Das Lamm und der Löwe
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Das Lamm und der Löwe - Mathilda Boehm
Akt 1- Was vorher geschah
Aller Anfang ist schwer
Sieben Uhr.
Stimme 1: „Aufstehen, du musst zur Schule!"
Stimme 2: „Ich soll mir die Theorien irgendwelcher Leute anhören und anwenden, nur da diese Gehirngespenster sich in die Köpfe des Systems gefressen haben, bei der Suche nach Erklärung für alles und jeden? Ganz ehrlich, dann kann ich auch an Meerjungfrauen glauben, denn deren Existenz steht auch in irgendwelchen wirren Büchern und dies ganz ohne mathematische Formeln als Beleg."
Stimme 1: „Anstatt dich mit Ach und Krach zu wehren in die Schule zu gehen, könntest du dich anziehen, denn deine einfallsreichen Sprüche werden dir nichts bringen ohne Abi."
Ich stehe auf. Habe geträumt.
Geträumt von einer Krähe.
Die pechschwarze Krähe flog geradewegs in das offene Fenster eines zerfallenen Familienhauses. Sie prallte gegen die Wand, die blutverschmiert die Krähe zu Boden brachte, mit gebrochenem Flügel flog sie weiter. Sie knallte gegen die Decke, die ihr fast schon auf den Kopf fiel und erhielt eine Platzwunde, die sie ausknockte. Wie in einem Glashaus, sie rannte blind in jede Wand und ihr Schmerz stand Rot auf jeder.
Am Ende zersprang der Rabe und das Grauen verschwand, da flog ein goldener Schmetterling zur Fensterbank und ruhte sich beim Lauschen der kratzenden Gesänge der Raben aus. Der Albtraum des Hauses war nicht weg, doch das Geschöpf nicht mehr blind für den Ausweg.
Zeichne die Szene
Spiegel
Mein Weg zum Badezimmer vollziehe ich bei gedämpftem Licht.
Die schwarzen Gardinen noch fest um die Fenster des Stockwerks geschlungen, beim Öffnen der Badezimmer Tür blickt mir der Spiegel entgegen. Mein Spiegelbild zeigt allerdings nicht mich, sondern all die vergangenen Geschehnisse.
Die Narben, diese tiefblauen Augenringe, die mich fast schon an einen der vielen Monde mit blauer Sphäre erinnern, meine kurzen Haare, alles hat Geschichte, alles hat Bedeutung.
Ich wohne bei meiner Schwester, eigentlich bei meiner Halbschwester, auch wenn sie die Einzige ist, die wohl ganz zu mir steht.
Ich stehe vor dem Spiegel und sehe die Zeit, bevor ich aufwachte, bevor ich sah, in welches Schicksal ich hinein geboren wurde, denn am Ende kann man dem Unausweichlichen nur die Hand reichen und dem eigenen Schicksal mit Würde entgegentreten.
„Spieglein, Spieglein an der Wand, verschon mich doch bitte kurzerhand, ich will nicht sehen, was du mir zeigst, da dieser Anblick nichts verschweigt und so die Wunden nur größer macht mithilfe der Zeit."
Zeichne die Szene
Katharina
Katharina und Mark. Bedeutungslose Namen, die den Anfang meiner Geschichte in Stein meißelten. Meine Eltern. Also immerhin bis zu meinem sechsten Lebensjahr. Meine Mutter mochte meine Schwester immer lieber, warum verstand ich leider erst später. Meine Mutter wurde vergewaltigt, sie schämte sich zutiefst und erzählte Mark nichts davon. Sie wurde schwanger, Mark freute sich so sehr auf seine zweite Tochter. Er freute sich so sehr auf mich. Katharina veränderte sich, färbte ihre langen schwarzen Haare rot und kleisterte ihr Gesicht jeden Morgen mit bunten Kunstwerken aus Schminke voll, ich glaube, sie tat es, um ihren Schmerz zu überdecken. Mark nahm es hin, er dachte sich nichts dabei. Sie ließ sich den Schmerz ja nicht anmerken.
Bloß nicht das perfekte Bild der kleinen Familie zerbrechen lassen, bloß nicht der Wahrheit ins Auge blicken.
Ich wurde krank, benötigte dringend eine neue Niere und bekam auch eine.
Jedoch nicht von meinen Eltern, denn keiner der beiden hatte meine Blutgruppe.
Die Welt meines Vaters brach zusammen, ich höre noch den Klang der Vase, die mit ihr zerbrach, denn er riss alles mit sich, als er mit meiner Schwester für immer dieses Haus verließ und mich in der Flut untergehen ließ, die nun auf mich zukommen sollte. Meine Mutter verfiel schnell der Gier nach dem flüssigen Rauschgift, sie war tot, auch wenn das Blut noch immer Sauerstoff in ihr Herz pumpte. Ich war dazu verdammt mich über Wasser zu halten, während sie uns beide nach unten zog. Ich konnte ihren Hass gegen mich jeden Tag fühlen und die blauen Flecken an meinem Körper ließen mich es auch wissen, wenn ich nicht bei ihr war.
Sie konnte mir nicht einmal mehr in die Augen schauen, sodass ich selbst zur Flasche griff, um wenigstens auf ihrer Augenhöhe zu sein.
In diesen Momenten, die am Ende nur auf einen einzigen Moment reduziert werden, wurde das Absurde, der Selbstmord zum ersten Mal ein Bauteil in der Welt meiner Gedanken.
Was ich zu diesem Zeitpunkt allerdings noch nicht wusste war, dass sich Gedanken über den Freitod nicht einfach wieder in Luft auflösen. Sie werden zu einem ständigen Begleiter und halten deine Hand bei jedem noch so winzigen Problem und auch in den schönsten Augenblicken. Sie sind wie ein Ohrwurm.
Jeder hat häufiger mal einen Ohrwurm. Nur, dass es sich in diesem Fall immer um denselben handelt und er ohne Hilfe so laut werden kann, dass es nicht mehr bloß ein Gedanke ist.
Am Tag meines Untergangs oder auch meiner Auferstehung schaute sie mich das erste Mal wieder an und es sollte auch das letzte Mal gewesen sein.
Ihre letzten Worte an mich „Du bist schuld an allem Leid, also verdienst du auch dein Leid."
Ich lag in einer zwischen Phase von Tod und Leben, als wurde ich in einem Oxymoron liegen. Ich war elf und lag im Koma wegen flüssigem Gift. Als ich nach neun Stunden im Krankenhaus erwachte, wurde mir erklärt, dass ich nach meinem Krankenhaus Aufenthalt in ein Kinderheim gebracht werde.
Kinderheim hört sich irgendwie schöner an, als es ist.
Dort kam mir die Bedeutung eines Heims, eines Zuhauses, das erste Mal seltsam vor.
Dieser Ort, der das Wort Heim beinhaltet, ist eher wie eine Haltestelle, an der man sitzt und wartet, nur dass das, auf was man wartet, meist länger benötigt als die Deutsche Bahn und mit steigendem Alter, der dort Wartenden, die Wahrscheinlichkeit wächst, dass man sich auf einem verlassenen Bahnhof befindet und der Zug einen nicht mal mehr erreicht, wenn man auf die Gleise springt.
Ich entsinne mich nur noch vage an die Zeit im Krankenhaus.
Ich wurde für geräumte Zeit in psychische Behandlung gebracht und als ich im Heim ankam, war ich kein Diener des Prozentigen mehr.
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Zweiter Anlauf
Ich bekam eine neue Familie.
Sie nahmen mich aus dem Heim, als ich zwölf war. Fast wunderlich, dass sie sich mich aussuchten und keines der Kleinkinder, deren Augen noch so lieblich voller Hoffnung funkelten.
Sie hatten bereits 3 Kinder, sechzehn, vierzehn und elf. Es waren sehr liebevolle Eltern, beide berufstätig, sie Krankenschwester, er Buchhändler. Ich liebte sie und sie überhäuften auch mich mit Liebe. Allerdings wurde ich nicht von allen so Herz allerliebst empfangen. Ihre Kinder, Ihre leiblichen Kinder hassten mich, sie verachteten mich und terrorisierten mich. Sie trieben mich an die Spitze des Abgrundes und schafften es, dass ich springen wollte.
Dieser verflixte Ohrwurm.
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Krankenhaus Bett
Sie waren nicht Zuhause.
Ich versteckte das Messer bereits seit Tagen im Wandschrank, doch an diesem sonnigen Mai Tag sollte ich es nutzen. Ich schnitt mir in das Blau an meinem Innenarm und fiel zu Boden. Im Moment, als die Klinge fiel und mein Augenlicht mich so langsam verließ, hörte ich, wie die Türklinke heruntergezogen wurde.
Marta, meine Mutter,