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Free Lilly: Happiness statt Hamsterrad - Reiseberichte einer Aussteigerin
Free Lilly: Happiness statt Hamsterrad - Reiseberichte einer Aussteigerin
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Ebook348 pages5 hours

Free Lilly: Happiness statt Hamsterrad - Reiseberichte einer Aussteigerin

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About this ebook

Was macht man, wenn die Wunschliste fürs Leben mit vierzig schon abgearbeitet ist? Von vorne anfangen? Glücklich sein? Zusammenbrechen? Oder wie wär's mit: unzufrieden in einen Burnout
schlittern?
Zwei Hörstürze reichten nicht aus ... Erst durch das Burnout fühlte sich die Autorin genötigt, intensiv
nach innen zu horchen, um den Ursachen für ihre Depressionen auf die Schliche zu kommen. Ein komplettes Umdenken und Loslassen alter Strukturen erschien ihr lebensrettend. Und so wurde aus
dem Traumhaus ein Wohnmobil, aus der Beamtin eine Aussteigerin, aus der Ehefrau ein Single, aus
der materiellen Komfortzone ein "back to basics" und aus der ausgebrannten Lehrerin und Mutter eine abenteuerlustige Lilly.
In ihrem Buch "Free Lilly" beschreibt die Autorin in Form von Reiseberichten, welche
bahnbrechenden Erfahrungen sie machen darf, nachdem sie den Schritt in die Freiheit gewagt hat.
Mitreißend und humorvoll schildert sie ihre abwechslungsreichen Reiseabenteuer mit interessanten Menschen und bissigen Tieren, sowohl in Europa als auch in Asien. Mal lebt sie in der freien Natur,
mal in Hütten, mal in ihrem Wohnmobil oder auf einem Segelschiff.
Wem das Buch von Hape Kerkeling "Ich bin dann mal weg" gefällt, dem wird dieser individuelle Mix aus Reiseabenteuer, Humor, Biografie und Lebensweisheit einer mutigen Frau ebenfalls eine
besondere und herzerfrischende Leseerfahrung sein.
LanguageDeutsch
Publishertredition
Release dateFeb 27, 2020
ISBN9783749735624
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    Book preview

    Free Lilly - Lilly Lynn

    1. Reisebericht: Ausstieg geschafft, Asien, ich komme …

    Das Haus ist verkauft. Ich habe noch die ganze Nacht vor meiner Abreise Kartons gepackt und geputzt. Nach drei Stunden Schlaf erschreckte mich der Blick nach draußen: Schnee! Schnell bestellte ich mir ein Taxi, und als es da war, kam der besondere Moment: Ich schloss zum letzten Mal mein Haus ab. Ich tat es mit viel Bedacht. Und die Tränen, die da meine Wimperntusche auf Wasserfestigkeit testen wollten, fühlten sich wundervoll an. Denn sie verkündeten keine Traurigkeit, sondern Erleichterung. Mir fiel ein Stein vom Herzen. So sehr ich dieses Haus auch mochte, es war mir sechs Jahre lang eine große Belastung gewesen. Ich hatte das Gefühl, nun freier atmen zu können. Ach schön … das fühlte sich gut an.

    Am Berliner Flughafen angekommen … fühlte ich mich nicht mehr so gut. Denn die Dame am Schalter bemängelte mein „Übergewicht. Mein lieblos in Eile gepackter Koffer sprengte die Toleranzgrenze. Sie meinte, ich soll mal eben schnell 4 kg aus dem Koffer verschwinden lassen. Ich packte alles, was mir sehr gewichtig" erschien, in meinen Rucksack. Blöderweise wurde ich wenig später beim Durchleuchten aufgefordert, auch das gesamte Handgepäck offenzulegen. Ich hatte versehentlich die Sonnencreme umgebettet und ein Schluck in meiner Wasserflasche erweckte ebenfalls das Misstrauen des Flughafen-personals. Als ich dann auch noch gebeten wurde, mich teilweise auszuziehen, reagierte ich mit entsprechender Nervosität. Ich hatte das Gefühl, dass mein Deo versagt. Wie unangenehm. Und diese lange Schlange hinter mir und die vielen Augenzeugen … oje, ich will da gar nicht mehr dran denken. Als ich dann endlich durchgewinkt wurde, war ich so durch den Wind, dass ich mich sehr tollpatschig verhielt. Mir fiel laufend etwas herunter, oder ich rempelte Mitreisende an. Auf dem Inlandsflug nach Frankfurt konnte ich mich dann aber beruhigen. Naja, und dieser große Jumbojet von Singapur-Airline, der mich anschließend nach Asien fliegen sollte, sah einfach sehr verheißungsvoll aus. So etwas stylisch Buntes und luxuriös Ausgestattetes hatte ich noch nie gesehen. Das Ganze kam mir etwas irreal vor und verzauberte mich wie ein Märchen aus Tausendundeiner Nacht. Total fasziniert verflüchtigte sich die Aufregung der letzten Stunden in Minutenschnelle. Und ich hatte das Gefühl: Das wird der beste Flug meines Lebens! Ich war zwar kurz mal ein bisschen enttäuscht, als ich feststellte, dass ich einen Mittelplatz hatte, obwohl ich Fenster gebucht hatte. Aber ich dachte mir: Na, irgendeinen Sinn wird das schon haben. Und es war einfach goldrichtig. Rechts neben mir saß Jürgen, ein supernetter und angenehmer Handwerker aus dem Süden Deutschlands. Links neben mir nahm Totti Platz. Ich habe ihn sehr groß, fast ein bisschen schlaksig und supersympathisch in Erinnerung. So konnte ich mich mal links und mal rechts ein bisschen anlehnen. Und von links wurde ich zu vorgerückter Stunde nicht nur mit diversem Knabberzeug und Getränken, sondern auch mit ein paar Liebesbekundungen versorgt. Wir waren ein super Trio. Die 10 Stunden vergingen sprichwörtlich wie im Fluge. Zum Schlafen bin ich gar nicht gekommen, fühlte mich aber nach insgesamt 22 Stunden Anreise topfit.

    Endlich in Vietnam gelandet, lief mir sogleich der Schweiß in Strömen am Körper runter. Dieses Mal aber nicht vor Aufregung. Nein, ich hatte vergessen, rechtzeitig die warmen Socken und die lange Unterhose auszuziehen. Schwitz, stöhn … bei gefühlten 40 Grad im Schatten. Gott sei Dank hat der Abholservice von meinem Kumpel Ralf super funktioniert. Ralf ist ein guter Freund von mir, der für zwei Jahre im Ausland arbeitet und mich eingeladen hat. Ich wurde von ihm mit einem klimatisierten Taxi abgeholt und inklusive Dolmetscher ins südliche Umland von Saigon gebracht.

    Einen Jetlag hatte ich übrigens nicht. Wer meinen Trick ausprobieren will … hier ist er: Ich habe bei der Ankunft am Zielflughafen zu meinem Körper gesagt: „So mein Lieber … es ist jetzt 8: 34 Uhr Ortszeit. Und ich möchte, dass du dich so verhältst, als wenn du die ganze Nacht prima geschlafen hättest. Eine Zuwiderhandlung lasse ich nicht gelten. Punkt!"

    In der Provinz angekommen, wurde erst mal die traditionelle Suppenküche ausprobiert. Wow, lecker! Ich könnte mich reinlegen in das Zeug. Auch das andere Essen … einfach alles köstlich. Mittlerweile bestellen wir nur noch frei nach Schnauze. Also, wir zeigen auf irgendetwas auf der Karte und dann sind wir gespannt, was es wohl dieses Mal ist (hoffentlich kein Schlangenherz oder Eier mit Embryonen als Dotter). Bislang hatten wir nur eine Überraschung dabei: gebratene Hühnerfüße mit Krallen. Vom ersten Schreck erholten wir uns recht schnell und kosteten mit langen Zähnen und spitzen Fingern. Unser Urteil: Es sah furchtbar aus, schmeckte aber vorzüglich.

    Ja, mit der Verständigung ist es hier echt total schwer. (Ralf hat zwar schon ein paar Stunden Vietnamesisch-Unterricht hinter sich, aber die Umsetzung ist doch gar nicht so einfach.)

    Die erste Nacht war ich in einem Hotel untergebracht. Da war es einigermaßen ruhig. Denn am Tag meiner Ankunft war hier abends Halligalli. Die Asiaten feiern ihr Neujahr tet erst im Februar und dann eine Woche lang. Und so habe ich also dieses Jahr zweimal reingefeiert. Dank tet sind hier auch die Geschäfte, Restaurants usw. tagelang geschlossen. An etwas Essbares zu gelangen, ist mitunter gar nicht so einfach.

    Einen Tag später hatten wir vor, Ralfs neues Haus zu beziehen. Blöderweise wollte mich der Taxifahrer mit dem ganzen Gepäck am falschen Ende des Wohngebietes absetzen. Und der liebe Ralf war mit seinem Moped plötzlich verschwunden. Oje, interessante Situation. Der Taxifahrer war jedoch ziemlich pfiffig, und nach einem Telefonat und ein bisschen Angstschweiß meinerseits fand er das Haus: drei Etagen, riesige Dachterrasse, zwei Küchen, zwei Bäder und für hiesige Verhältnisse recht nobel ausgestattet. Wenn ich in der untersten Etage im Bett liege, habe ich das Gefühl, dass die Mopeds durch mein Bett fahren … eines nach dem anderen und das die ganze Nacht. Aber das schärfste Geräusch macht Nachbars Eunuchen-Hahn. Also nee, das ist ein Vogel! Ich habe heute schon ein ernstes Wort mit ihm geredet. Er kann echt froh sein, dass ich so entspannt bin, sonst hätte ich ihm schon eine Geschlechtsumwandlung verpasst … oder ihm den Weg in den Suppentopf gewiesen.

    Ja, ruhige Ecken sucht man hier vergeblich. Wenn ich Süd-Vietnam mit nur einem Wort umschreiben sollte, würde mir wahrscheinlich als Erstes: Laut! einfallen.

    Gestern haben wir mit dem Moped einen Trip ans Meer gemacht. Wir waren 9 Stunden unterwegs, inklusive zweier Reifenpannen. Und obwohl niemand Englisch verstand … uns wurde immer sofort geholfen. Da die Leute in dieser Gegend vermutlich noch nie eine ´Langnase´ gesehen haben, fühlt man sich bei Auftritten in der Öffentlichkeit wie ein Star. Besonders die Kombination von blauen Augen mit blondgelocktem Haar ruft hier eine unglaubliche Entzückung hervor. Bei unserem Ausflug gestern sind wir in ein Volksfest geraten. Da musste ich echt flüchten. Das war zu viel Aufmerksamkeit auf einmal. Mir kam der Gedanke, dass es für europäische Menschen mit Minderwertigkeitskomplexen eine interessante, vielleicht sogar sehr heilsame Erfahrung sein könnte: So ein Bad in der Menge, die einen unglaublich liebevoll, interessiert und fasziniert beäugt und teilweise auch anspricht.

    Also, wie gesagt, die Leute sind absolut rührend, sehr natürlich und superfreundlich.

    Morgen wollten wir eigentlich mit dem Flieger zu einer tollen Insel fliegen. Leider befindet sich auch die Fluggesellschaft in tet-holiday, und so mussten wir unseren Plan ändern. Jetzt wird es wieder eine mehrstündige Fahrt mit dem Motorroller zu einem Sandstrand und einer warmen Quelle. Aua. Mein Popo tut noch von gestern weh. Aber das Moped fahren macht auch echt viel Spaß. Dieser Straßenverkehr ist ein gutes Beispiel dafür, dass Chaos hervorragend funktionieren kann, wenn alle wachsam und vorsichtig sind. Ich bin jedenfalls von diesem Gewusel auf der Straße total fasziniert und sehr glücklich, dass mein Freund Ralf das Prinzip schon so sicher beherrscht.

    Bei dem Versuch, einen Traumstrand zu finden, waren wir drei Tage und gefühlte 500 km unterwegs. Aber das Objekt unserer Begierde blieb uns verwehrt. Dafür haben wir wieder getreu unserem Motto, der Weg ist das Ziel, jede Menge Spaß, Popo- und Kreuzschmerzen gehabt. Das Knattern der Motorroller hörte sich irgendwann wie eine Sinfonie an. Gegen die pralle Sonne half Schutzfaktor 30 und entsprechend viel Stoff auf dem Körper. Den Straßenstaub habe ich tapfer eingeatmet und bei der Hotelsuche waren viel Ausdauer und Toleranz von Nöten. Die Strände, die wir eroberten, waren bei Tageslicht wenig sehenswert. Und diese unglaublichen Müllberge überall konnte ich zwar ganz gut akzeptieren, jedoch einfach nicht liebgewinnen. Aber bei Mondschein im Liegestuhl unter der Milchstraße ein Bierchen zu süffeln … das hatte was und entschädigte uns für fehlende Bademöglichkeiten. D.h., Ralf hatte sich ja einmal ins Wasser des Südchinesischen Meeres gewagt. Als er raus kam, hatte er etliche Erdölkleckse am Körper. Und die waren so klebrig, dass wir sie nur mit parfümierten Erfrischungstüchern abbekommen haben. Ohne Kommentar!

    Als Plan B hatten wir uns einen Besuch der heißen Quellen vorgenommen. Und das war dann auch ein superschönes Erlebnis. Von dem warmen Thermalwasser fing ich (fast) an zu schielen … Es war irre heiß, doch die anschließende Ganzkörpermoorpackung und dann noch eine Fußmassage, entschädigten uns für so einiges. Und diese 90 Minuten waren echt der Knaller. Einen kurzen Moment lang sah es sogar so aus, als wenn wir unseren Vorsatz, platonische Freunde zu bleiben, nun über den Haufen werfen würden. Aber wir blieben artig.

    Nach dieser Tour (wir hatten übrigens nur eine Reifenpanne) war ich ganz schön knülle, und so legte ich mich bei Ralf zu Hause noch zwei Tage auf die faule Haut.

    Am Montag hieß es dann Abschied nehmen. Und dieser fiel ziemlich emotional aus. Ich wusste nicht genau warum, aber ich heulte am Flughafen, als ich mich noch einmal zu Ralf umdrehte.

    Dann stieg ich in den Flieger nach Thailand …

    2. Aus dem Süden Vietnams in den Norden Thailands

    Eigentlich war ja geplant, dass ich am Gate in Bangkok auf mein `Blind Date` treffe. Ich hatte mich mit einem Kumpel eines Freundes verabredet: Matthias aus Berlin. Wir hatten vorab einmal miteinander telefoniert und uns ein Erkennungsfoto gemailt. Blöderweise konnte ich ihn am Gate nicht entdecken. Und sämtliche Männer, die auch nur im Entferntesten in Frage kamen, mussten sich von mir mehrmals durchscannen lassen. Und einen habe ich sogar angequatscht. Ich konnte es einfach nicht fassen: kein Matthias weit und bereit. Und so saß ich allein und mit erhöhtem Adrenalinspiegel im Flieger. Mein Gott, war ich aufgeregt. Als ich landete, kam aber eine SMS. Er war schon vorgeflogen, aber noch am Flughafen in Chiang Mai, da sein Gepäck erst mit meiner Maschine anreiste. Viele, viele SMS ´n waren nötig, bis wir endlich einander gegenüberstanden. Wir hatten etliche gemeinsame Gesprächsthemen und beschlossen, im selben Hotel einzuchecken, um in den Folgetagen Chiang Mai gemeinsam „unsicher" zu machen. Für den nächsten Tag planten wir einen Ausflug zu einem Kloster, in welches er sich 10 Tage zum Meditieren begeben wollte.

    Die gemeinsamen Stunden empfand ich als sehr bereichernd. Der Gedankenaustausch fand auf sehr hohem Niveau statt, und der Ausflug hat echt Spaß gemacht. Denn wir hatten beschlossen, uns dafür Fahrräder zu mieten. Und so ging es also auf zwei Rädern und per Muskelkraft Richtung Kloster. Wir drehten viele Ehrenrunden, und der Schweiß lief uns in Bächen am Körper runter. Auf den ersten Kilometern war da auch noch ein bisschen Angstschweiß dabei. Das lag wohl an dem Linksverkehr, der besonders bei Abzweigungen Stress bei mir verursachte. Die Karte war ungenau, die Straßenschilder fehlten oft, und die Hilfsbereitschaft der Thais war nur manchmal von Erfolg gekrönt. Wir stellten bald fest, dass man diese freundlichen Menschen in zwei Kategorien einteilen konnte: die In-die-Wüste-Schicker und in die wahren Helfer. Viele Thais können wohl keine Karten lesen, würden es aber niemals zugeben, also schicken sie einen irgendwo hin. Den entscheidenden Hinweis erhielten wir letztendlich von einem Russen, der uns mit seinem GPS-App grandios weiterhelfen konnte. Ohne ihn wären wir wohl noch ein paar Stunden rumgeirrt. Also kamen wir nach ca. 2,5 Stunden und ca. 10 km Fahrweg endlich an. Diese Klosteranlage wirkte auf mich wie eine Beruhigungspille. Ich bin beim Warten am Office in einen ganz merkwürdigen Zustand abgesunken. Ich saß - wie ein Honigkuchenpferd grinsend - total entspannt auf einer unbequemen Bank und freute mich meines Lebens. Endlich floss das Adrenalin ab und ich kam nach 10 Tagen endlich mal wieder zum Meditieren. Wenn mein Englisch besser wäre, hätte ich mich auch gleich für ein 10-tägiges Retreat angemeldet. Mein Gott, war das schön dort. Eigentlich wollte mein Begleiter ja nur die Gegebenheiten erkunden, um ein paar Tage später dort einzuchecken. Aber es folgte eine ziemliche Überraschung: Das Retreat begann an diesem Nachmittag. Der Mönch schlug vor, gleich da zu bleiben. Er rief ein großes Taxi und eh ich mich versah, wurden die zwei Fahrräder und ich ins Taxi verfrachtet.

    Ups! Und plötzlich war ich allein in Chiang Mai. Naja, wirklich allein ist man hier nicht. Denn die Innenstadt ist ziemlich übersichtlich, und man trifft hier viele Leute mehrmals am Tag. Mittlerweile kriegte ich auch recht schnell raus, wer deutsch spricht und wer nicht. Aber auf oberflächliches Geplänkel hatte ich keine Lust, und so verbrachte ich die folgenden Stunden mit mir selbst. Nach der Fahrradtour hatte ich eine tolle Nacht: Ich habe elf Stunden (fast) durchgeschlafen und fühlte mich heute Morgen einfach großartig. Als ich dann beim Frühstück einen unglaublichen Appetit verspürte, futterte ich mich die Karte hoch und runter. Ein Glück, dass hier alles so preiswert ist, sonst hätte ich ganz schön löhnen müssen. Total gestärkt, mietete ich mir noch einmal ein Fahrrad. Ich wollte heute zu einer Schlangenfarm radeln, um meine Phobie gegen diese Reptilienart zu therapieren. Warum ich da erst nach 2,5 Std. ankam, hatte mal wieder mit dem ungenauen Kartenmaterial zu tun. Von den Einheimischen belächelt und von vorbeiratternden Touristen für verrückt erklärt, kämpfte ich mich Kilometer für Kilometer vorwärts. Meine Stimmung korrelierte mit den Straßenbedingungen. Je schwieriger die Umstände, umso mehr Glückshormone konnte ich lockermachen. Ich fuhr als einzige Fahrradfahrerin auf dem Highway. Ein Leopardentuch, das ich mir als Schutz vor Sonnenbrand um die Arme gewickelt hatte, flatterte bald ziemlich wild umher. Ich dachte immer mal: Ich sehe bestimmt aus wie ein Schmetterling. Und ich glaube, dass dieses Tuch mir eine gewisse Narrenfreiheit und genügend Platz auf der Straße bescherte. Danke, Tuch!

    Aber: Hätte ich geahnt, dass mein kleiner Ausflug zu einem Ganztagsritt werden würde, … ich hätte ein Taxi genommen. Echt!

    Als ich schweißgebadet und ziemlich abgekämpft bei der Schlangenfarm ankam, lief gerade eine Show. Die war zwar durchaus sehenswert, hinterließ bei mir aber einen sehr bitteren Beigeschmack. Und das Bittere wurde immer bitterer, als ich sah, wie unwürdig die Tiere dort gehalten wurden. Mich überkam so ein Mitgefühl, das ich das Bedürfnis hatte, nahezu jeder Schlange Kraft zuzusprechen. Aber irgendwie kam ich mir wie jemand vor, der Sterbebegleitung macht. Die Tiere waren in einem erbärmlichen Zustand!!! Und mich hatte diese Aktion so mitgenommen, dass ich für den Heimweg jetzt aber ganz bestimmt ein Taxi haben wollte, da ich mich plötzlich auch erbärmlich fühlte. Aber nach vier Versuchen gab ich auf. Mich hätten die Taxis ja sofort transportiert, aber nicht meinen Drahtesel. Und selbst die Gütertaxis winkten nur müde ab. Also rauf auf den Esel und ab auf den Highway. Ich war leicht angesäuert, gab ziemlich Gas und machte keine Pause. So konnte ich nach 1,5 Stunden die Ziellinie überqueren. Mein Gott, was für ein Tag! Nach ca. 30 km mit dem Fahrrad fühlte ich mich abends aber echt toll.

    Die drei- bis vierstündige Fahrt ins thailändische Glücks-Camp begann früh am Morgen. Ich hatte einen Minivan bestellt und wurde mit dem Pick-up abgeholt. Oje! Aber nach einer halben Stunde wurden wir noch einmal umgeschichtet. Ich bekam den Notsitz im Bus ganz hinten neben dem Gepäck. Erst fand ich das total doof. Im Nachhinein war ich sehr dankbar dafür. Nach ca. einer Stunde Fahrt begann ein feucht-fröhliches Gruppenkotzen. Von zwölf Leuten riefen fünf ständig nach Ulf. Ich war froh, dass das Gepäck neben mir dieser Dynamik nicht folgte. Aber ich muss gestehen, dass es einen Moment gab, wo ich beinahe mitgemacht hätte. Ich war nicht angeschnallt, der Fahrer fuhr wie eine besengte Sau, die Serpentinen waren die kurvenreichsten, die ich je erlebt habe, und die extremen Schlaglöcher ließen mich mehrmals sehr viel Bodenfreiheit zum Sitz verspüren. Wobei ich den freien Flug immer noch genießen konnte … nur die Landungen waren sehr unsanft. Autsch. Nach drei Stunden Fahrt und unzählig vielen vollgekotzten Tüten kamen wir in Pai an. Ein attraktiver Australier, dem ich in der Pause ein bisschen von meinem schlechten Englisch aufs Ohr drückte, meinte nur: That was really a special trip! Ja, das fand ich auch!

    Der erste Eindruck von der Stadt war überwältigend. Ich war schlichtweg begeistert und fühlte mich sofort sauwohl. Das deutschsprachige Camp, welches ich von zu Hause aus gebucht hatte, ist auch total hübsch gestaltet mit vielen neckischen Details. Ich wohne nun in einem Lehmbungalow und habe eine große Sonnen-Terrasse. Neben mir fließt ein Bächlein, die Vögel zwitschern, und es ist hier einfach total gemütlich. (Außer das Bett. Es ist steinhart und erinnert eher an ein Brett). Die Befürchtungen hinsichtlich der Gruppendynamik warf ich gleich nach zehn Minuten über Bord. Hier macht jeder, wozu er gerade Lust hat. Und wenn sich mehrere zusammenfinden, beginnt etwas, was ich ziemlich doof finde. Da werden mitten im Gespräch auf dem Handy Kurznachrichten geschrieben und Mails beantwortet. Also hier scheinen echt viele telekommunikationssüchtig zu sein. Aber meistens läuft es so, dass man in einem Moment noch schnurrend auf der Terrasse abhängt und wenig später jemand vorbei kommt und fragt, ob man Lust hat, ins Restaurant, ins Spa, zur Erdbeerfarm, ins Moonvillage oder zu einem Wasserfall mitzukommen. Und wenn man einmal ja sagt, dann heißt das mitunter, dass man den ganzen Tag unterwegs ist, weil dann ein Vorschlag dem anderen folgt. Inzwischen habe ich gelernt: Wenn ich morgens ja zu einem Frühstück in der Stadt sage, dann bin ich frühestens nachmittags wieder im Camp. Heute habe ich mich mal ausgeklinkt. Viele mieten sich ein Moped. Ich hatte bislang noch nicht das Bedürfnis. Meistens fahre ich bei Ulrich mit, mit dem mich seit dem ersten Augen-Blick (und das meine ich wörtlich) eine sehr, sehr innige Freundschaft verbindet. Manch einer behauptet, wir haben die totale Paar-Energie. Ja, wenn sich unsere vier blauen Augen anschauen, dann fließt da etwas, wofür es keine Worte gibt. Also doch ein Liebespaar? Nein! Da sind wir beide im Widerstand. Aber wir genießen die gemeinsame Zeit und machen sehr gerne Ausflüge mit dem Moped zusammen. Manchmal sitzen wir aber auch zu dritt auf diesen knatternden Viehekeln. Das fand ich bis jetzt immer ziemlich witzig, aber nur bis in die Stadt. Gestern sind wir mal in die Wildnis abgebogen. Das war dann schon etwas grenzwertig, und als wir nach fünf Flussüberquerungen einen Deutschen trafen, der gerade vor einer großen Würge-Schlange geflüchtet war … Also danke, da hatte ich echt Schiss und wollte schnell wieder in die Zivilisation zurück. Und während ich das hier schreibe, formiert sich eine Gruppe, die den Schlangenpfad wandern will und ich weiß noch nicht, ob ich diese Erfahrung gerade brauche. Nee, heute mit Sicherheit nicht. Ich möchte heute faul sein, und ich habe immer noch große Angst vor Schlangen.

    Nun hatte ich mir ja beim Universum viele spannende Erlebnisse bestellt, und ein Paket lief mir eines Morgens nach dem Frühstück direkt in die Arme. (Zuvor wurde es bereits durch meinen Freund Uli angekündigt, der mehrmals sagte: „Der Dennis, der ist ein Jäger! Ach so? Was jagt er denn? Also die Hirsche scheinen vor ihm sicher zu sein, so ein spezieller Frauentyp wie ich … eher nicht. Soso.) Die Begrüßung ließ sofort vermuten, dass wir früher oder später im Bett landen werden. Wahrscheinlich eher früher als später. Denn eine Art animalische Anziehungskraft ließ nicht nur meinen Blutdruck in Wallung geraten. Oh Gott, so etwas hatte ich noch nie erlebt. Irgendeine innere Stimme versuchte zwar, mich noch schnell zu warnen, aber irgendwie hatte ich Lust, auch mal etwas Unvernünftiges zu machen. Und so könnte man die folgenden fünf Nächte (und Tage) mit nur einem Wort zusammenfassen: „Turbulent! Denn der Dennis verstand es mit Bravour, mich in heftige körperliche und verbale Turbulenzen zu verwickeln. Als jemand, der die Schattenseiten seines Gegenübers in Sekundenschnelle erspürt und ihn dann damit auf provokative Weise konfrontiert, macht er sich natürlich nicht nur Freunde. Und ich habe noch nie so oft hintereinander zu jemandem gesagt: „Du Arsch!" Mit ein wenig Abstand betrachtet, waren seine Provokationen jedoch sehr hilfreich für mich, da sie mir meine Schattenthemen offenbarten und meinen sonst so niedrigen Blutdruck prima erhöhten. Irgendwann kam ich zu dem Resümee, dass er eigentlich ein Engel ist. Oder vielleicht noch passender formuliert: ein Arschengel. Er brachte mich in kürzester Zeit an meine Grenzen, und manchmal gab er mir dann noch einen Schubs und etwas sehr Verblüffendes passierte: Ich fühlte mich unglaublich leicht und frei danach … Danke Dennis für diese wundervolle Erfahrung! Als er abreiste, reagierte mein Körper mit heftigen Krämpfen. Ich deutete sie als Ausdruck meiner inneren Widerstände gegen ihn. Ich fühlte mich zwar nach wie vor körperlich stark angezogen (oder eher ausgezogen?), aber alles andere in mir protestierte weiterhin laut!

    Nach 14 Tagen im Camp freue ich mich jetzt auf Strand, Meer und vor allen Dingen aufs Alleinsein. Ich habe das Gefühl, jetzt richtig urlaubsreif zu sein. Ich will mich nicht mehr unterhalten und im Moment auch nichts mehr lernen. Ich will jetzt einfach meine Ruhe haben und die vielen Eindrücke der letzten Wochen verarbeiten.

    Am liebsten würde ich für eine Woche in einem Kloster verschwinden. Diese buddhistischen Tempel haben hier wirklich eine angenehme Schwingung. Ich glaube, da könnte ich mich wohlfühlen. Aber dafür reicht mein Englisch noch nicht aus. Also ab an die Küste mit einem Button auf der Stirn: „Bitte nicht ansprechen, ich möchte meditieren!!!!!!"

    3. Meine Anreise nach Krabi

    Auf der Busfahrt von Pai nach Chiang Mai kotzten dieses Mal nicht die Insassen, sondern dem Fahrer war übel. Er hielt mehrmals an und goss sich Wasser über den Kopf. Wir guckten besorgt, aber er hielt durch bis zum Ziel und organisierte mir sogar noch ein Taxi zum Flughafen. Man muss echt nicht alles selber machen. Manchmal ist es praktisch, sich einfach … doof zu stellen.

    Meinen mehrmaligen Impulsen, noch in Pai Geld umzutauschen, bin ich blöderweise nicht nachgekommen. Dadurch wurde die Ankunft in Krabi recht adrenalinhaltig. Als die Dame am Taxischalter irre viel Geld für schlappe 17 km Fahrt haben wollte, fragte ich: Are you sure? Ja, sie blieb standhaft! Und so kratzte ich schwitzend ein paar Euros, Dollars und Bahts zusammen. Oje, der Start war ja nicht gerade der Knaller!

    Aber der Taxifahrer war echt süß. Er führte mich zu einer wahrhaft luxuriösen Limousine. Wow! In sowas hatte ich schon lange nicht mehr gesessen. Dazu gab's tolle Musik und eine Flasche Wasser. Ich lehnte mich zurück und ich schwöre, ich wollte es genießen. Aber ich muss ehrlich gestehen, dass eine unbequeme Fahrt in einem Pick-up oder Tuk-Tuk bei mir wesentlich mehr Glücksgefühle verursacht. Dann ist mir schon zum wiederholten Mal aufgefallen, dass die Taxifahrer heutzutage nur noch einarmig fahren. Mit der zweiten Hand telefonieren sie fast ununterbrochen. Am schärfsten war der Driver nach Chiang Mai. Der tippte nämlich noch ganz nebenbei eine SMS nach der anderen. Da das bei einer so extrem kurvenreichen Strecke (762 Kurven) ein Kunststück ist, bin ich irgendwann zu der Überzeugung gelangt, dass der liebe Gott persönlich in dieser Zeit das Fahrzeug geführt und uns sicher an den Zielort chauffiert hatte. Aber kein Wunder, dass dem Fahrer schlecht wurde.

    Gut, also ich stellte fest, dass es die einfachen Sachen sind, die mich glücklich machen. Und kaum, dass ich das so feststellte, kam dann auch gleich die Probe aufs Exempel: mein übers Internet gebuchter Bungalow!

    Ich kann echt nicht so genau sagen, ob ich geschockt oder amüsiert war oder beides abwechselnd. Inzwischen bin ich fasziniert und ab und an kommt der Gedanke: „Oh Mann, ist das schräg!"

    Ich finde diese Behausung zwar irgendwie unbeschreiblich, aber ich versuche es mal. Also man stelle sich ein paar Bambusrohre vor, die hausähnlich ineinander verkeilt sind. Die Bodenfläche beträgt max. 4 qm. Die Wände bestehen aus einer Bambusmatte mit Löchern und Spalten, das Dach aus Palmenwedeln. Mir fällt es schwer, den Eingang (das Einstiegsloch) als Tür zu bezeichnen, deshalb übergehe ich das jetzt Mal und bin überrascht, als ich einen Lichtschalter und eine Steckdose entdecke. Ehrlich, damit hatte ich schon gar nicht mehr gerechnet. Hey, und der Luxus ging weiter. Es gibt noch einen halbkaputten Ventilator und ein total ramponiertes Moskitonetz, welches das komplette Zimmerchen ausfüllt. Und ich freue mich darüber wie eine Schneekönigin!!! Auf dem Fußboden liegt eine dünne Matte, und ich stelle mit großer Begeisterung fest, dass sie wesentlich weicher ist als das Bett im Camp, welches ja eher die Bezeichnung Brett verdient hätte.

    Als Mitbewohner habe ich bislang nur Moskitos ausgemacht, die mir unaufhörlich auf die Pelle rücken, aber nur selten als Vampir in Aktion treten.

    Gut, also ich habe eine Unterlage, auf der man liegen kann, einen Ventilator, der ein bisschen die warme, stickige Luft umwälzt, etwas Gesellschaft, Strom und absolute Ruhe. Was will ich mehr? Ach ja, eine Toilette wäre fein. Ich konnte mich dunkel erinnern, ein Bad gebucht zu haben. Mein Gott, kann man denn so viel Freude auf einmal verkraften? In diesem Hüttchen befindet sich eine zweite Türe. Diese bekommt man aber nur auf, wenn man erst das Moskitonetz abbaut und dann die Matratze hochklappt. Dahinter sieht es etwas schaurig aus. Aber da steht tatsächlich (einen halben Meter tiefer), auf einer Art Beton-Balkon, so etwas wie ein WC. Dieses hat zwar keine Spülung, aber eine -landesübliche- Muschidusche nebst einem Eimer zum Wasserselber-Schöpfen (für größere Geschäfte). Okay, Toilettengang gesichert! Ich freue mich schon wieder.

    In der anderen Ecke befindet sich eine Möchtegern-Dusche. Ich habe sie ausprobiert. Sie funktioniert! Kalt Open-Air-Duschen und dabei den Sternenhimmel betrachten … also das hat schon fast etwas Romantisches. Und ich werde das jetzt immer so machen: Schön nach oben gucken beim Duschen. Denn den Fußboden schaue ich mir lieber nicht an. Das sprengt dann doch meine Ekelgrenze. Ja und mehr gibt's da auch nicht zu entdecken. Ein Waschbecken oder einen Spiegel sucht man vergeblich! Also habe ich beim Zähneputzen die freie Auswahl: entweder mit der Muschi-Dusche oder gleich unter der kalten Ganzkörperdusche. Na, das ist doch mal eine echt spannende Sache! Ach ja, und dabei immer schön nach oben gucken und fein die Badelatschen anziehen. Fazit: Ich fühle mich wieder frei und in Abenteuerlaune.

    Die Nacht war super. Ich habe verhältnismäßig gut geschlafen. Die Morgentoilette ging schnell. Ich hatte ja keinen Spiegel, der mich aufhielt und außerdem den Hintergedanken, sowieso niemanden gefallen zu wollen, sondern einfach nur mit mir einen schönen Tag zu verbringen. Das Frühstück war zwar für hiesige Verhältnisse billig, hat aber auch nicht sonderlich geschmeckt und unglaublich lange gedauert. Auf das Free-Taxi zum Strand durfte ich weitere 30 min warten. Geduld, Geduld! Nach

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