Erinnerungen eines weißen Jahrgangs: Wie ein cleverer Knirps die Kriegs- und Nachkriegsjahre in Leipzig überlebte, auf dem Weg zum Staatspräsidenten in den Westen flüchtete und zum erfolgreichen Unternehmer avancierte
By Rolf Naumann
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About this ebook
Auf authentische Weise, in lockerem Erzählton beschreibt der Autor in seinem Erstlingswerk "Erinnerungen eines weißen Jahrgangs" in oftmals augenzwinkernden Rückblicken seinen ungewöhnlichen Lebensweg von der Kindheit während des Kriegs und in den Nachkriegsjahren mit seinen Erlebnissen als Schüler auf "Hamsterfahrt" per Zug in den Westen über seine Flucht als Jugendlicher via West-Berlin und seine Ankunft im Flüchtlingslager Stukenbrock bis hin zum Neuanfang in Bielefeld in Ostwestfalen-Lippe, wo er zusammen mit seiner Ehefrau Karin ab Beginn der 1960er Jahre erfolgreich als Unternehmer wirkte und drei Söhne aufzog.
Das Buch endet mit der Beschreibung des Coups im Sommer 1990, bei dem der Verkauf der beiden Familienunternehmen für drahtgebundene und drahtlose Fernmeldetechnik an eine deutsche Aktiengesellschaft gelingt.
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Book preview
Erinnerungen eines weißen Jahrgangs - Rolf Naumann
1. Kapitel
Ein tränenreicher Abschied
„Sondermeldung, Sondermeldung tönte es aus der „Goebbels Schnauze
(1). Wir schrieben das Jahr 1940, der Beginn meines Erinnerungsvermögens. Ich war ein fünfjähriger Knirps und mein Vater (2) seit September 1939 bei der Wehrmacht. Deutschland befand sich im Krieg mit Polen und Frankreich und ich kann mich noch gut an den ersten Urlaub meines Vaters erinnern. Er brachte mir einen Baukasten und ein Miniaturauto aus Frankreich mit. 1941 begann der Krieg mit Russland und er kam an die Ostfront. Smolensk und Witebsk hießen die Orte, von denen er schrieb. 1941 kehrte er halb erfroren und krank zurück und wurde in ein Krankenhaus nach St. Pölten (3) gebracht.
Dank der finanziellen Hilfe meiner Tante Friedei (4) konnten meine Mutter (5) und ich meinen Vater im Krankenhaus besuchen. Wir blieben sechs Wochen und ich ging nun vorerst in St. Pölten in die Schule. Dort wurde noch die Sütterlinschrift gelehrt, welche ich schnell beherrschte. Bei einem Ausflug in die Wachau (6) beeindruckten mich besonders das Stift Melk mit der schönen Aussicht auf die Donau und die Ruine Dürnstein. In Spitz an der Donau bin ich zum Zeitvertreib mit der Fähre von einem Ufer zum anderen gefahren, bis meine Eltern vom Einkaufen zurückkamen.
Es war Frühjahr und wir fuhren mit der Mariazeller Bahn nach Mariazell (7). Zum ersten Mal sah ich dort die schneebedeckten Berge. Schon aus weiter Ferne funkelte mich der Ötscher (8) an. Wenig später kam mein Vater zu einer Genesungskompanie nach Metz (9). Fortan ging ich dort zur Schule. Meine Mutter und ich hatten ein Zimmer bei einer älteren Dame gemietet. Diese sprach allerdings nur französisch. Schon als Kind von sieben Jahren hatte ich den Eindruck, dass kein Mensch Deutsch sprach oder sprechen wollte. Um meine neue Umgebung zu erkunden, bin ich mehrmals auf eigene Faust losgezogen. Mit der Straßenbahn von einer Endstelle zur anderen pendelnd, habe ich nach und nach alle Linien abgefahren und die Stadt kennen gelernt.
Auf einer langen Fahrt mit meiner Mutter zu meinem Vater nach Metz hatte ich meine ersten Erlebnisse mit dem Krieg. Wir waren abends mit dem Schnellzug von Leipzig abgefahren. Auf der Höhe von Frankfurt gab es plötzlich Fliegeralarm. Die mitreisenden Landser beobachteten aus dem verdunkelten Fenster das Geschehen. Scheinwerfer erleuchteten den Himmel – sie sollten die feindlichen Flugzeuge in das Licht ziehen. Ich bin irgendwann eingeschlafen. Im frühen Morgenlicht sah ich in Saarbrücken die ersten zerbombten Häuser.
Einmal haben wir in Gravelotte, rund 15 Kilometer von Metz entfernt, das Grab eines Onkels meines Vaters gesucht und tatsächlich auch gefunden. Dieser Onkel war im 19. Jahrhundert im Deutsch-Französischen Krieg (10) gefallen. Das Grab war noch gut erhalten.
Wir wohnten damals in der Nähe der Kaserne in Martinsbann (11). Die Kaserne selbst, in der mein Vater und seine Genesungskompanie untergebracht waren, durften meine Mutter und ich allerdings nicht betreten. Sieben bis acht Wochen ist er dort geblieben – dann wurde mein Vater wieder „kv („kriegsverwendungsfähig
) geschrieben.
Für ein paar Tage Urlaub hat er uns noch einmal nach Leipzig begleitet, dann musste er wieder an die Ostfront. Meine Mutter und ich sind mit ihm vom Hauptbahnhof aus eine kleine Strecke mitgefahren. Es war ein tränenreicher Abschied im Zug. Mit der Straßenbahn sind wir zu zweit zurück nach Hause gefahren. Das war das letzte Mal, das ich meinen Vater gesehen habe.
Jetzt kam der Krieg immer näher. Wir wohnten