe ich im Rückspiegel, dass ich sehr wohl auf irgendeine Art von diesen Göttinnen mit einer gewissen Fürsorge bedacht wurde und Liebe zu mir kam mit dem erotischen Verlangen.

    Mein innerer Impuls zur Suche nach Anerkennung blieb mir lange Zeit verborgen, obwohl ich sehr wohl immer wieder Aufmerksamkeit und Anerkennung suchte. Als Jugendlicher hatte ich keine Scheu in mir, mich einzubringen, wo es möglich war. Ich hegte keine Bedenken, dass mich die mir bewusste väterliche Erziehung zu Gehorsam, Disziplin und Ordnung zeitlebens begleiten würde.

    Manche Passagen werden neben einer persönlichen Information anekdotengespickt sein und unterhaltenden Charakter haben. Inhaltlich mag der Leser⁴ sich jederzeit zur Bewertung von beschriebenen Ereignissen angeregt fühlen oder sich sogar von meiner Meinungsäußerung beeinflussen, vielleicht überzeugen lassen. Ihm wird sich bei dieser Lektüre hin und wieder die Frage stellen, ob es sich um Dichtung und Wahrheit handelt. Es wäre vermessen, einen direkten Bezug auf das Werk von Johann Wolfgang von Goethe herzustellen. Die dargestellten Begebenheiten mit dramatischen Elementen spiegeln einige Wendepunkte meines Lebens wider. Der Start führt in das Jahr 2019.

    Es handelt sich um keine chronologische Erlebniserzählung. Manche Inhalte und Personen kristallisieren sich erst in einem späteren Kapitel heraus.

    ³ Lesehinweis

    ⁴ Meine Leser mögen die aus Gründen der Vereinfachung fehlende Erwähnung der weiblichen Form im Text nicht als Missachtung verstehen. Daher bitte ich, diese Ausdruckform zu verzeihen; alle mögen sich angesprochen fühlen.

    Auf den Spuren im All

    Das Internet zeigt sich hier und da als Glücksfall. Wer kennt nicht die Überraschung: Man gibt bei Tante Google oder Onkel Escosia Suchbegriffe ein und die Weichen in der Stratosphäre lenken zum gewünschten Thema, aber auch zu einem neuen Begriff. Sehr häufig erscheint auf dem Bildschirm eine völlige neue Entdeckung. So stellte das Internet zum Ende des Winters 2019 eine Weiche um wie bei Eisenbahnschienen, welche den Zug auf ein anderes Gleis lenken. Die Augen des Nutzers, meinem früheren Freund, weiteten sich zu großen Glaskugeln. Nach beinahe sechzig Jahren sinnierte er bei Betrachtung vieler Bilder in Alben seiner verstorbenen Tante über einen Ferienaufenthalt in meinem ehemaligen Heimatdorf Schüller – Scolinare – und suchte spontan meinen Namen im weltweiten Netzverbund. Siehe da, er entdeckte mich. Ein Geistesblitz zuckte in seinem Kopf, das Netzwerk bot ihm sogleich meinen Telefonanschluss und es drängte ihn überaus neugierig, sofort den Telefonhörer in die Hand zu nehmen und anzurufen.

    Als ich es mir auf einem Sessel gerade etwas gemütlich machen wollte, klingelte plötzlich das Telefon.

    „Ruft mich etwa meine Frau an, weil sie später aus dem Büro nach Hause kommt?", murmelte ich vor mich hin.

    Die Technik macht es möglich, Anrufer mit gespeicherten Nummern zu erkennen. Wer versteckte sich hinter der im Display erscheinenden Rufnummer? Sie war mir völlig unbekannt. Neugierig hob ich ab.

    „Niebes, konnte er meine zögernde Stimme vernehmen. Als er dann seinen Familiennamen nannte, klickte es bei mir und ich fand vor Aufregung und Verblüffung zunächst keine Worte. „Ach du je, Fritz. Nun bin ich aber platt. Erzähl doch, wo bist und was machst du? Du bist doch schon längst Rentner?

    „Na klar, ich genieße besonders die freie Zeit, kann fast machen, was ich will und muss mich nicht mehr mit Kunden ärgern und den Menschen nachlaufen."

    „Wieso, du warst doch nicht der Rattenfänger von Hameln. Ich denke, du bist Künstler geworden und wohnst irgendwo im Rheinland."

    „Nein, mein Weg führte mich auf eine völlig andere Spur. Versicherungsvertreter bin ich geworden."

    „Das ist ja ein Ding. Weißt du, das habe ich vor dreißig Jahren ein Jahr lang auch getan. Fritz, wo wohnst du denn? Das habe ich fast vergessen zu fragen."

    „Nur eine gute Stunde mit dem Fahrrad von meinem Geburtsort entfernt lebe ich seit vielen Jahren".

    Aus weiter Ferne kam war mir die vage Erinnerung gekommen, dass er Künstler werden wollte, und im Hinterstübchen wähnte ich ihn im Rheinland – wie sich nun herausgestellt hatte traf beides nicht zu.

    Kurz berichtete er mir noch, sogar ein sehr musikalischer Mensch zu sein. Als Sänger in einem Gospelchor hatte er besondere Freude, stand vor einem größeren oder kleineren Publikum mit recht unterschiedlichen Menschen. Freudig erzählte er mir von einigen erschienen CD-Aufnahmen. Im Verlauf des Gesprächs bemerkte ich, dass er keine Hummeln im Hintern gehabt hatte, um wie ich unsesshaft zu werden.

    Ein jeder mag sich denken, dass wir noch einige Zeit plauderten. Wichtig erschien uns, sofort die Mailadressen auszutauschen.

    Bereits vor zwei Jahren hatte ich eine ähnliche Erinnerung bei der Betrachtung meiner Fotoalben. Damals vernichtete ich bereits so manches aus meiner Sicht nicht mehr benötigte Bild. Aufräumen kann doch nicht früh genug starten. Fast vergessen hatte ich denselben Fritz. Anfang der 1960er Jahre war er zwei Wochen bei uns zu Hause gewesen.

    Damals hatten wir eine gemeinsame Radtour im hügeligen Eifelland unternommen. Die Erinnerung daran brachte seine Gehirnzellen beim Betrachten einiger Bilder in Aufruhr. Er, aus dem nördlichen Ruhrgebiet, der Kohleregion Marl-Hüls kommend, hatte keine Raderfahrung in einer hügeligen Landschaft. Wir Eifler stuften Radfahrer aus einer Tiefebene als unkonditionierte Flachlandtiroler ein. Zur damaligen Zeit hatte ich erheblich bessere Kondition als später. Das mag seine Erinnerungen an die schönen Seiten des kleinen Eifelfleckens etwas getrübt haben. Allerdings spielte das Thema der etwas unerquicklichen Radtour nunmehr keine weitere Rolle.

    Frühlingstreffen

    Einige Monate später: Fritz hatte meine Kindheitserinnerungen bereits gelesen und sagte mir in einem Telefonat: „Winfried, wir müssen uns mal treffen."

    Das war für mich eine willkommene Aussage.

    „Weißt du was, überlege bitte, ob du während einer meiner geplanten Buchlesungen in die Eifel kommen möchtest."

    Einige Tage später las ich mit Freude seine Mail, dass er und seine Frau die Fahrt planen wollten. Prompt teilte ich meine Termine mit und schlug ein Treffen in Gerolstein vor. Mein Jugendfreund brach mit seiner Frau für ein Wochenende zu unserem Treffen auf die gut erhaltene, ehemalige Wasserburg aus dem 13. Jahrhundert in Lissingen bei Gerolstein auf. Helle, überschwängliche Freude überwältigte uns. Es war beinahe nicht fassbar, dass wir uns nach so vielen Jahren jetzt in der Eifel herzlich umarmen konnten. Niemand wird bezweifeln, dass wir uns nach Jahrzehnten nicht erkannten; aber seine Frau hatte ich ohnehin noch nie gesehen. Während dieser Tage schwelgten wir in alten Erlebnissen. Gleichermaßen sprudelten jeweils – teilweise unerfreuliche – familiäre Erlebnisse wie kleine quirlende Strudel in der am Bahnhof entlangfließenden Kyll aus unserem Inneren. Ein gutes Gefühl, diese oder jene Situation auszutauschen – irgendwie waren wir auf gleiche Weise erschüttert über erlebten Unfrieden in unseren beiden Familien, möglicherweise aus Missgunst oder uns nicht bekanntgewordenen Ursachen. Das ist sehr bitter, aber ein kleiner Trost verbleibt: „Unter jedem Dach ein Ach", wie ich es einmal von einem klugen Menschen vernommen habe. Jedenfalls trübten unsere Geschichten nicht unsere Freude über unser Wiedersehen nach so langer Zeit. Am letzten Abend im Hotel Müllischs Hof in Dohm-Lammersdorf sollte ich Alleinunterhalter werden. Ich freute mich, dass sie ein Hotel in der Nähe von Gerolstein gebucht hatten, welches sogar auf dem Heimweg meiner Frau und mir in die Westeifel lag – dort belegten wir in dem kleinen Ortsflecken Sellerich in der Westeifel eine wunderbar ausgestattete Ferienwohnung. Das Ziel lag etwa im Dreieck meiner Leseorte Schönecken, Gerolstein, Birgel und Schüller.

    Fritz war riesig neugierig und forderte mich auf: „Nun musst du mir heute wenigstens im Eiltempo über deine vergangenen Jahre erzählen. Du Unruhegeist hast ja vor, in deinem nächsten Buch alles ausführlich zu beschreiben."

    „Gut, wir haben noch Zeit, ehe ihr euch vor eurer morgigen Heimfahrt ausruhen wollt."

    Seine Erlebnisse hatte ich mit offenen Ohren bereits am Vortag beim gemütlichen Beisammensein aufnehmen dürfen. In den vergangenen Monaten war selbstverständlich der Kontakt gepflegt worden mit unseren Berichten und Bildern über Urlaube oder zu Fußballerlebnissen auf Schalke oder meiner Favoritenmannschaft Rote Bullen Leipzig, sodass er die lange Wartezeit bis zur Fertigstellung des Buches verschmerzen würde. Nun nehme ich endlich meine versprochene Erzählung wieder auf.

    Wohin sind all die Jahre, Tage, Stunden …

    Diese Frage, welche der Rundfunkmoderator Jo Hanns Rösler⁵ in seinem Buch stellte, konnte ich nicht vergessen. Viele seiner heiteren Geschichten aus Lausbubenzeiten las ich während meiner Rentner-Lesesunden im Altenheim vor.

    „Schön ist die Jugend bei frohen Zeiten,

    schön ist die Jugend, sie kommt nicht mehr.

    Bald wirst du müde durchs Leben schreiten,

    um dich wird‘s einsam sein, im Herzen leer."

    Wer kennt nicht die Eingangszeilen der alten Volksweise? Ich denke, diese werden mehrfach zu hören sein – gleich, in welcher Epoche wir Menschen uns befinden.

    War damals, in der Jugendzeit, wirklich alles schöner, besser und angenehmer? Gleich einer Binsenweisheit stelle ich fest, es ist nicht alles anders, jedoch sehr vieles, aber gemeinhin nicht besser. Stünde jemand sehr nahe bei mir, könnte er das Rattern meiner Gehirnwindungen vernehmen. Ach ja, im Gegensatz zur neuesten Entwicklung mit der Revolution der Elektronik und Informationstechnik bedeutete das jugendliche Leben ab Mitte bis zum Ende des 20. Jahrhunderts etwas mehr Ruhe und womöglich mehr Chancen zur Entfaltung eigener Ideen – ohne technische Abhängigkeit.

    Im Jahr 1964 war ich, das Dorfkind der Eifel, noch längst nicht volljährig, erst achtzehn Lenze alt. Zum damaligen Zeitpunkt wurde man erst mit einundzwanzig Jahren im Sinne des Gesetzes als erwachsen angenommen. Ein Rückblick auf die rechtliche Lage in den 1960er Jahren wird so manchen Jugendlichen des einundzwanzigsten Jahrhunderts in ungläubiges und unfassbares Erstaunen versetzen. Die Volljährigkeit wurde als Großjährigkeit, Majorennität oder Mündigkeit bezeichnet und erst mit Vollendung des einundzwanzigsten Lebensjahres⁶ erreicht, das muss der Jugend im einundzwanzigsten Jahrhundert wie „aus der Klamottenkiste erscheinen. Gewiss, die Erreichung der Volljährigkeit mit Vollendung des achtzehnten Lebensjahres ist nun lange her. Dennoch erinnere ich mich, wie erleichtert ich damals war, diese Hürde absolviert zu haben. Wenn ich bedenke, dass in der Zeit bis 1865 ein junger Mensch sogar erst mit fünfundzwanzig in den Erwachsenenkreis aufgenommen wurde, und ab 1876 die Grenze bei einundzwanzig Jahren lag, gab es zu diesem Rechtszustand eine sehr lange gesetzliche Sendepause. Erst die Ära der sozialliberalen Regierungszeit unter Bundeskanzler Helmut Schmidt brachte im Jahr 1975 durch eine neue Gesetzgebung des Deutschen Bundestags eine Änderung. Ein einfacher und klarer Satz in § 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB): „Die Volljährigkeit tritt mit der Vollendung des 18. Lebensjahres ein. Nicht außer Acht zu lassen waren gewisse Pflichten von staatsbürgerlicher Bedeutung, nämlich die Möglichkeit zum aktiven und passiven Wahlrecht. Doch hatte die neue Gesetzgebung für mich keine Bedeutung mehr.

    Mit achtzehn Jahren flog mir allerdings von heute auf morgen eine völlig neue, bislang unbekannte Zwanglosigkeit zu. Ein unbekanntes Gefühl, gleich der Volljährigkeit und einem ungeahnten Maß an Unabhängigkeit erfasste meinen Geist und Körper. Meine Freizeit gestaltete sich in Windeseile ohne elterliche Kontrolle, ohne Zeitvorgabe. Sogar die früher üblichen, ständig bohrenden Fragen zur nächtlichen Heimkehr drangen nicht mehr in meine Ohren. Ohne Gewissensbisse und Scheu berichtete ich daher von meinen abendlich-nächtlichen Erlebnissen während einer auswärtigen Kirmes oder über verschiedene Sportfeste in einem der Nachbardörfer. Denke ich an mein völlig neues Wirkungsfeld ohne Kontrolle, kommen mir Erinnerungen an frühere Besuche in Hamburg während meiner Kinderzeit. Manch einem mögen die verlockenden erotischen Möglichkeiten in den Sinn kommen, die beispielsweise die „Große Freiheit", die Seitenstraße der Reeperbahn, beginnend am Beatles-Platz, im Hamburger Stadtteil St. Pauli, bot. Man bedenke, dass dieses Vergnügungsviertel bereits im Jahr 1610⁷ angelegt worden war.

    Ich dagegen lebte in einem den meisten Menschen unbekannten Weiler mit bester Weitsicht und gerade mal etwas mehr als dreihundert Seelen – in allen Aspekten das genaue Gegenteil von Welt. Könnten heutige junge Menschen sich ein Leben dort ohne Handy mit WhatsApp, Telegram oder Facebook, zudem ohne genügend Penunzen vorstellen? Ich denke, die Reize der Stadt hätten ein höheres Gewicht auf ihrer Bedürfnisskala. Bei ihnen könnte sich das Gefühl, eingeengt zu sein, stark etablieren oder die Angst aufkommen, das Leben zu verpassen. Der Rückblick in meine Jugendzeit ab dem achtzehnten bis zum dreiundzwanzigsten Lebensjahr lässt sehr viele unterschiedliche Bilder vor meinen Augen erscheinen.

    ⁵ Lesehinweis

    ⁶ Lesehinweis

    ⁷ Lesehinweis

    Zu jung, um im Dorf ein 68er zu sein?

    „Wenn das Wörtchen ,wenn‘ nicht wär, wär mein Vater Millionär!, so heißt es in einer alten Redewendung. „Vielleicht wärest du gar nicht geboren, wenn das Kriegsgeschehen anders verlaufen wäre, sprach ich schon manches Mal zu mir. Jegliche Handlung verändert eine Situation mehr oder wenig gravierend. Zu philosophieren wäre über alle Wenn und Aber bis in Urzeiten zurück.

    Im Spiegel sehe ich mich während meiner Jugend in der zweiten Hälfte der 1960-er Jahre. Heute wird häufig argumentiert, das Ziel der damals Jungen, der 68er-Generation, sei eine kolossale Änderung der politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse gewesen. Die Notstandsgesetzgebung und vieles als undemokratisch Angenommene der damaligen Großen Koalition unter Bundeskanzler Kiesinger⁸ bildete das Fundament für umfangreiche und heftige Proteste. Ob nach der Corona-Pandemie über Notstandsgesetze und ein beschlussfähiges „Notparlament" diskutiert werden wird?

    Nebenbei bemerkt: Ich sehe heute noch die positiven Nachwirkungen der von Karl Schiller in bester Abstimmung mit FranzJosef Strauß verfassten „Konzertierten Aktion sowie des Stabilitätsgesetzes mit dem haushaltswirtschaftlich wichtigen „magischen Viereck⁹: hoher Beschäftigungsstand, stabiles Preisniveau, stetiges und angemessenes Wirtschaftswachstum und außenwirtschaftliches Gleichgewicht als wirtschaftspolitisch bedeutendes Instrument. Sehr gut erinnere ich mich an die damaligen, teilweise radikal ausufernden Studentenkrawalle in Köln. Es fanden nicht nur friedliche Demonstrationen statt. Im Gegenteil: Anlass zu heftigen schadenverursachenden Handlungen bildeten die Fahrpreiserhöhungen der Verkehrsbetriebe.

    Ich erinnere mich, dass während meiner Beschäftigung im Stadtkyller Rathaus etwa Ende der 60er-Jahre ein dortiger Beamter sehr gut mit einem Ärztepaar aus einem amtszugehörigen Ort befreundet war. Gegen dessen studierenden Sohn sollte ein Strafverfahren eingeleitet und womöglich anschließend Schadensersatzerstattung an die Verkehrsbetriebe gefordert werden. Dieser Beamte wurde, soweit ich mich entsinne, gebeten, sich hilfreich einzusetzen. Über dessen Aktionen oder einen Strafprozess gelangte alsdann nichts weiter zu mir. Vorstellen kann ich mir nicht, wie er das hätte bewerkstelligen sollen als relativ unbedeutende Person im Hinblick auf die dortige Justiz. Allenfalls wäre eine Erklärung zum Leumund des Delinquenten zu schreiben gewesen.

    Während meiner späteren Kölner Zeit in den Siebzigerjahren habe ich derart krasse Krawalle durch studentische Akteure nicht erlebt. Ich beteiligte mich ebenso bei friedlich ablaufenden Demonstrationen gegen Fahrpreiserhöhungen.

    Nicht wenigen Revoluzzern der 68er-Generation boten sich beste Chancen, aufgrund ihrer Ausbildung und Karrieremöglichkeiten mit wachsendem Wohlstand in der noch jungen Demokratie ab Ende der 1980er Jahre in dem entstandenen Selbstbedienungsladen in Politik und Verbänden¹⁰ sich versorgen können. Es sind nicht wenige, die nach beruflichem Aufstieg in entsprechenden Positionen in Wirtschaft, Verwaltung und Politik und der organisierten Zukunftssicherung an den Hebeln der Macht einen finanziell gut abgesicherten Ruhestand mit prächtigen Versorgungsbezügen erzielten. Die nächste Generation steuerte zum Teil in eine neue Altersarmut, sogar teilweise durch eigenes Verschulden. „Ich habe keinen Bock auf Schule oder irgendeine Ausbildung" sind seit eh und je zu hörende Sprüche.

    Nach meinem Dafürhalten stellt Joschka Fischer (eigentlich Joseph Martin Fischer) ein Beispiel für obige Thesen dar. Er engagierte sich in der Studentenbewegung, einer linksgerichteten gesellschaftskritischen politischen Bewegung. Diese entstand parallel zu solchen in den USA und Westeuropa, welche letztendlich als 68er-Bewegung zusammengefasst werden kann. Zudem ist seine Hingabe in der außerparlamentarischen Organisation, der APO, welche im Parteiensystem kein Sprachrohr hatte und auch gar nicht haben wollte, bekannt. Mit einundzwanzig Jahren nahm er an einer Sitzung der Palästinensischen Befreiungsorganisation in Algier teil.

    Als junger Mann hegte ich damals außergewöhnliches Misstrauen gegen die APO und die Linksradikalen; jene waren noch in den Siebzigerjahren an meiner Alma Mater sehr aktiv. Fischers Mitgliedschaft in der linksradikalen und militanten Gruppe Revolutionärer Kampf bis zum Jahr 1975 verstärkte meine entsprechende Abneigung umso mehr. Straßenschlachten und Kämpfe gegen die Polizei waren keine Seltenheit. Ohne Zweifel ist Fischer jemand, der über Turnschuhauftritte mit der Bezeichnung „Turnschuhminister" als hessischer Minister für Furore und Medieninteresse sorgte und als Außenminister während der Regierungszeit von 1998 bis 2005 Anerkennung erlangte.

    Während meiner fast grenzenlosen Freiheitsphase zeigte ich mich in keiner Hinsicht wie ein Halbstarker, wie jene damals in den Medien beschrieben wurden. Es gab einen Film „Die Halbstarken im Jahr 1956, den ich ebenso nicht gesehen habe wie den bereits 1955 mit James Dean gedrehten Film „Denn sie wissen nicht, was sie tun. Im Gegensatz zu APO und linksorientierten Studentenorganisationen werden in diesem Streifen ausdrücklich die Probleme der „stillen Generation" thematisiert.

    ⁸ Lesehinweis

    ⁹ Lesehinweis

    ¹⁰ Lesehinweis

    Sturm- und Drangzeit

    Der Name unserer Dorfkneipe „Zur alten Kapelle gehörte bei uns nicht zum gewöhnlichen Sprachgebrauch. Für uns lautete die Formel recht simpel: „Wir treffen uns bei Anneliese. Der Name stellte einen wichtigen Bezugsort dar. Bekannt war uns, dass die alte Kapelle bereits in den Jahren nach 1850 profaniert und irgendwann zu einer Bäckerei und Schänke mit Tanzsaal umgestaltet worden war. Dort konnte sich jeder im Geiste im ehemaligen Chorraum einen Altar an der halbrunden, nach Osten ausgerichteten Wand vorstellen.

    Sehr häufig war die schmale, sandsteinfarbene Fensterbank links der Haustüre unser Treffpunkt. Entweder kamen wir zu Fuß oder der eine oder andere kam mit seinem Fahrzeug zur unorganisierten Versammlung. Hin und wieder wurde die nächste Tour oder der kommende Tag bis ins Detail beratschlagt, wenn für den gleichen Abend keine Idee gezündet hatte.

    Bitburger¹¹ Pils floss immer aus dem Zapfhahn. Wenn ein neues Fass aus dem Keller geholt und angeschlagen war, musste manchmal gedrängt werden, erst mal ein paar gefüllte Gläser wegzukippen. Ich weiß noch zu gut, dass manch einer das trübe Wasser im Spülbecken eigenhändig mit frischem Quellwasser auffüllte. Die Wirtin wollte sicherlich Kosten sparen. Gegen den Hunger hatte sie reichlich eigenhändig produzierte Frikadellen auf einer weißen Platte und Soleier in einem großen Glas, direkt vorne links auf der Theke, vorbereitet. Nach so vielen Jahren möchte ich nicht verleugnen, dass wir bei Anneliese oft von Durst geplagt waren. Die Uhrzeit vergaß ich des Öfteren und klebte am Biertresen fest, meistens natürlich nicht alleine. Frühschoppenzeit schloss sich nach dem sonntäglichen Hochamt in der gegenüberliegenden, jetzt bereits einhundert Jahre stehenden, St.-Paulus-Kirche an. Die ebene Fensterbank fungierte nicht als einziger Treffpunkt. Eine ähnlich praktische Sitzgelegenheit mit rundherum mehr Freifläche bot sich am Lebensmittelgeschäft gegenüber an. Nach manchen Wochen unserer Fernsterbankbelagerung hörten wir die klaren, klagenden Worte der Geschäftsfrau Helma: „Müsst ihr eigentlich tagtäglich hier hocken und das Schaufenster blockieren? Es gibt hier so viele Plätze, um sich zu treffen, um ausreichend zu quatschen."

    Viele Jahre lebe ich seit Oktober 1970 mit einem Unbehagen im Herzen. Ich war zu einem Wochenendbesuch zu Hause. Meine Eltern feierten ihre Silberne Hochzeit. Dessen ungeachtet saß ich mit meinem Freund Winfried bereits tags zuvor in der Kneipe. Bei bestem Willen ist mir völlig unklar, wieso ich mit ihm und einer Kiste Bier die ganze Nacht im Lokal hockte bzw. einschlummerte (ob es so war, habe ich vergessen – es ist nur dunkel im Gedächtnis). Irgendwie schliefen wir mit dem Kopf auf einem der Tische im menschenleeren Gastraum. Anneliese hatte uns allein gelassen und sich zur Mitternacht zum Schlafen begeben. Jedenfalls kam ich erst Sonntagnachmittag nach Hause geschlichen. Das Wohnzimmer war gut gefüllt mit vielen Gästen, vor allem die Kegelfreunde meiner Eltern waren dort.

    Der Josef mit der Dreschmaschine meinte: „Da kommt der verlorene Sohn."

    Meine Antwort und mein Verhalten liegen völlig verborgen in den Milliarden meiner Gehirnzellen. Die menschliche Größe meiner Eltern erfuhr ich, da sie mir keinerlei Vorhaltungen machten. Die weiteren Stunden sind vollumfänglich aus meinem Gedächtnis gefallen, ebenso zu welchem Zeitpunkt ich zurück nach Köln reiste.

    Bis heute vergaß ich nicht die verschiedentlich sorgenvollen Aussagen der Eltern, ihr Sohn könnte ein Trinker werden. Gewiss, viele Mark rollten in die Kasse der Wirtin. Aber keine Sorge, so prall gefüllt war das Portemonnaie nicht. Der Inhalt bot die nötige Grenze!

    Es war für mich als junger, mittelloser Bursche ein Vergnügen, im Auto mit einigen älteren Jungs zum Kino nach Hillesheim oder Prüm¹² mitreisen zu dürfen. Falls die Filme in Hillesheim uns nicht als interessant genug erschienen, peilten wir meistens unsere Kreisstadt oder Gerolstein an. Der Weg in das weiter entfernte Daun kam selten infrage. Wir Schüllerer sahen dort keinen lohnenden Anziehungspunkt. In den Sechziger- und Siebzigerjahren liefen viele Filme mit Freddy Quinn über seine Seeabenteuer. Als sehr prägend und interessant erinnere ich mich an die jeweilige viertelstündige Wochenschau (eine Art Weltnachrichten) vor dem eigentlichen Filmstart. Gern mochte ich den Schauspieler Hansjörg Felmy. Unsere frühere Kreisstadt Prüm (bis Ende 1970) und das angrenzende Belgien hatten eine außergewöhnlich starke Anziehungskraft. Besonders die amerikanische Radarstation auf dem Berg Richtung Schwarzer Mann steuerten wir zielorientiert an vielen Samstagabenden an. Die Treffen mit den dortigen Soldaten, gleich welcher Hautfarbe, in deren Bar, stellten nach meiner Erinnerung ein fast exotisches und fremdartiges Erlebnis dar. Es gab keine Zufahrtsbehinderung an der Einfahrtsschranke. Wir zeigten unseren Personalausweis und waren im Radargelände, wie wir den Bereich allgemein nannten. Die dortigen Soldaten erschienen uns nicht so arm, da sie nicht zur Infanterie gehörten, sondern zur Gattung der Luftwaffe. Die Unterhaltungen waren hin und wieder etwas kompliziert. Als Einziger unserer Truppe konnte ich mit meinen Englischkenntnissen aus der Handelsschulzeit und aus der Fernsehserie „Walter and Conny" mit einfachen Worten als Dolmetscher dienen. Mit einem relativ preiswerten Glas Whisky in der Hand, welches uns die Soldaten auch spendierten, war es ohnehin unmöglich, große Debatten und Diskussionen über die Weltpolitik oder die gesellschaftliche Situation der US-Soldaten und ihrer Angehörigen vom Zaune zu brechen. Dennoch erreichten wir mit Wortbrocken einfacher Sprache in gewisser Weise nette und witzige Unterhaltung. Besonderer Vorteil war, dass einige schon längere Zeit in Prüm stationierte Soldaten bereits passable Deutschkenntnisse erlangt hatten. Nach mehrmaligem Kommen waren wir bekannt und wurden freundlich begrüßt.

    Selbst hatte ich mir noch kein Auto leisten können und erhielt unsere Familienkutsche zum Besuch meiner Freundinnen in anderen Orten.

    Eines Tages kam Vater von seinem Dienst und meinte humorvoll: „Na, hast du letzte Nacht sehr lange an der Straße nach Birgel am Steinbruch geparkt? Klar, dass ich ihn sehr verdutzt anschaute und dann hörte: „Mein Kollege Hans kam aus Gerolstein und erkannte mein Auto dort weit nach Mitternacht.

    „Ja, ich war mit Brigitte dort, von der ich doch schon erzählt habe. Mit ihr und ihren Eltern war ich letzten Sonntag in deren Kirche zum Hochamt und bin anschließend dortgeblieben." Nun wurde mir bewusst, welchen Bekanntheitsgrad Autos haben können.

    Aus alten Zeiten rücken einige prägnante Ereignisse in den Mittelpunkt meiner Gedanken. Wenn ich in der Küche aus dem Fenster schaute, war häufig zum Wochenende ein Motorrad auf der kurvigen Straße aus Jünkerath zu beobachten. Links neben dem Haus auf der Wiese oder der Terrasse konnte man ein wunderbares sonores Geräusch hören. Ach ja, das musste Kurt sein. Er kam aus dem Raume Nürnberg zum Wochenende nach Hause. So saß er jedenfalls besser auf seiner 500er BMW als auf seinem Bagger, mit welchem er die Erde zum Bau der Autobahn A 3 aus Richtung Frankfurt nach Nürnberg schaufelte. Nach einiger Zeit leistete er sich ein komfortableres Gefährt.

    Sein erstes Auto war ein weißer Opel Rekord, kantig wie die damaligen Karossen konstruiert waren und die Straßen belebten, manchmal rasant vorbeirauschten. Ich sah ein mit vier Türen ausgestattetes, herrlich weiß leuchtendes Fahrzeug vor mir. Kürzlich entdeckte ich an einer mehrspurigen Straßenkreuzung ein Modell, wie er es fuhr.

    An einem sonnigen warmen Frühlingstag, ich trug bereits ein kurzärmeliges Hemd, jedoch noch keine kurze Hose, meinte er: „Möchtest du mal mit meinem Auto fahren?"

    „Na klar, das wäre prima, wenn ich das probieren dürfte."

    Mir fehlte noch jegliche Erfahrung mit einem solchen Gefährt. In Windeseile instruierte er mich zu den wesentlichen Bestandteilen des Fahrzeugs. Die Lenkradschaltung glaubte ich, nachdem er mir deren Funktionsweise vorgeführt hatte, problemlos steuern zu können. Ich startete in der Dorfmitte vor der Kirche und erreichte nach den vielen Kurven und dem zwölfprozentigen Gefälle nach etwa zehn Minuten Fahrt durch den langgestreckten Ort Jünkerath den dortigen Bahnhof als Ziel. Hier wollte ich wenden und zurückfahren. Vor dem wunderbar rötlich schimmernden Backsteingebäude fuhr ich vorwärts bis etwa zwei Meter vor die Eingangstreppe. Das Anhalten und Bremse anziehen war für mich ein Kinderspiel. Ein jeder konnte mich stolz wie Oskar als Autobesitzer aussteigen sehen und beobachten, wie ich den Wagen von allen Seiten eingehend betrachtete. Ich freute mich des Lebens. Eine Übernachtung war hier nicht geplant, ich musste zurück, einhundert Meter hoch auf den Berg nach Hause und den Leihwagen abgeben. Na ja, wie so schön gesagt wird, hatte ich die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Die Lenkradschaltung war erheblich anders zu betätigen als die Knüppelschaltung im damaligen VW-Käfer meiner Fahrschule. Der Opel fuhr nach Loslassen der Kupplung fortan scheibchenweise weiter nach vorne auf die Eingangstreppe zu. Ich stoppte, schaltete mehrfach mit dem Hebel am Lenkrad rechts, um den Rückwärtsgang einzulegen. Mein Gefährt wollte seine Fahrt ausschließlich zentimeterweise vorwärts fortsetzen. Sollte ich verzweifeln? Nein, natürlich nicht. Der häufig vom Vater gehörte gute Ausspruch durchzuckte mein Gehirn: „Du darfst so dumm sein wie ein schwarzes Ferkel, du musst dir nur zu helfen wissen." Prima, die Rettung sah ich im Rückspiegel auf der Straße.

    Rasch öffnete ich die Tür, um einen Passanten zu rufen: „Ob Sie mir wohl mal helfen könnten? Ich kann nicht rückwärtsfahren, irgendwie klappt es mit der Schaltung nicht."

    „Na klar, ich komme. Das ist doch kein Problem. Ich habe einen Renault 4 mit Lenkradschaltung."

    Er hantierte an dem Hebel, legte den Rückwärtsgang ein und schon stand das Auto parallel zum Gebäude an der rechten Straßenseite. Jedenfalls fuhr ich auf dem Weg zurück nur vorwärts zum Treffpunkt, um den Wagen ohne Blessuren übergeben zu können. Übung macht den Meister.

    Die Tage und Wochen

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