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Sorgenkind Kita: Die Wahrheit über den Alltag im Kindergarten
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Sorgenkind Kita: Die Wahrheit über den Alltag im Kindergarten

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Die Kita. Ein Ort der liebevollen Fürsorge und des sozialen Miteinanders. Spiel, Spaß, Förderung, menschliches Vorbild, Erziehung und Wertevermittlung - all das wünschen sich Eltern, die ihr Kind fast täglich fremdbetreuen lassen. Doch die Realität sieht oft ganz anders aus. Wie und warum hat sich die Kindergartenarbeit im Laufe der Zeit gewandelt? Warum können die allermeisten Kitas nicht das leisten, was sie eigentlich sollten? Warum ist das Personal häufig überfordert? Ist es wirklich vertretbar, sein Kind bereits vor dem dritten Lebensjahr abzugeben und warum ist das mittlerweile eher Standard als die Ausnahme? Warum sind Eltern und Betreuungspersonen oft gleichermaßen enttäuscht und frustriert? Wie läuft ein typischer Tag im Kindergarten ab und wie erleben ihn Kinder und Personal? Welche Personen kümmern sich eigentlich um mein Kind und wie gestaltet sich die Zusammenarbeit im Team? Warum resignieren viele Pädagogen in Kitas? Besitzen alle Kita-MitarbeiterInnen die notwendigen Kompetenzen, um mit Kindern wertvoll arbeiten zu können? Diesen Fragen und vielen anderen geht Petra Görgen in ihrem Buch nach, indem sie den Kita-Alltag detailliert beleuchtet und Missstände aufdeckt. Sie sucht nach Gründen, warum so Einiges dort schief läuft und wieso die größten Bemühungen oft nicht fruchten.
LanguageDeutsch
Publishertredition
Release dateAug 17, 2020
ISBN9783347099975
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    Book preview

    Sorgenkind Kita - Petra Görgen

    Wissenswertes über das Thema Kita und Familie

    Der Kindergarten im Wandel der Zeit

    Von der Kinderbewahranstalt zum Kindergarten als pädagogische Konzeption

    Wann entstand eigentlich der erste Kindergarten der Welt? Friedrich Wilhelm Fröbel war gewissermaßen der Erfinder dieser Einrichtung. Er gründete und eröffnete 1840 den so genannten ersten Kindergarten in Bad Blankenburg (Thüringen). Fröbel war ursprünglich Lehrer und Erzieher in seiner eigenen reformpädagogischen Schule in Thüringen. Er erkannte schnell, dass die geistige und körperliche Entwicklung eines Kindes bereits im Alter zwischen 0-6 Jahren stattfindet. Zwar gab es damals schon Betreuungseinrichtungen für kleinere Kinder (sie hießen Warteschulen, Kleinkinderbewahranstalten oder „Kleinkinderschulen"), doch ging es dort lediglich darum, Kinder in Abwesenheit ihrer Eltern zu betreuen. In von der Kirche getragenen Einrichtungen unterrichtete man die Kinder möglichst früh religiös. Fröbel aber wollte weder belehren noch verwahren. Er beobachtete, dass Kinder aus eigenem Antrieb und in ihrem individuellen Tempo lernen möchten. Erwachsene, also Pädagogen und Eltern, sollten verstehen, wie sie Kinder begleiten können, ohne sie anzuleiten oder übermäßig zu behüten und ihnen damit wichtige Selbsterfahrungen zu nehmen. Kinder lernen durch das Spiel. Deshalb sollte Kindern im Kindergarten in erster Linie ermöglicht werden zu spielen. Die Erwachsenen wurden angehalten, einen solchen Ort für das Kind zu schaffen.

    Ich beschränke mich im nun Folgenden vor allem auf die Zeit während und nach dem Nationalsozialismus, um zu verdeutlichen, wie sehr all das, was Kindern in jeder Form von Einrichtung nahegebracht wurde, von Zeitgeist und Politik geprägt war.

    „Zwischen 1933 bis 1945 stand der Kindergarten im Fokus der nationalsozialistischen Ideologie. Dabei war von besonderer Bedeutung die Erziehung zum typischen deutschen Jungen und Mädchen: „Wir wollen ein hartes Geschlecht heranziehen, das stark ist, zuverlässig, treu, gehorsam und anständig… Der kleine Junge wird einmal ein deutscher Soldat werden, das kleine Mädchen eine deutsche Mutter. Während der nationalsozialistischen Diktatur wurde die Zahl der Kindergartenplätze in Deutschland mehr als verdoppelt (Versorgungsquote 1941:31 %). Nach dem Zusammenbruch der Nazi-Herrschaft haben sich die pädagogischen Leitgedanken für den Kindergarten in Ost und West unterschiedlich gewandelt. In beiden deutschen Staaten entwickelte sich die vorschulische Institution immer mehr von einer Aufbewahrungsanstalt zu einer wichtigen Bildungseinrichtung, zu einer Stätte für Reifen und Lernen. Während in der Bundesrepublik Deutschland die Erziehung zu einer „freien Persönlichkeit wichtig war, stand für die Kindergärten in der DDR die „sozialistische Moral im Vordergrund:„Das Leben in der Gruppe soll von kollektiven Beziehungen gekennzeichnet sein. Die Erzieherin sichert durch Gestaltung des Lebens, dass sich die Kinder mit größerer Verantwortung und Selbständigkeit für die Einhaltung der Lebensordnung einsetzen und ihre Beziehungen mehr und mehr nach Normen der sozialistischen Moral gestalten lernen. Der Kindergarten der DDR war Teil des allgemeinen Bildungs wesens, der mit anderen gesellschaftlichen Einrichtungen, wie Familie, Schule, Junge Pioniere, Volkspolizei etc. in enger Verbindung stand."

    Der Kindergarten als Bildungseinrichtung in der heutigen Zeit

    Die Pädagogik der frühen Kindheit und der Kindergarten als klassischer Ort begleitender Erziehung stehen immer wieder im Fokus der öffentlichen Diskussion. Der Kindergarten als wichtige Institution im Bildungsgefüge hat das Interesse der Fachleute, der Politik und weite Kreise der Bevölkerung geweckt. Derzeit vollzieht sich der Wandel vom Kindergarten als pädagogische Einrichtung mit einem ausgeprägten Betreuungsauftrag hin zum Kindergarten als Bildungseinrichtung. Das deutsche Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend hat hierzu 1999 die weitreichende Nationale Qualitätsinitiative im System der Tageseinrichtungen für Kinder (oft mit NQI abgekürzt) ins Leben gerufen. Parallel dazu haben verschiedene deutsche Bundesländer Programme zur Verbesserung der Bildungsqualität entworfen. Initiativen wie beispielsweise PIK (Profis in Kindergärten) der Robert-Bosch-Stiftung streben eine Professionalisierung der Arbeit an.

    Bildungspläne der deutschen Bundesländer

    Im föderalen System Deutschlands haben die Bundesländer jeweils eigene Bildungspläne entwickelt, die Bildung in verschiedene Bereiche aufzugliedern, stets aber eine ganzheitliche Sicht von Bildung zu vertreten. Das Kind soll in seinen Anlagen und Entwicklungsstufen ganzheitlich individuell gefördert werden. Dabei stehen die Ressourcen und nicht die Defizite des einzelnen Kindes im Vordergrund. Der Orientierungsplan in Baden-Württemberg beispielsweise betont, dass Bildung nicht als schulische Ausbildung zu verstehen ist und Lerninhalte von der Grundschule nicht in die Kindertagesstätte verlagert werden sollen. Ziel des Orientierungsplanes ist es, die Kindertageseinrichtungen auf der Grundlage der neuesten Erkenntnisse der Kognitionsforschung als primäre Bildungseinrichtungen im Sinne einer ganzheitlichen Förderung auszubauen. Die Kinder sollen ihren individuellen Begabungen entsprechend gefördert und Defizite rechtzeitig erkannt werden. Schwerpunkte liegen in den sogenannten Bildungs- und Entwicklungsfeldern. Hierzu gehören die Bereiche Körper, Sinne, Sprache, Denken, Gefühl und Mitgefühl, sowie Sinn, Werte und Religion. Es wird deutlich, wie sehr sich der Kindergarten seiner Zeit angepasst hat – anpassen musste. Und ganz sicher blicken all Diejenigen, die sich mit der Geschichte des Kindergartens bereits intensiver auseinandergesetzt haben (oder vielleicht auch einfach nur an ihre eigene Kindheit denken) mit gemischten Gefühlen auf eine Zeit zurück, in der alles noch so anders war als heute.

    Eltern hätten gerne die Wahl zwischen den vielen unterschiedlich geführten Einrichtungen. Sie möchten ihr Kind in einem Kindergarten unterbringen, mit dem sie sich voll und ganz identifizieren können. Leider sieht die Realität anders aus. Kriterien für eine Anmeldung sind nicht etwa der pädagogische Ansatz, das Bauchgefühl beim Betreten der Räumlichkeiten oder, ob einem das Personal sympathisch und kompetent erscheint. Maßgebend sind die Ortsnähe, der Kostenfaktor und vor allem die Verfügbarkeit eines Platzes. So sind Eltern oft gezwungen, ihr Kind dort abzugeben, wo sie es eigentlich gar nicht unterbringen wollen. Das alleine birgt ein hohes Konfliktpotential. Dieses Gefühl der Ohnmacht, die Unsicherheit, ob man sich wirklich im Sinne des Kindes entschieden hat, die Ungewissheit, ob es ihm dort, wo es sich oft mindestens sieben Stunden am Tag aufhält, auch wirklich gut geht, ist wahrscheinlich ein Grund, warum Sie dieses Buch in Händen halten.

    Ausbildung früher und heute

    Ab dem 17. Jahrhundert existierte der Beruf der „Gouvernante. Diese war meist eine Tochter aus gebildetem Hause, die ihr erworbenes Wissen an Kinder weitergeben sollte. Sie arbeitete bei den jeweiligen Familien. Es entwickelte sich nach und nach der Beruf der Kinderbetreuerin, die Kinder verschiedener Familien in Einrichtungen außerhalb ihres Elternhauses betreute. Bis ins 20. Jahrhundert hinein war die privat engagierte Kinderbetreuerin oft eher eine „Lehrerin für die gehobene Gesellschaftsschicht. Parallel dazu entstand der Beruf der „Kindergärtnerin", der ab 1836 sogar eine spezielle Ausbildung im Vorfeld forderte.

    „…Die Zugangsvoraussetzungen zur Aufnahme in die Kindergärtnerinnenausbildung waren im Allgemeinen Folgende: ein ständig neu bestimmtes Mindestalter, eine hohe Schulbildung - beispielsweise ein Abschlusszeugnis einer höheren Mädchenschule -, ein Lebenslauf, ein Attest über den gesundheitlichen Zustand und die Gesangsfähigkeit sowie die Bezahlung von Schulgeld. Die Ausbildung zur Kindergärtnerin dauerte ein Jahr und beinhaltete theoretische sowie praxisbezogene Unterrichtsfächer, wie Pädagogik, Menschenkunde, Religion, Geschichte, Fremdsprachen, Zeichnen und Singen. Um die Kindergärtnerinnen außerdem in ihrer Berufstätigkeit durch Bildungsveranstaltungen unterstützen zu können, wurden zahlreiche Seminare und Fortbildungskurse angeboten. Durch den Besuch weiterführender Seminare haben sich auch Lehrer und Lehrerinnen für den Beruf der Kindergärtnerin qualifiziert. Den Berufseinstieg fanden Kindergärtnerinnen nicht nur in der öffentlichen Kleinkinderziehung, sondern auch im privaten Haushalt bürgerlicher Familien." (Gisela M. Gary)

    Ende der 1960er Jahre wurden sozialpädagogische Ausbildungsgänge gefordert. Um „Staatlich anerkannte Erzieherin" zu werden, brauchte man einen mittleren Reifeabschluss, mindestens eine einjährige Berufserfahrung und eine dreijährige Ausbildung, die aufgeteilt war in zwei Jahre Theorie und ein Jahr Praxis. Das ist bis heute so geblieben. Seit den 1970er-Jahren ist der geforderte Schulabschluss vor Beginn der Ausbildung deutlich niedriger als früher. Manche Bundesländer spielen sogar mit dem Gedanken, die Ausbildungsdauer noch mehr zu verkürzen, um den Beruf an sich attraktiver zu machen und schneller Erzieherinnen auf den Markt zu bringen. Man kann ganz offen sagen, dass es gerade deshalb in vielen Einrichtungen an geistigem Niveau mangelt. Der Grund dafür ist, dass das Personal zwar meist fachlich ausgebildet wurde, aber im Normalfall intellektuell auf dem Stand eines Haupt- oder Realschülers stehengeblieben ist.

    „Um ein siebenjähriges Kind zu erziehen und zu bilden, wird heute vom pädagogischen Personal ein Universitätsabschluss mit anschließendem Referendariat verlangt. Für die Erziehung und Bildung eines sechsjährigen Kindes aber reichen ein Realschulabschluss und eine anschließende dreijährige Ausbildung, wovon ein Jahr manchmal sogar noch ein weitgehend unbegleitetes Praktikum ist. Soll der Bildungsauftrag der Kindertagesstätten ernst genommen werden, scheint es dringend notwendig, die Ausbildung der Erzieherinnen und Erzieher zumindest auf Fachhochschulniveau anzuheben." (Helga Ostendorf)

    Die Berufserfahrung täuscht zwar über Vieles hinweg, aber beim Auswählen von Spielen, Projekten, Literatur, Liedern oder alleine im Kommunikations- und Erziehungsverhalten mit dem Kind erkennt man deutliche Defizite. Auch andere Bereiche leiden unter all diesen fehlenden Kompetenzen. Wir stellen schlicht und ergreifend häufig eine geistige und emotionale Überforderung in diesem Berufsfeld fest. Das Bildungsniveau der Erzieherin hat aber einen deutlichen Einfluss auf die Qualität der Arbeit mit Kindern, wobei dieses nicht alleine ausschlaggebend ist. Ich möchte betonen, dass natürlich auch Fachkräfte, die weder Abitur noch einen Hochschulabschluss besitzen, durchaus Herzenswärme, Stressresistenz, Ausdauer und Leidenschaft mitbringen. Wenn es aber um das Thema Bildung und Wissensvermittlung geht, so zeigen sich deutliche Unterschiede zwischen regulär ausgebildeten Kräften und Hochschulabsolventen.

    In Schweden und Frankreich, auch in anderen Ländern, wird daher, ähnlich wie für LehrerInnen, ein 5-jähriges Hochschulstudium gefordert, um mit Kindern arbeiten zu dürfen. Das hat vor allem damit zu tun, dass man sich in diesen Ländern sehr auf den Vorschulbereich konzentriert, der im Allgemeinen dort bereits ab dem 4. Lebensjahr beginnt. Übrigens: In vielen Ländern verdienen Erziehende und Grundschullehrkräfte nahezu Dasselbe und das Ansehen in der Bevölkerung ist entsprechend hoch. So sehen die Ausbildungsdauer und das Ausbildungsniveau in europäischen Ländern aus:

    Studierte Sonderpädagogen am Wickeltisch?

    In den meisten deutschen Kindergärten arbeiten KinderpflegerInnen, HeilerziehungspflegerInnen, ErzieherInnen, studierte Sozial- und HeilpädagogInnen, Ergänzungskräfte und Praktikanten in ein und derselben Gruppe. Leider sind bei der Betreuung der Kinder oft „alle gleich". Die Kinderpflegerin übernimmt manchmal dieselben Aufgaben wie die Erzieherin, bekommt aber deutlich weniger Gehalt und hat, zumindest theoretisch, auch nicht dieselben Rechte. Studierte HeilpädagogInnen stehen genauso oft am Wickeltisch wie alle anderen auch und die Erzieherin leitet spezielle Angebote, die besser von einer höher ausgebildeten Fachkraft abgedeckt würden. Es würde viel mehr Sinn machen, jeden ganz konkret in seinem Bereich einzusetzen. Und das möglichst ausschließlich. Die Heilpädagogin widmet sich mit speziellen Angeboten den Kindern, die besonderer Förderung und Betreuung bedürfen. Die Erzieherin ist zuständig für die Leitung der Gruppe, das Durchführen diverser einfacher Angebote, die Aufsicht der Kinder und für das Dokumentieren und Planen. Die Kinderpflegerinnen hingegen leiten keine Gruppe und keine Praktikanten an. Sie sind im Hygienebereich tätig und arbeiten den Kolleginnen zu. Ihre Ausbildungszeit ist die kürzeste, ihr Gehalt das niedrigste. Die Sozial-, Sonder- und Heilpädagoginnen sollten den Vorschulbereich abdecken (Sprache, Inklusion, Naturwissenschaften etc.) und ggf. zusammen mit der Leitung (nach Absprache mit dem restlichen Personal) spezielle Elterngespräche führen. Den musischen Bereich sollten nur Profis übernehmen, also Musiker und Künstler - im Idealfall Fachkräfte, die eine zusätzliche musikalische oder künstlerische Ausbildung genossen haben.

    Diese wenigen Beispiele zeigen, dass es eigentlich nicht sinnvoll ist, alle Fachkräfte in gleicher Weise einzusetzen. Wenn jeder seine festen Aufgaben hat, die seiner Kompetenz entsprechen, sind alle zufriedener und es herrscht zudem mehr Klarheit. Sicher ist es sehr schwierig, das alles in die Tat umzusetzen. Aber wenn jeder alles macht, kann keine Qualität entstehen. Wenn Sie eine neue Hüfte benötigen, lassen Sie ja auch nicht Ihren Dermatologen die OP durchführen, auch, wenn dieser sicher in vielen medizinischen Bereichen grundausgebildet wurde. Spezialist ist der Orthopäde als Facharzt, der in vielen Jahren seine Erfahrungen auf diesem Gebiet gesammelt hat.

    Welche Kompetenzen benötigen Fachkräfte?

    Aus Kostengründen wurde in den letzten Jahren der Ausbildungsstandard für Kita-Fachkräfte nach unten korrigiert. Mittlerweile dürfen in vielen Bundesländern Kitamitarbeiter Kindergruppen leiten, denen es vor noch nicht allzu langer Zeit verboten war:

    • KinderpflegerInnen

    • HeilerziehungspflegehelferInnen

    • Kinderkrankenschwestern

    • Auszubildende oder FsJ-ler (Freiwilliges soziales Jahr)

    • Bufdis (Bundesfreiwilligendienst)

    • EhrenamtlerInnen

    • Aushilfskräfte

    Wir bewegen uns damit in einer juristischen Grauzone, denn diese Personen sind für die Leitung einer Kindergruppe nicht ausgebildet worden und auch nicht vorgesehen. Aus gutem Grund. Es gibt nachweislich große Unterschiede in den einzelnen Qualifikationsbereichen. Genau deshalb unterscheiden sich hier auch die Besoldungsgruppen. Da es aber letztendlich den Kommunen und Trägern vor allem darum geht, Geld einzusparen, um die Menge des Personals hochschrauben zu können, befinden wir uns auf dem Wege der Quantitäts-, aber nicht der Qualitätssicherung! Das hat fatale Folgen, die in diesem Buch noch angesprochen werden.

    Im Grunde genommen arbeiten in vielen Kitas und auch anderen Tageseinrichtungen Menschen mit Ihren Kindern, die eigentlich nicht fachlich ausgebildet wurden. Das wäre nicht weiter tragisch, wenn es um die reine Organisation, Beaufsichtigung und Bespaßung der Kinder ginge. Aber ich spreche vom Bereich der pädagogischen Arbeit, der Förderung und Reifestandfeststellung, dem Umgang mit verhaltensauffälligen Kindern oder solchen, die eine spezielle Förderung benötigen. Auch geht es um die Gesprächsführung mit Eltern und Behörden, die von immenser Bedeutung ist. Gibt es für all diese Bereiche wirklich genug fachkompetentes Personal?

    Was zeichnet eine gute pädagogische Fachkraft eigentlich aus?

    Die einen sagen, die Fachkompetenz sei das Wichtigste. Die anderen sind der festen Überzeugung, emotionale und soziale Kompetenz stünden im Vordergrund. Keiner aber wagt es, beides gleichzeitig einzufordern. Denn genau das macht einen wirklich guten Pädagogen aus! Ein Mensch, der liebevoll, aber auch konsequent mit den Kindern umgeht, ist sicher eine sehr beliebte und gute Betreuungsperson. Aber gerade in der heutigen Zeit wird Fachkompetenz immer wichtiger. Natürlich spielt die Berufserfahrung eine nicht zu unterschätzende Rolle. Keine Frage. Auch Zertifikate über mehrere Fortbildungen sind ein Zeichen von Kompetenzerweiterung. Seminare zu den Themen Inklusion, Kindeswohlgefährdung, Erste-Hilfe-Maßnahmen am Kleinkind, Sprachförderung, Sprachstandsfeststellung (z.B. „BASIK"), Konflikt-management, Umgang mit schwierigen Kindern und Eltern, Gesprächsführung und Hygieneschulung sind da nur ein kleiner Auszug. Und wenn man Kita-Leitung oder stellvertretende Leitung werden möchte, muss man im Personalsführungs- und Verwaltungsbereich ebenfalls Referenzen vorweisen können.

    Nun kommt aber der springende Punkt. All diese Kompetenzen nutzen rein gar nichts, wenn diese Person keine Herzensbildung hat. Sie muss dem Kind Vorbild sein in Güte, Aufrichtigkeit, Konfliktfähigkeit, Frustrationstoleranz und Empathie. Sowohl ein gepflegter Sprachstil als auch der Tonfall, in dem man mit Menschen kommuniziert, sind fast noch wichtiger, als das Beherrschen der deutschen Sprache an sich.

    Und jetzt fragen Sie sich einmal ganz kritisch, wie viele Kita-Angestellte sie kennengelernt haben, die diese ganzen Eigenschaften vereint in sich tragen. Ich selber habe in einigen Einrichtungen mit den unterschiedlichsten Personen gearbeitet, habe aber bedauerlicherweise nur ein „Entweder/Oder" erlebt. Wie können wir erreichen, dass nur die Besten der Besten mit unseren Kindern zusammen sind? Oder gibt es sogar eine Möglichkeit, diese Bereiche aufzuteilen? Angenommen, es würden mehr Gelder in den Bereich Kita fließen, dann sähe meine persönliche Besetzung folgendermaßen aus:

    Klares Abstecken der Fachkompetenzbereiche

    Vorschule, Naturwissenschaften, Naturerfahrungen, Sprachförderung, Musik, Kunst, Sport, Inklusionsbetreuung bzw. Förderbedarf, Büroarbeiten, Personalführung – all das und viel mehr müsste von speziellen Fachkräften abgedeckt werden, sodass die Erzieherinnen für (An-)Leitung und Führung der Kinder(-gruppen) sowie Organisatorisches da sind, die Heilerziehungspflegerinnen und deren Helferinnen sich hauptsächlich um die Bedürfnisse der inklusiven Kinder und deren Integration in die Gruppe kümmern, die Kinderpflegerinnen für die körperliche/hygienische Seite und das Zuarbeiten, die Hilfskräfte als Ergänzung und die Praktikanten, um zu lernen und ihre Angebote unter Aufsicht durchzuführen. Für alles andere müssten entweder spezielle Kräfte fest angestellt oder von außen regelmäßig dazu geholt werden. Dies wiederum wäre ein idealer Job für Teilzeitkräfte, die ausschließlich für ihren Fachbereich stundenweise in eine oder auch mehrere Einrichtungen kämen. Die Bezahlung liefe über den Träger der Einrichtung (z.B. Übungsleiterpauschale, Honorarbasis oder Mini-/Midijob), sodass es letztendlich keine Rolle spielte, ob diese Fachkraft in einer oder mehreren Einrichtungen arbeitete. Ein Rotieren würde damit ermöglicht und vereinfachte bürokratische Vorgänge. Bei einer solchen Aufteilung fühlte sich keiner über- oder unterfordert, jeder hätte seinen speziell zugewiesenen Bereich und sein Aufgabengebiet. Alle Kinder kämen zu ihrem Recht und die Eltern wären beruhigt, was die Sicherstellung einer adäquaten Betreuung ihres Kindes beträfe. Doch diese Forderungen stehen immer noch im Konjunktiv… Ein weiterer Vorteil des Outsourcings bzw. der Spezialisierung der einzelnen Fachkräfte wäre, dass die Erzieherinnen nicht nur entlastet würden, sondern der Stresspegel sinkt. Es wäre wieder möglich, einfach mal „nur" zu spielen, zu beobachten, vorzulesen, den Mal- und Basteltisch zu betreuen und nicht ständig alle Bereiche auf einmal abzudecken. Die Beaufsichtigung und Versorgung der Kinder stellt ohnehin schon eine große Herausforderung dar. Sich mit ihnen intensiv zu beschäftigen, ist an manchen Tagen schier unmöglich. Es muss uns doch klar sein, dass es undenkbar ist, alle Bereiche in der Kita durch beliebige Mitarbeiter qualitativ hochwertig abdecken zu können! Dann müssten sie in folgenden Bereichen gleichermaßen hoch kompetent und einsetzbar sein, was weder fachlich noch zeitlich grundsätzlich leistbar wäre:

    • Organisation und Planung

    • Beobachtung und Dokumentation

    • Raumplanung

    • Elterngespräche/Gesprächsführung

    • Einstellungsgespräche

    • Entwicklungsstandsfeststellung

    • Datenerhebung

    • Gruppenleitung

    • Streitschlichtung/Konfliktmanagement

    • Inklusion (Betreuung, Versorgung und Förderung beeinträchtigter Kinder)

    • Sprachförderung/Vorlesen (Literacy)

    • Theater/Lyrik

    • Sport/Psychomotorik

    • Entspannungsangebote

    • Naturwissenschaften

    • Kunst

    • Musik

    • Werken

    • Naturerlebnis

    • Hauswirtschaftlicher Bereich

    • Kochen/Backen

    • Vorschulförderung/-programm

    • Festgestaltung

    • didaktische Reihen

    • Reinigung, Instandhaltung und Qualitätsüberwachung aller Einrichtungsgegenstände und Spielmaterialien

    • Essensausgabe

    • Küchenhygiene

    • Hygiene am Kind

    • Täglich anfallende Wäsche

    • Stühle hochstellen, kehren und Müllentsorgung

    • Sicherheitsüberwachung

    Aber genau das wird mittlerweile von fast allen Angestellten in einer Kita gefordert. Egal, welchen Ausbildungsgrad sie besitzen, egal, wie hoch oder niedrig ihre Bezahlung ist. Da liegt die Ursache für eine große Unzufriedenheit im Team. Die Landesregierungen sollten sich darüber im Klaren sein, dass ihr Geld gut in eine Spezialisierung einzelner Mitarbeiter investiert wäre, denn es geht letztendlich um Qualitätssicherung und damit um eine hochwertige Betreuung der Kinder.

    Das Thema „Ehrenamt" spielt hierbei eine nicht zu unterschätzende Rolle. Eltern oder andere Außenstehende, die eine bestimmte Fachkompetenz besitzen, sollten unbedingt versuchen, sich mit einzubringen. Es gibt so viele Väter, Mütter oder sogar Großeltern, die Musiker, Förster, Naturwissenschaftler, Mechaniker, Schreiner, Künstler oder Lehrer sind. Selbst jemand, der in regelmäßigen Abständen mit ein paar Kindern backt, Marmelade kocht oder andere hauswirtschaftliche Tätigkeiten betreut, trägt genauso dazu bei, dass die Kinder ihren Horizont erweitern. Alle können helfen, den Qualitätsstandard der Einrichtung zu verbessern. Aber in erster Linie fehlt es an klaren Bestimmungen, wer etwas im pädagogischen Bereich anbieten darf und wer nicht. Das war vor 25 Jahren noch klar geregelt und niemand hat sich darüber beschwert…

    Zum Schluss dieses Kapitels möchte ich eine ehemalige Kollegin zitieren, deren Aussage für mich verdeutlicht, dass selbst eine pädagogische Ausbildung keine Garantie für eine wertvolle Arbeit mit Kindern ist. Ich wagte es einmal, nach mehrmaligen für mich auffälligen Verstößen gegen jegliche pädagogischen Grundregeln, ihre Vorgehensweisen vorsichtig infrage zu stellen. Und sie meinte ganz lapidar: „Das ist mir doch egal, was da andere denken. Ich mache das sowieso, wie ich das für richtig halte. Meine Mutter hat das auch so gemacht und ich fand das immer gut." Ich dachte nur: „Dann bist Du in einem Kindergarten mit genau dieser Einstellung komplett verkehrt am Platz!" Und leider sind mir sehr viele solcher Kolleginnen und Kollegen mit einer derartigen Haltung begegnet …

    Die Familie früher und heute

    Der Familienwandel innerhalb der letzten 150 Jahre

    Zunächst einmal müssen wir etwas klarstellen. Familien hatten früher nicht mehr und nicht weniger Kinder als heute. Und Frauen haben sich auch nicht deutlich mehr persönlich um ihre Kinder gekümmert als heute. Allerdings (und das erscheint mir sehr wichtig) hielten sich die Mütter, oft auch die Väter, in der Nähe ihrer Kinder auf und waren damit Ansprechpartner und Vorbild. Das lag daran, dass der Arbeitsplatz meist fußläufig erreichbar war oder es sich sogar um den heimischen Betrieb handelte: Der Bauernhof, die Schreinerei, die Metzgerei, die Bäckerei, der „Tante-Emma"-Laden oder die Wäscherei im Dorf.

    Das Kind kam mittags aus dem Kindergarten oder der Schule nach Hause und war nicht allein. Oft wohnten auch Verwandte im selben Haus, zumindest aber um die Ecke. Und selbst, wenn die direkten Familienangehörigen nicht in unmittelbarer Nähe wohnten, fing das soziale Umfeld diese Kinder auf.

    Nicht selten lebten Kinder sehr lange im Elternhaus, bis sie auf eigenen Füßen standen. Manchmal übernahmen sie mit ca. 30 Jahren den Betrieb der Eltern und arbeiteten davor so lange im elterlichen Betrieb mit. Nach der Hochzeit blieb diese Generation entweder im Haus der Eltern wohnen oder zumindest im selben Ort. Dadurch entstand eine enge Vernetzung aller Familien- und Dorfmitglieder, in denen sich Kinder geborgen und sicher fühlen konnten.

    Im Vergleich zu damals hat sich die Fremdbetreuungs- und Schul-/Ausbildungszeit deutlich erhöht. Die Kinder sind viel mehr außer Haus. Eine Ursache dafür ist natürlich, dass häufig sowohl Vater als auch Mutter heutzutage berufstätig sind – und das mit teilweise großer Entfernung zum Wohnort. Zum anderen hat es viel mit Prestige und gesellschaftlichem Druck zu tun. Kinder müssen bestmöglich ausgebildet und gefördert werden, Frauen müssen berufstätig sein, um dem aktuellen Frauenbild zu entsprechen. Mütter, die sich ganz bewusst dazu entscheiden, ihr Kind relativ lange zu betreuen und auch danach zu Hause bleiben, haben es aus finanzieller und gesellschaftlicher Sicht sehr schwer und sind daher eher die Ausnahme geworden.

    Heute werden viel mehr konfessionelle Mischehen geschlossen als früher. Somit haben kirchliche Feste und Traditionen kaum noch Platz im Alltag. Brauchtumspflege und gemeinsame Familienzeiten im eigenen Zuhause oder engeren Umfeld haben keinen hohen Stellenwert mehr. Kommerzielle Freizeit findet außerhäuslich statt. Kino, Indoor-Spielplätze, Freizeitparks und Kurse (Musik, Sport etc.) gehören mittlerweile zur Normalität, da die Arbeitszeiten der Eltern weniger und die Urlaubstage mehr geworden sind. So passiert es schnell, dass Kinder und auch Eltern vollkommen verplant sind. Echte „Freizeit gibt es eigentlich gar nicht mehr. Die Terminkalender sind voll und das führt oft zu Stress, denn die geplante Freizeit ist häufig nur mit Auto oder öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar. Diese exakte Zeitplanung macht ein notwendiges Durchatmen äußerst schwer. So kommt es, dass Kinder auch keine Langeweile mehr kennen, Animationsprogramm fordern und nicht dazu in der Lage sind, eigene Spiele zu entwickeln, kreativ werden zu müssen oder nur in Ausnahmefällen für das „einfache Spielen zu begeistern sind.

    Alleinerziehende Eltern

    Besonders schwierig wird es, wenn Mütter oder Väter alleinerziehend sind und keine Unterstützung erhalten. Alleinerziehende Elternteile gab es übrigens auch früher.

    „Geändert hat sich nur, dass die Ursachen nicht mehr im vorzeitigen Tod eines Elternteils liegen, sondern in der hohen Scheidungsrate: Beispielsweise stieg in Bayern die Zahl der Scheidungen auf je 1.000 Eheschließungen von 6 in den Jahren 1936/40 auf 274 im Jahr 1986. Viele Kindergartenkinder sind von der Scheidung ihrer Eltern betroffen, da sich diese zumeist in den ersten Ehejahren trennen. Hier müssen wir bedenken, dass es Kindern in der Regel schwerer fällt, das Auseinanderbrechen ihrer Familie zu verarbeiten, als den Tod eines Elternteils. Zum einen geht der Scheidung eine lange Phase der Konflikte und Entfremdung voraus, ist sie mit vielen Auseinandersetzungen verbunden. Dies belastet Eltern und Kinder, verschlechtert die Erziehungsleistung der Familie. Zum anderen existiert der nichtsorgeberechtigte Elternteil weiter, besteht die Gefahr der Fortsetzung von Konflikten und pathogenen Beziehungen. Auch das Leben in Stieffamilien wird oft hierdurch belastet. So ist eine andere Situation gegeben als bei Teil-oder Zweitfamilien in früheren Jahrhunderten."

    (Martin R. Textor)

    Das Jahr 1986 liegt weit zurück, doch es wird deutlich, wie sehr bereits innerhalb von 50 Jahren die Scheidungsrate angestiegen ist. 2005 war sie am höchsten, seitdem

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