Discover millions of ebooks, audiobooks, and so much more with a free trial

Only $11.99/month after trial. Cancel anytime.

Goldregen - Liebeserklärung an die Freiheit
Goldregen - Liebeserklärung an die Freiheit
Goldregen - Liebeserklärung an die Freiheit
Ebook307 pages4 hours

Goldregen - Liebeserklärung an die Freiheit

Rating: 0 out of 5 stars

()

Read preview

About this ebook

Nach mehreren Versuchen, sich einer kranken Gesellschaft anzupassen, muss Carolin Hartmann aufgrund ihrer fortschreitenden Nervenerkrankung innehalten und schließlich ihren eigenen Weg gehen. Als sie bereits auf den Rollstuhl angewiesen ist, beendet sie ihre Arbeit als Juristin und begibt sich auf einen spirituellen Pfad, der ihr die Vereinigung von Körper, Geist und Seele erlaubt. Anstelle von Leere und Taubheit nimmt sie wieder ihre Verletzlichkeit wahr, was sie mit schlagendem Herzen schließlich leben und lieben lässt.
Vordergründig erzählt die Autobiografie die Geschichte von Carolin Hartmann, die schließlich ihrer inneren Stimme folgend, aus der Enge gesellschaftlicher Erwartungen in ungeahnte Freiheit flieht.
Allgemein handelt die Geschichte von der Schwierigkeit loszulassen und sich dem Leben widerstandslos hinzugeben, um sein persönliches Potenzial finden und entfalten zu können. Es geht um den Mut, den es bedarf, die Kontrolle zu verlieren, um seine eigene Realität erschaffen zu können. Die innere Stimme Carolins, die sich erst durch die Krankheit ausdrücken und Gehör verschaffen konnte, führt sie durch Gefühle von Ohnmacht, Einsamkeit und Isolation schließlich zu Verantwortung, Respekt und Liebe dem Leben gegenüber.
LanguageDeutsch
Publishertredition
Release dateAug 24, 2021
ISBN9783347346932
Goldregen - Liebeserklärung an die Freiheit

Related to Goldregen - Liebeserklärung an die Freiheit

Related ebooks

New Age & Spirituality For You

View More

Related articles

Reviews for Goldregen - Liebeserklärung an die Freiheit

Rating: 0 out of 5 stars
0 ratings

0 ratings0 reviews

What did you think?

Tap to rate

Review must be at least 10 words

    Book preview

    Goldregen - Liebeserklärung an die Freiheit - Carolin Hartmann

    Vorwort

    Im Sommer 2006 habe ich bei einem Kuraufenthhalt meine Lebensgeschichte niedergeschrieben und mich dabei wohl erstmals in einen transpersonalen Zustand versetzt. Mit „transpersonalem Zustand" meine ich einen Zustand, der mir erlaubte, mich wie ein Objekt zu erforschen, anstatt mich mit meinen Gefühlen zu identifizieren und blind triggern zu lassen. Ich nahm meine Brille, die mein Leben persönlich einfärbte und durch psychologische Filter eine Selektion meiner Wahrheit erstellte, einfach ab und stellte mich meiner Realität.

    Ich schrieb mir regelrecht die Seele aus dem Leib, als ich mir mich vorstellte und meine Geschichte mit mir teilte. Beim Schreiben wollte ich ursprünglich der Frage nachgehen, wer oder was Carolin Hartmann sei. Ich wollte sie begreifen, um sie zu befreien und unter optimalen Lebensumständen ihr volles Potenzial entfalten zu lassen. Ich träumte von körperlicher Heilung, wie sie mir meine Intuition bereits in jungen Jahren zugeflüstert hatte. Darauf wartend, zögerte ich das Ende und damit die Veröffentlichung meines Buches mehr und mehr hinaus. Doch im Laufe meines Schreibprozesses, der sich über mehr als ein Jahrzehnt erstreckte, liess ich los.

    Mehr und mehr wandte ich mich der Heilung meiner Wunden zu. Noch immer fühle ich zeitweise tiefen Schmerz, der mich das Leben sabotieren lassen will und mir eine dunkle Zukunft prophezeit. Trotz größtem Bemühen kann ich diesen Schmerz nicht dauerhaft auflösen, aber ich habe gelernt ihn anzunehmen. Manchmal fühle ich ihn, jedoch löscht er nicht mehr alles andere aus. Ich halte mich dann an Dingen fest, die ich liebe und die mich wachsen lassen.

    Es ist die Begeisterung, Freude und Energie, die kommen und gehen, aber was immer da ist, ist die Möglichkeit zu wachsen.

    Während ich also zu Beginn des Schreibprozesses ohnmächtig auf ein Wunder, nämlich meine körperliche Heilung wartete, habe ich nun begriffen, dass es meine Lebensaufgabe ist, meine Einstellung dazu zu verändern. Ich habe die Macht, einige Dinge in meinem Leben für mich so zu gestalten, wie es mich erfüllt und glücklich macht. Dabei muss ich mich ehrlich wahrnehmen, meine Bedürfnisse kennen und fühlen, wofür mein Herz schlägt, anstatt meinem Ego blind die Führung zu überlassen. Mein Ego neigt dazu, fremden Erwartungen gerecht zu werden und dabei die eigenen Bedürfnisse zu ignorieren. Es spaltet sich dazu vom Herzen ab, anstatt mit gehobenem Haupt im Namen der Liebe in den Krieg zu ziehen.

    Alle verkopften Träume und Vorstellungen, die ich von meinem Leben hatte und die mein Herz zubetoniert haben, habe ich nun losgelassen, damit es wieder frei schlagen kann!

    „Nature’s plans are better than yours!", wurde ich in Indien gelehrt.

    Mit vollem Bewusstsein will ich nun all meinen Ängsten begegnen, sie annehmen, anstatt vor ihnen wegzulaufen und so an ihnen wachsen.

    Meine größte Angst ist, von meiner gewaltigen Krankheit besiegt zu werden, während sie meinen „starken Willen" höhnisch auslacht. Jahrelang zwang mich mein starker Wille, vor der Krankheit wegzulaufen, um mich nicht von ihr kleinkriegen zu lassen. Die Krankheit war immer der böse Feind, der mich durch Stürze in die Knie zwang, mir spontan meine Stimme nahm, mich lallen und Schlangenlinien fahren ließ wie eine nichtzurechnungsfähige Besoffene, mich in Angstzustände isolierte und mir das Gefühl gab, nicht genug Zeit zu haben, um frei zu sein. Jahrelang führte ich einen Kampf gegen die Krankheit, indem ich sie unterdrückte und ihr keinen Raum in meinem Leben geben wollte.

    Nun bin ich mutig und bleibe endlich stehen, um von dieser mächtigen Naturgewalt zu lernen. Ich will nun endlich ihre Botschaft verstehen, in mein Leben integrieren und ihr mit meiner Kunst Ausdruck sowie Gehör verleihen.

    Sie wird mich wachsen lassen.

    Das Buch erzählt meine persönliche Lebensgeschichte, meine Verhaftungen und Dramen aus vergangenen Tagen. Ich habe sie längst hinter mir gelassen und mache jetzt neue Fehler.

    Dennoch bereue ich gar nichts, denn die Vergangenheit hat mich zu genau der jungen optimistischen Frau gemacht, die ich heute bin.

    Nam-myoho-renge-kyo.

    Der Tanz des Lebens findet genau in dem Moment statt, wenn aus der, die du einmal warst, die wird, die du jetzt bist.

    Barbara de Angelis

    Goldregen

    Ich fing bereits in meiner Kindheit damit an, Menschen zu segnen.

    Mit diesem Satz möchte ich nichts behaupten, was über meinen subjektiven, damals kindlichen Horizont hinausgehen könnte. Was ich vielmehr damit behaupten möchte ist, dass ich mir bereits als kleines Mädchen mithilfe meiner großen Vorstellungskraft, meine eigene kleine Welt erschuf. Ich erzählte niemandem davon. Dieser Teil von mir, wollte nicht durch menschlichen Verstand erfasst und rationalisiert werden. In meiner Welt war ich ein kleiner Engel und als rechte Hand Gottes mit Superkräften auf die Erde geschickt worden.

    Anfangs waren es stets Mütter mit Kinderwagen, die mir begegneten. Erblickte ich dann ein forderndes wundervolles Babygesicht, scheinbar aus einer anderen Dimension, so wollte ich ihm mit allem, was in meiner Macht stand, viel Glück für sein Leben wünschen. Dabei stellte ich mir vor, wie sich der Himmel öffnete und Gold über das Kind regnete. Der Goldregen strömte durch den Kopf in die Wirbelsäule und breitete sich danach im ganzen Körper aus. Oft lächelten mich die Kinder dann an, was mein Herz erwärmte und diese nonverbale Kommunikation zu einem liebevollen Abschluss brachte. Ich war mir sicher, dass die Kinder noch nicht so grobstofflich fixiert waren wie die Erwachsenen und daher noch rein genug für diese feinstoffliche Wahrnehmung. Sie schienen noch übersinnliche Antennen zu haben und daher meine, mit Vorstellungskraft gebündelte, Herzensenergie wahrnehmen zu können.

    Später waren es dann auch Erwachsene, ältere oder kranke Menschen, die hilfsbedürftig waren. Diese absolute Konzentration auf die Liebe führte immer zu einem unglaublichen Hoch an Glücksgefühlen. Mit der Mission, die Erde ein Stück heiler zu machen, war ich dann kurz in einer anderen Welt.

    Ich war davon überzeugt, dass der vorgestellte himmlische Goldregen ein göttlicher Segen war, der sich durch meine Meditation und Visualisierung irdisch manifestieren konnte.

    Anfangs segnete ich stets Fremde, deren Geschichte ich nicht kannte, sondern zu denen ich lediglich intuitiv eine Verbindung empfand. Dies geschah dann meist an der Bushaltestelle, im Bus oder in Geschäften. Mit der Zeit beglückte ich dann auch meine Familie und Freunde. Das Schöne dabei war, dass ich bei mir nahe-stehenden Personen die segensreiche Wirkung quasi bezeugen konnte. Ich sah alle meine Freunde und Familienmitglieder hinfallen und an einer scheinbar unverrückbaren Tatsache verzweifeln, doch immer wieder sah ich sie kraftvoller denn je wieder aufstehen. Jede Krise und jede Träne, garniert mit etwas übersinnlichem Goldregen, machte sie stärker und schöner. Nur so konnte ich ihren Schmerz fühlen und aushalten, indem ich dabei den Goldregen über ihrem Kopf beobachtete, der in sie strömen und sie reparieren würde.

    In meinen frühen Zwanzigern versuchte ich erstmals, meinen Goldregen mit Intention einzusetzen. Anstatt mich dem Universum mit bedingungsloser Liebe zur Verfügung zu stellen, fing ich an, etwas zu erwarten und den Goldregen so gewissermaßen manipulativ einzusetzen. So versuchte ich Gold unter anderem über Objekte regnen zu lassen und dabei meinem menschlichen Trieb zu folgen. Ohne Intuition und göttliche Verbindung. Sowohl Hausarbeiten, Bewerbungen, Lottoscheine zeigten sich völlig resistent für meine Versuche der magischen Manipulation. Was blieb waren auch keine Hochgefühle, sondern ein Nachgeschmack der weltlichen Ohnmacht und einer beschämenden Obsession, die mir zeigte, wie unfrei und verhaftet ich war.

    Ähnlich war es dann auch, wenn ich attraktive Männer für mich gewinnen wollte und zu schüchtern und unsicher war, mich irgendwie mit Körper und Stimme anzunähern. Dann versuchte ich lieber auf astraler Ebene ihre Seele zu bezirzen. Zu diesem Zwecke ließ ich Gold über sie regnen in der Hoffnung, dass sie dann meine Nähe suchen würden. Dies schlug jedoch völlig fehl, denn diese, zwar unglaublich liebevolle Energie taugte nicht, um einen Körper zu einer Handlung zu motivieren. Um einen Körper zu lieben, musste ich diese Liebe mit meinem Körper ausdrücken. Ich musste den Goldregen übersetzen und in die materielle Welt holen. Also machte ich genau dies zu meiner Lebensaufgabe. Ich wollte von nun an nicht mehr in eine andere Welt reisen mit der Mission, die Erde ein Stück heiler zu machen, sondern vor Ort mit dem arbeiten, was ich hier in dieser irdischen Begrenzung vorfand.

    Mit Körper, Stimme, Herz und Disziplin beschloss ich nun voller Hingabe für die Freisetzung universeller, bedingungsloser Liebe zu arbeiten, denn dies schien die beste Übersetzung des Goldregens zu sein.

    Die Suche nach meinem Weg

    Was machte denn eine Behinderung zu einer solchen in unseren Augen?

    Die Tatsache, den Alltag, in irgendeiner Art und Weise, schlechter oder langsamer bewältigen zu können. Fraglich war jedoch, ob der Sinn des Lebens wirklich im stupiden Alltagsbewältigen lag.

    Warum hatten wir dann ein Gehirn und handelten nicht instinktiv? Ich war überzeugt, der Sinn des Lebens war ein anderer, den nur jeder Mensch allein für sich entdecken konnte.

    Die Bezeichnung „behindert hingegen, ging fälschlicherweise von einem objektiven Maßstab aus und stellte dabei folgerichtig auf einen Mangel ab. Genauso wären wir in den Augen der Vögel „behindert, weil wir nicht fliegen konnten. Die Natur hatte dies aber für uns Menschen nicht vorgesehen und für manche von uns eben auch nicht Gehen, Sehen oder Hören. Folglich verlangte die Natur vom Menschen lediglich Flexibilität, um seinen individuellen Maßstab zu finden und sich nicht mit den menschlichen Standards zu vergleichen.

    Um mich von meiner „Behinderung" zu befreien, brauchte ich also nur natürliches Selbstbewusstsein, das es mir erlaubte mich außerhalb des gesellschaftlichen Zusammenhangs als vollkommenes Individuum wahrzunehmen. Dann war ich frei.

    Liebe Leserin, lieber Leser,

    doch nun der Reihe nach: Mein Name ist Carolin Hartmann. Ich bin sozusagen Carolin Hartmann wie Elisabeth Schmitt Elisabeth Schmitt ist. Ungefähr bis zu meinem dreizehnten Lebensjahr war ich weder vom Schicksal gnadenlos gebeutelt, noch meinte es Fortuna mit mir auffallend gut. Ich glaubte mich bis dahin manchmal einfach vom Leben vergessen. Während viele meiner Freunde etwas besonders gut konnten, empfand ich mich als rundum durchschnittlich. Einige meiner Freundinnen waren sehr sportlich und trainierten für das Kunstturnen zwei-bis dreimal wöchentlich. Bei der alljährlichen Weihnachtsfeier des Turnerbundes sah ich den Mädels dann mit Bewunderung zu. Nachdem sie sich aufgewärmt und auf spektakuläre Weise gedehnt hatten, performten sie dann in schönen Kostümen und strahlten dabei ein für mich einschüchterndes Selbstbewusstsein aus.

    Wie gerne wollte ich auch eine dieser begabten, stolzen Turnerinnen sein, die sich mit Leichtigkeit und Grazie auf dem Schwebebalken mehrmals überschlugen und die Schwerkraft dabei lächelnd besiegten.

    Ich hingegen war nicht völlig untätig, sondern spielte halt vielmehr in der zweiten Liga. Meine Gruppe war sozusagen für alle „Dabeisein ist alles-Turnerinnen und auch ohne Teilnahmebeschränkung möglich. Wir performten auf Hits, die von ihren Interpreten bereits ein Jahr später am liebsten geleugnet worden wären. Auch unser Styling war im Gegensatz zu den Kunstturnerinnen mehr als einfach gehalten. Schaffte es dann doch noch jemand aus unserer Gruppe (trotz primitiven Stylings und fieser musikalischer Untermalung) Ausstrahlung zu haben, wurde er sofort ausgewählt, befördert und durfte sich von nun an „Kunstturnerin nennen.

    Diese Selektion aller Sternchen am Himmel unserer Turngruppe fand regelmäßig in meinem Beisein statt. Jedoch war ich nie traurig, nicht dabei gewesen zu sein. Hochmotiviert entschloss ich mich jedes Mal, mich von nun an mehr anzustrengen. So war es immer gewesen. Je aussichtsloser die Lage war, umso größer meine Motivation diesen weiten Weg zu meistern. Denn je steiler und härter der Weg war, umso erstrebenswerter war der wundersame Erfolg, der am Ende einen solchen Weg belohnte. So blendete ich den gegenwärtigen Misserfolg aus, der mir die jetzige Realität unverblümt vor Augen hielt, indem ich meine Zukunft als erfolgreiche Turnerin visualisierte. Dieser Traum wiederum gab mir Kraft weiter zu trainieren und segnete mich mit unermüdlichem Durchhaltevermögen.

    Mit dieser Einstellung konnte mich schon als Kind keine Niederlage desillusionieren, denn mit jeder Niederlage entstand eine neue Option erfolgreich zu werden, wenn ich den genannten harten, steilen Weg gehen würde. Jedoch muss ich wohl schon immer gewusst haben, dass ich nur dann ausreichend motiviert sein würde, den gewünschten Erfolg zu erreichen, wenn ich genau wüsste welcher der vielen Wege wohl meiner wäre. Es sollte nicht der Naheliegendste sein, sondern genau der Weg, der meine Qualitäten beanspruchen und sie auch bis zu ihrem Maximum erschöpfen sollte. Mein ganz persönlicher individueller Weg, der auf mich zugeschneidert sein sollte. Er sollte dabei mehr als nur vorhandene Fähigkeiten abverlangen und mich so über mich hinaus wachsen lassen.

    Da das Turnen jedoch selbst bei genauester Betrachtung und größtem Willen meinerseits keinerlei versteckte Fähigkeiten in mir zum Ausdruck brachte, beschloss ich nach einigen Jahren meine Energie nicht darin verpuffen zu lassen einen Weg einzuschlagen, der ganz offensichtlich nicht der meine war.

    Ich wusste immer, dass ich keinesfalls schlechter war als die anderen, nur eben anders. Mir war klar, dass ich durch dieses Anderssein benachteiligt wäre, wenn ich die Suche nach meiner Welt aufgeben würde. Ich hatte nun genau zwei Möglichkeiten: Ich konnte mein Anderssein durch Anpassung verkümmern lassen, indem ich einfach das tun sollte, was die Gesellschaft für mich vorgesehen hatte und so die Suche nach meinem Weg aufgeben. Dann wäre ich durch dieses „Anderssein" lediglich benachteiligt. Die zweite Möglichkeit bestand darin, meinen Weg weiter zu suchen und darauf zu vertrauen, dass ich ihn finden und hochmotiviert meistern würde. Nur so hätte ich die Möglichkeit, mein Anderssein in einen Vorteil umzuwandeln und schließlich als Besonderheit pflegen zu können.

    So befand ich mich also mit ungefähr 12 Jahren auf der Suche nach meinem Weg aus der inneren Einsamkeit und Isolation. Diese Suche fand jedoch ausschließlich in meinem Kopf statt. Nie erzählte ich von meinem Kummer, sondern immer ermutigte und tröstete ich meine Schulfreunde. Ich war gut in der Schule, stets fleißig, zuvorkommend und passte mich meiner Umgebung restlos an. Meine trockene, humorvolle Art schenkte mir stets einen kleinen feinen Kontrast, den man sehr schätzte. Nie hatte ich jedoch wirklich enge Freunde, die ich nah an mich herangelassen hätte. Vielmehr hatte ich viele unterschiedliche Bekannte, die nur eine Sache gemeinsam hatten und – zwar mich. Ich besuchte das Gymnasium in einer nahegelegenen Kleinstadt und hatte so viele Schulfreunde, die mich auf meiner Suche nach meinem Weg inspirierten. Des Weiteren waren da noch die Freunde, die in meiner Straße, dem „Goethering wohnten und mit denen ich aufwachsen durfte. Von diesen vier„Goetheringer Mädels, wie meine Mutter uns nannte, war ich mit zwei Jahren Abstand die Jüngste. Ich war sozusagen das Küken und so hatte ich auch einen besonderen Status. Mir wurde beispielsweise erst Wochen später von den Mädels gebeichtet, dass sie heimlich am Hühnerstall eine Zigarette geraucht hatten.

    Auch sonst hinkte ich den „Goetheringer Mädels" in meiner Entwicklung extrem nach: die Mädchen gingen schon lange aus und hatten Sex, während ich meine Teenagerjahre auch an den Wochenenden noch mit meinen Eltern zuhause verbrachte. Zwar hatte ich auch schon wie andere Teenager Sehnsüchte, jedoch hatte ich Angst davor rauszugehen und der unberechenbaren, ernüchternden Realität zu begegnen. Ich bevorzugte die Sicherheit der mich liebenden Atmosphäre und träumte lieber von einer zukünftigen Party, auf der ich wunderschön aussehen würde und mir alle Jungs zu Füßen liegen sollten. Mit der festen inneren Überzeugung, dass mir ein solcher Abend zukünftig bevorstehen würde, genoss ich die gemütlichen Fernsehabende im Pyjama mit meinen Eltern, die ich noch nicht zu entbehren bereit war.

    Schließlich wurde mein Bekanntenkreis durch die Musiker der „Moorbachtaler Blasmusik" vervollständigt. Mit acht Jahren hatte ich angefangen Klarinette zu lernen und war dem genannten Verein beigetreten. Mit großer Nervosität und manchmal Bauchschmerzen brachten mich meine Eltern zweimal die Woche zur Orchesterprobe beziehungsweise zum Klarinetteneinzelunterricht. Der Einzelunterricht fand bei einem Vollblutmusiker statt, der bereits mindestens 60 Jahre alt war, aber von seinem frischen Geiste sein Alter nicht verriet. Obwohl mir die nötige Leidenschaft für mein Instrument fehlte, um den musikalischen Weg einzuschlagen, den mein Lehrer wohl gewählt hatte, packte ich des Öfteren nach dem Unterricht meine Klarinette in ihr Köfferchen und beschloss, von nun an täglich zu üben. Wie gerne wollte ich meinen Lehrer stolz machen. Seine Leidenschaft inspirierte mich. Ich bewunderte ihn für seine Entschlossenheit, die ihn nie daran zweifeln ließ, ob es sinnvoll war, mehr als sein halbes Leben damit zu verbringen, in ein Holzrohr zu blasen und Laute zu erzeugen. Zwar war dies genau das, was ich eben auch suchte, nämlich die Überzeugung, dass etwas Sinn machte, alles andere damit ausblendete und dem man sich mit Haut und Haaren hingab. Jedoch war dies der Weg meines Klarinettenlehrers und nicht der meine. Das musste ich immer dann feststellen, wenn ich erst eine Woche später, bei Unterrichtsbeginn meine Klarinette wieder unbenutzt aus ihrem Köfferchen holte.

    Die Orchesterproben sollten hingegen von der puren Konzentration auf sich und sein Instrument ablenken und durch gemeinsames Musizieren die Geselligkeit fördern und den Spaßfaktor erhöhen. Bei den meisten funktionierte diese Methode. Sie rissen sich sogar regelrecht darum Ämter wie Notenwart, Satzführer oder Ähnliches zu übernehmen, die zwar ehrenamtlich ausgeübt wurden, jedoch vereinsintern mit einer gehörigen Portion Wichtigkeit belohnt wurden. Diese Wichtigkeit bestätigte einige dann derart in ihrem Glauben an eine musikalische Prädestination, dass sie immer fleißiger übten und das Orchester immer mehr dominierten. Ich und einige andere Unentschlossene fühlten uns durch diese Tyrannei der Notenwarte und Satzführer, die unseren Reihen entsprungen waren, derart unter Druck gesetzt, dass mir nach zehn Jahren endlich klar wurde, dass ich mich entscheiden musste. Ich hatte zwei Optionen, die mich wachsen lassen und glücklich machen sollten. Einerseits konnte ich „Ja zur Musik sagen und diesem Hobby eine etwas höhere Priorität einräumen, anstatt weiterhin als zweitklassige Musikerin nach dem Motto „es kann nicht nur Häuptlinge geben in Unwichtigkeit und fehlender Wertschätzung meine Zeit zu vergeuden. Oder aber ich konnte das Leben einer Musikerin mit dem einer Kunstturnerin vergleichen, dieser Erfahrung dankbar sein und der Blasmusik den Rücken kehren.

    Diese Entscheidung machte ich mir nicht leicht, da ich bereits in frühester Kindheit gelernt hatte, dass man das zu Ende bringen sollte, was man einmal angefangen hatte. So zwang ich mich auch wöchentlich den Kirchenchor zu besuchen, obwohl ich zu keinem Zeitpunkt irgendeinen Ton traf noch in irgendeiner Weise wirklich Spaß an diesem Hobby hatte.

    Einfach aus dem Verein auszutreten, erinnerte mich nicht an persönliche Freiheit, sondern vor allem an Schwäche, niedere Frustrationstoleranz und Resignation. Alle aus meinem Dorf, die nicht gerade zu den Punks am Dorfbrunnen zählten, spielten entweder Fußball oder bei der „Moorbachtaler Blasmusik" ein Instrument. Manche überehrgeizige Jungs in meinem Dorf taten sogar beides und galten so als Multitalente. Wenn ein Junge Fußball, sowie ein Instrument spielte und zudem noch gut in der Schule war, hätte er alle Töchter des Dorfes in nur einer Nacht flachlegen können, ohne dass dies auch nur im Geringsten an seinem Image gekratzt hätte.

    Zudem war mir klar, dass ein Vereinsaustritt auch soziale Kontakte beenden würde, die mich bereicherten. Meine Orchesterfreunde waren wieder komplett anders, als alle meine anderen Freunde und machten damit einen Teil von mir aus, den ich nicht aufgeben wollte.

    Dennoch entschied ich mich schließlich dafür, meine musikalische Karriere zu beenden. Anstatt mit Leidenschaft dabei zu sein wie alle Satzführer und Notenwarte, freute ich mich über jeden Grund, der Probe fernbleiben zu können. Ich wäre sogar wesentlich lieber an einem zehnstündigen Schultag mit Doppelstunde Latein zur Schule gegangen, als in die Orchesterprobe!

    Ich wusste, in meinem Leben würde es sicher unangenehme Dinge geben, die ich nicht würde aufgeben können. Um diese unangenehmen Verpflichtungen auffangen zu können, sollte ich also meine Freizeit stets so angenehm wie möglich gestalten. Dieser selbstauferlegte Zwang zu meinem Hobby hingegen, entbehrte jeder Rechtfertigung. Da Aufgeben zudem nicht gleich Aufgeben war, entließ ich mich auch vom Kirchenchor und fühlte mich tatsächlich als freier Mensch.

    Ich bereute diesen Schritt wirklich nie. Ich war zum ersten Mal mir selbst treu gewesen. Anstatt einfach das zu tun, was alle für gut hielten, hatte ich für mich persönlich beschlossen, dass dieses Hobby wohl nicht zu mir passte.

    Dieser Entschluss ließ mich wachsen und war wohl mein erster Schritt auf meiner Suche, denn auch das Ausschlussverfahren ist ein Weg des Findens. Um positiv festzustellen, was man will, ist es auch hilfreich zu wissen, was man nicht will.

    Meinen Befürchtungen zum Trotz, schaffte ich es auch, den Kontakt zu einigen Orchestermitgliedern, die mir am Herzen lagen, aufrechtzuerhalten. So waren an meinen Geburtstagspartys immer die verschiedensten Mädchen und Jungs zusammen, die sich gegenseitig nicht kannten und auch unterschiedlicher nicht sein konnten. Ich mochte alle und fand alle auf ihre Art interessant. Bei allen konnte ich einen Teil von mir ausleben, aber eben nur einen Teil, und um den Rest nicht verkümmern zu lassen, brauchte ich dann eben wieder andere Freunde.

    Auch in modischen Angelegenheiten zeigte sich meine Unfähigkeit, mich festlegen zu können. Einige meiner Freundinnen trugen immer Leggings und verkörperten mit ihrer Haarschleife, ordentlichen Schultaschen und gestochenen Handschriften den braven Streberlook. Da ich mich mit ihnen richtig gut verstand und ein Teil von mir auch so angepasst brav und strebsam war wie sie, entschloss ich mich, den Mädels und ihrem Haarschleifen-Leggings-Look in etwas entschärfter Version beizutreten. Jedoch, kaum hatte ich mich entschieden, diesen Teil von mir auszuleben, musste ich feststellen, dass dieser Teil auch nur ein Teil war und damit nicht meine ganze Person widerspiegelte.

    Die richtig coolen Kids meiner Klasse wollten die Welt verbessern, waren Vegetarierinnen und rauchten Marihuana. Dieser alternative Lebensstiel beeindruckte mich, da sie wie mein Musiklehrer damals für eine Wahrheit tausend andere voller Überzeugung ausblendeten. Das wollte ich auch. Ich war ja immer noch auf der verzweifelten Suche nach einer solchen Wahrheit. Was ich fand, waren jedoch immer nur Botschaften, die ich zwar nachvollziehen und sie auch überzeugend vertreten konnte, allerdings auch genauso überzeugend widerlegen konnte. Ich war also pro und kontra zugleich.

    Durch diese Unentschlossenheit, aber dem großen Willen einer Clique

    Enjoying the preview?
    Page 1 of 1